Seven years from now von Ninjagirl ================================================================================ Kapitel 5: Ayumi ---------------- Für Ayumi gibt es nun auch einen Steckbrief :) Viel Spaß mit diesem Kapitel. ------------------------------------------------------------ We lose control In increasing pace Warped and bewitched A time to erase Whatever they say These people are torn Wild and bereft Assassin is born (Muse - Assassin) Das Meeting fand fünf Uhr am Nachmittags statt. Vormittags übernahm Touya im Institut drei Stunden Go-Unterricht. Er sah es als Vorbereitung für seine eigene Übungsgruppe, die am Mittwoch zum ersten Mal zusammentreffen würde. Gegen eins gingen seine Schüler, und weil er nicht für vier Stunden im Institut bleiben wollte – zwei Reporter lungerten in der Lobby herum – fuhr er nach Hause. Dort angekommen lief er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, gleich zu Shindo, um die Zeit mit einer ausgiebigen Partie Go zu vertreiben. Der Meijin sah für diese Uhrzeit überaus wach aus und grinste Touya beim Öffnen fröhlich an. In der Hand schwenkte er eine lila Dose, so überschwänglich, dass etwas auf seine Fußmatte schwappte. "Guck mal, Touya, das ist ein neuer Energy-Drink, er schmeckt nach Pfirsich! Und das Zeug macht super-wach!!" Er griff nach Touyas Hemdärmel und zog ihn in die Wohnung, die heute seltsam süßlich roch. Vermutlich hatte er schon einiges mehr verschüttet. "Wie viele davon hast du schon getrunken?" fragte Touya misstrauisch. Er kannte Shindo ja euphorisch, aber selten war er grundlos so hibbelig wie an diesem Tag. "Keine Ahnung, bei fünf habe ich aufgehört, zu zählen. Willst du auch?" Touya schüttelte den Kopf und ging hinter Shindo her in dessen Wohnzimmer. Es sah aus wie nach einem feindlichen Luftangriff – auf dem Boden, dem Sofa und dem kleinen Tisch stand schmutziges Geschirr, lagen Klamotten und lebten vermutlich viele kleine Tiere, obwohl ihm solche in der Wohnung noch nie begegnet waren. "Du solltest wirklich –" "– mal wieder aufräumen, jaja, Mutter." "Eigentlich meinte ich, eine Putzfrau in Betracht ziehen. Ich weiß ja, dass du zum Saubermachen nicht zu gebrauchen bist." Shindo lächelte ihm halbherzig zu und schob nebenbei mit dem Fuß Klamotten und Müll von einem rechteckigen Bereich seines Bodens zu allen Seiten weg. Dorthin schob er sein Goban. Es war das alte von seinem Großvater, dem er es zu seinem Einzug abgeschwatzt hatte. Obwohl es aus Kaya war, sah es nicht allzu hochwertig aus, aber Shindo schienen andere Werte daran zu binden als Aussehen. Als um sie herum ein Krater freien Bodens innerhalb der wohnungsfüllenden Müllhalde geschaffen war, ließ Shindo sich auf den Boden plumpsen. Touya sah sich skeptisch um. Als er das letzte Mal hier gewesen war, war es tatsächlich etwas ordentlicher gewesen, auch wenn ALLES ordentlicher erscheinen würde als das momentane Chaos. "Wie zur Hölle schleppst du so viele Frauen in einer Wohnung wie dieser ab?" fragte er, ehrlich entgeistert. Davon abgesehen, dass sie vermutlich alles, was sie einmal fallen ließen, nie wieder in ihrem Leben sahen, war es unmöglich, auch nur einen Schritt zu gehen, ohne Angst zu haben, in irgendetwas ziemlich Ekliges zu treten. So erging es ihm zumindest. Aber laut Shindo war er ja auch ein "Clean-Freak", weil er sein Geschirr sofort wegstellte und seine benutzte Kleidung in einem Wäschekorb landete anstatt überall sonst. Shindo grinste verschmitzt und erwiderte: "Tja, wenn sie hier ankommen, haben sie für ihre Umgebung eben keine Augen mehr. Jetzt lass uns endlich anfangen. Aber ich muss dich vorwarnen: ich bin so aufgedreht, mehr als Speed-Go ist echt nicht drin. Dafür bin ich fit genug