Schwarze Herzen von Ryoko-chan ================================================================================ Kapitel 4: Das Treffen im Schnee -------------------------------- Shiho blickte auf ihre Armbanduhr. Pünktlich war sie am Haido Park angekommen. Irgendwo dort wartete Gin bereits auf sie. Fröstelnd verschränkte sie die Arme. Trotz der niedrigen Temperaturen trug sie ein knielanges, rotes Kleid. Gin hatte sie in dieser auffallenden Farbe immer gerne gesehen. Selbst wenn sie in dieser Nacht den Tod fand und ihre Hoffnungen umsonst gewesen waren, würde sie zumindest eine attraktive Leiche abgeben. Kurz lächelte Shiho über ihre konfusen Gedanken, bevor sie den Park betrat. Der frisch gefallene Schnee knirschte leise unter ihrem Absatz. Aufmerksam blickte die junge Frau um sich. Es schien sich absolut niemand um diese Uhrzeit und bei dieser klirrenden Kälte in den Park verirrt zu haben. Doch Gin würde sie nicht versetzen, niemals. Er würde unter keinen Umständen die Gelegenheit vergeuden, sein Mädchen wieder zu sehen. Und plötzlich war er da. Ihr Herzrhythmus schien für einen Moment auszusetzen und ihre Haut kribbelte, als sich die feinen Haare aufstellten. Shiho drehte sich herum. Gin stand einige Meter von ihr entfernt, blickte sie eindringlich an. Seine schwarze Kluft schien nicht so recht in diese weiße Winterwunderlandschaft zu passen, doch diese Tatsache interessierte sie nicht. „Gin …“ Atemlos hauchte sie seinen Namen aus. Lange hatte sie sich auf diesen Augenblick vorbereitet und ihn zwischen Angst und Freude herbeigesehnt. Doch als sie ihn dort leibhaftig stehen sah, konnte sie es kaum glauben. Er blickte zu dem dunklen Himmel rauf. „Es ist fast wie im letzten Winter … bei unserem letzten Treffen … nur scheinst du noch hübscher geworden zu sein …“ Gin kam einige Schritte auf sie zu, blickte sie von oben herab nachdenklich an. „Zwar ist es erfreulich, dass ich nun nicht mehr nach dir suchen muss … doch wie kommst du dazu, dich bei mir zu melden? Hast du eingesehen, dass ich dich früher oder später finden werde und stellst dich deiner Strafe!? Oder … willst du unbedingt sterben, Sherry?“ Ein unbeschreibliches Hochgefühl kam in ihr auf. Sie genoss diese Szene; die tanzenden Schneeflocken um sie herum, die Begierde in Gins Augen, dieser harmlos – bedrohliche Unterton in seiner Stimme, der Klang, wie er ihren Namen aussprach … Shiho schüttelte den Kopf. Sie hatte natürlich mit dieser Frage gerechnet. Sie blickte ihm ins Gesicht, sah dem Mörder ihrer Schwester tief in die grünen Augen. „Ich hatte gehofft … es gäbe eine andere Möglichkeit, als zu sterben. Eine Möglichkeit für mich …“, Sie schluckte, doch bisher deutete nichts auf seine Gedanken hin, „ … oder … für uns …“ Fast erschrak sie über den plötzlichen Ausdruck in seinem Gesicht. Gin lächelte. Und es war nicht dieses typische, sadistische Grinsen … nein, es war ein trauriges Lächeln, genauso traurig wie seine Augen in diesem Moment schimmerten. Sie zuckte zusammen, als Gin eine Strähne ihres klammen Haares berührte. Zärtlich ließ er die Strähne durch seine Finger gleiten und berührte ihre Wange. Shiho hatte erwartet, dass seine Haut sich kalt anfühlen würde, doch seine Finger strahlten eine angenehme Wärme aus und ein Schauer durchfuhr das Mädchen. Sie schloss die Augen. Mit den Fingerkuppen strich Gin ihr sanft über die leicht geöffneten Lippen. „Mit Sicherheit ließe sich an der jetzigen Situation etwas ändern … doch würdest du dich wirklich für ein Leben mit mir entscheiden?