Situationen von Phase (FF-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 22: 19.Dezember ----------------------- 19.Dezember Erschöpft lag Ian im Schnee. Ihm war kalt und er konnte sich kaum bewegen, viel zu kraftlos war er. Hätte ihm am Morgen irgendjemand gesagt, dass es ihm am Abend so schlecht gehen würde, hätte er ihn wohl ausgelacht und für verrückt gehalten; aber nun, da er hier bewegungsunfähig und überanstrengt lag, hätte er sich gewünscht, dass ihn irgendjemand gewarnt hätte. Nun, das alles hatte er sich wohl selbst eingebrockt: Durch seine kalte und rücksichtslose Art hatte er alle seine Freunde vergrault und sich jede Menge Feinde gemacht. Bisher war er immer der Ansicht gewesen, dass Freunde etwas nutzloses und unbrauchbares waren. Sie hingen ständig an einem dran und man musste Rücksicht auf sie nehmen. Jetzt, da er hier frierend lag, wünschte er sich einen Menschen, der sich um ihn Sorgen machte und ihn fand. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es so jemanden gab, war sehr gering. Als er heute Mittag, trotz des recht starken Schneefalls, aus dem Haus gegangen war, hatte er nicht damit gerechnet, dass er in einer der vielen Nebenstraßen ausgerechnet Crusher mit seiner Gang treffen würde. Crusher war ein neunzehn Jahre alter Junge, der die Schule frühzeitig abgebrochen hatte, da er sich um seine kleine Schwester Monica hatte kümmern müssen. Seitdem hasste er alle Leute, die die Chance hatten, weiterhin auf die Schule zu gehen. Unter anderem eben Ian, mit dem er drei Jahre lang in einer Klasse gewesen war und der auch sonst schulisch immer bessere Noten gehabt hatte. Die ‚rechte Hand’ Crushers war Miguel. Der Kerl war mit allen Wassern gewaschen und schaffte es Leute hereinzulegen, ohne dass die auch nur daran dachten, dass sie über’s Ohr gehauen wurden und da er es so geschickt anstellte, hatte ihm bisher auch keiner etwas nachweisen können. Ansonsten gab es da noch drei seltsame Jungs, deren Namen er noch nie gehört hatte. Wahrscheinlich hatten sie gar keine. Sie waren alle drei muskulös und recht groß, wirkten aber auf der anderen Seite her auch ziemlich dumm. Warum sie ihn letzten Endes fast zu Tode geprügelt hatten, wusste er nicht. Allem Anschein nach war ihnen langweilig gewesen und sie hatten nichts besseres zu tun gehabt oder sie waren wütend auf ihn, weil sie in der Zeitung gelesen hatte, dass er ein Stipendium für eine der besten Universitäten erhalten hatte. Nun ja, ob sie wirklich lesen konnten wusste er nicht, daher ging er von Ersterem aus. „Hey, du.“ Er versuchte mühsam seinen Blick etwas zu heben und erkannte etwas verschwommen die Umrisse zweier Personen. Ob er sie kannte oder nicht konnte er nicht erkennen. „Der schaut ziemlich tot aus“, hörte er eine Stimme murmeln, „Am besten wir nehmen ihn mit.“ Kurzes Schweigen folgte. „Ich kenne dich jetzt schon etliche Jahre und ich hätte trotzdem nicht von dir gedacht, dass du wildfremde Leute mit zu dir nach Hause nimmst. Wäre es nicht besser die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen?“ Kräftige Hände packten ihn an den Schultern und zogen ihn in die Höhe. „Nein, ist schon in Ordnung. Ich wohne gleich um die Ecke...“ Als Ian langsam wieder zu sich kam, spürte er eine angenehme Wärme, die ihn umgab und auch sonst fühlte er sich nicht mehr ganz so ausgelaugt. Äußerst vorsichtig schlug er seine Augen auf und blickte sich etwas um. Er lag in zwei Decken gewickelt auf einem Sofa in einem erhellten Raum. Neben der Couch stand ein Tisch, auf dem drei Tassen und eine Kanne, in der irgendeine roten Flüssigkeit war, standen. „Na, aufgewacht?