für eintausend Partien!" Touyas Mundwinkel zuckten und schließlich setzte er sich im Schneidersitz vor das Goban und nahm sich den Behälter mit weißen Steinen. Schon lange nutzten sie kein Nigiri mehr, um den Anfangenden zu bestimmen sondern wechselten sich nach jeder Partie ab. Es war ein leichtes, sich die Farben zu merken, denn Touya konnte noch jedes ihrer Spiele vom ersten bis zum letzten Zug aus seinem Gedächtnis abrufen. Sie sprachen nicht viel und das fand er angenehm. Im Moment wollte er nicht reden. Sein Kopf war an zu vielen Orten gleichzeitig. Bei Ayumi, bei den Jungs, die er im Pokal begleitet hatte, bei den Sponsoren, denen er die Ergebnisse vorstellen musste – Japan war wieder nur auf dem zweiten Platz gelandet, während Korea einen weiteren Sieg zu verzeichnen hatte – und dann war da natürlich immer noch ganz weit in seinem Hinterkopf der gesprengte Briefkasten, an den ihn der klobige Kasten jeden Tag erinnerte, aus dem er nun seine Post holte. Er brauchte wirklich einen neuen. Es war also nicht verwunderlich, dass Touya die meisten der Partien verlor. Shindo schien sich durch seine ungezählten Energy-Drinks nur noch besser konzentrieren zu können und was auch immer gerade durch seinen Kopf ging, er schien es gut im Hintergrund behalten zu können. Nach fast zwanzig Partien erhob Shindo sich schließlich und streckte und schüttelte die Beine etwas. "Tee?" fragte er und Touya nickte dankbar. Nach langem Spielen war sein Mund meist trocken. Gelangweilt sah er sich im Zimmer um, bevor er begann, die Klamotten in seiner unmittelbaren Nähe zu greifen und alle auf einen Haufen beim Sofa zu werfen. Bis Shindo zurückgekehrt war, hatte sich der Krater um Touya beträchtlich vergrößert und auch der Wäschestapel war auf die Größe eines kleinen Kindes angewachsen. "Touya, du bist wirklich ein Clean-Freak..." ~x~ Das Meeting lief viel besser, als Touya erwartet hatte. Offensichtlich bestand rege Nachfrage nach dem Fotoband des Hokuto-Cups und auch die Übertragungen der Partien im japanischen Fernsehen hatten mehr Zuschauer gelockt, als vorher abgeschätzt. Zwar wusste Touya, dass diese Erfolge nicht ihm zu verdanken waren, aber das Lob und den Dank nahm er trotzdem gern an. Einen Monat würde es bis zum Druck des Fotobandes dauern, danach war der diesjährige Pokal für ihn abgehakt. Gegen halb sieben verließen sie alle zusammen das Institut und ließen sich zum Ort der kleinen Feier fahren. Sie fand in einem nahe gelegenen Hotel statt. Schon auf dem Weg redete jeder der Sponsoren auf Touya ein, erkundigten sich nach den Pokaltagen, um zu erfahren wie die Stimmung war, wie viele koreanische Firmen geworben hatten, ob ihre Vertreter eine gute Figur gemacht hatten. Die Stellen über die Jungs schönte Touya etwas, doch den Rest versuchte er so wahrheitsgetreu wie möglich wiederzugeben. Als er gerade von dem regen Interesse der koreanischen Presse erzählte, erreichten sie das Hotel und wurden bereits von einem Mitarbeiter empfangen. Touyas Handflächen waren verschwitzt und er wischte sie unauffällig an seinen Hosen ab. Dann folgte er den Männern. Er sah sich kaum um, obwohl er solche edlen Hotels eher selten von innen sah. Nicht, dass er es sich nicht leisten konnte, aber die Anlässe waren rar. Sie wurden zu den Fahrstühlen begleitet, und nun brach ihm nicht nur an den Händen der Schweiß aus. Ob das immer so war, wenn man seine gleich Traumfrau sehen würde? Mit jeder Etage wurde er nervöser; er begann, seine Finger zu reiben, weil seine Hände langsam kalt wurden. Er hoffte, dass er oben keine Hände schütteln müsste, denn seine waren jetzt kalt und schweißig, nicht gerade geeignet für einen guten ersten Eindruck. Als die Fahrstuhltüren