liar von vivid_moth (Happy Birthday, Bruder.) ================================================================================ Kapitel 1: Sind wir nicht alle Lügner? -------------------------------------- Jeden Tag sehe ich dich, wie du glücklich von einem Fehltritt in den nächsten rennst. Jeden Tag beobachte ich dich, wie du dich vor anderen zum Affen machst. Jeden Tag spüre ich dich, wie deine Naivität den anderen immer mehr und mehr gefällt. Und jeden Tag rette ich dich. Immer und immer wieder auf's Neue. Ich rette deine blauen Augen, deine blonden Haare, deine zierliche Gestalt, dein naives Denken, deine süße Stimme, deinen anziehenden Geruch, deine feinen Finger, deine niedliche Erscheinung und dein kindliches Verhalten. Jeden Tag. Womit habe ich das nur verdient? Du zeigst mir deine Dankbarkeit nicht, sagst nie ein einziges Wort der Wahrheit zu mir, verspottest mich mit deinem kindlichen Lächeln und zeigst mir jeden Tag, wie wertlos ich dir eigentlich bin. Tagtäglich bekomme ich zu hören, dass du so ein liebes Kerlchen wärst, dass du so unglaublich putzig seiest, dass du so einen tollen Kumpel wie mich redlich verdient hast und dass ich stolz darauf sein kann, mit dir befreundet zu sein. Und jedes Mal, wenn du das hörst, nickst du quietschend, strahlst uns der Reihe nach an und wirfst dich an meinen Arm, klammerst dich an diesen und schaust mit deinen unschuldigen babyblauen Augen zu mir auf, weil ich das übliche Programm abziehen soll, während du verspielt mit deinen langen Wimpern klimperst und auf niedlich machst. Und allein, weil ich dich nicht verlieren will, drücke ich dich daraufhin an mich, schließe entspannt die Augen, nicke mit einem zufriedenen Lächeln und stimme dir friedvoll in allein Punkten zu. Nur weil ich dich nicht verlieren will. Aber das weißt du ja. Besser als jeder andere. Du weißt es und das du es weißt, zerfrisst mir mein Herz. Auch das weißt du. Du weißt es und trotzdem hackst du darauf herum, als würde alles, was ich für dich fühle, auf Gegenseitigkeit beruhen. Als würdest auch du mich mit Leib und Seele lieben. Aber ich, ich weiß es besser. Ich weiß es schon seit Monaten besser. Seit dein falsches Lächeln zum ersten Mal dein wunderschönes Gesicht zierte. Und weil ich es besser weiß, habe ich dir das Schlafmittel in deine überzuckerte Milch gegeben. Genau deswegen habe ich dich so sanft wie es mir möglich war in das verriegelte Zimmer gebracht, welches ich vorher an allen Wänden, Böden und Decken strahlend weiß gestrichen und danach mit Rattengift drapiert hatte. Genau deswegen habe ich dir deinen Panda-Schlafanzug mit der niedlichen Schlafmütze ausgezogen, habe deine Unterhose entfernt und dich liebevoll auf den sterilen Boden gelegt. Genau deswegen habe ich dir dein weiches goldblondes Haar vollständig abrasiert und es wie einen Heiligenschein über deinen Kopf platziert. Genau deswegen habe ich dir deinen silbernen Seepferdchenohrstecker aus dem Ohr genommen und ihn stattdessen in deinen Bauchnabel gelegt, wo er nun im kahlen Licht schimmert und funkelt. Genau deswegen habe ich deine Spieluhr mit deinem Schlaflied neben deinen Kopf gestellt und sie angeschaltet und deinen Kuscheltierpanda in deine Arme gelegt. Genau deswegen summe ich nun dein Schlaflied seelig mit. Genau deswegen wippe ich im Takt der beruhigenden Melodie mit, während ich das eiskalte Messer neben mir nehme, an deinen Bauch setze und einen schnellen, sauberen Schnitt vom Zwerchfell bis zur Leistengegend ziehe und meine stummen, einsamen, verzweifelten Tränen die sich über die Monate angesammelt haben allesamt in deine Wunde tropfe. Genau deswegen summe ich verzerrt dein Schlaflied mit, damit du nicht aufwachst und mich nicht weinen siehst, damit du die Schmerzen nicht wahr nimmst und nicht mitbekommst, wie pervers ich bin und was ich mit deinem wehrlosen, makellosen Körper mache. Genau deswegen taste ich mit schmerzlich geschlossenen Augen nach deiner noch warmen, zierlichen Hand und drücke sie ganz fest, damit meine Angst verschwindet und du mir Sicherheit gibst, deswegen schiebe ich das Messer unter deinen stillen Körper, deswegen öffne ich die Augen und sehe dich verzweifelt an, als ich zwei meiner Finger zitternd erhebe und vorsichtig in die blutige Wunde tunke und sie zittrig, tausende Entschuldigungen an dich hauchend an die Wand setze. Und genau deswegen schreibe ich deinen Namen an die frisch gestrichene weiße, sterile Wand. Deinen wahren Namen an die Wand schreibe und mir dabei denke; Warum, kleiner Bruder? Warum nur? Warum hast du dieses Monster aus mir gemacht? Und deswegen schreibe ich deinen wahren, realen Namen an die blütenweiße Wand, während ich langsam zusammenbreche und mir die Luft ausgeht, zögerlich nach deiner anderen Hand greife und sie ebenfalls sanft an mich presse und immer schwächer werdend neben dir auf den Boden sinke, bevor mein Herzschlag immer ruhiger wird, weil das Rattengift meine Lunge versagen lässt. Und genau deswegen blicke ich noch ein letztes Mal auf die rot schillernden, verschmierten Buchstaben an der unschuldig weißen Wand, die deinen Namen ergeben. Und meinen letzten Atemzug verschwende ich an dich, denn ich denke mir; Warum, kleiner Bruder? Ich bin kein Monster. Ich liebe dich nur. Oder können Monster lieben? Warum, kleiner Bruder? Ich Monster liebe dich doch. Und während dein Körper langsam kälter wird, mein Atem immer schwerer wird, ist dein leises, säuselndes neben uns auf den Boden tropfendes Blut mein Schlaflied, so wie ich das deine war, kleiner Bruder, verschmieren die Buchstaben, die deinen Namen ergeben, immer weiter zur Unerkenntlichkeit, doch ich kann sie immer lesen. Denn auch, wenn ich meinen letzten Atemzug neben dir aushauche, so ist dein Name auf meiner Seele eingebrannt. .L.I.A.R. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)