Gute Nacht Johanna von OsakaChan (just Darling) ================================================================================ Prolog: Lemonen grün -------------------- Früher war alles in Ordnung, denke ich mir oft. Als man noch klein war. Man lebte in einer kleinen Luftblase. Weich gepolstert. Ich glaube, wenn man so klein ist, die Welt noch aus so kleinen Augen sieht, dann ist alles bunt und wunderschön. Ja, früher war alles in Ordnung. Heute, ja, heute ist alles anders. Es ist ganz merkwürdig, aber ich glaube, das umso älter man wird, auch die Farben verliert. Könnte das sein? In meiner Kindheit war der Himmel nicht nur blau. Er war besonders blau. Die Wolken waren besonders weiß und viel weicher sahen sie aus. Mittlerweile sind es nur noch Wolken. Wolken die mir die Sicht versperren, auf den nur noch blauen Himmel. Möglicherweise ist es das, was einigen Erwachsenen fehlt. Die Sicht der Dinge. Nicht die Sicht auf Ansichten. Sondern tatsächlich die Sicht der Dinge. Farben, Figuren. Leuchtende Sonnenstrahlen und Zuckerwattewolken. Sogar der Regen kann bunt sein, wenn man ihn nur einmal betrachten würde. Ihn schätzen würde, als das, was er eben ist. Leider muss ich mir eingestehen, war es nicht meine Erkenntnis. Es war die von Constantin. Kapitel 1: Leere Stühle ----------------------- „Ich habe gesagt, dass ich keine Lust mehr auf den ganzen Dreck habe. Ist das so schwer zu begreifen, du verfluchter Mistkerl?“ , diese Worte hörte ich eigentlich jeden Tag. Immer wieder hallten sie in meinem Kopf wieder und es war auch noch kein Ende in Sicht. Nicht nur aus diesem Grund, diesem einen schrecklichen Grund, sondern auch aus vielen anderen, hielt ich es für notwendig meine Eltern zu verlassen und zu meiner Schwester zu ziehen. Ich höre so oft von den ganzen Scheidungskindern und ihren Problemen. Ich glaube da nicht dran. Ehrlich nicht. Ich glaube wohl, dass Kinder ihr Päckchen zu tragen haben, wenn Eltern sich trennen, aber ich glaube nicht das sie darum entweder Drogensüchtig oder Magersüchtig werden. Vielleicht bin ich ja auch eine schlechte Tochter, weil ich der Meinung bin, dass es nicht möglich ist von seinen Eltern in dieser Art und Weise abhängig sein zu müssen? Meine Mutter ist eine vielbeschäftigte Frau. Sie arbeitet in einem Büro und wird quasi ständig mit Akten und Papieren überhäuft. Mein Vater hingegen ist ein fauler Kerl, den es nur gelegen ist, genug Geld für Bier und seine Geliebten ran zu schaffen. Ich will nicht sagen das er ein schlechter Mensch ist. Ich will aber auch nicht sagen, dass er ein besonders guter Mensch ist. Er arbeitet nicht halb so viel wie meine Mutter, gibt aber das Dreifache aus. Nach einer mehr oder weniger stürmischen Ehe, die ihre Zeit auf dreizehn Jahre befristet hatte, lebten sie nun also in Trennung. Meine Mutter war seitdem nicht wiederzuerkennen. Wo vorher diese schlafe Gestalt in der Gegend herum oxidierte, stand nun eine fast schon dynamische Frau, mittleren Alters, die alles dafür tun würde ihnen noch Ehemann, meinen Vater, bluten zu sehen. Mein Vater hingegen schien jeglichem Verschwender-Allüren versagt zu haben – was er, als kleine Bemerkung am Rande, auch bitter nötig hatte. Und Johanna (das bin ich) stand natürlich zwischen den Stühlen. Und da ich es hasse wie nichts sonst auf der Welt, zwischen den Stühlen zu stehen, habe ich mich dazu entschieden zu meiner Schwester zu ziehen. Sie ist gerade 23 Jahre alt geworden und steht nun mit beiden Beinen im Leben. Sie hat eine