aufglitten, betraten sie direkt die Feier, für die ein Penthouse gemietet worden war. Überall standen Tische, um die sich die Menschen drapiert hatten. Auf einem Buffet standen Häppchen und Sektgläser zur freien Verfügung. Ein Glas wurde ihnen schon beim Eintreten in die Hand gedrückt und Touyas Knöchel wurden weiß um den Stiel, als er sie in der Menge ausmachte. Ayumi hatte lange, fließende schwarze Haare, die ihr fast bis auf die Hüften fielen. Sie sahen aus wie seidene Onyxe und glänzten selbst in dem gedämpften Licht des Raumes noch hell. Touya sah sie nur von hinten, aber bewunderte Ayumis schön geschwungene Konturen, die sie durch ein dunkelblaues Cocktailkleid hervorhob. Ihre schmalen Schultern erzitterten unter einem hellen Lachen, das ihm eine Gänsehaut verpasste. Er entschuldigte sich bei seinen Begleitern und ging langsam auf sie zu. Ihr Gesprächspartner, ein älterer Herr mit bereits ergrauten Schläfen bemerkte Touya, aber reagierte nicht auf ihn. Es schien ihm, im Gegenteil, gar nicht zu passen, dass dieser ihn in seinem Gespräch störte. Touya ließ sich nicht beirren und stellte sich neben die beiden. "Kanegawa-san, schön, Sie wiederzusehen", begrüßte er sie und lächelte nervös. Sie wandte sich ihm zu und belohnte ihn mit einem strahlenden Lächeln. "Touya-san! Das freut mich auch! Wie war ihre Zeit in Korea?" Vertraut nahm sie seinen Arm und wandte sich von dem älteren Herren ab, der nun säuerlich in seinen Sekt starrte. Sie führte ihn zum Balkon der Suite, auf dem sie die einzigen waren. "Entschuldigen Sie, dass ich Sie so dreist benutzt habe, um Wasaka zu entkommen, aber Autos sind nun wirklich das letzte Thema, über das ich reden möchte", erklärte sie ihm mit einem verschmitzten Lächeln und ihm wurde ganz flau im Magen. Nebenbei machte er sich eine gedankliche Notiz, vor ihr nicht über seinen Sportwagen zu schwärmen. "Stets zu Diensten", erwiderte er und lächelte weiter dümmlich. Dieses Lächeln würde sie sicher bald satt haben, wenn er nicht langsam etwas interessanter wurde. Also erzählte er ihr wie gewünscht von Korea. Er gab ihr einen kurzen Abriss von den Partien und den kleineren Problemen, wie dem Alkohol-Ausrutscher der Jungen am zweiten Abend. Ayumi schien sich blendend zu amüsieren an seiner Seite und Touya war froh, offensichtlich ein interessanterer Gesprächspartner zu sein als ihr voriger. Niemand kam, um sie hereinzubitten, er schien auch nicht schmerzlich vermisst zu werden, also blieben sie auf dem Balkon. Als Touya geendet hatte, standen sie eine Weile an der Brüstung und betrachteten die Sterne, während die junge Frau von einem Sternschnuppenregen erzählte, den man in Tokyo allerdings wegen der Lichtverschmutzung nicht sehen konnte. Als sie zu frösteln begann, reichte Touya ihr sein Jackett, das sie ohne zu viele Floskeln à la "Aber das geht doch nicht" und "Werden sie denn nicht frieren" einfach annahm. Wenn alles gut lief, würde er die Jacke absichtlich vergessen und dann mussten sie sich an einem anderen Tag noch einmal treffen, überlegte er, und musste sich ein Grinsen verkneifen. Ayumi begann, ebenfalls von ihrem Job zu erzählen, auch wenn Touya davon nicht allzu viel verstand. Ihr Vater besaß ein IT-Unternehmen, das sich auf Software-Aufträge für Banken und Institute spezialisiert hatte, viel mit Datenauswertung, Modifizierung. Sie arbeitete in der Firma mit und war Teamleiterin für zwei mittelgroße Projekte. Ihr Vater hatte den Hokuto-Pokal mitgesponsert, weil er hoffte, so vom Go-Institut in Tokyo Aufträge zu erhalten. Ayumi erzählte etwas von den Projekten, an denen sie mitwirkte. Eines war für das Institut der Geowissenschaften, sie erklärte auch, was das Programm bewirken sollte, aber Touya