Acervus von Veela ================================================================================ Kapitel 1: Sphärenlehre ----------------------- Es klingelte. Wie gewöhnlich kramte die junge Frau mit dem feuerroten Haar in ihrer Tasche, bevor sie das nervige Piepen abstellen konnte. Ihr Blick streifte ihre Wanduhr. Ein Uhr Nachts. Wer zum Teufel rief denn so spät an? Sie legte das Handy neben sich und las nochmal den Absatz zu ihrem letzten Experiment durch. Keine drei Sekunden später klingelte es erneut. Etwas verärgert entschloss sie sich, das Gespräch anzunehmen. „Ja, Hallo?“ „Hallo? Wer ist denn da?“, ertönte es von der anderen Seite der Leitung. Es war auch das Klirren von Metallen zu hören. „Hier ist Frederike!“ Sie erkannte sofort, mit wem sie sprach. Professor Doktor Helmut Schwarz war ihr Chemieprofessor – wenigstens stimmte diese Aussage zum Teil. Er war auch ihr Mentor für ihre magische Welt. Frederike März war keine gewöhnliche Frau, obwohl sie so aufgewachsen war. Sie wurde normal erzogen, ging zur Schule, hatte Freunde, war intelligent, und begann ihr Studium. Doch dann spielte ihre Welt verrückt. Geräte taten außergewöhnliche Dinge, die nicht möglich sein sollten, Menschen taten genau das, was sie ihnen sagte, ein Toaster spie sogar einen Feuerball, der sich in hunderte von Schmetterlingen verwandelte, als er auf sie zuraste. Und dann war es so plötzlich vorbei, wie es anfing. Schwarz ging damals auf sie zu und lud sie in eine der neun Traditionen von Magiern ein, die Söhne des Äthers. Er brachte ihr bei, die Magie mit Hilfe des Äthers, eine Substanz, die alles in der Welt miteinander verbindet, zu wirken und zu kontrollieren. „Herr Schwarz, was kann ich denn für sie tun?“ „Ah, äh, Frederike“, nuschelte er ins Telefon „ich…was wollte ich denn noch? Hast du für dein Examen gelernt?“ „Was?“ „Was?“ „Herr Schwarz, was möchten Sie?“ Frederike war es gewohnt, dass der alte Mann verwirrt war. Manchmal verwirrte er sie auch. „Die Nummer!“ „Welche Nummer?“ Die Stimme bebte vor Empörung. „Na, Frederike, die du anrufen sollst, wegen der Sache hier, mit der Waisen und so!“ „Welche Waise? Ich hab gar keine Nummer!“, gab sie ebenso empört wie verwirrt zurück. „Ach, dann wollte ich dir die Nummer geben! Die gehört zu einem anderen Ätheriten, aber wie der nun heißt, dass weiß ich auch nicht, ich schätze, dass war irgendwas mit R. Röger oder Rieger oder so.“ „Wie der Nazi?“ „Welcher Nazi? Wovon redest du denn jetzt schon wieder?“ „Na, der Nazi Rieger, aus Niedersachsen!“, erklärte die Rothaarige geduldig. „Äh, ja, ich schätze, so. Na, du sollst ihn anrufen un-“ „Wen?“ „Rieger.“ „Den Nazi?“ „Welchen Nazi?“ Jetzt war Schwarz völlig verwirrt. „Na, Jürgen Rieger!“ „Ich dachte, er heißt Markus!“ „Wer?“ „Na, den Rieger den du anrufen sollst!“ „Ach so, sagen Sie das doch gleich!“ Frederike zupfte an ihrem Jogginganzug und machte es sich bequem. Dieses Gespräch würde wohl länger dauern. „Das hab ich doch. Also wirklich.“, entgegnete der Professor genervt. „Das musst du jedenfalls schnell tun, damit ihr euch im Gildehaus vorstellen könnt.“ „Ich dachte, es geht um eine Waise?“ „Äh, ja, genau. Die müsst ihr finden und dann könnt ihr euch vorstellen. Da war doch noch etwas…Ach ja, hinter ihr ist vielleicht, möglicherweise, aber auch nur möglicherweise eine Maraudeurin her. Deswegen müsst ihr euch beeilen.“ „Die, mit den Tentakeln?“ „Frederike, wie oft denn noch? Maraudeure haben keine Tentakeln!“, erklärte er seiner Tutandin erneut. Doch sie ließ sich nicht beirren. „Natürlich haben Maraudeure Tentakeln!“ „Äh, naja, nicht alle.“ „Sehen Sie! Ich habe Recht.“ „Auf jeden Fall“, erhob er seine Stimme „hat dieser Auftrag oberste Priorität für euch drei, damit ihr im Gildehaus aufgenommen werdet.“ „Wieso denn drei?