Marzipan von ThoraEightysix (Eine Verführung in drei Akten) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Akt, 14. Februar, 1. Jahr an der Domino-Highschool ---------------------------------------------------------------- Er hasste Schokolade. Er hasste generell Süßigkeiten. Fast so sehr wie Eintöpfe (wie man einen Haufen merkwürdiger Ingredienzien zusammenwürfeln und als gut schmeckend bezeichnen konnte, war ihm ein echtes Rätsel). Er war nicht wie Mokuba, der Zuckerwatte, Schokoriegel und einem riesigen Berg Pfannkuchen mit Ahornsirup und Schwaden von Butter, etwa genauso wenig widerstehen konnte, wie er einer reibungslosen Firmenübernahme. Nein, Süßigkeiten waren nichts für Seto Kaiba. Er fand sie regelrecht verabscheuungswürdig. Hätte er die Möglichkeit eine Gruppe von Nahrungsmitteln restlos vom Erdball zu verbannen, wäre es mit Sicherheit diese gewesen! Was er aber fast noch mehr verabscheute (neben von Yugi Muto in einem Duell geschlagen zu werden, natürlich), waren Tage die sich um eben diese Abscheulichkeiten drehte. Sprich: der Valentinstag. Und der genau einen Monat später stattfindende White Day (der aber nur am Rande, da an diesem Tag nun mal der weibliche Teil der Bevölkerung beschenkt wurde. Vorzugsweise mit weißen Dingen). Was Kaiba aber am allermeisten daran hasste – wenn man mal von einem voller Schokolade überquellenden Spind absah – waren diese ewig gackernden und kichernden Gören, die ihm so sehnsüchtig hinterher glotzten. Noch schlimmer war es aber, wenn sie es nicht beim Anhimmeln aus der Ferne beließen. „I-ich würde mich sehr freuen, wenn du sie annehmen könntest, K-kaiba-kun“, innerlich verdrehte er die Augen. Das war schon die sechste heute! Und genauso wie die anderen fünf, griff er auch bei diesem rot angelaufenem Mädchen zu seinem seit heute entwickeltem Patentrezept. Ignorieren und einfach weitergehen. „Hey, du reicher Pinkel! Es würde dir keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn du wenigstens irgendetwas Nettes sagst, wenn du schon kein Interesse hast!“ Wheeler, wer sonst? Der blonde Sturkopf stand neben der Tür zum Klassenzimmer, zu dem Kaiba, nach der auf dem Dach der Schule verbrachten Mittagspause, unterwegs war. Wie immer war seine Uniform fadenscheinig, sein wohl ehemals weißes und nun graues T-Shirt nur ausgesprochen halbherzig in die Hose gesteckt und sein Haar sah aus, als ob sämtliche Kämme Dominos und der dazugehörigen Provinz geschlossen ausgewandert wären. Sprich, er war mal wieder das Chaos auf zwei Beinen (oder vier Pfoten. Im Stillen dankte Kaiba Devlin für die grandiose Idee, Wheeler in ein Hundekostüm zu stecken). “Und warum sollte ich das tun, Köter?! Ich hege keinerlei Interesse daran, mich in irgendeiner Art und Weise mit diesen hoffnungslos naiven und infantilen Gestalten zu beschäftigen. Warum sollte ich also irgendetwas sagen, und vor allem auch noch etwas Nettes?“ „Weil es höflich ist?“ Höflich?! Seit wann war denn Wheeler dem irrsinnigen Glauben aufgesetzt, dass Kaiba höflich war? Kaiba war… direkt. Produktiv. Diplomatisch, wenn es sein musste und mit Sicherheit manipulativ. Aber höflich? Gut, Kaiba konnte es sich vorstellen in ein, zwei Situationen seines Lebens mal höflich zu sein – wenn es ihm denn nützte – aber jetzt war definitiv nicht der Zeitpunkt dafür. Weder bei diesem Mädchen aus der Parallelklasse, noch jetzt, bei diesem Möchtegern von einem Duellanten. „Und warum sollte ich höflich zu jemanden sein, der das mit Sicherheit fehlinterpretieren und mich somit für den Rest meiner Schullaufbahn mit seiner absolut nervraubenden Aufmerksamkeit und tödlich langweiligen Anwesenheit, strafen wird?