verstand nur Bahnhof. Trotzdem nickte er immer wieder, als würde er ihr perfekt folgen können. Schon ihre Stimme zu hören reichte ihm vollkommen aus. Es war gegen neun, als sie schließlich doch nach drinnen gebeten wurden. Sie hatten fast zwei Stunden draußen gestanden und geredet und Touya schwebte wie auf Wolken, so glücklich war er, Zeit mit ihr verbracht zu haben. Drinnen zog sie sein Jackett aus und gab es ihm zurück.Damit war sein wunderbarer Plan zerstört. Doch sie zog ihr Handy aus ihrer Handtasche und meinte: "Wir sollten uns auf jeden Fall wiedersehen. Es gibt noch so viel, was ich gerne wissen würde." Touya lächelte und war froh, dass sie so direkt war, obwohl er kaum gezeigt hatte, wie gern er sie wieder treffen würde. Er nahm ihr Telefon entgegen und tippte seine Nummer ein. Sie speicherte sie und rief ihn kurz an, damit er auch ihre hatte, dann steckte sie es wieder ein und sah zu der kleinen Traube, die sich am Ausgang gebildet hatte. "Mein Vater geht jetzt, also werde ich ihn begleiten. Vielen Dank für die Unterhaltung, Touya-san", meinte sie und streifte kurz seine Hand, bevor sie mit einem letzten Lächeln zum Fahrstuhl lief und sich von den anderen Herren verabschiedete. Touya wurde nicht gebraucht, niemand sah sich nach ihm um oder wunderte sich, warum er die Gehenden nicht auch verabschiedete. Er sah wieder, für wie klein die Sponsoren seine Rolle eigentlich hielten. Für sie zählte nur das Geld. Seufzend ging er zu einem der Tische und nahm sich einen Happen herunter. Sein Magen grummelte leise, um ihn daran zu erinnern, dass er gern mehr davon hätte, weil er den halben Tag lang schon aus Vorfreude kein Essen mehr angefasst hatte. Auch jetzt beließ er es bei dem einen Stück und wanderte dann etwas ziellos durch den Raum, bis er von einem Mann angesprochen wurde, der nur etwas älter war als er und sich anscheinend für Go im Allgemeinen interessierte. Er wollte offensichtlich etwas Theorie erläutert bekommen, und da Touya sowieso nichts anderes zu tun hatte, stellte er sich mit dem Herrn an einen Tisch und begann, mit Sushi-Happen Go-Regeln zu erklären. ~x~ Den Dienstag und Mittwoch verbrachte er in einer Schwebe, als würde er auf Watte laufen und höre die Welt durch einen Filter, der Lärm aus- und dafür Vogelgezwitscher einblendete. Er hatte eine Partie im Gosei-Wettkampf, die er nur durch einen Schleier wahrnahm, aber ohne Probleme gewann. Shindo schien sehr befremdet von ihm zu sein, aber dachte sich seinen Teil und ließ Touya seinen Spaß. Sie spielten nur am Dienstag eine Partie gemeinsam, weil Shindo etwas in Eile war. Er hatte wieder mehr Aufträge, bei denen er Spiele kommentierte, und das Institut hatte ihm keinen besonders schönen Zeitplan aufgestellt. Am Mittwoch war es schließlich soweit: Touyas Lerngruppe sollte das erste Mal zusammentreffen. Er war den ganzen Vormittag lang nervös gewesen, hatte bereits Pizzen bestellt für eine halbe Stunde nach Beginn, hatte ein drittes Goban von Shindo organisiert und seine Wohnung gefühlte fünf Mal aufgeräumt. Bei den letzten zwei Malen hatte er so genau geschaut, dass am Ende wirklich kein Haar mehr zu finden war und kein Staubkorn auf dem Boden lag. Schließlich war er eine halbe Stunde zu früh so nervös, dass er überhaupt nichts mehr machen konnte. Er saß kerzengerade auf dem Sofa und starrte die Uhr an, die tödlich langsam tickte. Erst das Klingeln erlöste ihn aus seiner Starre. Sie waren sieben Minuten zu früh. Nicht, dass er nicht bereit war, dachte Touya. Als er öffnete, standen Miyagi und Hikaru vor der Tür, die er höflich hinein bat. Sie überreichten ihm ein kleines Geschenk: grünen Tee, der recht teuer aussah. Touya bedankte sich stotternd und lief