Zwischenblut von Kouichi ================================================================================ Kapitel 32: Die Lücken schließen sich ------------------------------------- Die Lücken schließen sich Am nächsten Morgen wurde Cloud liebevoll durch seine Mutter geweckt. Béatrice hatte sich an den Rand seines Bettes gesetzt und streichelte Cloud immer wieder über die Wange. Cloud hielt die Hand seiner Mutter in seiner Schlaftrunkenheit für eine Fliege, die über seine Wange tanzte, doch als er mit seiner eigenen Hand zu seiner Wange fuhr, berührte seine Hand die Hand seiner Mutter und er umschloss diese. Da wurde ihm bewusst, dass es keine Fliege war und er öffnete die Augen. Sofort erblickte er seine Mutter, die ihn liebevoll anlächelte. „Komm, Schatz! Aufstehen, dein Bruder und dein Vater warten bereits beim Frühstück auf dich!“, sagte sie liebevoll und zog die Bettdecke zurück. Cloud umarmte seine Mutter. Béatrice erwiderte die Umarmung und legte die Hände um ihren Sohn. „Danke, Mama!“, sagte Cloud leise. Béatrice löste die Umarmung und sah ihren Sohn verwirrt an. „Danke wofür?“, fragte sie und sah ihren Sohn verwirrt an. „Danke dafür, dass ihr das alles mit mir durchmacht! Ich weiß nicht wirklich etwas über die Menschen, die mich zur Welt brachten. Ich weiß nur, dass sie auf der dunklen Seite waren und mich nicht geliebt haben!“, sagte Cloud und wollte aufstehen, doch Béatrice hielt sein Handgelenk fest und zog ihn wieder zurück auf das Bett. Sie sah ihren Sohn aus liebevollen Augen an. „Cloud, dafür musst du uns nicht danken. Du bist unser Sohn, ob nun leiblich oder adoptiert spielt für uns keine Rolle. Und was deine leiblichen Eltern betrifft, so bin ich mir sicher, dass sie dich geliebt haben, denn sie haben dafür gesorgt, dass du leben kannst, auch wenn sie nicht gewollt haben, dass du in ein Heim kommst. Aber sieh es doch mal positiv. Wenn du nicht in das Heim gekommen wärst, dann wärst du niemals Léon begegnet und wärst niemals ein Teil unserer Familie geworden. Also Kopf hoch. Du hast die Ewigkeit vor dir!“, sagte sie und kraulte Cloud im Nacken. Dieser seufzte wohlig auf. Es tat ihm gut, was seine Mutter da sagte und auch das, was sie tat. Cloud sah ein wenig verlegen nach unten. „Mama, da wir jetzt schon alleine sind, kann ich dich da ein paar Dinge fragen?“, flüsterte Cloud. Béatrice legte ihm die Hand unter sein Kinn und hob es ein wenig an, so dass Cloud ihr direkt ins Gesicht schauen konnte. „Natürlich! Du kannst mich alles fragen.“, sagte sie und Cloud schluckte. Seine erste Frage hatte er sich schon überlegt. „Können wir Vampire uns wirklich in Fledermäuse verwandeln?“ Béatrice schüttelte den Kopf. „Stell dir mal Léon als Fledermaus vor. Er würde keinen Zentimeter fliegen können!“, sagte sie und lächelte. Cloud nickte und fragte weiter. „Stimmt es eigentlich, dass unsere körperliche Kraft größer als die von Menschen ist?“ Béatrice überlegte einen Moment, dann griff sie wieder nach Clouds Handgelenk. Sie zog ihn aus dem Bett und in den Hauptraum der Hütte, wo auch ein großer, hölzerner Tisch stand. „Probiere es selbst aus! Hebe den Tisch an!“, sagte sie und deutete auf eben jenen Tisch. Cloud sah seine Mutter nur irritiert an, trat dann jedoch an den Tisch heran und kroch unter diesen. Als er in deren Mitte unten angekommen war, legte er beide Hände so an den Tisch, wie er der Meinung war, dass er das Gewicht gut ausbalancieren würde und hob ihn an. Der Tisch war nicht so schwer, wie Cloud es erwartet hatte und er schaffte es ohne große Mühe den Tisch anzuheben. Als er nun wieder vollkommen stand, sah er in das lächelnde Gesicht seiner Mutter. „Nun, Frage beantwortet?!“, fragte sie lächelnd. Cloud stellte die Tisch vorsichtig vor sich ab und setzte sich dann auf einen der Stühle. „Aber was für Kräfte außer dem guten Gehör, dem guten Geruchssinn, der Macht der Aura und dem verschmelzen mit den Schatten haben wir denn noch?