Seven years from now von Ninjagirl ================================================================================ Kapitel 12: Geschenk -------------------- "She had something to confess to But you don’t have the time so Look the other way You will wait until it's over To reveal what you’d never shown her Too little much too late" (Muse - Muscle Museum) Shindo war nicht gut gelaunt. Er hatte um sieben aufstehen müssen, weil das Institut eine seiner Partien auf acht Uhr gelegt hatte. Eigentlich hatte er vor einigen Jahren mal abgesprochen, dass seine Partien immer auf später am Tag gelegt wurden, aber heute war das nicht möglich gewesen. Und dann hatte sich das Aufstehen nichtmal gelohnt. Trotz Müdigkeit hatte er seinen Gegner mit Links geschlagen. Um zwölf hatte er dann eine Partie in der zweiten Vorrunde des Tengen-Turniers. Nur noch Sageki und Hikaru waren übrig in dieser Runde, aber er würde nicht gegen sie spielen müssen, außer, einer der beiden erreichte die dritte Runde. Das nächste Pro-Examen fand erst im Frühjahr statt, was bedeutete, dass er sich um Haru noch keine Sorgen machen brauchte. Ihm war allerdings klar geworden, dass er sich vorsehen musste, sobald der Knirps zum Pro aufstieg. Sie konnten sich immer noch nicht besonders leiden, aber Shindo ließ Abneigung nicht sein Einschätzungsvermögen beeinflussen. Meistens zumindest. Seine zweite Partie ging Shindo nach drei Bechern Kaffee an. Heute hatte er niemanden im Institut getroffen, mit dem er reden konnte. Er hatte sich also zwei Stunden langweilen müssen. Er hatte versucht, Touya anzurufen, mehrmals, aber dieser ging nie ran. Dabei hatte er heute einen freien Tag. Wie konnte er ihn anders verbringen, als Shindo zu unterhalten, fragte der sich ironisch. Er überstand auch die zweite Partie unbeschadet. In letzter Zeit konnte niemand ihm mehr etwas anhaben, er lief langsam zu Höchstform auf. Hoffentlich erreichte er diese bis zum Tengen-Finale. Halb drei war er zu Hause. Touyas Wagen stand noch nicht in der Einfahrt und er fragte sich, was der Ouza gerade tat. Ayumi musste doch arbeiten? Hatte Touya sich etwa plötzlich ein Hobby zugelegt? Naja, vielleicht war er auch mit einem der Jungen unterwegs. Das war auch schon ein-, zweimal vorgekommen. Shindo reckte sich, als er aus dem Auto stieg, und ging langsam zum Haus und die Treppen hinauf. Er gähnte herzhaft während er die Tür aufschloss. In seiner Wohnung warf er den Schlüssel beiseite, trottete ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Er schlief schneller ein, als er eine Go-Eröffnung führen konnte. ~x~ Geweckt wurde er von einem nervigen Mix aus Klopfen und Klingeln. Er schrak hoch und beeilte sich, denn als er diese Geräusche das letzte Mal in Verbindung miteinander gehört hatte, waren Touyas Reifen zerstochen worden. Diesmal sah Touya nicht aufgelöst aus, sondern positiv aufgeregt. Er schob Shindo zurück in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich, blieb aber im Eingang stehen. "Die Jungs haben gesagt, die bist der coole Onkel", redete Touya los. Wortschwalle waren sonst nicht sein Ding sondern eher Shindos, aber diesmal schien er wirklich aufgeregt zu sein. Shindo hob eine Augenbraue. "Der coole Onkel?" "Ja, und ich habe die Vaterrolle. Weil ich Verantwortung übernehme und du nicht." Shindo betrachtete ihn eine Weile lang skeptisch. Dafür war er