unkoordiniert in die Küche, um gleich welchen aufzusetzen. Warum hatte er noch keinen zubereitet?, schalt er sich innerlich. "Hausschuhe stehen im Flur, bedient euch ruhig", rief er aus der Küche heraus und füllte Wasser in seinen Kocher. Dann stellte er ihn an und ging wieder zu den Jungen. "Wollt ihr eine Wohnungsführung oder so?" Die beiden sahen sich fragend an und nickten dann schüchtern. Wann würden sie diese Beklommenheit um ihn herum nur ablegen? Vermutlich erst, wenn Touya zu den Lerngruppen nicht mehr im Anzug bereitstand, dachte er beiläufig. Aber mit Anzügen machte man nichts falsch. Shindo band ihm ja so gern auf die Nase, dass er keinen Modegeschmack hatte, deswegen ließ er meist die Finger von seiner Shirt-Schublade. Touya begann in der Küche mit der Führung. Sie hatte eine Stahl-Optik, die ihm von Anfang an gefallen hatte. In der Mitte des Zimmers stand ein Tresen, der allerdings noch nie genutzt worden war, weil er nie Lust hatte, zu kochen, und er sein Essen meist vor dem Goban einnahm. "Fasst ruhig alles an, Shindo macht das auch nicht anders", meinte er, doch die beiden standen nur in der Mitte des Raumes herum und sahen sich mit großen Augen um. Viel gab es eigentlich nicht zu sehen, denn er hing nie Bilder oder Fotos auf, die Küche sah fast noch so aus, wie er sie übernommen hatte. "Da drüben ist das Bad, hier kommt das Wohnzimmer." Er führte sie in den Raum am Ende des Ganges und machte eine Geste, die das ganze Zimmer einschloss. Gerade als er sie auffordern wollte, sich auch hier gern umzusehen, klingelte es wieder. "Mein Haus ist euer Haus", meinte er noch und ging dann wieder zur Tür. Sageki stand davor, auch er hatte Tee mitgebracht. Wann war den Jungen aufgefallen, dass er viel davon trank? Er bedankte sich bei dem Jungen und zeigte auch ihm die Hausschuhe. Das Wasser in der Küche kochte mittlerweile. Touya wies Sageki an, zu den anderen zu gehen, während er den Tee fertigmachte. Er setzte eine Kanne auf und griff dann nach vier Keramikschalen, bevor er wieder in sein Wohnzimmer ging. Dort standen die Jungen bereits vor seinem Regal mit den DVDs, CDs und Büchern. Sageki zog gerade eine CD aus einem der Fächer. "Die habe ich auch", meinte er und Touya sah auf. Mendelssohn Bartholdy. "Dann leg sie ein", erwiderte er und lächelte. Musik war immer gut. Sageki folgte seinen Anweisungen, während Hikaru gerade durch die DVDs ging. "Wow, Touya-sensei, ich hatte keine Ahnung, dass es so viele Filme über Go gibt..." meinte er ehrfurchtsvoll, tippte immer wieder einen an, um ihn ein Stück herauszuziehen und dann wieder reinzuschieben. "Ich auch nicht. Shindo schenkt mir ständig welche, keine Ahnung, wo er die immer auftreibt." Miyagi sah ihn zweifelnd an und Touya konnte sich denken, dass sein Schüler sich wunderte, warum Shindo ihm Filme schenkte und alles in seiner Wohnung anfasste, wie er vorher gesagt hatte. Er fragte allerdings nicht nach. Auch sie wussten schon, bevor sie den Ouza überhaupt kennengelernt hatten, dass zwischen ihm und Shindo eine seltsame Freundschaft oder Rivalität bestand. Go Weekly hatte erst vor einem halben Jahr wieder ein riesiges Special darüber herausgebracht, das ihren ganzen Werdegang vom ersten Treffen an beleuchtete. Touya hatte es nicht sonderlich toll gefunden, dass dort sein halbes Leben offenbart worden war, aber das war nun einmal Teil ihrer neuen Prominenz. Die Klänge von Mendelssohns vierter Sinfonie begannen lebhaft, durch das Zimmer zu schallen. Sageki drehte den Ton etwas herunter und wandte sich dann Touya zu. Er nickte zu den drei Goban in der Mitte und Touya nickte zurück. "Dann lasst uns anfangen", meinte er zu den anderen beiden und setzte sich vor das mittlere Goban. "Ihr