Wolfsliebe von Scarla ================================================================================ Kapitel 5: Im Hafen ------------------- Sly saß auf dem steinernen Pier und schaute auf den fernen Horizont. Seit Stunden schon, er hatte die Zeit und wohl auch sich selbst vergessen. Er war hierher gekommen, um einfach mal wieder ein wenig allein zu sein, doch irgendwann waren seine Gedanken abgeschweift, und er war im Nichts gelandet. Und so starrte er vor sich hin, sich selbst verloren. »Hope?« Leise trat Soul neben ihn und schaute unsicher auf ihn herab. Sie erhielt keine Antwort, wahrscheinlich hatte er nicht einmal bemerkt, dass er angesprochen wurde. Und schon gar nicht, dass sie seinen richtigen Namen verwendete, etwas, was nicht einmal Nea tat. Doch Soul ließ sich davon nicht beirren und setzte sich an seine Seite, schaute ebenfalls mit traurigen Augen in die Ferne. Sie wusste nicht, warum sie ausgerechnet zu ihm gekommen war, statt zu Ice, Cinder oder Nea zu gehen. Irgendetwas hatte sie hierher gezogen. »Wir müssen bald weiter. Meinst du, Lugh Akhtar schafft es noch hierher, bevor unser Schiff ablegt?«, fragte sie unbehaglich. Der Gedanke, diesen Kontinent zu verlassen, war ihr nicht ganz geheuer. Sie kannte diese Welt nicht, sie wusste nicht, was sie erwartete. Sie brauchte jemanden, der sie beruhigte, aber nicht, weil der Person etwas an ihr lag sondern einfach, weil er ganz unverblümt die Wahrheit sagte. »Wenn er es denn will, dann schafft er es. Und ein paar Tage hat er ja auch noch«, antwortete Sly und langsam kehrte wieder Leben in seine starren Augen. »Sag mal, Hope…« Nachdenklich schaute sie ihn an. »Ja?« Er wandte den Blick nicht vom Horizont. »Glaubst du an die große Liebe?« Erstaunt schaute er sie an. »Wenn du das auf mich und Cinder anspielst…«, begann er, doch sie schüttelte sacht den Kopf. »Nein, sondern im Allgemeinen. Meinst du, dass jeder irgendwo ein passendes Gegenstück hat? Und dass nur diese eine Person zu ihm passt? Dass es manchmal nur eines Blickes bedarf, damit man sich liebt?« Ihre Augen sprachen von der eindringlichen Bitte, ihre Fragen zu bejahen, doch stattdessen schüttelte er sacht den Kopf und schaute zum Wasser hinab. »Die einzige wahre Liebe gibt es nicht, das weiß ich jetzt. Man liebt, aber wenn man die Person verliert, dann geht das Leben trotzdem weiter und irgendwann ist da kein Schmerz mehr, sondern nur noch Gleichgültigkeit.« »Ist es das, was du fühlst, wenn du an deine tote Frau denkst?« Souls Blick sprach von etwas, das an Entsetzen grenzte. »Nein, Lioba war nicht meine Frau. Wir waren nicht verheiratet«, berichtigte Sly mit der Spur eines Lächelns auf den Lippen. »Aber, ihr hattet doch eine Tochter.« Verdutzt schaute Soul ihn an. »Ja, aber dazu muss man nicht verheiratet sein«, lächelte der Rotschopf. »Wieso hast du sie denn nicht geheiratet?« »Ich weiß nicht…« Nachdenklich beobachtete er, wie sich das Wasser an der Steinmauer brach. »Vater wollte es. Er meinte, ich wäre es ihr schuldig, aber irgendwie… wollte ich einfach nicht. Ein… Bauchgefühl könnte man sagen.« »Ist da wirklich kein Schmerz mehr, wenn du an sie denkst?« »Es ist… schwer zu beschreiben. Als sie starb, habe ich gedacht, dass es mich zerreißen würde. Und als Namida starb wusste ich nicht, wieso ich überhaupt noch weiter lebte. Aber, nun ist da nichts mehr von diesen Gefühlen. Es gibt da nur noch ein… dumpfes Drücken.« Sly schaute in den Himmel auf. »Vielleicht… hast du dich ja nur an den Schmerz gewöhnt?«, überlegte sie und schaute ihn traurig an. »Nein, gewiss nicht. Wenn Lioba noch immer mein Herz hätte, dann würde ich Cinder nicht lieben«, erklärte er und seufzte. »Ist es dann wirklich Liebe?