Freundschaften, Feindschaften von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Köder ---------------- V. Köder „Nun John“, sagte die Frau sanft zu ihm, „du weißt, warum wir hier sind.“ „Ja“, sagte er, die Schultern zusammen gezogen, „wegen Onkel Brian.“ „Du hast damals gesagt, er habe… dich angefasst.“ „Das war gelogen“, sagte er. Oma Joan hatte ihm ziemlich deutlich gemacht, dass sie gar nicht glücklich mit ihm sein würde, wenn er das hier verbockte. Und Onkel Brian… das wollte er sich besser gar nicht vorstellen. Die freundlich gemeinten Arschtritte waren schon schmerzhaft genug. Und sie hatten etwas gebracht, das musste John zugeben. Sein Notenbild war zwar nicht berauschend, aber nicht mehr desaströs. Wenn er sich weiter ranhielt, würde er es schaffen. „Du weißt, dass du zu mir ehrlich sein kannst, nicht wahr? Es wird dir nichts geschehen“, versprach die Frau ihm erneut ziemlich säuselig. „Bin ich doch“, sagte John. „Ich war sauer auf Onkel Brian. Und da habe ich das erzählt, weil alle Schwule ja auch immer für Kinderficker halten, oder?“ „Das stimmt so nicht…“, protestierte sie. „Ach was!“ sagte John. „Ich bin doch mit der Nummer durchgekommen.“ ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Der Februar hatte Einzug gehalten. Nachdenklich studierte Brian seinen Terminkalender. Morgen stand seine letzte Sitzung beim psychologischen Gutachter des Jugendamtes an. Gut so, denn noch länger hätte er diese erbärmliche, einen weißen Rauschebart tragende Möchtegern-Freud-Gestalt wohl nicht ertragen. Es sollte ja Leute geben, die sich gerne auf die Couch legten, damit jemand in ihrem Innenleben herum bohrte. Er gehörte definitiv nicht dazu. Es sei denn, Justin war auf ihm. Aber das war wohl eher nonverbale Kommunikation. Aber er sollte sich besser nicht zu laut beschweren, dank Nathalies Freundin hatte er sich seines Erachtens gut geschlagen. Nicht, dass er ohne sie komplett aufgeschmissen gewesen wäre, aber die feinen Kniffe verdankte er ihr. Es war ja nicht so, dass er gezielt gelogen hatte… Er hatte lediglich ein sehr Gutachten kompatibles Bild der Vergangenheit entworfen. Was war er doch für ein liebenswürdiger Mensch… Die Schergen des Amtes waren inzwischen bei den restlichen an der Geschichte beteiligten Personen eingefallen. Soweit es ihm zugetragen worden war, hatten Jennifer und Justin sein Loblied gesungen, John und Claire hatte sich mit Joan im Nacken zusammen gerissen und Schwiegerpapa Taylor hatte sich dumm gestellt und jegliche Kenntnis einer über schieres Händchenhalten hinaus gehenden Beziehung zwischen ihm und Teenager-Justin geleugnet. Wahrscheinlich auch, um es sich nicht in seiner neu entflammten Zuneigung für Jennifer zu verderben. Anscheinend hatten sie auch bei Mr. Kip-Gelegenheitsfick angeklopft, der aber wohl jegliche Erinnerung an die Sache ziemlich verdrängt hatte und nicht gerade auskunftsfreudig gewesen war. Was hätte er auch anderes tun sollen? Die Wahrheit würde ihm auch nicht gerade zum Vorteil gereichen. Jetzt konnte er nur noch das Beste hoffen. Kommenden Montag würde es soweit sein – entweder nach Hause oder… Nein, das kam gar nicht in Frage. Eine schwarze Woge irrationaler Wut schäumte in ihm auf. Eigentlich konnte er sich nicht hundertprozentig sicher sein. Aber irgendetwas in ihm, ein Instinkt vielleicht, sagte ihm, dass er nicht danebenlag. Ein erster Reflex wollte einfach nur zuschlagen, so hart und fest es ging, jedes Winseln um Gnade ignorierend. Er