Broken Glass von Tei ================================================================================ The joys of puperty ------------------- Eigentlich war die Yoshiki-Ran-Storyline für mich ja mit dem Oneshot Kizuna beendet, doch schon beim Schreiben dessen, hatte es eine bestimmte Szene gegeben, die mich gereizt hatte, sie auszuformulieren. Nachdem es aber nicht das eigentliche Thema von Kizuna gewesen war, habe ich es gelassen und beiseite gelegt……. doch losgelassen hat mich diese eine Szene einfach nicht, sodass ich mich nach langem hin und her dazu entschlossen hatte, die Storyline noch einmal aufzunehmen und eben jene Szene auszuformulieren. Et voilà, nun sind wir hier :) Ich wünsch euch viel Spaß, bei der kleinen FF, die insgesamt aus vier Kapiteln besteht und bin schon gespannt, eure Meinungen zu hören… ähm zu lesen! ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Es war ein ruhiger Abend im Tokyo des Jahres 2019 und in der Villa, außerhalb der Megametropole, herrschte eine angenehme Stille. Ein bunter Cocktail an Schmerztabletten in seiner Blutbahn sorgte dafür, dass der ehemalige Schlagzeuger und Pianist von X JAPAN in seinem Bett, eingekuschelt in eine flauschige Decke, lag und schlief. Während der letzten Tage über, hatten ihm seine Bandscheibenvorfälle das Leben einmal wieder zur Hölle gemacht und auch wenn er es nie zugeben würde, er genoss bis zu einem gewissen Punkt, faul im Bett zu liegen, denn in seinen Träumen, da saß er wieder hinterm Schlagzeug auf der großen Bühne im Tokyo Dome und spielte sich die Seele aus dem Leib… In seinen Träumen brachten sie die Halle zum Beben und alle 50.000 Zuschauer sprangen gleichzeitig in die Luft und überkreuzten ihre Arme… So bekam er nicht mit, wie sich die schwere Haustür öffnete und gleich darauf wieder ins Schloss viel, schwarze Halbschuhe wahllos irgendwo in den Eingangsbereich gekickt wurden, eine lederne Umhängetasche achtlos in eine Ecke geschmissen wurde und ein 15-jähriger Teenager mit Strümpfen, in Schuluniform und blond geblichenen Haare sowie verweinten Augen durch die Villa stapfte und nach ihm rief: „YOYO!!“ Als keine Antwort kam und er auch nicht im Wohnbereich anzutreffen war, versuchte sie es noch einmal: „ONKEL YOSHIKI!!!“ Auf das ‚Onkel‘ reagierte er auch noch nach 10 Jahren empfindlich, brachte im Moment aber auch nicht den gewünschten Erfolg. „Wo steckt er nur? Einmal, wenn man ihn bräuchte…!“ Nach und nach klapperte sie sämtliche Räume ab und fand ihn schließlich im Schlafzimmer vor. Unter anderen Umständen hätte sie respektiert, dass er schlief, aber unter den momentanen brauchte sie jemand, mit dem man vernünftig reden konnte – und ihre Eltern zählten definitiv nicht dazu. Erst recht nicht ihr Vater – der war ja so konservativ und sah alles so furchtbar engstirnig! Am Bett angekommen, zerrte sie die Decke beiseite und krabbelte dann zu ihrem Onkel, der den Verlust der Wärmequelle dadurch kompensierte, dass er sich zu einer Kugel zusammenrollte. „Yoyo!!“ Kräftig rüttelte sie an seinen schmalen Schultern und erreichte so zumindest, dass er murrte. Nachdem sie es ein paar Mal wiederholt hatte, schlug er endlich verschlafen die Augen auf. „Ran?“, nuschelte er leise, gähnte herzhaft und blinzelte angestrengt. „Ich schmeiß die scheiß Schule hin und zieh bei dir ein!!“ „WAS?!“ Auf einmal hellwach fuhr er hoch und atmete im nächsten Moment zischend die Luft ein, da sich ein stechender Schmerz in seinem Rücken ausbreitete. „Ich schmeiß die scheiß Schule hin und zieh bei dir ein!!“, wiederholte Ran ihre Aussage und blickte ihn trotzig an, wobei sie nicht verhindern konnte, dass sich eine gewisse Besorgnis in ihre Augen schlich, als sie den Schmerz ihres Onkels sah. Vielleicht hätte sie doch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollen. Aber wenigstens schien er jetzt wach zu sein…! „Warum?“ Schwerfällig zog sich Yoshiki nach hinten, stopfte sich das Kissen in den Rücken und lehnte sich gegen das Kopfteil. „Weil alles scheiße ist und Mama und Papa einfach nichts kapieren!“ Die Antwort ließ zwar vermuten, dass es einmal wieder Krach zwischen seinem Bruder, seiner Schwägerin und seiner Nichte gegeben hatte – etwas, das nicht selten war – aber deswegen hatte er immer noch keinen blassen Schimmer, was die 15-Jährige, die da mit verschränkten Armen vor ihm saß, einmal wieder auf die Palme gebracht hatte. „Tust du mir bitte den Gefallen und fängst von vorne und nicht von hinten an, Ran-tan?“, bat er und fuhr sich seufzend durch die schwarzen Haare, die von einigen grauen durchzogen waren. Pubertäre Teenager waren wirklich das schlimmste auf der Welt, das es gab. Dagegen wäre es das reinste Paradies, der einzige Nüchterne zwischen einem sturzbetrunkenen hide und Gackt zu sein… Statt einer Antwort erhielt Yoshiki jedoch nur ein wütendes Schnauben und eine Ran, die vom Bett aufstand und aus dem Schlafzimmer stapfte, während sie etwas, dass wie ‚Männer‘ klang, in ihren nicht vorhandenen Bart murmelte. „Hey!