Oh Tannenbaum von Karma (Bakura x Joey [& Freddie]) ================================================================================ Kapitel 1: Frohe ---------------- 1. Advent "Meine Fresse, der ganze Kitsch ist ja nicht zu ertragen!" Angewidert verzog Bakura das Gesicht und spuckte mitten auf den Gehweg. Den empörten Blick einer älteren Dame, der ihn sonst unter Garantie amüsiert hätte, nahm er gar nicht wahr, denn er war viel zu abgelenkt von all dem Lametta, den Tannenbäumen, den glänzenden Kugeln und der gefühlten Milliarde kleiner Lichter, die überall blinkten und die ganze Innenstadt von Domino City zum Leuchten brachten. An allen Ecken glitzerte und funkelte es zum Gotterbarmen und der Weißhaarige verfluchte sich selbst dafür, dass er keine Sonnenbrille mitgenommen hatte. Das ganze Geflimmer war einfach eine Zumutung und obendrein noch Körperverletzung, jawohl! Und das Wissen, dass sein jüngerer Bruder, zu dem er gerade unterwegs war, dieses ganze Weihnachtsbrimborium auch noch voller Wonne mitmachte, tat ein Übriges, um Bakuras Laune noch weiter zu verschlechtern. Er hatte sein Möglichstes versucht, aber Ryou war einfach nicht von seinem Weihnachtstrip abzubringen. Dabei waren sie noch nicht einmal Christen, verdammt! Aber egal, welche Argumente er auch gegen all den Kitsch, das Glitzern und das Blinken vorbrachte, Ryou ignorierte sie alle. Er bestand sogar darauf, einen Adventskranz aufzustellen und jeden Sonntag eine weitere Kerze daran anzuzünden. Sogar einen Adventskalender hatte er gekauft und Bakura hatte nur mit wüsten Verwünschungen verhindern können, dass sein Bruder ihm auch einen aufs Auge drückte. Er hatte allerdings nichts dagegen tun können, dass Ryou ihm praktisch befohlen hatte, dann heute wenigstens zum Adventstee bei ihm anzutreten. So sanft und lammfromm der Junge sonst auch war, wenn er etwas wirklich wollte, dann bekam er es auch. Gerade seinem älteren Bruder gegenüber, dachte Bakura knurrend, zog er skrupellos alle Register und schreckte auch vor der Tränennummer nicht zurück. So sehr er sich selbst auch dafür hasste, dass er dabei nicht hart bleiben konnte, noch mehr hasste Bakura es, Tränen in den großen, sanften Rehaugen seines kleinen Bruders zu sehen. Jedes Mal, wenn Ryou weinte, tat er einfach alles, um den Jüngeren wieder glücklich zu machen. Genau wie heute. Dabei, grollte Bakura innerlich, wusste er verdammt genau, dass Ryous Tränen nicht echt gewesen waren. Ihm war hundertprozentig bewusst, dass sein kleiner Bruder ihn heimtückisch manipuliert hatte, aber er kam einfach nicht dagegen an. Ryou hatte ihn voll und ganz in der Hand und nutzte das auch noch schamlos aus, aber Bakura konnte ihm einfach nicht wirklich böse sein. Dafür liebte er seinen kleinen Bruder viel zu sehr, auch wenn er sich das nur äußerst selten anmerken ließ. Aber solange der Kleine wusste, dass er alles für ihn tun würde, war alles in Ordnung. Oder, dachte Bakura grimmig, es wäre in Ordnung, wenn Ryou ihm nicht so übel mitgespielt hätte. Adventstee? Pah! Wer brauchte denn schon so was? "Das wirst Du aber noch ein Weilchen ertragen müssen. Bis Weihnachten sind's schließlich noch fast fünf Wochen." Joey, der seinen Freund zu dessen jüngerem Bruder begleitete – auf seinen Wunsch hin, wohlgemerkt –, bedachte Bakura mit einem kurzen Seitenblick und ließ seine Augen dann wieder über die einem einzigen Lichtermeer gleichende Innenstand gleiten. Eigentlich hatte er ja nichts gegen Weihnachtsdekoration, aber dieses Jahr ertrank Domino wirklich geradezu darin. Selbst ihm taten mittlerweile schon die Augen weh und das wollte wirklich etwas heißen. Wenn sogar er das Ganze schon übertrieben fand, dann konnte er sich lebhaft vorstellen, wie sehr es Bakura zuwider war. Der Weißhaarige hatte eine deutlich niedrigere Toleranzgrenze für Kitsch und es war wirklich nicht zu übersehen, wie sehr er das alles hier hasste. Seine ganze Haltung drückte pure Abscheu aus und Joey war erleichtert, als sie die blendende Helligkeit der Innenstadt endlich hinter sich lassen konnten. "Bin ich froh, wenn der Scheiß endlich wieder runterkommt!" Um ein Haar hätte Bakura aufgeatmet, als das Mietshaus, in dem Ryou mit seiner Freundin – Joeys jüngerer Schwester Serenity – wohnte, in Sicht kam. Endlich raus aus dem Weihnachtskitsch! Das Wissen, dass ihm auf dem Rückweg noch einmal der gleiche Horrortrip bevorstand, versuchte der Weißhaarige nach Kräften zu verdrängen. Wenn er jetzt zu lange darüber nachdachte, dann würde ein Unglück geschehen, so viel stand fest. Aus diesem Grund zog er den Ersatzschlüssel, den Ryou ihm für Notfälle gegeben hatte, aus der Manteltasche, schloss die Haustür auf und hielt sie für Joey offen – eine Geste, die dieser mit einem verwunderten Blick quittierte. Er sagte jedoch nichts dazu, denn er kannte Bakura inzwischen gut genug um zu wissen, dass jedes falsche Wort im Augenblick zu einem handfesten Streit führen würde. Es war beileibe nicht so, dass er das Streiten mit dem Weißhaarigen nicht genoss, aber der Hausflur vor der Wohnung seiner kleinen Schwester war wohl kaum der geeignete Ort für das, was bei ihnen üblicherweise auf einen Streit folgte. Unwillkürlich begann Joey zu grinsen. Vor gut anderthalb Jahren, als Bakura und er sich über ihre jeweiligen jüngeren Geschwister kennen gelernt hatten, waren sie binnen weniger als fünf Minuten aufs Heftigste aneinandergerasselt. Er hatte damals, ganz großer Bruder, dem neuen Freund seiner Schwester auf den Zahn fühlen wollen. Das hatte Bakura natürlich ganz und gar nicht gepasst. Ein Wort hatte das andere gegeben und sie waren immer lauter und hitziger geworden. Sie hatten erst aufgehört zu streiten, als Ryou und Serenity ihnen gemeinschaftlich einen Eimer kalten Wassers über die Köpfe gekippt hatten. Glücklicherweise war es Sommer gewesen und sehr heiß, so dass diese Abkühlung keinerlei Folgen in Form einer Erkältung gehabt hatte. Damals, sinnierte Joey, hätte sich noch keiner von ihnen träumen lassen, was sich aus diesem Streit entwickeln würde. Er selbst war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass Bakura, den er für einen durchgeknallten Psychopathen gehalten hatte, ihn hasste. Umgekehrt hatte Bakura in ihm einen gemeingefährlichen Temperamentsbolzen gesehen, der seinem kleinen Bruder schaden wollte. Es hatte Wochen gedauert, bis sie begriffen hatten, dass sie sich im Bezug auf ihren sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt ihren jüngeren Geschwistern gegenüber wesentlich ähnlicher waren, als ihnen zum damaligen Zeitpunkt lieb gewesen war. Dennoch, auch wenn sie die Motivation des jeweils Anderen durchaus hatten nachvollziehen können, hatte das nicht das Geringste an ihrer Streitlust geändert. Immer und immer wieder waren sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufeinander losgegangen – so lange, bis die Stimmung irgendwann einmal gekippt war und sie sich förmlich die Klamotten vom Leib gerissen hatten, anstatt sich wie üblich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Hinterher hätte keiner von ihnen mehr sagen können, wessen Idee das Ganze gewesen war, aber in einem waren sie sich einig gewesen: Ewas, das so verdammt heiß war, war es wert, wiederholt zu werden – am besten immer und immer wieder. Genau das hatten sie auch getan und im Verlauf der Monate war aus einer reinen Fickgeschichte nach und nach tatsächlich etwas Ernstes geworden. Diese Entwicklung hatte ihren gesamten Freundeskreis regelrecht geschockt, aber inzwischen hatten sich alle daran gewöhnt, dass Bakura und er eine nicht ganz alltägliche Beziehung führten. Ein rauer, gieriger Kuss unterbrach Joeys Erinnerungen und ließ ihn überrascht aufkeuchen. "Behalt den schmutzigen Gedanken im Hinterkopf, bis wir wieder zu Hause sind", spielte Bakura auf das Grinsen an, das die Lippen des Blondschopfs gerade noch geziert hatte. Dann drängte er sich an diesem vorbei, schloss die Tür zur Wohnung seines jüngeren Bruders auf und wappnete sich innerlich für das Grauen, das ihn dort unzweifelhaft erwartete. Und er wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, seine Erwartungen – oder doch eher seine Befürchtungen? – wurden sogar noch übertroffen. Schon im Flur stand ein Tannengesteck inklusive Kerze, kleinen Dekorsternen und silberfarbenem Lametta. Ach Du Scheiße!, schoss es Bakura durch den Kopf, aber er biss die Zähne zusammen und zwang sich, dennoch weiterzugehen und sich auch noch dem Rest des nach Weihnachtspunsch, Lebkuchen und Plätzchen duftenden Alptraums zu stellen. Das schmalzig-kitschige Weihnachtslied, das ihnen entgegenschallte – "Ihr Kinderlein kommet", wenn er sich nicht ganz stark irrte –, ließ ihn würgen, aber Bakura schluckte seine Abscheu hinunter und ging bis ins Wohnzimmer durch, von wo er Stimmen und fröhliches Gelächter hörte. Es gelang ihm allerdings nicht, auch nur die Andeutung eines Lächelns zu zeigen. Stattdessen hatte er Mühe, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, als er die Versammlung im Wohnzimmer sah. Hatte Ryou nicht was von "Adventstee im kleinen Kreis" gefaselt? Das hier war kein kleiner Kreis, das war ein Volksauflauf! Und warum, verdammt noch mal, trugen fast alle dieser Clowns, die sich seine Freunde schimpften, alberne rote Weihnachtsmützen? Und war das, was Ryou da im Gesicht hatte, tatsächlich ein weißer Wattebart? Das war doch wohl hoffentlich nur ein schlechter Scherz! Das konnte doch – bitte, bitte, bitte! – nicht Ryous Ernst sein! "Hey, Leute!" Joey, der Bakura gefolgt war und dessen stummes Entsetzen zwar nicht teilte, aber doch deutlich sah, nickte grüßend in die Runde und schnappte sich dann einfach Bakuras Arm, um diesen zum letzten noch freien Sessel zu ziehen und ihn hineinbugsieren zu können. Dann hockte er sich schnell rücklings auf den Schoß seines Freundes, denn dieser sah noch immer so aus, als stünde er kurz vor einem Nervenzusammenbruch – oder wahlweise auch vor einem Amoklauf. Wobei Joey, wenn er es genau betrachtete, die zweite Möglichkeit für deutlich wahrscheinlicher hielt. Ablenkung lautete die Devise, daher war er froh, als seine Schwester zu ihnen beiden trat und ihnen mit einem Lächeln zwei Tassen mit dampfendem Glühwein reichte. Das Engelskostüm samt aufgeschnallter Flügel, das sie trug, entlockte Bakura ein ersticktes Krächzen, aber ehe er etwas sicher nicht sehr Nettes sagen und Serenity damit kränken konnte, küsste Joey ihn schnell und drückte ihm dann eine der Tassen in die Hand. "Trink", riet er seinem Freund dabei. "Das macht es leichter, glaub mir." "Hoffentlich." Mit wahrer Todesverachtung kippte Bakura den halben Inhalt seiner Tasse auf einen Zug herunter, ohne wegen der Hitze des Getränks auch nur eine Miene zu verziehen. Vielleicht, dachte er dabei hoffnungsvoll, ertrug er das ganze Brimborium hier ja wirklich leichter, wenn er betrunken war. Allerdings war der Alkoholgehalt des Glühweins sehr zu seinem Leidwesen geradezu lächerlich gering. Wahrscheinlich würde er das Zeug hektoliterweise trinken müssen, um auch nur ansatzweise besoffen zu werden. Verdammt, hatte Ryou denn nichts Hochprozentigeres da als diese Kinderkacke? Wenn er diesen Alptraum hier ohne bleibenden Schaden überstehen sollte, dann brauchte er etwas Härteres. Wo Ryou wohl den Wodka versteckt hatte, den er ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte? Im Gegensatz zu Bakura nippte Joey nur an seinem Glühwein. Dabei