zügelte sich. Das würde gar nichts bringen – außer noch mehr Ärger. Und er war nicht Chris Hobbs, der gleich mit der Keule auf alles eindrosch, was ihm nicht passte. Verflucht sei diese Made. Aber die Gerechtigkeit war ihren Gang gegangen – wenn auch nicht die, die sie sich gewünscht hatten. Doch solange das System bestand hatte, würde das nichts ändern. Unter den aktuellen politischen Zuständen war das auch eher zu bezweifeln… aber die Mühlen malten, wenn auch langsam. Und Lance… Auch er hatte ein System, es war nur zur fragen, welches. In diesem Falle ging es Brian nicht so sehr darum, es zu verändern oder seine Existenz zu akzeptieren… Aus Rache? Vielleicht ein wenig. Er dachte an Gus. Aber wie auch immer, er wollte Lance nicht bis an sein Lebensende im Schatten hinter sich lauern haben. Der Gute würde sich schon noch verabschieden, freiwillig. Aber nicht, ohne davor ein wenig zu bluten. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Brian?“ „Am Apparat.“ „Katlin’s hat angerufen.“ „Was gibt es Neues?“ „Ich wurde für das Young International Artist-Stipendium vorgeschlagen.“ „Nanu, da musst Du ja einflussreiche Fans haben!“ „Die Empfehlung kam anonym durch ein Anwaltsbüro.“ „Wie bescheiden.“ „Wirklich – wenn man bedenkt, was das bedeutet… Ein ganzes Jahr London, völlig umsonst – mit Anwesenheitspflicht…“ „Glückwunsch, Justin. Wie unverhofft!“ „Ja! Welch Wunder! Da hat echt wer an alles gedacht.“ Brian schwieg kurz nachdenklich: „Würdest Du es machen?“ „Ich kann und will kein ganzes Jahr abdampfen. Die Lorbeeren würden reichen.“ „Sicher? Das wäre eine Riesenchance.“ „Ich habe meine eigenen Chancen.“ „Sturkopf.“ ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Oh hallo, Lance!“ „Brian!“ „Schön, Sie so bald wieder zusehen!“ Brian ging in seinem Büro bei Kinnetic auf und nieder. „Sie wollten mich sprechen?“ fragte Lance, während er Brians Bewegungen folgte. „Ja. Die Folgekampagnen sollen ja Kanada und die USA umfassen. Wie sind da Ihre Prioritäten?“ „Der Schritt nach Kanada wäre der folgerichtige. Dort sind wir bereits dabei, uns in den Sortimenten zu etablieren. Was uns jetzt noch fehlt, ist die passende Vermarktung, um den dortigen Markt zu stürmen.“ „Sie stürmen gerne voran, Lance?“ fragte Brian und grinste verstehend. „Ich bin ein Mann der Tat – wie Sie.“ „Da verstehen wir uns ja.“ Brian streckte sich wohlig mit dem Gesicht zum Schreibtisch. „Langer Tag?“ „Ja, aber mit einem erfreulichen Abschluss!“ „Das freut mich zu hören. Ich will Sie aber nicht davon abhalten nach Hause…“ „Ach was, Sie halten mich von gar nichts ab!“ sagte Brian in einem etwas niedergeschlagenen Tonfall. „Brian…?“ fragte Lance langsam. „Alles okay bei Ihnen?“ Brian schlug kurz die Augen nieder, dann straffte er sich wieder: „Ach, ich will Sie nicht schon wieder mit meinen persönlichen Problemen nerven…“ „Gar nicht! Wir sind doch… Freunde, hatten Sie gesagt? Ich leihe Ihnen gerne mein Ohr!“ Brian schien zu zögern. Dann sagte er: „Wollen Sie vielleicht einen Drink?“ Lance räusperte sich. Brians Whiskey hatte letztes Mal ganz schön rein gehauen. Aber dabei waren sie sich auch… näher gekommen. „Ja, gerne“, sagte er. Brian schenkte ein, und sie setzten sich in die Couchecke. Cynthia schaute kurz durch die Tür und verabschiedete sich. Die Lichter bei Kinnetic gingen allmählich aus. Brian hatte die Lider gesenkt und studierte die langsam im Glas kreisende Flüssigkeit. Er saß in einem der Sessel, ein langes Bein elegant über das andere gelegt, Lance schräg gegenüber. „Er bekommt wahrscheinlich ein Stipendium“, sagte er übergangslos. „Ihr Partner?