“ „Na, du, der Nazi und der Vogelmann.“ „Welcher Vogelmann?“ „Äh, der Baumtänzer, der immer darum hüpft und so.“ „Sie meinen einen Verbena?“ Frederike wusste, dass die Verbena, eine weitere Tradition der Magier, sehr naturverbunden war. „Ja genau. Der soll euch noch helfen. Mit dem gründet ihr eure Kabala. Sagt der von oben. Irgendeine neue Traditionspolitik.“ „Und wieso Vogelmann?“ „Ja, der heißt irgendwie so.“ „Und wie sollen Rieger und ich den finden?“ „Wer ist Rieger?“ „Nicht der Nazi!“ „Wie?“ „Wie wir den Vogelmann finden, Herr Schwarz!“ Langsam bekam Frederike Kopfschmerzen. „Ja, ich hab doch die Adresse. Deswegen musst du doch nicht so laut werden.“ „Tut mir leid, Herr Schwarz.“ „Das will ich auch hoffen.“ „Haben Sie denn auch die Adresse der Waisen?“ „Ich bin doch nicht die Auskunft, ich darf doch sehr bitten, meine Liebe!“, empörte sich Schwarz. „Aber die Adresse des Vogelmanns haben Sie!“ „Nun wird mal nicht frech!“ „Entschuldigung.“ „Gut, so, ich muss jetzt auch auflegen. Und denk an dein Examen!“ „Was? Das ist doch noch gar nicht!“ „Willst du nachher arbeitslos sein?“ „Natürlich nicht, Herr Schwarz.“, gab sie zurück. „Na, dann lern auch vernünftig.“ „Aber ich soll doch die Waise finden!“ „Ja, aber deswegen darfst du nicht das Studium schleifen lassen. So nicht, Frederike.“ „Ja, Herr Schwarz.“ „Na, dann gute Nacht. Und ruf nicht immer so spät an!“ „Ich hab doch gar nicht angerufen!“, meckerte sie das Telefon an, denn der Professor hatte schon aufgelegt. Sie steckte ihr Handy weg, las den vorher angefangenen Absatz zu Ende und legte ihre Arbeit sorgfältig zur Seite. Danach zog sie sich um. Morgen hatte sie immer noch genug Zeit, diesen Rieger anzurufen. Max hechtete mit einem Sprung in die U-Bahn, kurz bevor sie losfuhr. Außer Atem setzte er sich zwischen eine alte, fette Frau, die einen süßlichen Geruch von Alkohol und Katzenpisse verbreitete und einer aufgeregt telefonierenden Tussi. Genervt schaute er sich die Werbeanzeigen an, doch etwas Interessantes entdeckte er nicht. Er hasste es, nach der Uni mit U- und S-Bahn zurück nach Bernau zu fahren, denn das größte asoziale Pack begegnete einem dort. Ganz besonders, wenn er nachts zurückfuhr, weil er es nicht unterlassen konnte, Vera einen Besuch abzustatten. Er schüttelte seine Dreads und schloss die Augen, als sein Handy vibrierte. „Ja, Max hier.“, antwortete er routiniert. „Hallo, Max“, ertönte die helle Stimme seiner Mutter „ich hab heute vergessen Milch zu kaufen, würdest du bitte noch welche mitbringen?“ „Ja, kann ich machen, Mama.“ „Aber die gute Bio-Milch, nicht so ein Billigprodukt, okay.“ „Ja, Mama, ich weiß.“ „Gut, Dankeschön, ich liebe dich.“ „Ich dich auch, bis gleich.“ Er drückte auf die rote Taste seines Handys und schaute sich um. Der nächste Laden, von dem er wusste, dass er Bio-Milch um diese Uhrzeit noch verkaufte, war in der Nähe von Kreuzberg. Missmutig stieg er an der U-Bahn-Station aus, versteckte seine Wertsachen und hoffte, dass ihm keine volltrunkenen Asis begegneten. Tatsächlich war er überrascht, wie ruhig es diese Nacht war. Ohne Pöbeleien kam er zum laden hin und sogar wieder zurück. Es war kurz vor Eins. Er setzte sich auf die Bank neben den Kiosk und stellte die Tüte neben sich ab. Kaum saß Max, hörte er Schritte die Treppe herunterlaufen. Er warf einen gelangweilten Blick in Richtung Ausgang und sah eine ganze Gruppe voller Nazis bedrohlich auf ihn zugehen. Er merkte, wie sein Herz anfing zu rasen und er war sich ziemlich sicher, dass man es noch von weiter Entfernung hätte hören können. Max schnappte sich die Tüte und verzog sich in die entgegengesetzte Richtung. Er wusste, so wie er aussah, war er in dieser Gegend nicht gerne gesehen. Und der Abschaum vom Abschaum würde auch etwas unternehmen, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Weiter