“ Es folgten keine Worte sondern nur eine knallende Tür – vermutlich von jenem Gästezimmer, das sie vor 10 Jahren erstmals in Beschlag genommen hatte und das seither nach und nach zu ihrem zweiten Zimmer geworden war. „Elendiger Teenager!“ Der Gedanke war nicht wirklich böse gemeint, aber in Momenten wie diesen, würde Yoshiki viel lieber einen hyperaktiven, hibbeligen Miyavi am Hals haben, als eine 15-Jährige, deren Launen eine tickende Zeitbombe sein konnten. Wusste der Geier, was nun wieder los war! Das letzte Mal, dass er sie so miesgelaunt gesehen hatte, war, als Kouki sie mit einem Jungen knutschend erwischt hatte und ihr daraufhin verboten hatte, jenen je wieder zu sehen. Dabei hatte es ein ähnliches Theater gegeben, was sich am Ende als völlig unbegründet herausgestellt hatte, da Ran keine Woche später sowieso kein Interesse mehr an dem Typen gehabt hatte. Ob Kouki sie wieder mit einem Kerl erwischt hatte? Aber wieso wollte sie dann die Schule hinschmeißen? „Ist sie etwa unsterblich verliebt, schwanger und will mit dem Typen durchbrennen?!?!... Nee, kann nicht sein, sonst würde sie ja nicht bei mir einziehen wollen… oder?“ Der Gedanke beunruhigte Yoshiki doch etwas, sodass er sich mühsam aus dem Bett quälte und noch einen kurzen Blick auf das hide-Plüschtier warf, das dort seit Jahren seinen Platz hatte. „Wünsch mir Glück, hide!“ Langsam tappte er in Richtung Gästezimmer und gerade, als er anklopfen wollte, sah er noch einmal Ran vor seinem inneren Auge: strohblond gebleichte Haare und kleine Locken. Alles in allem glich es sehr der Frisur, die er Ende der 80er gehabt hatte. Nur zu gut konnte er sich noch an den Stress mit den Lehrern und dem Direktor erinnern, wenn er als Teenager mit längeren oder gebleichten oder bunt gefärbten Haaren in der Schule aufgetaucht war. „Das könnte natürlich auch sein… und vorgestern hatte sie die Haare auf jeden Fall noch nicht so… vielleicht hat sie deshalb auch so wütend reagiert, weil ich nichts zu ihrer Frisur gesagt habe…?! Warum müssen Frauen nur immer so kompliziert sein und aus jeder Mücke einen Elefanten machen?“ „Ran, darf ich rein kommen?“, fragte er und klopfte an. „Fuck off!!“ „Gut, dass Kouki nicht da ist oder ich könnte mir Standpauke Nummer 55 493 darüber anhören, in Rans Gegenwart nicht zu fluchen…!“ Yoshiki nahm diese Aussage einfach einmal als ein ‚Ja, komm rein‘ an, öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein, ehe er eintrat. Seine Nichte lag auf dem Bett, hatte ihr Gesicht im rosafarbenen Kissenbezug vergraben und wenn ihn seine Augen nicht ganz täuschten, dann bebten ihre zierlichen Schultern leicht. Weinte sie etwa? Er ging zu ihr, setzte sich auf die Bettkante und strich mit der linken Hand durch ihre hüftlangen, ehemals schwarzen Haare. Seine Befürchtung, sie würde die Berührung nicht zulassen, bewahrheitete sich zum Glück nicht. „Sieht gut aus“, kommentierte er ihre Frisur und entwirrte vorsichtig einige Knoten, auf die er gestoßen war. Einmal wieder erhielt er nur ein Schnauben und zu seiner Überraschung dann noch ein leicht verheult klingendes: „Damit stehst du so ziemlich alleine da!“ „Willst du deswegen die Schule schmeißen und bei mir einziehen?“ „Ich hab‘s für den Wettbewerb gemacht… ich hab wochenlang dafür gespart und gestern Abend hab ich es machen lassen. Und diese dumme Kuh von Direktorin suspendiert mich dafür und ruft Papa deswegen an! ‚Die Haarfarbe verstößt gegen die Schulordnung!‘“, äffte Ran ihre Schulleiterin nach und richtete sich auf, „und Papa versteht einen Scheißdreck von der ganzen Sache! Solange meine Haare blond sind, darf ich nicht zur Schule kommen und der, der besteht darauf, dass ich sie wieder schwarz färbe oder er meldet mich vom Wettbewerb ab! Das ist so gemein!! Er war ja von Anfang an nicht begeistert davon und jetzt hat er endlich die perfekte Ausrede gefunden, um mir alles zu ruinieren! Ich hasse ihn! Er versteht einfach nichts!!“ Tränen der Wut rannen über ihre Wangen und sie warf sich an Yoshikis Brust, der die Arme um sie schlang und sie an sich drückte. Das Ran und sein Bruder sich häufig stritten, war nichts Neues. Er selbst zankte schließlich oft genug mit ihm und Kouki selbst hatte ihm einmal anvertraut, dass er, wenn er mit seiner Tochter stritt, sich mehr als einmal dabei ertappt hatte, ihn in ihr zu sehen. In den letzten 10 Jahre, in denen Yoshiki Ran das Klavierspielen beigebracht hatte, hatte er unweigerlich viel Zeit mit ihr verbracht – oft genug war sie ganze Wochenenden bei ihm – und vermutlich hatte der ein oder andere Charakterzug, den er selbst hatte, auf das Mädchen abgefärbt. Mehr als einmal hatte ihm sein kleiner Bruder vorgeworfen, dass seine Tochter ihm auf erschreckende Weise ähnlich werden würde. Er gab es nicht gerne zu, aber er hatte Recht. Kouki war ruhig, jemand, der stets nach den Regeln spielte und niemand, der