Sei ein Mann! von Sommerkind ================================================================================ Kapitel 3: Samstag, 1. Teil --------------------------- Samstag, 28.5. 16:44 Uhr Wieder im Haus der Familie Wheeler “Hallo?“ „Äh, ja... Mai? Ich bin’s Joey.“ „Dann hast du also meinen Zettel gefunden, das ist gut. Gestern Mittag hab ich dich leider ganz knapp verpasst, da saßt du im Auto.“ „Oh, da war ich auf dem Weg zur Arbeit.“ „Achso.“ „Ja. Wie hast du mich eigentlich gefunden?“ “Ihr steht im Telefonbuch. Aber da ging keiner ran.“ „Achso. Klar. Mein Vater arbeitet wieder.“ „Gut für ihn!“ „Ja.“ „Hör mal Joey, ich würde mich gerne mit dir treffen. Ich möchte dir ein Angebot machen, das für dich sicher interessant sein könnte. Hast du in den nächsten Tagen mal Zeit?“ „Äh, schon. Um was geht es denn?“ „Das sollten wir lieber persönlich besprechen.“ „Na gut. Wie wär’s mit heute Abend? Ach nein, da bin ich schon verabredet... morgen abend? Ja oder jetzt sofort, wie du willst.“ „Ich hole dich in einer Stunde ab.“ „Okay. Na dann. Also bis gleich.“ „Bis gleich“. Joey hörte ein Klicken am anderen Ende der Leitung. Seltsames Gespräch. Ein Angebot also. Joey dachte an seine letzte Begegnung mit Mai, das Duell der Schatten. Und als alles vorbei gewesen war, tja, da war sie verschwunden und sie alle hatten nie wieder etwas von ihr gehört – bis heute. Eine Stunde später hatte Joey geduscht, sich drei Mal umgezogen, etwas gegessen, Zähne geputzt und sich schließlich vor dem Spiegel im Flur eingefunden, vor dem er jedem, der sich in Sichtweite des Spiegels befunden hätte, einen hocherotischen Anblick geboten hätte. Davon war er zumindest überzeugt. Auch wenn sich über den Anziehungsfaktor spastischer Gesichtszuckungen (vermutlich sollte es „Mimik“ sein) und überdurchschnittlichen Einsetzens der Zunge im Lippenbereich gewiss streiten lässt. Die neueste Aktivität in Joeys Hirn zwang ihn nun allerdings zu folgender Überlegung: Schonmal nach draußen Gehen oder Warten bis sie klingelt? Er entschied sich für Letzteres. Kam eindeutig lässiger. Als ebenerwähntes Klingeln tatsächlich ertönte, ließ es Joey sämtliche Lässigkeit fahren, um einen erschrockenen Satz in die Luft machen. Soviel zur Coolness. Aber hatte ja keiner gesehen! Nervös (und das hatte natürlich rein gar nicht mit der bevorstehenden Begegnung mit Mai als Person zu tun, nein, er hätte selbstverständlich einer jeden/einem jeden Bekannten, die/den er länger nicht gesehen hatte, souverän entgegentreten wollen) öffnete er die Tür und trat nach draußen. Es erwartete ihn... niemand. Ein Hupen ertönte und er drehte den Kopf. Da saß Mai in ihrem Cabrio, mit Sonnenbrille und in ihrem üblichen Outfit. Die langen blonden Haare wallten um ihre Schulter ganz genau wie Joey es in Erinnerung hatte. Sie hatte sich kein bisschen verändert. “Hey Mai, lange nicht gesehen.“ „Was stehst du da rum? Los steig ein oder willst du, dass mein Motor die ganze Staße verpestet!?“ Auch sonst noch ganz die Alte, dachte Joey schmunzelnd und schwang sich auf ihren Beifahrersitz. „Sag mal, wohin soll’s denn überhaupt gehen?“, fragte Joey im Anfahren. Er hatte sich bequem ausgestreckt und den Arm auf der Autotür geparkt. „Nicht weit.“, war die knappe Antwort. „Was machst du eigentlich hier?“ – „Ich war in der Gegend.