« Es schien so, als wollte Sly nicht antworten. Er schaute vor sich hin und dachte über diese Frage nach. Er hatte schon einmal geglaubt, zu lieben und nun sprach er so gleichgültig über Lioba. Er dachte lange darüber nach und Soul ließ es zu, indem sie schwieg. Irgendwann dann nickte er. »Ja. Lioba war mir wichtig und es war auch Liebe. Aber, eine andere Art. Für Lioba hätte ich vieles getan, aber nicht alles. Für Cinder würde ich sterben.« Er sprach so sachlich, dass Soul nicht eine Sekunde an seinen Worten zweifelte. »Was ist das Besondere an ihr?«, fragte sie leise. »Ich weiß es nicht. Sie ist hübsch, ja, und sie ist lieb, fürsorglich, besonnen, ruhig… aber, das ist es alles nicht. Es ist vielmehr das Zusammenspiel all dieser Dinge… Wie sie einfach nur still steht. Wie sie den Kopf wendet, wie sie mich ansieht. Wie sie lächelt. Sie war erst zehn Jahre alt, als ich sie das erste Mal traf! Sie war noch so klein und damals hat sie mich schon in ihren Bann gezogen. Damals habe ich sie schon geliebt. Und das ist solch ein Irrsinn, dass ist so Widersinnig. Ich kann doch als erwachsener Mann kein Kind lieben. Nicht auf diese Art und Weise! Und doch habe ich es getan…« Er schaute Soul nachdenklich an. »Was ist nur geschehen, dass sie mich bemerkt hat…?« »Sie hat dich sofort bemerkt, aber du warst ihr so fremd«, lächelte Soul. »Vielleicht. Aber, wenn es Liebe war, die sie an meine Seite brachte, dann ist es jetzt vorbei«, antwortete Sly bitter und hob die Hand an seine Wange. Die feine Narbe war kaum zu sehen, doch war Cinder noch immer so seltsam abweisend und ging bei jeder Kleinigkeit in die Luft. »Was… hast du eigentlich getan, dass sie so böse auf dich war?« Auch Soul strich sacht über den feinen weißen Strich. »Ich habe sie Lioba genannt«, antwortete Sly nachdenklich. »Was?! Dann ist es wirklich kein Wunder, dass sie sauer ist.« Soul schaute ihn so böse an, dass er sie verdutzt anschaute. »Ich habe noch fast geschlafen und ich habe von Lio geträumt. Für meine Träume kann ich nichts und auch nicht, wenn ich zwischen Schlaf und Wach irgendetwas sage, von dem ich hinterher nicht einmal mehr etwas weiß«, fand er schnippisch. »Ach so. Nein, dann kannst du da wirklich nichts für… Aber, das ist mir auch aufgefallen. Sie ist anders als früher, seit einiger Zeit schon«, überlegte Soul, schüttelte dann aber sacht den Kopf. »Aber, weißt du, eigentlich wollte ich etwas komplett anderes von dir.« »Ach ja?« Erstaunt schaute er sie an. »Ja. Es gibt da etwas, was mir nicht aus dem Kopf geht, und da du der Einzige bist, der sein Tun vielleicht in etwa nachvollziehen kann, wollte ich eben dich fragen.« sie schaute ihn bittend an. »Ich… ja, ja, sag ruhig. Was hast du auf dem Herzen?«, fragte er und schaute sie auffordernd an. »Na ja… es ist so, es geht um Kanoa. Ich… ich verstehe nicht, wieso er bei Lugh Akhtar ist und nicht bei Cinder oder mir. Ich meine, er war doch viel länger bei uns, als bei ihm! Ich will jetzt nicht sagen, dass ich böse darüber bin, dass er zu Lugh gegangen ist, oder so, aber ich verstehe es nicht. Hat er… hat er uns denn gar nicht lieb gehabt?« Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie ihn groß anschaute. »Das ist nicht leicht zu erklären, aber ja, ich kann ihn verstehen…« Sly überlegte einen Moment, wie er es Soul am besten erklären konnte, dann nickte er langsam. »Weißt du, es ist so. Ich habe ihn einmal kennen gelernt und damals kam er mir unglaublich traurig vor. Das war noch vor Lughs Geburt, es ist schon ewig her. Ich habe es damals nicht verstanden, warum sollte einer der größten Zauberer aller Zeiten traurig sein? Heute weiß ich, dass es gerade ihre Macht ist, die sie verzweifeln lässt, ich zumindest habe noch nie einen Mächtigen kennen gelernt, der nicht irgendwann einmal vor Selbstzweifel innerlich zerrissen war. Auch wenn es sich absurd anhört, denn Macht ist das, was jeder Zauberer anstrebt, aber… ich bin froh, dass ich niemals zu ihnen gehört habe und ich will es auch nicht. Macht bringt in erster Linie Leid mit sich.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich schweife ab. Nun, er war damals traurig. Und ich verstand nicht, wieso. Aber Lugh und Cinder haben mir beide von eurem Treffen mit dem Winter erzählt. Er liebt sie, über den Tod hinaus. Ich denke, dass er sie auch damals schon geliebt hat, mehr als alles auf der Welt. Aber, er war nur ein Sterblicher, er wusste nicht, wie er sie bekommen sollte. Und irgendwann geschah es dann doch. Auch sie liebte ihn und damit muss einer seiner sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen sein.« Es waren nur Mutmaßungen, doch Sly spürte, dass er der Wahrheit zumindest ausnehmend nahe kam. »Warte, du meinst, dass Lugh Akhtars Geburt für ihn so etwas wie das größte Glück auf Erden war?«, sponn Soul seinen Gedanken weiter. »Das zumindest war Namidas Geburt für mich, und wenn die passende Frau auch noch jemand ist, den man so sehr liebt… ja, so in etwa.« Der Rotschopf lächelte. »Aber, Cinder und ich sind doch auch seine Kinder. Und auch unsere Mutter ist der Winter«, warf sie ein. »Ja, schon, aber es gibt da einen sehr grundlegenden Unterschied. Bei euch hat er im Prinzip nur das erhalten, was er eh schon hatte. Das mag sich grausam anhören, aber so ist es manchmal. Ich bin auch etwas Besonderes gewesen, weil ich der erste Sohn war, meine Brüder, obwohl viel begabter als ich, haben dennoch immer in meinem Schatten gestanden. Zumindest aus der Sicht meines Vaters. Natürlich, ihr seid seine Töchter, alleine das macht euch schon zu etwas Besonderem, aber, dennoch seid ihr erst nach Lugh Akhtar gekommen. Wenn du etwas Ähnliches ein zweites mal bekommst, dann ist das immer etwas Anderes.« »Weil die Erwartungen vom ersten Mal fehlen? Weil man weiß, was einen erwartet und immer schon wusste, dass es noch einmal kommen würde? Und beim ersten Mal noch darum bangen musste, ob es überhaupt jemals geschehen würde?«, hakte sie nach. »Ja. Es ist vielleicht ein schlechter Vergleich, aber, als ich das aller erste Mal ein Buch bekommen habe, da habe ich mich gefreut, als ginge die Sonne nur für mich auf. Obwohl es nur ein altes Märchenbuch ist und ich nicht einmal weiß, wo es jetzt liegt, ist es dennoch für mich so viel wichtiger, als jedes andere Buch, das ich danach bekam«, bestätigte er. »Das ist… seltsam«, fand Soul. »Ich weiß«, lächelte Sly. »Okay… Aber, ich verstehe es jetzt. Danke.« Sie lächelte ihn an und zum ersten Mal wurde dem Rotschopf so wirklich bewusst, wie ähnlich Soul und Cinder eigentlich waren. Und wie grundverschieden zugleich. Er stand auf und half ihr hoch. »Wir sollten die anderen suchen, vielleicht ist dein Brüderchen ja mittlerweile aufgetaucht«, meinte er. »Wäre möglich«, lächelte Soul. So wandten sie sich um und gingen über den Pier zurück. Sie beobachteten, wie die Menschen verschiedene Güter und Tiere auf ihre Schiffe verstauten, während sie gemeinsam langsam dahin schlenderten. Mit einem mal hörten sie Lärm und als sie in die entsprechende Richtung blickten, sahen sie das seltsamste Pferd, das sie je gesehen hatten. Sly konnte sich nicht entscheiden, welcher