Mein Tagebuch von Kupferschweif (OS-Reihe zum Thema "Was geschah davor?") ================================================================================ Kapitel 2: Kouga ---------------- Liebes Tagebuch, Das war vielleicht eine aufregende Woche! Vater hat mir mal wieder gesagt, dass ich die anderen Wölfe im Rudel als meine Brüder sehen muss, auch wenn ich stärker bin als sie und definitiv der nächste Rudelführer werde. Ich habe nie verstanden, wie ich die als meine Brüder ansehen soll, wenn ich doch stärker bin und alles alleine schaffen könnte. Ich habe immer gedacht, ich würde sie nicht brauchen. Um mir klar zu machen, dass ich die anderen Wölfe des Rudels brauche und wir nur in der Gruppe unschlagbar sind, hat Vater mir gesagt, dass ich bis auf weiteres alles alleine machen muss und nicht auf die Hilfe der anderen bauen kann. Zu meiner Verwunderung hat das Rudel ganz unterschiedlich darauf reagiert. Einige haben mich hämisch angegrinst, andere haben mich mitleidig angesehen. Vor Vater konnte ich den hämisch Grinsenden natürlich keine Abreibung verpassen, er wäre sofort dazwischen gegangen. Also habe ich beschlossen zu warten, bis ich sie alleine erwischen würde. Das würde ja früher oder später passieren, Vater hat seine Augen ja nicht überall. Als erstes musste ich für mich ganz alleine jagen gehen, ohne darauf zu vertrauen, dass ich schon irgendwas bekommen werde, selbst wenn ich nicht erfolgreich sein sollte. Das war gar nicht so einfach, weil ich mich ja nicht der Rudeljagd anschließen durfte, sondern wirklich alleine jagen muss. Ich hätte nie gedacht, dass es so anstrengend ist, wenn man die Beute ganz alleine jagen muss. Zwar bin ich schneller als die anderen und darum kann mir eigentlich niemand entkommen, besonders kein einfaches Tier, aber so ohne andere, die der Beute den Weg abschneiden können, kann es wirklich anstrengend sein. Am ersten Tag war ich auch nicht besonders erfolgreich und hab lediglich einen mageren Hasen erwischt. Das Rudel hat die übrige Beute mit seiner Jagd aufgescheucht. Aber ein Abend etwas weniger zu essen würde mich schon nicht umbringen, dachte ich mir. Im Winter haben wir ja sowieso immer weniger und kommen trotzdem gut klar. In der Nacht ist es kühler geworden. Nicht so kalt, dass ich frieren würde, aber ich hätte mich doch gerne zu den anderen gesellt und mich von den Wölfen wärmen lassen. Doch das verstieß ja gegen die Regeln. Trotzdem war es für mich noch kein Grund, meine Meinung zu ändern. Ich war es halt noch gewöhnt, nicht auf mich gestellt zu sein, aber das würde sich schon noch geben und dann würde ich schon alleine zurecht kommen und meinem Vater beweisen, dass man kein Rudel braucht, um gut zurecht zu kommen, wenn man stark genug ist. Aber die nächsten Tage wurden auch nicht besser. Ich war gerade am Fluss, um mich zu waschen, als die anderen zur Jagd aufgebrochen sind, wodurch ich mal wieder zu spät dran war. Die Beute war schon geflohen, als ich auf die Jagd ging. Ich hab mal wieder nur einen Hasen gefangen. Aber der war noch fast ein Baby und so hab ich ihn wieder laufen lassen. Es hätte keinen Unterschied gemacht, ich hätte nur noch mehr Hunger nach dieser halben Portion bekommen. Die anderen haben den ganzen Tag über nicht mit mir gesprochen. Klar, ich sollte ja alleine zurecht kommen. Wenn man alleine ist, hat man auch keinen Gesprächspartner. Mir war etwas langweilig, also bin ich weiter durch den Wald gegangen und habe versucht, doch noch irgendwas zu fangen. Aber da war nichts zu machen. Es wird kälter, die Tiere suchen sich Deckung für den Winter und die Menschen haben ihr Vieh zu gut bewacht. Normalerweise sind diese Wachen kein Hindernis, ein paar lenken sie einfach ab und die anderen schnappen sich ein leckeres Rindvieh, aber alleine hätte ich keine Möglichkeit, an ihnen vorbei zu kommen. Wenn ich