besah er sich über den Rand seiner Tasse hinweg das Treiben im Wohnzimmer und kämpfte gegen das Grinsen an, das sich auf seine Lippen legen wollte. Serenity und ihre beste Freundin Tea gaben wirklich sehr niedliche Engelchen ab, aber Ryou als Weihnachtsmann war einfach der Hit. Der Junge war viel zu zerbrechlich für einen anständigen Weihnachtsmann, aber er schien trotzdem eine Menge Spaß an der ganzen Sache zu haben. Auch Yugi, der offensichtlich schon einen kleinen Schwips hatte, und Mokuba, der jüngere Bruder des in ihrem Freundeskreis liebevoll-spöttisch "Eisklotz" genannten Seto Kaiba, amüsierten sich augenscheinlich prächtig. Der Eisklotz selbst saß auf der Couch, als ginge ihn das alles nicht das Geringste an, aber seine Augen verrieten, dass er es zumindest genoss, seinen Bruder so ausgelassen zu sehen. Yami war gerade damit beschäftigt, seinem jüngeren Bruder Yugi energisch dessen Tasse wegzunehmen, ohne auf Yugis Schmollen zu achten. Tristan, Yamis Freund, unterstützte den älteren Bunthaarigen dabei nach Kräften, obwohl es ihm offensichtlich schwer fiel, nicht über Yugis Flunsch zu lachen. Duke und Mai, beide ebenfalls mit einer überaus kitschigen Weihnachtsmütze auf dem Kopf, hatten sich mit ihrem Sessel den Platz direkt unter einem der strategisch günstig überall in der Wohnung verteilten Mistelzweige gesichert und nutzten diese Tatsache weidlich aus, um hemmungslos miteinander zu knutschen. Damit waren sie so beschäftigt, dass sie nichts mehr von dem mitbekamen, was um sie herum vor sich ging. Wäre nicht die wirklich viel zu kitschige und übertriebene Weihnachtsdekoration gewesen, hätte das hier durchaus ein ganz normaler Nachmittag ihrer Clique sein können, aber all die blinkenden Sterne, Tannenbäume, Schneemänner, Rentiere und Weihnachtsmänner waren wirklich ein bisschen zu viel des Guten, selbst für Joey. Seine Schwester und Ryou waren manchmal etwas übereifrig, aber so waren die beiden nun mal. Und sie meinten es ja nicht böse, auch wenn Bakura da ganz sicher anderer Meinung war. Bakura bemühte sich nach Kräften, irgendeinen Fleck in der Wohnung zu finden, wo er gefahrlos hinsehen konnte, ohne von leuchtender, blinkender oder glitzernder Weihnachtsdekoration förmlich erschlagen zu werden, doch er wurde einfach nicht fündig. Selbst in die allerkleinsten Nischen hatten Ryou und Serenity irgendwelche Sterne, Engelchen oder anderen Kitsch gequetscht. Überall blinkten Lichterketten und der wirklich unübersehbare, mit Kugeln, Lametta und anderem Schmuck gnadenlos überladene Weihnachtsbaum, der unter dem Gewicht der ganzen Dekoration sogar leicht zu schwanken und zu ächzen schien, weckte in Bakura das Gefühl, in seinem persönlichen Alptraum gefangen zu sein. Ohne es wirklich zu bemerken, krallte er sich förmlich an Joeys Hüfte fest und warf diesem einen fast schon verzweifelten Blick zu, als der Blondschopf sich halb zu ihm umdrehte. "Besorg mir mehr von dem Zeug!", befahl er mit einem Nicken zu Joeys inzwischen leerer Glühweintasse, ließ den Blonden aber nur sehr widerstrebend los, als dieser sich tatsächlich anschickte, aufzustehen, um das Gewünschte zu holen. So ganz ohne Joeys Gewicht auf seinem Schoß war all der Kitsch noch viel schwerer zu ertragen, so dass Bakura förmlich aufatmete, als sein Freund nach einer gefühlten Ewigkeit endlich zurückkehrte. Ohne auf das zerknirschte Gesicht des Blondschopfs zu achten, riss der Weißhaarige ihm praktisch die mitgebrachte Tasse aus der Hand und wollte sie auf einen Zug leeren, erstarrte aber, als sein Blick auf das braune Gebräu darin fiel. "Kakao?", krächzte Bakura entsetzt. "Du bringst mir Kakao mit?!" Das war doch wohl hoffentlich nur ein Witz, oder? "Spinnst Du oder was? Was soll denn der Scheiß?" Sah er vielleicht aus wie jemand, der Kakao trank? "Da ist Amaretto drin", versuchte Joey zu retten, was noch zu retten war, und rutschte blitzschnell rittlings auf Bakuras Schoß, als dieser Anstalten machte, aufspringen zu wollen. "Der Glühwein ist alle, also ... Serenity hat einen extra großen Schuss rein getan. Nur für Dich", bemühte er sich, seinen Freund weiter zu besänftigen. Auf keinen Fall wollte er riskieren, dass es hier in Serenitys und Ryous Wohnung zu einem Blutbad kam. Dass dafür nicht mehr viel fehlte, zeigten die zu schmalen Schlitzen verengten dunkelbraunen Augen Bakuras mehr als deutlich. Joey war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass er praktisch auf einem Pulverfass saß, doch der Gedanke erschreckte ihn weit weniger, als er es hätte tun sollen. Das Zusammenleben mit Bakura glich sowieso einem Tanz am Rande eines aktiven Vulkans, aber er war nun mal verrückt genug, daran auch noch seinen Spaß zu haben. Was war das Leben denn auch ohne Gefahr? "Du hättest gleich die ganze verdammte Pulle mitbringen sollen", grollte Bakura, stürzte den Kakao aber dennoch auf ex hinunter und schüttelte sich dann, denn trotz des Amarettos war das braune Gesöff für ihn noch immer viel zu süß. Nichts gegen Schokolade, aber musste Ryou unbedingt tonnenweise Zucker hineinkippen? Wollte der Junge ihm unbedingt einen Zuckerschock verpassen oder ihn vielleicht gleich ganz umbringen? Oder war das vielleicht auf Serenitys Mist gewachsen, um ihn endlich loszuwerden? Was es auch war, Bakura nahm sich fest vor, mit seinem Bruder und dessen Freundin später noch mal ein ernstes Wort zu reden. Wenn sie ihn schon foltern wollten, dann sollten sie ihm gefälligst auch Alkohol geben, um das Ganze zumindest ein bisschen erträglicher zu machen. Oder sie sollten ihn gleich erschießen, damit er es hinter sich hatte. Aber ihn so zu quälen war wirklich grausam. Was hatte er Ryou bloß getan, um das hier zu verdienen? War er als großer Bruder wirklich so schlimm gewesen? Dabei hatte er sich doch wirklich nach Kräften bemüht, immer für den Kleinen dazusein und ihn vor allem zu beschützen. Und wie dankte Ryou es ihm? Mit "Morgen, Kinder, wird's was geben" und all dem anderen grässlichen Zeug, das er so verabscheute. Was hatte er nur falsch gemacht? "Nachschub." Ohne Joey auch nur die Möglichkeit zu einem Protest zu geben, nahm Bakura ihm seine Tasse ab, trank einen großen Schluck daraus und verzog angewidert das Gesicht. "Das ist ja bloß Kakao!", beschwerte er sich, reichte dem Blondschopf seine Tasse zurück und sah ihn dann so böse an, als wäre die Situation, in der er sich gerade befand, einzig und allein Joeys Schuld. Wie konnte sein eigener Freund ihm auch noch so in den Rücken fallen und ihn einfach von seinem Alkoholnachschub abschneiden? Das war einfach nicht fair, verdammt noch mal! Joey kam nicht dazu, sich zu rechtfertigen. Gerade als er den Mund aufmachen wollte, um Bakura zu erklären, dass er persönlich nun mal erstens keinen Amaretto mochte und zweitens schon immer ein großer Fan von heißem Kakao mit Sahne gewesen war, tauchte seine Schwester wie aus dem Nichts neben dem Sessel auf und schob einen der unzähligen, mit köstlich duftenden, selbstgebackenen Plätzchen beladenen Teller zwischen sie. Serenity hatte die ersten Anzeichen eines bevorstehenden Streits erkannt, doch ihr Versuch, die Auseinandersetzung zu verhindern, ging zumindest zum Teil nach hinten los. Wie sie nicht anders erwartet hatte, betrachtete ihr Bruder die Leckereien mit glänzenden Augen. Joey war schon immer eine regelrechte Naschkatze gewesen. Schon in ihrer gemeinsamen Kindheit war nichts Essbares vor ihm sicher gewesen und das hatte sich bis heute nicht geändert – eine Tatsache, die Serenity jetzt auszunutzen gedachte. Manchmal war es ja so leicht, ihren großen Bruder vom Streiten abzulenken. Anders als sein Freund schnaubte Bakura nur, als sein Blick auf den Teller fiel. Plätzchen, Lebkuchen und all das süße Zeug waren nun wirklich das Letzte, was er wollte. Reichte der doppelte Kakaoanschlag auf seine armen Geschmacksknospen denn nicht? Musste man ihn jetzt auch noch mit Gebäck zu vergiften versuchen? Er hatte es ja immer gewusst, Serenity war gemeingefährlich. Sein armer, unschuldiger kleiner Bruder war mit einer heimtückischen Mörderin zusammen. Mit wie vielen Kilo Zucker und Rattengift mochte sie diese harmlos aussehenden Sterne, Herzen, Tannenbäume und Lebkuchenmännchen wohl gewürzt haben? Er musste Ryou retten, und zwar schnell! "Ihr müsst unbedingt die Zimtsterne probieren, die Ryou gemacht hat. Die sind wirklich toll!" Serenity war von Kopf bis Fuß zuckersüß lächelnde Unschuld und Bakuras Entsetzen wuchs. Zimtsterne! Sie hatte seinen Bruder assimiliert! Ryou war nicht mehr zu retten. Er war verloren. Jetzt galt es, sich selbst zu retten – sich selbst und Joey, der die todbringenden Köstlichkeiten förmlich mit den Augen verschlang und sich offenbar nicht entscheiden konnte, welche davon er zuerst versuchen wollte. "Kein Interesse", presste Bakura deshalb zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und schob den Teller schnell aus Joeys Reichweite, bevor der Blondschopf zugreifen und auch dem Wahn verfallen konnte. Man sah ja an ihren Freunden, wohin dieser Plätzchenkonsum führen konnte. Selbst Yami und Tristan, die sonst eigentlich recht vernünftig waren, fütterten sich gegenseitig mit kitschigen, vor gelb eingefärbtem Zuckerguss nur so strotzenden Sternen und turtelten dabei so verliebt herum, dass einem schon vom bloßen Zuschauen regelrecht übel wurde. "Hey, ich wollte die probieren!" Schmollend verschränkte Joey die Arme vor der Brust und japste im nächsten Moment erschrocken auf, als Bakura ruckartig aus dem Sessel aufstand. Nur mit viel Mühe konnte der Blondschopf verhindern, dass seine Kehrseite schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Wohnzimmerboden machte. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass Bakura nach einem vernichtenden Blick in seine Richtung, der von einem "Nicht Du auch noch!" begleitet wurde, in Richtung des Badezimmers davon stürmte und die Tür so laut hinter sich ins Schloss warf, dass eine der Christbaumkugeln herunterfiel und auf dem Teppich zerbrach. "Was ist denn auf einmal in Kura gefahren?", fragte Ryou, der Aushilfsweihnachtsmann, verdutzt und Joey ließ sich erst mal in den jetzt freien Sessel fallen, ehe er mit den Schultern zuckte. "Keine Ahnung, ehrlich", antwortete er dann, denn diesen Ausbruch seines Freundes verstand er beim besten Willen nicht. Andererseits war Bakura im Augenblick sowieso etwas seltsam drauf. Aber das würde sich schon wieder legen, davon war Joey überzeugt. "Aber gibt mir vielleicht mal jemand die Plätzchen an? Oder wollt ihr mich hier etwa verhungern lassen?" Ausgelassenes Gelächter aus dem Wohnzimmer verfolgte Bakura bis ins Badezimmer und er schüttelte sich, ehe er einen Blick in den Spiegel warf. Ab jetzt war es amtlich: Er war die letzte Bastion gegen den Weihnachtswahnsinn, der überall um sich griff. Joey war von Essen in die Weihnachtsfalle gelockt worden und selbst Seto "Eisklotz" Kaiba, der sonst mit solchen Dingen auch nichts anfangen konnte, hatte vorhin tatsächlich eins der mit dunkler Schokolade verzierten Lebkuchenmännchen gegessen, das Tea ihm gereicht hatte. So schrecklich es auch war, der Wahrheit ins Auge zu sehen, es war nicht mehr zu ändern. Er stand auf verlorenem Posten. Alle seine Freunde waren von Ryou und Serenity, die, obwohl sie sich als Weihnachtsmann und Engel verkleidet hatten, doch Teufel in Menschengestalt waren, infiziert worden. Er, Bakura, war der Einzige, der noch übrig war. Er konnte die