Why can't I just love? von o0_Hidan_0o ================================================================================ Kapitel 14: 14. Juni & 15. Juni ------------------------------- 14. Juni Ich habe es fast geschafft, morgen ist endlich Freitag. Nicht, dass das Wochenende entspannender wäre, schließlich bin ich da die ganze Zeit mit meiner Mutter zusammen, aber hey, auf irgendwas muss ich mich ja freuen. Und die Verabredung, auf die freue ich mich sicher nicht. Hoffentlich muss ich nicht nochmal mit Melanie ausgehen, das wäre ja schrecklich. Ich will meine Unschuld nicht an so eine Perverse verlieren. Moment, ist sie pervers? Bin ich nicht noch perverser, weil ich nicht weiß, auf welches Geschlecht ich stehe und trotzdem mit so vielen Frauen ausgehe? Na gut, ich mache das ja nicht freiwillig. Würde ich glaube ich auch gar nicht, Frauen sind ungeheuer anstrengend. Männer aber auch. Ach, was weiß ich. Vielleicht bin ich ja asexuell. Also gar nicht interessiert an Liebe und diesem ganzen Kram. Genau, dass muss es sein... Ha, und schon sind all meine Probleme gelöst! Ich kann gar nicht auf Frauen stehen, weil es in meinen Genen so festgelegt ist! Und schwul bin ich auch nicht – wie gefällt dir das, kleines nerviges Stimmchen?! Ach, was mache ich mir vor. Ich bin nicht asexuell. Ich heule bei Liebesfilmen, ich will umarmt werden, ich werde neidisch, wenn ich ein glückliches Paar sehe, ich will einfach lieben und geliebt werden. Ist das Geschlecht dabei nicht völlig egal? 15. Juni Und ich musste doch wieder mit Melanie ausgehen. Meine Mutter meinte, sie wäre ›ein guter Umgang für mich‹. Ha, wenn die wüsste! Diesmal sind wir ins Kino gegangen. Natürlich liefen heute nur Liebesfilme … und ein Horrorfilm. Ich hätte vielleicht total euphorisch vorschlagen sollen, dass wir den gucken, aber ich habe Angst vor Horrorfilmen. Lacht nicht, es gibt auch andere Jungs, die Angst vor sowas haben und trotzdem nicht schwul sind! (Glaube ich zumindest...) Also mussten wir uns einen Liebesfilm angucken und ich wusste nicht, wovor ich mich mehr fürchten sollte: dem Moment, in dem sich die beiden Hauptdarsteller küssen und Melanie sich inspiriert fühlt, oder dem Moment, in dem es romantisch wird und ich anfange, zu heulen. Ich weiß, ich weiß. Ich werde mich jetzt nicht vor dir rechtfertigen, Tagebuch. Ich und Melanie betraten den Kinosaal. Die Lichter waren noch eingeschaltet und egal wohin ich sah, überall saßen nur Paare. Melanie bestand darauf, in der letzten Reihe zu sitzen und so namen wir neben zwei Männern Platz, nach diesen beiden wechselten sich die Geschlechter ab. Mann, Frau, Mann, Frau und so weiter. Alles Paare, wie ich bereits sagte. Der arme Kerl, dachte ich noch, ob seine Freundin ihn versetzt hat? Melanie und ich saßen schweigend nebeneinander. Bis jetzt konnte ich zum Glück jeden Körperkontakt vermeiden, aber für die Kussszene brauchte ich einen Plan. Doch so sehr ich auch überlegte, mir fiel einfach nichts ein. Auf einmal legte der Mann neben mir dem anderen Mann seinen Arm um die Schulter und sie küssten sich. Geschockt starrte ich die beiden an. Das mit dem Plan konnte ich vergessen, meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Paar neben mir. »Eklig, oder?«, flüsterte Melanie neben mir. Man, diese Zicke! Ich war zu geschockt, um etwas zu sagen, ich guckte nur blöd aus der Wäsche. Das hatte ich nicht erwartet. Sie steht auf Metrosexuelle, aber hasst Schwule, oder wie jetzt? Und ihr wundert euch noch, dass ich Frauen nicht verstehe? »Also, hör mal...«, fing ich an, »Du...das...äh...« Doch bevor ich ihr gehörig die Meinung sagen konnte, wurde es dunkel und der Film fing an. Vielleicht besser so, sonst hätte sie noch angefangen zu weinen, weil ich so hart und skrupellos bin, und ich wäre der Böse gewesen. Naja, okay, wahrscheinlich wäre ich am Ende der gewesen, der heult, aber man kann ja mal träumen. Melanie schnappte sich meinen Arm, bevor ich reagieren konnte, und drückte sich an mich. Die ersten Minuten des Films vergingen sehr schleichend, da es der ganz typische Anfang einer Schnulze war, und während ich langsam Platzangst bekam, schielte ich immer wieder zu den beiden Männern neben mir rüber. Irgendwie bewunderte ich die beiden. Sie schämten sich nicht für das, was sie waren und zeigten sich einfach so in der Öffentlichkeit. Ich weiß nicht, ob ich das tun würde, wenn ich schwul wäre. Was ich selbstverständlich nicht bin. Ich doch nicht! Die Handlung des Films war recht einfach. Eine hübsche Frau, die Pech mit Männern hat, zumindest in Beziehungen. Ihr bester Freund, von dem sie natürlich nichts will, ist nämlich schon – wer hätte das erwartet – seit langer Zeit in sie verliebt, hat aber Angst, die Freundschaft zu gefährden. Man, was für eine neue, einzigartige Idee. Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin. Und obwohl es total klar war, dass die beiden am Ende zusammenkommen, krallte Melanie sich so fest, dass ich Angst hatte, meinen Arm auch nur einen Millimeter zu bewegen, weil mir sonst wahrscheinlich die Haut abgerissen worden wäre. Ein Glück, dass wir nicht in den Horrorfilm gegangen sind! Das Finale rückte immer näher und langsam bekam ich Panik. »Warte, Eva, geh nicht!«, rief der beste Freund im Film. »Aber, John, ich muss...«, weinte Eva. Ich schluckte. »Eva, ich wollte dir schon lange sagen: Ich...« »Ich muss mal auf's Klo!«, rief ich und rannte aus dem Saal. Brilliant, ich weiß. Aber hey, ich konnte entkommen. Und auf Toilette musste ich sowieso. Nun musste ich mich nur so lange irgendwie beschäftigen, bis der Kitsch vorbei war. Woah, das klang pervers. Nicht so beschäftigen! Einfach nur hin- und herlaufen oder so lange die Hände waschen, bis vier Hautschichten ab sind, oder sowas in der Art. Nicht das andere. Urgh. Wie auch immer, ich saß also auf der Toilette. Einzelheiten erspare ich euch mal. Und auf einmal hörte ich mehrere weibliche Stimmen. Ich wunderte mich, ob sie sich in der Toilette geirrt hatten und beschloß, erst dann rauszugehen, wenn die Frauen gegangen waren. Musste ja schließlich nicht sein. Doch nach einer Weile, nachdem die Frauen gegangen waren, hörte ich jemanden mit Stöckelschuhen die Toilette betreten. Okay, keine Panik, dass muss nichts heißen, redete ich mir ein. Doch als die Person mit einer anderen sprach, musste ich feststellen, dass es doch eine Frau war. Es war also doch der richtige Zeitpunkt für Panik: Ich war auf der Frauentoilette. Mein schlimmster Albtraum war Wirklichkeit geworden. Wie zur Hölle sollte ich da wieder raus? Naja, ich musste positiv denken: Ich war nicht gezwungen, Melanie zu küssen. Yay, anstatt mit einem gutaussehenden Mädchen rumzumachen, durfte ich auf der Frauentoilette gefangen sein. Was für ein Glückspilz ich doch bin! Angestreng lauschte ich. Es war niemand zu hören. Diese Gelegenheit musste ich nutzen – aber wie? Sollte ich mich langsam voranschleichen, mich hinter dem Mülleimer verstecken, mit einem Hechtsprung aus dem Versteck stürzen, die Tür eintreten und abhauen wie James Bond? Oder vielleicht doch einfach nur schreiend wegrennen? Während ich noch überlegte, wie ich aus diesem Raum entkommen könnte, vibrierte auf einmal etwas in meiner Hose und ich schrie laut auf. Dann wurde mir klar, dass mein Handy nur geklingelt hatte. War nur so eine SMS von meinem Anbieter, die immer dann kommen, wenn man sie gerade gar nicht gebrauchen kann, mitten im Unterricht zum Beispiel. Aber in dem Moment war ich doch dankbar – mein Handy, das hatte ich ja ganz vergessen! Ich konnte Hilfe rufen! Nur wen? Meine Mutter? Nee, lass mal stecken. Hm, andere Nummern habe ich eigentlich gar nicht. Irgendwie deprimierend. Oh, ich habe ja noch die Auskunft eingespeichert!, bemerkte ich. Besser als nichts. Schnell wählte ich die Nummer. »Guten Tag, Sie sind verbunden mit Sonja Müller, wie kann ich Ihnen helfen?« »Ähm, hallo, mein Name ist Tobias Gerst«, stammelte ich nervös. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Es regte mich etwas auf, dass sie mich weiter siezte, obwohl ich offensichtlich noch nicht volljährig war. Und ich hätte lieber einen Mann am Telefon gehabt. Okay, mit diesem Satz habe ich ein Eigentor geschossen. Mit Männern kann man sich einfach lockerer unterhalten, nichts weiter! »Naja«, fing ich zögernd an, »ich bin auf der Frauentoilette.« Ein paar Sekunden folgte Stille. »Und?«, fragte die Frau schließlich. »Ähm, ich würde gerne raus«, erklärte ich. »Ach, klemmt die Tür oder wie?« »Nein«, sagte ich ein bisschen genervt, »ich will einfach nur hier raus. Aus der Frauentoilette.« »Wenn die Tür nicht blockiert ist, können Sie das doch«, sagte die Frau verwirrt. »Ich bin männlich, gute Frau. Ich kann hier nicht einfach herausstolzieren.