Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 41: Lösung ------------------ „Ich … habe Kisara.“ Wie angewurzelt stand Seto da. Seine Finger, die den kleinen Fetzen Papyrus hielten, zitterten. Die Angst kroch langsam durch seine Glieder, fraß sich auch in jede Faser seines Körpers, während sie einen winzigen, doch hellen Funken Hoffnung und Freude unter sich begrub. Kisara war zurück, genauso wie Atemu. Im Tausch für das Leben eines Gottes. In Caesians Gewalt. Seto wurde schwindelig. Wie um alles in der Welt konnte das Schicksal nur so grausam sein? Waren die Götter tatsächlich schon so schwach, dass sie etwas so furchtbares zulassen mussten? Oder war das nicht der Grund? Hatten sie es einfach so geschehen lassen? Wenn ja, was steckte dahinter? Eine Prüfung? Hatten sie alle denn nicht schon genug gelitten? Warum? Er zerknüllte das Schriftstück in der Faust. „Denk‘ nicht mal dran.“ Bakuras Stimme riss ihn aus den Gedanken. Langsam richtete er seinen Blick auf den Grabräuber, kalt und hart, dennoch so unruhig, wie man Seto seit Beginn dieses Krieges noch nicht gesehen hatte. „Woran?“ Seine Stimme war kaum mehr, als ein Zischen. „Nach Men-nefer zu gehen. Um uns zu verraten oder deinen priesterlichen Hintern sinnlos in Gefahr zu bringen.“ Seto trat langsam näher an ihn heran. „Ich werde mir von einer diebischen kleinen Made nicht sagen lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Sein Gegenüber zuckte nur die Schultern. „Solltest du aber. Ich denke nämlich rational. Du nicht.“ „In jedem Fall sollten wir keine voreiligen Entscheidungen …“ Riell kam nicht dazu, seine Worte zu Ende zu bringen, denn Seto explodierte förmlich. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, hm? Hier herumsitzen und Däumchen drehen, während er sie vielleicht foltert? Sich an ihr vergeht? Sie in einem dreckigen, stinkenden Loch verrotten lässt? Er hat oft genug bewiesen, wozu er fähig ist. Gerade eben wieder – indem er Reshams Leiche zerfleddert und Kisara im Tausch für das Leben eines Gottes aus dem Jenseits gerissen hat! Und ich soll einfach so tun, als sei nichts gewesen?“ „Jep.“ Eisiges Schweigen folgte. Doch Bakura ließ es sich nicht nehmen, sich zu erklären. „Ich weiß, dieser Blickwinkel bleibt dir in deinem momentanen Zustand verborgen. Aber es ist so. Machen wir doch mal ein kleines Gedankenexperiment. Risha spielt dabei Kisara und Riell nimmt deinen Platz ein. Was würdest du ihnen raten, hm?“ Er ließ die Worte einen Moment wirken. „Richtig, du würdest Riell erklären, dass er die räudige Aussätzige doch zu Seth jagen soll. Genau das solltest du ebenfalls tun. Denn es gibt keinen Weg, die Kleine da rauszuholen, ohne Verluste zu machen. Caesian wird sie nicht aus tiefster Herzensgüte heraus hergeben, wenn du lieb fragst. Er wird eine Gegenleistung wollen. Und die Optionen, was das sein könnte, sind vielfältig. Entweder, er fordert dich auf, uns zu verraten. Oder er verlangt ein Relikt im Austausch für das Weib. Vielleicht will er gar alle haben, dafür, dass er sie am Leben lässt. Und am Ende wirst du sie trotzdem nicht wieder kriegen, weil er sie dennoch abmurksen wird, es ist lediglich eine Frage der Zeit. Ich würde dir ja zustimmen, wenn die Kleine noch irgendwelchen Wert hätte, aber seit sie dir ihre Ka-Bestie vermacht hat, ist sie vollkommen nutzlos. Mir ist klar, dass du das nicht so siehst. Bevor du mir eine reinhaust, denk aber mal kurz darüber nach, ob ich nicht Recht habe, wenn man diese Aussage alleine auf unsere Sache hier bezieht. Dann wirst du nämlich erkennen, dass stimmt, was ich sage.