Anderen nicht retten, das wusste er. Er konnte nur versuchen, irgendwie zu überleben, ohne selbst dem allgegenwärtigen "Geist der Weihnacht" zum Opfer zu fallen. Ein übermächtiger Feind, das stimmte durchaus, aber, motivierte Bakura sich selbst, er war stark genug, um diesem grauenerregenden Monster zu widerstehen. Er konnte es schaffen, das wusste er. Alles, was er brauchte, war Alkohol. Viel Alkohol. Viel, viel, viel Alkohol. Je mehr Alkohol, desto besser. Mit diesem Vorsatz verließ Bakura das Bad wieder und machte sich auf den Weg in die Küche. Dieser elende Geist der Weihnacht würde ihn nicht zur Strecke bringen. Er konnte jeden unter den Tisch saufen, wenn er es nur ernsthaft wollte. Dieser Kitsch würde ihn nicht kriegen, das schwor er sich. Jeden, aber nicht ihn! Joey, der seinen Freund aus dem Badezimmer in Richtung Küche gehen sah, wollte gerade aufstehen, um ihm zu folgen, doch ein paar Blätter Papier, die Serenity ihm in seine freie linke Hand drückte – mit der rechten hielt er noch immer den Plätzchenteller fest, den er sich erobert hatte –, vereitelten dieses Vorhaben. "Hier, Joey. Damit Du auch die Texte hast", sagte sie dabei und dem Blonden schwante Übles. War das, was er da sah, etwa wirklich das, wonach es aussah? Und war Ryou, der gerade das Wohnzimmer verließ, wirklich so lebensmüde, seinem älteren Bruder zum Singen von Weihnachtsliedern bringen zu wollen? Wusste er denn nicht, dass Bakura sowieso schon kurz vor der Explosion stand? Unwillkürlich duckte Joey sich im Sessel, ohne die offene Wohnzimmertür aus den Augen zu lassen. Wenn Ryou das wirklich durchzog, dann würde es auf jeden Fall Tote geben, so viel stand hundertprozentig fest. Ob er es wohl schnell genug aus der Wohnung schaffen konnte, um dem epischen Wutanfall zu entgehen, wenn er auch noch seine Schwester zu retten versuchte? Joey rechnete seine Chancen aus und seufzte. Nein, das war nicht zu schaffen. Er würde definitiv draufgehen, wenn Bakura ausrastete. Aber er wollte verdammt sein, wenn es ihm nicht wenigstens gelang, Serenity vorher noch in Sicherheit zu bringen. Hoffentlich würde sie sein Opfer zu schätzen wissen und ihren Kindern später mal erzählen, was für ein großer und furchtloser Held ihr Onkel Joey gewesen war. "Da bist Du ja, Kura." Ryou strahlte seinen Bruder an, doch aus dem Strahlen wurde ein Stirnrunzeln, als er bemerkte, was der Ältere gerade tat. Bakura hatte sich rücklings an die Arbeitsplatte in der hellen, geräumigen, aus allen Ecken nach Weihnachten duftenden Küche gelehnt. Seine Augen waren geschlossen, um den auch hier allgegenwärtigen Kitsch wenigstens nicht sehen zu müssen, und seine linke Hand war förmlich um die Amarettoflasche gekrampft, die er zu seiner unendlichen Erleichterung auf dem Küchentisch vorgefunden hatte. Eigentlich war das Zeug ja ganz und gar nicht nach seinem Geschmack – er bevorzugte härtere Sachen wie Whiskey oder Wodka – aber verzweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnahmen. In der Not fraß der Teufel Fliegen, wie es so schön hieß, und im Angesicht von Tannenduft, Plätzchen und endlosem Kitsch tat es eben auch Amaretto. "Oh Du fröhliche", kommentiert Bakura das Desaster, setzte die Flasche an und nahm einen tiefen Schluck, ohne den Protest seines Bruders – "Den Amaretto brauchen wir noch, Kura!" – zu beachten. "Wenn Du damit fertig bist, uns den gesamten Amaretto wegzutrinken, kannst Du ja wieder mit ins Wohnzimmer kommen." Erbost nahm Ryou seinem Bruder die Flasche weg und drückte ihm stattdessen ein paar Blätter Papier in die Hand. Dann schob er den Älteren rigoros aus der Küche, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, sich den Amaretto zurückzuholen. Das wäre ja noch schöner, wenn sein Bruder sich hier betrank. Dafür war der Nachmittag ganz bestimmt nicht gedacht. "Und was soll ich da?" Grummelnd warf Bakura einen Blick auf den Blätterstapel in seiner Hand, doch als er begriff, was auf diesen Blättern stand, blieb er wie angewurzelt mitten in der Wohnzimmertür stehen. "Was ist das hier, Ryou?", wollte er von seinem Bruder wissen und sein Gesicht verlor endgültig jegliche Farbe, als Ryou nur mit den Schultern zuckte. "Was wohl? Weihnachtslieder natürlich, Kura", erklärte Ryou und sein geduldiger, ruhiger Tonfall ließ etwas in Bakura aussetzen. "Du erwartest doch wohl nicht allen Ernstes, das ich jetzt da reingehe, mich hinhocke und Weihnachtslieder schmettere, oder? Am besten soll ich dann sicher auch noch so eine bescheuerte Weihnachtsmütze aufsetzen und mich mit Plätzchen und Kakao voll stopfen, bis ich kotzen muss, was? Weißt Du was, vergiss es, Ryou! Das kannst Du knicken! Ich mach mich doch nicht zum Hampelmann – auch nicht für Dich!", blaffte er seinen Bruder an und warf dem vollkommen verdutzten Ryou die Notenblätter mit den Weihnachtsliedern förmlich entgegen. "Ich komm erst wieder her, wenn dieser ganze Müll verschwunden ist. Wenn Du vorher was von mir willst, musst Du bei mir vorbeikommen. Solange der Weihnachtswahnsinn hier umgeht, kriegt mich nichts und niemand mehr in Deine Bude." Mit diesen Worten und einem letzten verächtlichen Blick auf den von ihm so gehassten Weihnachtskitsch, in dem seine Freunde hockten und ihn aus großen Augen anstarrten, drängte Bakura sich an seinem Bruder vorbei und warf die Wohnungstür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss, ohne auch nur einen Gedanken an seinen Mantel zu verschwenden. Mehrere Minuten lang lag nach dem Abgang des Weißhaarigen Stille über der Wohnung, die nur durch die leisen Töne von "Oh Du fröhliche" – welche Ironie – unterbrochen wurde. "Kura hat seinen Mantel vergessen", war das Erste, was Ryou nach dem Ausbruch seines Bruders über die Lippen brachte. Bakuras Wutanfall hatte ihn ganz schön erschreckt, auch wenn er das nicht zu zeigen versuchte. So wütend war der Ältere noch nie auf ihn gewesen. Offenbar hatte er es wohl wirklich etwas übertrieben. Aber woher hätte er denn wissen sollen, dass ein einfacher, gemütlicher Nachmittag mit ihren Freunden bei Weihnachtsmusik, Plätzchen und Glühwein seinem Bruder so sehr zuwider war? "Solltest Du Bakura nicht folgen und ihm seinen Mantel bringen?" Fragend blickte Seto, der sich als Erster wieder von dem unerwarteten Ausbruch Bakuras erholt hatte, Joey an, doch dieser schüttelte nur den Kopf. "Den Nächsten, der Bakura jetzt anspricht, bringt er eiskalt um. Und ich häng zu sehr an meinem Leben", erklärte er seine Weigerung und wedelte nach einem Rundblick über die Gesichter seiner restlichen Freunde mit dem Blätterstapel, den Serenity ihm gegeben hatte. "Aber wollten wir nicht eigentlich gerade Weihnachtslieder singen?", erinnerte er sie an das, was sie vor Bakuras Abgang hatten tun wollen. "Ich wär ja für "Oh Tannenbaum". Was meint ihr?", schlug er vor und versuchte dabei, den Kloß in seinem Hals zu verdrängen. Darüber, wie er sich seinem Freund gegenüber verhalten sollte, konnte er sich auch auf dem Weg nach Hause noch den Kopf zerbrechen. Kochend vor Wut stapfte Bakura unterdessen durch die Dominoer Innenstadt. Mit jedem Tannenbaum und jeder Lichterkette verschlechterte seine Laune sich noch weiter und einzig die Anwesenheit mehrerer Polizeibeamter verhinderte, dass er einen Weihnachtsmann verprügelte, als dieser ihm voller Enthusiasmus "eine wunderschöne und segensreiche Vorweihnachtszeit" wünschte. Trotzdem riss Bakura dem armen kostümierten Mann die Mütze und den Bart ab und stopfte beides in die Spendendose, die ihm eine ältliche Nonne vor die Nase hielt. "Schieb Dir Deine beschissene Vorweihnachtszeit da hin, wo keine Sonne scheint", fauchte er den vollkommen verdatterten Weihnachtsmann an und fuhr dann zu der Nonne herum. "Und Du, Schwester, frag mich gar nicht erst. Ich hab nichts außer nem Mordshass auf euer Scheißfest, also lass mich einfach in Ruhe!", blaffte er und die Nonne schloss ihren Mund schnell wieder und bekreuzigte sich hastig. Normalerweise hätte sie diesen Rüpel schon allein wegen seiner unangemessenen Redeweise im Namen des Herrn streng zurechtgewiesen – solche Dinge zu sagen gehörte sich einfach nicht; besonders, wenn auch noch Kinder in der Nähe waren –, aber irgendwie konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass es ganz und gar nicht ratsam war, den weißhaarigen jungen Mann noch weiter zu reizen. Was auch immer ihm widerfahren war, musste wirklich schrecklich gewesen sein, wenn er deshalb so verbittert war, dass nicht mal der Gedanke an das Weihnachtsfest ihn aufheitern konnte. "Herr, vergib ihm und führe ihn zurück auf den rechten Pfad", betete sie halblaut, zog Bart und Mütze aus ihrer Spendendose und half dem armen Weihnachtsmann dann, sein Kostüm wieder zu richten. Auch diese Episode schaffte es nicht, Bakuras schlechte Laune zu mindern. Im Gegenteil, sie steigerte seinen Zorn nur noch, denn sämtliche Passanten, die die Szene mit angesehen hatten, waren natürlich ganz klar auf der Seite des Kuttengeiers und ihres rotgewandeten Santa Claus-Abklatsches. War ja auch nur logisch. Immerhin war er der einzig verbliebene normale Mensch in einer Welt, die der Weihnachtswahnsinn fest im Griff hatte. Aber nicht mit ihm, schwor Bakura sich erneut. Ihn würde der Geist der Weihnacht nicht bekommen. Niemals! Nur über seine Leiche! Sein Groll verlieh dem Weißhaarigen ungeahnte Kräfte. Ohne überhaupt etwas von den eisigen Temperaturen, die sich gefährlich nahe des Gefrierpunktes bewegten, zu bemerken, bahnte er sich rücksichtslos seinen Weg durch die Menschenmassen, die die Stadt förmlich überrannten. Für die Buden, die auf dem Vorplatz des Rathauses aufgebaut waren und mit ihrem Geruch nach Glühwein, Gebäck und anheimelnder Atmosphäre – dem gleichen Geruch wie Ryous Wohnung – die Leute anlockten, hatte Bakura nur ein abfälliges Schnauben übrig. Weihnachten konnte ihm gestohlen bleiben. Er würde dieses Fest einfach boykottieren. Ihm kam weder ein Baum noch Plätzchen und der ganze andere Schnickschnack in die Wohnung. Wenn Joey unbedingt Weihnachten feiern wollte, dann konnte er sich gerne so lange bei Ryou und Serenity einquartieren und nach Hause kommen, wenn das Fest vorbei und sein Weihnachtswahnsinn wieder abgeklungen war. Und wehe, er beschwerte sich darüber. Dann, dachte Bakura zähneknirschend, konnte der Blondschopf gleich ganz bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Er duldete solchen Kitsch einfach nicht und wenn Joey ein Problem damit hatte, dann konnte er ja gehen. Durch seine Gedanken unerklärlicherweise noch schlechter gelaunt, tastete Bakura seine Seiten ab und fluchte lauthals und ausgesprochen unflätig, als ihm doch endlich auffiel, dass er seinen Mantel in der Wohnung seines Bruders liegen gelassen hatte. Da sein Wohnungsschlüssel sich in seiner Manteltasche befand, konnte er jetzt nicht mal nach Hause gehen und all den ihn umgebenden Kitsch richtig aussperren. Zu Ryou zurückzugehen, um seinen Mantel zu holen, kam allerdings auch nicht in Frage. Keine zehn Pferde brachten ihn dazu, diese Weihnachtshölle noch einmal über sich ergehen zu lassen. Lieber wollte er jämmerlich erfrieren. Oder, dachte Bakura bei sich, als sein Blick auf das hell erleuchtete, aber nicht wirklich weihnachtlich geschmückte Fenster einer nahen Kneipe fiel, er tat einfach das Nächstbeste und versuchte, die Erinnerung an all den Weihnachtshorror wegzuspülen und seinen Kampfeswillen mit reichlich Alkohol anzufeuern. Sein Portemonnaie