“ Er ließ von ihr ab und das Mädchen öffnete langsam die Augen. Vor ihr stand nicht mehr unbarmherzige Mörder ihrer Schwester. Der alte Gin war zu Vorschein getreten, der Gin, der Gefühle zugelassen hatte und sie liebte. Sie wusste es, sie erkannte es an dem gequälten Ton in seiner Stimme. Shiho erinnerte sich an Zeiten, in der sie mit diesem Mann glücklich gewesen war. Diese Zeiten waren so lange her … Doch er schien zu bereuen und das ließ sie hoffen. Sie lächelte ihn an, auch wenn ihr die Trauer in diesem Moment das Herz zerriss und ihr Tränen in die Augen trieb. „Ich kann dir nicht verzeihen, was du meiner Schwester angetan hast. Ich kann es nicht! Aber … ich kann auch nicht mehr einfach nur warten, dass etwas geschieht. Ich kann nicht mehr darauf warten, dass du mich findest! Ich liebe dich … und ich möchte bei dir sein … so wie früher …“ Sie zitterte und Gin packte das Mädchen an den Schultern. „Damals hatte ich keine andere Wahl, das weißt du! Du musst mir nicht verzeihen … das erwarte ich auch nicht. Und du hattest einen guten Grund, vor mir davon zu laufen, auch wenn diese Reaktion falsch war. Und deswegen musst du mir endlich meine Frage beantworten, die ich dir bereits auf dem Dach dieses Hotels gestellt habe.“ Sein Gesicht nahm einen beinahe verträumten Ausdruck an. Shiho wusste, er dachte an damals … an ihren Anblick im Schnee, als sie fast ihr Leben gelassen hatte. „Also sag mir, Sherry, wie bist aus diesem Heizungskeller entkommen?“ Seine Stimme hatte wieder einen harschen Ton angenommen. Eindringlich blickte er Shiho an. Sie lächelte erneut, schüttelte den Kopf. „Ich kann es dir nicht erklären …“ „Warum nicht?“ Er schüttelte sie und das Mädchen befreite sich aus seinem schmerzhaft festen Griff. „Kannst du das nicht einfach akzeptieren? Kannst du es, oder nicht?“ Gin griff in seine Tasche und das Mädchen hielt den Atem an. Doch er zog nur seine Zigarettenschachtel hervor und steckte sich eine Kippe an. „Hm … du kannst es mir also nicht erklären? Hat es vielleicht mit diesem Kerl zu tun?“ Verwundert hob Shiho die Augenbrauen, runzelte verwirrt die Stirn. „Von wem sprichst du, bitte?“ Gin grinste und zog genüsslich an seiner Zigarette. „Sherry … das weißt du doch ganz genau! Der Typ, der dich im Hotel vor dem Tod bewahrt hat. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn in die ewigen Jagdgründe zu schicken …“ „Ja, es hat auch mit ihm zu tun … aber vergiss ihn, bitte …“ Sie hasste sich dafür, ihn so anzubetteln. Doch sie durfte nicht riskieren, dass er etwas über Kudo herausfand. „Bitte, kannst du …“ Sie verstummte, als Gin ihr einen Finger auf die Lippen legte. „Sei ruhig … da kommt jemand.“, wisperte er. Shiho wandte sich herum, sah angestrengt in die Dunkelheit hinein. Nein, bitte nicht er … bitte nicht!!, flehte das Mädchen in Gedanken. Doch ihre Bitte wurde nicht erfüllt und als die Schritte immer lauter wurden, tauchte Shinichi aus der Dunkelheit des Parks auf. Keuchend wischte er sich über die verschwitzte Stirn. Dann erstarrte der Junge. In seinem Blick war etwas Wissendes, als er das Paar vor sich erblickte. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Natürlich … der PC … sie hatte vergessen, ihn auszuschalten. Auch wenn sie ihre Mails an Gin verschlüsselt hatte, Shinichi musste sie recht schnell geknackt haben und hatte ohne Umstände den Treffpunkt herausgefunden. „Ai …“ Sein gehetzter Blick wanderte zwischen ihr und Gin. Noch bevor sie ein Wort erwidern konnte, zückte Gin seine Waffe und ein Schuss tönte durch die Stille. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)