“ Seto bebte am ganzen Körper. Unbändige Wut und abgrundtiefe Verzweiflung verschmolzen in seinem Inneren zu einer Woge, die ihn zu ersticken drohte. Verbissen versuchte er das Offensichtliche zu leugnen, bis er es nicht mehr leugnen konnte. Bakura hatte Recht. „Ich soll … also einfach nichts tun?“, presste der Hohepriester zwischen den Zähnen hervor. „Exakt. Alles andere wäre dumm. Und komm nicht mal auf die Idee, alleine loszuziehen. Selbst, wenn man dir zutrauen würde, dass du die Klappe hältst, gleich was Caesian dir oder ihr antut – ich würde dir eher den Hals umdrehen, als dich gehen zu lassen.“ Seto hob den Blick und sah ihn an. Der Grabräuber verdrehte nur die Augen. „Oh weh … denk jetzt bloß nicht, mir würde etwas an dir liegen. Ich würde ein Fass Bier köpfen, wenn du drauf gehst. Aber die Konsequenzen wären unschön. Atemu kann ich noch genug Hirn beimessen, damit er nicht gleich gen Men-nefer reiten wird, wenn er von der Gefangenschaft deiner Holden erfährt. Aber wenn Caesian seinen Vetter umgebracht oder gefangen genommen hätte, wäre ich mir da schon nicht mehr so sicher. Dann ist es am Ende er, der uns alle ins Verderben stürzt – wegen nichts und wieder nichts.“ Ein Klatschen riss beide aus den Gedanken. Es kam von Marlic. „Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich stimme Bakura zu.“ Dann schepperte es plötzlich. Joey hatte seinen Becher zu Boden geworfen und war aufgesprungen. Seine Schultern bebten, während seine Augen abwechselnd zwischen Mariks dunkler Seite und dem Grabräuber hin und her wanderten. „Wie feige seid ihr eigentlich?“, zischte er schließlich. „Es geht um ein unschuldiges Mädchen, das mit all dem absolut nichts zu tun hat. Und ihr wollt sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Wie wär’s, wenn ihr mal all eure vorgeschobene Logik beiseitelasst – oh nein, streicht das, sie ist ja gar nicht vorgeschoben, denn zu so etwas wie Mitgefühl seid ihr nicht fähig! Gerade hatte ich noch überlegt, euch vorzuschlagen, dass ihr euch mal in seine Lage reinversetzen sollt, aber oh, das würde nicht funktionieren! Denn es gibt ja niemanden, der sich einen Dreck um euch scheren würde, weil ihr gefühlskalte Arschlöcher seid!“ Bakura zog eine Augenbraue nach oben. „Wow. Das trifft mich jetzt hart.“ „Ja“, stimmte Marlic zu. „Ganz tief in meinem verkommenen, schwarzen Herzen. Dann sag du uns doch, was wir stattdessen tun sollten, Blondie.“ „Das, was jeder anständige Mensch tun würde! Nach Men-nefer reiten und Kisara da rausholen!“ „Womit wir wieder beim Thema Sinn und Verstand wären“, mischte sich Risha ein. „Für den Fall, dass du diesen Teil verpasst haben solltest: Es nützt nichts, weil er sie so oder so nicht herausgeben wird. Spätestens, wenn er hat, was er will, schickt er sie ohnehin ins Jenseits zurück.“ „Aber man kann doch nicht von vorne herein aufgeben, ohne es zumindest versucht zu haben!“, schaltete sich nun auch Tristan ein. „Was mischt du dich eigentlich ein?“, erwiderte die Schattentänzerin. „Du weißt nichts von diesem Krieg, also halt dich gefälligst raus.