überschnell von seinen Emotionen geleitet wurde. Ran hingegen folgte der Norm, wenn es ihr einen Vorteil brachte und bog sich ansonsten die Richtlinien zurecht, wenn sie ihr nicht passten. Wie auch Yoshiki trug sie ihr Herz auf der Zunge: sie ging schnell in die Luft, brach innerhalb kürzester Zeit in Tränen aus und sagte gerade heraus, was sie dachte, ohne viel Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen. Es wunderte ihn nicht wirklich, dass die ruhige Art seines Bruders geradezu provozierend auf Ran wirkte – ihm ging es schließlich genauso… Er wusste, dass Kouki oftmals nur deswegen so streng mit seiner Tochter war, weil er verhindern wollte, dass sie zur sehr ihrem Onkel nacheiferte. Schließlich wusste er noch zu gut, in welche Schwierigkeiten sich sein großer Bruder als Teenager gebracht hatte. Im Grunde wollte er sie beschützen, doch in den meisten Fällen kam das falsch bei ihr an, sodass sie zu Yoshiki flüchtete. „Ich geh nicht mehr zurück! Das kann er vergessen! Genauso, dass ich mir die Haare wieder umfärbe! Die bleiben so, bis der Wettbewerb vorbei ist – und wenn ihm das nicht passt, dann kann er mich mal!“, bockte der Teenager und verkrallte ihre kurzgeschnittenen, aber manikürten Fingernägel in Yoshikis T-Shirt. Dieser wusste bereits aus Erfahrung, dass Logik in solchen Momenten nicht viel brachte – zum Glück hatte er im Laufe der Jahre seine eigene Methode entwickelt, um Ran wieder zu beruhigen, wenn sie auf 360 war. "Los komm!", forderte er sie auf, löste sie von sich und stand auf. "Ich geh nicht zurück!", entgegnete der Teenager trotzig, wurde von Yoshiki jedoch nur an der Hand gepackt und hinter ihm hergezogen. "Habe ich irgendetwas dergleichen gesagt?", wollte er wissen und stoppte schließlich in seinem Arbeitszimmer, wo er Ran auf den Hocker des Schlagzeugs, das dort stand, drückte und ihr zwei Sticks gab. "Stell dir einfach vor, die Trommeln sind dein Vater, deine Direktorin und alle anderen Leute, auf die du wütend bist. Ich bin gleich wieder da!" Damit ließ es sie alleine und zog die Tür hinter sich zu. Es verging keine Minute und er hörte, wie sie auf das Drumset einschlug. Er hatte ihr nie wirklich Drummen beigebracht, aber als sie einmal aufgebracht gewesen war, hatte sie einfach angefangen, auf die Trommeln und Becken einzuschlagen. Beide mussten hinterher feststellen, dass es ihr gutgetan hatte. Seither setzte er sie stets hinter sein Schlagzeug, das er selbst seit Jahren nicht mehr angerührt hatte, wenn sie wütend war. So konnte sie sich auspowern und ihrer Aggression ein Ventil bieten, ohne dass Yoshiki um die Einrichtung fürchtete, da schnell einmal ein Glas oder ein Teller zu Bruch ging, wenn Ran sauer war… wahrscheinlich nur eine weitere Macke, die sie sich von ihm abgeschaut hatte. Mit dem konstanten Schlagen der Bassdrum im Ohr, ging er in die Küche und rief über Videotelefonie bei seinem kleinen Bruder zuhause an. Normale Telefone waren schon seit Jahren aus der Mode geraten und durch die kleinen Apparate ersetzt worden, die normalen Handys ähnelten. Es dauerte nicht lange und Kouki nahm ab. Wenn sich Yoshiki recht entsann, dann war er momentan sowieso alleine zuhause, da seine Ehefrau ihre Eltern in Hokkaido besuchte und erst am Sonntag zurück kommen würde. "Hey Großer, kann es sein das du etwas vermisst?“ „Yoshiki?!“ „Nein, der Weihnachtsmann! Also, vermisst du was?“ „Ist sie bei dir?“, fragte Kouki seufzend und strich sich durch die Haare. „Ja, sie ist vor ein paar Minuten hier aufgetaucht… sie war ziemlich wütend!“ "Kann ich mir vorstellen - sie ist schließlich völlig aufgebracht davon gerauscht…" "Sie will die Schule schmeißen und bei mir einziehen…" "Ich weiß… sie hat es mir höchstpersönlich ins Gesicht geschrien." Kouki sah verletzt aus. "Sie meint es nicht so… sie ist wütend, da sagen wir alle einmal Dinge, die wir nicht so meinen…" "Du hättest sie sehen sollen, Yoshiki… du wärst stolz auf sie gewesen!“ Auf diese Aussage hin schüttelte der ehemalige Schlagzeuger den Kopf und wollte etwas sagen, doch Kouki fuhr fort: „Wie sie dort stand, mit dieser blonden Mähne… der Blick in ihren Augen… es hat mich so sehr an dich erinnert… wenn man euch in etwas reinredet, das ihr euch bereits fest in den Kopf gesetzt habt, bekommt ihr beide diesen arroganten Ausdruck. Eure Augen schreien gerade zu ‚Ich lebe mein Leben und wage es ja nicht, mir da hineinzureden!‘…“ „Kouki…“ „Du wärst stolz auf sie gewesen, Yosh…“ Er klang traurig. „Kouki, sie meint das nicht persönlich… sie hat mich vorhin auch ziemlich blöd angemacht.“ „Wenn du für sie wegen des Wettbewerbs anrufst, dann kannst du ihr sagen, dass ich auf meiner Meinung beharre“, wechselte der jüngere der beiden Brüder das Thema abrupt. „Ich weiß, ich wollte eigentlich auch nur fragen, welche Haarfarben die Schule denn erlaubt.“ „Was?“ „Rede ich Chinesisch?