Ausbildung zur Rechtspflegerin gemacht und hat genug Geld uns beide durchzubringen. Um ehrlich zu sein wollte ich sowieso immer mal zu ihr ziehen. Wir haben trotz des Altersunterschieds ein unglaublich gutes Verhältnis. Sie respektiert mich völlig, dass Gleiche tue ich bei ihr. Es ist oftmals schwierig mit einem so unterschiedlich ausgelegten Charakter zusammen zu leben, doch meine Schwester und ich waren schon von meinem ersten Lebenstag an ein gutes Team. Vielleicht war es sogar unsere Charakter- Differenz die uns zu einem solchem Traumteam machte? Aber wer hätte gedacht, dass sich bald alles so ändern würde? Niemand nehme ich an. Alles begann damit, dass ich nach einem unglaublich langem Schultag meine Zerstreuung in einem der alten Stadtviertel suchen wollte. Ich wollte einfach mal abschalten und versuchen, den ganzen Ehestreß meiner Eltern und den Schulstreß zu vergessen. Ich wohnte noch nicht langer hier, meine Eltern wohnten damals auf dem Dorf. Meine Schwester Marta suchte das Weite, als sie ihre Ausbildung anfing und zog hier her. Es war sehr ungewohnt von einem kleinen Dörfchen in eine etwas größere Stadt zu ziehen, aber ich fühlte mich keineswegs fremd. Die Stadt war sehr verwinkelt, sauber und schien schon seit sehr langer Zeit zu existieren. Alle Häuser sahen hübsch gemacht aus, riesige und gerade zu prächtig wirkende Fassaden. Es schien so, als wäre es eine Stadt in der nur Frieden existierte. Natürlich war dem nicht so. Auch hier gab es Gewalt und Kriminalität. Auch hier gab es Schulschwänzer und Perverse, wie in jeder Stadt. Ich wollte gerade in eine kleine Straße abbiegen, als mir ein kleines, schnuckeliges Café auffiel. Es sah so aus, als wäre es schon hunderte von Jahre alt. Eine grün gestrichene Holztür, ein bisschen Efeu überwuchert, war der Eingang in das kleine Café, dass in einem alten roten Backsteinhaus gelegen war. Über der Tür hing ein kleines Schild auf dem "Wunderlichs Kaffeehaus" stand. Ich fokussierte das kleine Schild. Irgendwie hatte es etwas Altes, etwas Wohliges. Vielleicht ist das Gefühl einem bekannt, wenn man etwas sieht, dass man zwar noch nie zuvor gesehen hat, aber es einem dennoch auf merkwürdige Art und Weise bekannt ist. Ich beschloss mal hinein zu gehen, ich dachte, wenn es mir dort nicht gefallen würde, dann könnte ich immer noch wieder hinaus gehen. Die Tür quietschte beim Öffnen, ein modriger Geruch stieg mir in die Nase. Qualm stieß aus der Tür. Scheinbar durfte man dort auch Rauchen. In dem Cafe schien aber noch nichts los zu sein. Vielleicht wurde es ja auch gar nicht besucht? Ich blickte in den Raum, ein altes Ehepaar saß an einem kleinen Tisch, der in einer dunklen Ecke stand. Sie unterhielten sich nicht, sie guckten nur finster drein. An einem anderen Tisch, am Fenster, da saß ein junger Mann. Er schaute nicht auf, als ich die Tür mit einem noch lauterem Quietschen schloss. Der Thresen stand leer da. Ich fragte mich, wo der Besitzer wohl gerade war und setzte mich noch ein wenig unwohl an den anderen Tisch, der an einem Fenster stand. Ich schnappte mir die Karte und hielt Ausschau nach etwas, dass mir vielleicht schmecken würde. "Was wollen Sie denn?", ich schreckte auf. Wo kam sie auf einmal her? An meinem Tisch stand eine alte, dicke Frau. Ihr Gesicht war von tiefen Falten geprägt. Sie schienen im matten Dämmerlicht im Café wie tiefe Furchen, die dem Gesicht eine gewisse Wirkung verliehen. Eine sehr unheimliche Wirkung. "Ehm, ich nehm den Kaffee Pot mit einem Stück Erdbeer Torte, bitte." "Erdbeer Torte ist nicht.", sagte sie in einem harten Ton. "Oh, dann nehme ich nur den Kaffee bitte." "Kommt gleich.", die Alte stiefelte davon. Ich verfluchte jetzt schon den Moment, andem ich hier her gekommen war um meine Zerstreuung zu finden. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde. Der junge Mann starrte mir direkt in die Augen. Sein Blick durchdrang mich. Es kam mir so vor, als würde er mit nur einem Blick wissen, was der Zeit in meinem Leben vorging. Schüchtern verbarg ich mein Gesicht hinter meinen Haaren. Dieser Mann hatte etwas merkwürdiges an sich. Mein Gedanken spielten auf einmal verrückt. Als ich in das Café kam hatte er sich doch überhaupt nicht für mich interessiert. Vielleicht war es ja auch nur ein Zufall das er mich gerade dann angesehen hatte, als ich es bemerkte. Es wäre doch schon ziemlich eingebildet von mir, zu behaupten das er mich schon seit längerem ansehen würde. Ich schämte mich für einen kurzen Moment über mein scheinbar frühzeitig gebildetes Urteil. "Bitte!", hörte ich es sagen. Die Alte knallte mir den Kaffeepott auf den Tisch und stiefelte wieder davon. Ich betrachtete den Pott. Auf ihm waren hübsche, kleine Blumenmuster. Ich musste schmunzeln. Würden in dieser wuchtigen, alten Frau vielleicht doch süße Gefühle schlafen? Ich stellte mir vor, wie die Alte (man merkt schon das dieses Nomen für diese Frau wie geschaffen war)den Kaffeepot vom Schaufenster eines Porzellan Ladens aus beobachtet hatte. Vielleicht bekam sie sogar rosa Wangen und ein Leuchten in den Augen. Sie wird dann vermutlich unglaublich euphorisiert in den Laden gestürmt sein, um den kleinen süßen Kaffeepott aus dem Schaufenster zu befreien. Es war eine wirklich amüsante Vorstellung. Ich tat einen kräftigen Schluck. Eigentlich sogar zeitgleich verzog ich meine Mundwinkel. Der Kaffee war so bitter das es mir fast so vorkam, als würden sich sämtliche Gesichtszüge meinerseits verabschieden. Ich hörte ein Lachen. Nein, es war vielmehr ein kleines Lächeln das mit einem Hauch Luft hinausgetragen wurde und in meine Ohren drang. Wieder schaute ich auf. Das alte Ehepaar schien sich immer noch nichts zu sagen zu haben, der Thresen stand wieder leer, nur der Mann schaute mich (immer noch) an. Lächelnd. Durchdringend und wunderschön. Doch das Einzige was ich tat, war meine Augenbraun zusammen zu ziehen, störrisch wegzusehen und in mich hinein zu fluchen. "Verdammte Axt. Für wen hält der sich eigentlich? Brad Pitt? Keanu Reeves? Was erlaubt der sich? Ich bin doch kein Tier, was man anstarren und auslachen kann?", dachte ich mir. Um zu demonstrieren wie gut der Kaffee mir doch schmeckte ( auch wenn er abscheulich bitter war), nahm ich erneut einen kräftigen Schlug und kämpfte gegen meine sich am liebsten nach unten ziehen wollende Mundwinkel an. Ich würdigte ihm keinen Blick mehr, stattdessen suchte ich in meiner Tasche nach dem Schulbuch, welches ich in der Schule lesen musste. Als ich es endlich fand und es energisch aus meiner Tasche zerrte, es aufschlug um endlich abgelenkt zu sein, wurde ich erneut von der Alten gestört. "Sage mal, kenn ich dich irgendwoher?", wieder fragte ich mich, wie eine doch so wuchtige Frau es schaffen konnte, mich immer wieder zu überraschen. Eine neue Vorstellung drängte sich in meinen Kopf. Die Alte auf Samtschüchen durch die Luft schwebend und... - NEIN. Der Frage antworten, Johanna! "Nein, ich denke nicht." Dabei wollte ich es belassen, doch die Alte nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich. Ihre scharfen, ernsten Augen schauten tief in die meinen. "Doch, doch, doch. Kannst mir sagen was 'de willst. Manni? MANNI? Komm mal her!", ich musste schlucken. Langsam bekam ich es echt mit der Angst zu tun. Meine Hände hielten das Buch fester als nötig, das verursachte mir zwar nur ein wenig Schmerzen in der Hand, aber es half mir nicht völlig durchzudrehen. "Was denn los Emma?", der alte Mann, der mit seiner Frau an dem dunklen Tisch in der Ecke saß kam herüber. "Sag mal, kommt sie dir auch so bekannt vor?" "Hm... ich weiß nicht. Könnte sein." "Warst du hier schonmal, Mädchen?" "Nein", sagte ich. Mir war es langsam echt zu bunt. Am liebsten wollte ich nur noch meine Sachen nehmen und gehen. Nicht einmal den Kaffee hätte ich nach diesem Service hier noch bezahlen wollen. Die Alte und der Alte starrten mich an. Beide hatten eine Mordslust in ihren Augen. "Ehm,... eh.. Vielleicht sollte ich besser gehen?", warf ich ein. "Neeein, um Himmels Willen. Bleib doch noch ein bisschen.", sagte die Alte fast schon empört über meine Aussage. "Ne, ich kenn sie nicht!", brachte der Alte in einem befriedigenden Ton hervor, so als hätte er sich damit von der Last des Überlegens befreit. Mittlerweile konnte ich mir vorstellen das dieses Café wohl nie besucht werden würde, was definitiv an den Menschen lag die hier zusammen kamen - oder auch nicht. Die leeren Stühle hatten für mich also nun auch endlich eine Zuordnung bekommen. Der Alte schlich zurück an den Tisch und setzte sich mit der gleichen, lustlos wirkenden Miene wieder zu seiner Frau. Es war so, als würden die beiden aus Stein sein. Leblos in den Raum hineinstarrend, nur wenn sie zu irgendetwas aufgefordert werden würden, dann würden sie sich zu lebenden Menschen machen und ihre Aufgabe erfüllen, sich danach aber wieder in die gleichen Steine verwandeln. "Hier kommen nicht so viele Leute, weißt du?", sagte die Alte plötzlich. In ihrer finsteren Miene spielte sich aufeinmal etwas ab, dass ich vorher noch nicht bemerkt hatte. Das ich vorher bei ihrem Gesicht nicht für möglich gehalten hatte. Emotionen. Sie wirkte betrübt, traurig, verärgert und dennoch hart und gefestigt. "Das tut mir sehr Leid für Sie. Ist bestimmt nicht leicht", band ich ein. Ich wollte trotz meiner überaus nachvollziehbaren Panik nicht unhöflich oder gar Respektlos sein. Schließlich hatte die Alte quasi extra für mich einen Kaffee gekocht. Wer weiß, wann das letzte mal aus diesem hübschen kleinen Kaffeepott getrunken wurde? "Seitdem mein Mann verstorben ist kommen kaum noch Leute, weißt du? Ach Unsinn, wieso erzähl ich dir das eigentlich? Trink mal deinen Kaffee, Kind. Der wird ja ganz kalt!" Sie erhob sich. War sie verwirrt? Alte Menschen haben das ja manchmal, dass sie Dinge völlig aus dem Zusammenhang reißen? Dann war sie verschwunden, wie auch der Mann der mich vor kurzen noch angestarrt hatte. Ich schüttelte den Kopf, tat den letzten Schluck. Dann packte ich mein Buch zurück in die Tasche, es war immer noch ungelesen. Ich klatschte drei Euro auf den Tisch und dann verschwand ich. Kein Wunder, dachte ich. Es war kein Wunder das dass Café "Wunderlichs Kaffeehaus" hieß. _____________________________________ Lektion 1: Es sind nicht Dinge, die man sieht. Man liest zwar zwischen den Zeilen, aber versteht man denn auch den Text der zwischen den Zeilen geschrieben steht? Offentsichtliches ist offensichtlich, oder ist es das nicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)