“ „Wenigstens verstehe ich was von Ehrgefühl, aber das Wort scheint in deinem Wortschatz ja komplett zu fehlen. Wundert mich bei der Abstammung kein bisschen!“ „Du dreckiger, kleiner …“ „Leute, das bringt uns doch auch nicht weiter!“, versuchte Tea, sich Gehör zu verschaffen. „Sie hat Recht! Bitte, wir sollten eine Lösung finden, statt uns hier nur gegenseitig zu beschuldigen!“, pflichtete Mana ihr bei. „Hört auf, sofort! Ihr alle!“ Plötzlich wurde es still. Die Augen sämtlicher Anwesenden richteten sich auf Seto. Der Hohepriester zitterte noch immer am ganzen Leib. Seine Kiefer presste er fest aufeinander. Dennoch vermochte er kaum, die Tränen, die aufstiegen, zurückzuhalten. „Ich … muss nachdenken …“, presste er schließlich hervor und wandte sich ab, stürmte davon in Richtung der Höhle, die ihm als Unterschlupf diente. Als er fort war, nahm Riell seine Schwester beiseite. „Wir müssen auf ihn Acht geben. Trauer und Wut verleiten uns Menschen nur allzu leicht dazu, etwas Dummes zu tun.“ Risha nickte bloß, ehe auch sie sich zurückzog. „Samira, das hast du dir nur eingebildet …“ „Nein, hab‘ ich nicht! Ich bin mir ganz sicher, dass diese Schriftrolle eben noch von einem Reshef handelte, der Bauer war. Jetzt geht es plötzlich um eine Kina! Außerdem war sie bis zum letzten Blatt gefüllt, nun stehen da gerade einmal drei Sätze!“ „Du wirst sie versehentlich vertauscht haben. Bei all den Rollen hier, würde es mich nicht wundern, wenn …“ „Ich habe sie aber nicht vertauscht, Kipino! Das wäre gar nicht möglich gewesen! Das war eine von denen, die ich euch gezeigt habe! Ich habe sie in der Zwischenzeit nicht zurück in ein Regal gelegt. Nachdem ihr weg wart, habe ich sie wieder aufgerollt und festgestellt, dass sie sich verändert hat!“ „Dann hast du die Schriftrolle von diesem Bauern wahrscheinlich gar nicht erst mitgebracht, sondern sie schon mit dieser hier verwechselt, bevor du überhaupt zu uns gekommen bist! Sei doch nicht immer so stur, jeder macht einmal Fehler!“ „Ich habe aber keinen gemacht! Ich sage die Wahrheit!“ Atemu hatte sich aus dem Streit herausgehalten, Samira aber dennoch aufmerksam zugehört. Er konnte nicht sagen, was, aber irgendetwas an ihrer Beharrlichkeit verleitete ihn dazu, einige Schriftrollen aus einem Regal zu ziehen und auf dem Boden auszubreiten. Zunächst las er sie aufmerksam. Mit dem Fingernagel machte er dann kleine Einkerbungen an den Stellen, wo der Text unleserlich wurde und prägte sich die Namen der Personen, von denen die Papyri handelten, von rechts nach links ein. Um nicht nur nutzlos herumzusitzen, während er darauf wartete, dass sich Samiras Behauptung eventuell bestätigen würde, erhob er sich und besah sich die Wände der Bibliothek genauer. Schließlich wanderte sein Blick zur Decke hinauf und blieb dort hängen. Eine riesige Mythendarstellung zierte das Deckengewölbe. Atemu kannte die Geschichte, die sich dahinter verbarg, gut. Als kleiner Junge hatte er sie oft gehört. Es war, als würde er der Stimme seines Vaters lauschen, während er dort hinauf starrte. „Es gab eine Zeit, da hatten sich die Menschen von den Göttern abgewandt. Sie rebellierten und würdigten die, die ihnen einst das Leben geschenkt hatten, nicht mehr. Der Gott Re war darüber sehr zornig, nach allem, was er für sie getan hatte. So rief er seine Tochter, die Göttin Hathor, zu sich und trug ihr auf, die Menschheit zu