Das Wunder des Lebens von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 27: Muse ---------------- XXVII. Muse Die Luft war noch immer warm, dennoch fröstelte es sie leicht nach der Zeit in der heißen Quelle. Brian kramte Handtücher aus einer der Taschen hervor, so dass sie sich abtrocknen konnten. Die Tücher um die Hüften geschlungen setzten sie sich auf einen aus dem Boden hervorbrechenden Feldgrad, der als Bank gerade recht kam und von der Sonne angenehm gewärmt war. Brian zog die andere Tasche zu ihnen hoch und reichte sie Justin. Dieser öffnete den Reißverschluss und förderte einen Kühlbeutel hervor, der oben lag. Er langte hinein und ertastete ein paar immer noch gut temperierte Flaschen. „Kein Champagner?“ grinste er. „Ich mag die Plörre nicht. Du etwa?“ „Nö, Bier ist schon super. Und wer hat denn den Whiskey da rein gepackt… für wen mag der denn sein…?“ „Ausschließlich für dich natürlich. Genauso wie der Kaviar.“ „Kaviar? Nun kommst du aber doch mit der Klischee-Keule…“ „Wenn du gerne fischige Klischees isst, gibt’s halt Glibbereier. Ist mir immer noch lieber als eingeschweißter Ceddar.“ „Oh, da ist Brot… Dann mal rein mit dem, was Frau Fisch einst am Arsch gehabt…“ „Du verstehst es echt, einem eine Mahlzeit schmackhaft zu machen.“ „Ach, da bin ich unbesorgt, schließlich hast du es auch geschafft, das Gruselmenü deiner Mutter lächelnd runter zu würgen.“ „Damit wollte ich Lance los werden. Dich will ich nicht los werden.“ „Dann sei ehrlich, so bleibt mehr für mich.“ „Das hättest du wohl gerne. Her mit den Fischembryonen!“ „Mich schockt das gar nicht.“ „Deine Frustrationstoleranz ist ja auch Gott sei Dank sehr hoch.“ „Ja, nicht wahr? Gut für dich.“ „Pah!“ Justin reichte ihm ein Bier, hielt sein eigenes in die Luft und warf sich in die Brust: „Auf meinen wundervollen Ehemann Brian, der aus Nichts Alles, aus Scheiße Gold und aus der Hölle der Ehe den Himmel auf Erden machen kann, Prost!“ Brians Mundwinkel zuckten verdächtig, als sie anstießen. Sie ließen sich die durch die Blätter dringende Abendsonne auf die Körper scheinen, während sie an ihren Getränken nippten und die Mahlzeit sacken ließen. Justin musterte Brian aus dem Augenwinkel, der mit nichts am Leib außer einer Sonnenbrille entspannt auf dem warmen Stein neben ihm lag. Er sog das Bild in sich auf, der lange gestreckte Oberkörper, die kräftigen, aber nicht aufgepumpten Muskeln, die warm gebräunte Haut und dort unten… dann stutzte er. „Brian?“ „Mmm…?“ „Ich muss dir was sagen, aber du musst mir versprechen, dich nicht aufzuregen.“ „Du weißt doch, ich gebe nicht gerne Versprechen, erst recht nicht, wenn ich nicht weiß, worüber.“ „In diesem Falle wäre es aber besser so – für uns beide.“ „Und zu dieser Überzeugung führt dich was…?“ „Jahrelange Erfahrung. Glaube mir, du wirst mir zustimmen. Ist auch nur etwas, was den Verlauf der nächsten paar Minuten betrifft, die keine schicksalshafte Wendung bringen werden.“ „Wozu dann ein Versprechen?“ „Vorsichtsmaßnahme. Du versprichst mir, dich fünf Minuten lang nicht aufzuregen, dann darfst du, okay?“ „Was ist los?“ fragte Brian misstrauisch. „Nichts Großartiges! Versprichst du es?“ „Fünf Minuten? Was immer es ist, das ist nicht lang. Okay, ich verspreche dir, dass ich mich fünf Minuten lang nicht aufregen werde – als sei ich irgend so eine hyperhysterische Queen…“ „Okay, gut.“ „Was jetzt? Raus mit der Sprache!“ „Du hast eine Zecke am Sack.“ „Was?!!“ Brian fuhr auf wie von der Hornisse gebissen. „Du hast es versprochen!“ „Scheiße! Da habe ich doch nicht geahnt, um was es geht! Scheiße! Wo? Wo, verdammte Scheiße!?“ „Nicht aufregen… Die frisst dir deine Kronjuwelen schon nicht weg, die will nur dein Blut…“ „Scheiße! Warum habe ich das nicht mitbekommen, dass mich so ein Viehzeug in die Eier beißt! Du Mistvieh!