I'm just more von -ladylike- (... More than I thought) ================================================================================ Kapitel 8: We found love ------------------------ We found love We found love in a hopeless place We found love in a hopeless place (We found love – Rihanna) „Die Polizei will nichts tun, solange Takeya nicht mindestens 24 Stunden verschwunden ist!“ Verzweifelt lässt Miyavi sich auf dem Sofa nieder und vergräbt das Gesicht in den Händen. „Das … das können die doch nicht machen! 15-jährigen Teenager laufen weg, aber doch keine zweijährigen Kleinkinder!“ Seit einer Stunde ist Miya jetzt wieder da und nachdem wir ihm gesagt haben, dass sein Sohn verschwunden ist, hat seine Stimme permanent gezittert. Worauf ich allerdings noch immer warte, ist, dass er völlig ausrastet und uns sonst was an den Kopf wirft. Immerhin haben wir ihn aus den Augen verloren. Doch mein bester Freund scheint uns da keinen Strick draus zu drehen. Vielleicht, weil wir seine Freunde sind. Vielleicht, weil er uns mag. Vielleicht, weil wir auch nur Menschen sind. Maya sitzt schon seit einer halben Stunde stumm auf dem Sofa, sagt gar nichts. An sich nichts Ungewöhnliches in so einer Situation, doch für ihn ist das mehr als sehr beunruhigend. Seit ich ihn kenne, ist das meiste in Zeichen dafür, dass er eigentlich Ruhe braucht. Das Problem ist nur, dass er das nicht sagt – er bleibt an Ort und Stelle und das Schlimmste, was man dann machen kann, ist … „Kopf hoch, Maya“, lächelt Uruha, wenn auch gequält, „das wird schon alles wieder.“ … ihn anzusprechen. Oh nein, bitte nicht. Ich will etwas sagen, doch es ist zu spät: Maya springt auf und beginnt, hemmungslos zu schreiben und zu fluchen. Seine teilweise unartikulierten Ausrufe graben sich aggressiv in meine Ohren, verzweifelt presse ich meine Hände darauf. Hör auf, hör auf, hör auf!!, kreischt eine Stimme in meinem Kopf. Hör auf, bitte, bitte, bitte hör auf!! Ohne dass ich es wirklich mitbekomme, verlasse ich den Raum, sehe gerade noch aus dem Augenwinkel, wie Uruha Miya einen irritierten Blick zuwirft, mache mich auf die Suche nach Aiji. Er kommt mir bereits im Flur entgegen. Seine Augen streifen kurz meine und ich muss unwillkürlich staunen, wie ruhig er ist. Sachte schiebt er mich beiseite, streicht mir kurz durch die Haare und geht dann an mir vorbei, die Schritte bedächtig, aber dennoch zügig. Ich bin schon lange mit Aiji und Maya befreundet. Seit Jahren. Aber ich werde nie verstehen, was zwischen den beiden vorgeht, wenn Maya einen seiner Anfälle bekommt. Während ich mir mit zitternder Unterlippe die Ohren zuhalte, weil ich schon beinahe Angst vor einem meiner besten Freunde habe und am liebsten die Zeit vorspulen würde, bis sich alles wieder beruhigt, bleibt Aiji der Freund, den der Flummi so dringend braucht. Er schlingt ihm stumm die Arme um die Hüften, hält ihn fest und legt den Kopf auf seine Schulter. Maya flucht, schreit, Aiji solle ihn loslassen, zieht an den Haaren seines besten Freundes und beginnt zu kreischen. Gegen Aijis Schienbeine schlagen die Füße des Flummis, über seine Unterarme kratzen Fingernägel. Mein Blick schweift zu Uruha. Der Arme steht da, völlig geschockt. Wahrscheinlich kann er sich nur vorstellen, was er mit