Unerwartet von Luinaldawen ================================================================================ Kapitel 1: ----------- So. Jetzt ist es amtlich. Ich bin im Kindergarten gelandet. Und nein, das liegt nicht daran, dass Takeru zu seinem Geburtstag auch Daisuke, Miyako und die anderen kleinen Nervensägen eingeladen hat. Das ist sein gutes Recht aus irgendeinem Grund sind das seine Freunde. Und Hikari und Ken sind immerhin in der Lage, sich halbwegs zivilisiert zu verhalten. Dachte ich. Bis gerade eben. Bis Hikari allen ernstes Flaschendrehen vorgeschlagen hat. Und Sora ist vollkommen darauf angesprungen. Frauen. Zum Glück ist wenigstens Mimi nicht da. Miyako ist schon schlimm genug. Genervt seufze ich auf und versuche zu ignorieren, dass sich alle um mich herum wie die letzten Idioten aufführen. Wenigstens von Jou hätte ich mehr erwartet. Aber der stellt gerade eine hirnrissige Frage, die der arme Depp, auf den die Flasche zeigt – da war übrigens mal Sekt drin und ich wette, der ist Jou nicht gut bekommen – beantworten darf. Ich höre nicht mal zu. Ich wette, Taichi wird mich mit Freuden auf dem laufenden halten, sollte ich der arme Pechvogel sein. Er hat nämlich seinen Spaß und den vor allem daran, dass ich einfach nur weg will. Und er weiß ganz genau, dass ich nur aus einem einzigen Grund noch nicht das Weite gesucht habe: Es ist immerhin Takerus Geburtstag und ich weiß, dass es ihn verletzen würde, sollte ich einfach gehen. Und so sehr mir diese Sache auch stinkt, ich will meinem kleinen Bruder nicht den Abend verderben. Auch wenn etwas weniger Alkohol vielleicht nicht schlecht gewesen wäre. Ich wüsste ohnehin gerne, woher ein nun 15jähriger den hat. Man sollte eigentlich meinen, dass man den als Minderjähriger nicht so ohne weiteres bekommt. Ich werde mich aber hüten, danach zu fragen, schließlich weiß ich noch ganz genau wie das gelaufen ist, als ich noch in dem Alter war. Ich sehe Taichi an, der grinst. Was er wohl gerade denkt... Aber er scheint sich immerhin zu amüsieren. Kein Wunder. So ein Kinderkram war immer total sein Ding. Warum ist er nochmal mein bester Freund? Wegen dem bekloppten Versprechen vor einem Monat bei der Abschlussparty? Da war ich ja wohl eindeutig zu betrunken um noch zurechnungsfähig zu sein. Und jetzt erlaubt Tai mir nicht mal, meinen Frust über diesen öden Abend einfach zu ertränken. Okay, es ist vielleicht auch keine gute Idee, sich vor lauter Kindern volllaufen zu lassen. Verdammt. Ich habe mich gerade rücklings auf den Boden fallen lassen, als eine hilflos kichernde Hikari sagt: „Der auf den die Flasche zeigt muss seinen rechten Nachbarn küssen.“ Nur mit Mühe kann ich ein genervtes Aufstöhnen unterdrücken. Sind wir jetzt am Boden des Abgrundes voller Kinderkram angekommen, ja? Oder geht es vielleicht doch noch tiefer? Die anderen Mädchen kichern jedenfalls mit aber immerhin wirken wenigstens Jou und Ken angemessen genervt. Auch Iori sieht alles andere als begeistert aus. Taichi dagegen... nun ja. Ist eben Taichi. Ich kann aber nicht anders als die Flasche ebenso wie die anderen gebannt zu beobachten, während sie langsamer wird und... Oh. Mein. Gott! Geht’s noch peinlicher? Wer hasst mich? Wer um alles in der Welt hasst mich?! Ich sehe Tai an. Tai sieht mich an. Und zum ersten Mal an diesem Abend wirkt er nervös. Wobei ich von mir sagen muss, dass ich mir gerade nur eines wünsche. Einen Fluchtweg. Ein Mauseloch oder ein Wurmloch, das mich in