“, fragte Cloud weiter und sah neugierig seine Mutter an. Diese lächelte. „Nun, du hast noch weit aus mehr Kräfte, als du jetzt ahnst. Du musst wissen, dass wir unsere Kräfte in zwei Kategorien spalten. Einmal die Kräfte, die wir einsetzen dürfen und einmal die Kräfte, die wir nicht einsetzen dürfen, weil es uns das Gesetz der Vampire verbietet. Unter den verbotenen Kräften gehört auch eine Kraft, die wir König der Ghoule nennen. Das heißt, wir können allein durch unseren Willen Leichen befehligen. Merke dir bitte gut, dass alles, was mit dem Tod und toten Körpern in Zusammenhang steht, absolut tabu ist. Kommen wir jetzt zu den Kräften, die dir mit Sicherheit ein wenig angenehmer sein werden. Zum einen wirst du jeden Menschen in deinen Bann ziehen können, wenn du es nur willst. Sei es jetzt, um das Blut des Menschen zu nehmen oder eher etwas anderes mit ihm oder ihr anzustellen!“, sagte sie und lächelte Cloud bei ihren letzten Worten mit einem verschmitzten Lächeln an. Cloud wusste, worauf seine Mutter hinaus wollte und wurde ein wenig rot. Béatrice fuhr fort, als wenn sie die Verlegenheit Clouds nicht bemerkt hätte, wobei sie eher ein wenig die Situation überspielte. „Eine weitere Fähigkeit ist, dass du die Kreaturen beherrschen kannst, sobald du ein wenig Übung darin hast. Dann kommen wir zu einer Fähigkeit, die wir früher Ritter der Nacht nannten. Durch diese Fähigkeit kannst du dich absolut lautlos bewegen und erst wenn du willst, dass dein Opfer dich bemerkt, dann wird es dich bemerken. Ich warne dich jedoch vor einer weiteren Fähigkeit, die dir zwar helfen, aber auch die Kontrolle über dich selbst verlieren lassen kann. Diese Fähigkeit nennen wir die rote Wut und der Name kommt daher, dass wenn du in einem Gefecht richtig wütend wirst, du so in Rage geraten kannst, dass du jeden Gegner niederstreckst und du erst aufhören kannst, wenn du in einem blutroten Meer stehst.“, sagte sie. Cloud wollte noch weitere Fragen stellen, doch die Tür öffnete sich und Thomas, Léon, Nurarihyon und Wiki betraten die Hütte. Hinter ihnen folgte eine junge Frau mit glänzend schwarzem Haar, Haut, so weiß wie Schnee und Augen, so rot wie Blut. Béatrice erhob sich und auch Cloud stand von seinem Stuhl auf. „Da ihr uns beim Frühstück nicht mit eurer Anwesenheit beehrt habt, haben wir einfach das Frühstück zu euch gebracht.“, sagte Thomas und stellte einen kleinen Beutel auf dem Tisch ab. Die Frau, die zusammen mit den anderen in die Hütte getreten war, verbeugte sich vor Thomas und Béatrice. Beide, Thomas und Béatrice, wandten nun ihre Aufmerksamkeit der Frau zu. „Eure Majestät, bitte entschuldigt die frühe Störung, aber ich komme wegen eurem Sohn Cloud hier her. Ich bin die neu eingesetzte Kommissarin für den Mordfall in der Sache der Pensionistin. Ich bin Kommissarin Rietz. Ich würde ihrem Sohn gern noch ein paar Fragen stellen!“, sagte sie und verbeugte sich zuerst vor Thomas, dann vor Béatrice. Dann sahen sie beide zu Cloud herum, der hinter seine Mutter stand, da sie vor ihn getreten war. Cloud sah sich noch weiter die Kommissarin an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sein Magen gab die Antwort für ihn, denn er knurrte laut und vernehmlich. „Ich denke, Cloud sollte sich erstmal anziehen und dann etwas essen. Wir werden dann zu Ihnen auf die Dienstelle kommen!“, sagte Thomas und an seinem Tonfall war zu hören, dass er keinerlei Widerspruch duldete. Die Kommissarin nickte. „Sehr wohl. Ich wäre jedoch dafür, dass Cloud das Gespräch mit mir und einem Psychologen absolviert. Das wäre...!“, sagte sie, doch sie wurde von Cloud unterbrochen, der sie anfuhr. „Ich werde nicht mit einem Psychofritzen reden. Ich habe nur ein paar Erinnerungen verloren und keinen Dachschaden!