Tiefpunkt von Lyn ================================================================================ Kapitel 15: Amazing Grace ------------------------- Als die orange-gelben Strahlen der Morgensonne Ran sanft aus dem Schlaf streichelten, fasste sie sofort den Entschluss, den Tag draußen zu verbringen. Es kam ihr vor als hätte sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr die Sonne gesehen und nun drängte es sie, sich ihr mit ihrem ganzen Körper entgegenzustrecken. Genüsslich streckte Ran ihre Glieder und stand schwungvoll vom Bett auf. Den darauffolgenden Schwindelanfall konnte sie mit Leichtigkeit verkraften. In Windeseile machte sie sich fertig und bereitet ein kleines Frühstück für sich zu – sie machte es bewusst nur für sich, da ihr Vater mit hundertprozentiger Sicherheit nicht so schnell das Bett verlassen würde. Das nannte sie auch Alltag. Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, marschierte Ran drauf los. Allein die wohltuende Wärme des Sommers ließ ihr Herz schon höher schlagen und mehr brauchte sie im Moment auch nicht. Außer vielleicht…? Ihre Beine führten sie in vertraute Gegenden, die ein Teil ihrer Vergangenheit bildeten. Mit einer unwillkürlichen Nostalgie im Herzen ging sie Schritt für Schritt weiter und dachte über das Vergangene nach. Noch immer war sie erstaunt darüber, wie schnell ihre angeschlagene Seele geheilt werden konnte. Sie konnte fast nicht in Worte fassen wie dankbar sie dafür war und trotzdem gab es da eine Sache die Ran schlicht und einfach nicht verstand. Sie erkannte immer erst am Ende wie wichtig es war, seine Sorgen und seinen Schmerz mit jemandem zu teilen, schließlich beeinflusste das den gesamten Verlauf solch einer Phase. Doch aus irgendeinem Grund hielt sie es dann für eine Nichtigkeit und schwieg lieber. Shinichi hatte mit allen Mitteln versucht, sie zum Reden zu bringen, das wusste Ran und trotzdem war sie eisern geblieben. Ihr Gewissen war nun auch dementsprechend beladen und sie könnte sich dafür schlagen, dass sie diesem wunderbaren Menschen das Leben so schwer machte. Aber Shinichi hatte gesagt, sie sollte nicht mehr darüber nachdenken und darauf wollte sie hören. Sie vermisste ihn schon wieder. Wie schön es doch wäre, wenn er jetzt bei ihr wäre. Als die Anzahl der Betonklötze um sie herum allmählich zurückging, blieb Ran stehen und sah sich um. Irgendetwas war anders an diesem Ort… Ein sanfter Wind wehte durch ihre Haare und ließ das Gras, was neben dem ganzen Gehweg dieser und der gegenüberliegenden Seite wuchs, gleichmäßig hin und her tanzen. Dazwischen befand sich ein kleiner Fluss, der zusammen mit dem Weg in eine Richtung ging. Durch die Sonne hatte das Wasser einen wunderschönen Glanz. Die Kirschblütenbäume auf der rechten Seite konnten zwar zu dieser Zeit ihre vollständige Pracht nicht zeigen, dennoch hielt Ran es für einen wunderschönen Ort, der im Übrigen auch eine besondere Erinnerung mit sich trug. Es war ihr alter Schulweg zur Mittelschule. Ein Lächeln umspielte Rans Lippen, als sie diese Erinnerung zurück in ihr Gedächtnis rief. Damals hatte sie sich – wie schon so oft – wegen einer belanglosen Sache mit Shinichi gestritten und sie hatten daraufhin eine Woche nicht mehr miteinander geredet. Wenn Ran jetzt darüber nachdachte, kam ihr der Grund ihres Streits so kindisch vor. Sie kicherte leise. Und dann eines Tages, als sie, trotz ihrer Auseinandersetzung, gemeinsam nach Hause liefen, ertönte dieses wunderschöne Lied, welches mit Sicherheit jedes Herz