“ Sehr aufschlussreich. Nach ein paar Minuten brachte Mai den Wagen in einer Parklücke zum Stehen. „Da drüben ist das Café Andromeda, ich habe es mir empfehlen lassen.“ Sie ging ihm voraus auf das Lokal zu und Joey blieb nichts anderes übrig als ihr hineinzufolgen, wo sie ihn bis in eine der hinteren Ecken führte, wo die Tische etwas mehr Privatsphäre boten. „Was hast du denn vor?“, fragte Joey versucht witzig und grinste. „Joey, ich möchte dir etwas erzählen.“ – „Uiui, was kommt jetzt?“ – „Ich meine es ernst.“ Zum ersten Mal sah sie Joey direkt in die Augen und diesmal erkannte er darin hinter der taphen Fassade die andere Seite von Mai, die zwar nicht oft zum Vorschein kam, die er aber dennoch sehr gut kannte. „Ich will gar nicht lange drumrumreden.“, fuhr sie fort. „Ich habe in der Vergangenheit viele Dinge getan, die ich im Nachhinein bereue.“ Die Anspielung reichte aus. Auch ohne, dass Mai genauer wurde, kamen all die Erinnerungen in Joey wieder hoch. Alte Gefühle, die er lange Zeit nicht mehr gefühlt hatte. „Und dir gegenüber fühle ich mich am meisten in der Schuld.“ – „Ähm, also Mai, du weißt, das musst du nicht, wir sind doch Freunde...“, murmelte Joey verlegen. „Du musst es nicht schönreden, ich bin ein großes Mädchen. Ich weiß, dass ich nicht gerade die liebenswerteste Person war. Und das gerade dir gegenüber, obwohl du immer zu mir gehalten und mich beschützt hast...“ War es bisher ziemlich flüssig und bestimmt gekommen, bemerkte man nun doch eine Veränderung in Mais Stimme. Man könnte sie kühn als unsicher, ja geradezu betreten bezeichnen. Doch die sich anbahnende peinliche Stille wurde im Keim erstickt, als Mai ihren gewohnten Ton wiederfand: „Und deshalb möchte ich dir jetzt ein Angebot machen, um mein Verhalten wiedergutzumachen.“ Joey sagte nichts, er war gerade ein wenig überfordert und ziemlich gespannt, was nun kam. „Du hast mir mal erzählt, dass du dich für ein technisches Studium interessieren würdest, in Richtung Maschinenbau, oder? Das ist ja nun ein paar Jahre her und ich wollte dich fragen, ob dem immernoch so ist, oder wie deine Zukunftspläne aussehen.“ Joey war baff. Damit hätte er nun nicht gerechnet. Obwohl, gefühlsduseliger Seelenschmerz-Kram wäre von einer Frau wie Mai noch unwahrscheinlicher gewesen. „Also... ja, schon, dafür interessiere ich mich immernoch. Genaugenommen habe ich mich schon an ein paar Unis im Fach Maschinenbau beworben. Allerdings bin ich mir noch nicht so ganz sicher, ob ich sofort anfangen will, oder vorher ein Jahr Auszeit nehme, um ins Ausland zu gehen oder so.“ „Aha. Dann könnte dich das hier tatsächlich interessieren. Falls du dich gefragt hast, wo ich die ganzen Jahre gesteckt habe, ich war in Amerika auf den Spuren meiner Familie und habe eine Entdeckung gemacht, die mein ganzes Leben veränderte. Ich habe meinen Halbbruder gefunden, von dem ich nichts wusste, Pierre. Wir hatten eine Menge aufzuholen, also bin ich eine ganze Weile bei ihm geblieben und er hat mir angeboten, mich in seiner Firma unterzubringen. Er war damals noch Leiter einer Projektgruppe eines Energiekonzerns, der in Amerika ein ziemlich dicker Fisch ist und hat mich ins Programm zur Nachwuchsförderung für die Rechtsabteilung gebracht. Heißt, sie finanzieren mein Jurastudium, stellen mir eine Wohnung und am Ende der Ausbildung habe ich einen sicheren Job. Vor ein paar Wochen bekam mein Bruder dann das Angebot, eine neue Zweigstelle in Japan aufbauen. Er hat sofort zugeschlagen, schließlich war das eine einmalige Chance für ihn und ich beschloss, mit ihm mitzukommen und meinem alten Leben wieder entgegenzutreten. Und außerdem...