“, spie Cloud aus und sah die Kommissarin wütend an. Seine Eltern sahn von Cloud zu der Kommissarin. Es war eine drückende Stille, die daraufhin folgte, bis Wiki zu Cloud herunter beugte und ihm behutsam über den Kopf streichelte. „Cloud, mach dir keine Sorgen. Psychologen werden nicht nur eingesetzt, wenn jemand einen Dachschaden hat, wie du es ausdrückst, sondern auch, wenn jemand, so wie du, ein paar seiner Erinnerungen verloren hat. Der Psychologe kann dir helfen, deine Erinnerungen wieder zu erlangen. Also mach dir darüber keine Sorgen, denn wir alle wollen dir nur helfen!“, sagte Wiki. Cloud ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen. Dann nickte er langsam. Dann wandte sich Thomas wieder an die Kommissarin. „Gut, da das jetzt geklärt ist, werden wir dann nachdem Cloud gefrühstückt hat zu Ihnen auf die Dienststelle kommen!“, sagte Thomas und beendete so dieses Thema. Die Kommissarin verneigte sich erneut und verließ die Hütte. Nachdem Nurarihyon die Tür geschlossen hatte, deckten sie den Tisch mit den mitgebrachten Sachen und Cloud fing zusammen mit seiner Mutter an zu frühstücken. Nachdem sie fertig waren, zog sich Cloud an und gemeinsam mit seiner Familie verließ Cloud die Hütte und machte sich auf den Weg zum Polizeirevier. Sie fuhren mit ihren Schneemobilen zum Revier, da sich dieses am Rande der Stadt befand und somit auch für die Schneemobile erreichbar war. Am Revier angekommen stiegen sie von den Schneemobilen ab und betraten das Polizeirevier. Es war nur ein kleines Revier und so war die Kommissarin Rietz auch leicht unter ihren Kollegen gefunden, denn sie war die einzige Frau an diesem Ort. Als Frau Rietz aufsah, erblickte sie die Familie zu Wallenstein zusammen mit dem Dämon Nurarihyon. „Ah, sehr gut. Kommen Sie bitte gleich mit. Der Psychologe ist auch gerade eingetroffen und wartet in einem extra für solche Anlässe eingerichteten Raum auf Cloud.“, sagte sie und erhob sich von ihrem Schreibtisch. Cloud folgte ihr zusammen mit seiner Familie. Sie gingen einen schmalen Gang entlang, der vom Hauptraum des Reviers abführte und Kommissarin Rietz klopfte an eine Tür an, die sich am Ende des Ganges befand. Die Tür wurde geöffnet und ein junger Mann Mitte zwanzig erschien. „Ah guten Tag. Sie müssen die Familie zu Wallenstein sein. Sie wurden bereits angekündigt. Ich würde Sie gerne bitten, hier draußen auf den Stühlen Platz zu nehmen. Ich würde mich gerne mit Cloud alleine unterhalten.“, sagte der Mann und lächelte die Familie an. Alle Anwesenden nickten und Cloud trat zögernd alleine in den Raum. Er sah sich in dem Raum um. Er war kläglich ausgestattet. Gerade mal ein Schreibtisch mit einem Bildschirm darauf, einem Kühlschrank und zwei Sitzsäcke waren in dem Raum verteilt. „Setz dich doch! Willst du was trinken?“, fragte der Mann Cloud und öffnete die Kühlschranktür und zeigte Cloud, was sich darin befand. „`Ne Cola, bitte!“, bat Cloud und der Mann nahm zwei Colaflaschen aus dem Kühlschrank und verschloss diesen wieder. Er wies mit seiner Hand auf einen der Sitzsäcke und bat Cloud so, sich in diesen zu setzen. Dann überreichte der Mann ihm die Cola. Cloud besah sich ihn genauer an. Er hatte feuerrotes Haar, genauso rote Augen und eine sehr blasse Hautfarbe. Cloud wusste sofort, dass dieser Mann genau wie Frau Rietz kein Mensch, sondern ein Vampir ist. Der Mann unterbrach Clouds Überlegungen, indem er sich räusperte. „Nun, ich weiß wer du bist, aber du nicht wer ich bin, deshalb möchte ich mich dir erst einmal vorstellen. Ich bin Dr. Mark Gröger. Vom Beruf her Psychologe. Du kannst mich aber Mark nennen.“, sagte der Psychologe und stellte sich so vor. Cloud nippte an seiner Cola und fragte dann: „Woher kennen sie meinen Namen? Hat Frau Rietz ihnen das gesagt?