“ „Nein, nur…“ „Kouki, ich kenne unseren Deal: Ran nimmt an dem Wettbewerb nur teil, wenn die Schule nicht darunter leidet. Ich habe nicht vor, daran etwas zu ändern… Chika und du seid ihre Eltern und legt die Regeln fest – danach richte ich mich. Also, welche Haarfarbe erlaubt die Schulordnung?" "Schwarz… und Braun wird auch noch geduldet" "Okay, das heißt, wenn ich sie dazu bringe, dass sie ihre Haare braun färbt, kann sie wieder in die Schule gehen und am Wettbewerb teilnehmen." "Theoretisch…" Kouki hatte so seine Zweifel, dass sein älterer Bruder damit Erfolg haben würde. "Mach dir keine Sorgen, am Montag sitzt sie wieder brav im Klassenzimmer… sag mal… Morgen ist doch eh Samstag… was hältst du davon, wenn sie übers Wochenende bei mir bleibt und ich sie Sonntagabend gegen 8:00 Uhr wieder zurückbringen. Somit habt ihr beide Zeit, euch etwas zu beruhigen und geht nicht gleich wieder aufeinander los. Außerdem können wir noch einmal für den Wettbewerb üben, du müsstest nicht herkommen und meinen Babysitter spielen, weil Ran ja da ist und ich stelle auch sicher, dass sie alle Schulaufgaben macht…" "Liebend gerne!" Die Aussicht auf einen Teenager-freies-Wochenende klang wirklich verlockend. "Und ich spiele nicht deinen Babysitter! Nur irgendwer muss ja schließlich nach dir schauen… wie geht es dir eigentlich?" "Geht schon, mach dir keine Sorgen", antwortete Yoshiki lächelnd und verschwieg die ganzen Schmerztabletten sowie die Tatsache, dass ihm jede Bewegung weh tat. Kouki seufzte nur, ließ es aber auf sich beruhen - die Diskussion über die Gesundheit seines Bruders hatte er schon zu oft geführt. So wünschte er ihm nur viel Spaß mit dem launischen Teenager und verabschiedete sich, um sein Wochenende ohne Ehefrau und Tochter zu planen. Yoshiki hingegen stand mühsam auf - das Schlimmste war stets das Hochkommen, wenn er länger gesessen oder gelegen hatte -, stellte das Telefon zurück in die Ladeschale und ging wieder zu Ran ins Arbeitszimmer. Sie hatte bereits vor ein paar Minuten aufgehört, auf das Schlagzeug einzuschlagen und saß nun auf dem Hocker, hatte die Hände auf den Knien abgestützt und versuchte erst einmal wieder zu Atem zu kommen. "Du bleibst vorerst hier", begrüßte er sie, als er sich auf das Ledersofa setzte, das gegenüber von den Drums stand. "Wirklich?!" Rans Augen leuchteten. "Ich bringe dich Sonntagabend zurück nach Hause." "Was?!" "Und für heute Abend bestelle ich noch meine Friseuse hierher, damit sie deine Haare umfärbt." "Das ist nicht dein Ernst!!" Es war nur zu deutlich, dass die 15-Jährigen die Idee ganz und gar nicht prickelnd fand und sich von ihm verraten fühlte. "Ran!" Er hatte ihre Namen mit einer gewissen Schärfe ausgesprochen, sodass sie zunächst inne hielt und nicht direkt in die Luft ging. "Du willst doch an dem Wettbewerb teilnehmen, oder?" Die Angesprochene nickte leicht mit dem Kopf und kaute auf ihre Unterlippe herum. "Gut, das geht aber nur, wenn du nach den Regeln deiner Eltern spielst." "Kannst du mich nicht einfach neu anmelden, wenn sie mich herausstreichen lassen?" Nur zu deutlich klang der Trotz in ihrer Stimme heraus. "Du bist minderjährig und ich bin nicht dein Vormund. Außerdem ist die Anmeldefrist längst verstrichen." "Ich will aber nicht…! Das ist Scheiße!" Bockig hatte sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt und die Unterlippe vorgeschoben. "Ran!" In Momenten wie diesen kam Yoshiki nicht umhin, sich zu fragen, ob er selbst als Teenager auch so ein sturer Esel gewesen war. Den Gedanken gleich wieder verwerfend, klopfte er leicht auf seine Knie, um seiner Nichte zu signalisieren, dass sie zu ihm kommen sollte, was sie nach kurzem Zögern auch tat. Eigentlich hatte er gedacht, dass sie sich neben ihm niederlassen würde, doch stattdessen setzte sie sich auf seine Knie und sah ihn direkt an. Ihr Gesicht, das vor einer Minute noch deutliche Wut widergespiegelt hatte, war nun ausdruckslos. Lediglich in ihren Augen konnte man den Widerstand sehen. „Ran, wir haben monatelang darauf hin gearbeitet und wenn ich die ganze Arbeit, die ich in dich hineingesteckt habe, in Geld umrechnen würde, dann käme wahrscheinlich eine ordentliche Summe zusammen… wenn du dich jetzt entscheidest, den bockigen, verzogenen Teenager zu spielen, dann machst du das alles zunichte. Dann hätten wir uns die letzten Monate sparen können – du hättest Party und was-weiß-ich machen können, während ich diverse Projekte hätte abschließen können.“ Seine Stimme war zwar leise wie immer, ihr fehlte jedoch nicht der gewisse Nachdruck, der schon so manchen Geschäftsmann dazu gebracht hatte, etwas anzuerkennen, was er sonst eher abgelehnt hätte. „Wenn du die verzogene Göre spielen willst, dann tu es, aber dann ist es, meiner Meinung nach, auch nur fair, wenn wir hier und jetzt den Klavierunterricht abbrechen. Als Manger und Produzent verlange ich von meinen Künstlern, dass ich mich auf sie verlassen kann und dass sie mir auf den Punkt 100% Leistung geben. Können sie das, ist es mir egal, was sie in ihrer Freizeit machen. Können sie es nicht, dann können sie noch so gut sein, aber sie sind mir keinen müden Yen wert.