jetzt aufgestanden? "Wenn du mir jetzt nur meine sozialen Defizite aufzeigen willst, gehe ich wieder schlafen. "Du schläfst in letzter Zeit oft allein", meinte Touya. Shindo zuckte nur die Schultern. Er hatte eben gerade keine Lust auf andere Menschen in seinem Bett. Ab und zu schlief Yun bei ihm, aber das wurde immer seltener. Touya nahm ihn beim Handgelenk. Shindo schreckte verwundert auf. Sonst fasste der andere ihn nie an – es war seltsam, wenn er die Initiative ergriff. Touyas Griff war fest, anders als seine immer noch recht zierliche, knochige Figur vermuten ließ. Er öffnete die Tür wieder und davor stand eine große Transportbox, die Shindo nicht so ganz deuten konnte. Touya nahm sie und hob sie ihn die Wohnung, dann schloss er die Tür wieder. Shindo wartete nicht auf eine Erklärung. Das war eine Box für Tiere, er hatte einmal eine im Institut gesehen, mit einer Katze darin. Touya kam hinzu und öffnete die Luke, damit das Tier hinaus konnte. Shindo atmete gespannt ein und beugte sich hinunter. In die Ecke gedrückt sah er einen kleinen Welpen, der bei seinem Anblick zu winseln begann. Er richtete sich wieder auf und sah Touya fragend an. Dieser zuckte die Schultern und sagte: "Ich dachte, du wärst eher ein Hundemensch. Er muss dreimal am Tag raus. Einen Namen hat er noch nicht." "Du hast mir einen Hund gekauft?" fragte Shindo, um seine Gedanken zu ordnen. Touya lehnte an der Wand zwischen Flur und Küche und nickte. "Ich habe gar kein Zeug für ihn." "Ich hab alles Mögliche besorgt, bringe ich dir gleich hoch." Shindo seufzte. "Ich will gar keinen Hund." Touya lächelte. "Glaub mir, du willst einen. In einer Woche wirst du mir dankbar sein." ~x~ Am Abend bezweifelte Shino diese Vorhersage. Aus Angst vor Shindo hatte der Welpe gleich nach Verlassen seiner Box auf dem Boden Wasser gelassen. Er war ein kleiner weißer Hund mit schwarzen Pfötchen und auch das Fell um die Augen war kreisförmig schwarz. "Er sieht aus wie ein Panda", meinte Shindo, als er gemeinsam mit Touya versuchte, den Hund zum Fressen zu bewegen. Touya hatte tatsächlich an alles gedacht. Er hatte Futter, Näpfe, Leinen, einen Schlafkorb, Bürsten und noch alles mögliche sonderbare Zeug besorgt und in Shindos Wohnung verteilt. "Er braucht einen Namen", sagte Touya, leise, um den Hund nicht zu erschrecken. Shindo seufzte. Anscheinend war es dem anderen ernst damit, dass er ihn behalten sollte. Wie passte denn ein Hund in sein Leben? "Panda", meinte er. "So soll er heißen." Panda betrachtete ihn misstrauisch und wackelte dann zu Touya. Shindo betrachtete seinen Hund und Touya. Sie passten viel besser zueinander. Panda schien nicht besonders agil, auch auf Bälle und Stöckchen reagierte er nicht. Vielleicht reichte es, wenn er nur einmal am Tag rausging? Vermutlich nicht... "Und wie genau bist du auf einen Hund gekommen?" seufzte er und wedelte mit den Händen beim Versuch, Panda zu sich zu locken. Der Welpe betrachtete ihn lange und ausgiebig, bevor er sich auf den Boden drückte und den Kopf auf Touyas Fuß ablegte. Touya kraulte ihn mit den Fingerspitzen am Kopf und erwiderte dann: "Keine Ahnung, ich fand es eben passend. Ich finde, du musst lernen, auf andere Acht zu geben. Du hast du Jungs einfach vergessen, das geht so nicht." Shindo seufzte und starrte auf seine Hände. Touya hatte ja Recht, und das wurmte ihn noch mehr. "Ich