“ Mark schüttelte den Kopf. „Nein, hat sie nicht. Sie hat mir nur gesagt, dass heute ein junger Mann vorbeikommen würde, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Mord an dieser jungen Frau beobachtet haben soll und der deshalb ein Teil seines Gedächtnisses verloren hat. Dein Name ist bei allen Vampiren bereits weit verbreitet, denn es spricht sich herum, wenn jemand seine Waffen niederlegt und den anderen sich praktisch offen entgegen stellt. Damit hast du gezeigt, dass du bereit gewesen wärst, dein Leben und deine Gesundheit zu opfern, um den Anderen zu zeigen, dass du keinerlei Vorurteile hegst. Jetzt lass uns aber mal von diesen Sachen Abstand nehmen und über das reden, weshalb wir beide hier sind. Woran kannst du dich als letztes erinnern, bevor die Erinnerungslücke einsetzt. Egal was es ist, du kannst es mir erzählen!“, sagte Mark und nahm ebenfalls einen Schluck von seiner Cola. Cloud überlegte, aber seiner Erinnerungen setzten da aus, als er das Haus verlassen hatte und zu Matt wollte. „Ich war aufgestanden, hatte mich fertig gemacht und wollte unbedingt zu einer guten Freundin. Ich habe mich so sehr beeilt, aus dem Haus zu kommen, dass ich meinen Bruder fast im Flur umgerannt habe. Ich bin die Treppe hinunter gestürzt, habe mich angezogen und bin aus dem Haus gerannt. Soweit kann ich mich noch erinnern, aber was dann geschah, weiß ich nicht mehr!“, antwortete Cloud und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was danach geschah, aber es wollte ihm partout nicht einfallen. Mark notierte sich alles in seinem Computer und fuhr dann fort. „Wer ist diese gute Freundin? Kannst du dich noch an ihren Namen erinnern?“, fragte Mark und sah Cloud erwartungsvoll an. Als Clouds Gedanken zu Matt schoßen, fühlte er sich, als wenn brühend heißes Wasser in ihn hinein gegoßen wurde und genauso rot wurde er. „Ihr Name ist Clarisse, aber wir alle nennen sie nur Matt. Das ist ihr Spitzname, denn sie findet den Charakter Yamato „Matt“ Ishida aus der Serie Digimon so gut.“, nuschelte Cloud und sah Richtung Boden. Mark machte sich wieder einige Notizen dazu und fragte dann: „Liebst du sie?“ Cloud wäre vor Schreck beinahe seine Cola aus der Hand gerutscht. Er hatte seines Wissens nach noch nicht einmal seiner Familie davon etwas gesagt und jetzt sollte er es einfach so einer wildfremden Person erzählen. So langsam wurde es zuviel für ihn und sein Kopf begann wieder weh zu tun. Seine Kehle war wie zugeschnürrt und so nickte er einfach nur. Mark nickte und machte sich wieder Notizen dazu. „Hast du ihr schon deine Liebe gestanden?“, fragte er Cloud. „Nein!“, antwortete er sofort, doch einem Gefühl nach, von dem Cloud nicht sagen konnte, woher es kam, sagte Cloud, dass das nicht stimmt. „Doch!“, flüsterte Cloud und folgte so seinem inneren Gefühl. Mark sah ihn musternd an. „Erinnerst du dich daran, dass du ihr deine Liebe gestanden hast, oder ist es eher ein Gefühl, dem du gerade gefolgt bist?“, fragte Mark. Cloud sah auf und sah in die roten Augen Marks. „Eher ein Gefühl. Ich erinnere mich nicht daran.“, erwiderte Cloud und sah wieder auf den Boden. Mark nickte. „Es ist gut, dass du deinem Gefühl gerade eben gefolgt bist, denn das ist ein Zeichen, dass deine Erinnerungen bald zurück kommen werden. Ich denke, wir beenden an dieser Stelle die Sitzung. Ich schlage vor, du gehst mit deiner Familie zusammen zu dem Dorffest, das heute anfängt.“, sagte Mark und erhob sich. Cloud erhob sich ebenfalls, trank den Rest seiner Cola aus und verabschiedete sich von Mark. Danach verließ er den Raum und Mark bat Thomas und Béatrice zu einem kurzen Gespräch. Cloud setzte sich zu seinem Bruder Léon. Neben Léon saßen Wiki, Nurarihyon und die nun auch eingetroffenen Agathe und Siegfried. „Und, wie wars?“, fragte Léon seinen Bruder. Cloud erzählte ihm und auch den Anderen, was der Psychologe ihn alles gefragt hatte. Nurarihyon klopfte ihm auf die Schulter. „Siehst du, war doch nicht so schlimm, wie du dachtest und irgendwann bekommst du auch ein Mädchen ab.“, sagte er und grinste Cloud ab. Cloud konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. „Na hoffen wir mal, dass ich das Mädchen dann nicht so abstechen werde wie du Wiki!