Why can't I just love? von o0_Hidan_0o ================================================================================ Kapitel 30: 23. Juli -------------------- Einen ganzen Tag lang herumzusitzen, eine Eispackung nach der anderen zu essen, und in Stoßbächen Tränen zu vergießen, ist für mich ja irgendwie schon normal geworden, wenn ich ein schlimmes Erlebnis hatte. Doch dieses Mal läuft alles ganz anders ab: Ich esse nicht. Ich weine nicht. Ich hocke nicht einmal tatenlos herum. Im Gegenteil, ich bin eigentlich sogar richtig produktiv. Irgendwann, so um vier Uhr morgens, hörten einfach die Tränen auf und neuer Mut durchflutete meinen Körper. Es ist gerade neun Uhr, und ich habe schon mein Zimmer aufgeräumt, meine Kleidung nach Farben sortiert (und dabei entdeckt, dass mein Pink-Anteil gar nicht so ausgeprägt ist, wie erwartet), die Bücher und Filme nach Alphabet angeordnet und das Frühstück vorbereitet. Und jetzt sitze ich hier auf dem Sofa, warte darauf, dass mein Vater wach wird und bin schon ein bisschen stolz auf mich. Ich habe mich nicht von meiner unglücklichen Liebe unterkriegen lassen und aus meinen negativen Gefühlen das Beste herausgeholt! Ich höre gerade ein paar Fußschritte von oben. Mein Vater scheint aufgewacht zu sein. Mal schauen, ob heute noch etwas Besonderes passiert.   Später   Mein Leben ist eine Lüge. Jeder Tag, in den ich hinein lebe, ist auf einer Lüge augebaut. Am Ende stelle ich immer wieder fest, dass der erste Gedanke, den ich gefasst habe, eine komplette Fehleinschätzung war. Erst denke ich, Aksel erwidert meine Gefühle, dann merke ich, dass er nichts als Verachtung fühlt. Dass er mit meinem Herzen umgeht, als wäre es ein billiges Spielzeug, ohne auch nur kurz an die Konsequenzen zu denken. Um die Narben, die er hinterlässt, kümmere ich mich allein, da hat er wieder eine andere Beschäftigung gefunden. Das alles war eine philosophischere Umschreibung dafür, was ich eigentlich sagen möchte: Mir geht es beschissen. Aber das klingt nicht so ästhetisch, dachte ich mir. Verdrängung scheint doch nicht der richtige Weg für mich zu sein. Wenigstens war David, mein bester (und einziger) Freund, bei mir, als diese Erkenntnis mich überkam. Nun, genau genommen hat er sie ausgelöst. Ich saß auf dem Sofa, noch immer von meinem neu gewonnenen Lebensmut erfüllt. Wippte mit meinen Füßen, nicht wissend, wohin mit der ganzen Energie, und suchte nach irgendeiner Aufgabe. Aus der Küche hörte ich, wie mein Vater einige Schubladen öffnete und wieder schloss. Nach einer Weile kam er in das Wohnzimmer, sich verwirrt am Kopf kratzend. In seiner anderen Hand hielt er einen Teller, auf dem eine Scheibe trockenes Brot lag. »Weißt du, wo die Messer sind, Tobias?«, fragte er. »Ich habe in der Schublade neben dem Kühlschrank geguckt, aber da sind sie nicht. Hast du umgeräumt oder so?« Ich nickte eifrig. »Ich dachte, unsere Küche ist ziemlich unübersichtlich, deswegen habe ich alles umsortiert, in alphabetischer Reihenfolge. Die Messer sind jetzt in der Schublade der Theke, auf der der Mixer steht«, erklärte ich mit einem stolzen Lächeln. Mein Vater betrachtete mich für einige Sekunden mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Skepsis. Schließlich seufzte er und setzte sich neben mich auf das Sofa. Nachdem er seinen Teller abgestellt hatte, positionierte er sich so, dass wir uns direkt gegenüber saßen, und schaute mich schweigend an. In seinem Blick konnte ich Mitleid und Trauer erkennen, aber auch eine Spur Belustigung. Ich hatte keine Ahnung, was er nun zu mir sagen würde. »Tobias«, fing er an. So beginnen Eltern fast immer, indem sie zuerst den Namen nennen. Vielleicht erwarten sie dadurch, die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Kindes zu bekommen, was nicht unbedingt immer funktioniert. Gefährlich wird es erst, wenn man mit seinem vollen Namen gerufen wird. Ich blinzelte ein-, zweimal, und schaute meinen Vater mit erwartungsvollem Blick an, um ihm zu signalisieren, dass ich zuhörte. »Du kannst deine Probleme nicht einfach beiseite schieben und so tun, als gäbe es sie gar nicht. Verdrängung bringt dich nicht weiter.