Midsummernight-Princess von RhapsodosGenesis (Eine Dunkelheit im Herzen) ================================================================================ Kapitel 35: Mittsommer ---------------------- Link starrte auf die metallene Klinge, die über ihm schwebte. Fest in Shans Griff. Und ihr war anzusehen, dass sie nicht zögern würde. Nein. Er konnte jetzt nicht aufgeben. Er durfte jetzt nicht aufgeben. Nicht, wo er so weit gekommen war. Das Schwert fuhr hernieder. Mit einer geschickten Seitwärtsbewegung wich er aus, obwohl er nicht so viel Freiheit hatte, da Shan mit ihren Beinen, die breit neben ihm standen, eine Art Grenze für ihn bildete. Das Schwert durchbohrte den Boden direkt neben Link. Bevor er zum Erheben ansetzte, begutachtete er kurz das Loch, das es hinterließ. So viel Kraft … Und mit dieser Kraft wollte sie ihn treffen? Er hievte sich hoch, während Shan an ihrem Schwert zog, wobei er sich erst ein wenig zurück bewegen musste. Doch er wurde von ihr nicht abgehalten. Sie versuchte, ihr Schwert wiederzuerlangen. Aber es schien im Boden zu stecken. Dafür erntete er einen weiteren bösen Blick ihrerseits. Seine Chance war gekommen! Er hastete zu seinem Schwert, hob es im Laufen hoch und eilte zurück zu Shan, welche noch immer vergebens an ihrem Schwert riss. Es mochte lächerlich sein, doch dabei wirkte sie erhaben. Es wirkte wie Kalkül und nicht wie Unglück. Es wirkte … gezielt. Als er nahe an sie heran kam, drehte sie sich zurück zu ihm, um ihn unbegeistert anzusehen. Er blieb kurz vor ihr mit erhobenem Schwert stehen. Er richtete es gegen sie. „Ich greife dich an“, warnte er sie entschlossen vor. „Damit kommst du aber früh“, gab sie unbeeindruckt zurück. Dabei zog sie erneut am Schwert. Sie machte sich aber nicht einmal die Mühe, irgendwie in defensive Stellung zu gehen. „Wirklich!“, beschwor er ihr. Also gut – er musste es tun. Er musste sie außer Gefecht setzen! Er … Er musste sie angreifen. Er würde nicht ewig gegen sie kämpfen können. Er würde Zeit brauchen, Ganondorfs wahren Schergen zu finden. Plötzlich trat ein herausforderndes Lächeln auf ihre Lippen. „Beweis es!“, forderte sie von ihm. Sie drehte sich von ihrem Schwert weg und stellte sich mit offenen Armen vor ihn. „Beweis es und greife mich an!“ Und plötzlich wusste er nicht mehr, was er tun sollte. „Link!“, rief Ilya verzweifelt. Sie stand vor der gelben Mauer aus Magie und schrie seinen Namen. Aber er antwortete nicht. Ilya konnte nicht hinein sehen. Sie wusste nicht, was geschah. Doch sie hoffte, dass es Link gut ging. Sie hoffte es wirklich … Diese … Diese Frau, die bei Link war … Ilya kannte sie. Sie war es, die sie in Ordon zuletzt gesehen hatte. Sie war es, die manchmal zu ihr kam und ihr irgendwelche Dinge ins Ohr flüsterte … Zumindest glaubte Ilya das. Sie war sich nicht sicher, ob diese Erinnerungen echt waren. Jemand, der an ihren Erinnerungen herumzaubern konnte … Sie erschauderte. Wie konnte das nur möglich sein? Ilya war immer der Meinung gewesen, dass zumindest die Erinnerungen einem selbst gehörten – und verändert und rein … Aber dieser Monat hatte ihr das Gegenteil beweisen … Nichts gehörte ihr wirklich. Gar nichts. Sie faltete die Hände. „Bitte, Link … Lebe …“, wünschte sie sich leise flüsternd. Nein. Einer Sache war sie sich sehr wohl sicher … Sie wollte, dass Link siegte und lebte. Und wieder einmal hatte Zelda festgestellt, dass Nichtmagier sehr ängstlich auf Magie reagierten. Als diese Frau, Shan - die Midna so sehr ähnelte - das