drei gegen mich." Sie kamen zu ihm getrabt und nahmen an den Goban Platz, in der gleichen Aufstellung wie schon bei ihrem letzten Wettkampf: Sageki, Miyagi, Hikaru. Touya schob ihnen die schwarzen Steine zu und nahm sich die Behälter mit den weißen Steinen. "Wir spielen ohne Handycap, gebt einfach euer Bestes." Und das taten sie. Anfangs ließen sie sich von Touyas schnellem Tempo mitreißen. Da er gegen drei auf einmal spielte, konnte er bei keinem besonders lange nachdenken, stattdessen setzte er intuitiv und meist nur wenige Sekunden nach dem Zug seines Gegenübers. Die Jungen ließen sich leicht bedrängen, weil sie versuchten, ebenso schnell zu reagieren, das führte zu leichten Fehlern. Miyagi, der kühlste Kopf von ihnen, fing sich am schnellsten und ließ sich immer mehr Zeit. Bei seiner Partie begann schließlich auch Touya, mehr als nur wenige Sekunden über seinen nächsten Zug nachzudenken. Die anderen beiden merkten auch schnell, dass sie mit Schnelligkeit allein nicht gegen ihn ankamen und nahmen sich nach und nach mehr Zeit. Nach der Hälfte der Zeit sah Touya einen wirklich wunderbaren Zug in Miyagis Partie. Er wusste, wie er ihn sofort unschädlich machen konnte, es würde nur einen Ausweg geben, einen sehr komplizierten, den der Junge vermutlich nicht sehen würde. Doch stattdessen wählte Touya einen sanften Ansatz, der die Strategie nicht sofort untergrub. Er wollte zusehen, was der andere daraus machte. Miyagi warf ihm einen Blick zu. Offensichtlich hatte er tatsächlich den Zug erwartet, den Touya unterlassen hatte. Der Ouza bot ihm nur allzu offensichtlich eine Öffnung und er wusste nicht, was dies bedeuten sollte. Nach reichlicher Überlegung ergriff er die Chance. Diese Partie wurde die interessanteste, doch auch die anderen beiden sorgten für Spannung. Nach einer halben Stunde kam ihre Pizzen an, die sie beim Spielen herunterschlangen. Insgesamt hatten sie für diese Partien etwa eineinhalb Stunden gebraucht. Danach ging Touya zu einer recht knappen Diskussion zu allen Partien über. Bei der von Hikaru wurde er durch das Klingeln der Tür unterbrochen. Da seine Gruppe vollständig war, konnte es eigentlich nur einer sein. "Wofür hast du verdammt nochmal einen Schlüssel?" knurrte er, als er Shindo vor der Tür stehen sah. "Was ist denn los, haben die Knirpse dich geschlagen, dass du so schlecht gelaunt bist?" fragte Shindo fröhlich und trat ein. "Ich dachte mir, du könntest etwas Verstärkung gebrauchen. Außerdem habe ich immer noch keinen Tee gekauft." Er fragte sich, woher Shindo das Gespür dafür hatte, wann es in dieser Wohnung frischen, heißen Tee gab, denn er hatte nicht zum ersten Mal genau den Moment abgepasst, in dem er gerade wieder welchen aufgesetzt hatte. Seufzend schloss Touya die Tür hinter seinem Nachbarn und deutete aufs Wohnzimmer, während er in die Küche ging und eine Tasse holte. Er hörte, wie Shindo die drei begrüßte und sich zu ihnen setzte, um sich die Partien anzusehen. Touya kam mit der Tasse dazu und reichte sie Shindo, der sich etwas eingoss. "Miyagi, sieht aus, als hättest du hier wirklich schön gespielt", murmelte Shindo konzentriert und zeigte auf die Stelle, die sich nach Miyagis gutem Zug entwickelt hatte. Der Junge strahlte ihn stolz an und erwiderte: "Touya-sensei war sanft zu mir, sonst wäre es nicht so ausgegangen." "Dann lass uns auch eine Partie spielen. Und gegen Mini-Me möchte ich auch spielen. Sageki, du übernimmst den Ouza." Du übernimmst wohl eher meine Lerngruppe, dachte Touya amüsiert und setzte sich vor das erste Brett. Er hatte nichts dagegen, dass Shindo mitmachte, ganz im Gegenteil. Er würde dem Ganzen noch mehr Würze geben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)