befand sich, wie er mit einem raschen Griff feststellte, glücklicherweise in der hinteren Tasche seiner Jeans, also stand einem vergnüglichen Abend mit jeder Menge Saufkumpanen und ohne die geringste Spur von Weihnachten nichts mehr im Wege. Um kurz nach zehn, nach mehreren Runden Weihnachts-Karaoke und gefühlten Tonnen an Plätzchen, die er sich einverleibt hatte, rappelte Joey sich schließlich aus dem Sessel auf, in dem er die ganze Zeit gehockt hatte, um sich dem allgemeinen Aufbruch anzuschließen. Gewohnt herzlich verabschiedete er sich von seinen Freunden, tauschte noch ein paar obligatorische Beleidigungen mit Seto Kaiba aus und machte sich dann nach einer letzten Versicherung Ryou und Serenity gegenüber, dass mit Bakura alles in Ordnung war, dass er es sicher nicht so gemeint hatte und dass er bestimmt schon längst zu Hause war, auf den Heimweg. Bakuras Mantel hatte er der Einfachheit halber über seine Jacke gezogen und der Geruch, der von dem Stoff ausging, brachte den Blondschopf zum Seufzen. Ganz bestimmt war Bakura noch immer stinkwütend. Ein wenig fürchtete Joey die Konfrontation mit seinem Freund zugegebenermaßen schon, aber ein Joey Wheeler war kein Feigling. Das sagte er sich auf dem gesamten Nachhauseweg immer und immer wieder, aber ein Blick hoch zu ihrer vollkommen im Dunkeln liegenden Wohnung ließ ihn trotzdem hart schlucken. Um sich zu beruhigen, zählte Joey in Gedanken auf, was Bakura in seiner Wut alles zu Kleinholz verarbeitet haben konnte, doch auch das konnte das mulmige Gefühl nicht vertreiben. Ungewohnt zaghaft für seine Verhältnisse schloss Joey die Haustür auf, schlich praktisch durch den Flur und öffnete die Wohnungstür so leise wie möglich, doch die Flüche, die er zu hören erwartet hatte, blieben ebenso aus wie das Chaos. Die Wohnung sah noch genauso aus wie er sie am Nachmittag verlassen hatte. Beunruhigt durchsuchte Joey alle Räume, doch von Bakura fehlte jede Spur. Anscheinend war der Weißhaarige also doch nicht nach Hause gegangen. Aber wenn er nicht hier war, wo mochte er dann sein – bei dieser Eiseskälte und ganz ohne seinen Mantel? Ich muss ihn suchen, beschloss Joey in Sekundenschnelle, verließ die Wohnung wieder und begann, erst das ganze Haus und dann die nähere Umgebung abzuklappern. Immer wieder rief er dabei nach seinem Freund, aber es dauerte noch beinahe eine ganze Stunde, bis er tatsächlich eine ihm bekannte weißhaarige Gestalt die Straße entlang taumeln sah. Im ersten Moment befürchtete Joey das Schlimmste, doch als er seine Schritte beschleunigte und sich Bakura näherte, erkannte er, was der Grund für dessen Torkeln war: Der Weißhaarige war schlicht und ergreifend sturzbetrunken, nicht mehr und nicht weniger. "Schöne Scheiße." Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Grummelnd pellte Joey sich aus Bakuras Mantel, den er in seiner Hektik gar nicht erst ausgezogen hatte, hängte ihn seinem Freund über und seufzte abgrundtief, als dieser ihn für diese Aktion nur verständnislos anblinzelte. Anscheinend erkannt Bakura ihn noch nicht einmal wieder. Na, das war ja ganz toll. Und eine wirklich große Hilfe dabei, ihm den Mantel richtig überzuziehen, war der Weißhaarige auch nicht. "Komm, wir gehen nach Hause. Du gehörst ins Bett." Bakura brauchte eine Weile, um die Person, die sich seinen Arm über die Schultern gelegt hatte und ihn so ächzend stützte, zu erkennen. In seiner Wut auf Weihnachten und durch den Frust über den Streit mit seinem Bruder hatte er wesentlich mehr getrunken als geplant und so fiel es ihm jetzt schwer, seinen Blick richtig zu fokussieren. Die chaotische blonde Haarpracht, die ihn jedoch in der Nase kitzelte, als er sich zur Seite drehte und sich dabei noch schwerer auf seinen Begleiter stützte, hätte er überall wiedererkannt. "Joey!", verlieh er seine Freude über seine Erkenntnis ungewohnt überschwänglich Ausdruck und der Angesprochene verzog das Gesicht, denn die Fahne, die ihm entgegenschlug, war nicht ohne. "Meine Fresse, hast Du ganz alleine einen Schnapsladen leergesoffen oder was?", fragte Joey, bekam jedoch keine Antwort. Bakura lehnte sich nur noch schwerer auf ihn und der Blondschopf schaffte es nur mit Mühe, sein Gleichgewicht zu halten. "Eigentlich sollte ich Dich Deinen Rausch hier draußen ausschlafen lassen", grollte er keuchend. Sein Freund war wirklich nicht unbedingt ein Fliegengewicht. Trotzdem wäre es Joey nie in den Sinn gekommen, seine Drohung wahr zu machen, deshalb zerrte er Bakura, der sich wie ein kleines Kind an ihn klammerte und Unverständliches vor sich hin lallte, unbeirrt weiter und atmete auf, als er endlich das Mietshaus erreichte, in dem ihre Wohnung lag. Seinen Freund an der Wand neben dem Eingang anlehnend fingerte Joey seinen Schlüssel heraus, fummelte die Tür auf und konnte im letzten Moment gerade noch verhindern, dass Bakura einfach an der Hauswand herunterrutschte. Grummelnd bugsierte er den Weißhaarigen in ihre Wohnung, verfrachtete ihn dort auf die Couch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Du pennst heute Nacht hier", beschloss er mit einem skeptischen Blick auf den ergebnislos mit den Ärmeln seines Mantels kämpfenden Bakura. "Sonst bist Du morgen fit wie ein Turnschuh und ich hab den Kater." "Okay." Die unerwartete Zustimmung seines Freundes brachte Joey dazu, neben der Couch in die Hocke zu gehen und ihm eine Hand auf die Stirn zu legen. "Fieber hast Du jedenfalls nicht", stellte er fest und wollte wieder aufstehen, um endlich auch ins Bett zu kommen, doch ein ruckartiger Griff um sein Handgelenk ließ ihn halb auf Bakura landen. "Ich ... mach alles, wassu wills", nuschelte dieser undeutlich und blinzelte den Blonden so beschwörend an, wie es ihm in seiner Lage möglich war. "Du muss ... muss mir nur eins ver ... versprechen: Kei ... Keine Weihnachtsdeko. K-Kein Baum, keine ... Plätzchen, kein ... gar nichts", verlangte er eindringlich und Joey nickte – hauptsächlich, um der wirklich üblen Fahne zu entkommen. "Wenn Dich das glücklich macht, von mir aus. Kein Weihnachten. Kein Kitsch, kein Punsch und auch sonst nichts von dem ganzen Zeug, das Du so hasst", versprach er und befreite sich schnell aus Bakuras Umklammerung, als dieser ihm für sein Versprechen einen Kuss aufdrücken wollte. Das musste jetzt wirklich nicht sein. Bakura strahlte beinahe mit der ihm so verhassten Weihnachtsbeleuchtung um die Wette, als Joey ihm tatsächlich das Versprechen gab, das er so unbedingt hatte hören wollen. Nicht einmal die nächsten Worte des Blondschopfs – "Aber kein Weihnachten bedeutet auch keine Geschenke, das ist Dir hoffentlich klar, Bakura." – konnten seinen Triumph schmälern. Er hatte gewonnen! Er hatte den Geist der Weihnacht besiegt, hatte ihn auf ganzer Linie geschlagen und hatte auch noch seinen Freund aus den Klauen dieses Monsters befreit! Er war einfach der Größte! "Ich bin ... ein Held!", verkündete Bakura im Brustton der Überzeugung und Joey hätte ihm dafür gerne einen Vogel gezeigt, doch der Anblick des Weißhaarigen, der sich gleichzeitig von seinem Mantel und seinen Schuhen zu befreien versuchte, war einfach zu komisch. "Der Held vom Erdbeerfeld", bestätigte Joey seinem Freund daher amüsiert und schüttelte dann grinsend den Kopf. "Außerdem bist Du total besoffen und solltest schlafen. Aber wehe, Du kommst heute Nacht zu mir ins Bett und ich hab morgen deswegen Kopfschmerzen. Dann tunk ich Dich persönlich in grüne Farbe, wickele Dich in eine Lichterkette und stell Dich mit Lametta und Kugeln behängt als Weihnachtsbaum vors Rathaus!", drohte er und Bakura, der sich gerade hatte aufrappeln wollen, um auch ins Schlafzimmer zu gehen, ließ sich gleich wieder auf die Couch fallen. "Kein ... Weihnachtsbaum!", flehte er und starrte den Blondschopf entsetzt an. "Ich ... bin brav. Ganz brav. Ganz, ganz brav", versicherte er hastig, kämpfte sich aus seinem Mantel und zog sich diesen als Decke über. "Ganz ... brav, siehsu? Nur bitte ... kein Weihnachtsbaum!" Wie konnte Joey nur so grausam zu ihm sein, wo er ihn doch höchstpersönlich vor dem Weihnachtswahnsinn gerettet hatte? Das hatte er wirklich nicht verdient! Er war doch schließlich ein Held, das hatte Joey doch selbst gerade noch gesagt. "Kein Weihnachtsbaum", versprach Joey belustigt und kämpfte hart gegen das Lachen an, das in seiner Kehle steckte und sich unbedingt Bahn brechen wollte. "Hoffentlich hast Du morgen keinen Filmriss. Das glaubst Du mir sonst nie. Und die Anderen glauben mir das auch nie im Leben", feixte er und strich den Mantel glatt, unter dem Bakura ihn aus riesengroßen, verschreckten Augen ansah. Im Augenblick wirkte der Weißhaarige ganz und gar nicht wie er selbst, sondern eher wie ein kleines Kind, das aus Angst vorm schwarzen Mann nicht schlafen wollte. "So, und jetzt wird geschlafen, mein großer Held." Besänftigt durch die erneute Bestätigung seines Heldenstatus' schloss Bakura ungewohnt gehorsam seine Augen, drehte sich auf die Seite und begann nur Sekunden später auch schon lauthals zu schnarchen. Joey beobachtete seinen Freund glucksend und überlegte kurz, ob er ein paar Fotos davon machen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Noch immer leise glucksend huschte er eben ins Schlafzimmer, um eine Decke zu holen und über Bakura zu breiten, ehe er sich auch auf den Weg ins Bett machte, um sich selbst auch eine Mütze voll Schlaf zu genehmigen. Die Schlafzimmertür schloss er dabei absichtlich hinter sich, denn er hatte keine Lust, die ganze Nacht von Bakuras Schnarchkonzert wachgehalten zu werden. Unterdrückt vor sich hin kichernd pellte der Blondschopf sich aus seinen Klamotten, schlüpfte in seine Pyjamahose und krabbelte unter die Decke. Er hoffte wirklich, dass sein Freund sich am nächsten Morgen noch an alles erinnern würde, was er gerade gesagt und getan hatte. Für die Aussicht, Bakura bis in alle Ewigkeit als "Held vom Erdbeerfeld" bezeichnen zu dürfen, verzichtete er sogar freiwillig darauf, Weihnachten zu feiern. Was war Weihnachten auch schon im Vergleich damit? Genau, gar nichts. Kapitel 2: Weihnachten, ----------------------- Heiligabend "Bis heute Abend, mein Held." Joeys süffisantes Grinsen brachte Bakura zum Knurren, doch mehr Reaktion gönnte er seinem Freund nicht. Es war demütigend genug, dass er sich tatsächlich noch in allen Einzelheiten an sein Besäufnis nach dem katastrophalen Adventstee bei seinem Bruder erinnerte, aber dass Joey ihn seit dem Morgen danach bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit "mein Held" nannte, war fast zuviel. Glücklicherweise hielt der Blondschopf sich zurück, wenn ihre Freunde – die allesamt noch immer rettungslos dem Weihnachtswahnsinn verfallen waren – dabei waren. Ansonsten, das wussten sie beide, hätte Bakura ihn schon längst umgebracht. Aber da, grummelte der Weißhaarige auf dem Weg zur Arbeit, bewahrheitete es sich mal wieder: Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht zu sorgen – besonders dann nicht, wenn er einen blonden Chaoten zum Freund hatte, der auf den Namen Joey Wheeler hörte und sich einen Spaß daraus machte, ihn immer wieder damit aufzuziehen. Dabei sollte er mir eigentlich dankbar sein, grollte Bakura innerlich und klopfte sich den Schnee von seinem Mantel, ehe er in seine Bahn einstieg. Wenn es auch auf diese peinliche, erniedrigende Art geschehen war, so hatte er Joey doch aus den Fängen der Weihnachtsdämonen gerettet. Der Blondschopf hatte ihm hoch