Magische Feld aufgezogen hatte, flohen die menschlichen Soldaten. Und viele der adeligen Zuschauer. Einige mutige, schaulustige Damen und Herren waren geblieben, doch sie mischten sich nicht ein. Zelda schaute die Mauer aus Magie an. Link befand sich darin. Vermutlich kämpfte er. Dieser Anblick rief Erinnerungen in ihr wach. Erinnerungen an den Kampf … Auch damals war sie für ihn nicht von Nutzen gewesen. Und schon wieder vermochte sie nichts Weiteres zu tun, als für ihn zu hoffen und zu beten. Die Mauer umschloss den Halbkreis, den Links Freunde zuvor gebildet hatten und endete direkt am Rand des Podiums, das Ilya aufgestellt hatte. Und dieses Kraftfeld war stark. Sehr stark. Zelda vermochte es nicht zu berühren, ohne an Energie zu verlieren. „Shan …“, murmelte sie leise. Sie schloss die Augen. Sie erinnerte sich. Sie glaubte, ihre Erinnerungen wären wieder vollständig. Sie erkannte jeden wieder. Sie vermochte genau zu sagen, was geschehen war. Alles … Zelda saß auf ihrem Thron, umgeben von Wächtern und Beratern. Neueste Angelegenheiten gab es zu klären. Verschiedene Anlässe waren zu besprechen. Also gab es kaum eine Veränderung. Das war soweit gut. Immerhin verhieß es Frieden. „Die Feen sind in Aufruhr“, fuhr der nächste Sprecher fort, dem Zelda lauschte. Zelda legte den Kopf schief. „In Aufruhr?“, wiederholte sie fragend. „Man weiß nicht weshalb. Aber aus irgendeinem Grund benehmen sie sich äußerst seltsam“, beendete er seinen Bericht. „Schickt einen Investitionstrupp zu ihnen. Ich möchte wissen, ob wir ihnen zur Seite stehen können …“, entschied Zelda nach kurzem Nachdenken. Die Feen in Aufruhr … Woran konnte das liegen? „Entschuldigt, Eure Hoheit“; unterbrach ein anderer Berater ihre Gedankengänge, „Doch vielleicht bin ich in der Lage, den Grund für die Verhaltensänderung der Feen zu erklären?“ „Sprecht“, forderte sie ihn gebieterisch auf. „Ihr habt ein Einladungsschreiben zur Hochzeit und Krönung des Feenprinzens Azuor und der gnädigen Dame Zherenh erhalten. Vermag dies als Grund zu genügen?“ Zelda nickte, um zu verstehen zu geben, dass sie ihn gehört hatte. Eine Hochzeit als Grund für einen Aussetzer, der sogar an ihre Ohren gelangte? War das nicht ein wenig zu übertrieben? „Ich möchte, dass die Untersuchung trotzdem stattfindet“, sagte sie, „Und ich bitte Euch, der Einladung zuzusagen. Es wäre mir eine Ehre …“ Ein Klopfen unterbrach ihre Worte. Das Tor wurde geöffnet und ein ziemlich verwirrt dreinschauender Berater lugte hinein. „Eure Hoheit?“, begrüßte er sie, „Ein Gast … aus dem Schatten.“ Aus dem Schatten? Doch nicht etwa … Midna? Nein. Eine Königin hatte doch keine Zeit … Nicht wahr? „Gewährt den Eintritt“, erließ Zelda. Ihre zarten Finger, die unter Handschuhen versteckt waren, verkrampften sich. Wie gelangte ein Schattenbewohner in das Reich des Lichtes zurück. Hatte es etwas mit dem zerstörten Spiegel zu tun? Hatte jemand die Splitter zusammengetragen? War es auf Midnas Befehl hin geschehen? Weshalb? Sie würde es hoffentlich erfahren. Der Berater schubste das Tor zur Gänze auf. Und nach einem kurzen Moment schritt jemand den Gang entlang. Ihr rotes Haar, das die Farbe von Feuer trug, versteckt unter einem Mantel nach dem Schnitt des Herkunftslandes. Freizügige Bekleidung und ein schelmisches Lächeln, welches von klugen Augen unterstützt wurde. Graziös schritt die Frau voran. Selbstsicher und anmutig – genau wissend, dass sie hierher gehörte. Und doch umspannte sie eine Art Neugierde. Zelda war sich sicher. Nicht nur, dass sie das Gesicht wieder erkannte – auch den Auftritt, die Ausstrahlung. Sie erhob sich von ihrem großen Sessel und trat zwei Treppen nach unten, ehe sie mit einer Hand an ihr Herz fuhr und die andere Frau anlächelte. „Midna!