« Die Frau seufzte einmal genervt und meinte dann: »Ich verbinde Sie mit einem Kollegen.« »Hallo, Sie sprechen mit Joachim Krause, was kann ich für Sie tun?« »Mein Name ist Tobias Gerst und ich bin auf der Frauentoilette«, erklärte ich kurz. »Ah, ich verstehe. Mein Beileid. Wie Sie dort gelandet sind, wollen sie wohl nicht erzählen?« »Lieber nicht«, stimmte ich zu. »Es ist das beste, wenn Sie erstmal abwarten. Wenn sie nur eine Person hören, bleiben Sie, wo Sie sind. Es könnte eine andere Frau vor der Toilettentür warten.« Ich nickte. Frauen gehen eigentlich nie allein auf die Toilette. »Hören Sie zwei oder mehr Personen, warten Sie, bis die Türen verriegelt wurden. Dann können Sie gehen, Frauen brauchen meist mehrere Minuten auf der Toilette. Doch schauen sie erst nach, ob eine Frau vor dem Spiegel steht und vielleicht nur ihren Lippenstift nachzieht oder so etwas. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« »Ich danke Ihnen, Sie sind ein weiser Mann«, sagte ich voller Bewunderung. »Nein, ich habe nur die Erfahrung«, seufzte er und legte auf. Ich lauschte. Nach ein paar Sekunden hörte ich drei Personen die Toilette betreten und nach kurzer Zeit auch drei Türen zufallen. Ich linste unter meiner Tür hindurch. Nichts, nur Fliesen. Ich atmete tief durch und öffnete vorsichtig meine Tür. Es war wirklich keine Frau da. Erleichtert seufzte ich. Flink ging ich durch den Raum, doch auf einmal hörte ich eine Toilettenspülung, also beschleunigte ich meinen Gang und rannte so schnell ich konnte zur Tür. Ohne Rücksicht auf Verluste schmiss ich mich dagegen und flog fast aus der Frauentoilette, in die Freiheit. Ich unterdrückte einen Siegesschrei und lehnte mich erschöpft gegen die Wand. Als ich nach oben schaute, sah ich auf einmal einen Mann neben mir, der mich zu allem Überfluss auch noch dämlich angrinste. Ich wollte irgendeinen coolen Kommentar loslassen – doch stattdessen öffnete ich meinen Mund und guckte wie ein Auto. Ja, man kann wie ein Auto gucken. Es ist so ziemlich der am dämlichsten aussehende Blick, den man machen kann. Wie auch immer. Der Mann kam mir sehr bekannt vor. »Sie...Sie sind doch...!« Ich wusste, ich kannte ihn, aber mir fiel einfach nicht ein, woher. »Ich bin der schwule Sitznachbar«, klärte er mich auf. »Oh, ähm, entschuldigen Sie, dass ich so...gestarrt habe«, stammelte ich. Es war einfach nur eine furchtbar peinliche Situation. Er lachte. »Das muss dir nicht leid tun. Um ehrlich zu sein, ich und mein Freund haben auch oft zu dir rübergeguckt.« »W-Wieso?« Ich ahnte schreckliches. »Du sahst nicht sehr glücklich aus mit dem Mädchen. Sie ist doch nicht deine Freundin, oder?« »Ach Gottchen, nein!«, rief ich. Der Mann grinste mich an. Ich wette, sein Schwulenradar hatte mich schon längt geortet. Ich habe mir das eigentlich immer so vorgestellt, dass ein Schwuler sofort weiß, ob sein Gegenüber schwul ist. Und ich als Klischee-Schwuchtel fiel sicher sofort auf. Ich wollte das Missverständnis schnell aufklären. »Ich, ähm, bin nicht...sie wissen schon...« »Schwul?«, fragte er, als hätte er mich gerade nach der Uhrzeit gefragt. Wie kann er das nur so locker sagen, als wäre es das natürlichste auf der Welt? Naja, okay, das war es für ihn wahrscheinlich. »Junge«, fing der Mann an, »ich war früher genau so wie du. Ich habe immer versucht, mir zu beweisen, dass ich nicht schwul bin und mir eine Freundin nach der anderen angelacht. Aber als ich dann Matthias getroffen habe...« Er hielt kurz inne und lächelte. Man merkte, dass er wirklich verliebt war. »...da wusste ich erst, was wirklich Liebe ist. Und so hilflos, wie du neben dem Mädchen ausgesehen hast, willst du von ihr ganz bestimmt nichts. Denk mal drüber nach.« Mit diesen Worten ging er. Was er gesagt hat, hat sich wirklich in mein Gehirn gebrannt. Was, wenn er Recht hat? Was, wenn ich wirklich schwul bin? Ich bin total verwirrt. Vielleicht muss ich einfach nur warten, bis die Richtige kommt. Oder der Richtige. Ist ja eigentlich auch egal. Achja, Melanie hat sich bisher nicht gemeldet. Ihr ahnt es vielleicht schon. Ich war so in Gedanken, dass ich sie total vergessen hatte und einfach aus dem Kino ging und mit dem Bus nach Hause fuhr. Hoffentlich verzeiht sie mir das nie und lässt mich in Ruhe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)