“ „Ja.“ „Das… das ist doch etwas Gutes oder – für einen jungen Künstler?“ „Ja. Sogar sehr gut.“ „Warum scheint es Sie denn dann so gar nicht zu freuen?“ Brian legte den Kopf in den Nacken: „Es ist in London. Ein ganzes Jahr. Und er will gehen, wenn er’s bekommt. Ohne mich – ich kann hier ja auch nicht weg – und ohne Gus.“ „Oh Gott Brian – aber ich dachte, dass er Ihrem Sohn sehr nahe steht?“ „Dachte ich auch. Aber das hat er sich wohl anders überlegt. Er meinte, dass er sich zu jung fühle für eine Familie.“ „Er ist… zweiundzwanzig?“ „Genau. Wird in einer Woche dreiundzwanzig.“ „Das ist wirklich ziemlich jung.“ „Das war wahrscheinlich ein Fehler…“ „Was?“ „Daran zu glauben, dass das klappen könnte. Wir sind einfach zu verschieden…“ „Ich verstehe. Ich weiß, wie das ist.“ Brian schaute ihn fragend an. „Mein Ex-Freud und ich – wir hatten auch unsere Differenzen. Es hat nicht geklappt.“ „Er war… Grafiker?“ „Ja, genau. In einem Architekturbüro in der Upper Eastside.“ „Bonders & Brothers?“ „Nein… Reclingtons…“ „Oh, da kannte ich mal jemanden. John MacMullen?“ „Äh, nein, Wilbur Snider…“ „Wilbur?“ „Er war auch nicht besonders glücklich damit. Aber was soll man machen.“ „Ja“, seufzte Brian mit traurigem Blick. „Aber es kann einen auch ganz schön sauer machen!“ „Was meinen Sie?“ „Ich meine – was habe ich bitteschön alles für ihn getan! Ihm sein Studium finanziert! Er wohnt in einem – in meinem! – Haus mit Garten und Pool…!“ „Ja – das kenne ich gut.“ Brian sprang auf und fuhr sich durch das Haar: „Und was das meinem Sohn antut!“ Lance stand ebenfalls auf und fasste ihn an den Schultern: „Wirklich Brian, ich verstehe Sie so gut!“ „Ja“, flüsterte Brian und senkte seine Augen in Lances, „Sie verstehen… nicht wahr?“ Sie verharrten, ohne den Blick zu lösen. Lance beugte sich langsam vor, Brians Wimpern senkten sich, bis sie von einem rüden Klingeln unterbrochen wurden. Brian löste sich ruckartig und griff nach seinem Handy. „Was zur Hölle willst Du denn jetzt schon wieder!“ raunzte er in den Hörer. Lance konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Brians starrte entnervt gegen die Wand: „Ich komme!“ Er wandte sich wieder Lance zu: „Es tut mir leid… Aber ich bin Ihnen aufrichtig dankbar!“ „Irgendetwas Schlimmes?“ „Wie man es nimmt… Ich bin es ja mittlerweile gewohnt. Justin hat Gus einfach bei meiner Mutter abgeladen, um auf die „Glitschig und Kitschig“-Party im Popperz zu verschwinden!“ „Oh Gott, Brian. Das sollten Sie sich nicht bieten lassen!“ Brian nickte ihn, seinen Mantel greifend, zustimmend an. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Die Corvette kam auf dem Eispanzer knirschend zum Stillstand. Es war halb zehn Uhr morgens. Der Kurier war vor einer knappen dreiviertel Stunde bei Kinnetic aufgetaucht. Als er den Umschlag mit dem Absender des verfickten Verdächtigungs-Amtes aufriss, war ihm beinahe das Herz stehen geblieben. Was ist, wenn nicht…? Was ist, wenn nicht…? Himmel, was…? Aber es war. Er hatte den ersten Preis in der Disziplin Ich-bin-kein-Sexualstraftäter-mit-Hang-zu-jungem-Gemüse gewonnen. Hoffentlich als Klassenbester. Er hämmerte seinen Schlüssel ins leicht vereiste Türschloss und trat ein. Er atmete tief durch. Dort hingen seine – absolut - nicht wintertauglichen Jacken in der Garderobe. Auf dem Treppenabsatz lag ein verloren gegangener grüner Legostein. Es roch… Er konnte es nicht beschreiben… richtig? Auf seinem Körper bildete sich eine Gänsehaut, von der er nicht wusste, woher. Es war Vormittag… Gus war wieder im Kindergarten… Seine Mutter…? Nein, das hätte er sofort bemerkt. Kein eisgrauer Mantel am Haken, keine eng geschnittenen Ballerinas im Schuhschrank… „Justin?