Glue The Heart von chenyu ================================================================================ Kapitel 13: Nach dem Sturm -------------------------- Das war doch wirklich nicht zu fassen, wie konnte man nur so ruhig und gerissen bleiben? Ich weiß selbst, dass ich gestern einen Fehler gemacht habe indem ich Ian meine ganzen Gefühle entgegen geschleudert habe. Aber wieso hat er mich nicht weggeschickt? Ich war mir so sicher, er würde es tun. Stattdessen dieses Gespräch, sein ruhiger berechnender Blick und am Schluss auch noch Verständnis für mich? Ich verstehe das nicht. Wie kann er nur so reagieren? Wie kann ihm das alles egal sein, was ich ihm an den Kopf geworfen habe? Das ist nicht gut, ganz und gar nicht gut. Wann habe ich angefangen nach seiner Pfeife zu tanzen? Wann hat er begonnen mich zu manipulieren und meine Gefühle zu beeinflussen? Ich muss hier raus. Das habe ich mir gedacht, als es mir das erste Mal auffiel und ich nicht wollte, dass es schlimmer wird. Aber jetzt geht das nicht mehr, denn jetzt sitze ich hier fest bei ihm, Ian, der mich so wunderbar um den Finger wickeln kann, dass ich nicht mehr weiß was ich tun soll. Mein Kopf ist so voll mit allem, was er mir anvertraut hat und es fällt mir schwer, mich selbst denken zu hören. Dort drüben in der Ecke liegt immer noch das Foto von Daniel, mittlerweile ist es schon hell genug, dass ich es von meiner Matratze aus sehen kann. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund kann ich nicht aufhören, es anzustarren, oder meine Gedanken abstellen. Er will Sex. Fast muss ich dabei grinsen, als es mir wieder einfällt, aber eigentlich ist das nichts, weshalb ich mich geschmeichelt fühlen sollte, weil er das ja nur will, weil ich Daniels Bruder bin. Vermutlich mag er mich noch nicht mal und er spielt nur mit mir, aus Rache oder Langeweile. Ich seufze leise, als ich mir das gestrige Gespräch erneut durch den Kopf gehen lasse. Als hätte ich das in den letzten paar Stunden nicht schon unzählige Male getan. Vielleicht sollte ich aufhören so viel darüber nachzudenken, ich komme damit doch ohnehin nicht weiter. Stattdessen sollte ich die Sache völlig rational betrachten. Das da drüben in dem Bett ist Ian, er ist der Exfreund meines Halbbruders und körperlich an mir interessiert. Aber außerdem hat er mich auch bei sich aufgenommen und ist der wohl verständnisvollste Mensch den ich kenne, was damit zusammenhängen könnte, dass er körperlich an mir interessiert ist. … Dabei sollte ich aber auch nicht vergessen, dass er Dinge über mich weiß, die niemand wissen sollte, was bedeutet, er hat eine gute Grundlage, mich zu erpressen. Mist, so gesehen klingt das alles doch nicht so positiv. Es könnte ein Fehler sein, ihm zu vertrauen, aber momentan ist er nun mal der Einzige, dem ich mich anvertrauen kann. Wieso habe ich nur schon wieder das Gefühl, nicht klar denken zu können? Ich dreh mich ein Stück, um zum Bett hoch sehen zu können, dabei kann ich Ians verwuschelten Hinterkopf erkennen, wie er aus der Decke herausragt. Die Vorstellung, dass er mir schaden wollen könnte, kommt mir bei diesem Anblick so lächerlich vor. Was ist diese Sehnsucht in mir? Ich verstehe es nicht, es tut innerlich weh. Bei Nick war es nie so, bei Nick wusste ich, welche Rolle ich einzunehmen hatte, bei ihm konnte ich jederzeit zu ihm unter die Decke kriechen und er hat mich nicht belogen. Natürlich hat er das nicht, immerhin war ich die Lüge und seine Frau die Betrogene. Ian ist anders, in jeder Hinsicht. Alles was ich über ihn zu wissen glaubte waren Illusionen und als er sie zerstörte, wurde er zu einem Fremden für mich. Ob ich deshalb enttäuscht bin? Nein, eigentlich nicht, ich bin viel mehr geschockt von seinen Worten und seinen Erklärungen. Aber der Ian, der mich bei sich aufgenommen hat und den ich kennengelernt habe, der war doch nicht falsch, oder? Das kann doch gar nicht sein, niemand kann sich derart verstellen. Oder war das doch alles nur gespielt? Jetzt bin ich schon wieder so verwirrt wie vorher und meine Gedanken drehen sich so stark im Kreis, dass mir schon beinahe schlecht davon wird. Dann passiert etwas Unvorhergesehenes. Ian dreht sich um und nicht nur das, seine Augen sind dabei geöffnet und starren direkt in die meinen. Ich kann spüren wie meine Kehle trocken wird und ich deshalb schlucken muss, aber dennoch sagt keiner von uns ein Wort. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der wir beide einfach so reglos dagelegen haben. Das Merkwürdige daran ist, dass es mich beruhigt, ihn anzusehen. Meine wirren Gedanken glätten sich und ich fühle mich wohl. Das liegt an ihm, das weiß ich. Schließlich öffne ich meine Lippen. Dabei kann ich spüren wie trocken sie sind, also lecke ich kurz darüber, ehe ich zu sprechen ansetze. »Ich will ihn kennenlernen, Daniel, meine ich.« Ich weiß selbst nicht genau, wie ich zu diesem Entschluss gekommen bin, er war einfach da, oder vielleicht hat er sich mir eingeschlichen, als ich dessen Foto betrachtet habe, ohne wirklich an ihn zu denken? Ich weiß es nicht, aber ich spüre, dass ich etwas ändern muss und wenn ich mir auch bei Ian nicht sicher bin, so kann ich doch zumindest bei Daniel anfangen. Immerhin hasst er mich doch bestimmt und da werde ich auch nicht enttäuscht sein, wenn wir uns schlussendlich noch weiter hassen, oder? Also ist es eine Situation in der ich nichts zu verlieren habe. Das versuche ich mir zumindest einzureden, um eine rationale Basis für meine Entscheidung zu haben. Rational oder nicht, Ian scheint damit jedenfalls nicht allzu glücklich zu sein, denn er regt keine Miene. Dafür schweigt er immer noch. Was das Ganze auch nicht gerade besser macht. Ich stelle mir vor, dass in seinem Kopf jetzt mehrere Zahnräder losrattern müssen und ihm kleiner Dampf aus den Ohren quillt, weil ich einfach nicht glauben kann, dass Daniel ihn so kalt lässt. «Ich weiß wo er wohnt» erwidert er schließlich und ich ringe mir ein Lächeln ab. »Bringst du mich zu ihm?« Wieder schweigt er und wendet sich diesmal ab. Die Vorstellung muss ihm zuwider sein, aber ich starre immer noch auf seinen Hinterkopf und warte die Antwort ab. «Das muss ich ja fast.» kommt es schließlich geflüstert. »Danke.« Ich weiß, dass es ihn viel Überwindung kostet, ihn aufzusuchen, aber für mich wird er es tun. Wann bin ich mir der Sache so sicher geworden? Habe ich nicht eben noch an Ian gezweifelt? Vielleicht habe ich aber auch nicht an ihm gezweifelt, sondern an meinen Entscheidungsfähigkeiten? Denn ganz ehrlich, das mit Nick war eine blöde, nein, eine miserable, nein eine abgrundtief moralisch verwerfliche, ins Unglück führende, bescheuerte und auch blamable Entscheidung, die ich damals getroffen habe. Und irgendwie habe ich immer noch Angst vor den Konsequenzen, die deshalb auf mich lauern könnten. Nach dem Frühstück mustert mich Ian ernst, aber weil ich meinen Gedanken nachgehangen habe, bemerke ich es vermutlich erst viel zu spät. »Ist was?« frage ich vorsichtig. «Du solltest bei dir zuhause anrufen, es wird langsam Zeit, dass du...» Mehr höre ich nicht mehr, denn ich bin zu abgelenkt von der inneren Unruhe, die sich bei diesen Worten in mir ausgebreitet hat. Er will mich loswerden. Jetzt will er mich wirklich loswerden. Weil ich Daniel erwähnt habe, weil ich zu ihm will und weil er mitkommen soll. Ich habe ihn in eine Ecke gedrängt und jetzt muss er mich beseitigen. «Finn? Hey Finn, hörst du mir eigentlich zu?!» Er ist lauter geworden und hat mich damit in die Realität zurückgerufen. »Hä?« antwortet der geistreicher Philosoph in mir. Ich blinzle kurz um mich an Ians letzte Worte zu erinnern. »Ähm, ja, habe ich.. ich soll daheim anrufen..« murmle ich verstört und ernte dabei ein Seufzen. «Ich bin sicher, deine Eltern machen sich Sorgen.» »Hmm... ja, bestimmt..« Ich war davon absolut nicht überzeugt und offensichtlich konnte man mir das anhören. «Finn, das ist wichtig, du kannst nicht ewig hier bleiben.» Da war es. Ich soll gehen, er will mich loswerden! Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und ich sehe flehend zu Ian hoch. »Habe ich etwas getan..?