Far Away von Zuckerschnute ================================================================================ Kapitel 13: 13 -------------- „Du hast also auf jeden Fall die Kontrolle und musst nur noch lernen wie es geht.“ Leichter gesagt als getan. Nach zwei Wochen schaffte ich es zum ersten mal, den Schild zu senken. Weitere zwei Wochen und ich schaffte es, ohne vorher irgendwelche Konzentrationsübungen zu machen. Und siehe da: endlich klappte es auch mit dem Training bei Moses. Nach zwei Versuchen sprühte ich Funken und eine Woche später warf ich mit den anderen Schülern Nadeln auf Zielscheiben, aus denen irgendwann Messer wurden. Dabei machte ich eine interessante Entdeckung: bei jedem sahen die Dolche beziehungsweise Nadeln anders aus. Sie waren zwar alle schwarz, aber beim einen hatten sie einen auffälligen Griff, beim anderen eine Gravur... Bei mir war auf der Klinge eine Schlange, die sich um eine Mondsichel wand... Wirklich begeistert war ich über dieses Motiv zwar nicht, aber es hätte schlimmer kommen können. Bei einer meiner Mitschülerinnen, einem Mädchen mit teuren Kleidern und Tussigetue, war der Griff mit Totenköpfen verziert und bei einem bulligen Kerl prangte ein Herz gut sichtbar auf dem Knauf. Also beschloss ich, dass ich Glück gehabt hatte und belies es dabei. Alles in allem lief es ganz gut, zumindest in diesem Bereich. Im privaten sah es ganz anders aus. Ich hatte immer geglaubt, unerwiderte Liebe sei schmerzhaft, aber jetzt wusste ich, das dass eine Untertreibung war. Es trieb mich fast in den Wahnsinn. Das der Prinz beim Thema „Safiya“ immer abblockte machte die Sache nicht besser. Also stürmte ich das Zimmer von Banu und forderte lautstark eine Erklärung. „Eigentlich möchte ich es dir nicht erklären!“ sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. „Dann hättest du es gar nicht erst erwähnen dürfen! Siamun weigert sich und mich lässt das Gefühl nicht los, dass es etwas ist, das ich besser wissen sollte.“ Mit vorgeschobener Unterlippe setzte ich mich ihr im Schneidersitz gegenüber. Ich würde erst gehen, wenn ich bescheid wusste. „Also gut.“ Sie stieß einen schweren Seufzer aus. „Safiya war die erste große Liebe meines Bruders. Und gleichzeitig auch die, die ihn am meisten verletzt hat. Er war vierzehn und betete den Boden unter ihren Füßen an. Wir waren alle froh darüber, er war für sein alter viel zu ernst. Zumindest so lange, bis wir sie kennen lernten.“ Mir wurde leicht flau im Magen. Das klang nicht gut. „Sie war, gelinde gesagt, ein Miststück. Du hättest sie hören sollen!“ die bernsteinfarbenen Augen loderten beinahe vor Wut. „Auf die Frage ob ihr mein Kleid gefällt hätte sie genauso begeistert mit „Ja“ geantwortet wie auf das Angebot zusammen vom Palastdach zu springen. Wir haben ihn gewarnt, aber er wollte nicht hören. Er überhäufte sie mit Geschenken, trug sie auf Händen, hätte sich von ihr sogar als Putzlappen benutzen lassen!“ ein Kissen flog gegen eine Wand und warf beinahe eine Vase um. „Und dann?“ fragte ich mit eingezogenem Kopf. „War sie eines Tages plötzlich weg. Und mit ihr alles was Siamun ihr geschenkt hatte. Und sogar noch etwas mehr, wenn du verstehst was ich meine!“ Ach du heilige Scheiße war alles was mir dazu einfiel. „Er machte sich schreckliche Sorgen, bis sie dann eines Tages bei Hof auftauchte. Und zwar als Frau eines alten, aber gut betuchten Adeligen. Inzwischen ist sie eine reiche Witwe.“ „Das sie sich das getraut hat... Da muss doch für einen Skandal gesorgt haben!