“ rief er probehalber. Niemand antwortete. Aber entfernt hörte er Musik, irgendeine Form ziemlich martialischen Elektropops, der von ganz oben hinab wummerte. Er schmiss Schuhe und Mantel unachtsam von sich und lief die Treppe hinauf. Vom Ende des Flurs im Obergeschoss ging eine frisch sanierte Wendeltreppe weiter nach oben. Ein kleiner Flur, linkerhand ein weiteres Badezimmer, in dem sich Justins Pinsel und Farbpaletten türmten. Ein leichter Geruch nach Terpentin. Das Gewummere wurde lauter. Er schob die Tür auf. Justin stand in einer zerrissenen Jeans und einem völlig gekleckerten aussortiertem Oberhemd vor einer seiner Mammut-Leinwände und schlug mit kräftigen Bewegungen mit einem breiten Borstenpinsel auf sie ein, dass die Farbe nur so spritzte. „Ja!“ murmelte er mit versunkener Vehemenz. „Ja!“ Er bemerkte Brian nicht, war völlig in seine Arbeit versunken und sah aus, als sei er gerade dabei, einen Drachen zu töten. Auf leisen Sohlen trat Brian an ihn heran und schlang unvermutet von hinten seine Arme um die schlanken Hüften. Justin zuckte. „Ah… Oh Gott! Willst Du mich umbringen!“ entfuhr ihm, bevor es in ihm schaltete. „Brian!“ entfuhr ihm. „Brian!“ Und er wandte sich um. „Oh Gott!“ stieß er hervor. „Was denn nun?“ fragte Brian. „Attentäter oder Gott?“ Justin antwortete nicht, seine Mundwinkel sahen aus, als würden sie gewaltsam nach oben gerissen. „Brian!“ brachte er nur heraus. „Sei nicht so kitschig“, brachte Brian hervor, obwohl ihm dämmerte, dass er wahrscheinlich nicht weniger debil grinste als Justin. Justin schmiss seinen Pinsel wortwörtlich in die Ecke und sprang ihn an. Brian kam leicht ins Straucheln, als das volle Gewicht des anderen unvermutet an ihm hing. Er fasste unter Justins Hintern, um sie zu stabilisieren. Justin stieg ihm ins Gemüt, der Geruch, das Gefühl, die Wärme seines Körpers… Justin fing an zu lachen, konnte es einfach nicht halten, und er konnte auch nichts gegen diese plötzliche Woge irrationaler Heiterkeit aufbringen, die plötzlich in ihm aufstieg. Sie hingen aneinander und konnten sich kaum halten. Als sein Zwerchfell sich allmählich wieder beruhigte, drückte er seine Nase in Justins Haar und flüsterte: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Justin.“ Justin lachte immer noch über das ganze Gesicht. Er wusste, dass er sich keine Schleife umbinden musste. „Wo ist meine Mutter?“ murmelte Brian. „Bei sich daheim, nach dem Rechten sehen – Gottlob. Und Gus ist im Kindergarten. Musst Du nicht auch arbeiten?“ „Ja… Ich habe vor, Schwerstarbeit zu leisten…“ „Hier… ohne Ted…?“ „Der wäre bestimmt gern dabei…“, sagte Brian und zog sein Gesicht zurück, damit Justin ihn ansehen konnte. Justins blaue Augen vergruben sich in ihm. Brians Lachen war in ein sinnliches Lächeln geschmolzen, die grün-braunen Augen leuchteten. Justin musterte ihn atemlos, dann ließ er sich wieder gen Boden gleiten und hauchte in Brians Ohr: „Da bin ich mir sicher… Dreh dich um.“ Als Brian sich bäuchlings auf einem von Justins Tapeziertischen ausgebreitet wieder fand, die Zunge seines Angetrauten tief in sich vergraben, konnte er nicht anders, als selig aufzustöhnen in einer Mischung aus Zufriedenheit und tiefer Lust. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Papa?“ „Schau mal Gus, wer da ist!“ rief Justin strahlend, als Gus ihm an Joans Hand entgegen gelaufen kam, „Papa!“ schrie er auf. „Papa!“ Brian wurde beinahe über den Haufen gerannt, als der kleine Junge sich auf ihn stürzte. „Papa! Papa!“ schrie er nur und lachte und jubelte. Brian bekam ihn zu fassen und zog ihn an sich hoch. „Papa!“ rief Gus immer noch völlig außer sich. „Ja, Gus ja!“ konnte er nur nicht weniger außer Rand und Band zurück rufen, während der den wendigen Körper seines Sohnes an sich drückte, die Nase, die Stirn an ihn gepresst, dass ihr gleichfarbiges Haar sich mischte. „Ich hab’s dir doch versprochen, oder?“ „Ja!“ keuchte Gus. „Ja!“ Dann besann er sich: „Und was ist mit dem bösen Menschen?“ fragte er beunruhigt, die Finger an das Ohr seines Vaters geklammert. „Da kümmern wir uns darum, mein… Gus. Versprochen.“ Brian schleppte Gus ins Wohnzimmer, der nicht von ihm lassen wollte. Und Brian konnte dem auch nichts entgegen setzten. Justin und Joan folgten ihnen. Brian warf sich auf die Couch und behielt Gus in enger Umarmung. „Papa…“, murmelte der immer noch. Brian streichelte ihn und nahm die anderen kaum mehr war. „Gus…“, flüsterte er in das kleine Kinderohr. „Gus…“ Sie saßen lange dort, ohne viele Worte. Joan stand auf, um Mittagessen zu kochen. „Du gehst nicht mehr weg, Papa?“ fragte Gus, der sich einfach nicht lösen konnte. „Nein“, sagte Brian, „nein.“ Justin holte Kaffe und für Gus Kakao. Gus löste sich schließlich, als es zum Essen ging. Sie saßen stumm um die Töpfe. Joan füllte Kartoffeln und Rinderbraten mit einer irischen Spezialsoße auf, die bereits ihre Urgroßmutter beherrscht hatte. Gus wollte nicht von Brians Seite weichen, doch fand er sich einverstanden, in den Armen seines Vaters über Kopfhörer ein wenig Kinderfernsehen zu genießen. Die Erwachsenengespräche langweilten ihn sowieso. Hauptsache, er war bei Brian. „Das Gutachten hat dich entlastet?“ fragte Joan schließlich. „Ja“, nickte Brian. „Gut“, erwiderte Joan langsam. „Aber wird es sich wiederholen?“ „Man kann das leider nie wissen. Aber in diesem Falle… nein.“ „Du weißt, wer es war?“ „Der mich an den Pranger gestellt hat mit falschen Anschuldigungen? Außer dir? Ja, ich bin mir sicher.“ Joan verzog keine Miene. „Und was gedenkst Du zu tun?“ Brian schaute sie bewegungslos an. „Ich werde deine Hilfe brauchen“, sagte er langsam. …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Joan hatte sich mit ihren Siebensachen verabschiedet. Gus war in Brians Armen eingeschlummert, er hatte ihn ins Bett getragen. Ted und Emmet hatten leise gefiept und gegurrt, als sie ihnen Mohrrüben in den Stall gelegt hatten. Der Mond schien durch das Fenster, es war still. Draußen hatte es erneut zu schneien begonnen. Justin atmete tief und ruhig in seinen Armen, Brians Schwanz noch immer klebrig halb in sich eingeklemmt. Daran hatte sich nichts geändert. Der Geruch des Sexes lag schwer in der Luft. Brian lag wach, doch wagte sich nicht zu bewegen. Eigentlich war es nichts… das Licht, die vertraute Wärme, das Echo ihres Liebesspieles… das Bewusstsein, dass Gus zwei Türen weiter nicht von Alpträumen gequält wurde… aber es war gut… gut… ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Im Woody’s war alles beim Alten. Im Kneipenlicht wurde Bier getrunken, Billiard gespielt, abgecheckt und abgeschleppt. Michael wischte sich den Schaum von der Oberlippe und sah Brian an, der versunken an seinem Bier nippte. Typen musterten ihn, sandten Signale, Einladungen. Wenn Brian es bemerkte, so ignorierte er es. „Alles klar im Hause Novotny-Bruckner?