“, vernahm er plötzlich eine Stimme und er zuckte leicht zusammen. Er setzte sich etwas auf und drehte sich zur Quelle der Stimme um. Im Türrahmen stand ein braunhaariger Junge, der vielleicht etwas jünger als er war und zudem eine, seiner Meinung nach, etwas zu große Brille trug, und ihn etwas skeptisch musterte. „Wo bin ich hier?“, murmelte Ian und versuchte die peinliche Röte in seinem Gesicht zu verstecken. Erst jetzt stellte er fest, dass er nicht mehr seine Kleidung, sondern stattdessen einen ihm völlig unbekannten Pyjama trug. Der Junge schnaubte leise. „Das hier ist Spencers Haus. Er und ich haben dich auf der Straße gefunden und...“ „Ja, ich weiß“, unterbrach Ian ihn. „Ich erinnere mich daran.“ Ein genervter Blick folgte. „Spencer ist kurz rausgegangen, wollte noch was besorgen. Hast du Durst? Willst du etwas trinken? Spencer hat Tee gemacht.“ Ein kurzes verlegenes Nicken folgte. „Na, so schüchtern kenne ich dich ja gar nicht.“ Erschrocken drehte sich Ian um und riss überrascht die Augen auf: „Spencer!“ „Du schaust ja aus, als hättest du einen Geist gesehen. Hat Kenny nicht erzählt, dass ich hier wohne?“ „Doch, habe ich“, murrte Kenny gereizt und schüttete ein bisschen Tee in Ians Tasse, „Nur ist er ein genauso guter Zuhörer wie du es bist.“ „Ich dachte... ich dachte du bist in Russland!“, fiel Ian Kenny ins Wort. „War ich auch“, erklärte Spencer und lächelte, während er zwei Einkaufstüten auf einen Stuhl in der Nähe der Tür stellte. „Und wie ich sehe hast du dich seither hier sehr gut... äh... eingelebt?“ Ian lief rot an. „Das war... das hatte einen anderen Grund.“ Spencer wank ab. „Schon okay, ich weiß schon, dass du nichts dafür konntest. Zumindest denke ich das...“ „Seit wann bist du hier?“, fragte Ian, um vom Thema abzulenken und Spencer runzelte nachdenklich die Stirn. „Seit ein paar Tagen.“ „Hättest ruhig anrufen können...“ Ein Schulterzucken folgte: „Wäre langweilig gewesen.“ Er trat ein paar Schritte auf das Sofa zu, beugte sich herab und gab Ian einen Kuss auf den Mund. „Die Hauptsache ist doch, dass ich jetzt wieder da bin... nicht wahr?“ Verstört beobachtete Kenny die Szene. „Moment mal. Ihr kennt euch.... und ihr seid schwul?“ Spencer blickte ihn kurz etwas schuldbewusst an. „Was ist daran so schlimm?“ „Ich... Ich bin nur etwas überrascht...“, murmelte Kenny. „Also, woher kennt ihr beiden euch? Ich dachte Spencer sei zum ersten Mal hier in Japan...?“ „Bin ich auch“, verteidigte sich Spencer. „Ian hat früher in Russland gelebt, ehe seine Eltern weggezogen sin. Wir waren damals seit zwei Monaten zusammen und es war ein ziemlich schwerer Abschied.“ „Und wann war das?“ „Vor drei Jahren.“ Kenny warf ihnen einen anerkennenden Blick zu. „Und da seid ihr die ganze Zeit über auch weiterhin zusammengeblieben?“ „Wir lieben uns“, murrte Ian, als ob es die natürlichste und logischste Antwort der Welt sei. „Es ist ja nicht so, dass wir keinen Kontakt gehabt hätten...“, antwortete Spencer und überging Ians Bemerkung. „Wir haben uns ja regelmäßig Briefe geschrieben.“ „Ah! Und das Geschenk, dass du vorgestern für deinen ‚Bekannten’ gekauft hast, dass ist für ihn?“ Ian warf Spencer einen neugierigen Blick zu, dieser hatte eine ungewöhnlich rotgefärbte Nasenspitze, so wie er sie immer hatte, wenn ihm etwas peinlich war. „Was für ein Geschenk?“ „Das wirst du schon noch sehen...“ „Und wann?“ „Weihnachten natürlich.“ ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)