“ wenn es etwas gab mit dem ich mich inzwischen auskannte, dann waren das die Klatschtanten bei Hof. „Nein, denn sie war nicht nur Geldgierig, sondern auch schlau. Sie bat ihn ihre „Beziehung“ geheim zu halten. Angeblich aus Angst vor Neidern. Inzwischen wissen wir ja, dass das nicht stimmte.“ „...Eine Frage habe ich noch.“ sagte ich nach kurzem Zögern. Wollte ich die Antwort überhaupt? „Was hat das ganze mit mir zu tun?“ Banu hatte auf meinem ersten Bankett damals erwähnt, dass sie befürchtet hatte, Siamun würde den selben Fehler wie mit Safiya machen. Ihr Blick lag so lange auf mir, dass ich glaubte, sie würde nie antworten. Die Wut war aus ihrem Blick gewichen, stattdessen sah ich nur aufrichtiges Bedauern in ihren schönen Augen. „Sie war Hofdame.“ Ein Satz, nur ein verdammter Satz, trotzdem traf es mich wie ein Schlag in den Magen. Ich stand auf und taumelte aus dem Zimmer. Banu versuchte nicht mich aufzuhalten, vermutlich begriff sie, dass ich allein sein musste. Gott, ich war eine lebende, atmende Erinnerung an diese Frau. Er musste mich regelrecht hassen! Aber er war doch nett zu mir gewesen. Hatte mir Schutz geboten und mich in sein Bett gelassen, mich sogar getröstet, wenn ich verzweifelt gewesen war. „Er hat dir geholfen um sich selbst zu retten!“ meinte eine gehässige Stimme in meinem Kopf. „Er hat von Anfang an klar gemacht, dass er kein Interesse an dir hat!“ Aber ich hatte Interesse an ihm. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. Das durfte er niemals herausfinden! Es gab schon genug Gemeinsamkeiten zwischen ihr und mir, noch mehr würden weder er noch ich ertragen. Er würde glauben, ich wäre wie sie. Und war ich das nicht eigentlich auch? Ich ließ mich beheimaten und beschützen. Und gegebenenfalls auch noch retten, wenn das mit dem Beschützen nicht klappte. Im Grunde war ich eine zweite Safiya. Meine Sicht verschwamm, ich war kurz davor zu heulen. „Ist alles in Ordnung?“ schnell wischte ich mir über die Augen und wandte mich zu Aziz um. „Was, wie... ähm... klar, alles in Ordnung. Nur ein Anfall von Heimweh, nicht weiter schlimm.“ Ich hatte oft Heimweh, deswegen würde er mir glauben. „Ach du grüne Neune, was ist denn mit dir passiert?“ Er hatte ein Veilchen und überall blaue Flecken. „Nur ein paar Kerle, die auf eine Schlägerei aus waren, mehr nicht.“ Winkte er ab. Ich spürte, wie sich die Verzweiflung, die ich bis eben noch gespürt hatte, in Wut umwandelte. Hier glaubte wohl jeder, dass er die Leute, die mir etwas bedeuteten wie Dreck behandeln konnte. Nicht mit mir! Siamun konnte ich zwar nicht mehr helfen, aber wenigstens konnte ich Aziz die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Ich schloss die Augen und beschwor einen meiner schwarzen Dolche herauf, den ich meinem Diener in die Hand drückte. „Das kann ich nicht annehmen MyLady!“ Verdattert blickte er mich an. „Natürlich kannst du! Ich bestehe sogar darauf! Ich habe dafür gesorgt, dass er sich nicht auflöst.“ Das taten magisch beschworene Waffen nämlich, es sei denn, man legte einen bestimmten Zauber darauf. Das war mir zwar schwer gefallen, aber ich hatte es geschafft. „Ich danke euch!“ er verneigte sich, den Dolch an seine Brust gepresst als wäre er ein kostbares Relikt. Ich müsste lächeln, trotz der Wut im Bauch. „Du warst mein erster Freund.