und heilig versprochen, Weihnachten nicht in ihre Wohnung zu lassen, und daran hatte er sich bisher auch brav gehalten. Nur noch drei Tage, dachte Bakura, während er an seiner Haltestelle wieder aus der Bahn stieg, dann war der Spuk endgültig vorbei – zumindest für dieses Jahr – und er war tatsächlich davongekommen. Keine Plätzchen, kein Lametta, kein Tannenbaum und auch keine Weihnachtsmusik. Stattdessen gab es bei ihnen zu Hause Steaks, Hardrock und heißen, hemmungslosen Sex. Konnte es etwas Besseres geben? Wenn ja, dann wusste Bakura wirklich nicht, was das sein sollte. Er hatte den Geist der Weihnacht besiegt und fertig. Dafür konnte er sich sogar damit abfinden, dass Joey ihn immer mal wieder mit der Helden-Sache aufzog. Joey kicherte immer noch, als Bakura schon längst gegangen war und er selbst sich auf dem Weg zu seinem für heute geplanten Treffen mit Yami befand. Ganz im Gegensatz zu seinem Freund, der Weihnachten mit allen Mitteln den Kampf angesagt hatte, hatte er sich über die Feiertage freigenommen, denn er hatte nun wirklich keine Lust, sich den absoluten Stress in diesen Tagen anzutun. Darum beneidete er seine Kollegen wirklich nicht – und auch nicht seinen persönlichen Helden, der sich strikt geweigert hatte, heute einen freien Tag einzulegen. Auch wenn Bakuras Besäufnis inzwischen schon fast fünf Wochen her war, verlor die Neckerei mit seinem Heldentum trotzdem nicht ihren Reiz. Es machte einfach unheimlich viel Spaß, Bakura zu ärgern – vor allem, weil dieser zwar grummelte und motzte, sich aber trotzdem nicht dagegen wehrte, als "Held" bezeichnet zu werden. Blendend gelaunt schlenderte Joey, die Hände in den Taschen seiner Jacke, durch die Innenstadt in Richtung Rathaus. Noch immer war er ebenso wie Bakura der Meinung, dass die Stadtväter es dieses Jahr gewaltig übertrieben hatten mit der Weihnachtsdekoration, aber im Gegensatz zu seinem Freund genoss er einen Stadtbummel zu dieser Jahreszeit trotzdem. All die festlich geschmückten Schaufenster der Geschäfte erinnerten ihn immer an seine Kindheit. Wie hatten Serenity und er damals die Vorweihnachtszeit geliebt! Mit leuchtenden Augen hatten sie Hand in Hand vor den Schaufenstern gestanden, sich all die wundervollen Dinge angesehen und davon geträumt, was der Weihnachtsmann ihnen wohl bringen würde. Etwas wehmütig blieb Joey vor einem der Schaufenster stehen, das heute noch genauso liebevoll und detailverliebt dekoriert war wie vor fünfzehn Jahren. Der kleine Zug, der unermüdlich Runde um Runde durch eine glitzernde, verschneite Winterlandschaft aus weißem, mit Glimmer bestreutem Schaumstoff fuhr, strahlte noch denselben Zauber aus wie damals, aber nach der Scheidung seiner Eltern hatte dieser Zauber etwas von seinem Glanz verloren. Weihnachten war seitdem einfach nicht mehr dasselbe gewesen wie früher. Aus diesem Grund hatte es ihm auch nichts ausgemacht, auf Bakuras Bedingung einzugehen und gänzlich aufs Feiern zu verzichten. Trotzdem verspürte Joey beim Anblick des Zuges unwillkürlich einen schmerzhaften Stich. Irgendwo ganz tief in seinem Inneren rührte sich der kleine Junge, der er früher einmal gewesen war, und vergoss ein paar große Krokodilstränen bei dem Gedanken an ein weiteres Jahr ohne ein richtiges Weihnachtsfest. Aber, sagte Joey sich, straffte sich und wandte der Erinnerung an die unbeschwerten Zeiten seiner Kindheit entschlossen den Rücken zu, er hatte sich entschieden und damit basta. Außerdem hatte er Bakura sein Wort gegeben und ein Joey Wheeler stand dazu. Wenn er etwas versprach, dann hielt er sein Versprechen auch. Und so wichtig war Weihnachten nun auch wieder nicht. "Hey, Joey!" Etwas abgehetzt kam Yami dem Blondschopf entgegen und stützte sich erst mal auf seinen Knien ab, um wieder zu Atem zu kommen. Dann warf er Joey einen entschuldigenden Blick zu. "Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber es hat eine Ewigkeit gedauert, Yugi genug Mut zuzusprechen, dass er sich tatsächlich traut, Rebecca anzurufen und sich mit ihr zu verabreden. Aber egal, jetzt hat er es jedenfalls geschafft und hat heute Abend ein Date mit seiner Angebeteten." Yami wirkte durch und durch zufrieden, was Joey gut verstehen konnte. Immerhin war Yugi auch wirklich schon eine Ewigkeit in Rebecca verliebt, aber bisher war er immer viel zu schüchtern gewesen, um sie anzusprechen. Dabei sah doch ein Blinder mit Krückstock, dass sie eine gewaltige Schwäche für den kleinen Stachelkopf hatte. Aber jetzt hatte es ja endlich geklappt. Schön zu wissen, dass Yugi in diesem Jahr zu Weihnachten endlich das bekommen würde, was er sich schon seit wenigstens zwei Jahren sehnlichst wünschte. "Wartest Du schon lange, Joey?", wurde der Blondschopf aus seiner ehrlichen Freude über Yugis Glück gerissen und blinzelte kurz. Dann warf er einen raschen Blick auf die Turmuhr des Rathauses, vor dem er sich mit Yami hatte treffen wollen. Tatsächlich hatte der Bunthaarige sich um beinahe eine halbe Stunde verspätet, aber davon hatte Joey gar nichts mitbekommen. Hatte er wirklich mehr als zwanzig Minuten vor einem Schaufenster gestanden und in sentimentalen Kindheitserinnerungen geschwelgt? Wie peinlich war das denn bitteschön? "Ich war selbst zu spät dran", antwortete Joey und grinste schief. Dass er es fast nie schaffte, wirklich pünktlich zu sein, war in ihrem Freundeskreis ein offenes Geheimnis. Seine ständigen Verspätungen waren schon zu Schulzeiten legendär gewesen und seine Freunde zogen ihn auch heute noch hin und wieder damit auf, dass er deshalb beinahe täglich zum Nachsitzen verdonnert worden war. Aus diesem Grund war Joey sich sicher, dass er auch dieses Mal mit dieser Ausrede durchkommen würde, doch ein skeptischer Blick aus Yamis ungewöhnlichen violetten Augen ließ ihn trotzdem schlucken. Warum nur hatte er immer, wenn Yami ihn so ansah, das Gefühl, dass dieser ihn vollkommen durchschaute? Sehr zu seiner Erleichterung ging der Bunthaarige jedoch nicht mehr auf seine nur halb wahre Aussage ein, sondern hakte sich stattdessen bei ihm unter und zog ihn so mit sich. "Und, habt ihr heute Abend wenigstens ein anständiges Date, wenn ihr schon alles andere an Weihnachten boykottiert?", erkundigte er sich neugierig und Joey lachte auf. "Ein Date? Mit Bakura? Heute Abend? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er an Heiligabend freiwillig auch nur noch einen einzigen Fuß vor die Tür setzt, sobald er wieder zu Hause ist, oder? Nee, heute ist ein Tag wie jeder andere auch", widersprach er und biss sich auf die Unterlippe, denn sogar in seinen eigenen Ohren klang sein Tonfall irgendwie bitter. Daran ist nur dieser blöde Zug schuld!, dachte er und versuchte, das Bild dieses Zuges vor seinem inneren Auge zu verdrängen, doch das war alles andere als einfach. Dadurch entging ihm völlig, dass Yami stehen geblieben war. Das merkte er erst, als er beinahe mit ihm kollidierte. "Und das macht Dir wirklich gar nichts aus, Joey?" Besorgt musterte der Bunthaarige seinen blonden Freund. Besonders glücklich sah dieser nun wirklich nicht gerade aus. "Ich verstehe ja, dass Bakura nicht gerade viel von Weihnachten hält, aber ..." "Das ist schon okay für mich, wirklich", fiel Joey Yami ins Wort und bemühte sich, diesen fest anzusehen. Auf keinen Fall wollte er, dass der Bunthaarige sich seinetwegen Sorgen machte. "Ich meine, ich hab's mir ja selbst so ausgesucht. Bakura hat mich ja nicht dazu gezwungen oder so. Wirklich nicht." Verdammt, warum stammelte er denn so herum? Und warum rechtfertigte er sich überhaupt für eine Entscheidung, die Yami doch eigentlich gar nichts anging? Immerhin war es ja wohl ganz allein ihre Sache, wie Bakura und er Weihnachten verbrachten – auch wenn es zugegebenermaßen ein wirklich erbärmliches erstes gemeinsames Weihnachtsfest werden würde. Aber das ging nun wirklich niemanden was an, auch nicht ihre Freunde. Joeys lahme Rechtfertigung ließ Yami eine Braue hochziehen, doch er hütete sich, weiter auf das Thema einzugehen. Das verkniffene Gesicht des Blonden sagte deutlicher als alle Worte der Welt, dass er nicht mehr darüber sprechen wollte. Aber, beschloss der Bunthaarige, er würde später noch mal ein ausführliches Telefonat mit Bakura führen. Es konnte ja wohl nicht angehen, dass Joey gerade an Weihnachten unglücklich war, nur um seinem Freund einen Gefallen zu tun. Liebe hin oder her, aber wenn der Blondschopf schon ein solches Opfer brachte, dann konnte Bakura ja wohl auch über seinen Schatten springen und Joey wenigstens auf ein Date einladen. Das war ja wohl das Mindeste! "Na, das müsst ihr ja selbst wissen. Aber komm, Du musst mir beim Aussuchen helfen. Ich brauche unbedingt noch eine Kleinigkeit für Tristan." Damit schnappte Yami sich wieder Joeys Arm und zog seinen blonden Freund mit sich zum Sexshop seines Vertrauens. Zwar feierten auch Tristan und er nicht im herkömmlichen Sinne Weihnachten, aber eine Kleinigkeit wollten sie sich gegenseitig doch schenken. Und konnte es eine bessere Kleinigkeit geben als einen Hauch von Nichts, aus dem Tristan ihm nach ihrem Date heute Abend helfen durfte? Diesen Hauch von Nichts auszusuchen dauerte beinahe vier Stunden und so leuchteten bereits die ersten Lichterketten, als Joey und Yami den Sexshop wieder verließen und sich voneinander verabschiedeten. Joey blickte dem Bunthaarigen noch einen Moment lang nach, bis dieser in der Menge der Leute, die noch auf den letzten Drücker ein paar Einkäufe erledigen wollten, verschwunden war. Dann wandte er sich um und machte sich selbst auch auf den Weg nach Hause. Dabei strichen seine Finger über die kleine Tüte, die er ganz unten in den Tiefen seiner Jackentasche versteckt hatte, und ein etwas beschämtes Lächeln huschte über seine Lippen. Bakura und er hatten zwar vereinbart, sich nichts zu schenken, aber während Yami enthusiastisch ein heißes Teil nach dem anderen anprobiert und hin und her überlegt hatte, was Tristan wohl am besten an ihm gefallen würde, war Joeys Blick irgendwann fast schon magisch von etwas angezogen worden, das förmlich "Ich bin das perfekte Geschenk für Bakura!" geschrieen hatte. Nur sehr kurz hatte Joey gezögert, doch schließlich hatte er schnell zugegriffen und das Präsent seiner Wahl – ein schwarzes Lackhalsband mit Ring und passender Leine – gekauft, als Yami gerade abgelenkt gewesen war, denn er hatte nicht gewollt, dass irgendjemand erfuhr, dass er sein Versprechen gebrochen hatte. Joey war sich durchaus dessen bewusst, dass ein Geschenk Bakura wohl kaum von seinem Weihnachtshass kurieren würde, aber das war ihm egal. Das Halsband und die Leine würden dem Weißhaarigen ganz bestimmt trotzdem gefallen, also war die Gefahr, dass er deshalb ausrastete, wohl recht gering. Und hey, wer sagte denn, dass man es unbedingt als Weihnachtsgeschenk ansehen musste? Konnte er seinem Freund denn nicht einfach so ein Geschenk kaufen, um ihm eine Freude zu machen? Es war ja nun wirklich nicht seine Schuld, dass heute eben auch Heiligabend war. Das war einfach nur ein Zufall, weiter nichts. Über sich selbst lachend, weil er sich tatsächlich vor sich selbst für das Geschenk rechtfertigte, das er gekauft hatte, bog Joey um die Ecke und betrat den Supermarkt. Ein paar Dinge musste er noch einkaufen, denn in den nächsten Tagen würde er Dank seines Weihnachtsmuffels von Freund mit Sicherheit nicht dazu kommen. Immerhin hatte Bakura schon lautstark angekündigt, während der drei Tage, an