bestrafen. Sie verwandelte sich in ein gewaltiges Raubtier und wütete auf Erden. Sie richtete ein gewaltiges Gemetzel an, bis sie sich am Blut der Menschen satt getrunken hatte. Re sah, wie die Menschen litten durch das, was er ihnen angetan hatte. Und er bekam Mitglied. So wies er Hathor an, es dabei zu belassen. Doch die Göttin hatte Geschmack am Menschenblut gefunden und weigerte sich, ihm Folge zu leisten. Re wusste da, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihr Durst wieder morden ließ. Er musste etwas unternehmen. So befahl er, Bier zu brauen, viel davon, und versetzte es mit rotem Ocker. Anschließend wies er an, das Bier dort auszugießen, wo Hathor als nächstes jagen würde. Als sie damit fertig waren, stand es drei handbreit hoch auf dem Wüstensand. Tatsächlich erschien Hathor daraufhin. Da entdeckte sie das vermeintliche Blut und begann sogleich zu trinken, bis sie vollkommen betrunken war, sodass sie die Menschen nicht mehr kümmerten. So hat Re die Menschen gerettet. Wo er zuvor noch wütend auf sie gewesen war, herrschte nun nur noch Traurigkeit über ihr Verhalten. Und so kam es, dass er sich von den Menschen distanzierte, indem er zum Himmel aufstieg. Dennoch wacht er bis heute über sie. Was ist die damit sagen möchte, Atemu, ist, dass sich jeder Mann gut überlegen sollte, welche Mächte er freisetzt … Für Re ist es noch einmal gut gegangen. Doch wir Menschen sind nicht so stark, wie die Götter. Überlege dir immer gut, welche Folgen das haben könnte, was du im Begriff bist, zu tun. Vergiss diesen Ratschlag niemals … nicht so, wie dein Vater …“ Atemu hatte erst Jahre später verstanden, was sein Vater damit gemeint hatte. Erst, als er all die Verwüstung erlebt hatte, die die Milleniumsgegenstände ihrer Zeit hatten anrichten können, war im bewusst geworden, wie sehr der König darunter gelitten haben musste – unter dem Wissen, dass er diese Kraft entfesselt hatte und anders, als der Gott Re, nicht in der Lage war, sie wieder zu bändigen. Caesian hatte nun den gleichen Fehler begangen. Atemu zweifelte nach wie vor daran, dass er auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was er mit dem Missbrauch der göttlichen Relikte anrichtete. Nun war es an ihnen, dem Einhalt zu gebieten. Er riss sich von der Darstellung los und kehrte dorthin zurück, wo er die Schriftrollen hatte liegen lassen. Er bemerkte, dass er hier, fernab des Himmels, sämtliches Zeitgefühl verloren hatte. War es noch Tag oder bereits Nacht? Wie lange hatte er über der mythischen Darstellung gegrübelt? Er schob den Gedanken beiseite. Egal, wie lange sie schon hier waren, es wurde Zeit, dass sie herausfanden, warum Atemu diesen Ort im Traum gesehen hatte. Er kniete sich nieder und nahm die Texte eingehend in Augenschein. Tatsächlich. „Kipino, Samira! Habt ihr einen Moment?“ Es dauerte nicht lange, dann waren sie an seiner Seite. „Habt Ihr etwas gefunden?“, erkundigte sich der Schattentänzer. Atemu erhob sich. „In der Tat. Samira hatte Recht.“ „Wie …?“ „Ich hab’s doch gleich gesagt! Dann haben sich die da also auch verändert?“, hakte die Kleine mit Fingerzeig auf die Papyri nach. „Allerdings. Seht ihr diese Einkerbungen? Ich habe sie an den Stellen gemacht, an denen der Text nicht mehr verständlich war. Nun werden die Worte erst ein Stück weiter unten kryptisch. Zuvor hatte ich auch den Inhalt studiert und ich kann bestätigen, dass ein paar neue Zeilen hinzugekommen sind.