überlege, Ayumi einen Antrag zu machen", eröffnete Touya ihm plötzlich. Sie sahen sich einen Augenblick an, dann breitete sich ein Lächeln auf Shindos Gesicht aus. "Wirklich?! Wow, Touya – wow! Das... das ist schön. Wie lange seid ihr jetzt zusammen?" "Drei Monate. Aber es kommt mir viel länger vor." Shindo kam es auch viel länger vor. Er selbst hatte sich auch schon so gut mit Ayumi angefreundet, dass er sich freuen würde, wenn sie Teil seiner kleinen Familie werden würde, die er mit Touya fast schon war. Er dachte an seine Mutter. Tiere waren im Krankenhaus bestimmt nicht erlaubt. "Soll ich dir Tipps geben für die Hochzeitsnacht?" fragte er grinsend und wackelte mit den Fingern, um Panda endlich zu sich zu locken. Der Welpe richtete sich auf und schnupperte sich langsam in Shindos Richtung vor, bis er diesen schließlich erreichte und seine Fingerkuppen abschleckte. Shindo kicherte leise. "Ich glaube nicht, dass ich die nötig habe", erwiderte Touya augenrollend und lehnte sich gegen die Wand im Flur. Er beobachtete, wie Panda auf Shindos Schoß kletterte und es sich dort gemütlich machte. Er hatte genau die richtige Wahl getroffen. Er hatte einen Hund gesucht, der nicht zu hyperaktiv war, weil er gemerkt hatte, dass Yun mit seiner inneren Ruhe auch Shindo angesteckt hatte. Nun wollte er nicht unbedingt den Welpen mit Yun vergleichen, aber er hoffte darauf, dass Panda Shindo half, etwas ausgeglichener zu werden. "Ich habe mich öfter gefragt, wie es wäre, mit uns beiden." Touya starrte ihn an, aber er erwiderte den Blick nicht, sondern sah weiter konzentriert dem Hund zu. "Ich meine ja nur... weil wir uns so gut kennen." Seit mit Yun Schluss war, hatte er tatsächlich ab und zu darüber nachgedacht. Nicht oft, aber es war doch immer die Frage da, wie es gewesen wäre, hätte er sich eher für Männer begeistert. Er war darauf gekommen, als ihm bewusst geworden war, dass die Nähe zu Hong das Erlebnis schöner gemacht hatte. Auch mit Yun war es immer besser geworden, je mehr sie einander kannten. Und derjenige, der ihn am besten kannte, war nun einmal Touya. Shindo seufzte und lehnte sich zurück. Es war nicht so, dass er ständig daran dachte, redete er sich ein. Er neidete Ayumi auch nicht, dass sie mit Touya zusammen war, er war einfach nur neugierig. Dass die beiden bald verlobt sein würden, machte ihn viel glücklicher, als er erwartet hätte. "Tut mir leid, Shindo", meinte Touya schließlich. "Selbst wenn Ayumi nicht wäre, hätte ich daran, glaube ich, kein Interesse. Zum einen, weil du ein Mann bist, und zum anderen, weil da auch eine Menge kaputtgehen könnte. Das hast du doch bei Saeki gesehen. Wirst du je wieder normal mit ihm reden können?" Shindo seufzte wieder. "So wäre es nicht mit uns. Aber ich versteh dich, ich will dich ja auch gar nicht überreden. Sag mir lieber, wann du den Kniefall wagst", lenkte er das Thema wieder auf Touyas ursprüngliche Ankündigung. "In drei Wochen verteidige ich den Tengen. Danach frage ich sie." Touya lächelte verliebt und Shindo dachte, dass Ayumi sich wirklich glücklich schätzen konnte, einen Mann zu kriegen, der so vernarrt in sie war. Zwar klagte sie ab und zu darüber, immer zurückstecken zu müssen, wenn ihnen Go in die Quere kam, aber Shindo sah genau, dass Touya in den richtigen Momenten immer seine Freundin wählte. Das musste sie einfach auch sehen. "Der Meijin ist