“ Sie sah ihn wieder direkt an. „Bietet sich mir durch die Beziehungen meines Bruders die Möglichkeit, dir folgendes anzubieten: Ich kann dich ebenfalls ins Programm zur Nachwuchsförderung bringen. Als Maschinenbauer bist du genau der richtige für die neue Zweigstelle, also dürfte der Konzern ein Interesse an dir haben. Die gleichen Konditionen wie bei mir, dein Studium wird finanziert und du bekommst eine Wohnung gestellt und am Ende einem sicheren Job. Was denkst du, kommt das für dich in Frage?“ Joey hatte die ganze Zeit an ihren Lippen gehangen und seine Augen waren immer größer geworden. Oh... sprechen war nun verlangt. Ein dicker Kloß bahnte sich zunächst den Weg seine Kehle hinunter bevor er heiser krächzen konnte. „Wow, das ist ein... unglaubliches Angebot.“ Mehr brachte er ersteinmal nicht zustande, doch Mai redete sowieso lieber selber, als dass sie zuhörte (Keine Kritik, eine Feststellung). „Hör zu, Joey, ich weiß, das ist eigentlich was ganz anderes und was ich dir schulde, wäre vielleicht eher eine saftige Entschuldigung, aber du weißt ja, dass sowas nicht so mein Ding ist... also hab ich erstmal nicht gesagt, wieso genau ich dich treffen wollte. Entschuldige, wenn ich dich gerade etwas damit überfahren habe, natürlich hast du genug Zeit, es dir gründlich zu überlegen.“ – „Gut“, meinte Joey gedehnt. „Sekunde, was sollte ich denn denken, warum du mich treffen wolltest?“, fügte er argwöhnisch hinzu. Mai zog eine Augenbraue hoch und ihr einer Mundwinkel zuckte verdächtig in Richtung Grinsen. „Ich bin nicht so gut darin, über Gefühle zu sprechen, aber du und Yugi und die anderen seid da ja eher Fans von, nicht wahr?“, brachte sie bemüht sachlich hervor (sehr bemüht sachlich). „Und du und ich... also mir ist ja nicht entgangen... dass da gewisse... Bemühungen deinerseits in der Vergangenheit...“ Joey lief feuerrot an und verfiel in sein peinlich berürtes künstliches Lachen. „Was redest du denn da? Haha, dir ist doch klar, dass ich alles, was ich für dich getan habe, auch jeder Zeit für Yugi getan hätte oder Tea, Serenity oder Tristan.“ Doch Mai blieb unerbittlich. „Ich dachte wir könnten da jetzt mal offen darüber reden, du bist ja nun auch keine sechzehn mehr wie damals. Ich bestreite nicht, dass zwischen uns immer eine gewisse Spannung war und ich hoffe du weißt, dass du mir immer sehr wichtig warst.“ Joey wollte am liebsten aus dem Café rausrennen. Mai hatte gerade eben zugegeben, dass es eine „Spannung“ zwischen ihnen gab und trotzdem hatte er das todsichere Gefühl in den nächsten Minuten völlig blamiert zu werden. „Aber wie gesagt, du warst damals sechzehn und ich vierundzwanzig. Das hätte nie ernsthaft funktioniert. Ich weiß nicht, ob es so ist, aber ich hatte oft das Gefühl, dass du dir mehr von mir erhoffst als angemessen.“ Langsam wurde es Joey zu bunt. „Spinnst du?“, er war aufgesprungen. „Angemessen!? Also wenn du wirklich offen darüber reden willst: du hast nicht gerade dazu beigetragen, dass ich mich wie dein Freund fühle.