« Ich schnaubte verächtlich. »Was heißt hier ›verdrängen‹? Ich habe mit meinen Problemen abgeschlossen!« Der Blick meines Vaters verlor jedes Anzeichen von Belustigung, seine Stimme klang sehr melancholisch, als er sagte: »Probleme sind vergleichbar mit einem Haufen Schmutz. Du kannst diesen Schmutz nun entweder nehmen und ihn zur Mülltonne tragen, oder du entscheidest dich für die bequemere Variante und kehrst ihn unter den Teppich. Dann ist er zwar oberflächlich nicht zu sehen, doch tief im Inneren weißt du, dass er noch da ist. Spätenstens, wenn du über die Wölbung des Teppichs stolperst.« Genervt von dem Gefühl, dass mein Vater mit mir redete, als wäre ich ein kleines Kind, rollte ich mit den Augen und erwiderte gereizt: »Ich habe nichts ›unter den Teppich gekehrt‹. Meine Probleme sind gelöst und damit basta.« »Also hast du dich mit Aksel ausgesprochen und kannst ihm ohne Schwierigkeiten unter die Augen treten«, fragte mein Vater, formulierte es jedoch mehr wie eine Aussage, als eine Frage, da er sich der Antwort höchstwahrscheinlich schon bewusst war. Trotzdem zwang er mich, ihm diese selbst zu sagen. Ich wich seinem Blick aus. »Nein, mit ihm gesprochen habe ich nicht«, murmelte ich. »Aber trotzdem«, sagte ich und meine Stimme und mein Blick erhoben sich, »ich kann trotzdem ohne Schwie-« Der mehr als skeptische Blick meines Vaters ließ mich schweigen. Er sah mich an, als hätte ich ihm erzählt, ein Hund habe meine Hausaufgaben gefressen. Als wäre ich der größte, dümmste Lügner der Welt. Bevor wir unser Gespräch fortführen konnten, klingelte es an der Tür. Mir kam die Unterbrechung ganz gelegen, da mein neu gewonnenes Selbstwertgefühl mehr und mehr den Bach herunter ging. Und das Dank meines eigenen Vaters. Nachdem ich die Haustür geöffnet hatte, sah ich David auf der Fußmatte stehen. Ich hatte nicht einmal Zeit für ein Wort der Begrüßung, da hatte David schon meine Hände gepackt und rief den Tränen nahe: »Tobi, oh mein Gott, es tut mir so Leid! Ich wusste nicht, dass so etwas passieren würde! Hätte ich das gewusst, dann hätte ich dich doch nie mit zu dieser blöden Party geschleppt! Es ist alles meine Schuld!« Seine Stimme beruhigte sich wieder etwas. »Das muss so unbeschreiblich schlimm für dich gewesen sein. Ich hätte nie so etwas von Aksel erwartet, dass er dich einfach… vor all diesen Leuten… oh Gott, Tobi, du musst doch am Boden zerstört sein. Wenn du reden willst, bin ich da, okay? Du kommst irgendwann darüber hinweg, auch wenn es hart sein wird!« Nach Davids Vortrag war ich einfach nur überrumpelt. Sekunde für Sekunde verarbeitete ich das eben gesagte, während die Erlebnisse des Abends vor meinem inneren Auge noch einmal wie ein Film abgespielt wurden. Der Kuss. Die anderen, die uns unterbrachen. Aksels Worte. »Echt lustig, wie schnell man die Schwuchtel rumkriegt. Ich war ein bisschen nett zu ihm und er wäre am liebsten mit mir ins Bett gehüpft.« Ich schluckte. Die Erinnerungen gingen weiter, ich konnte nichts dagegen tun, durchlebte praktisch den ganzen Albtraum noch einmal. »Man, Aksel, mach das nie wieder«, hatte Nico gesagt. »Nie im Leben«, hatte er ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet. Nie im Leben würde ich etwas mit der Schwuchtel anfangen. »Daaavid!«, heulte ich auf und fiel meinem besten Freund um den Hals. »Er ist so ein Arsch! E-erst küsst er mich und dann, und d-dann, als seine Fre-Freunde kommen, sagt er, ich hätte angefangen und haut ab! D-du hättest sehen sollen, w-wie die mich angeguckt haben. Als… als wäre ich der Inbegriff der Unmenschlichkeit! « Ich legte eine Pause ein, um meine Nase hochzuziehen, bevor ich neben all den Tränen, die ich auf David vergoss, jetzt auch noch auf seinen Rücken rotzte. »Wieso macht er das? Was ist so scheiße an mir, da-dass er mir das antun muss?