“, sagte Cloud. Der Dämon sah Cloud vollkommen verblüfft an. Wiki war so rot wie eine Tomate geworden. Noch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, kamen Thomas und Béatrice zusammen mit dem Psychologen zurück. Mark sagte Frau Rietz Bescheid, dass er mit Cloud fertig sei und sie kam auf die Familie zugeschritten. „Gut, da du jetzt fertig bist, können wir fortfahren. Stimmt es, dass du dich an nichts mehr erinnern kannst?“, fragte sie und hockte sich Cloud gegenüber hin. Cloud nickte. Frau Rietz hatte ein Tonbandgerät hervor geholt und nahm so das Gespräch auf. „Der Kollege, der vor mir an diesem Fall gearbeitet hatte, hat in seinem Bericht den Verdacht geäußert, dass du die Frau erschoßen hast. Es soll einen Zeugen geben, der gesehen hat, wie die Frau nur ein paar Stunden zuvor fluchtartig das Badehaus verlassen hat. Nur kurze Zeit später sollst du dabei gesehen worden sein, wie du das Badehaus zusammen mit weiteren Personen verlassen hast. Stimmt das?!“, fragte Frau Rietz. Cloud konnte seinen Ohren nicht trauen. Er soll die Frau erschossen haben? Vielleicht hatte er deshalb sein Gedächtnis verloren. Für Cloud wurde dies alles zu viel und sein Kopf begann wieder zu schmerzen wie vorhin bei dem Psychologen. Er legte den Kopf in seine Hände und stützte seine Arme auf seinen Füßen ab. „Wie kann es dieser Mann wagen, unseren Sohn zu verdächtigen? Cloud hat diese Frau nicht erschossen. Er war die ganze Zeit bei uns!“, tobte Béatrice und in ihrer Wut bebte das ganze Revier. Frau Rietz erhob sich und sah in Béatrice wütendes Gesicht. „Es ist verständlich, dass sie Ihren Sohn schützen wollen, doch Cloud wurde spät abends noch dabei gesehen, wie er die Pension verlassen hat und dem Fußgängerweg entlang der Straße zur Quelle gefolgt ist. Ich denke, um nach zu vollziehen, ob Cloud mit einer Waffe umgehen kann, ist es das Beste, wenn wir einen Test machen! Folgen sie mir bitte!“, sagte Frau Rietz und wandte sich einer Treppe zu, die nach unten führte. Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter und durch die Metalltür. In dem Raum hinter der Tür war eine Anlage aufgebaut worden, in der die Polizisten das Schießen üben konnten. Frau Rietz ging zu einem dicken und schmierigen Kerl und besprach mit diesem etwas. Der Mann nickte und nahm aus einem Schrank, der hinter ihm stand, eine Pistole heraus. Frau Rietz nahm die Waffe von dem Mann entgegen und ging dann zurück zu Cloud. „So Cloud, jetzt möchte ich dich bitten, dass du zu dem freien Stand dort drüben gehst und auf die Zielscheibe am Ende der Wand zielst und dann schießt.“, sagte sie und deutete auf einen freien Stand. Cloud nickte und ging alleine zu dem Stand. Frau Rietz folgte ihm, legte die Waffe auf die Ablage und erklärte ihm dann, dass er sich die Ohrschützer aufsetzen müsste. Cloud tat wie geheißen und setzte sich die Ohrschützer auf. Sofort konnte er nur noch einen Bruchteil von dem hören, was er sonst hört. Frau Rietz tippte ihm auf die Schulter, so das Cloud sich zu ihr drehte. Dann schob sie den Griff der Waffe in Clouds Hand und zeigte mit ihrem Zeigefinger auf die Zielscheibe und entfernte sich von Cloud. Cloud zielte mit der Waffe auf die Mitte der Zielscheibe. Seine Hände zitterten. Er versuchte seine Atmung zu kontrollieren, doch etwas in ihm sträubte sich dagegen. Er zielte so gut es ging auf die Mitte der Zielscheibe und legte den Zeigefinger um den Abzug und wollte ihn betätigen, doch der Abzug blockierte sofort. Er versuchte es ein paar mal, doch es klappte nicht. Er ließ die Waffe sinken und Frau Rietz tippte ihm auf die Schulter, so dass Cloud sich zu ihr umdrehte und die Ohrschützer wieder abnahm. Danach reichte er Frau Rietz wieder die Waffe, die diese schweigend entgegen nahm. „Sehen sie? Cloud kann es nicht gewesen sein. Er weiß noch nicht einmal, wie man eine solche Waffe entsichert. Also kann er auch nicht damit geschossen haben!