Einhundertzwanzig von Tsuruume (120 OS » BBxSB) ================================================================================ Kapitel 1: Never cry -------------------- Wenn er ehrlich war, dann hätte er nicht geglaubt, dass sie wirklich kommen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hochzeitsgesellschaft, die sich auf dem Anwesen der Blacks versammelt hatte, sie aus ihren Klauen ließ, war verschwinden gering, so ungemein winzig, dass sich daran festhalten schon fast Wahnsinn glich. Aber noch eine Tollheit mehr in dem Reigen der Irrsinnigkeiten, die er sich in den letzten Monaten geleistet hatte, wog dann auch schon nicht mehr sonderlich schwer. Und so saß er seit Stunden auf einer der Wiesen, die an das Grundstück angrenzten, weit genug entfernt, um nicht gesehen zu werden, aber immer noch nah genug, dass der Lärm der Feiernden zu ihm getragen wurde. Musik und Gelächter, Dinge, die ihm die Galle so hoch trieben, das sein Mund voll war von dem bitteren Geschmack, der sich so schwer wieder verdrängen ließ. Stunden, die sich hinzogen wie der Kaugummi, den er in einem seiner vielen Aushilfsjobs in den letzten Jahren unter den Tischen von Bars abgekratzt hatte. Stunden, in denen er der Sonne dabei zusah, wie sie langsam über den Himmel kroch und diesen schließlich von dem hellen Blau, welches er getragen hatte, in ein leichtes Rosa tauchte, fließend übergehend in tiefes, sattes Orange. Und hinein in dieses Farbenspiel über seinem Kopf, während er den gefühlten, hundertsten Grashalm zwischen seinen Lippen hielt, drängte sich das Rascheln von Stoff. Nicht sicher, ob nicht gerade der Wunsch Vater des Geräusches war, legte er den Kopf so weit in den Nacken, dass er hinter sich sehen konnte. Und wenn es nicht gerade ein Irrwicht war, der sich dazu entschlossen hatte, sich anstatt in das, was man am meisten fürchtete, in das zu verwandeln, was man am meisten begehrte, dann war sie es tatsächlich. Er sprang auf, ein linkisches Lächeln auf den Lippen, fast schon verlegen, drehte sich zu ihr um und wischte sich die Hände hastig an der Hose ab. „Bella.“ „In Person.“ Tonfall und Gesichtsausdruck bildeten eine perfekte, genervte Einheit und wollten so gar nicht zu dem weißen, fließenden Kleid passen, dessen Rock sie rücksichtslos, bis zum Knie gerafft, in einer Hand hielt. Und damit degradierte sie ihn wieder mühelos zurück in die Rolle des kleinen, unsicheren Jungen, der nicht genau wusste, was er sagen wollte oder sagen sollte, immer ängstlich, dass, egal, was er tat, es so oder so nur dazu führen würde, dass er Ärger bekam. „Ja...“ Nervös befeuchtete er die Lippen mit der Zungenspitze und fuhr sich mit allen fünf Fingern der rechten Hand durch die Haare, während er regelrecht dabei zusehen konnte, wie sich die Falte zwischen ihren Augenbrauen zu bilden begann, die nichts Gutes verhieß. „Hübsch... siehst du aus.“ Bellatrix' Lippen kräuselten sich in einer Mischung aus grimmiger Belustigung und echtem Ärger. „Deswegen sollte ich unbedingt hierher kommen? Damit du mir sagen kannst, dass ich hübsch aussehe?“ „Nein, das... nein, ich meine... vielleicht auch, das...“ Er konnte James in seinem Kopf lachen hören. Laut und ausdauernd. Gehässig. Und das machte es wirklich nicht einfacher. Das brachte ihn nur dazu, sich hier und jetzt noch mehr zu hassen. Er war doch sonst nicht so, er... er hatte doch lange genug darüber nachgedacht, wie es werden würde, wenn sie beide hier standen, er hatte doch oft genug jeden winzigen Teil des Gesprächs in seinem Kopf immer und immer wieder durchgespielt, er... „Sirius.“ Ihre harsche Stimme durchbrach seine geistige Selbstkasteiung. „Entweder reißt du dich jetzt zusammen und sagst, was du zu sagen hast, da ich nicht ewig Zeit habe oder aber du lässt es. Ganz gleich, wofür du Jammerlappen dich entscheidest, es sollte schnell passieren.