seiner harmlosen Frage angerichtet hat. Und so wie ich ihn kenne, macht er sich schreckliche Vorwürfe. Langsam gehe ich zu ihm hinüber, lege ihm vorsichtig von hinten einen Arm um den Oberkörper. Zusammen beobachten wir, wie Maya zu zittern beginnt. Sein schreien wird leiser, geht in ein brüchiges Schluchzen über. Tränenströme ertränken die letzten Fitzel seines Gerkreisches und er weint nur noch. Unerbittlich fließen die Tränen über seine geröteten Wange, er hängt schlaff in Aijis Armen, der ihn behutsam umdreht und nun richtig in den Arm nimmt. Liebevoll verbirgt er Mayas Gesicht an seiner Halsbeuge, streicht ihm mit der anderen Hand über den Rücken. Wenn ich mich anstrenge, kann ich ihn hören, wie er seinem besten Freund beruhigend etwas ins Ohr flüstert, das stark nach „Shh, alles in Ordnung. Es gibt keinen Grund zu weinen, Kleiner, alles ist in Ordnung“ klingt. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und mein Herz zieht unangenehm, wenn ich die beiden ansehe. Schon häufig habe ich Maya ausrasten sehen. Damals hat er Gegenstände geworfen und Aiji und mich so schnell beschimpft, dass ich außer „Scheiße!“ nichts verstanden habe. Aber noch nie ist er danach dermaßen zusammengebrochen oder hat versucht, einen von uns zu verletzen. Nie. Erst als es still wird, sehe ich auf. Maya ist eingeschlafen. Kurz bleibt Aiji noch stehen, dann hebt er seinen besten Freund hoch und wendet sich an uns. „Ich bringe ihn ins Bett.“ Ich nicke, Uruha bewegt sich überhaupt nicht. Als die beiden den Raum verlassen haben, mache ich den Mund wieder auf. „Mach dir keine Vorwürfe, Uruha. Du kannst nichts dafür, es ist einfach alles zu viel für ihn.“ Fragend sieht Uruha mich an. „Maya ist seit seinem achten Lebensjahr manisch depressiv. Keiner weiß so ganz genau, wodurch die Krankheit ausgelöst wurde. Das heißt: Ich weiß es nicht, Aiji wahrscheinlich schon. Die beiden kennen sich ewig. Glücklicherweise ist die Krankheit nicht so schlimm, dass wirklich Lebensgefahr besteht – bisher zumindest nicht. Ein Arzt sagte, Maya wird wohl nie – wie andere Patienten mit dem gleichen Problem – versuchen, sich während einer depressiven Phase umzubringen oder so.“ Uruha nickt geistesabwesend, ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Worte nur mit halbem Ohr wahrgenommen hat. Ich beschließe, ihm das nicht übel zu nehmen – es ist immerhin mehr als verständlich – und lasse mich neben Miyavi auf dem Sofa nieder. Vorsichtig streiche ich ihm über den Rücken. „Weißt du“, beginne ich leise, „es tut mir wirklich leid. Das ist alles unsere Schuld!“ „Nein, Ruki, ist es nicht.“ „Doch, ist es! Wir haben ihn aus den Augen verloren!“ „Das kann sein, aber ihr ward fünf Leute. Wäre er offensichtlich verschwunden, hättet ihr es gemerkt – es wird schon einen Grund dafür geben, dass ihr es nicht mitbekommen habt. Außerdem: Selbst wenn ich euch dafür verantwortlich machen würde: Was würde es mir bringen? Takeya ist weg. Wir können alle nur hoffen, dass ihm nichts passiert.“ Ich nicke leicht, lege meinen Kopf an die Schulter meines besten Freundes und schaue nach draußen. Wind zerrt an den Bäumen und Regentropfen prasseln gegen die Fensterscheibe. Wo Takeya wohl sein mag? Hoffentlich nicht da draußen … Kaum auszudenken, was ihm passieren könnte, so allein im Freien. Aber warum sollte er grundlos verschwinden? Wurde er entführt? Zweijährige Kinder machen sich doch nicht vaterseelenallein auf den Weg in die weite Welt! Und jetzt, wo der Abend weiter voranschreitet, erst recht nicht! „Ru?