nur einen Monat später dran", sagte Shindo und lächelte. Er freute sich auf die Partien gegen Touya. Der Ouza richtete sich langsam auf. Panda beobachtete ihn misstrauisch, bewegte aber außer Augen und Ohren nichts. Ihm schien es auf Shindos Schoß zu gefallen. "Ich treffe mich noch mit Sageki. Du kommst klar hier?" "Du meinst das also ernst mit dem Hund?" fragte Shindo zweifelnd. Nicht, dass er das warme Bündel auf seinen Beinen nicht süß fand und so... Touya nickte und sah auf die Uhr. "Wie wär's mit einem ersten Spaziergang für ihn? Ich muss nur drei Straßen weiter, komm doch mit." Shindo nahm Panda, der fast in nur eine seiner Hände passte, und setzte ihn auf den Boden, um in seiner Wohnung nach der Leine zu suchen, die Touya irgendwo zurückgelassen hatte. Gemeinsam verließen sie das Haus und gingen die Straßen entlang. Sie konnten nicht allzu schnell laufen, weil Panda wegen seinen kurzen Beinen kaum hinterherkam. Dafür war er nicht so riesig interessiert an seiner Umwelt, nur selten blieb er stehen, um an einer Zeitung oder einem Baum zu schnuppern. Als Touya sich verabschiedete, bellte Panda ihm hinterher; es klang absolut niedlich, wie Shindo fand. Nach einer weiteren halben Stunde schlugen sie zu zweit den Rückweg ein und Shindo fand, dass das hier gar nicht so schlecht war. Sein Welpe war zum Glück nicht besonders anspruchsvoll, vielleicht reichten zwei Spaziergänge am Tag. Den Rest des Tages verbrachte er damit, das ganze Hunde-Equipment von Touya in der Wohnung zu verstauen und einzurichten. Den Korb stellte er ins Wohnzimmer, die Bürsten kamen ins Bad, für das Futter hatte er in der Küche mehr als genug Platz. Der Welpe saß meist im Wohnzimmer herum und beobachtete ihn, manchmal folgte er ihm auch in das jeweilige Zimmer. Sie würden sich schon gut verstehen, dachte Shindo. Spät am Abend fiel er müde ins Bett. Er hatte schon fast die zwei Partien eher an diesem Tag vergessen, so beschäftigt war er seitdem gewesen. Panda hatte er in den Korb im Wohnzimmer gesetzt, doch gerade, als er sein Licht ausschalten wollte, fiel ihm auf, dass der Welpe vor seinem Bett saß. Er war zu klein, um hochzuspringen, und so saß er nur da, sah ihn aus den schwarz umrandeten Augen an und fing an, leise zu winseln. Shindo seufzte. "Na gut... Aber die Nummer zieht sonst nicht, dass du's weißt." Er nahm den Hund mit einer Hand und legte ihn auf die Decke neben sich, dann schaltete er das Licht aus. Gerade, als er sich auf den Bauch gedreht hatte, merkte er, wie Panda tapsig auf seinen Rücken stieg und sich dort hinlegte. Noch einmal seufzte er. "Super, Hund, ganz großes Kino..." ~x~ Am nächsten Tag hatte er gegen Mittag eine Partie, und weil er für das Gassi gehen sowieso früh aufstehen musste, entschied er sich, mit Panda zu Yuns Arbeit zu fahren. Der Hund nahm die Autofahrt so stoisch hin wie die meisten anderen Gegebenheiten. Er legte sich auf den Beifahrersitz und sah Shindo zu. Am Kindergarten angekommen legte er dem Welpen die Leine an, trug ihn allerdings hinein. Viel war noch nicht los, es war gerade erst halb neun und nicht alle Kinder waren schon hergebracht worden. Shindo wusste bereits, wo er nach Yun suchen musste. Der junge Kindergärtner war Leiter der Schmetterlingsgruppe. Shindo wartete kurz vor der Tür mit den bunten Schmetterlingen und lauschte, ob es drinnen besonders laut war. Er