denen der "Weihnachtswahnsinn", wie er es nannte, seinen Höhepunkt erreichen würde, nicht einen Fuß vor die Tür setzen zu wollen. Und wenn er so etwas sagte, dann konnte man sich darauf verlassen, dass er das auch genau so meinte. Diesbezüglich war Bakura absolut stur und unbelehrbar. Eingehüllt in sanfte Weihnachtsmusik – eine Wohltat im Vergleich zu der Klangfolter in der Innenstadt – schob Joey seinen Einkaufswagen durch die Gänge, legte hie und da ein Teil hinein und summte dabei die ganze Zeit schief und unmelodisch vor sich hin. So richtig achtete er nicht darauf, was er alles einkaufte, und die Quittung für dieses Verhalten erhielt er an der Kasse, als der geforderte Betrag beinahe doppelt so hoch war wie er am Vortag kalkuliert hatte. Da die Kassiererin allerdings auch so schon gestresst genug aussah, beschloss er, nichts zurückgehen zu lassen, um ihr den Tag nicht noch mehr zu versauen. Unter den bösen Blicken der Kunden hinter ihm kratzte er den verlangten Betrag zusammen, stopfte seine Einkäufe in seinen Rucksack und wuchtete diesen ächzend auf seinen Rücken. Das hab ich ja grandios hingekriegt. Blieb nur zu hoffen, dass er den ganzen Kram irgendwie unbeschadet nach Hause bekam – und sich selbst auch. Durch das zusätzliche Gewicht deutlich langsamer als gewöhnlich schlängelte Joey sich durch die Innenstadt und atmete auf, als er nur noch gut drei Straßen von ihrer Wohnung entfernt war. So langsam wurde der Rucksack echt schwer und so wankte der Blondschopf ein wenig. Um ein Haar wäre er aus dem Gleichgewicht geraten, konnte sich allerdings gerade noch an dem metallenen Zaun festhalten, der einen kleinen Parkplatz einzäunte. Weihnachtsbaumverkauf stand auf einem offensichtlich selbstgemalten Schild zu lesen und Joey blickte verdutzt auf, als ihn jemand am Arm packte und wieder in eine komplett aufrechte Position zog. "Da hat wohl jemand auf den letzten Drücker noch die Weihnachtseinkäufe erledigt, was?", fragte eine ihm fremde Stimme und blaue Augen blitzten Joey fröhlich unter einem zerzausten braunen Schopf entgegen. "Nicht wirklich", antwortete er und ließ seinen Blick über den beinahe leeren Parkplatz schweifen. Die beiden jungen Männer, die dort gerade alles zusammenpackten – einer groß, breitschultrig und blond, der andere schlank und rothaarig –, hatte er ebenso wie den Brünetten, der vor ihm stand, in den letzten Wochen immer mal wieder gesehen, aber er hatte noch nie mit ihnen gesprochen, denn er brauchte ja keinen Weihnachtsbaum. Schließlich hatte er Bakura hoch und heilig versprochen, ihn damit zu verschonen. "Soll das heißen, Du feierst gar nicht?" Der Brünette schien regelrecht entsetzt zu sein und Joey schenkte ihm ein schiefes Lächeln. "Nein, tu ich nicht. Mein ... Mitbewohner hat was gegen Weihnachten", erklärte er und wandte seinen Blick wieder dem Parkplatz zu, denn irgendwie schämte er sich plötzlich tatsächlich ein wenig. Die ganze Welt würde in den kommenden drei Tagen feiern, Geschenke verteilen und sich eine schöne Zeit machen, nur Bakura und er taten das nicht. Irgendwie war der Gedanke deprimierend. "Dein Mitbewohner weiß ja gar nicht, was wirklich gut ist." Der Brünette zog eine Grimasse, doch Joey beachtete ihn gar nicht, denn ihm war etwas ins Auge gefallen. "Was ist denn mit dem Baum da?", fragte er und deutete auf ein sichtlich mitgenommenes Exemplar einer Tanne, das ganz verloren und einsam in der hintersten Ecke des Parkplatzes stand. Beinahe die Hälfte der Nadeln war entweder braun oder gar nicht mehr vorhanden, der Stamm war krumm und schief und ein paar der Äste waren geknickt oder sogar abgebrochen. Kurzum, der Baum sah einfach nur erbärmlich aus – so erbärmlich, dass Joey unwillkürlich Mitleid bekam. Was mochte der arme Kerl in den letzten Wochen alles durchgemacht haben? Erst wurde er gefällt und auf einen kalten, zugigen, von dreckigem Schneematsch übersäten Parkplatz verfrachtet, wo er Tag und Nacht in klirrender Kälte frieren musste, und dann war er auch noch gezwungen, tagtäglich mit anzusehen, wie seine Geschwister eins nach dem anderen gekauft und mitgenommen wurden, um ein paar Wochen lang ein glanzvolles Leben als Weihnachtsbaum in der Wohnung einer liebevollen Familie führen zu dürfen, während der arme Krüppel von allen nur ausgelacht wurde. Wie grausam das Leben doch war! "Das olle Ding? Das bleibt wohl hier, wenn Rafael es nicht noch als Brennholz mitnimmt. Kaufen wollte den Krüppel ja eh keiner." Diese Antwort, die alle seine Befürchtungen bestätigte, ließ Joey heftig den Kopf schütteln. "Nein!", widersprach er entschieden, setzte etwas mühsam seinen Rucksack ab und kramte sein Portemonnaie heraus. "Wie viel?", wollte er mit einem Nicken in Richtung des Baumes wissen und die blauen Augen des Brünetten blickten ihn skeptisch an. Es war offensichtlich, dass er Joey für vollkommen übergeschnappt hielt, doch das war dem Blondschopf egal. Er würde nicht zulassen, dass der arme Baum, der ja nun wirklich nichts für seine mickrige Gestalt konnte, ein so unrühmliches Ende fand. Er würde das arme Ding retten und mit nach Hause nehmen. Den Gedanken daran, dass Bakura ihn dafür unter Garantie erwürgen würde, verdrängte Joey für den Moment. Er konnte und würde den armen Baum nicht hier lassen, wo man ihn zerhacken und verbrennen wollte. Das ging doch nicht! "Du willst echt diese Krüppeltanne da kaufen?" Der Brünette klang einigermaßen verdutzt, doch als der noch immer vor ihm hockende Joey entschlossen nickte, zuckte er mit den Schultern. "Warte einen Moment", verlangte er, sprintete zu seinen beiden Kollegen und sprach kurz mit ihnen. Ebenso verdattert wie der Brünette zuvor blickten sie Joey an, doch dann half der Rothaarige dem Brünetten dabei, den Baum einzupacken, während der blonde Hüne kurz auf der Ladefläche ihres Wagens herumkramte. Er packt etwas in eine kleine Plastiktüte, kam mit dieser auf Joey zu und drückte sie ihm kommentarlos in die Hand, während der Rotschopf bereits den inzwischen verpackten Baum heranwuchtete. "Was kriegt ihr dafür?", erkundigte Joey sich erneut, doch der Brünette winkte einfach nur ab. "Geht aufs Haus", erwiderte er und reichte Joey grinsend ein paar Arbeitshandschuhe. "Genau wie die Handschuhe. Wegen der Nadeln und so. Frohe Weihnachten, Jo ... Kumpel!", wünschte er dann noch und Joey blinzelte perplex, als sowohl der Rotschopf als auch der blonde Hüne sich diesem Wunsch anschlossen. "Ähm ... danke, gleichfalls", stammelte Joey absurd gerührt und beobachtete, wie die Drei gemeinsam in ihren Wagen stiegen und nach einem letzten Winken in seine Richtung losfuhren. Eine knappe Minute blieb er noch wie angewurzelt stehen, doch ein kalter Windstoß, der ihm ein paar feine Schneeflocken ins Gesicht blies, holte ihn wieder in die Realität zurück. Dass der Wagen mit den drei Tannenbaumverkäufern nicht um die nächste Ecke bog, sondern einfach in diesem Schneetreiben verschwand, bemerkte er nicht. "Ich bin bescheuert", bescheinigte Joey sich selbst, steckte sein Portemonnaie und die Tüte in seine Jackentasche und setzte erst mal seinen Rucksack wieder auf, ehe er die Handschuhe überzog und sich dann den Baum schnappte, um ihn nach Hause zu bringen. Jetzt hatte er also tatsächlich einen Weihnachtsbaum besorgt. Bakura wird mich umbringen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber wieso, fragte Joey sich selbst, während er mit dem zusätzlichen Gewicht kämpfte, konnte er dieser Gewissheit zum Trotz nur einfach nicht aufhören zu grinsen? Zu Hause angekommen legte Joey die Krüppeltanne, die er unterwegs auf den Namen "Freddie" getauft hatte, erst einmal im Flur ab und brachte seinen Rucksack in die Küche. Dann kramte er in allen Schränken herum und flitzte schließlich hinunter in den Keller, wo er tatsächlich einen großen, etwas angeschlagenen Tontopf fand, in dem Freddie sich hoffentlich wohlfühlen würde. Einen richtigen Christbaumständer besaßen sie nicht, aber wenn er noch ein paar der Holzscheite, die schon seit Jahren im Keller herumlagen und niemandem so wirklich gehörten, zur Hilfe nahm, dann würde es schon gehen. Beflügelt von seiner genialen Idee sprintete Joey die Treppen wieder nach oben, bastelte voller Elan einen improvisierten Christbaumständer und schaffte es unter einigem Gemecker und Gefluche sogar, Freddie so aufzustellen, dass er nicht gleich beim nächsten Luftzug umkippte. Stolz auf sein Werk machte Joey sich danach daran, seinen Rucksack auszupacken. Etwas irritiert – wann hatte er das ganze Zeug denn gekauft? – förderte er unter anderem Raspelschokolade, Puderzucker, Eier und Rotwein zutage und nachdem sich die erste Verwunderung gelegt hatte, stahl sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Wenn das kein Zeichen war, dann wollte er ab sofort nicht mehr Joey Wheeler heißen. Beinahe hätte er in seiner Hektik, sein altes, zerfleddertes Lieblingskochbuch aus dem Schrank zu holen, alle Einkäufe vom Tisch gefegt und einen der Küchenstühle umgerissen, aber es gelang ihm gerade noch, das Möbelstück festzuhalten und auch die vom Tisch rutschenden Eier aufzufangen, ehe sie auf dem Boden landen und zerbrechen konnten. Voller Enthusiasmus blätterte Joey in dem Kochbuch herum, bis er das gesuchte Rezept gefunden hatte, und wirbelte dann aufgekratzt durch die ganze Küche, um Schüsseln, Handrührgerät, Küchenwaage und eine Backform bereitzustellen. Sobald er alles hatte, was er brauchte, schaltete er das Radio ein, stellte es auf seinen Lieblingssender, der zu dieser Zeit des Jahres immer Weihnachtslieder und Rock-Klassiker gleichermaßen spielte, und ging dann eifrig an die Arbeit. Er fettete die Form ein, heizte den Ofen vor und begann dann mit der Zubereitung des Teiges. Diesen füllte er pfeifend in die Form, schob sie in den Ofen und stellte noch schnell die Eieruhr, ehe er hinüber ins Wohnzimmer sauste, um das Geschenk für Bakura aus seiner Jackentasche zuholen. Dabei erinnerte er sich auch wieder an die Tüte, die der blonde Hüne vom Weihnachtsbaumverkauf ihm gegeben hatte. Er kramte sie ebenfalls heraus und staunte nicht schlecht, als er darin eine bunte Lichterkette fand. "Wie geil!", freute er sich, legte Bakuras Geschenk auf den Wohnzimmertisch und war während der nächsten Viertelstunde vollauf damit beschäftigt, die Lichterkette so zu drapieren, dass Freddie nicht mehr ganz so erbärmlich aussah, sondern ebenso festlich wie seine Geschwister. "Steht Dir gut, Freddie", befand Joey, als er fertig war, umkreiste den Baum mehrmals und kratzte sich dann grübelnd am Kinn. Irgendetwas fehlte noch, das war offensichtlich. Aber was? Minutenlang überlegte Joey hin und her und lachte schließlich auf, als ihn ein Geistesblitz traf. Mit den Klängen von "Last Christmas" im Ohr stürmte er in die Küche, griff sich eine Schere aus der Besteckschublade und die Alufolie aus dem Regal über der Spüle und wetzte dann zurück ins Wohnzimmer, wo er es sich auf dem Boden vor Freddie bequem machte und die mitgebrachte Folie vor sich ausbreitete. "Wart's nur ab, Freddie", wandte Joey sich an den ihm stumm zusehenden Baum, "wenn ich mit Dir fertig bin, wirst Du bombastisch aussehen, das verspreche ich Dir!" Als die Eieruhr eine gute halbe Stunde später klingelte, kämpfte Joey sich aus tonnenweise zerschnippelter Alufolie und hastete in die Küche, um nach seinem Kuchen zu sehen. Fluchend, weil er sich in seiner Hektik am Blech verbrannt hatte, holte er den Kuchen aus dem