“, rief sie erfreut aus, „Ihr seid …“ Sie brach ab, als der Blick der Frau sie traf. Sämtlicher Humor war aus ihren Augen verschwunden. Mit einem Mal erkannte sie sie nicht wieder. Sie wirkte so verändert … So … böse. Das war nicht Midna. Nein. Wieso sollte auch eine Königin sie besuchen? Das war auf keinen Fall Midna. „Wie seid Ihr hierher …“, fragte Zelda leise. Durch das geöffnete Tor schritt eine weitere Person. Blondes Haar, smaragdgrüne Augen und ein betäubter Blick zeichneten jene kleine Frau aus, welche der Schattenfrau folgte. „Eure Hoheit!“, rief ein Wachsoldat hinter ihr. Sie wandte sich kurz um. Doch der Mann sah nicht sie an. Sein Blick war auf den Neuankömmling gerichtet. Zelda zog verunsichert die Stirn kraus. Was hatte das zu bedeuten …? Wer war diese Person? Sie kannte sie nicht … Sie schaute erneut zu der Person die Midna so ähnelte. Sie schenkte ihr ein zartes Lächeln. „Lügen sollen bestraft werden“, zitierte sie. Und mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging auf die blonde Frau zu. Sie legte ihr einen Arm auf die Schulter und sagte: „Ich hoffe, Ihr wisst, was mit Eindringlingen geschieht.“ Dann löste sie sich in schwarzen Rauch auf. Was passierte hier gerade? Sie ging weitere Treppen nach unten. „Wieso trägt diese Frau meine Kleidung und mein Diadem?“, begehrte die blonde Frau zu erfahren, als Zelda sich ihr näherte. Sie zeigte auf sie. „Wachen, ich möchte, dass ihr diese Verräterin aus dem Weg schafft!“, befahl die kleine Frau, „Und gebt mir meine Sachen wieder.“ Zelda wurde an den Schultern gepackt und festgehalten. Sie wollte sich wehren, doch ehe sie sich versah, stieß ihr jemand ins Genick. Bewusstlosigkeit brach über sie hinein. „Du bist ziemlich zäh“, erklang eine sanftmütige Stimme. Sie wirkte weit entfernt. Doch sie schien sehr nah zu sein. Zelda öffnete verwirrt die Augen. Dunkelheit und Kälte umgaben sie. Wo war sie hier …? „Ich glaube, dein Triforce beschützt dich“, erzählte sie weiter. Zeldas Augen suchten den Sprecher. Die Frau mit dem Feuerhaar … Was machte sie hier? Sie hielt Zeldas linke Hand in ihrer eigenen. Sie schien sie zu begutachten … Ihr Triforce … „Du liegst im Schlossgarten. Sie werden sich um dich kümmern. Wenn ich dich noch einmal bearbeite, solltest du dich an nichts mehr erinnern können“, erklärte sie unbesonnen, „Aber ich hoffe für dich …“ Ihr Tonfall nahm einen ernsten Klang an. „… Du erinnerst dich an folgende Worte.“ Sie machte eine kurze Pause. „Halte dich von diesem Ort fern!“ „Hey, da hinten liegt jemand!“, ertönte plötzlich eine weitere Stimme. Schritte wurden laut. Die Frau löste sich erneut in schwarzen Nebel auf. „Der Eindringling von vorhin!“, knurrte ein Wachmann, „Los, schmeißt sie raus!“ Und ihre nächste Erinnerung begann mit kaltem Wasser. Terra erschien wieder vor der Dunkelheitsmauer. Ihre Gedanken waren vollkommen klar. Es war, als hätte sie ihre ganze Energie zurück gewonnen. Sie fühlte sich unbesiegbar. Unsterblich. Sie lief über den Steinboden hinüber zu Azur. „Azur!“, schrie sie, „Ich bin wieder da!“, verkündete sie dann, „Ich hoffe, ich habe es auch geschafft, Yurai meine Energie drüben zu lassen.