wusste, dass es dann nicht gut war, hineinzugehen, weil er selbst für noch mehr Unruhe sorgte. Yun dagegen schaffte es meist schnell, die Kinder zu beruhigen. Es war still, also öffnete er vorsichtig die Tür. Er war kaum zur Hälfte drin, als ein kleines Mädchen ihn entdeckte und quietschte. "Hundchen!" rief sie und kam angelaufen. Schüchtern blieb sie vor Shindo stehen, der sie um über einen Meter überragte. Sie legte den Kopf in den Nacken, wippte auf ihren Füßen vor und zurück und sah ihn mit großen Augen an. "Streicheln?" Yun kam angelaufen und lachte. Shindo rieselte es angenehm den Rücken hinunter. "Nur, wenn du das in einem Satz sagst", schmunzelte Shindo. Er wusste, dass Yun das den Kindern immer einbläute, aber bei Fremden fielen sie oft in Ein-Wort-Sätze zurück. "Darf ich ihn mal streicheln?" fragte sie artig und Shindo kniete sich lächelnd hin, sodass Panda und das Mädchen auf einer Ebene waren. Längst waren auch die restlichen Kinder angelaufen gekommen und Yun beobachtete ihn mit warmem Blick. Währenddessen griffen gleich mehrere Kinderhände nach Pandas Fell, sie passten gar nicht alle auf den kleinen Hundekörper. Der Welpe ließ alles geduldig über sich ergehen und machte keinen Laut. "Wie heißt er?" fragte ein Junge mit einer charmanten Zahnlücke. "Panda", erwiderte Shindo und er hörte Yun kichern. Die Kinder waren begeistert, und weil sein Hund sich so ruhig verhielt, ließ er ihn bei den Kindern und stellte sich zu seinem früheren Freund. "Ein Hund?" fragte dieser grinsend und gab ihm einen Kuss. Shindo zuckte mit den Schultern und sah dem Bündel Kinder zu, in dem irgendwo sein Welpe lag. "Touya hat ihn mir geschenkt. Er meint, ich müsse lernen, Verantwortung zu übernehmen." "Keine schlechte Idee", lächelte Yun. Shindo sah ihn säuerlich an und setzte sich auf einen der Kinderstühle. "Touya will Ayumi einen Antrag machen", erzählte er. Yuns Augen leuchteten auf. "Das ist ja toll! Wie schön, das freut mich für die beiden." Shindo grinste, weil der Kindergärtner so glücklich war. Nach kurzer Zeit war leises Winseln aus der Kindermenge zu hören und Shindo kam seinem Hund zu Hilfe. Er nahm ihn wieder auf den Arm und so außer Reichweite der Kinder. Die Gruppe um ihn löste sich langsam auf und widmete sich wieder ihrem Spielzeug. Nach zwanzig Minuten wurde das letzte Mitglied der Schmetterlingsgruppe gebracht, ein kleines vierjähriges Mädchen, das Yun immer sehr gemocht hatte, weil sie schon so klug war. Ihre Mutter brachte sie herein und zog ihr die Jacke und Stiefel aus. Kaum, dass sie ihre Schuhe los war, kam sie zu Shindo gelaufen und legte vorsichtig eine Hand auf Pandas Kopf. "Der ist aber schööön!" lachte sie. Ihre Mutter verabschiedete sich gehetzt mit einem knappen Gruß und auch Shindo wollte bald gehen. Es war gerade neun, drei Stunden noch bis zu seiner Partie. Die Kinder verabschiedeten sich ausgiebig von Panda, Yun winkte ihm nur lächelnd nach. Panda wollte nicht lange spazieren. Er leitete Shindo durch zwei Querstraßen und dann, gewollt oder nicht, genau zum Auto, vor dem er sich demonstrativ neben die Beifahrertür setzte. Shindo musste lachen, schloss auf und setzte den Welpen auf seinen Platz. Zu Hause schien er auch nicht besonders interessiert daran zu sein, herumzutollen. Futter war ihm viel lieber. Satt legte er sich schließlich neben Shindo auf die Couch und döste vor