“ Wheelers Gesicht lief vor Zorn rot an und seine Fäuste ballten sich. Wie erwartet – und beabsichtigt – bezog er Kaibas Aussage nicht allein auf das – nun heulende und an ihnen vorbeieilende – Schulmädchen. „Ein einfaches ‚Sorry, kein Interesse’ hätte doch durchaus ausgereicht! Oder du machst es wie die anderen – Annehmen, freundlich nicken und vergessen. Kein Geschenk zurück am White Day!“ Für einen kurzen Moment sah Kaiba ihn nur mit einer erhobenen Augenbraue an. Meinte der das gerade wirklich ernst? Gut, seine Erfahrungen mit dem Valentinstag waren schon eine Weile her – seit dem Waisenhaus um genau zu sein – denn in Gozaburos Haus war solch ein sentimentaler Unfug natürlich völlig fehl am Platz (zu Recht!), aber Kaiba war sich ziemlich sicher, dass es bestimmt nicht so einfach war! „Klar… nachdem ich jetzt nun sechs von diesen bedauernswerten Gestalten ignoriert habe, wird es die Siebte mit Sicherheit nur als eine nichts sagende Höflichkeit meinerseits ansehen, wenn ich jetzt meinen Modus Operandi ändere“. Zu sagen, dass diese Aussage von Spott und Verachtung durchtränkt war, war ebenso untertrieben wie die Auffassung, in der Arktis könnte es ein wenig frisch sein. „War ja nur ein Vorschlag!“ fauchte Wheeler daraufhin auch gleich eingeschnappt. „Außerdem gibt es ja auch noch nächstes Jahr einen Valentinstag!“ Oh, erinnere mich bloß nicht daran! Warum hatte er eigentlich Mokuba nachgegeben und besuchte nun eine öffentliche Schule, statt weiter auf unzählige und weitaus mehr qualifizierte Privatlehrer zurück zugreifen? Weil du jedes Mal, wenn du in diesem verdammten Zimmer sitzt, das Gefühl hast, Gozaburo schaut dir über die Schultern, darauf wartend, dass du auch nur einen jämmerlichen kleinen Fehler machst?! Richtig… da war ja was. Stattdessen vertrödelte er nun seine Zeit mit lächerlich leichtem Lernstoff, überarbeiteten Lehrkräften, semi-intakten Unterrichtsmaterialien und dem merkwürdigen Sozialverhalten pubertierender Teenager zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren. Und das Beste war, er musste sich noch mehr als zwei Jahre damit herumschlagen! Was hieß, dass auf ihn auch noch mindestens zwei weitere Valentinstage warteten. Zeit für eine Strategie. *** Natürlich hatte Kaiba es nicht nötig auf Joeys Vorwurf zu antworten. Warum denn auch? Er war ja schließlich nur ein Köter und Drittklassiger Duellant. Himmel, Joey wünschte ja nicht vielen Menschen die Pest an den Hals, aber wenn es eine offizielle Liste der Menschen, die mal so richtig fett was in die Fresse kriegen sollten gäbe, würde Joey wirklich alles dafür geben, dass Kaibas Name ganz weit oben auf dieser Liste landen würde. Und für seinen Platz auf der Liste Menschen, die genau das bekommen haben, was sie verdient haben würde er natürlich auch sorgen. Joey seufzte. Nein, er war ja jetzt sauber. Keine Prügeleien mehr, keine Erpressungen, nix, nada, niente… Verflucht, er liebte Yugi zwar wie einen Bruder, aber manchmal – sehr selten zugegeben – wünschte er sich doch, dass der kleine Punk ihn nicht so dermaßen mit seiner freundlichen Art und Selbstaufgabe um den Finger gewickelt hatte. Komischerweise hatte Joey diese Anwandlungen nur, wenn Kaiba mit im Spiel war. Verdammter Kaiba. Seit dem Joey mit Yugi befreundet war, war dieser arrogante und selbst verliebte Großkotz, nicht einfach irgendein bescheuerter Mitschüler, der getrost ignoriert werden konnte. Nein – seit dem verhängnisvollen ersten Duell zwischen Yugi und Kaiba, und ihrem wiederholten Aufeinandertreffen im Königreich der Duellanten, brannte Joey darauf, es diesem Arschloch mal so richtig zu zeigen! Die Geschichte mit diesem komischen Duellierkreisel war auch noch nicht ausgestanden. Irgendwie würde er ihm es schon zeigen! Irgendwie würde er ihn fertig machen! Darauf konnte sich dieser reiche Pinkel