“ „Aber … wie um alles in der Welt ist das möglich?“, murmelte Kipino. „Ich weiß es nicht“, gab Atemu zu. „Wir können uns nun sicher sein, dass Samiras Beobachtung kein Irrtum war. Aber was es ist, ist mir schleierhaft.“ „Da hilft nur eines: Weitersuchen!“, verkündete Samira und sprang davon. „Ich wäre ja dafür, erst einmal mit dem zu arbeiten, was wir bereits haben. Das alles muss doch irgendeinen Sinn ergeben. Erst Euer Traum. Dann diese seltsamen Schriftstücke …“ „Ja. Jetzt müssen wir herausfinden, was es damit auf sich hat. Die Texte lesen sich fast wie Lebensgeschichten. Aber wer sind diese Menschen? Und warum wird ihr Leben hier schriftlich festgehalten? Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich bin bei der Lektüre über nichts Außergewöhnliches gestolpert, nur über Erzählungen vom Dasein armer wie mächtiger Menschen …“ Kipino nickte zustimmend. „Genau den gleichen Eindruck habe ich auch …“ „Nun gut … vielleicht hat Samira Recht und wir finden irgendwo noch Hinweise“, entschied Atemu schließlich. „Lassen wir uns die Fragen einfach weiter durch den Kopf gehen und sehen, ob es hier noch Teile gibt, die dieses Mosaik ergänzen könnten.“ Damit teilten sie sich erneut auf. Der heiße Wüstenwind trieb den Sand vor sich her. Zwar hatte sich die Nacht längst über das Land gelegt, doch der Hitze tat dies keinen Abbruch. Es würde dauern, bis die Luft kühler wurde. Die beiden Wachtmänner hatten ihre Schicht noch nicht lange begonnen, doch schon jetzt hatten sich die Sandkörner in jede Falte von Haut und Kleidung gesetzt. Immer wieder rieben sie sich die Augen, wenn erneut Dreck hinein gelangte. Sie waren es gewohnt und trieben ihre Pferde weiter am Grünstreifen des Nils entlang. In ihrer Heimat wäre es ihnen nicht anders ergangen. Und dennoch störte es zumindest einen von ihnen. „Hatte seine Majestät nicht gesagt, hier würde alles besser werden? Warum sind wir dann immer noch hier draußen unterwegs und setzen uns dem Sand aus, anstatt in einer Schänke den Freuden des Lebens zu frönen? Einige dieser Ägypterinnen sind wirklich hübsch anzusehen, da läuft einem fast das Wasser im Mund zusammen.“ „Hör auf, dich zu beschweren“, erwiderte sein Begleiter. „Ja, Caesian hat gesagt, dass wir es hier besser haben würden. Er sagte aber auch, dass viel Arbeit vor uns liegt und jeder seinen Teil dazu würde beitragen müssen.“ „Würde ich ja gerne! Indem ich unserer Armee ein wenig Zuwachs verschaffe!“, entgegnete der Andere feixend. „Unsere Aufgabe ist es aber, Wache zu halten. Und jetzt konzentriere dich, wenn uns etwas entgeht, könnte das fatale Folgen haben.“ „Von wegen! Dieses Land gehört längst uns! Der Pharao ist davon gerannt, wie ein verschreckter Schakal! Lass uns mal anhalten, ich hab‘ da was zu erledigen.“ Sie zügelten die Pferde, woraufhin er im Gebüsch verschwand. Als er kurze Zeit später zurückkehrte, war er noch immer nicht von seiner Ansicht abgerückt. „Mal ehrlich, wovor sollen wir uns denn hier noch fürchten?“ „Der Pharao befindet sich noch immer dort draußen. Er könnte jederzeit zuschlagen. Solange nicht sämtliche Relikte in Caesians Besitz sind, sind wir hier nicht fertig.“ „Dabei könnte ich vielleicht behilflich sein …“ Augenblicklich zückten die beiden Wachtmänner ihre Schwerter und fuhren herum. Vor ihnen, im Schatten einer Palme, stand eine Gestalt. „Wer bist du?