“, sagte Béatrice aufgebracht. Frau Rietz reichte die Waffe dem schmierigen Mann zurück und trat dann an Béatrice heran und sprach so leise, dass nur die Familie zu Wallenstein sie verstehen konnte: „Verzeiht mir, aber ich musste eine Möglichkeit finden, in der ihr Sohn zeigen kann, dass er nicht mit einer solchen Waffe umgehen kann und so konnte ich es zugleich objektiv beweisen. Mein Vorgänger hat dies auch nur in seinem Bericht behauptet, weil er mit Herr zu Wallenstein aneinander geraten ist. Der Verdacht gegen Ihren Sohn ist somit erloschen! Ich verabschiede mich an dieser Stelle!“ Frau Rietz wandte sich zur Tür, doch noch bevor sie den Raum verlassen hatte, rief Léon: „Frau Rietz, ich habe da noch eine Frage!“ Die Kommissarin drehte sich zu Léon um und sah ihn an. Léon schien mit sich zu ringen, dann aber fragte er: „Sie sind nicht zufällig mit der TV-Kommissarin aus der Serie „K11- Kommissare ermitteln“ verwandt, oder doch?!“ Frau Rietz sah ihn nur etwas irritiert an und schüttelte den Kopf. Sie verneigte sich vor Thomas und Béatrice und verließ den Raum. Cloud sah hoch in die Gesichter seiner Eltern und sah, dass diese kurz vor einem Wutausbruch standen. „Mama, Papa, können wir jetzt gehen?“, fragte Cloud seine Eltern. Beide angesprochenen senkten ihren Blick synchron zu Cloud herunter und bei beiden wurde der Blick sofort sanfter. „Natürlich mein Schatz! Lass uns gehen. Wie wäre es, wenn wir auf das Dorffest hier gehen. Hättest du Lust?“, schlug Béatrice vor. Cloud nickte und erwiderte: „Klar habe ich Lust, aber was ist mit den anderen?“ Er sah der Reihe nach die Anderen an und sah, dass diese Béatrice Vorschlag begeistert zustimmten. So verließen sie den Schießraum und auch das Polizeirevier und machten sich auf den Weg zum anderen Ende des Ortes, wo das Fest stattfinden sollte. Der Eingang zum Festgelände wurde von einem riesigen Bogen aus Eis markiert. Cloud sah den Bogen voller Bewunderung an. Er trat an den Bogen heran und berührte ihn mit einer Hand. Sofort fühlte er die vertraute Kälte, die ihm so viel Trost spendete, wie es kein anderes Element auf der Welt konnte. Béatrice legte eine Hand auf Clouds Schulter und gemeinsam gingen sie auf das Festgelände. Da fiel Cloud etwas ein und er fragte seine Eltern: „Wo sind eigentlich Agathe und Siegfried?“ Sein Vater sah ihn an und antwortete: „Die beiden sind in der Hütte geblieben und passen auf eure kleinen Gefährten auf.“ Da kam es Cloud wieder in den Sinn. Aus den Eiern, die er und Léon bekommen hatten, waren ja Drachen geschlüpft. Er grübelte weiter darüber nach, woher er und Léon die Eier bekommen hatten, aber es wollte ihm partout nicht einfallen. „Jetzt grübel nicht so sehr nach, dadurch bekommst du nur Falten!“, sagte Wiki und holte so Cloud aus seinen Gedanken. „Stimmt, von denen hast du ja schon genug, da brauche ich ja noch keine zu bekommen!“, erwiderte er frech und duckte sich vor einen heran fliegenden Schneeball, den Wiki geworfen hatte. „Du Frechdachs! Na warte, dich krieg` ich!“, rief sie aus und stürmte auf Cloud zu. Dieser nahm die Beine in die Hand und rannte los. Thomas wischte sich den Schnee aus dem Gesicht, denn anstatt Cloud hatte er den Schnee abbekommen und sah belustigt zu, wie Wiki Cloud über den ganzen Platz hinterher rannte. „Kinder, sie bringen einen immer wieder zum Lachen!“, sagte Béatrice und beobachtete Cloud, der noch immer von Wiki über den Platz gejagt wurde. An einem Zeitungsstand fand ihre Jagd dann ein Ende, denn Cloud war stehen geblieben, weil ihm eine Zeitung aufgefallen war. Auf der Titelseite der Zeitung prankte ein Bild des regierenden Bürgermeisters von Berlin. Die Überschrift über dem Foto hieß: „Regierender Bürgermeister tritt nach der BER-Blamage zurück!“ Cloud kramte sein Portemonnaie aus seinem Mantel, zählte 90 Cent heraus und legte sie dem Zeitungsverkäufer auf die Geldschale. Danach nahm er sich die Zeitung und schlug sie auf. „Hey, jetzt hab ich dich! Du brauchst dich nicht hinter einer Zeitung verstecken! Das hilft dir jetzt auch nicht mehr!