“ Er zog eine Augenbraue nach oben. „Ich bin positiv überrascht“, kommentierte er, „Ich glaube, ich werde dich befördern müssen. Aber …“ Er deutete nach oben. „… zuerst müssen wir zusehen, dass Yurai unser Opfer auch annimmt.“ Terra nickte. Weshalb auch immer sie jetzt so stark war … Es hatte sich gebracht! Sie fühlte sich, als könnte sie fliegen! Vielleicht war es ihr auch möglich? Immerhin kämpfte sie gegen eine Mauer, wo keine Mauer mehr war. In einer Welt, in der sie erstarkt war, obwohl sie geschwächt wurde. Magie, die sie nicht verstand … Feen … Warum sollte es also nicht möglich sein, dass sie plötzlich irgendetwas Abgedrehtes tat, das keinen Sinn ergab? Vielleicht konnte ihr Yurai das später erklären. Nein. Yurai würde ihr das später erklären. Und wenn sie sie dafür eigenhändig aus dem Bett schleifen musste! Mit festem Blick starrte sie Yurai an, die noch immer sinnlos gegen die Mauer flog und immer wieder zurückgeworfen wurde – und wieder dagegen flog. Danach setzte sie wieder irgendwelche Magie ein, doch auch diese tat nichts weiter, als zurückzuknallen. „Letztes Mal …“, begann Terra, als sie sich zurückzuerinnern versuchte, „Da hat sie mich gerettet und aus dieser Scheinwelt wieder heraus geworfen.“ Azur sah kurz zu ihr. „Und dieses Mal werde ich uns alle hier herausholen!“, schwor Terra, „Diese Mauer bekommt mich nicht mehr klein!“ Und mit diesen Worten drückte sie sich vom Boden ab. Gegen jegliche ihrer wahren Erwartungen fiel sie nicht mehr zurück. Sie blieb in der Luft. Kam immer weiter nach oben. Gelangte zu Yurai. Das weiße Haar der Fee wehte bei jedem Angriff wild durch die Gegend. Ihr hübsches Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Wieder wurde sie getroffen. Terra stellte sich hinter sie. Und wartete. Es tat ein Krachen und Yurai wurde zurückgeworfen. Direkte gegen Terra. Wie erwartet. Terra schnallte ihre Arme um die Hüften der Fee. Zwar bekam sie deren Federflügel ins Gesicht, doch es störte sie nicht weiter, während die beiden einige Schritte weiter zurück geworfen wurden. „Lass mich los!“, befahl Yurai gebieterisch und begann unaufhaltsam zu zappeln. „Wieso tut Ihr das?!“, wollte Terra von ihr wissen. Egal, wie sich die Fee wehrte – Terra würde sie festhalten. Sie ließ ihr den Ellbogen in die Rippen und versetzte ihr eine Rückwärtskopfnuss. Doch es fühlte sich für Terra nicht wirklich an. Also ignorierte sie es einfach. „Jetzt hört mir zu!“, forderte sie von der störrischen Fee, die immer weiter um sich schlug. Doch Terra hielt sie. Und sie würde sie immer halten. Bis sie zur Vernunft gekommen war. Sie wollte es nicht zulassen, dass sie sich weiter verletzte. Nein. Jetzt nicht mehr. Keine Spur von der Mauer. Und keine Spur von der Höhle. „Aber … du hast sie doch auch gesehen, oder?!“, fragte Orb zum gefühlten tausendsten Mal nach, „Du hast doch!“ „Ja, ich habe sie gesehen“, antwortete Zherenh gelassen. Sie hatten sie gesehen. Diese Höhle. Sie hatten beide am Eingang gestanden, um zu überprüfen, ob die Mauer nicht doch weiter drinnen aufgezogen worden war. Doch nichts, was auf eine Barriere hingedeutet hätte, war dort. Nichts. Nur die Höhle. Von ihrem Standpunkt aus hatten sie zweierlei Gestalten sehen können: Die Ganondorfs und die Mirais … Es kostete sehr viel Überwindung, doch zu gehen. Und jetzt war nicht einmal mehr der Eingang da. „Und was sollen wir jetzt Azur erzählen?“, wollte Gardam wissen. Sie hatten die ganze Auskundschaftstruppe geholt, um ihnen die Höhle zu zeigen. Wie es ihnen aufgetragen worden war. Sie waren zu zweit gegangen, da ein Einzelgängerunternehmen zu gefährlich gewesen wäre. „Kyrion“, verbesserte Zherenh ihn, „Sein Name lautet Kyrion.