zielgerichtet folgten ihm die Nazis, dabei waren sie jedoch schneller als er. Genau im richtigen Moment fuhr die nächste U-Bahn ein. Max war keine zwei Schritte von der Tür entfernt, ging geradewegs auf sie zu, als sich die Faschisten sich ihm in den Weg stellten. Verdammt, dachte er, und ging einen großen Schritt zurück nach hinten – und lief direkt gegen einen Betonpfeiler. Er blickte nach rechts, nach links, beide Wege waren ihm versperrt. Sein Herz pochte nun noch lauter. Einer der Größeren ging direkt auf ihn zu, gerade hatte er seine Hand noch am Gürtel, jetzt hielt sie schon eine scharfe Klinge in der Hand. Max reagierte ohne nachzudenken. Er ließ die Tüte fallen, zog seinen reich verzierten Dolch aus seiner Tasche und wollte zur Seite ausbrechen, als er links in die Rippen einen heftigen Schlag bekam und zusammensackte. Dem nächsten Schlag konnte er gerade so ausweichen, um einen weiteren in Gesicht zu kassieren. Irgendjemand hat ihm auch den Doch aus der Hand geschlagen. Der Typ, der das Messer gezogen hatte, packte den Metaler und zog ihn am Kragen hoch, gegen den Pfeiler. Die Messerspitze berührte seine Bauchdecke und bohrte sich leicht herein. Die anderen Nazis jubelten ihm zu, lachten schäbig. Max blickte in die Augen seines Angreifers und sah seine Freude an der Gewalt, die er ausübte. Max wollte schon sein letztes Gebet gen Walhalla schicken, als er einen frischen Wind bemerkte und der Nazi anfing, aus der Nase, den Ohren und den Augen zu bluten. Auch die anderen bemerkten es, starrten ihren Freund an und entschlossen sich, so schnell wie es ihnen möglich war, zu laufen. Denn es kam nicht nur tropfenweise, es floss schnell und plötzlich lag eine rote Suppe am Boden. Max schubste den Nazi von sich weg, holte seinen Dolch wieder und blickte hoch. Er wusste, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Von dem anderen Eingang kam ein Mann herunter. Er war glatzköpfig und trug dunkle Kleidung, sein Blick war starr und Max konnte schwören, dass seine Augen kurz rot aufblitzen. Sein Herz pochte nicht mehr, es setzte für einige Sekunden aus. Denn schlimmer als ein Haufen Nazis war jemand, der einen Haufen Nazis verschreckte. Ohne sich weiter um die Milch zu kümmern, lief er den anderen Nazis nach. Pochen. Schmerzen. Pochen. Schmerzen. Pochen. Nancy rieb ihre verschlafenen Augen und blinzelte in die Dunkelheit. Ein vertrauter Geruch von Alkohol und Rauch trat ihr in die Nase. Sie stöhnte, strich ihre blonden, verwuschelten Haare aus dem Gesicht und setze sich langsam aufrecht hin. Kurz kam ihr die gewohnte Übelkeit hoch, sie schloss kurz die Augen und stand dann auf. Sie zog sich ihre Stoff Hot Pants und ein kurzes Shirt an, schlich in die Küche und hatte sich mit einigen routinierten Griffen sich ein Katerfrühstück bestehend aus einer Tasse Kaffee und zwei Aspirin gezaubert. Mit dem Kaffee in der Hand stellte sie sich vor den Balkon und schaute auf die Straße herunter. Es war nach ihrem Zeitgefühl genau 00:58 Uhr. Sie genoss die Stille, die die Nacht mit sich brachte. Sie hatte verdammt lange geschlafen. Es war aber auch eine verdammt lange Party. Nancy konnte sich nur bruchstückhaft an Sachen erinnern, aber sie hatte sich auch noch nie vollständig an eine Party erinnern können. Sie blickte wieder hinab zur Straße. Gerade liefen einige Skinheads aus der U-Bahn-Station und Nancy schmunzelte auf sie hinab. Hatten sie sich wohl mit den falschen Türken angelegt. Sie sah aus den Augenwinkeln einen weiteren Typen, blutverschmiert, aus der Station rennen, als sie sich umdrehte. Auf dem Rückweg in ihr Zimmer stoppte sie kurz. Irgendwas kam ihr merkwürdig vor. Stille. Leicht runzelte sie ihre Stirn, drehte sich um 45° und ging auf Zehenspitzen zu der geschlossenen Tür hin. Dafür, dass ihr Bruder Mike normalerweise bis um Eins noch wach war, um X Box Spiele zu spielen, war es verdächtig leise in der Wohnung. Ihre Mutter würde erst gegen Sechs Uhr kommen, aber diese Stille war verdächtig. Vorsichtig öffnete sie die Tür. „Mike?