“, fragt es irgendwo neben meinem Ohr. „Ich möchte nicht allein bleiben heute Nacht. Kannst du mitkommen?“ Schmerzlich fühle ich mich an die erste Nacht hier erinnert, in der noch alles relativ in Ordnung war. Wir haben mit Takeya im Bett gelegen, weil er Angst vor Monstern hatte. Wir hatten ihn beschützt – und heute hatten wir versagt. Wir. Jenni, Uruha, Aiji, Maya und ich. „Okay“, flüstere ich leise zurück, „okay.“ Tja, und jetzt liege ich hier wieder. Miyavis Atem streift meinen Hals, eine seiner Hände liegt auf meinem Bauch, verkrallt in meinem Schlafshirt. Und ich kann spüren, dass er weint. Ganz still, komplett lautlos. Sein Körper bebt leicht, warme Tropfen laufen in meiner Halsbeuge zusammen. Würde ich meinen besten Freund nicht schon so lange kennen, hätte ich mich jetzt mit Sicherheit zu ihm umgedreht. Hätte versucht, irgendetwas zu tun. Aber ich bin schlecht darin, Menschen zu trösten. Und ich weiß, dass es Miyavi gerade reicht, zu wissen, dass ich da bin. Gute Nacht, Miya. Ich hoffe sehr, du kannst schlafen. Am nächsten Morgen liegt Miya mit dem Rücken zu mir, scheint noch zu schlafen. Seine Wangen wirken aufgequollen, als hätte er noch länger geweint. Auch mein Shirt scheint noch leicht feucht zu sein, doch ich beschließe schon jetzt, Miya nicht darauf anzusprechen – zumindest nicht, solange er nicht selbst davon anfängt. Vorsichtig stehe ich auf und schlurfe ins Wohnzimmer rüber – wo ich vor Überraschung beinahe gegen den Türrahmen renne. Auf dem Sofa sitzt Maya auf Aijis Schoß, was an sich nicht ungewöhnlich wäre, würden sie sich nicht gerade gegenseitig die Zungen in den Hals schieben. Das ist nämlich in der Tat ungewöhnlich, wenn ich das mal so anmerken darf. „Hähem …“, sage ich peinlich berührt und klopfte gegen die Wohnzimmertür. Die beiden fahren auseinander, starren mich an, als wäre ich gerade aus einem Paralleluniversum hierher teleportiert worden. Maya braucht nur kurz, um sich zu fangen und mich anzugrinsen, doch auf Aijis Wangen legt sich zu meiner Überraschung ein leicht roter Schimmer, er vergräbt das Gesicht an der Halsbeuge seines … jetzt richtig Freundes? „Guten Morgen, Ru!!“, ruft der Flummi freudiger, als ich es heute je schaffen werde. „… Hab ich was verpasst?“ „Ja, hast du. Aiji und ich sind seit gestern zusammen!“ Lächelnd schlingt er Aiji die Arme um den Hals und drückt ihn gegen seine Brust. „… Als ich gestern noch mal aufgewacht bin, hat er neben mir gesessen und gesagt, dass er die ganze Zeit da war – obwohl ich mindestens zwei Stunden geschlafen hab! Ist das nicht süß von ihm?“ Aiji murmelt irgendwas, woraufhin Maya ihm lachend durchs Haar streicht: „Doch, du bist wohl süß! … Jedenfalls haben wir uns unterhalten und dabei ist herausgekommen, dass wir es miteinander versuchen wollen. Er liebt mich schon lange, weißt du?“ Ich schüttele den Kopf, um längere Diskussionen zu vermeiden. „Schön, das freut mich. Wünsche euch viel Glück …“ „Na das klingt ja begeistert!