berühren könnte. Schließlich geschah es auch bei Shinichi und ihr. Amazing Grace. ‚In Amazing Grace geht es um Gnade und um Vergebung. ‘, hatte damals die berühmte Opernsängerin Reiko, welche auch damals das Lied gesungen hatte, gesagt. Gnade … und Vergebung. Stimmt, Shinichi und sie hatte sich beim Erklingen dieses Liedes wieder versöhnt. Ran trat auf das Gras bis hin zum Flussrand und hockte sich im Schneidersitz auf den Boden. Gedankenversunken starrte sie auf das glitzernde Wasser und stellte sich innerlich eine Frage. Wie würde die Welt heute aussehen, wenn es solche Dinge wie Gnade und Vergebung überhaupt nicht geben würde? Würde sie überhaupt noch existieren? Ist eine Welt ohne Vergebung überhaupt denkbar? Ran strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ohne Vergebung … würden keine Beziehungen mehr bestehen können. Dinge wie Krieg und Gewalt hätten eine ganz neue Bedeutung. Die Menschen könnten dann auf keiner Weise mehr in Harmonie zusammenleben. Schmerz, Wut und Hass würden unaufhörlich im Herzen verharren. Wie sah das nun in ihrem Leben aus? Shinichi und Ran würde es zusammen nicht mehr geben, das wusste sie und an so etwas zu denken, schmerzte sehr. Alleine wenn sie an die Geschichte mit Conan dachte… Im nächsten Moment formte sich in ihrem Kopf ein Bild von ihren Eltern und ihr wurde klar, dass sie es ihnen bis zum heutigen Tage nicht so richtig verziehen hatte, dass sie sich getrennt hatten. Sie kam zu dem Schluss, dass Gnade und Vergebung so wichtig waren wie die Luft zum Atmen. Ohne diese beiden Dinge wäre die Welt schon längst verloren. Diese Erkenntnis berührte Rans Herz und ihr stiegen Tränen in die Augen. Wir wären verloren. Das Geräusch der Vibration ihres Handys ließ sie aus ihrer Versunkenheit hochschrecken. Hastig fischte sie es aus ihrer Tasche und schaute auf die Anzeige. Daraufhin kam Freude in ihr auf. Sie wischte sich schnell die Tränen aus dem Gesicht und nahm den Anruf entgegen. „Mister Holmes, wie kann ich Ihnen helfen?“, sagte sie theatralisch, um die Folgen ihrer Gedankengänge zu verbergen. Aber wollte sie das nicht seinlassen? „Sehr witzig.“, grummelte der Oberschülerdetektiv daraufhin. „Tut mir Leid, war nicht so gemeint. Aber warum rufst du an?“ „Um zu erfahren wo du bist?“ „Warum willst du das denn wissen?“, fragte Ran verwirrt. „Na, weil ich gerade vor deiner Haustüre stehe und niemand so höflich ist, mir die Tür zu öffnen.“ „Du bist bei mir Zuhause? Was willst du denn da?“ „Naja … ich wollte eigentlich nur mit dir spazieren gehen.“ „Wirklich?“ Ran wurde misstrauisch. Das war nicht so ganz sein Stil. „Sonst würde ich ja wohl kaum bis zu dir laufen.“, war seine Antwort. „Tja…allerdings habe ich das, was du vorhast bereits in die Tat umgesetzt.“ „Dann sag mir doch einfach wo du bist, dann komme ich nach.“ Ran wollte ihm das gerade noch mit Vergnügen verraten, als ihr plötzlich eine Idee kam… „Nein“, sagte sie und grinste. „Was? Wieso denn nicht?“ Er war sichtlich verwirrt. „Weil du es selber herausfinden sollst.“ „Warum das?“ „Na, weil ich es sage. Du willst doch mit mir spazieren gehen, oder?“ „Ran, ich bitte dich. Es ist Sonntag, ein Ruhetag!“, bettelte er. „Also gut, einen Hinweis kann ich dir geben.“ Sie musste kichern. Shinichi seufzte genervt. „Ich höre?“ Ran sah sich kurz um und überlegte. Doch sie hatte schnell das passende Schlagwort. „Amazing grace.“, flüsterte sie. „Amazing grace?“ „Ja, genau. Ich wünsche viel Erfolg, Herr Detektiv!“, waren ihre letzten Worte, als sie den Hörer vom Ohr nahm. „Ran, warte!