“ Ihr Gegenüber grinste nur, während er langsam aus dem Dunkel heraus und in das Licht des Mondes trat. Die beiden Soldaten wussten nicht, weswegen, doch irgendetwas an seiner Ausstrahlung brachte sie dazu, ein Stück zurück zu weichen. „Das … ist nicht von Bedeutung“, entschied der Fremde schließlich. „Das Einzige was zählt, ist, was ich euch anzubieten gedenke.“ „Und das wäre?“ Der Andere kicherte. „Nicht euch direkt, ihr Idioten! Eurem König.“ Die Wachtmänner tauschten Blicke. Währenddessen veränderte sich der Gesichtsausdruck des Fremden. Sämtliche Belustigung verschwand und wurde ersetzt durch eiserne Entschlossenheit. „Bringt mich zu Caesian. Sofort.“ „Kipino, Möchtegern-König, ich glaube, ich habe etwas gefunden!“, riss sie Samiras Rufen aus den Gedanken. Atemu überging die Anrede gekonnt und begab sich, ebenso wie der Schattentänzer, zurück auf einen der Hauptgänge, der durch die Regal führte. Vom anderen Ende der Bibliothek her winkte die Rothaarige ihnen zu, ehe sie wieder in einem Seitenflur verschwand. Als sie das Mädchen erreicht hatten, erwartete sie sie bereits. „Könnte das hier vielleicht wichtig sein?“, meinte sie und zeigte den Gang hinab. Er endete in einer steinernen Wand, die über und über mit Hieroglyphen beschrieben war. Doch das war es nicht, was die Aufmerksamkeit von König und Clanmitgliedern auf sich lenkte. In der Mauer befand sich eine Nische, gerade groß genug, damit ein Mann darin Platz gehabt hätte. Die mit Öl gefüllten Rinnen, die die ganze Bibliothek umspannten, endeten links und rechts des Durchlasses. Im Halbdunkel der Vertiefung erkannten sie ein hölzernes Podest, dessen obere Fläche schräg geschnitzt worden war. Eine dünne Querstrebe ab unteren Ende verhinderte, dass das, was darauf lag, herunter rutschen konnte. Von dieser gehalten wurde eine reich mit Gold verzierte und aus feinstem Papyrus gearbeitete Schriftrolle. „Was, bei Anubis, ist das?“, sprach Kipino schließlich den Gedanken aus, der ihm durch den Kopf ging. „Ich weiß es nicht. Noch nicht“, erwiderte Atemu und trat näher heran. Sein Blick ruhte auf den Hieroglyphen, die die Wand über der Nische zierten. Versucht es nicht, könnt nicht entkommen, dem, was das Schicksal euch ersonnen. Selbst der Gott vermag es nicht, zu gehorchen ist auch seine Pflicht. Der Sonnenlauf, er ist nicht aufzuhalten, wie der Menschen Leben, der Lauf der Gezeiten. Ebbe und Flut – was der Nil lange kennt, ist auch den Geschöpfen nicht fremd. Nichts kann ewig dauern, drum sollt ihr nicht trauern, wenn sie euch ruft in die Dunkelheit, sie, die Eine – die … „Im Namen aller Götter!“, stieß Kipino hervor und sank auf die Knie. „Das … das ist … ich kann es nicht fassen!“ Selbst Samira war wie gelähmt. Ihre Augen wanderten unablässig über die Schriftzeichen, wieder und wieder. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Atemu war augenblicklich klar, dass sie hier eine bedeutende Entdeckung gemacht haben mussten – selbst, wenn ihm die Zeilen noch längst nicht so viel verrieten, wie den Schattentänzern. Auch er las die letzte Strophe erneut. Nichts kann ewig dauern, drum sollt ihr nicht trauern, wenn sie euch ruft in die Dunkelheit, sie, die Eine – die Seele der Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)