“ Gardam rollte genervt mit den Augen. „Ich würde vorschlagen, dass bloß wir beide zu ihm gehen und ihm das erklären. Immerhin haben wir den Eingang noch gesehen“, schlug Orb vor, „Wie du mir zustimmst.“ „Du bist nicht verrückt“, fuhr Zherenh ihn an, „Der Eingang war da. Und jetzt hör bitte auf zu jammern.“ Ihr Tonfall war nicht gerade freundlich. Aber es irritierte auch sie sehr, dass dieser Höhleneingang von einem Moment zum nächsten verschwunden war. „Wenn der Eingang in der Zwischenzeit wieder auftaucht …“, fuhr Orb dann fort, „… könnt ihr eure Arbeit erledigen und ihn durchforsten.“ Er ignorierte Zherenhs Zwischenrufe. Schön. Zherenh drehte sich weg und bahnte sich einen Weg an der Truppe vorbei. Orb folgte ihr. „Verrückt …“, murmelte der Mann hinter ihr. „Verrückt“, stimmte Zherenh ihm kühl zu. Wieso nur? Was war geschehen? Nachdem Mydia diesen Anfall erlitten hatte und es ihr besser zu gehen schien, wirkte sie abwesend. In sich getaucht. Miralle hoffte, dass es ihr gut ging. Dass alles in Ordnung war … Alles hier war so seltsam. Als Link davon geredet hatte, die Welt zu retten, wollte Miralle eigentlich wirklich nicht so nah dabei sein. Vielleicht sogar etwas damit zu tun haben. Diese gelbe Mauer … Sie saß neben dem Soldaten namens Claude und sah zu, dass er nicht verblutete. Bevor der Soldat, dem der Mann gegenüber gestanden war, die Flucht ergriffen hatte, hatte er sich die Zeit genommen, Claude mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Scheinbar war Claude Soldat gewesen, ehe er sich für das Gastgewerbe entschied. Hatte er zumindest erzählt. Er sagte auch, dass er Shan kannte. Und dass er ehrlich nicht wusste, weshalb Link und sie plötzlich in dieser Mauer waren. Miralle war in etwa gleich schlau wie er. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was hier geschah. „Kann ich Euch für einen Moment alleine lassen?“, fragte sie, dann reichte sie ihm ein neues Tuch, mit dem er sich das Blut abwischen konnte, „Es scheint ein wenig abgeklungen zu sein …“ Claude nickte, während er das Tuch dankend nickend annahm. „Selbstverständlich“, gab er ihr die Erlaubnis und kümmerte sich wieder um seine Nase. Miralle mochte diesen Mann. Er wirkte ernsthaft sehr nett. Sie erhob sich von ihrem Platz und schritt gemächlich auf Mydia zu, welche, im Gedanken versunken, direkt vor der Mauer stand. Als Miralle sie ansah, wirkte ihre Mitarbeiterin ziemlich verändert auf sie. Doch was war anders? Ihr Auftreten? War etwas wie … Selbstsicherheit zu erkennen? Wissen? „Mydia?“, fragte sie und stellte sich neben sie. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter, als sie den besorgten Blick in ihren Augen bemerkte. Sie schien durch diese Mauer hindurch sehen zu können. „Link und Shan schaffen das schon. Was auch immer da drinnen auf sie wartet … Sie packen es.“ Ihre Freundin nickte verstehend. Shan stand noch immer wie am Silbertablett serviert da. Link sollte sie angreifen. Ein Lächeln zierte ihre Lippen. Provokant und unfreundlich. Doch … er konnte sich nicht dazu zwingen. Sie hatte ihn begleitet. Sie hatte ihm Gesellschaft geleistet. Mit ihm gesprochen. Ihn zum Lachen gebracht. Ihm geholfen. Wie hätte er sie da angreifen sollen? Auch nach dem, was sie getan hatte? Gut, sie hatte ihn attackiert. Aber er hatte es weitgehend unbeschadet überstanden. Sie war nicht sie selbst. Sie war nicht … „Shan …“, begann er erneut, „Bitte, bitte – werde wieder normal!