einen außer Gefecht setze, werde ich noch von drei anderen angegriffen und verletzt. Noch so eine Sache, die im Rudel besser ist: Wenn man verletzt ist, kümmern die anderen sich um einen und versorgen einen, bis die Verletzung verheilt ist und man wieder seinen Teil beisteuern kann. Am zweiten Abend habe ich das erste Mal gedacht, dass es wirklich besser ist, in einem Rudel zu leben und nicht auf sich allein gestellt zu sein. Aber gleichzeitig habe ich mir gedacht, dass ich dann einfach ein bisschen besser auf mich aufpassen muss, um nicht verletzt zu werden und dass ich dann auch alleine zurecht kommen würde. Ich fand es gemein, dass mein Vater mir diese Aufgabe am Winteranfang gestellt hat und nicht im Frühling oder im Sommer. Am dritten Tag war ich kurz davor, zu meinem Vater zu gehen und zu sagen, dass ich wieder ins Rudel möchte, aber ich war zu stolz. Auf der Jagd hatte ich mal wieder kein Glück. Nicht mal ein klitzekleines Häschen ist mir in die Finger gekommen und das Vieh der Menschen wird immer noch zu gut bewacht, weil es für diese Idioten auch die einzige Möglichkeit ist, über den Winter zu kommen. Ich bin wie schon am zweiten Tag weiterhin im Wald unterwegs gewesen, weil ich immer noch nichts gefangen hatte und so langsam aber sicher richtig Hunger hatte. Ich war auf dem besten Weg in einen endlosen Teufelskreis zu schlittern. Wenn ich weiterhin nichts zu essen fand, würde ich schwächer werden und nicht mehr jagen können, was bedeuten würde, dass ich auch weiterhin nichts zu essen bekam und weiterhin schwächer werden würde, bis ich schließlich verhungern oder auf Pflanzen umsteigen müsste. Ich bin nicht dazu geeignet, Pflanzen zu essen, ich bin kein Hase. Am vierten Tag wurde ich von meinem eigenen Magenknurren geweckt und beschloss, schon ganz früh in den Wald zu gehen, in der Hoffnung dieses Mal Glück zu haben, weil das Rudel ja noch keine Beute verscheucht haben konnte. Aber ich war nicht der Erste im Wald. Einer derjenigen, die mich hämisch angegrinst haben, als Vater verkündete, dass ich bis auf Weiteres nicht mehr aktiv am Rudelleben teilhaben dürfte, war auch unterwegs, er war wohl auf Patrouille gewesen. Und er war offenbar allein. Ich hab darin meine Möglichkeit gesehen, ihm das hämische Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich mich auf ihn stürze und dementsprechend schnell hab ich ihn zu Boden ringen und ihm eine reinhauen können. Aber ich hab nicht damit gerechnet, dass er nicht alleine auf Patrouille gegangen ist, was natürlich dumm war. Niemand ging alleine, wenn er zum Rudel gehörte. Die anderen beiden Wölfe haben mich von ihm runter gezogen und mich in den Dreck geworfen. Sie hätten mich ganz locker zu dritt verprügeln können, aber sie haben es nicht getan. Sie haben mich nur angesehen und gesagt, dass ich nicht vergessen darf, dass die anderen immer noch ein Rudel bilden und zusammenhalten. Wenn man sich mit einem von ihnen anlegt, hat man auch alle anderen automatisch gegen sich. Dann sind sie abgehauen. Wenigstens hat diesmal keiner hämisch gegrinst, auch sie haben mich mitleidig angesehen. Ich hab einfach nicht daran gedacht, dass niemand alleine auf Patrouille geht. Wütend auf mich selbst hab ich mir den Dreck aus dem Gesicht gewischt und bin weiter durch den Wald gelaufen. Ich hatte wirklich mehr Glück als die Tage vorher und tatsächlich zwei Hasen fangen können. Sie waren zwar schon älter und daher ziemlich zäh, aber immer noch besser als gar nichts. Ganz satt bin ich zwar nicht geworden, aber wenigstens hat mein Magen nicht mehr geknurrt wie ein wildes Tier. Aber in dieser Nacht hab ich wirklich gefroren. Ich hab es auch einfach nicht hinbekommen, mir ein eigenes Feuer zu entfachen. Der sechste Tag war dann der Tag, der mich endgültig bekehrt hat. Mal wieder war meine Jagd erfolglos. Ich bin weiter gelaufen als