“, sagte Wiki und sah auf ihren Neffen herab, der nun vollkommen in die Zeitung vertieft war. Cloud jedoch hörte ihr überhaupt nicht zu, sondern war in einen Artikel über den Rücktritt des regierenden Bürgermeisters von Berlin vertieft. Laut des Artikels soll der Bürgermeister wegen der erneuten Terminverlegung der Eröffnung des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg sein Amt bereits vor zwei Tagen niedergelegt haben. Allerdings stand er nicht nur wegen des mangelhaften Baufortschritts des Flughafen in der Kritik, sondern er soll auch den Bau der neuen U-Bahnlinie Berlin-Königswusterhausen mit einem solchen Tempo angetrieben haben, so dass das auf Kosten vieler Sicherheitspunkte ging. Kritik wurde auch von der Vorsitzenden der Grünen, Margot Schäumler, darüber geübt, dass die Strecke vor der ersten Fahrt nicht noch einmal eingehend geprüft wurde, denn dann wären die Bomben bereits früher aufgefallen. Zu dem Artikel gab es auch ein Foto des zurückgetretenen Bürgermeisters und Cloud besah es sich näher an, denn der Mann kam ihm wage bekannt vor. Klar, er hatte den Bürgermeister bereits schon früher im Fernsehen gesehen, doch ein Gefühl in ihm sagte Cloud, dass er den Bürgermeister bereits schon einmal persönlich begegnet war. „Hey, was ist los?“, fragte Wiki und als auch die anderen herüber zu dem Zeitungsstand kamen, sahen sie, dass Clouds Hände zitterten. „Was ist los, Schatz?“, fragte Béatrice und sah zu Cloud herunter. In Clouds Gehirn ratterte es. „In einer U-Bahn gab es Bomben? Woher kenne ich das nur? Es war kein Film oder Traum!“, murmelte Cloud vor sich hin. Thomas und Béatrice tauschten einen Blick. „Cloud, erinnerst du dich an irgendetwas?“, fragte Thomas seinen Sohn. Cloud zermarterte sich das Hirn. „Es ist, also wenn etwas durch meinen Kopf rauscht. Irgendeine Ansage oder sowas, aber ich kann sie nicht richtig verstehen. Es ist, als wenn sie in deutscher Sprache gehalten wird, mir aber der Sinn nicht klar werden will.“, sagte Cloud und seine Hände verkrallten sich in der Zeitung. Thomas und Béatrice tauschten wieder einen Blick, dann aber schoss Léon dazwischen und sagte: „Nächster Halt: Flughafen Berlin Schönefeld. Passagiere, die zum Flughafen möchten, steigen hier bitte aus!“ Jetzt kam es Cloud wieder in den Sinn. Die Ansagen, die er und sein Bruder in dem Zug gemacht hatten, die Bombe, die vor dem Zug explodiert war und die darauf folgende Entgleisung des Zuges. Dann, wie er in dem Krankenwagen wieder aufgewacht war und das Baby in den Armen hielt. Er erinnerte sich an die Reise nach Österreich und wie er in der Hütte angekommen waren und er abends zusammen mit Léon gegen den Werwolf gekämpft hatte. Er entfernte sich ein wenig von dem Zeitungsstand und ging zusammen mit seiner Familie ein Stück weiter, wo ihn niemand beobachten konnte. „Sind Léon und ich wirklich am Abend unserer Ankunft von einem Werwolf angegriffen worden?“, fragte Cloud und hielt die zusammengeknüllte Zeitung in den Händen. Seine Eltern sahen sich erstaunt an und nickten. „Cloud, Schatz, erinnerst du dich jetzt langsam wieder?“, fragte Béatrice ihren Sohn besorgt. Cloud nickte langsam. „So langsam kommen meine Erinnerungen wieder, aber an alles kann ich mich noch nicht erinnern.“, erwiderte Cloud und versuchte sich weiter zu erinnern. Er erinnerte sich an das Kaisergrab und auch an das, was die Kaiserin gesagt hatte. „Bin ich etwa mit Kaiserin Sisi verwandt?!!“, stieß Cloud atemlos aus, als ihm wieder einfiel, was die Kaiserin zu ihm gesagt hatte. Nun war es Léon, der antwortete: „Ja, über mehrere Ecken musst du mit ihr verwandt sein und sie meinte auch, dass sie unsere Eltern kennen!“ Thomas und Béatrice nickten zustimmend. Cloud grübelte weiter, als ihm die Rezeptionistin ins Gedächtnis kam, wie sie etwas herum reichte. „Diese Rezeptionistin hat Flyer über eine Thermalquelle verteilt. Später sind dann sie, Wiki, Nurarihyon, Léon und ich zur Thermalquelle gegangen. Aber was ist dann passiert?!