eine andere Galaxie katapultiert. Die verdammte Flasche deutet auf Tai! Und ich... sitze auf seiner rechten Seite. Irgendwie bezweifle ich, dass Hikari die rechte Seite von der Flasche aus gesehen gemeint hat. Jemand beginnt haltlos zu kichern. Ich will gar nicht wissen, wer es ist – auch wenn das sicherlich hilfreich wäre, wenn ich jemanden brauche, dem ich den Hals umdrehen kann. Natürlich könnte ich auch Hikari umbringen aber das würden mir wohl weder Tai noch Takeru jemals verzeihen. Also brauche ich jemand anderen. Vielleicht Miyako, denn die prustet gerade: „Los! Küssen!“ „Darf ich sie umbringen?“, frage ich Tai leise, der eine etwas leidende Miene macht. „Ich fürchte, das ist strafbar.“ „Ach, man kann das bestimmt mit Notwehr erklären.“ „Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit aufgrund zu hohen Alkoholkonsums?“ Dass Taichi solche Formulierungen kennt... vielleicht wird er bei Jura doch nicht vollkommen untergehen. „Das wäre eher bei Kari oder Miyako der Fall... Du hast mir ja nicht erlaubt, etwas zu trinken.“ „Hätte ich mal eher gewusst, dass ich dich etwas williger brauche...“ Jetzt hat er es geschafft. Ich starre ihn an. Vollkommen fassungslos. Um uns herum herrscht Schweigen, dann bricht Miyako in lautes Gelächter aus. Ich werde rot. Glaube ich. Zumindest lässt die Hitze in meinem Gesicht darauf schließen. Gott, ich sehe bestimmt aus wie ein Ampelmännchen! „Tai, du sollst ihn nur küssen und nicht flachlegen!“ lacht Miyako und ich will sie wirklich, wirklich, wirklich gerne umbringen. Wie die anderen auf den dummen Kommentar reagieren – wer schlau ist, fürchtet wohl, dass ich in die Luft gehe. Und das vollkommen zu Recht. Sie umbringen. Und das möglichst schmerzhaft. Mir fallen da bestimmt ein paar Möglichkeiten ein, man sagte mir ja immer, ich wäre sehr kreativ. Da werden doch wohl ein paar Todesarten drin sein. Aber leider, leider... würde das Takerus Geburtstagsfeier noch mehr verderben als das, was ich gerade tue. Nämlich aufstehen und zu gehen. Genug ist genug. Es gibt Dinge, die muss ich mir wirklich nicht antun. Taichi zu küssen wäre vielleicht auf irgendeine verquere Art noch in Ordnung gewesen aber mir zu allem Überfluss noch dumme Kommentaren von einer der nervigsten Personen der Welt anzutun... nein. Das ist zu viel des Guten. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Sora aufspringen will, sie ruft meinen Namen... aber Taichi hält sie fest. Seine erste vernünftige Aktion an diesem Abend. Ich weiß nicht, ob er etwas zu ihr sagt oder ob er sonst noch überhaupt etwas tut, denn die Wohnzimmertür schlägt hinter mir zu und ich befinde mich im Flur, wo ich zwei Versuche brauche um zu merken, dass ich meine Schuhe gerade falschherum anziehe. Leise fluchend korrigiere ich das und schnappe mir meine Jacke. Ich will einfach nur noch hier raus. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass mir alles hier die Luft abschnürt. Die Wände, die anderen... Tais Anwesenheit. Verdammt. Ich habe doch gar nichts getrunken. Okay, ein Glas Sekt um auf Takeru anzustoßen, aber das war noch am Nachmittag im Kreis der Familie! Erst draußen kann ich freier durchatmen und ich stütze mich auf das Geländer des Außenzugangs zur Wohnung. Es ist schon spät und die meisten Lichter der umliegenden Häuser sind bereits aus. Trotzdem kommt von irgendwoher wummernde Musik, vermutlich rückt da bald die Polizei an, weil ein Nachbar die Nase voll hat. Das Geräusch der Autos an der nahen Hauptstraße passt sich besser in die Nacht ein. Ich registriere es nur am Rand und es trägt das Seine dazu bei, mein hämmerndes Herz wieder etwas zu beruhigen und meine immer noch glühenden Wangen etwas abzukühlen. Ich hasse es, wenn man mich so aus dem Konzept bringt. Hinter mir öffnet sich die Tür und wird leise wieder geschlossen. Entweder ist es Sora, die mir nun doch gefolgt ist, Takeru oder... „Yama?