Ofen, stellte ihn zum Abkühlen auf ein Kuchengitter am gekippten Fenster und rührte dann schnell etwas Rotwein mit Puderzucker zu einer kräftig rosafarbenen Glasur zusammen. Diese stellte er für später beiseite, sauste wieder ins Wohnzimmer und klaubte die nicht unbedingt gleichmäßigen Sterne, die er aus der Alufolie geschnitten hatte, vom Boden auf, um Freddie damit zu dekorieren. Eigentlich hatte der arme Kerl ja wirklich etwas Besseres verdient als selbstgebastelte Deko und Lametta aus Alufolie, aber irgendwie fand Joey, dass der Baum keineswegs unglücklich wirkte mit all der silbernen Folie auf seinen Ästen. Im Gegenteil, er sah richtig zufrieden aus – ein Anblick, der Joeys Laune gleich noch mehr hob. Hach, es machte doch einfach Freude, jemanden an Weihnachten glücklich zu machen – auch wenn es nur ein krüppeliger Tannenbaum war, der auf den Namen Freddie hörte. Fröhlich vor sich hin summend stöpselte Joey die Lichterkette ein, knipste das Licht im Wohnzimmer aus und ließ Freddies glänzende Pracht einen Moment lang auf sich wirken, ehe er Bakuras Geschenk vom Wohnzimmertisch nahm und es sich schon mal um den Hals legte. Dann klaubte er die nicht mehr benötigten Alufolienreste vom Boden auf und ging beschwingt hinüber in die Küche, um den Kuchen rechtzeitig vor Bakuras Heimkehr zu glasieren. Und sobald er damit fertig war, nahm Joey sich gut gelaunt vor, würde er sich bis auf Leine und Halsband ausziehen, es sich auf dem Teppich vor Freddie gemütlich machen und gemeinsam mit diesem auf die Rückkehr seines Freundes warten. Wenn Bakura ihn so sah, dann konnte er ihm einfach nicht mehr böse sein wegen Freddie. Ha, er war eben einfach ein Genie – ganz egal, was Seto "Eisklotz" Kaiba auch von seinem Intellekt hielt. "Scheißwetter!" Fluchend, klatschnass und ziemlich durchgefroren stapfte Bakura von der Bushaltestelle aus in Richtung heimatlicher Gefilde. "Scheißwetter, scheiß Taxis, Scheißweihnachten!", machte er seinem Ärger Luft und trat voller Wut gegen die nächste Hauswand, was ihm zu allem Übel auch noch einen schmerzenden Fuß einbrachte. Die Krönung eines durch und durch beschissenen Tages, grollte der Weißhaarige, vergrub seine Hände noch tiefer in den Taschen seines Mantels und zog seinen Kopf ein, als ihm eisiger Wind einen Wirbel frischer Schneeflocken ins Gesicht peitschte. Der ganze Tag war einfach für den Arsch gewesen – angefangen bei all dem Weihnachtstrubel auf der Arbeit über ein reichlich unerfreuliches Telefonat mit seinem Bruder während der Mittagspause und einem kaum weniger entnervenden Gespräch mit Yami gleich nach Feierabend bis hin zu den wegen des Schneefalls nur unregelmäßig fahrenden oder gar ganz ausfallenden öffentlichen Verkehrsmitteln. Beinahe eine geschlagene Stunde hatte er in einer Bahn verbracht, deren Schienen vereist gewesen waren und deren Fahrer irgendwann auf die glorreiche Idee gekommen war, seine aufgebrachten Fahrgäste mit etwas Weihnachtsmusik besänftigen zu können. Bei fast allen hatte das auch funktioniert, aber Bakura hatte schon nach dem dritten Mal "Last Christmas" in Folge ernsthaft über einen Amoklauf nachgedacht. Diese Vorstellung hatte ihn eine Weile beschäftigt gehalten, aber als nach der achten Wiederholung dieser grauenhaften Weihnachtsschmonzette doch tatsächlich ein paar Fahrgäste angefangen hatten, laut und schrecklich falsch mitzusingen, hatte es ihm gereicht und er war in seiner Verzweiflung einfach mitten im Nirgendwo aus dem Fenster der Bahn geklettert. Von dort aus eine Verbindung nach Hause zu bekommen war ein beinahe unmögliches Unterfangen gewesen und hatte ihm in Kombination mit dem immer schlimmer werdenden Wetter auch noch den allerletzten Nerv geraubt. Inzwischen wollte er nur noch nach Hause, heiß duschen und nie, nie, nie wieder etwas mit Weihnachten zu tun haben. Und wenn er in seinem ganzen Leben je wieder gezwungen wurde, "Last Christmas" zu hören, dann würde es auf jeden Fall Tote geben! Vollkommen entnervt kramte Bakura seinen Schlüssel aus der Tasche, schloss die Haustür auf, öffnete kurz danach auch noch die Wohnungstür und fror förmlich im Durchgang zum Wohnzimmer fest, als ihm statt der herrlich weihnachtsfreien Wohnung, auf die er sich schon den ganzen Tag gefreut hatte, ein bunt leuchtender, mit silbernen Sternen geschmückter und sehr verkrüppelt aussehender Tannenbaum begrüßte. Für einen Moment hatte der Weißhaarige die irrwitzige Hoffnung, dass er einfach nur in der falschen Wohnung war, aber Joeys unmelodisches "I'm dreaming of a white christmas", das aus der Küche – aus der es zu allem Überfluss auch noch nach Weihnachten roch! – herüberschallte, machte diese Hoffnung gleich wieder zunichte und ließ nur einen Schluss zu: Sein Freund Joey war ein ganz mieser, hinterhältiger und heimtückischer Verräter, der ihn wochenlang mit seinen falschen Versprechungen in Sicherheit gewiegt hatte, nur um ihm heute ohne Gnade den Todesstoß zu versetzen. Und er hatte auch noch ein schlechtes Gewissen gehabt! War das denn zu glauben? Da behauptete dieser ... dieser Kerl, ihn zu lieben, und dann tat er ihm so etwas an! Wie konnte er nur? "Joey, komm sofort her!" Der scharfe, eindeutig angepisst klingende Befehl ließ Joey, der gerade noch letzte Hand an den Kuchen gelegt hatte, erschrocken zusammenzucken. Vor lauter Schreck ließ er die Schüssel mit dem Zuckerguss beinahe fallen und der letzte Rest der rosafarbenen Masse landete prompt auf seinem Shirt. Na wunderbar. Und das, wo Rotweinflecken doch so schwer rausgehen, dachte der Blondschopf und seufzte abgrundtief. Bakuras gegrolltes "Entweder Du kommst jetzt gleich her oder ich komm Dich holen!" verscheuchte jedoch jeglichen Gedanken an das ruinierte Shirt. Hart schluckend rieb Joey den Fleck mit etwas Küchenpapier so weit wie möglich weg und trat dann zögerlich ins Wohnzimmer, wo Bakura wie die personifizierte Rachsucht stand und zitternd vor unterdrückter Wut auf den armen Freddie zeigte, der mit einem mal einen regelrecht eingeschüchterten Eindruck machte. "Was. Ist. Das?", verlangte Bakura gefährlich ruhig zu wissen und Joey wischte sich seine plötzlich feucht gewordenen Hände erst mal an seiner Jeans ab, ehe er sich todesmutig zwischen seinen Freund und den Baum schob. Er kannte Bakura lange und gut genug um zu wissen, dass dieser in seiner momentanen Stimmung wirklich absolut zu allem fähig war. "Das ist Freddie", antwortete er dann mit einem schiefen Grinsen und räusperte sich, kam jedoch nicht dazu, noch mehr zu sagen. "Du hast einen Weihnachtsbaum gekauft?" Bakura konnte es einfach nicht fassen. Freddie! Das wurde ja immer schlimmer! "Und Du hast dieser hässlichen Missgeburt auch noch einen Namen gegeben?" Da hörte sich doch wirklich alles auf! Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Sein Freund war nicht nur ein elender, heimtückischer, mieser, hinterhältiger Verräter, sondern zu allem Überfluss auch noch vollkommen verrückt geworden! Wie konnte man denn einem Weihnachtsbaum auch noch einen Namen geben? "Sei nicht so gemein zu dem armen Freddie. Er hat schon genug durchgemacht, auch ohne dass Du seine Gefühle so verletzt. Das hat er echt nicht verdient." Mitfühlend tätschelte Joey den Baum und Bakura entfuhr ein ersticktes Krächzen. Ergriff sein Freund jetzt etwa tatsächlich Partei für einen Baum? Was kam als Nächstes? Würde er jetzt auch noch anfangen, die Stimmen irgendwelcher Weihnachtsengel zu hören und den Frieden auf Erden zu verkünden? "Bist Du jetzt völlig übergeschnappt? Erst kaufst Du diesen nadelnden Schandfleck da, schleppst ihn hier an und dann willst Du mir auch noch weismachen, das Ding hätte einen Namen und Gefühle? Du tickst doch nicht mehr ganz sauber!" Bakura war auf hundertachtzig und Joey erkannte, dass er mit Streiten nicht weiterkam. "Ich hab ihn nicht gekauft", begann er daher so ruhig wie möglich. Wenn Bakura erst mal die Umstände kannte, die zu Freddies Hiersein geführt hatten, dann würde er sich sicher nicht mehr so über den armen Baum aufregen. "Ich hab ihn geschenkt gekriegt – hier vorne, wo in den letzten Wochen der Weihnachtsbaumverkauf war. Ich bin auf dem Heimweg vom Einkaufen da vorbeigekommen und ... Na ja, Freddie war der letzte Baum und sie hätten ihn zerhackt und Brennholz aus ihm gemacht, aber das konnte ich doch nicht zulassen." Die Vorstellung entsetzte Joey immer noch. So ein grausames, unmenschliches Ende hatte der arme Freddie nun wirklich nicht verdient. "Ich wollte ihn echt kaufen, weil er mir einfach so leid getan hat" – Joey hielt es für wichtig, ehrlich zu sein und nichts zu verschweigen – "aber die Drei, denen er gehört hat, haben ihn mir geschenkt – zusammen mit der Lichterkette. Aber wir hatten keinen Christbaumständer, also musste ich improvisieren. Und Baumschmuck hatten wir ja auch nicht, also hab ich einfach Alufolie genommen. Ich wollte, dass Freddie ein Mal in seinem Leben aussieht wie ein richtiger Weihnachtsbaum, obwohl er so klein und krumm und schon halb vertrocknet ist", schloss der Blondschopf seine Erklärung und schluckte unwillkürlich, als sein Freund zwei Schritte auf ihn zutrat. "Lass mich mal sehen, ob ich das richtig verstanden hab." Bakuras Stimme klang beinahe schon freundlich und genau das ließ Joey auf der Hut sein. "Also, Du siehst irgendwo dieses ... Gebilde da, schleppst es in unsere Wohnung und dekorierst es mit Alufolie, weil es Dir leid getan hat? Du hattest also Mitleid mit einem Baum – mit einem toten Baum, wohlgemerkt. Trifft's das so ungefähr?", wollte der Weißhaarige wissen. Joey nickte perplex, denn anstatt ihm an die Gurgel zu gehen, schüttelte Bakura einfach nur den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Und das fiel ihm auch tatsächlich schwer. Allerdings kannte der Weißhaarige seinen Freund gut genug um zu wissen, dass jedes Wort, das er gerade zu hören bekommen hatte, die reine Wahrheit war. Diese Geschichte war so abgefahren, bescheuert und typisch Joey, dass sie einfach wahr sein musste. So etwas dachte sich niemand aus. Dafür war das Ganze definitiv zu abgedreht. "Damit wäre meine erste Frage beantwortet. Bleiben also noch zwei." Noch immer, stellte Joey fest, klang Bakuras Stimme völlig ruhig. Irgendwie beunruhigte ihn gerade das. Wenn Bakura tobte und schrie, war alles in Ordnung, aber wenn er so war wie jetzt, dann war das für gewöhnlich die Ruhe vor dem Sturm. Aus diesem Grund achtete Joey auch darauf, immer zwischen Freddie und seinem Freund zu bleiben, als dieser an ihm vorbei zur Couch ging und sich darauf fallen ließ. Hier war auf jeden Fall Vorsicht geboten. Nicht dass Bakura den armen Freddie noch in einem Wutanfall aus dem Fenster warf oder ihm etwas ähnlich Schlimmes antat. "Und die wären?", wollte Joey zaghaft wissen und Bakura zwang sich, ganz tief durchzuatmen und ruhig zu bleiben. "Ich wüsste gerne, warum die ganze Bude nach Weihnachten riecht", erklärte er und zog eine Braue hoch, als sein Freund schuldbewusst zusammenzuckte. Wenn Joey ihm jetzt erzählte, dass er zu allem Überfluss auch noch Plätzchen gebacken hatte, nachdem er schon diese halbvertrocknete Baumleiche hier angeschleppt hatte, dann wusste er nicht, was er tun würde. "... gebacken", holte die Stimme des Blondschopfs ihn wieder aus seinen Gedanken und Bakura konnte ein Knurren nicht unterdrücken. "Was?", grollte er und Joey schluckte schwer. Am liebsten wäre er vor dem bösen, fast schon mordlüsternen Blick seines Freundes