“ „Entschuldige, Maya, es freut mich echt. Aber ich mache mir momentan wirklich Sorgen um Miyavi … Er hat sich gestern in den Schlaf geweint. Hoffentlich wird Takeya bald gefunden, sonst endet unser Besuch noch in einer Katastrophe!“ Geknickt setze ich mich neben die beiden und ziehe die Beine an den Körper. Es wird immer und immer mehr, habe ich das Gefühl. Auch wenn das Problem ‚Unerwiderte Liebe Teil 1‘ jetzt gelöst ist: Ein verschwundener Takeya ist ein würdiges Nachfolgeproblem. „Och, Ru“, sagt Maya leise streicht mit über die Wange. „Wir werden das schaffen, okay? Die Polizei fängt heute an zu suchen und die werden Taki finden! Ganz, ganz sicher!“ Kleine, liebe Maya-Welt, warum kann ich nicht auch in dir leben? Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Ich will nach Hause! Ich will, dass das hier alles nicht passiert! „Maya hat Recht, Ruki. Die Polizei wird den Kleinen bestimmt finden!“ „Hoffentlich …“ Heute verläuft das Frühstück stumm. Ohne Miyas Sohn ist es schrecklich still, das kindliche Lachen fehlt einfach. Genauso wie Miyavi. Er hat sich eingeschlossen, nicht einmal aufgemacht hat er, als Uruha eines seiner T-Shirts und sein Handy holen wollte. Ich habe es bisher noch nicht versucht, es kostet mich schon Überwindung, an meinen besten Freund zu denken, wie verzweifelt er sich gestern in mein Shirt gekrallt hat, das stumme Weinen. Maya hat Aiji auf dem Schoß, doch auch die beiden haben ihre vorübergehende Fröhlichkeit anscheinend abgelegt. Stumm sitzen sie da, Mayas Kopf liegt auf der Schulter seines Freundes, bisher sind erst ein paar Bissen Brot in ihren Mündern verschwunden. Auch ich habe noch nahezu nichts gegessen. Vor mir liegt noch dasselbe Stück Brot wie vor 20 Minuten. „Versucht ihr drei bitte, wenigstens eine Scheibe Brot zu essen?“, fragt Uruha. „Ich möchte nicht, dass ihr uns hier bald zusammenklappt. Ich muss jetzt nämlich wirklich los, ansonsten komme ich zu spät.“ Schief lächelnd steht er auf, streicht mir im Vorbeigehen kurz durchs Haar. „Ich bin spätestens eine Stunde nach dem Mittagessen wieder da. Und wehe ich krieg raus, dass ihr nichts gegessen habt!“ Aus dem Flur höre ich noch, wie Uru ans Miyavis Tür klopft und ihm sagte, dass er jetzt losfährt, dann ertönt das Klacken der Wohnungstür. „Miya, machst du bitte auf?“ Eigentlich ist es zwecklos. Schon seit zehn Minuten stehe ich hier, ein Tablett mit zwei Stücken Schokolade, Nutella, einer Tasse Kakao, einem Brot und dem Telefon in der Hand. „Du musst dich doch krankmelden. Und essen musst du auch was.“ Verzweifelt klopfe ich gegen das Holz. Gerade als ich aufgeben will, höre ich von innen den Schlüssel, wie er sich im Schloss dreht, dann geht die Tür einen Spalt auf. Eine Hand schiebt sich heraus, nimmt mir das kleine Tablett ab und verschwindet wieder. Bevor Miyavi die Tür wieder schließen kann, schiebe ich meinen Fuß dazwischen. „Miya, hör mir zu. Du musst nicht mit mir reden, okay? Du musst da auch nicht rauskommen. Aber bitte iss was und melde dich krank! Wenn du möchtest, kannst du das Telefon einfach mit dem Tablett vor die Tür legen, ich hole es dann gleich hier ab. In Ordnung?“ Ich fasse sein Schweigen als Einverständniserklärung auf und ziehe meinen Fuß zurück. Anschließend schlurfe ich zurück in die Küche, wo Aiji sitzt und zeichnet. Maya hat sich einen Stuhl hinzugezogen und schaut ihm schweigend zu. Als er mich hört, blickt er auf. „Und?