“ Yoshiki war zwar weder Rans Manager noch ihr Produzent und vielleicht war der Vergleich mit der Musikbranche etwas hart, aber die Message kam bei dem Teenager an. Ihre Augen weiteten sich vor Schock und sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich habe mit deinem Vater gesprochen… die Anmeldung bleibt bestehen, wenn du die Haare gemäß der Schulordnung umfärbst, Sonntagabend wieder zu Hause und Montagfrüh wieder im Unterricht bist. Wenn nicht… dann war’s das!“ Damit schob er den Teenager, der ihn nur aus großen Augen ansah und den Mund vor Erstaunen – oder war es Entsetzen? – leicht geöffnet hatte, auf die Coach und stand mühsam auf. Für einen Augenblick hielt er sich mit gekrümmten Rücken an dem Regal, das daneben stand, fest und richtete sich schließlich auf, um zur Tür zu gehen. „Warte!“ Er war schon halb aus dem Zimmer, als Ran aufsprang und mit wenigen Schritten bei ihm war. „Ich…“ Abwartend blickte er sie an, als sie scheinbar nach den richtigen Worten suchte. „Ich… es tut mir leid! Ich werde tun, was man von mir verlangt, aber bitte höre nicht auf, mit mir zu üben!“ Ran hatte sich tief verbeugt – eine Geste, die selbst Yoshiki etwas überraschte, da sie es selten tat. Das Mädchen hatte ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, manchmal wahrscheinlich hervorstechender, als gut für sie war. Oft genug sah sie sich deshalb als Ranghöher an, als sie es eigentlich war und deutete deswegen nur eine leichte Verbeugung an, obwohl man eigentlich von ihr erwartete, sie tiefer zu machen. „Meine Worte scheinen dann ja wohl bei ihr angekommen zu sein…“ „Bitte! Ich verspreche, dass deine Mühen nicht umsonst gewesen waren!“ „Gut, dann überleg dir, welchen Braunton du haben willst, ich rufe derweil meine Friseuse an.“ Es gab einfachere Dinge, als Rans Position zu ignorieren und einfach an ihr vorbeizugehen, aber so sehr er seine Nichte auch liebte und sie wohl auch verzog, es gab Momente, da musste sie ihren Platz lernen – Augenblicke, in denen er selbst hart bleiben musste, obwohl er sie viel lieber in die Arme geschlossen und ihr gesagt hätte, dass schon wieder alles in Ordnung kommen würde. „Hä?!“ „Hast du dir nie die Schulordnung deiner Schule durchgelesen? Schwarz oder braun steht da – und da nicht definiert ist, welches braun, dachte ich persönlich ja an eine schönes Hellbraun, damit dein Bleichen nicht völlig umsonst war!“ Yoshiki war stehen geblieben und hatte sich halb zu seiner Nichte umgedreht, die sich wieder aufgerichtet hatte und deren imaginären Fragezeichen nur zu deutlich sichtbar waren, und zwinkerte ihr zu. So würde sie auch verstehen, dass alles wieder im Reinen war und er weiter mit ihr Trainieren würde – nicht, dass er je ernsthaft vorgehabt hätte, je damit aufzuhören, aber der kleine, vorlaute Teenager musste schließlich nicht alles wissen. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie seinen Hintergedanken verstand: mit einem hellen Braun konnte sie ihre Direktorin und ihren Vater austricksen – es war nicht genau das, was sie sich vorgestellt hatte, kam dem aber immer noch näher als Schwarz oder Dunkelbraun. „Ich hol dir das Telefon!“ Damit rannte sie in Richtung Küche, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als Yoshiki sie rief, da ihm noch etwas gekommen war. „Ran, blöde Frage, aber schwanger bist du nicht, oder?!“ „Sag Nein! Sag Nein! Sag Nein!...“ „Wie kommst du bitte schön auf den Scheiß??“ Pures Unverständnis war aus ihrem Blick herauszulesen. „Ist mir vorhin nur so gekommen…“ Ihr Gesichtsausdruck war goldwert und auch wenn Kouki nun behaupten würde, sie hätte ihn von ihm abgeschaut, so konnte er definitiv bestätigen, dass sie den von ihrem Vater hatte. Derselbe Blick – ‚du hast ja wohl nicht alle Tassen im Schrank‘ – hatte er ihm schon sooft gegeben, wenn er sich einmal wieder über den Rat der Ärzte hinweggesetzt hatte. „Geh und hol das Telefon“, schmunzelte der Musiker nur und ging in Richtung Wohnbereich… ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Fortsetzung folgt... A grain of freedom ------------------ @ Asmodina: Danke schön – sowas hör/les ich natürlich immer gerne, auch wenn es mir die Latte für das nächste Kapitel recht hoch legt ;) @ Terra-gamy: Ich glaub, er wäre es gerne, aber zumindest in der Schulzeit hatte er damit seine Probleme – Direktor und Lehrer waren nicht immer begeistert davon, mit was für Haaren er aufkreuzte und laut seiner Bio wurden sie ihm mehr als einmal abrasiert, um u.a. auch seinen Willen zu brechen, aber das hat erst recht dafür gesorgt, dass er haartechnisch schon bald wieder gegen die Schulordnung verstieß ;) (wenn mich mein Hirn nicht komplett im Stich lässt, ist er irgendwann mal mit grünen Haaren angekommen) @ JaeKang: Haha, irgendwie les ich da ein paar „Schreib mehr!