“ Langsam redete er sich in Rage und wurde lauter. „Und trotzdem schienst du meistens ziemlich froh zu sein, wenn ich dir mal wieder irgendwo beigestanden habe. Und bei unserem Duell. Du kannst jetzt sagen, was du willst, aber da war etwas zwischen uns und das kannst du mir nicht mit gewisse Spannung abtun. Ich bin kein Idiot. Ich habe da nichts reininterpretiert, was du nicht auch gespürt hast!“ Jetzt stand Mai ebenfalls auf. „Sei ruhig, du verdammter Hitzkopf! Was ist denn nur wieder los mit dir!? Das ist genau der Grund, warum es nicht geklappt hätte. Du bist halt doch noch ein Kind!“, zischte sie ihn an. „Ein Kind, ja?“ Wütend funkelte er sie an. Jetzt war ihm alles egal, er setze alles auf eine Karte. „Machen Kinder auch sowas?“ Entschlossen griff er sie mit einer Hand an der Hüfte und zog sie zu sich ran. Mai schien überrascht, aber sie wehrte sich nicht. Also nahm er mit der anderen Hand ihr Gesicht und küsste sie. Sie stieg darauf ein. Joeys Eingeweide fuhren Achterbahn. Romantisch konnte man den Kuss nun wirklich nicht nennen, eher wütend und zwar von beiden Seiten und das verlieh dem Ganzen eine gute Würze. Als sie sich schweratmend voneinander lösten, starrten sie einander immernoch wütend an, doch das hielt nicht lange, denn plötzlich mussten sie beide lachen. Und das tat gut. Sie mussten so lachen, dass sie sich setzen mussten und der Kellner vorbeikam, um sie ziemlich verstimmt rauszuwerfen, denn nach dem lauten Streit setzte das dem ganzen die Krone auf. Draußen lachten sie immernoch, suchten und fanden eine Parkbank und hielten sich dort die schmerzenden Bäuche. „Weißt du, dass ich darauf seit fast vier Jahren warte?“, gluckste Joey, nachdem er sich halbwegs beruhigt hatte. „Erzähl mir nicht, ich erhoffe mir zu viel, du hast dich ja nicht mal gewehrt.“ – „Ich geb’s ja zu“, grinste Mai. „Es ist schon möglich, dass es die ein oder andere Situation gegeben hat, wo ich das gerne gemacht hätte und du bist nicht der schechteste Küsser.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Oh danke sehr“, sagte Joey so charmant er konnte. „Aber ein Kuss macht noch keine Beziehung, Joey. Das ist etwas völlig anderes.“ – „Das ist mir klar.“ Es wurde wieder stiller um sie. Das Lachen war vergangen. „Joey?“ – „Ja?“ – „Du solltest wirklich über mein Angebot nachdenken.“ – „Das mache ich. Es ist eine wirklich unglaubliche Chance.“ – „Nachdem ich einen Studienplatz an der Uni Tokio sicher hatte und wechseln konnte, hat die Firma mir innerhalb kürzester Zeit eine neue Wohnung klargemacht. Die ist echt schön und top gelegen. Wenn du willst kann ich sie dir zeigen, vielleicht hilft dir das bei deiner Entscheidung... hast du noch ein bisschen Zeit?“ – „Nein leider nicht, bin noch mit den anderen zum Kino verabredet. Aber ich kann’s mir schon vorstellen, so 'ne Wohnung...“ – „Achso.“ Jetzt war sie doch da. Die peinliche Stille. Umständlich sah Joey auf die Uhr. Wow, schon nach halb acht, er musste los! „Du Mai, ich muss jetzt weg. Ich hab ja jetzt deine Nummer. Können wir uns morgen sehen?“ Sie zuckte mit den Achseln. „Vielleicht.“ Hmm, dies Stimmung war irgendwie umgeschlagen. Durcheinander floh Joey geradezu in Richtung Innenstadt und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Kino. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)