“ „Er hat das Essen zu sich reingenommen. Ich hoffe, er isst wirklich was. Wahrscheinlich werde ich das nicht überprüfen können, ich glaube nämlich kaum, dass er mich reinlässt. Aber wir habe … sozusagen abgesprochen, dass er das Tablett einfach vor die Tür stellt, wenn er fertig ist.“ Eine halbe Stunde später steht es tatsächlich da. Der Kakao ist ausgetrunken worden, das Brot halb gegessen. Die Stückchen Schokolade sind weg. Neben dem Telefon liegt ein kleiner Zettel, den ich vorsichtig hochhebe. Ich hab angerufen, mein Chef weiß Bescheid. Das was fehlt, habe ich gegessen. Danke, Ruki. Ein wenig Abstand, dann noch ein Satz: Es tut mir echt leid. Was tut ihm leid? Dass er sich eingeschlossen hat? Dass er nicht mit der Situation klarkommt? Dass ich hier sein muss? Vielleicht auch alles. „Kein Problem, Miyavi“, sage ich gerade so laut, dass er es da drinnen höchstwahrscheinlich hören muss. Als Uruha am Nachmittag zu uns ins Gästezimmer kommt, wo ich mit Aiji und Maya schon seit geraumer Zeit herumhocke, ohne eine richtige Beschäftigung habe, und mir sagt, dass jemand für mich am Telefon ist, bin ich überrascht. Ich habe eigentlich niemandem Miyavis Nummer gegeben, abgesehen von – oh nein. Bitte nicht! Nicht auch noch das! Zitternd nehme ich Uru den Hörer aus der Hand. „Ja?“, frage ich leise und weiß jetzt schon, wer sich melden wird. „Ruki? Hier ist Jun.“ „Ich weiß.“ „Wir müssen reden … Kannst du bitte zu mir kommen?“ Ich atme einmal stockend aus, dann nicke ich. Zwei Sekunden bleibt es still, bis mir einfällt, dass Jun mein Nicken ja gar nicht gesehen haben kann. „Okay. Ich komme. Bin gleich da.“ Er legt auf. „Wer war das?“, fragt Maya interessiert. „Jun. Er sagt, wir sollten reden.“ „Oh ja, das solltet ihr wirklich! Ein Problem weniger wäre definitiv gut! Außerdem bist du nur zusätzlich fertig, weil ihr euch nicht mehr versteht. Es reicht schon, dass Miyavi sich in seinem Zimmer einschließt!“ Ich nicke und stehe auf. „Uruha?“, rufe ich, während ich das Telefon an seinen Platz zurückbringe, „Könntest du mich zu Jun fahren?“ Das überraschte Gesicht von Miyas Mitbewohner erscheint im Flur. „Willst du dich mit ihm aussprechen?“ „Ja.“ „Gut, ich fahr dich. Moment, ich zieh mir noch eben meine Jacke an!“ Im Auto angekommen, wird mir noch mulmiger, als ich dachte. Mein Magen zieht sich zusammen, ich atme schneller. Meine Finger krallen sich in das Polster des Beifahrersitzes. Neben mir sitzt Uruha, er wirkt völlig entspannt. Anscheinend merkt er nicht, wie meine innere Anspannung die Luft zum Flimmern bringt – oder er will gegensteuern. Das allerdings gelingt ihm nicht besonders gut. Stattdessen fühle ich mich noch mehr auf mich gestellt, völlig allein mit der Situation. „Uruha?“, flüstere ich leise. „Können wir irgendwas reden?“ „Klar, wenn du willst. Schönes Wetter heute, was?“ Will der mich verarschen? Es regnet!! „Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „kein schönes Wetter heute.“ „Richtig. Es passt echt gut zum heutigen Tag. … Okay, vielleicht reden wir besser nicht übers Wetter. Wie wärs mit Tokyo? Ist die Stadt wirklich so sehenswert?