« setze ich an. Aber ja, natürlich habe ich etwas getan, das er nicht wollte. Ich habe ihn abgewiesen, an seine Vergangenheit erinnert und will ihn jetzt auch noch damit konfrontieren. Meine Schneidezähne zermartern meine Unterlippe unbarmherzig. Ich Idiot, ich hätte es wissen sollen, was habe ich auch erwartet? Dass er freudestrahlend mit mir zu seinem Ex spaziert und wir einträchtig eine Tasse Tee zusammen trinken? «Finn?» Und dann lache ich, nicht fröhlich, sondern verzweifel. Und irgendwie weiß ich auch gar nicht mehr, wie ich damit aufhören soll. Alles, was ich weiß, ist, dass ich jetzt nicht weinen darf, auch wenn mir danach zu mute ist. Mit einem mal verstumme ich wieder und die Stille drückt unangenehm gegen mein Trommelfell. Was soll ich sagen? Soll ich mich entschuldigen? Ich hätte mich sofort für alles entschuldigt, das ich ihm je angetan habe und zukünftig antun könnte, aber ich brachte nur ein »Bitte, schick mich nicht zurück.« heraus. Meine Angst war zu groß, verstoßen zu werden. »Ich will bleiben.« flüstere ich. «...» Wieso sagt er denn nichts? Es ist lange still und nichts rührt sich, ehe ich höre wie Ians Stuhl über den Boden kratzt, als er zurückgeschoben wird. Schritte, und schließlich legt sich eine Hand auf meine Schulter. «Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Ich schicke dich nirgendwo hin. Wenn du mir vorher zugehört hättest, wüsstest du das.» Eine zweite Hand legt sich auf meinen Hinterkopf und zieht diesen an Ians Oberkörper. Er fühlt sich warm und beruhigend an und seine Finger graben sich in meine Haare und beginnen mich zärtlich zu streicheln. «Aber, du hast gesagt...» entgegne ich. »... dass es besser wäre, mit deinen Eltern Frieden zu schließen, weil es immerhin deine Eltern sind und weil dich die derzeitige Situation unglücklich macht. Außerdem komme ich mir wie ein Kidnapper vor, wenn niemand von deinen Verwandten weiß, dass du hier bist.« Ahh, richtig, so war das, Ian würde mir nie wehtun, er passt auf mich auf, nimmt mich in Schutz und treibt mich an. Ich kann nicht anders als zu lächeln und mich mehr an ihn zu schmiegen. Selbst als Ian erste Anstalten macht, sich wieder von mir zu lösen, halte ich ihn fest. «Noch nicht.» murmle ich nur und ernte ein amüsiertes Glucksen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, du stehst auf mich.« Dieser Macho, was bildet er sich nur immer ein? Aber immerhin hat er mich wieder zum Grinsen gebracht. «Idiot.» entgegne ich also auf diese schwere Anschuldigung. »Charmant wie eh und je.« «Das muss dein Einfluss sein.» kontere ich. «Danke.» »Sag das nicht immer, du machst mich verlegen, so toll bin ich nämlich gar nicht« «Da hast du recht.» »Hey!« Ich muss lachen, war mir wirklich eben noch zum Heulen zu mute? «Finn?» Ians Stimmung hat sich geändert, seine Stimme ist jetzt ruhiger und vibriert verführerisch, als er meinen Namen ausspricht, also höre ich auf zu lachen und sehe fragend hoch. »Ian?« Seine Mundwinkel zucken kurz, als hätte ich etwas komisches gemacht. Dann gleiten seine Fingerspitzen sanft über meine Wangen. «Ich glaube, du hast keine Ahnung wie großartig du bist.» Ich schnaube. »Ich dachte, jetzt kommt was Wichtiges, aber in Wirklichkeit verarscht du mich bloß.« «Siehst du? Ich wusste es.» Seine Stimme ist samtweich und ich will noch mehr davon hören, auch wenn es nur Blödsinn ist, oder etwas über das Wetter. »Aber...« setze ich also mal an und überlege dann noch, was ich weiter sagen soll, um ihn aus der Reserve zu locken, ehe ich promt enttäuscht werde, da Ian nur mit einem Schhh~ antwortet. Noch ehe ich deswegen eine beleidigte Miene aufsetzen kann, verschwindet die Enttäuschung, wird umschmeichelt, liebkost und aufgesaugt von Ians Lippen. Oh Gott! Ich bin im Himmel, für ganze zweieinhalb Sekunden, dann löst er sich wieder von mir. »Mistkerl.