verlassen! Joey Wheeler würde seine Rache bekommen! Zum Glück musste Joey Kaiba heute nur noch diese Stunde ertragen. Und da dies eine Mathestunde war – die Joey sowieso mit Schlafen oder etwas ähnlich Produktiven verbrachte – war dies zu verschmerzen. Kaiba hatte nämlich – wie immer – seinen Laptop rausgekramt und war damit beschäftigt, irgendetwas ungeheuer Wichtiges und bestimmt hoch Kompliziertes in die Tasten zu hämmern. Wie der Kerl trotzdem seinen guten Notendurchschnitt hielt, war Joey ein Rätsel. Endlich! Die Stunde war vorbei und nun teilte sich die Klasse für die Wahlpflichtkurse auf. Auch wenn Joey das nie vor den anderen zugeben würde, war dies doch der beste Teil des Tages. Warum er das nie zugeben würde? Nun ja, am Anfang des Schuljahres hatten er und Tristan diese absolute Schnapsidee gehabt, doch den Hauswirtschaftskurs zu belegen, da man doch dort mit Sicherheit auf ein paar hübsche Mädels treffen würde. So gesehen stimmte das auch. Es waren hübsche Mädels in dem Kurs. Nur leider waren diese alle samt und sonders Kaiba verfallen, der diesen Kurs natürlich nicht besuchte und stattdessen vermutlich in irgendeinem Informatikraum versauerte. Wenn er sich denn nicht wieder mit der Ausrede Wichtige Geschäftstermine abgeseilt hatte. Das hieß wiederum, dass Joey und Tristan nun ganze zwei Doppelstunden sich die Schwärmerei antun mussten. Was aber leider noch nicht alles war. Denn leider, waren ihre Mitschülerinnen (die sich aus dem ganzen ersten Jahrgang zusammensetzten), recht bald dazu übergegangen, die beiden ehemaligen Schläger über ihren eiskalten, arroganten und reservierten Klassenkameraden auszufragen. Nicht, dass sich Joey nicht über die Aufmerksamkeit von soviel geballter Weiblichkeit gefreut hätte, aber das hatte er sich mit Sicherheit nicht erhofft, als er damals sein Kreuz bei Hauswirtschaft – Kochen und Backen gemacht hatte. Warum Joey trotzdem der Ansicht war, dies wäre der beste Teil des Tages? Nun, erstens, war Kaiba nicht anwesend – und trotz der Fangirls, war dies einfach eine viel zu gute Sache, als das man darüber nicht froh sein konnte! Zweitens, es war eine leicht verdiente Note! Ein wenig Freundlichkeit hier und da, etwas Sorgfalt, ein Haufen Kreativität und schon war die Zwei gesichert. Abgesehen handelte es sich hierbei um den Umgang mit Essen! Wie konnte das nicht gut sein? Und drittens… machte es einfach Spaß! Ja, Joey Wheeler hatte Spaß am Kochen. So, und jetzt bitte Klappe wieder zu und weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen! Aber was war eigentlich so schlimm daran? Weil er ein Kerl war? Also wirklich… es hatte selbst für Joey nur einen kurzen Abstecher ins Internet gebraucht, um – nach der allerersten Stunde und darauf folgenden gravierenden Zweifeln bezüglich seiner Männlichkeit – festzustellen, dass der absolute Großteil der internationalen Spitzenköche männlich war und so ziemlich alle von denen, hatten in seinem Alter mit dem Kochen begonnen. Also soviel dazu und zurück zum Wesentlichen! „So, ich wünsche euch einen schönen Tag und hoffe, dass ihr die letzte Woche gut überstanden habt. Herzlich Willkommen zurück im Hauswirtschaftskurs!“ Warum klang diese Frau eigentlich so, als ob sie gerade erst einer idiotischen Koch-Show entsprungen war? “Letzte Woche haben wir uns ja passend zum heutigen Tag mit den verschiedensten Zubereitungsformen und Varianten der Schokolade befasst, und ich hoffe, eure Ergebnisse dies betreffend haben regen Anklang gefunden“. Zwei Reihen vor Joey und Tristan brachen zwei Mädchen in heilloses Schluchzen aus. “Scheinbar nicht“, flüsterte Tristan und Joey nickte nur düster. Er konnte sich denken, wer der Empfänger gewesen war. „Und da ich darauf hingewiesen würde, dass der Valentinstag