geflohen, aber er konnte Freddie ja nicht im Stich lassen. Der arme Kerl konnte sich ja nicht selbst schützen, also musste er wohl oder übel bleiben. Freddie verließ sich schließlich auf ihn. Und was für ein Freund wäre er, wenn er den Ärmsten einfach Bakuras Wut überließ? Nein, das ging nun wirklich nicht. "Ich sagte, ich hab einen Rotweinkuchen gebacken", wiederholte Joey seine Worte und deutete mit einem etwas verunglückten Grinsen auf den rosafarbenen Fleck auf seinem Shirt. "Das ist die Glasur. Ist echt lecker, das kannst Du mir glauben. Ich hab irgendwie so aus Versehen die Zutaten gekauft und als ich dann zu Hause war und Freddie endlich in dem Topf hatte, da dachte ich, ich back was, was Du bestimmt auch magst. Für Plätzchen hättest Du mich bestimmt erwürgt, deshalb ..." Joey brach ab und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als Bakura sich wieder von der Couch erhob, den Wohnzimmertisch umrundete und dann direkt vor ihm stehen blieb. "Das bringt mich zu meiner dritten und letzten Frage", begann der Weißhaarige, streckte eine Hand aus und zog einmal kurz, aber kräftig an der Leine, die von dem Halsband um Joeys Hals baumelte. Der Ruck war so heftig, dass der Blondschopf ins Straucheln geriet, doch er konnte sich gerade noch abfangen, indem er sich an den Oberarmen seines Freundes festhielt. "Was ist das hier?", fragte Bakura vollkommen unberührt von Joeys Stolpern und der Blonde, der ihn gerade für diese Aktion hatte anpflaumen wollen, kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Das ... Na ja, das sollte Dein Geschenk sein", erklärte er und grinste schief. "Weißt Du, ich war doch heute Nachmittag mit Yami im Sexshop, weil er was Heißes für das Date kaufen wollte, das er heute Abend mit Tris hat. Na ja, und da hab ich das Halsband und die Leine gesehen und dachte, das würde Dir bestimmt gefallen, also hab ich beides gekauft und ... Eigentlich wollte ich ja mit dem Kuchen und allem fertig sein, bevor Du nach Hause kommst. Dann wollte ich mich ausziehen – also bis auf die Leine und das Halsband – und so auf Dich warten. Ich dachte, dann wärst Du bestimmt nicht sauer wegen der ganzen Sache mit Freddie und dem Kuchen und der Alufolie und ..." Weiter kam Joey nicht. Ehe er so richtig wusste, wie ihm geschah, hatte Bakura ihn auch schon an der Leine zu sich gezerrt und küsste ihn so gierig, dass ihm förmlich die Luft wegblieb. Keuchend musste er sich an dem Weißhaarigen festhalten, als dieser ihn wieder freigab. "Worauf wartest Du dann noch?" Auffordernd sah Bakura seinen Freund an und zog diesem persönlich das versaute Shirt über den Kopf, als der Blondschopf ihm nicht schnell genug reagierte. "Los, hopp!", kommandierte er dabei, aber ehe er auch die Jeans öffnen konnte, schob Joey seine Hände weg und drängte sich an ihm vorbei in Richtung Küche. "Erst musst Du den Kuchen probieren", verlangte er, schnitt den Kuchen in Stücke und verteilte diese auf zwei Teller, die er dann hinüber ins Wohnzimmer balancierte. Er stellte die Teller auf dem Wohnzimmertisch ab, drehte sich zu Bakura um und wollte ihn gerade dazu auffordern, zuzugreifen, starrte den Weißhaarigen aber stattdessen einfach nur mit offenem Mund an, als dieser in seine Manteltasche griff und einen etwas ramponierten Mistelzweig samt roter Schleife zutage förderte. "Yami hat mich direkt nach Feierabend angerufen und gemeint, dass ich ein Arsch wäre, weil ich bei meinem Weihnachtshass gar nicht daran denken würde, dass Du ja eigentlich gerne feiern würdest und nur Rücksicht auf mich nimmst", erklärte Bakura dieses Mitbringsel. "Er hat mir eine halbe Ewigkeit damit in den Ohren gelegen, dass ich ja wenigstens auf ein Date mit Dir gehen könnte, aber mir ist bei dem Gedanken an die Paare und das Geturtel überall fast mein Frühstück wieder hochgekommen. Na ja, und dann war ich wegen der Scheißbahn irgendwo in der Pampa in so einem Informationsschuppen, um nach der Busverbindung zu kucken, und da hing dieser Mistelzweig ..." "Du hast echt einen Mistelzweig geklaut? Für mich?" Als Bakura etwas verlegen nickte, begann Joey, über das ganze Gesicht zu strahlen. "Das ist das beste Geschenk, das ich je gekriegt hab!", versicherte er seinem Freund, nahm ihm den Mistelzweig ab und verzierte Freddies Spitze vorsichtig damit, ehe er Bakura so stürmisch um den Hals fiel, dass dieser rückwärts taumelte und mit einem Ächzen auf der Couch landete. "Dann her mit meinem Geschenk. Deins hast Du ja gerade gekriegt", forderte der Weißhaarige, fuhr mit den Händen kurz über Joeys Seiten und öffnete dann ungeduldig Knopf und Reißverschluss der Jeans des Blonden. Joey lachte auf, doch sein Lachen ging in ein kehliges Stöhnen über, als sein Freund sich daran machte, sein Geschenk ausgiebig zu testen. Vielleicht, ging es Bakura Stunden später durch den Kopf, als Joey und er gemeinsam und noch immer splitterfasernackt auf dem Boden zwischen der Couch und Freddie, dem wohl krüppeligsten und schönsten Weihnachtsbaum aller Zeiten, saßen und sich den von Joey gebackenen Kuchen schmecken ließen, vielleicht ist Weihnachten ja doch nicht so schlimm, wie ich bisher dachte. Wenn es jedes Jahr so war wie dieses Jahr, dann konnte man sich glatt daran gewöhnen. Epilog: Liebes! --------------- Epilog "Gewonnen!" Mit einer triumphierenden Geste strich sich der Geist der Weihnacht durch sein langes rosafarbenes Haar und ein durch und durch selbstzufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Ich wusste, dass ich es schaffen würde! Das war doch ein Kinderspiel!", behauptete er und in seine hellblauen Augen trat ein ärgerliches Blitzen, als einer seiner beiden Tischnachbarn höhnisch über diese Worte lachte. "Ohne meine Hilfe wäre Dir das nicht gelungen. Du hast doch mit Deiner übertriebenen Dekoration fast alles zunichte gemacht. Wenn ich nicht eingegriffen hätte, dann hättest Du versagt." Der Winter schob seinen hüftlangen türkisfarbenen Zopf auf seinen Rücken und Father Christmas, der Dritte im Bunde, verdrehte die Augen. Diesen Streit hatte er schon kommen sehen, seit der Geist der Weihnacht die Aufgabe, den größten Weihnachtsmuffel aller Zeiten zu bekehren, angenommen hatte. Warum hatte er sich noch gleich bereiterklärt, den Schiedsrichter bei diesem kindischen Unsinn zu spielen? Ach ja, er hatte es zu diesem Zeitpunkt für eine gute Idee gehalten. Wie man sich doch irren konnte. "Ich wäre auch ohne die Einmischung Deiner dümmlichen Handlanger zum Ziel gekommen! Immerhin hätten diese Trottel Joey um ein Haar mit seinem Namen angesprochen und so noch alles vermasselt!", keifte der Geist der Weihnacht gerade und Father Christmas seufzte lautlos, ehe er mit den Fingern vor den Gesichtern der beiden Streitenden herumschnipste. Wenn er jetzt nicht eingriff, dann würden die Zwei bis zum Frühjahr weiterstreiten und das konnte ja nun definitiv nicht angehen. Immerhin hatten sie alle – und besonders er selbst – noch eine Menge zu tun. "Genau genommen habt ihr beide Unrecht", mischte er sich daher in den Streit ein und lächelte süffisant, als die beiden Kontrahenten ihm nun ihre ganze wütende Aufmerksamkeit zuteil werden ließen. "Wenn man es ganz genau betrachtet, dann war es nämlich Joey, der Bakura bekehrt hat, und keiner von euch", fuhr Father Christmas fort, lehnte sich zurück und nippte vergnügt an seinem Glühwein. "Und ich finde, das hat er wirklich ganz ausgezeichnet gemacht. Dafür hat er sich ein ganz besonderes Geschenk verdient." Und das soll er auch bekommen. "Aber ganz ohne Freddies Hilfe hätte auch Joey das nicht geschafft", beharrte der Winter und Father Christmas ließ sich diesen Einwand gründlich durch den Kopf gehen, ehe er schließlich abgrundtief seufzte und widerwillig nickte. Wie er es auch drehte und wendete, der Winter hatte Recht. Freddie hatte eindeutig einen großen Anteil an der ganzen Sache gehabt, das konnte er nicht leugnen. "Natürlich soll Freddies Opfer nicht vergessen werden", räumte er daher ein und nun schnaubte der Geist der Weihnacht. "Und was ist mit dem Kuchen?", verlangte er spitz zu wissen und Father Christmas seufzte ein drittes Mal. "Der Kuchen hat natürlich auch seinen Teil beigetragen", gab er zu, leerte seine Tasse und erhob sich, denn die Blicke, die seine beiden Tischnachbarn sich über ihre eigenen Tassen hinweg zuwarfen, sagte ihm, dass dieser vollkommen schwachsinnige Streit noch lange nicht beigelegt war. Die Zwei würden ganz sicher wenigstens bis zum Morgengrauen darüber argumentieren, ob der Baum oder der Kuchen nun den entscheidenderen Anteil an der Sache gehabt hatten. Er selbst hatte jedoch keine Zeit mehr, um noch länger zu bleiben und dafür zu sorgen, dass dieses unwürdige Spektakel nicht zu sehr unter die Gürtellinie ging. Auf ihn wartete schließlich, wie jedes Jahr in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, noch eine gewaltige Menge Arbeit. "Ich hoffe, ihr Zwei vergesst über eure Diskussion eure Pflichten nicht völlig", ermahnte Father Christmas die beiden Streithähne, obwohl er nicht viel Hoffnung hegte, dass sie tatsächlich auf ihn hören und sich auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen würden. Wann hätten sie das auch schon jemals getan? So lange er zurückdenken konnte, war das noch nie geschehen. Diese beiden waren einfach unverbesserlich. Wenn sie sich nicht anzicken konnten, dann waren sie einfach nicht sie selbst. Da er selbst aber nun wirklich keine Zeit hatte, weiter über die zwei Streitenden nachzudenken – und da er zugegebenermaßen auch froh war, ihrem Gezeter endlich zu entkommen –, entfernte Father Christmas sich von beiden und winkte die drei Untergebenen des Winters – Schnee, Eis und Wind – zu sich. Die Drei, die gerade noch damit beschäftigt gewesen waren, kleine Gestalten, die eindeutige Ähnlichkeit mit den Kreaturen aus diesem DuelMonsters-Spiel hatten, aus Schnee zu formen und sie gegeneinander kämpfen zu lassen, brachen ihr Spiel ab und gesellten sich zu demjenigen, der sie gerufen hatte. "Da euer Herr eurer Dienste vor morgen wohl nicht mehr bedarf, könnt ihr stattdessen mir helfen", beschloss Father Christmas, strich sich durch sein schulterlanges silbergraues Haar und verkniff sich ein Seufzen. "Vielleicht habe ich so ja heute Nacht mal das Glück, nach Hause zu kommen, solange meine Frau noch wach ist", schob er noch hinterher und dirigierte die Drei in Richtung seines Schlittens. "Cool!", platzte der brünette Wind auf diese Aufforderung hin heraus. "Ich wollte immer schon mal bei der Bescherung helfen!", setzte er noch hinzu und fuhr herum, als der rothaarige Schnee ihm einen kalten, feuchten Schneeball in den Nacken warf. "Du bist so ein Kind", spottete der Rotschopf, aber ehe der Wind zu einer zornigen Erwiderung samt kräftiger Windbö ansetzen konnte, trat der blonde Hüne Eis zwischen die beiden und legte jedem von ihnen eine seiner großen Hände auf die Schulter. "Benehmt euch, ihr Zwei", tadelte er sanft, aber bestimmt, und Father Christmas entfuhr nun doch das eben noch unterdrückte Seufzen, als er sah, wie der Schnee dem Wind dafür, dass dieser sich nicht unbeobachtet an ihm für seine Schneeballattacke rächen konnte, vom Eis unbemerkt die Zunge herausstreckte. Nicht noch zwei solcher Streithähne! Das Leben, fand Father Christmas, war doch manchmal wirklich ungerecht. Da geht er hin, mein verfrühter Feierabend. Womit hatte er das nur verdient? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)