“ „Die Biester wären wahrscheinlich nicht so erfolgreich, wenn man sie bemerken würde. Aber keine Panik, das haben wir gleich.“ „Igitt, die sieht ja aus wie ein fetter Pickel! Mach! Das! Weg!!!“ „Jaja, dabei hat die Arme noch nicht einmal fertig gespeist, sonst wäre sie jetzt fett wie eine Fingerkuppe…“ „Ja, nur weiter so, bring mich zum kotzen! Wie war das? Man muss den Kopf mit raus bekommen? Pass bloß auf, ich will kein Insektenhirn in meinen Klöten vermodern lassen! Bekommt man da nicht so fiesen Ausschlag von? Oder Hirnhautentzündung?“ „Wie war das mit dem Versprechen? Ja, die Biester können Krankheiten übertragen, aber das kommt in unseren Breiten selten vor. Nur wenn sich was entzündet oder man Fieber bekommt, sollte man sich Sorgen machen. Und jetzt hältst du still, ich hole sie raus.“ „Kannst du das denn?“ „Ja, mein Vater hatte früher einen Hund, der hatte ständig Zecken.“ „Wie schön.“ „Siehst du, das war’s schon. Oh schau mal, sie strampelt noch…“ „Ich bin entzückt, dass du es geschafft, dass es ihr gut geht…“ „Das bezweifle ich. Aber du siehst auch ganz okay aus.“ „Okay?“ „Fabelhaft?“ „Du verwechselst mich wohl mit Emmet...“ „Nach dem Drama eben… Aber Emmet ist auf dem Land aufgewachsen, der wird sich auch auskennen mit Zecken.“ „Das glaube ich gern“, knurrte Brian, wieder hintenüber kippend, sich aber diesmal das Handtuch vorsichtshalber über die Weichteile ziehend. „Ich stimme dafür, dass wir umziehen.“ „Willst du ins Haus?“ „Ins Meditationsstübchen für Hobby-Asketen? Nein danke. Nur irgendwohin, wo ich nicht das Gefühl habe, dass sich tausend gierige Augen auf meinen Schwanz richten.“ „Wieso? Fandest du das nicht immer ganz klasse?“ „Es mag sich dabei streckenweise auch um krankheitsübertragendes Ungeziefer gehandelt haben, aber zumindest wollte es sich nicht festbeißen, jedenfalls nicht wortwörtlich. Auslutschen allerdings schon, da hast du wohl recht.“ „Der Unterschied sind wahrscheinlich die Facettenaugen.“ „Das wird es sein.“ Sie rafften ihre Siebensachen zusammen, schlüpften behelfsmäßig in ihre Schuhe und setzten sich in Marsch. Brian musterte den vor ihm den Weg hinauf laufenden Justin, von dessen Körper lediglich die Füße verhüllt waren. Der Rücken und die Beine waren in ein helles Goldbraun gefärbt, das in der Luft getrocknete Haar stand wild ab. Lediglich das schneeweiße Hinterteil hob sich arg ab. Nicht zu seinem Nachteil. Da lief man doch gerne hinterher wie ein Lemming. Als sie die Rasenfläche außerhalb der Reichweite von Kamikaze-Zecken erreichten, blieb Justin kurz zögernd stehen. „Wo willst du hin?“ fragte er. Brian umschlang ihn von hinten und ließ seine Handfläche auf Justins rechte Hinterbacke klatschen. „Da rein“, erklärte er, die Aufrichtigkeit seines Bestrebens mit leichtem Druck seines Unterleibs betonend. Justin straffte sich in seinen Armen und schmiegte sich gegen ihn. „Ich dachte schon, du würdest nie fragen“, murmelte er. „Das dachtest du bei meinen gesammelten Heiratsanträgen auch“, erwiderte Brian und begann ihn zu küssen. Der Rasen war weich, die Abendsonne warm, das reichte völlig. Es war an Justin zu schenken. Wenn Brian wild war, dann war er wild, wenn Brian zärtlich war, dann war er das ohne wenn und aber. An Justin war es an diesem Ort nur, ihm zu zeigen, wie sehr er das wollte, egal wie es war, dass es letztlich dieselbe Essenz hatte und dass er mit gleicher Münze zurück geben konnte, dass er ihn betörend fand, wunderschön und dass er ihn über alles liebte. Andere mochten das mit Worten tun. Worte waren schön und gut. Aber das hier waren Taten. Und Brian bevorzugte Taten. Das letzte Licht war geschwunden, der Mond schien über die Fläche, als sie als ein Bündel heller und dunklerer Gliedmaßen langsam wieder zu Atem kamen. Brian lachte leise, Justins Körper von oben umschlingend. „Was?