Herzblut von Karu ================================================================================ Kapitel 1: Hoffnungslos ----------------------- Ich schaue sie an, mein Blick klar und ungebrochen, meine Sicht trotzdem verklärt. Ihre Brust hebt und sengt sich in regelmäßigen Abständen, die Augen blicken scheinbar ziellos zum Fenster hinaus. „Willst du es mir sagen?“ Eine kurze Pause entsteht. Nur eine Sekunde. „Nein.“ „Nein.“ „Nein.“ Ihre Augen wandern zu mir, fangen meinen Blick auf – sehen mich und tun es doch nicht. Ich erkenne ihn, den Schmerz in ihren Augen, diese unglaubliche Traurigkeit, die mit ihrem Blick wie eine riesige Welle über mich hinweg schwappt. Ich hatte nie wirklich verstanden, was der Satz „mein Herz blutet“ wirklich bedeutet. Für mich war es lediglich eine Phrase, ein Ausspruch, den Autoren in ihren Büchern verwendeten, um auszudrücken, wie tief verletzt eine Person war. Inhalt pseudotragischer Mädchenbücher. Schön klingende, aber leere Worte. Kitsch. Ich wusste es nicht besser. Jetzt sitze ich hier, bewegungslos, erwidere ihren leidenden Blick und alles was ich denken kann ist „Mein Herz blutet.“. „Mein Herz blutet.“ Ihre Trauer, ihr Schmerz, ich fühle sie, als wären es meinen eigenen Gefühle und nicht ihre. Der gepeinigte Blick, der meine Augen fesselt, obwohl sie mich schon lange nicht mehr ansieht… er tut so weh, so verdammt weh, dass es beinahe unerträglich ist. Hilflos wie ein kleines Kind, das seine Mutter verloren hat, schließe ich für einen Moment meine Augen und lehne den Kopf gegen die Scheibe des Busses. Nichts anders bin ich, hilflos, zum nichts tun verdammt; dazu, ihr bei ihrem Leiden zusehen zu müssen und nichts tun zu können… mich von diesem Gefühl übermannen zu lassen, das schreit „Mein Herz blutet.“ Langsam öffnen sich meine Augen. Alles in mir schreit „Es tut weh. Lauf weg. Es tut so verdammt weh.“, aber Masochist der ich nun einmal zu sein scheine, kann ich meinen Blick nicht abwenden und wieder begegnen sich unsere Augen. „Es tut so weh.“ Ich würde so gern etwas sagen, aber ich kann nicht. „Ich bin immer da, wenn du mich brauchst.“ will ich sagen und mich selbst noch weiter in mein eigenes Unglück treiben. Aber ich tue es nicht, kein Wort verlässt meine rauen Lippen. Es wäre unnötig, es auszusprechen. Du weißt es, du weißt es schon lange, und doch hat es nie etwas geändert. Es gibt nichts, was ich lieber sagen würde, immer und immer wieder, aber irgendwo in meinem Inneren weiß ich, dass ich mich mit diesen Worten nur weiter selbst kaputt machen würde. Dein Gesicht zu sehen, wie du dabei keine Mine verziehen würdest in deiner Trauer, es hinnehmen würdest, als das natürliche das es ist, würde mir nur weiter diesen imaginären Dolch ins Herz treiben. „Mein Herz blutet.“ ~x~ Mir viel es immer schwer, die Liebe als etwas rein Gutes zu sehen. Wie konnte etwas pur und hell und weiß sein, wenn so viele Menschen dafür gestorben waren, man ganze Kriege der Liebe wegen begonnen hatte und sich manche sogar um ihretwillen umgebracht hatten? Schwarz und weiß waren zwei krasse Gegensätze, und wie man schon Menschen nicht nur dem einen oder dem anderen zuordnen konnte, war mir dies auch mit der Liebe nie gelungen. Ich persönlich hatte mich schließlich für rot entschieden – da so viele Menschen dieses Gefühl mit ihrem Blut bespritzt hatten kam es mir recht passend vor. Blut, Rosen, Zuckerbrot und Peitsche… es waren diese vereinten Gegensätze, die die Liebe für mich ausmachten. Blut, das Tod und Leben bedeuten konnte, wunderschöne Rosen mit tödlichen Stacheln… „Bittersüß.“ Auf eine gewisse Art hasste ich sie, diese Liebe die mich an sie band, wo ich eigentlich genug Verstand gehabt haben müsste, mich von ihr fernzuhalten. Sie wollte mich nicht, nicht so. Ich war nur Zuschauer in ihrem Leben, hoffnungslos dazu verdammt, ihr bei ihrem Leiden zuzusehen – weil ich nicht weggehen konnte – und dabei still und unbemerkt mit ihr zu leiden. Diesen unerträglichen Schmerz ertragen zu müssen. „Mein Herz blutet.“ Und auf der anderen Seite liebte ich dieses Gefühl, gegen das ich mich nicht wehren konnte, wehren wollte. Jeden Schritt, den sie von mir fort machte, machte ich auf sie zu. Ich war nicht dumm genug, den Schmerz nicht zu erkennen, den das mit sich bringen würde und nicht stark genug, um einfach stehen zu bleiben. Jedes Lachen, jedes freundliche Wort, jede Geste ließen mich weiter gehen… um mehr von diesem unglaublichen, unwiderstehlichen, Gefühl zu bekommen. ~x~ "Danke, dass du mitgekommen bist." Sie lächelt dieses sanfte, traurige Lächeln das so voll ist von Schmerz das ich schreien will und es doch nicht tue, weil es so nahe einem aufrichtigen, liebevollen Lachen ist wie ich je kommen werde. Eigentlich sollte ich etwas erwidern, eine dieser Phrasen die man normalerweise benutzt um wohl verdienten Dank herunterzuspielen. Ein "Kein Problem." oder ein "Mach ich doch gern." vielleicht, aber kein Wort verlässt meine Lippen – denn jede Silbe wäre genauso sehr eine Lüge wie die schlichte Wahrheit. "Ich habe keine Wahl." Sie nimmt mir meine Fähigkeit, selbst Entscheidungen zu treffen... immer. Ich hätte sie nicht alleine in eine Bar gehen lassen können in dem Wissen, dass sie sich betrinken wird ohne irgendjemanden der dafür sorgt das sie heil nach Hause kommt, dass kein Kerl sie angrabscht, dass sich niemand um sie kümmert. Ich will sie hassen dafür, und weiß doch das ich nie dazu in der Lage sein werde. Keine ihrer tollen Freundinnen ist hier, denn es gibt keine von ihnen der sie genug traut um ihr ihr gebrochenes Herz zu zeigen. Nein, sie bekommen diese Seite von ihr nie zu Gesicht, sehen immer bloß die starke Frau und nie das weinende, verlassene Mädchen. Ich allerdings sitze hier und sehe sie, die Kleine mit den verheulten Augen die versucht ihren Schmerz in Alkohol zu ertränken – es wird nicht funktionieren, ich weiß es. Wir sind Freunde, oder sollten es zumindest sein, und auch wenn sie mir nicht genug vertraut um ihren Schmerz mit mir zu teilen, um mir zu reden, vertraut sie mir dennoch genug um mich ihn sehen zu lassen. Sie sitzt da an der Bar mit ihrem gebrochenen Herzen, sagt kein Wort und lässt mich zusehen, die Splitter ihres zerbrochenen Herzens sehen ohne zu bemerken das meines bei ihrem Anblick in genauso viele Scherben zerbricht. "Mein Herz blutet." The End. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)