« flüstere ich. «Sorry, ich konnte mich gerade nicht zurückhalten und du hast..» Schon habe ich ihn an mich herangezogen und seine Worte, für die ich Sekunden zuvor noch einen Mord begangen hätte, nun meinerseits mit einem Kuss zum verstummen gebracht. Aber ich werde weggedrückt. «Aber, ich dachte...?» Er klingt so unheimlich verwirrt, aber ich kann nur daran denken, wie niedlich das ist. »Lass mich dich doch einfach küssen.« beschwere ich mich dann aber, weil der Kuss nun schon zum zweiten Mal gelöst wurde. Einen kurzen Moment scheint er nur noch verwirrter, dann ergreife ich jedoch wieder die Initiative und erinnere ihn daran, dass es jetzt wichtigeres gibt, als verwirrt zu sein. Seine feurige Erwiderung lässt mich darauf schließen, dass es mir gelungen ist. Er zieht mich vom Stuhl hoch, seine Wärme legt sich mit seinen Armen um mich, breite Hände streichen über meinen Rücken und ich kann spüren, wie ich unter den Berührungen erschauere. Dieser Kuss war um so vieles anders, als der vorherige. Er war leidenschaftlich, feucht, verlangend und hat es irgendwie geschafft, dass ich für einen ungewissen Zeitraum meine Körperbeherrschung verloren habe. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr wie genau es dazu gekommen ist, dass ich halbnackt auf Ian unter dem Küchentisch zu liegen gekommen bin, aber ich kann spüren, dass ich bei der Erinnerung daran rot werde. Dabei hat alles doch nur mit einem Kuss angefangen und es wäre auch noch weiter gegangen, hätte ich mir nicht den Kopf an besagtem Küchentisch angeschlagen. »Au..« Von Ian kommt nur ein dreckiges Lachen. Woraufhin ich eine Schnute ziehe und mich zu beschweren beginne, über die Höhe des Tisches, über die harten Materialien, die für Tische verwendet werden und noch so einiges mehr. Aber Ian hat schon längst aufgehört mir zuzuhören, die harten Materialien waren wohl sein Stichwort, denn er wälzt sich mit mir ein Stück über den Küchenboden und küsst mich, als würde es kein Morgen mehr geben. «Der Tisch ist nicht das einzige harte hier.« stellt er fest, als er mir in den Schritt greift. »Macho.« Wieder lacht er. «Diesmal kommst du mir nicht davon.» verspricht er mit verheißungsvoller Stimme. Wieso sollte ich das auch wollen? Ich lächle also vergnügt und genieße das Kribbeln, das er mir mit seinen Küssen, die immer weiter südlich wandern, durch den Körper jagt. Dann höre ich ein Seufzen, ein wohliges, zufriedenes Seufzen und erkenne erst dann, dass es von mir kommt. Ich bin glücklich, gerade eben, weil er da ist. »Ian.« Er gibt ein zufriedenes Brummen von sich und denkt gar nicht daran seine Lippen von meiner Haut zu lösen. Meine Hand findet ihren Weg zu seinen Haaren und streicht sanft hindurch. »Musst du nicht in die Schule?« Jetzt sieht er doch auf. «Als ob mich das jetzt abhalten könnte.» Ich grinse zufrieden. »Ich weiß, aber du solltest gehen.« Jetzt hält er wirklich inne und mustert mich aus einer Mischung von Verständnislosigkeit und Betroffenheit. «War... es nicht... gut?« Ich kann nicht anders als loszuprusten bei diesen Worten. Es ist doch einfach zu komisch, finde ich. Dann beuge ich mich jedoch vor und lege meine Arme in Ians Nacken. »Es fühlt sich großartig an.« versichere ich ihm. »Aber es geht zu schnell.« Einen Moment lang mustere ich ihn, um zu sehen, ob er verstanden hat, ob er weiß, dass ich Zeit brauche, um das mit Nick zu verarbeiten und seine Geschichte. Meine Gefühle fahren Achterbahn und auch, wenn ich mir sicher bin, dass Ian mir wichtig ist und dass er mir nicht wehtun würde, wäre es ihm gegenüber unfair, sich jetzt in eine Beziehung zu stürzen. Falls das überhaupt der Fall wäre. Es gibt zu viel, das ich vorher noch zu klären habe. Trotzdem war er enttäuscht, natürlich war er das und auch ein wenig beleidigt, glaube ich. Ian hat kaum noch etwas gesagt. Vielleicht fühlt er sich verarscht, vielleicht fragt er sich auch, wie alles so schnell gehen konnte und vielleicht denkt er ebenfalls, dass es zu schnell war. Ich weiß es nicht und fragen kann ich ihn jetzt auch nicht mehr, weil er doch noch in die Schule gegangen ist und ich wieder mal allein zurückgeblieben bin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)