“ fragte er schließlich mit einem gewissen uninteressierten Tonfall in der Stimme. „Ja“, versuchte es Michael, „ich glaube, Jenny fängt an zu sprechen. Immer, wenn sie mich sieht macht sie so ein Paaaa – Ich wette es dauert nicht mehr lange, bis sie „Papa“ sagen kann!“ „Mmm… aha… schön…“ „Du könntest dich ruhig ein wenig mehr dafür interessieren!“ „Jaaaa… Jenny fängt also an zu quasseln… Aber ich würde mir an deiner Stelle keine Hoffnungen machen, ihr erstes Wort wird garantiert „Zivilklage“ sein.“ „Mann, musst du immer stänkern?“ Brian nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bier. „Tut mir leid. Aber bei solchen Windelscheiß-Geschichten schaltet mein Hirn auf Selbstschutz.“ „Nur weil du Gus frei Haus geliefert bekommen hast!“ „Ja… Das war echt von Vorteil.“ „Wollt ihr nicht noch ein Kind?“ fragte Michael. Brian verschluckte sich. „Sehe ich etwa wie ne Lesbe in der Midlife-Crisis aus?“ „Nicht wirklich. Und schwanger siehst du auch nicht aus, obwohl ich sagen muss…“ „Halt bloß die Fresse!“ „Nur weil Du nicht mehr total wie an der Grenze zur Magersucht aussiehst?“ „Halt die Fresse, Mikey!“ „Das Eheleben bekommt dir wohl…“ „Ich habe über Weihnachten und mit der Beinverletzung drei Kilo zugenommen! Die sind weg wie nichts!“ „Wenn du das sagst… Also kein weiterer Familienzuwachs?“ „Nichts geplant. Ich habe meine Gene bereits – ausgesprochen erfolgreich – weiter gegeben. Und nach der Chemo sieht es eh nicht mehr gut aus. Und Justin hat bisher noch nicht die Mösenleckerin seiner Träume getroffen.“ „Ihr könntet doch auch adoptieren.“ „Warum – sollten – wir? Falls es dir entgangen sein sollte: Ich breche nicht bei der Betrachtung sprechunfähiger Hosenscheißer in entzücktes Kreischen aus und habe auch keinen Kalender mit niedlichen Babyfotos in meinem Büro hängen!“ „Ich sag ja nur… Kinder sind doch etwas Tolles – und Du hast doch jetzt Familie.“ „Kein Grund einen auf Angelina Jolie zu machen.“ „Jaja, schon gut… Sieht Justin das auch so?“ „Bisher hat er in meiner Gegenwart noch keine Strampelanzüge gestrickt.“ „Ihr müsst es wissen…“ „Ja. Allerdings.“ „Und sonst so?“ „Was?“ „Du bist ja wieder zu… Hause, Gott sei Dank. Habt ihr raus bekommen, wer’s war?“ Brian orderte mit betont gelangweilter Miene ein weiteres Bier: „Nö. Keine Ahnung.“ Michael musterte ihn scharf. Brian log. So gut kannte er ihn. Aber warum? …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Justin stieg aus dem Überlandbus. Wie nach jeder dieser Fahrten fühlte er sich, wie mit Kaugummi glasiert. Von zu Hause aus hatte er ein Zimmer in einem mittelständigen Hotel gebucht, die Wohnung hatte er aufgelöst. Morgen würde bei Katlin‘s reinschnuppern und die Hängung seiner aktuellen Gemälde überprüfen. Und er hatte ein Ziel. Wilbur. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Kinney.“ „Taylor-Kinney, wenn ich bitten darf.“ „Hey. Ich arbeite… Mr. Taylor. Du anscheinend nicht, sonst hättest Du nicht schon um halb sechs mehr als einen Drink intus.“ „Ich zitiere dich: Nuuur für die Familie, gezeichnet, dein Hoppelhase.“ „Oh weh.“ „Willst du gar nicht wissen was ich rausbekommen habe?“ „Raus damit – ohne dämliche Kosenamen, bitte.