“ „Definitiv“, lächle ich, „Tokyo ist eine tolle Stadt. Aber echt kompliziert. Vor allem wenn du U-Bahn fahren willst, musst du aufpassen. Es fahren so verdammt viele Bahnen, dass sogar ich manchmal noch falsch ein- oder umsteige …“ Ich rede mich richtig in Rage, froh darüber, mich ablenken zu können – bis wir anhalten. Der Wagen bleibt stehen, Uruha sieht mich an: „Soll ich auf dich warten?“ „Nein, es könnte länger dauern. Danke, Uruha. Ich rufe dich an oder frage Jun, ob er mich fahren kann. Fahr besser nach Hause und versuch, Miyavi aus seinem Zimmer zu holen.“ Sein rechter Mundwinkel hebt sich um einen Millimeter. „Okay. Mach dir ein bisschen weniger Sorgen, Ruki. Das letzte, was man sich im Urlaub machen sollte, sind Sorgen. Ich hoffe sehr, dein Besuch hier findet noch ein Happyend, es wäre schade, wenn nicht. Immerhin habt ihr euch so lange nicht gesehen … Und jetzt raus mit dir, Kleiner, sonst kommst du mit deinem Jun nie ins Reine!“ Mein Grinsen misslingt etwas, doch ich versuche es trotzdem. Ich will gerade auf die Klingel drücken, als Juns Mutter mir öffnet. „Hallo, Takanori“, lächelt sie, „Fabian ist oben. Ich glaube, er wartet bereits auf dich.“ „Danke, ich glaube auch.“ Langsam steige ich die Treppe hinauf, versuche, mit jedem Schritt ein bisschen mehr an innerer Fassung zu sammeln. Zögerlich klopfe ich an, die Tür geht auf. Jun sieht mich an, ohne das Gesicht zu verziehen. Nichts lässt auf Wut, Trauer, Langeweile oder Freude schließen. Einfache Neutralität schaut mir durch braune Augen entgegen, heute trägt er keine Kontaktlinsen. „Komm rein, Ruki.“ Ein Schritt zur Seite, dann trete ich ein. Das Zimmer ist nicht besonders groß, aber auch nicht wirklich klein, es hat eine schöne Größe und ist freundlich hell durch die beiden Fenster. An den Wänden hängen Poster, aber nicht von Stars, sondern von berühmten Orten dieser Welt. Der Eifelturm, der Yellow Stone National Park, die Pyramiden von Gizeh, die Skyline New Yorks, der Kreml in Moskau, das Burj Al Arab und so weiter, und so weiter, und so weiter. „Fernweh?“, frage ich, während ich mit dem Finger über eine Postkarte streife, auf denen Polarlichter abgebildet sind. „Chronische Krankheit von mir. Die Ferne ist schöner, wenn man sie noch nie gesehen hat. Ich war schon mal am Grand Canyon, das Bild ist anschließend aus meinem Zimmer verschwunden. Es hängt jetzt bei meiner Mutter. Sie sammelt Dinge, die sie schon gesehen hat, ich sammele die, die ich noch nicht gesehen hab. Seltsam, oder?“ „Überhaupt nicht. Vieles ist schöner, bevor man es genauer unter die Lupe nimmt.“ Er nickt uns setzt sich auf sein Bett. „Ruki, ich …“ Erwartungsvoll sehe ich ihn an, doch er spricht erst einmal nicht weiter, starrt nur geradeaus. „Ich … ich hab mir das alles anders vorgestellt, als ich dich kennen gelernt hab, Ruki. Ich dachte, ich habe in dir einen guten Freund gefunden – und das habe ich ja auch. Aber …“ „Aber?“ „Aber es war nicht geplant, dass alles so verdammt kompliziert wird! Das ist alles so klischeehaft, dass ich mich dafür ohrfeigen könnte! Das, was ich dir erzählt habe, mit der 25-jährigen Barbiepuppentussi, das stimmt und es hat mir sehr wehgetan. Das ist auch der Hauptgrund, aus dem ich mir vorgenommen habe, immer ehrlich zu sein. Aber es war nicht der Hauptgrund dafür, dass ich so wütend auf dich war, weißt du? Henry … Henry ist mein bester Freund, ich hab ihm von dir erzählt und er hat von Anfang an gesagt, er würde dich gern mal kennen lernen. Er meinte, du würdest nett klingen und interessant und wie eine neue Erfahrung …“ Moment. Heißt das … „Hat er geplant, mich abzufüllen und mich dann abzuschleppen?