“ Nancy bekam keine Antwort. „Ey, Mike, schläfst du schon?“ Sie betrat den Raum. Die spärliche Beleuchtung aus dem Flur ließen die Schatten größer werden. „Mike?“ Das Zimmer war leer. „Mike!“ Nancy ging zurück zu ihrem Zimmer und kramte nach ihrem Handy, welches sie schlussendlich in ihrem Paillettentop zusammen mit ihrem String fand. Sie tippte Mikes Handynummer ein und wählte. In der absoluten Stille hörte man das Vibrieren unter der Bettdecke. „Verdammt, ey!“ Langsam machte sich Nancy sorgen. Dieses Verhalten war untypisch für ihren sonst so zuverlässigen Bruder. Sie zog sich an und band ihre Locken zu einem lockeren Zopf zusammen, schnappte sich ihre Kunststofflederjacke und die Autoschlüssel ihrer Mutter. Dann musste sie Mike eben so suchen. Sie fuhr zu seinen Stammkneipen, jedoch konnte ihr niemand weiterhelfen, niemand hatte Mike seit ein paar Tagen gesehen. Um 04:32 versackte Nancy in der letzten Kneipe, in der nach Mike gesucht hatte. Der Wirt starrte Nancy an, welche inzwischen eher aufreizend auf dem Tresen lag als vor ihm saß und inzwischen ziemlich betrunken, an, als er ihr den nächsten Absinth einschenkte. Die Blondine schloss kurz die Augen und als sie sie wieder aufmachte, traute sie ihnen nicht mehr. Letzte Nacht meinte sie auch schon dieselbe Halluzination gehabt zu haben. „Hey, disch kenn ich doch!“, lallte sie ihrer Einbildung entgegen. „Ja, ganz Recht.“, schnaufte eine ziemlich verranzte Tinkerbell. Ihr Kleid war zerfetzt, ihre Haare verfilzt, ihr Körper schmutzig. Ein Albtraum für jedes Kind. „Und da du gestern wohl nicht gut genug aufgepasst hast, erkläre ich es dir netterweise noch einmal.“ Mit ihren kleinen Füßen stampfte sie auf Nancys Nase zu. „Du bist eine Zauberin und-“ „So ein Scheiß, ey! Erzähl nix, sowas gibt’s gar nischt!“, unterbrach die Betrunkene. „Du hörst mir jetzt gut zu! Wie erklärst du dir, dass dir immer wieder merkwürdige Zukunfts- und Vergangenheitsvisionen bekommst? Wie kannst du so weit sehen? Wieso spielt die Zeit bei dir so verrückt? Weil du Magie wirken kannst! Du musst es nur wollen und nicht dich so weit dicht saufen, dass du nichts mehr hinbekommst!“ Nancy war beeindruckt. Noch nie hatte sich eine Halluzination so echt angefühlt. Sie spürte, wie die Fee wütend auf ihre Nase klopfte. „Du willst deinen Bruder finden? Dann konzentrier dich und verfolge ihn! Magisch!“ „Das kann isch doch gar nischt, man.“ „Und ob. Versuch es. Jetzt!“, forderte die aufgebrachte Disneyfigur. Nancy versuchte sich daran zu erinnern, was Mike gemacht hatte. Aber es passierte nichts. Sie wollte die Fee schon auslachen, als sie von einer Vision übermannt wurde. Mike, wie er das Haus verlässt. Wie er in die U-Bahn steigt. Wie er völlig starr aus Berlin rausfährt. Und dann war sie auch wieder weg. Ihr Kopf lag schlaff auf dem Tresen, ihr leeres Glas war umgekippt. „Na, siehst du, geht doch. Und glaubst du mir jetzt?“ „Ja, ja, das war voll krass!“ Die Fee deutete auf einen Stift und eine Servierte. „Nun schreib Folgendes auf: Die grüne Fee gibt es wirklich. Ich bin eine Zauberin. Nancy Reimers. Los, schreib das auf!“ Nancy tat, wie ihr geheißen und krakelte auf der Servierte rum. „Nun steck sie dir da rein“ die Fee deutete auf Nancys Ausschnitt. „und trink nicht mehr so viel. Du bist total abgefuckt!“ Und damit verschwand sie auch. Nancy blickte sich nochmal um, steckte die Servierte zwischen ihre Brüste, fiel fast vom Stuhl und machte sich auf den Weg nach Hause. Sowas wie Magie gab es doch gar nicht, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)