“ Mit diesen Worten lies ich ihn stehen, ich wollte lieber alleine sein. In meinem Zimmer angekommen stellte ich mich vor den Spiegel. Ich hatte mich nicht wirklich verändert, seit ich hergekommen war. Meine Haut war etwas dunkler, sie hatte einen Honigfarbton, mein Haar war etwas gewachsen und von der Sonne ausgebleicht. Aber das war es auch schon mit der Veränderung. Ich war immer noch klein und an meinen kindlichen Gesichtszügen hatten sich auch nichts getan. Bald war ich ein Jahr hier, fast die Hälfte davon hatte ich im Palast verbracht. Ich sah an mir herunter. Ich trug ein Kleid, das nicht mir gehörte. Ebenso wenig wie der Schmuck. Nichts in diesem Zimmer gehörte mir. Nichts außer den Sachen in der Truhe am Bettende. Ich öffnete sie. Darin lagen mein Ranzen und die Kleider, die ich damals getragen hatte. Damals. Wie das klang. Seufzend holte ich die Jeans heraus und stieg hinein. Ich bekam sie gerade noch über die Hüfte, konnte aber den Knopf nicht schließen. Offenbar war ich doch gewachsen, wenn auch nur in die Breite. Frustriert warf ich die Hose an die Wand und lies mich auf mein Bett sinken. Es war doch alles zum heulen! „Etienne? Du musst dich für das Bankett heute Abend fertig machen!“ Auch das noch! Schon wieder so ein blödes Treffen mit noch blöderen Leuten. Leider Pflicht für mich. Also setzte ich ein Lächeln auf und zog ein anderes Kleid an. Schmuck, Schminke, alles wie immer. Vielleicht konnte ich mich ja mit Kopfschmerzen entschuldigen. Dann wäre wenigstens etwas nicht wie immer. Über mich selbst verärgert schüttelte ich innerlich den Kopf, während Rhia mein Haar zu einem hohem Zopf zusammenfasste. Das war genug. In Selbstmitleid konnte ich später noch versinken, jetzt musste ich erst mal einen auf schwer verliebt machen. Wobei das von meiner Seite aus ja schön längst nicht mehr gespielt war... Und ehe ich mich versah änderte sich meine Gefühlswelt schon wieder. Was viel dieser Ziege eigentlich ein? Okay, sie war zu diesem Bankett eingeladen. Okay, sie war die Tochter eines Adeligen. Aber was gab ihr bitte schön das Recht, am Arm meines Prinzen zu hängen? Tja, da war dieses Bankett wenigstens zu etwas gut. Und wenn es nur mein Selbstmitleid in rasende Eifersucht umwandelte. Da der Prinz selbst auch nicht allzu erfreut über diese Aufdringlichkeit war, beschloss ich, dass ich das Recht hatte, ein wenig Wut an dieser Tussi auszulassen. „Hallo!“ ich warf ihr den giftigsten Blick zu, den ich auf Lager hatte. „Ähm... guten Tag! Ich freue mich, euch endlich mal kennen zu lernen.“ Ihr Gesichtsausdruck sagte da etwas ganz anderes. „Ich habe schon so viel von euch gehört, aber ich muss zugeben, ich hatte mir euch ein bisschen älter vorgestellt.“ Falsches Thema Mädel, ganz falsches! Wenn ich etwas nicht mochte, dann wenn man mich darauf ansprach. „Das kann ich verstehen, ich sehe wesentlich jünger aus las ich bin.“ Himmel, ich klang wie Tiada, wenn sie mal wieder lästerte. „Bei euch ist das ganz anders, ihr seht so... reif aus.“ Die kläglichen Reste ihres Lächelns fielen aus ihrem Gesicht. Wenigstens war sie keine Schönheit. Im Gegenteil, sie sah fast langweilig aus, was mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllte. Immerhin hatte ich den exotischen Status einer Blondine. „Danke.“ Das klang aber reichlich gepresst. Innerlich grinsend schob ich sie auffällig unauffällig bei Seite und hackte mich bei Siamun ein. Die Dame verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, na ja eigentlich eher den Schlag mit dem Gartentor, und verschwand mit Unwettermine in der Menge, die von unserer kleinen „Unterhaltung“ zum Glück nichts mitbekommen hatte. „Alles in Ordnung?“ fragte ich meinen Begleiter, dessen Mine sich auch zehn Minuten später nicht geändert hatte. „Kopfschmerzen, schon den ganzen Tag. Und egal was ich mache, es wird einfach nicht besser.