traditionell für das weibliche Volk da ist, um jemanden seine Aufwartung zu machen – und somit es leicht diskriminierend…“ Ein Blick auf die beiden einzigen Jungen im Kurs, die zustimmend nickten. “… wäre, wenn wir den männlichen Aspekt außer Acht ließen…“ Wie konnte man eigentlich nur so geschwollen reden, ohne befürchten zu müssen, dass der Stock im Arsch brach, wenn man sich setzte? “Habe ich mich dazu entschieden, heute ein kleines ‚White-Day-Special’ zu veranstalten. Eigentlich sollte ich dies ja auch direkt eine Woche davor machen, nur leider ist dann gerade Prüfungszeit, die ihr lieber mit Lernen statt mit Experimenten in der Küche verbringen solltet“, die Lehrerin Itzumi – eine rundliche Mittdreißigerin – schaute Joey und Tristan bedauernd an. Die zuckten jedoch nur mit den Schultern. Man konnte schließlich nicht alles haben und streng genommen war die Sache mit der Diskriminierung sowieso nur ein Witz gewesen. „Wie dem auch sei, der Vorteil am White-Day ist, dass man an diesem Tag nicht allein auf Schokolade beschränkt ist. Tatsächlich kann man so ziemlich alles verschenken, Hauptsache es ist weiß…“ Ach… hieß das, Klopapier würde auch seinen Zweck erfüllen? “… und es bereitet dem Empfänger eine Freude!“ Ein scharfer Blick traf die beiden Jungen. Itzumi kannte ihre Pappenheimer. „Und da der White-Day somit eine gewisse Flexibilität besitzt, habe ich mich für heute ebenfalls für etwas entschieden, welches in der Pâtisserie wohl als der flexibelste Werkstoff überhaupt gilt.“ Itzumi reichte nun einen cremefarbenen länglichen kleinen Block auf einer kleinen Untertasse herum. „Das ist Marzipan. Wir kommen später zu seiner Zusammensetzung und eventuell verrate ich euch sogar, wie man es sogar selbst herstellen kann. Aber lasst euch für den Anfang nur eines sagen: Es gibt nun wirklich nahezu gar nichts, was man mit diesem Wunderzeug nicht alles formen und herstellen kann!“ Der Block Marzipan war nun bei Joey und Tristan angelangt, und die beiden Versuchs-Köche warfen einen skeptischen Blick darauf. “Ihr zwei könnt euch ruhig mal ein Stückchen abschneiden und probieren. Keine Sorge, es beißt nicht“. Itzumi lachte über ihren eigenen Witz, traf aber auf keinerlei Echo und gab es somit schnell wieder auf. Joey besah sich noch einmal misstrauisch den Brocken und griff dann nach einem Buttermesser (fast ein Jahr Hauswirtschaft prägten einen doch mehr, als man erwartete). Mit anhaltender Skepsis schnitt er sich eine kleine Ecke ab, nahm sie sich und schob sie dann in den Mund – die ganze Zeit aufmerksam von Tristans prüfendem Blick verfolgt. „Und?“ fragte dieser dann auch nach einer Weile. Joey antwortete nicht. Wie sollte man das beschreiben? Es schmeckte… Süß…? Und hatte die Konsistenz von Keksteig? Ja, das traf es in etwa. Aber da war noch mehr… irgendetwas hinter dieser fast alles überschattenden Süße. Irgendein besonderes… Aroma. Irgendwie wusste Joey noch nicht so wirklich, ob ihm dies schmeckte. „Das ist natürlich nur Marzipanrohmasse. Gut zum Verarbeiten, aber längst noch nicht das höchste an Qualität. Wenn ihr mal so richtig gutes Marzipan probieren wollt, solltet ihr mal nach Deutschland reisen! Glaubt mir, was dort produziert wird, ist der Himmel auf Erden!“ Aha… Nun ja, Joey würde mit Sicherheit nicht um den halben Erdball reisen, nur für ein bisschen überzuckerten Süßkram. „Aber nun solltet ihr euch mal ein paar Gedanken darüber machen, wie ihr euer Marzipan gestalten wollt“, sie hatte inzwischen jedem im Kurs so einen Block gereicht. “Wir können auch einzelne Teile einfärben. Wie schon gesagt, bei Marzipan sind einem keinem Grenzen gesetzt!“ Wirklich nicht? Nun ja… also das wollen wir ja mal sehen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)