“ heraus ;) Hm… kannst Yoshiki ja mal via Twitter fragen, ob er dich adoptieren würde! Um ehrlich zu sein, mir ist Ran mit der Zeit auch richtig ans Herz gewachsen und sie als Teenager zu schreiben macht fast noch mehr Spaß als Klein-Ran. @ all: Sorry, dass es so lange gedauert hat, bis das nächste Kapitel kommt, aber ein unfreiwilliger Krankenhausaufenthalt, hat mich hochladetechnisch etwas aus dem Konzept gebracht. Ich hoffe euch gefällt das Kapitel und würde mich natürlich über eure Meinungen/Gedanken/oder was immer ihr anbringen wollt, freuen :) ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Nach einer aufwendigen Färbeaktion am Abend zuvor, erstrahlten Rans Haare an diesem Morgen in einem kräftigen hellbraun, dass von Strähnchen in verschiedenen Brauntönen unterbrochen wurde. Ein wenig vermisste sie ihre blonde Mähne noch, aber zumindest war sie um das verhasste Standartschwarz herumgekommen. Wie sollte man damit auch auffallen? Schließlich hatten alle Asiaten diese Haarfarbe… Yoshiki selbst war mit dem Werk, aber vor allem dessen Auswirkungen auch zufrieden. Den gesamten Morgen über hatte er mit Ran die verschiedenen Stücke für den Wettbewerb geübt. Nur zu gut konnte er sich noch an ihren Gesichtsausdruck erinnern, als er ihr gesagt hatte, dass er sie für einen der größten in Japan anmelden würde. Ab und an hatte er sie schon bei kleineren spielen lassen, aber dieser war eine andere Liga. Zunächst war sie nicht wirklich überzeugt gewesen, aber nachdem er ihr versichert hatte, dass er sie nicht spielen lassen würde, wenn sie nicht dazu bereit wäre, hatte sie eingewilligt. Die Zustimmung von ihren Eltern – oder viel mehr von ihrem Vater – zu bekommen, war da schon schwieriger gewesen. Ihre Mutter hatte sofort ihr Einverständnis dazu gegeben, sofern die Schule und das Ballett nicht darunter litten. Kouki hingegen war eine harte Nuss gewesen, denn vom ersten Wettbewerb an, den sie gespielt hatte, war er skeptisch gewesen. Sein größtes Anliegen war stets gewesen, dass seine Tochter eine normale Kindheit verleben konnte und niemand sie irgendwann als ‚den nächsten Yoshiki‘ ansehen würde. Doch je bedeutender die Veranstaltungen natürlich wurden, desto wahrscheinlicher war es selbstverständlich, dass Fachpresse anwesend war. Bei dem jetzigen war definitiv damit zu rechnen, weshalb es ihm erst recht schwer viel, sich dazu bereit zu erklären. Leider machte das Verhalten seiner Tochter die Lage nicht unbedingt einfacher… In gewissem Maße war ihr Onkel ihr Idol, dem sie nacheifern wollte und häufig hielt Kouki das nicht für die beste Idee. Weshalb er trotzdem zugestimmt hatte? Weil es verdammt schwer war, nein zu sagen, wenn man gleich zweimal mit dem Dackelblick bombardiert wurde und von links und rechts Beteuerungen erhielt, dass die Schule nicht leiden und Ran nicht der Presse ausgesetzt sein würde. Es freute Yoshiki stets aufs Neue, dass der gute alte Hundeblick noch immer bei seinem Bruder funktionierte… meistens. „Am Ende wird er auf seine alten Tage doch noch immun dagegen… oder er ist wegen Ran abgestumpft! Fuck, am Ende ruiniert die Kleine noch meine beste Strategie gegen Kouki…!“ Während einer Pause im Training war Ran dann kurz in ihr Zimmer verschwunden, war danach aber breit grinsend zurückgekommen. Weshalb wusste Yoshiki nicht, aber er hatte auch nicht weiter nachgefragt. Nun, da sie zu Mittag gegessen hatten – seine Haushälterin war im Urlaub, aber im Gegensatz zu ihm konnte seine Nichte mehr als nur Instantnudeln kochen – und gerade dabei waren das Schmutzgeschirr in den Geschirrspüler zu packen, konnte er hören, wie die Haustür von außen geöffnet wurde. Es überraschte ihn, da er niemanden von seinem Staff herbestellt hatte und nur dieser, außer Kouki, Toshi und Ran, den Schlüssel zur Villa hatte. „Boss?!“ Umso erstaunter war er nun, als er die Stimme von einem seiner Leibwächter hörte. „Takumi?“ „Du bist früh da!“, begrüßte Ran ihn und umarmte den Bodyguard kurz. Für sie war er mehr oder weniger ein Teil der Familie, da sie praktisch mit ihm aufgewachsen war, weil er bereits seit über zehn Jahren für ihren Onkel arbeitete. „Bin gut durchgekommen“, war die lapidare Antwort. Takumi war etwas größer als sein Chef, hatte schwarze, kurze Haare und die Muskeln, die durch das enganliegende Shirt sichtbar waren, waren Zeugen des täglichen Trainings, das er seit etwa 15 Jahren machte. Eigentlich war er der Sohn eines langjährigen Geschäftsfreundes von Yoshiki, der ihn vor Jahren gebeten hatte, seinen Sprössling unter die Fittiche zu nehmen und ihm sein rowdyhaftes Verhalten auszutreiben. So war der damals 18-Jährige bei Dan gelandet, der zu Beginn nicht erfreut gewesen war, Babysitter zu spielen. Nachdem die anfänglichen Unstimmigkeiten aus dem Weg geschafft worden waren, hatte sich gezeigt, dass der Junge deutlich umgänglicher war, wenn er die überschüssige Energie beim kräftezehrenden Training der Bodyguards loswurde. Da er Gefallen daran gefunden und Dan ihn letztendlich ins Herz geschlossen hatte, hatte der ehemalige US-Soldat dem Musiker nahe gelegt, sich zu überlegen, ob er ihn nicht fest anstellen wollte… „Was hast du mit meiner Security zu schaffen, Ran?