“, schnarrte sie mit schmalen Augen und pustete sich dann gereizt eine der dunklen Strähnen, die sich aus den sorgsam hochgesteckten Haaren gelöst hatte, aus ihrem Gesicht. „Mensch, Bella, ich hoffe wirklich, ihr zwei bekommt nie Kinder, du hast wirklich eine reizende Art, auf Menschen einzugehen.“ Aber wenigstens hatte diese reizende Art den Block in ihm gelöst. Das war vertrautes Terrain, in dem Gebiet kannte er sich aus, so konnte er ohne weitere Probleme mit ihr sprechen. Und selbst das jetzt ihre Miene mit einem Schlag unglaublich finster geworden war, konnte ihm kaum mehr Angst einjagen. Nein, eigentlich belustigte es ihn. „Du hast mich also von meiner eigenen Hochzeit auf diesen Acker geholt, um mich zu beleidigen?“ Sirius riss beide Arme nach oben, als sie einen Schritt auf ihn zumachte und gab ein abwehrendes Geräusch von sich. „Nein, nein, nein. Das hat sich nur gerade... so ergeben.“ Und ehe sie nach Luft schnappen konnte, um ihn verbal zu ohrfeigen – für eine echte stand sie glücklicherweise noch zu weit weg – wedelte er wieder mit beiden Händen. „Was ich eigentlich wollte, Bella, wirklich, wirklich ist... dir viel Glück zu wünschen.“ Fünf kleine Worte und sie kamen so unglaublich, unglaublich zäh über seine Lippen, als müsse er jemanden zustimmen, sein Motorrad zu verschrotten. „Und da ich ja nicht eingeladen war, musste ich das eben so machen... Karten sind immer so unpersönlich.“ Auch, wenn er darüber nachgedacht hatte, einen Heuler zu schicken, aber das hätte wahrscheinlich nur er witzig gefunden, der Rest der Familie hätte das eher als Zeichen seiner Idiotie gewertet. „Verräter sind von Festen eben ausgeschlossen, Sirius, das solltest du eigentlich wissen.“ Es kam weich über ihre Lippen, weicher als man solche Dinge eigentlich sonst aussprach, ehe sie den Blick leicht senkte. „Aber danke.“ Und dann standen sie stumm voreinander. Er immer noch auf dem Grashalm kauend, sie ein Stück Dreck mit der Spitze ihres rechten Schuhes von sich schiebend, ehe sie zögernd wieder die Stimme erhob. „Das... war es dann?“ Etwas lag in ihrer Stimme, was er nicht wirklich deuten konnte. Enttäuschung, Trauer... irgendetwas hin in diese Richtung, das schwer greifbar war, vielleicht auch, weil sie es mit aller Macht zu unterdrücken versuchte. Und er, er nickte einfach nur stumm. „Gut, dann... gut.“ Bellas Mundwinkel verzogen sich zu einem gekünstelten Lächeln, ehe sie ihm den Rücken zudrehte. „Dann... gehe ich wieder.“ Kein Wort darüber, dass das ja wohl wirklich auf eine Karte gepasst hätte, kein Wort darüber, dass er ihre Zeit hier nutzlos verschwendet hatte, nichts. Nichts von dem, was sie wahrscheinlich – nein, eigentlich ganz sicher – jedem anderen an den Kopf geworfen hätte, der sie dazu gebracht hatte, von ihrer Hochzeit zu verschwinden und mit Schuhen, die absolut nicht dafür gemacht worden waren, durch Gras und Dreck zu stapfen. Und jetzt ging sie, ohne, dass er sie das gefragt hatte, was er eigentlich unbedingt hatte fragen wollen. „Macht er dich glücklich?“ Es platzte aus ihm heraus, als sie sich umdrehte, als sie Anstalten machte, zurück zu gehen und es brachte ihm einen irritierten Blick über ihre Schulter ein, ehe ihre Miene regelrecht versteinerte. „Ich denke nicht, dass das wichtig ist, Sirius.“ In einem Tonfall, in dem sie auch hätte sagen können, dass das nichts war, was ihn etwas anging. Etwas, dass ihn nichts mehr anging. „Ich hätte dich glücklich gemacht.“ Wie ein verzweifelter, kleiner Junge griff er nach dem letzten Halm, den die Welt ihm bot, schrie ein letztes Mal all das heraus, was er viel früher hätte sagen sollen. Und erntete dafür ein vernichtendes auflachen, kalt und humorlos, abfällig und unglaublich von oben herab. „Hättest du, ja?“ Bella zischte die Frage fast schon. „Weißt du, Sirius, das ist vollkommen egal, weil du es nie unter Beweis stellen wirst. Und oh, wenn ich mich recht daran erinnere, dann hast du mich eigentlich nur unglücklich gemacht, also behalte solche Behauptungen in Zukunft einfach für dich.