Farbe er es zuordnen sollte. Für gewöhnlich hatten die Pferde im Imperium von Lanta höchstens weiße Abzeichen im Gesicht oder an den Beinen, das Pferd jedoch war dreifarbig gescheckt und gebärdete sich wie toll, als man versuchte, es in den Frachtraum zu führen. Sly wollte eben Soul auf dieses besondere Aussehen aufmerksam machen, da sah er, wie Nea sich näherte. Nea hatte von Kindesbeinen an die Fähigkeit gehabt, mit Tieren zu sprechen. Sie verstand, was sie sagten und sie wollte ihnen immer helfen, so war sie auch Lugh Akhtar begegnet, als er auf einem Markt verkauft werden sollte. Damals hatte der junge Mann in seiner Wolfsgestalt gesteckt und nichts von sich gewusst, außer, dass er einst ein Mensch gewesen war. Nea hatte ihn frei gekauft und ihn jenen Namen gegeben, mit dem er sich nun vorzustellen pflegte. Nea auf jeden Fall näherte sich furchtlos dem tobenden Schecken, den drei kräftige Männer an Seilen fest zu halten versuchten. Irgendjemand rief ihr noch eine Warnung zu, doch sie lächelte nur und trat ganz nahe an das Pferd heran. Es schaute sie aus großen Augen an und sie sprach leise auf es ein, bis es sich beruhigt hatte. Die Männer standen nur daneben und starrten sie aus großen Augen an. »Er möchte nicht wieder in diese dunklen, schwankenden Räume«, erklärte sie ihnen und streichelte die weichen Nüstern. »Verschwinde, Hexe.« Ein weiterer Mann war dazu getreten und musterte sie geringschätzig. »Dich hat nicht zu interessieren, was mit dem Pferd geschieht.« »Doch. Ich werde nicht zulassen, dass du ihn zu etwas zwingst, was er nicht will.« Nea warf ihm einen kalten Blick zu. »Das wirst du müssen«, fauchte der andere und riss grob einen der Stricke an sich. Die anderen beiden löste er geschickt und wollte an Nea vorbei gehen, doch sie stellte sich ihm in den Weg. »Nein«, sagte sie ruhig. Er antwortete darauf nicht einmal, stattdessen schlug er ihr ins Gesicht, sodass sie zu Boden stürzte. »Hey!« Jetzt mischte sich Sly ein, denn seine Schwester zu schlagen ging eindeutig zu weit. Mit wenigen schnellen Schritten war er bei dem Fremden und riss ihn grob herum. »Wage es nicht noch einmal, Hand an ihr zu legen!«, brüllte er. »Und wer soll mich davon abhalten? Du?«, spottete der Kerl. »Ja«, antwortete Sly, doch lange nicht mehr so entschlossen, wie zuvor. Nun, wo er das Gesicht des Mannes so vor Augen hatte, war da etwas, was ihn zögern ließ. Er kannte den Mann nicht, er hätte sich sonst gewiss erinnert, denn seine Züge waren nicht unauffällig. Aber, irgendetwas schien ihm dennoch so unglaublich vertraut. »Natürlich. Jetzt hab ich Angst«, spottete der Mann, wandte sich ab und führte den Schecken zur Rampe. Der folgte nun zwar, aber nur zögerlich und mit sichtlichem Widerwillen. »Wer ist das?« Soul half Nea auf. »Ich weiß es nicht«, antwortete Sly. »Er sieht irgendwem, den ich kenne, ähnlich…«, murmelte Nea. »Ja, an irgendwen erinnert er mich auch, aber ich weiß nicht, an wen«, antwortete Sly, während er sie besorgt musterte. »Hat er dir sehr wehgetan?« »Nein, eigentlich nicht.« Sie hob unbewusst eine Hand an die Wange und seufzte. »Ist Lugh Akhtar eigentlich mittlerweile aufgetaucht?« Sly wandte sich in Richtung Wirtshaus. »Nein, nicht, dass ich wüsste, aber sollte er, der Kapitän sagte, dass wir morgen früh bei Sonnenaufgang ablegen werden und ich denke nicht, dass er so weit fliegen kann.« Sie wirkte bedrückt. »Er schafft es, glaube daran«, versuchte Sly sie aufzumuntern, während sie durch die Straßen liefen, doch in Gedanken war er bei dem Fremden. Wer war er nur…? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)