sich hin, während sein Herrchen die Morgennachrichten sah. Shindo stellte fröhlich fest, dass sie anscheinend ganz ähnliche Interessen hatten – Panda mochte sein Auto, lag gern auf der Couch und wollte nicht allzu viel unterhalten werden. Nur seine Go-Kompatibilität hatte Shindo noch nicht getestet. Halb zwölf machte er sich bereit für seine Partie. Ob er Panda solange in der Wohnung lassen konnte? Vermutlich schon. Ein bisschen blutete ihm das Herz, als er den Welpen auf seiner Türschwelle zurückließ und ging, aber er würde ja bald zurückkommen. Nach seiner Partie fuhr er noch zum Krankenhaus, um seine Mutter zu besuchen. Vor Ort kannte man ihn bereits, die Schwestern grüßten nett und ließen ihn ohne Fragen passieren. Im Zimmer seiner Mutter lag noch eine Frau, die sich bei einem Haushaltsunfall das Gesicht verbrannt hatte. Sie war ab und zu wach, wollte sich aber nie mit Shindo unterhalten. Er nahm am Bett seiner Mutter Platz und nahm ihre Hand, die er liebevoll streichelte. Sie sah alt aus, wie sie da auf dem Bett lag, und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Der zuständige Arzt hatte ihm zwar gesagt, es bestehe keine Lebensgefahr mehr, aber sie wachte auch nicht auf. Dabei brauchte er sie doch. Er war erst vierundzwanzig, er konnte seine Mutter noch nicht verlieren. "Mama", flüsterte er und strich immer wieder über die Hand, die jetzt so klein und blass wirkte. "Wach endlich auf. Ich hab dir so viel zu erzählen. Ich habe jetzt einen Hund. Er heißt Panda, und du musst ihn auch streicheln." Er schluckte trocken. Ihm fiel es schwer, mit ihr zu reden, aber der Arzt hatte gesagt, es könnte hilfreich sein. "Ich war mit ihm im Kindergarten bei Yun. Die Kiddies haben ihn geliebt." Er redete eine Weile von seinem Welpen und von Touya und vom Go. Er hatte seit ihrem Unfall ein schlechtes Gewissen, weil er sich davor so selten hatte blicken lassen in seinem Elternhaus. Seine Mutter war nun tagsüber immer alleine und redete höchstens mal mit Akaris Mutter oder anderen Nachbarn. Sie musste ihn schrecklich vermissen. So wie er sie jetzt. "Ich komme bald wieder", murmelte er zum Abschied und legte ihre Hand zurück neben ihren schmalen Körper. Bevor er losfuhr, saß er noch eine Weile im Auto. Es war angenehm, er konnte einfach ruhig sein und ein bisschen nachdenken. Touya wollte Ayumi den Antrag nach dem Tengen-Turnier machen. Ironisch dachte Shindo, dass es ziemlich unfair war, ihm das zu sagen, denn so würde er Touya ungern besiegen wollen, immerhin wäre die Verlobung dann durch Touyas Niederlage gezeichnet. Andererseits mochte dieser den Titel Tengen – aus welchem Grund auch immer – sowieso nicht sonderlich leiden, warum ihn also nicht dieser Bürde entledigen? Schließlich fuhr er wieder nach Hause, nahm gemächlich die Treppen nach oben und öffnete die Tür zu seiner Wohnung. Es war verdächtig still und Panda saß nicht mehr im Eingangsbereich. Im Flur allerdings sah Shindo irgendetwas Watteähnliches, was dort definitiv nicht hingehörte. Ohne seine Schuhe auszuziehen trat er mit angehaltenem Atem ein und ging in sein Wohnzimmer. "Oh neeeein", jammerte er, als er sah, was sein neuer Mitbewohner angestellt hatte: eine Sofaecke war komplett aufgerissen; aus ihr quoll die weiche Füllung. Und inmitten des Wattemeeres schlief Panda seelenruhig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)