« Mir fehlte die Kraft, weitere der Fragen an David zu stellen, die mich so quälten. Er würde sie sowieso nicht beantworten können. Nur Aksel allein konnte das. »Geht es euch gut?«, hörte ich meinen Vater fragen, der schon etwas beunruhigt klang. »Michael«, schniefte ich. »Ich brauche jetzt dringend ein Eis.«   »Weißt du, ich habe schon oft von Menschen gehört, die sich umgebracht haben, einfach weil sie ihre Probleme monatelang ignoriert haben. Als all die angestauten Gefühle herausbrachen, war es zu viel für sie und sie nahmen sich das Leben.« Ich lauschte Davids kurzem Monolog und aß einen weiteren Löffel Eiscreme. »Wow, und ich habe nicht einmal einen Tag durchgehalten, bis ich alles aus mir herausgeheult habe, wie ein kleines Mädchen. Sogar im depressiv sein bin ich eine Niete.« David konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. »Eigentlich wollte ich dir damit sagen, dass du das Richtige getan hast. Du hättest dich nur noch mehr kaputt gemacht.« Ich brummte nur als Antwort. Nachdem ich David erzählt hatte, was in mir vorging, fühlte ich mich schon nicht mehr ganz so beschissen. »Was hast du jetzt eigentlich vor?«, fragte er mich. Während ich überlegte, kaute ich ein bisschen auf meinem Plastiklöffel herum, beschloss dann aber, ihn wieder in das Eis zu tunken. »Naja, ich dachte, ich setze mich in irgendeiner fremden Stadt ab, ändere meinen Namen und vergesse diese schreckliche Blamage. Vielleicht kaufe ich mir eine von diesen Amnesie-Pillen, von denen Herr Wener einmal erzählt hat.« Daniel zog eine Augenbraue nach oben. Die Skepsis stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Wie war das mit dem Verdrängen?« Ich lachte unbelustigt. »Was soll ich denn sonst machen? Zu Aksel gehen, ihn fragen, warum er mir gegenüber so ein unsensibler Trottel ist und schließlich einen Friedensvertrag mit ihm und den Rest des Jahrgangs abschließen, oder was?« »So ungefähr hatte ich mir das eigentlich gedacht«, erwiderte David unbeeindruckt. Ich warf meinem besten Freund einen ›Willst-du-mich-verarschen‹-Blick zu, den er gekonnt ignorierte. »Vielleicht kann ich ihn ja mal ansprechen. Er scheint dir gegenüber irgendwie seine Gefühle zu unterdrücken.« Wären meine Gedanken zu dieser Aussage nicht so grausam gewesen, hätte ich laut losgelacht. »Er ›unterdrückt seine Gefühle‹? Oh nein, er lässt mich ganz genau wissen, wie er über mich denkt. Und genau das ist ja das Problem.« David schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass es das ist. Er versteckt sich hinter einer Fassade. Ich glaube, in Wirklichkeit mag er dich mehr, als er akzeptieren will.« Ich atmete tief durch, bevor ich anfing, zu reden. »Genau das hatte ich auch einmal angenommen. Aber das war, bevor Aksel mich vor all den Partygästen hat abblitzen lassen. Nein, das ist nicht der richtige Ausdruck. Ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll. Er hat mich geküsst – von sich aus – und dann, als seine Freunde gekommen sind, hat er gesagt, dass ich einfach rumzukriegen wäre. Dass ich mit ihm ›ins Bett gehüpft‹ wäre, wenn er danach gefragt hätte.« Ich spuckte die Worte förmlich aus, bemerkte dann aber Davids verletzten Gesichtsausdruck. »Tut mir Leid. Dich trifft keine Schuld, ich bin nur wütend auf Aksel.« David legte seine Hand auf meine. »Das ist auch völlig verständlich. Ich möchte nur, dass du dich nicht mehr von ihm unterkriegen lässt.« Ich verzog meinen Mund zu einem halben Lächeln. Selbstverständlich wollte ich mir nicht mehr auf meinen Gefühlen herumtrampeln lassen, aber ob diese Entschlossenheit sich nicht in Luft auflösen würde, sobald Aksel vor mir stand, bezweifelte ich doch. David streckte mir seine Hand entgegen. »Überlass das nur mir«, grinste er, »ich mach ihm die Hölle heiß, bis er endlich mal sagt, was Sache ist.« Ich seufzte und fand seine Idee noch immer sehr fragwürdig, nahm aber seine Hand. Somit war die Sache praktisch besiegelt. David würde Aksel in die Mangel nehmen. Ob das klappt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)