“ „Okay, okay. Der gute Wilbur war gar nicht so schwer ausfindig zu machen. Er arbeitet halbtags und genehmigt sich offensichtlich danach auch mal einen.“ „Nicht zu überhören.“ „Und ich armes Provinzei bin da rein zufällig in ihn rein gestolpert… Ich habe ihm so richtig von meinem Frust erzählt. Dass mein Mann mit sonem doofen Betten-Heini rummacht, hinter meinem Rücken… Und, das war echt der Knaller, Wilbur kennt den!“ „Ach was.“ „Ja… Der muss irre besitzergreifend sein… der arme Wilbur hat’s echt nicht ausgehalten. Immer nur haben… haben… haben… Aber außer Kröten nichts zurück geben wollen… Und null Verständnis für die Befindlichkeiten anderer, der arme Wilbur… Liegt wahrscheinlich daran, dass sein Ex das totale Familien-Trauma hat… Kommt da echt nicht mit klar… Son Nähe-Problem…“ „Mir blutet das Herz“, sagte Brian. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Daphne torkelte in ihr Zimmer im Studentenwohnheim. Das konnte doch echt nicht wahr schein. Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Nicht jetzt… nicht jetzt… Vielleicht hatte Justin Recht gehabt. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Brian überprüfte die Unterlagen. Diese Büroräume sahen… geeignet aus. Auf nach Toronto. „Ted?“ rief er durch die Sprechanlage. „Brian?“ kam es gedämpft zurück. „Komm an gewetzt. Wir müssen reden.“ Brian konnte Teds Aufseufzen förmlich hören, auch wenn die Verbindung gekappt worden war. Brav kam der Ältere zwei Minuten später angetrabt. „Setz dich“, sagte Brian und wies auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. „Okay… Ist was mit den Whinefourt-Verträgen?“ „Wir expandieren.“ „Ich weiß… Aber ob das zum gegebenen Zeitpunkt so eine gute Idee ist?“ „Ist es nicht. Aber was meinst du?“ „Ich weiß nicht… Der Markt wächst zu schnell… Spekulationsblasen entstehen… könnten platzen… Aber was meinst du? Du weißt das?“ „Ich habe nicht vor zu expandieren.“ „Was?! Die Verträge sind doch unterzeichnet! Wir müssen…“ „Und da kommst du ins Spiel, heiß verehrter Trauzeuge.“ Ted starrte Brian verständnislos an und zupfte sich am Schlips. „Könntest du mir freundlicherweise mitteilen, was du hier gerade andeuten willst?“ „Wir expandieren nicht. Wir tun nur so. Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung zu meinem stellvertretenden Geschäftsführer in der Kinnetic-Zweigstelle Toronto.“ „Versteh mich nicht falsch. Aber – bist du übergeschnappt?“ „Zuweilen kurz davor. Ich will, dass du alles tust, den Aufbau einer Zweigfiliale Kinnetics in Toronto glaubhaft zu organisieren, ohne dass wir zu tief drin hängen.“ „Okay. Tut mir leid, Brian. Aber das ergibt nun wirklich keinen Sinn.“ „Glaub mir…“, Brian zögerte. Aber Ted war vertrauenswürdig, obwohl er nicht gerade gern darüber sprach. „Whinefourt hat versucht mich zu linken. Nicht geschäftlich – aber persönlich. Und deswegen werden wir jetzt an seinen Nippeln melken, bis was raus kommt.“ „Was… was hat er getan?“ fragte Ted. „Ach… Er hat mich super gern. So super gern, dass er mich beinahe das Sorgerecht für Gus gekostet hat.“ „Oh Mann, Brian.“ „Ja. Oh Mann.“ „Und jetzt?“ „Expandieren wir… vorerst.“ ………………………………………………………………………………………………………………………………………………………….. „Geht es Brian und Gus gut?“ „Mmm, ja. Danke der Nachfrage.“ „Und dir?“ „Ganz okay. Bin gespannt auf die neuen Kritiken.“ „Ich kenne deine Bilder gar nicht.“ „Kannst dir ja mal was anschauen.“ „Das wäre… gut.“ „Und bei dir und… Mama?“ „Alles… okay. Warum fragst du?“ „Bin nur neugierig.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)