“ Mit zusammengebissenen Zähnen massierte er sich die Schläfen. Am liebsten hätte ich ihm eine Aspirin angeboten, aber mein Vorrat war inzwischen Leider zu neige gegangen. Als das Bankett, gefühlte drei Tage später, endlich zu Ende war, machten wir beide, dass wir wegkamen. Er wollte noch schnell ein paar Dokumente durchsehen, ich wollte nur noch raus aus diesem Kleid und ins Bett. Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Scharlatan begrüßte mich auf seine Art: er strich mir um die Beine und wollte gestreichelt werden. Lächelnd bückte ich mich und kraulte ihn hinter den Ohren, dabei viel mein Blick auf ein Stück Papyrus, das auf dem Boden lag. „Hast du etwa schon wieder Siamuns Arbeitszimmer durcheinander gebracht?“ schimpfte ich leise, während ich das Dokument aufhob um genau das herauszufinden. Leider konnte ich die Handschrift, auch wenn ich die Schrift inzwischen relativ gut lesen konnte, nicht entziffern. In diesem Moment flog die Tür auf und ein wutschnaubender, meine Katze und die ganze Welt verfluchender Siamun kam hereingestampft. Was er sah gefiel ihm offensichtlich nicht: ich, die eines seiner Dokumente las, das er wahrscheinlich die ganze Zeit gesucht hatte. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie seine Laune vom Kellerverlies unter den Meeresspiegel sank. „Was fällt die eigentlich ein? Erst verwüstet deine Katze mein Arbeitszimmer und dann list du auch noch vertrauliche Dokumente?“ Okay, er war wütend. Aber ich auch und das Geplänkel mit dieser Lady hatte nicht wirklich geholfen. „Wenn die Dokumente so verdammt wichtig sind, warum bewahrst du sie nicht wo anders auf?“ meine Stimme war kaum mehr als ein Fauchen. „Das ist mein zuhause, ich habe das Recht, meine Unterlagen liegen zu lassen, wo immer ich will.“ Das empörte Funkeln in seinen schwarzen Augen stachelte meine Wut noch weiter an. „Zufälligerweise ist das auch das zuhause meines Katers und er hat das Recht, herumzulaufen wo er will!“ „Herumlaufen, nicht Zimmer verwüsten! Er hat in dieser Woche drei Kissen zerfetzt!“ „Mein Gott, er ist ein halbes Jahr alt! In dem Alter konntest du noch nicht einmal laufen!“ „Ich habe nie so viel kaputt gemacht!“ Natürlich, seine Hoheit musste natürlich seine Ehre verteidigen. Vollidiot! „Natürlich! Hochwohlgeboren haben ja keine Fehler!“ meinte ich sarkastisch, womit ich seine empfindlichste Stelle mit einer vollen Breitseite traf. Wutschnaubend riss er mir den Papyrus aus der Hand. „Du bist genau wie Safiya!“ Volle Breitseite seinerseits. Ich fing an zu zittern wie Espenlaub. Wie konnte er es wagen? Es war eine Sache, mir das selbst vorzuwerfen, aber eine völlig andere, es von ihm an den Kopf geworfen zu bekommen. Ich spürte, wie etwas in mir Hochzukochen begann. Keine Wut, zumindest nicht nur. Etwas schwarzes, beängstigendes, fremdes, das zugleich vertraut war. Ich zitterte stärker. Scharlatans lautes Maunzen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Kater, der bis eben auf dem Bett gesessen und sich geputzt hatte schien völlig verängstigt zu sein. Panisch sprang er vom Bett und lief in den Garten. Als ich ihm mit den Augen folgte und mich dabei wunderte, was ihm solche Angst machte, blieb mein Blick an der Obstschale hängen. Die Schüssel zitterte ebenfalls und zwar so stark, dass sie beinahe über den Tisch hüpfte. Die Blumenvasen wackelten ebenfalls bedenklich. Heilige Scheiße, es war gar nicht ich, die zitterte und bebte, es war der Raum! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)