“ Irgendetwas war im Busch, dessen war sich Yoshiki sicher – er wusste nur noch nicht was. Eine Tatsache, die ihm gar nicht gefiel, da er nur ungerne im Dunkeln tappte. „Top secret!“, war die einzige Antwort die er erhielt – zusammen mit einem breiten Grinsen von seiner Nichte und einem Schmunzeln von Takumi. „Wo ist Dan?“ „Vor Ort, bereitet alles vor.“ „Was bereitet er vor?“, klinkte sich der Pianist, der sich gegen die Arbeitsplatte gelehnt hatte, neugierig ein und hoffte so, etwas in Erfahrung bringen zu können. „Sorry Boss, aber ich habe ein Schweigegelübte abgelegt“, grinste der Bodyguard unschuldig. „Ran?!“ Die Angesprochene zuckte jedoch nur mit den Schultern und hatte sichtlich ihren Spaß dabei, ihren Onkel so zappeln zu sehen – normalerweise war es immer umgekehrt, weil er sich weigerte ihr ihre Überraschungen zu verraten. „Seit wann hast du Kontrolle über mein Personal?“ „Hmh…“ Der Teenager starrte scheinbar gedankenverloren an die Decke und tippte mit ihrem Zeigefinger an ihre Lippen, „… ich glaube, seit ich sowas wie weibliche Reize habe…“ „Ran!!“ Der Gedanke alleine genügte, dass er bereits am Überlegen war, Kouki eine katholische Klosterschule für seine Tochter vorzuschlagen. Vielleicht reagierte er über, aber die Vorstellung, dass sich seine Nichte anrüchig verhalten würde…für ihn war sie schließlich immer noch das kleine Mädchen - auch wenn sie sich in den letzten beiden Jahren definitiv zu einer jungen Frau entwickelt hatte! „Keine Sorge, Boss!“, tat Takumi es lachend ab, „sie hat Dan angerufen, ihm ihre Idee unterbreitet, er fand sie klasse und deshalb spielen wir heute ausnahmsweise einmal nach den Regeln der Kleinen.“ „Bin nicht ‚klein‘“, schmollte der Teenager gespielt beleidigt vor sich hin, wurde jedoch von beiden Männern ignoriert. „Und was ist mit Üben, Ran?“ „Das haben wir doch bis heute Früh um eins und den ganzen Vormittag. Den Nachmittag über machen wir jetzt, was ich sage und abends spiele ich wieder.“ Eine dreiviertel Stunde und zahlreiche weitere, gescheiterte Versuche seitens Yoshiki, herauszufinden was los war, später, saßen alle im Wagen und Takumi fuhr sie in Richtung ‚Überraschung‘. „Willst du wissen, was wir machen?“, hatte Ran schließlich Erbarmen mit ihm und grinste ihn unschuldig an. „Ja!“ „Okay…“ Der Teenager machte absichtlich eine Kunstpause und hatte sichtlich Spaß daran, ausnahmsweise einmal ihren Onkel zappeln zu sehen. „Ran!“ „Also… ich bin neulich alte Fotoalben zuhause durchgegangen und da hab ich ein paar interessante Bilder gesehen…“ Eine hochgehobene Augenbraue à la Mr. Spock war Yoshikis einzige Reaktion darauf. „… einmal waren es Kinderbilder von dir und Papa, wo ihr auf Ponys geritten seit…“ Dumpf erinnerte sich der Musiker daran, dass seine Tante nach dem Tod ihres Vater gedacht hatte, es wäre eine schöne Idee, mit den Jungs ein paar Tage auf einem Ponyhof zu verbringen, damit sie abgelenkt waren. Viele Erinnerungen hatte er nicht mehr daran – nur, dass Kouki fürchterlich gestunken hatte, als er ihn einmal in den Misthaufen geschubst hatte. „… und andere Bilder haben euch als Erwachsene gezeigt, wie ihr auf Pferden an einem Strand langgeritten seid…“ „Das muss in Los Angeles gewesen sein… eine von meinen Ex ist liebend gerne geritten, also habe ich auch ein paar Stunden genommen und als dein Vater dann einmal da war, sind wir ans Meer geritten…“ „… und ich hab ein wenig im Internet recherchiert und da steht, dass Reiten bei Bandscheibenvorfällen helfen könne. Also habe ich mir von Papa die Nummer deines behandelnden Arztes ‚ausgeliehen‘ und den danach gefragt. Und der meinte, solange du nicht springst und es ruhig angehst, spricht nichts dagegen.“ „Du willst reiten gehen?“ „Ja. Im Internet habe ich einen Reiterhof gefunden, wo man Pferde ausleihen und mit ihnen ausreiten kann, wenn jemand dabei ist und sie führt. Danach habe ich Dan angerufen, ihm die Idee erklärt und er hat versprochen sich um alles zu kümmern und dicht zu halten. Heute Vormittag habe ich ihn dann angerufen, um zu fragen, ob es klar gehen würde, wenn wir das heute machen und er hat grünes Licht gegeben!“ Reiten… seine Nichte wollte reiten gehen? Wie sollte er denn in seiner momentanen Verfassung auf ein Pferd kommen? Wahrscheinlich würde er vor Schmerzen ja nicht einmal den Fuß weitgenug hochheben können, um auch nur in die Nähe des Steigbügels zu kommen. Andererseits… wenn er erst einmal oben wäre, wäre es sicherlich angenehm einmal wieder etwas schneller unterwegs zu sein und nicht nur vor sich hinzuschleichen. Wären zwar eigentlich die Füße des Pferdes und nicht seine, aber trotzdem… „Schlechte Idee?