“ „Nein. Nein, das nicht. Er … meinte, er würde sich mit dir unterhalten und mal sehen, ob sich mehr machen lässt. Seit ich ihn kenne, war Henry immer der, der sich nie auf Beziehungen eingelassen hat, sondern lieber wen neues ausprobierte – nicht, weil er Angst vor festen Bindungen hat. Er ist einfach … experimentierfreudig und wartet auf die Person, die genauso vielseitig ist, wie er selbst. Haben ihm schon viele übel genommen. Mädchen wie Jungs, alle waren sie enttäuscht. Sie alle haben sich mehr erhofft, obwohl er ihnen nie vorgegaukelt hat, sie zu lieben. Henry will auch nicht nur Spaß. Seine Suche nach der Person, die nicht nur Spaß ist, sondern mit der er es ernst mein, sieht nur ein wenig anders aus, als die der meisten Menschen. Mit mir hat er’s auch schon versucht … Es hätte sogar funktionieren können, aber wir haben festgestellt, dass wir eher freundschaftliche Gefühle füreinander haben. Um wieder zum Thema zurückzukommen, habe ich gewusst, dass der Abend vielleicht damit endet, dass du dein Versprechen brichst, ich war mir sogar schon sicher und konnte mich dementsprechend vorbereiten. Außerdem habe ich gedacht, ich würde es nicht sooo schlimm finden. Immerhin war es kein weltbewegendes Versprechen wie das, einem auf ewig treu zu sein. Aber als ich dich mit Henry gesehen habe, hat es verdammt wehgetan. Wie fünf Faustschläge in den Magen, alle nacheinander weg.“ Jun senkt den Blick und scheint zu überlegen, wie er weitermachen soll. Langsam gehe ich auf ihn zu, setze mich neben ihn, er rührt sich nicht. Es fühlt sich seltsam an, neben ihm zu sitzen mit dem Gewissen, dass er meinen Brief gelesen hat. Dass er weiß, wie ich für ihn empfinde, ohne mir gesagt zu haben, was er fühlt. „Und das hing nicht mit dem Versprechen zusammen. Viel mehr damit, dass nicht ich es war, mit dem du getanzt hast und mit dem du verschwunden bist.“ Sein Arm streift meinen und in meinem Körper baut sich ein angespanntes Kribbeln auf. „Ich wollte der sein, dem du beim Tanzen in die Augen siehst. Der, den du anlachst und der, der dich mitnehmen kann. Scheiße mann … Als ich dich am nächsten Tag von Henry abgeholt habe, war so sauer, dass du das nicht gemerkt hast – obwohl du es nicht wissen konntest. Obwohl du keine Ahnung hattest. Ich war so wütend, ich hätte dir am liebsten den Hals umgedreht …“ Er seufzt und streicht mit seinen Fingern leicht über meine Hand, die neben meinem Bein auf dem Bettlaken liegt. Eine zarte Gänsehaut bildet sich auf meinem Handrücken, wandert zusammen mit Juns Fingern meinen Arm hinauf. In seinen Augen liegt ein unbestimmter Glanz, als er weiterredet. „Als ich nach dem Streit bei mir angekommen bin, war ich vollkommen fertig. Ich dachte, mein Leben wäre jetzt so gut wie ruiniert. … Und dann kam der Brief. Nicht mit der Post, sondern persönlich eingeworfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich beim Lesen gezittert habe. Bis zur letzten Zeile.