“, hörte sie noch seine Stimme, aber sie hatte bereits aufgelegt. Er wird sie finden, das wusste sie. Ran vertraute voll und ganz auf seine detektivischen Fähigkeiten. Und auf die Verbindung zwischen ihnen. „Amazing grace…“ wiederholte sie nachdenklich und ließ sich nach hinten ins Gras fallen. Während sie den kleinen weißen Wolken beim Schweben zusah, fing sie an, das Lied vor sich hin zu summen. Ein tiefer Frieden erfüllte ihr Herz. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, ihren Eltern zu vergeben. Genauso wie sie Shinichi vergeben hatte. Es passierten wohl einfach Dinge, die nicht einfach zu verkraften waren und ihre Trennung gehörte dazu. Doch ohne Vergebung würden wir auf dieser Welt nicht weiterkommen, das war eine unumstößliche Tatsache. Und im Sinne der vergangenen Ereignisse gab es noch eine Person, die Vergebung brauchte. Und zwar sie selbst. Das war ihr bei Shinichis Worten klargeworden. ‚Versuch das einfach zu vergessen und sieh nach vorn!‘ Zwar hatte er nicht direkt davon gesprochen, aber sie wusste, dass Shinichi das ebenfalls damit meinte. Er wollte, dass sie sich selber vergab. Ran tat es für ihn, für all die anderen Menschen, die sie liebte und für sich selbst. Ja, so sollte es sein. Mit erneuten Tränen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht ließ sie den Zauber des Liedes in ihr Herz. Mama, Paps, ich vergebe euch. Shinichi, ich vergebe dir. Im nächsten Augenblick hatte sie auch sich selbst vergeben. Der tiefe Friede erfüllte ihre Seele und brachte sie fast zum Weinen. Sie schloss die Augen und hielt den Moment für eine Weile fest... Ran nahm nicht mehr wahr, wie sich nach einiger Zeit jemand mit langsamen Schritten ihr näherte. Sie nahm auch nicht mehr wahr, wie sich dieser Jemand leise neben sie ins Gras setzte und sie mit einem liebevollen Lächeln beobachtete. Denn sie war bereits eingeschlafen. _________________________________________________________________________________ Sodele. Ich meld mich mal zur Abwechslung am Schluss des Kapitels, denn dieses ist ... wie soll ich sagen ... das letzte richtige Kapitel :D Die Geschichte hat hier quasi das offizielle Ende, aber es wird trotzden noch ein weiteres - eine Art Special - geben. Dazu will ich verraten, dass das nächste Special-Kapitel dem Genre Romantik treu sein wird ;) Denn im Grunde genommen geht es in der ganzen Geschichte nicht so direkt um die Liebesgeschichte von Ran und Shinichi, wie man sicher bemerkt hat :) Fals ich damit ein paar von euch entäuscht haben sollte, hoffe ich, dass ich das mit dem folgenden S-Kapitel wieder gut machen kann o.o Und wenn ich schon dabei bin, möchte ich mich einmal herzlich bei den Kommentarschreibern bedanken, denn ihr habt mir zum Teil die Motivation zum Schreiben gegeben. Ich bin ganz erstaunt, dass ich wirklich bis zum Ende durchgehalten habe :O Meine erste richtige Story *gg* DANKESCHÖN! *Herz* Natürlich danke ich auch allen Lesern von deren Existenz ich leider nichts weiß. :) DANKESCHÖN! Wie vielleicht der eine oder andere mitbekommen hat, habe ich schon ein neues Projekt angefangen --> "Aftermath" Doch bevor ich damit weitermache, wollte ich unbedingt noch diese FF fertigbekommen. Ist ja fast geschafft :> Also, nochmals vielen Dank fürs lesen und vielleicht hört bzw. liest man ja noch von einander ;) Liebe Grüße Lyn PS: Hier lohnt es sich "Amazing Grace" Von Chris Tomlin anzuhören. ;) Meine Empfehlung Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)