“, bat er sie flehend, „Ich … Ich kann nicht …“ Er ließ sein Schwert kraftlos fallen. Es klimperte, als es den Boden berührte und nicht sofort still liegen blieb. Woher auch immer zuvor der Wille zu kämpfen gekommen war … er war verschwunden. Vielleicht war es auch kein Kampfeswille gewesen. Vielleicht war es lediglich die Hoffnung darauf, dass sie aufgeben würde. Shans Augen verengten sich und durchbohrten ihn wütend. Aber dann setzte sie ein freundliches Lächeln auf. Und seit sie hier kämpften, war es das erste Mal, dass sie ihn ansatzweise wieder an die alte Shan erinnerte. Doch ihr Blick strahlte nebenbei noch immer diese unzufriedene Kälte aus. „Link“, sprach sie ungewohnt sanft und mitfühlend. Sie ließ ihre Hände sinken und lose neben ihrem Körper herbaumeln. Und dann machte sie einen Schritt auf ihn zu. Ihr Schwert ließ sie im Boden stecken. „Link, Link, Link.“ Sie blieb direkt vor ihm stehen. Er wich nicht zurück. Er schaute zu ihr hoch. Direkt in ihre Augen. Und sie sah in die seinen. Ernst sprach daraus. Ihr Lächeln wurde breiter. Sie legte eine Hand an seine Wange und strich daran herunter. Es war die Wange, die sie mit dem Schwert getroffen hatte. Ein Schauer durchlief ihn. Gerade noch hatte sie ihn attackiert … und jetzt so etwas? Wieso wollte sich sein Körper nicht wehren? Warum blieb er nur hier? Ach ja … Weil er ihr vertraute. Sie würde ihm nichts tun. Nicht jetzt. Sie hatte immerhin nicht einmal ein Schwert. Ihre Hand ruhte kurze Zeit weiter auf seiner Wange. Und dann bewegte sie sich langsam zu seiner Schulter hinab. Er vermochte nichts dagegen zu tun. Er blieb stehen. Während sie die Hand nach unten führte, setzte sie den Rest ihres Körpers ebenfalls wieder in Bewegung. Sie stellte sich direkt neben ihn. Und dann beugte sie sich hinunter zu seinem Ohr. „Ilya hat es sehr weh getan, dass du sie vergessen hast“, hauchte sie. Er spürte ihren Atem. Und er lauschte ihren Worten. Ja … das war wohl wahr … Er hatte sie vergessen … Ilya … Ob es ihr wieder besser ging? „Und dir, Link …“, fügte sie hinzu, wobei sie mit ihrer Hand von seiner Schulter abließ und seinen Rücken entlang strich. Auch sie folgte ihrer Hand. Und stand hinter ihm. Er fürchtete sich nicht davor, dass sie von hinten zu stach. Dass sie ihn jetzt leicht angreifen konnte. Nein. Viel mehr Furcht verspürte er darüber, was ihre Worte beinhalten konnten. Was sie bedeuten konnten. Plötzlich bohrte sie einen Finger in seinen Rücken. „… hat es noch viel mehr Schmerzen zugefügt, erneut von ihr vergessen zur werden“, beendete sie ihren Satz mit ruhiger Stimme, „Unerträgliche Schmerzen …“, fügte sie flüsternd hinzu. Dabei drückte sie noch einmal zu. „Doch …“ Mit diesen Worten strich sie über die drückende Stelle, die von ihrer Attacke zurückgeblieben war, was ihm einen Schauer über den Rücken jagte. „…wie sehr würde es dich schmerzen, wenn Ilya sich nie mehr an dich erinnern könnte?“ Sie wartete einen kurzen Moment und verharrte regungslos hinter ihm. „Oder besser …“ Sie klang dabei gespielt überrascht. „… Wenn ihr euch nie mehr wieder sehen könntet?“ Sie kicherte kurz vergnügt. „Wenn Ilya in der Welt des Dämmerlichts gefangen wäre? Und du keinen Zugang hättest?“ Eine Pause schmückte ihre Worte. „Oder aber …“ Mittlerweile hatte Shan ihn bis zu seinem anderen Ohr umrundet. Sie führte ihre Lippen nahe zu diesem. „… wenn ein Schwert ihrem lieblichem Antlitz das Leben herausschneiden würde?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)