“ Er sieht mir fest in die Augen. „Ich habe einen Stift genommen und das hier aufgeschrieben.“ Behutsam zieht er einen schmalen Zettel aus der Hosentasche und reicht ihn mir: Du bist glücklich verliebt, Ruki. Ungläubig hebe ich den Blick. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, schon während seiner Erzählung, doch meine Zweifel verabschieden sich erst mit diesem einen Satz, den Jun jetzt noch einmal flüsternd wiederholt: „Du bist glücklich verliebt, Ruki.“ Und dann küsst er mich. Er küsst mich nur zart und vorsichtig, als hätte er Angst, ich könnte ihn von mir stoßen. Doch dieser Gedanke ist – wie man sich vorstellen kann – absurd. Meine Arme legen sich um seinen Hals, ich spüre seinen Daumen auf meiner Wange. Ganz leicht streicht er meinen Wangenknochen entlang, immer wieder, als müsse Jun sich davon überzeugen, dass ich wirklich da bin. So wie ich kaum glauben kann, dass er wirklich da ist. Dass wir da sind, wo wir sind. Wir sind hier und das, was wir tun, funktioniert. Das Lächeln, das sich auf meine Lippen legt kommt von ganz allein. Kurze Zeit später liegen wir auf seinem Bett, mein Kopf ruht an seiner Schulter und wir tun nichts weiter, als die Decke betrachten. Immer wieder streichen die Finger seiner rechten Hand über meinen Oberarm. „Takeya ist weg“, sage ich irgendwann, völlig unvermittelt. Ruckartig setzt Jun sich auf. „Was? Wie weg? Warum?“ Und so beginne ich, mir alles von der Seele zu reden. Angefangen beim Pizzaessen, bis jetzt. Am Ende sehe ich Jun an, den Tränen nahe und weiß nicht, was ich noch sagen soll. Doch Jun scheint nichts von mir zu erwarten. Er nimmt mich einfach nur in den Arm und flüstert: „Wir schaffen das. Von heute an schaffen wir alles.“ ___________ BOOOOM!! Ohne das Nachgelaber hier ist das Kapitel genau 4004 Wörter lang! Das ist am nächsten an den 4000 dran als sonst eins *freu* *räusper* Jaaa, das war jetzt auch wichtig -.-" Mit diesem Kapitel geht dann wohl meine große "Auräumaktion" weiter und ich habe das Gefühl, es ist so ziemlich eines der emotionalsten Kapitel bisher - was nicht nur and Maya liegt. Mich würde übrigens interessieren, ob euch interessieren würde, wie das Gespräch zwischen Maya und Aiji ablief, nach Mayas Ausbruch. Also das, von dem M. Ruki morgens erzählt. Wenn Interesse besteht, dann würde ich das eventuell als Bonuskapitel anhängen, wenn die Story fertig ist, oder so ...? Also: Interesse ja oder nein? :) Astrido: Ja, wie das funktioniert, hab ich mich auch immer gefragt ... Da ist Ruki mir dann doch vorraus :D Ich hab zwei Brieffreundinnen und muss mich jedes Mal bemühen, eine Seite voll zu kriegen. Andererseits finde ich Briefe einfach schön klene-Nachtelfe: Freut mich, dass der Brief so gut ankommt :) Bei dem hab ich mir echt Gedanken gemacht von wegen: Interessiert das überhaupt oder sollte man das besser als Dialog schreiben? Sonst ist das doch alles so trocken ... Aber ich hab mich für den Brief entschieden, weil ich sonst nicht viel mit Briefen arbeite in meinen Geschichten. :D ... Du solltest dir mal das Sims 3 Let's Play von Gronkh angucken, da kam die Inspiration her, die ich brauchte, um Frau Wolf zu entwickeln XD Lieben Gruß und bis danni, lady Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)