bisher und weiter in die Berge vorgedrungen, in der Hoffnung irgendwas zu finden. Aber statt etwas zu finden, wurde ich gefunden. Ich hab nicht aufgepasst und war in das Revier der Paradiesvögel marschiert. Natürlich hat mich prompt einer dieser Bastarde angegriffen. Zuerst konnte ich mich noch ganz gut wehren, schließlich war das nur eine dieser Missgeburten, normalerweise kann einer alleine sie recht schnell ablenken und sich dann aus dem Staub machen, aber dadurch, dass ich in den letzten Tagen fast gar nichts gegessen habe, war ich doch schwächer als gedacht. Das Mistvieh hat mich auf den Boden geworfen und wollte sich auf mich stürzen. Ich hab wirklich gedacht, dass es gleich mit mir vorbei sein würde und ich habe es bereut, die anderen Rudelmitglieder nie als meine Brüder betrachtet zu haben, denn in dem Moment ist mir klar geworden, dass sie meine Brüder sind. Auch wenn ich es ihnen nie sonderlich gedankt habe, sind sie doch immer alle für mich da gewesen, haben an meiner Seite gejagt und gekämpft und sich um mich gesorgt, wie um jeden anderen. Ich wollte mich wehren, wollte das Rudel wenigstens noch einmal sehen, um ihnen sagen zu können, dass ich es endlich verstanden habe und dass ich ihnen dankbar dafür bin, dass sie mich nicht schon früher ganz aus dem Rudel gejagt haben. Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich immer überheblich gewesen bin, weil ich stärker bin als die anderen und dass ich diese Stärke nur eingesetzt habe, um andere zu beschützen, damit ich es ihnen hinterher unter die Nase reiben konnte. Und gerade, als dieser Paradiesvogel auf mich zugeschossen kam und mich zerfleischen wollte, ist er zu Boden gerungen und verhauen worden. Ginta und Hakkaku, zwei aus dem Rudel, haben sich wirklich auf meinen Angreifer gestürzt und ihn gemeinsam verscheucht. Dann haben sie mir aufgeholfen, mich gefragt ob alles in Ordnung ist und sind mit mir zurück gelaufen, weil wir davon ausgehen mussten, dass dieses Biest seine Kameraden holen würde. Ich habe mich wirklich bei den beiden für ihre Hilfe gedankt und sie haben beide gesagt, dass das selbstverständlich ist und dass sie mir gefolgt sind, als sie gesehen haben, in welche Richtung ich gegangen bin, weil man in einem Rudel nun mal aufeinander aufpasst. Ich habe Vater dann gesagt, dass ich seine Lektion endlich gelernt habe und verstanden habe, warum ich die anderen Rudelmitglieder als meine Brüder ansehen muss. Er hat mir auf die Schulter geklopft und gemeint, dass er gedacht hätte, dass das länger dauern würde, aber er hat gelächelt. Ich habe mich dann noch bei allen anderen für mein Verhalten entschuldigt und versprochen, mich ab jetzt noch mehr einzubringen. Sie haben mir alle verziehen und mich herzlich wieder aufgenommen. Die Jagdgruppe hatte sich mal wieder an dem Vieh der Menschen vergriffen, sodass wir uns alle wirklich satt essen konnten. Anfangs war ich ja wirklich böse auf Vater, dass er mich zu dieser Zeit aus dem aktiven Rudelleben ausgeschlossen hat. Aber mittlerweile hab ich es verstanden. Im Frühling oder Sommer ist es nicht weiter schwer, alleine zurecht zu kommen, weil im Wald genug fette Hasen herumlaufen und auch andere Tiere recht unaufmerksam sind. Aber wenn es kalt wird, verkriechen sich alle und es ist fast unmöglich ganz alleine über den Winter zu kommen. Darum schließen wir uns zu Rudeln zusammen, in denen einer für den anderen da ist, niemand verhungern oder erfrieren muss und auch versorgt wird, wenn er verletzt ist, weil er es genauso für die anderen tun wird. Ich bin froh, dass ich dieses Rudel habe und ich bin stolz, dass ich sie eines Tages anführen werde. Ich werde meine Gedanken und Erlebnisse nur noch aufschreiben, wenn ich genug Zeit dafür habe, ohne meine Brüder zu vernachlässigen. Bis dann Kouga Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)