“ murmelte Justin. „Ich danke nur gerade Gott, dem Chaos des Universums, den Stammesgöttern der Susquehannock oder wem auch immer für diese Nummer…n.“ „Susquehannock? Sind das die, deren Fluch uns wahrscheinlich treffen wird? Dank doch mir!“ „Dann hebst du völlig ab.“ „Bin ich doch eben schon – mehrfach. Dank dir.“ „Ich bin einfach gut.“ „Ach… aber ich nicht…?“ „Na gut… Danke Sonnenschein dafür, dass du ein derart hemmungslos geiles Stück bist, dessen Kopf ständig neue Sauereien ausheckt und die alten verfeinert.“ „Um nur ein paar meiner Qualitäten zu benennen. Kreativität und Meisterschaft gehen nun Mal Hand in Hand, ansonsten bleibt nichts als öde Wiederholung, da hilft auch keine Virtuosität…“ „Wie bei deinen Bilder…?“ „Ja…“ „Sehr gut!“ „Wieso?“ „Wenn deine Qualitäten als Künstler mit denen einhergehen, die du beim Matratzensport – in diesem Fall wohl eher Grünflächensport - zeigst, werde ich mich wohl nie über ein ödes Eheliebesleben beklagen müssen.“ „Darauf darfst du Gift nehmen. Außerdem habe ich dir doch gesagt, dass du sowas wie meine Muse für mich bist…“ „Schenkst du mir dann jetzt immer Blumen, Pelzmäntel und winzige Hündchen?“ „Macht man das so mit Musen…? Ich weiß nicht… Ich weiß nur, dass es ähnlich ist, vielleicht auch gleich, dass, was ich mache, wenn ich etwas gestalte, und das, was ich mit dir im Bett, auf dem Rasen, in der Badewanne oder sonst wo mache… Es sind nicht nur Gedanken… sondern Gefühl, Instinkt…“ „Instinkt finde ich gut! Immer her mit deinem Instinkt! Vergiss die Hündchen…“ „Schon geschehen.“ „Aber das ist nicht gut… dass du deine Kunst so abhängig von mir machst…“ „Halt den Schnabel. Kunst existiert nicht getrennt von der Welt, vom Leben. Von meinem Leben. Und davon bist du ein Teil, nicht der einzige, aber ein ganz wesentlicher. Und das ist keine Abhängigkeit im Sinne von Unfreiheit und Einengung. Sondern ganz im Gegenteil.“ Brian richtete sich halb auf Justin gelehnt auf. „Ja, ich verstehe. Wirklich. Es ist gut. Es ist nur immer noch so… ungewohnt. Dass ich… Teil davon bin. Es geht mir ja nicht anders. Vieles von dem, was ich mache, fußt auf dem, was wir… geschaffen haben. Auch beruflich. Denk an Kinnetic. Allein der Name… Das war ich nicht alles allein, es hat Wurzeln…“ „Ja, wir machen beide unser Ding. Aber nicht allein. Und das ist nichts Schlechtes.“ „Nein, das ist es nicht. Und wenn ich an Gus und Lilly denke… Die beiden sind abhängig von uns, ganz und gar. Lilly macht ja eigentlich nichts, sie frisst, pinkelt, schläft, brüllt, grinst und grabscht, aber trotzdem… Okay, Genmanipulation, sie hat uns das Hirn vernebelt… Aber trotzdem…“ „Ich weiß. Es macht glücklich, nicht wahr? Wenn sie etwas machen? Wenn Gus sich darüber freut, etwas Neues in der Schule gelernt zu haben, der kleine Streber, wenn es Lilly schafft, dir in der Nase zu bohren. Es mag nichts Besonderes sein. Aber für mich ist es das. Und für dich auch. Man mag sich den Arsch aufreißen müssen und keine Nacht zum Durchschlafen kommen – aber das ist es wert. Tausendfach.“ „Liebe ist schon komisch.“ „Ja. Ein Geschenk, das es nicht gratis gibt.“ Sie schwiegen eine Weile, sich gegenseitig in der Frische der jungen Nacht wärmend. „Wir müssen bald zurück“, unterbrach Brian schließlich. „Oh weh“, seufzte Justin, „den ganzen Weg. Ich fühle mich gerade so faul und verantwortungslos…“ „Keine Angst, auch das habe ich mit eingeplant. Ein Taxi holt uns hier gegen Mitternacht ab. Für das Boot ist gesorgt. Ich muss Morgen in die Firma. Meine Mutter bringt Gus zur Schule. Du müsstest lediglich morgen früh Lilly bei deiner Mutter abholen, bevor die zur Arbeit muss.“ „Geht klar.“ Justin rappelte sich hoch. „Schön eine Idee, was du nächstes Jahr möchtest?“ fragte ihn Brian. „Gar nichts?“ „Gierhals.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)