“ Oder Tai. Natürlich. Ich hätte es wissen müssen, dass er mir nachläuft. „Was ist?“, frage ich, ohne mich umzudrehen und höre, wie er sich neben mich an das Geländer lehnt. „Miyako ist betrunken, nimm es ihr nicht übel.“ „In ihrem Alter sollte man nicht so viel trinken. Vor allem sie sollte das nicht.“ Sie ist ja nüchtern schon schlimm genug. „Sie meint es nicht so.“ Da hat er wohl sogar Recht. Sie redet einfach, ohne vorher nachzudenken. Aber ich antworte nicht. Was soll ich auch sagen? „Kommst du wieder mit rein?“ Taichi klingt unsicher. Ich kann es ihm nicht mal verdenken. Er weiß, wie ich drauf bin, wenn man mich zu sehr reizt. „Nein. Ich habe keine Lust mehr. Sag Takeru, dass es mir Leid tut.“ „Sag ihm das morgen selbst. Ich komme mit.“ „Hä?“ Jetzt sehe ich ihn doch an und stelle fest, dass er sehr dicht neben mir steht und mich auf eine Art fixiert, die mich nun doch nervös macht. „Ich bin müde und... naja.“ Was soll mir das denn sagen? „Ich will nicht, dass du in dieser Stimmung alleine nach Hause fährst.“ Okay, jetzt ist es amtlich. Ich verstehe ihn nicht mehr. „Es sind nur ein paar Stationen mit der U-Bahn, die schaffe ich ja wohl alleine.“ „Ich weiß. Trotzdem. Ich... fühle mich dann einfach besser.“ „Aaaaha...“ Ja. Er spinnt. Hat ihm niemand gesagt, dass ich ein Junge bin? Einer, der gerade seinen Oberschulabschluss gemacht hat und wohl in der Lage sein sollte, auf sich aufzupassen? Und keine Dummheiten zu machen? Er kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Fühlt sich wohl angemessen unwohl unter meinem prüfenden Blick. „Hat das beknackte Spiel dein Hirn geschädigt?“, frage ich sicherheitshalber nach. „Nein, keine Sorge. Aber...“ „Aber?“ Der hat doch irgendetwas vor... ich weiß es ganz genau... „Ich muss immer noch etwas einlösen...“ Er klingt so vorsichtig, als fürchte er, ich würde jeden Moment in die Luft gehen. Und mir dämmert, was er meint. Der bescheuerte Kuss?! Ich will schon lautstark protestieren – oder abhauen – als er seine Hände auf meine Schultern legt und... mich küsst. Und es ist kein flüchtiges Berühren der Lippen, wie man es doch normalerweise beim Flaschendrehen macht – ja, ich habe da auch schon gewisse Erfahrungen – sondern ein richtiger Kuss. Ein... verdammt guter Kuss. Ehe ich mich versehe habe ich meine Arme um Taichi geschlungen und vergesse so ziemlich alles um mich herum. Das einzige was noch zählt ist Tai. Seine Lippen, seine Hände von denen eine gerade mein Haar durcheinanderbringt... Tai in seiner überwältigenden, atemberaubenden Gesamtheit... meine ganze Welt besteht für einen langen, unendlichen, kurzen Moment nur aus ihm und dann... Ich blinzle. Er starrt mich an. Keiner sagt etwas. Gleichzeitig machen wir einen Schritt zurück und ich sehe, wie er den Mund aufmacht, um etwas zu sagen. Ich warte aber nicht ab, was er sagen will. So schnell ich kann drehe ich mich um und laufe zum Treppenhaus und nach draußen, Richtung U-Bahn-Station. Diesmal folgt er mir nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)