“ Genau so gut hätte sie ihn schlagen oder mit einem Crucio foltern können, keines von beidem hätte mehr geschmerzt als das. „Aber Bella...“ Langsam, fast vorsichtig, so, wie man auf ein wildes, gereiztes Tier zuging, von dem man nicht wusste, wie es reagieren würde, trat er näher. „Nichts aber Bella.“, äffte sie ihn in lodernder Wut nach. „Dass du es wagst... das du es wagst, hier aufzutauchen und mir das... das du es... ich fasse es nicht, ich...“ Ihren Namen dennoch erneut wiederholend, umfasste er ihre beiden Schultern und hielt sie selbst dann noch fest, als sie mit all der Kraft, die sie hatte, versuchte, sich loszureißen. „Fass mich nicht an, Sirius, ich schwöre, fass mich nicht an.“ Fast schon hysterisch, während ihre Wangen sich in purem Zorn rot zu färben begannen. Und als er immer noch nicht los ließ, spie sie ihm das entgegen, wovor er sich am allermeisten gefürchtet hatte. „Ich hasse dich, verstehst du das? Ich. Hasse. Dich.“ Silbe für Silbe eigens betont. „Das tust du, ja?“ Er fühlte sich leer. Wie ein Kessel, gegen den man getreten hatte und aus dem jetzt restlos jeder Tropfen gelaufen war, weil sich niemand dazu berufen gefühlt hatte, ihn schnell genug wieder aufzustellen. Einem Teil von ihm war klar, dass er das hier verdient hatte, er, der all die Zeit mit Zögern und Hadern verbracht hatte. Einem Teil von ihm war klar, dass er jede Strafe auf sich nehmen musste, die die Welt ihm jetzt vor die Fuße warf. Aber das hieß nicht, dass er damit zurecht kam. Das hieß nicht, dass er wirklich damit leben konnte. Und wie ein letztes, nutzloses Aufbäumen dagegen, ließ er ihre Schultern los, umschloss ihre Gesicht mit seinen Händen, wie er das so oft getan hatte und küsste sie sehnsüchtig. Für einen winzigen, verlogenen Augenblick fühlte es sich genau so an wie in den vielen kleinen Momenten zuvor, die sie beide sich von dieser Welt gestohlen hatten. Für einen Wimpernschlag erwiderte sie den Kuss, für eine Winzigkeit drückte sie sich an ihn, ehe sie ihn mit beiden Händen fest von sich stieß und sich mit den Handrücken über die Lippen fuhr. „Na dann...“ Sirius schnalzte leise mit der Zunge, vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Hose und trat noch einen Schritt weiter zurück. „Dann... auf Wiedersehen, Mrs. Lestrange.“ Kaum hatte er es ausgesprochen wusste er, dass er sie nie wieder so nennen würde. Er konnte es nicht. Er konnte nicht das aussprechen, was seinen Verlust in zwei so kleine Worte fasste: Mrs. Lestrange. „Das hier ist kein auf Wiedersehen, Sirius.“ Kalt. Fast emotionslos. „Das ist ein Lebewohl. Wobei ich es für dich eher anders formulieren möchte.“ Energisch raffte sie den Rock des Kleides wieder nach oben, dessen Saum mittlerweile dreckig geworden war. „Verreck.“ Und damit ging sie. Ohne, dass er sie noch einmal aufhielt, ohne, dass sie sich noch einmal umdrehte. Hatte das, was zwischen ihnen gewesen war, mit einem einzigen, gezielten Tritt vernichtet, ohne Mitleid, ohne Reue, ohne den Versuch, es aufrecht zu erhalten. Wie lange er schließlich da stand und ihr hinterher starrte, selbst dann noch, als aus ihr nur noch ein kleiner, weißer Fleck geworden war und selbst der weiße Fleck schließlich verschwand, konnte er nicht mehr sagen. Eigentlich war es auch gleich, vollkommen gleich. Das war es. Das Ende einer Romanze, die nie unter einem guten Stern gestanden hatte. Die ihm jeder versucht hatte auszureden. An die er sich geklammert hatte, wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz und schließlich selbst versenkt. Sein Hals schnürte sich in der bitteren Erkenntnis des eigenen Versagens zusammen. Aber Tränen waren nicht angebracht. Weinen... weinen wollte er darum nicht, weinen... nein. Das stand ihm nicht zu. „Auf Wiedersehen... Bella.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)