“, grübelte Cloud weiter. Ein Bild von der Brosche blitzte auf und es fiel ihm wieder ein. „Diese Brosche! Die Rezeptionistin hatte die Brosche auch in der Quelle dabei. Ich habe ihr dazu ein paar Fragen gestellt, darauf ist sie abgehauen. Später dann hat Nurarihyon mich ziemlich geärgert und ich habe die Quelle in eine Eislandschaft verwandelt. Als Wiki, Nurarihyon, Léon und ich uns dann zu euch in den Gemeinschaftsraum gesellt haben, wollte ich euch die Fotos zeigen, die ich in der Quelle gemacht hatte, aber da ist mir aufgefallen, dass ich meine Kamera verloren hatte und bin so noch einmal los zur Quelle. Ich bin den Weg entlang und habe dann zwei Personen gesehen, die sich gestritten hatten. Die eine Person war ein Mann, die andere die Rezeptionistin. Sie haben sich so lange gestritten, bis der Mann eine Pistole gezogen und die Rezeptionistin erschossen hat. Ich war aber so dumm und habe dem Mann etwas zugerufen. Das war mein Fehler, denn er bemerkte mich und hat auf mich geschossen. Ich hatte solche Angst und bin zurück gewichen. Dann bin ich einen Abhang hinunter gefallen und mein Kopf muss gegen etwas Hartes geprallt sein, denn ab da weiß ich nichts mehr.“, sagte Cloud und seufzte erleichtert auf. Endlich hatte er die verlorenen Erinnerungen zurück. Léon packte die Schultern seines Bruders und sah ihn intensiv an. „Weißt du, wie der Mann ausgesehen hat?“, fragte er Cloud. Cloud grübelte und versuchte sich an das Gesicht des Mannes zurück zu erinnern. So langsam nahm das Gesicht des Mannes in seinem Gedächtnis wieder Gestalt an und als er sich vollkommen an das Gesicht des Täters wieder erinnerte, fiel ihm noch etwas ein. „Der Regen! Der Regen aus glitzernden Schneeflocken! Deshalb hat der Mann die Frau erschossen!“, sagte Cloud und als er sah, dass der Mann nicht weiter hinter Léon stand und sie heimlich beobachtete, machte er seine Familie durch seine Gedanken auf den Mann aufmerksam. Alle aus seiner Familie nickten und sie gingen in einem gemütlichen Tempo weiter, ganz so, als wenn sie den Mann nicht bemerkt hatten. „Ich denke, das es das Beste ist, wenn wir Frau Rietz anrufen und ihr berichten, dass Cloud sich an alles wieder erinnern kann.“, sagte Thomas und zog sein Handy aus der Jackentasche. Er wählte die Nummer von Frau Rietz und berichtete ihr leise, dass sich Cloud nun wieder an alles erinnern konnte. Als er fertig war, beendete Thomas das Gespräch und packte das Handy zurück in die Jackentasche. „Was sagt Frau Rietz? Wie können wir dem ganzen ein Ende machen?“, fragte Cloud und sah seinen Vater an. Dieser stieß einen Seufzer aus. „Sie sagte, dass selbst wenn du den Mann belasten würdest, es erstmal Aussage gegen Aussage stehen würde. Wir müssten den Mann also auf frischer Tat ertappen. Ich wüsste da auch schon eine Möglichkeit, aber diese kommt nicht in Frage. Das lasse ich nicht zu!“, sagte Thomas bestimmt. Cloud sah seinen Vater an. „Bitte, ich will, das dieser Albtraum endlich ein Ende hat. Ich möchte endlich wissen, warum diese Rezeptionistin in der Rezeption gearbeitet hat, obwohl sie einen Abschluss in einer Zaubererschule hatte und warum der Mann sie umgebracht hat. Ich möchte auch wissen, warum meine leiblichen Eltern für die dunkle Seite gearbeitet haben und sie am Schluss ermordet wurden. Verstehst du das? Ich möchte Antworten!“, sagte Cloud und sah seinen Vater flehend an. Thomas seufzte und nickte. „Ich verstehe, dass du Antworten willst. Ich werde dir diese Antworten besorgen, aber ich habe den dunklen Verdacht, das die Wahrheit hinter den Antworten grausamer ist, als du es dir vorstellen kannst. Wenn du bereit bist, das zu ertragen, dann können wir weiter gehen und die Antworten suchen!“, sagte Thomas und sah hinab auf seinen Sohn. Cloud schluckte. Aber er hatte einen Entschluss gefasst. „Ich bin bereit für die Wahrheit, egal, wie sie auch aussehen mag!“, sagte Cloud und schloss die Hände jeweils zur Faust. Ende des 32. Kapitels Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)