“, fragte Ran zögernd, als sich Yoshiki nicht dazu äußerte und einfach nur gedankenverloren vor sich hinblickte. „Nein, ich freue mich darauf“, antwortete er lächelnd und umarmte sie kurz, soweit das mit Sicherheitsgurten möglich war. Es dauerte noch eine knappe Stunde, ehe sie endlich die Metropolregion Tokyo hinter sich gelassen hatten und an dem Hof ankamen, wo Dan bereits mit zwei gesattelten Großponys auf sie wartete. Beides waren Fjordpferde, deren Stockmaß nicht einmal die 150cm erreichte und die den Eindruck machten, als würden sie vor sich hin dösen. Ihre Größe würde es zumindest Yoshiki einfacher machen aufzusteigen… „Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte sie Dan und sprang von seinem bisherigem Sitzplatz, dem Anbindepfosten herunter, „wir können gleich los! Reithelme habe ich auch schon für euch organisiert – ich hoffe sie passen.“ Er hob zwei schwarze Helme vom Boden hoch und reichte jeweils Yoshiki und Ran einen, die sie aufsetzten. „Sollte passen“, meinte der Musiker und machte seinen Kinnriemen noch etwas fester, ehe er zu dem Pferd ging, das ihm am nächsten war und welches mit den Ohren wackelte, als es ihn näherkommen hörte. Sanft strich er einmal über das beigefarbene Fell am Hals und hielt ihm dann die Hand vor die Nüstern, damit es seinen Geruch aufnehmen konnte. Ran hatte das Ganze aus einer gewissen Entfernung beobachtet und trat nun zögernd an ihr eigenes Pony, um ihren Onkel nachzuahmen. Als der Norweger jedoch spielerisch mit der Oberlippe nach ihren Fingern schnappte, wich sie sofort erschrocken zurück. „Erstes Mal?“, fragte Dan amüsiert, der hinter sie getreten war und ihr beruhigend die Schulter drückte. Er selbst war auf einer Ranch in Texas aufgewachsen – der Umgang mit Pferden lag ihm also im Blute. Umso interessanter war es nun für ihn zu sehen, wie ein Stadtmensch wie Ran erschrocken vor der spielerischen Annäherung eines kleinen Ponys zurückwich. Behutsam machte er sie mit dem Fjordpferd bekannt und half ihr dann beim Aufsteigen, während Yoshiki schon längst auf seinem eigenen saß. Hochgekommen war er allerdings nur, weil Takumi ihn mit der Räuberleiter mehr oder weniger hochgehoben hatte. Es war Jahre her, dass er geritten war, doch er erinnerte sich schnell wieder an das einmal Gelernte: Rücken gerade, Schultern zurück, Fersen nach unten und Zehnspitzen nach innen. Zum Bedauern des Pianisten nahm Takumi ihm die Zügel aus der Hand und führte das Pony vom Hof in Richtung eines kleinen Wäldchens, während ihnen Dan mit Rans folgte und kurz darauf neben ihnen ging. Yoshiki warf einen kurzen Blick auf seine Nichte, die sich krampfhaft am Horn des Westernsattels festhielt. Er sagte jedoch nichts, da es sich Dan offensichtlich schon zur Aufgabe gemacht hatte, der blutigen Anfängerin ein paar Grundlagen beizubringen. Somit beugte er sich im Sattel nach vorne, bis seine Wange den warmen Hals seines Ponys berührte und tätschelte eben jenen auf der anderen Seite mit der Hand, während er die Augen schloss und die Bewegungen des muskulösen Körpers unter sich wahrnahm und spürte, wie sie sich in seine Muskeln fortsetzten. „Alles okay?“, fragte Takumi leicht besorgt. Wie Ran hatte auch er nicht wirklich Ahnung vom Reiten. „Mhm…“, brummte Yoshiki und verharrte in dieser Position, während sein Bodyguard das Pferd weiter über den Waldweg führte, welches eifrig auf seiner Trense herum kaute und dessen Ohren aufmerksam gespitzt waren. Auch das von Ran lauschte den Geräuschen des Waldes und schnaubte immer wieder, beziehungsweise stupste mit dem samtigen Mehlmaul öfters in Dans Seite, da es genau riechen konnte, dass er in der Tasche Leckerchen verstaut hatte. Ran war das Gebaren ihres Ponys nicht so geheuer, Dan hingegen schlug nur immer wieder lachend sanft den neugierigen Kopf weg. „Hey, Takumi, kannst du mir mal die Zügel überlassen?“, fragte Yoshiki und richtete sich auf. War ja schön und gut, hier durch die Gegend zu zuckeln, aber das konnte er auch ohne Reittier. „Ich weiß nicht so recht…“, äußerte dieser und blickte fragend zu Dan hinüber. „Lass ihn, er ist ein ganz passabler Reiter!“, gab dieser sein okay, erinnerte seinen Boss aber daran, was dieser schon von Ran gesagt bekommen hatte: es langsam angehen, nicht springen und es auf keinen Fall übertreiben! „Ja, ja“, war Yoshikis einzige Antwort darauf, als Takumi die Zügel losgelassen hatte und er sie nun aufnahm. Augenblicklich konnte er spüren, wie sich der Körper unter ihm erwartungsvoll anspannte – anscheinend hatte das Pony nichts dagegen, den gemütlichen Waldspaziergang gegen etwas Action einzutauschen. Er verkürzte die ledernen Zügel, übte auf den runden Bauch des Norwegers stärkeren Schenkeldruck aus und augenblicklich beschleunigte es seine Gangart. Es trabte einige wenige Schritte, ehe es in einen kraftvollen Galopp wechselte. Im Hintergrund konnte Yoshiki noch hören, wie Ran wegen irgendetwas erschrocken aufquietschte, doch dann hörte er nur noch das gleichmäßige Trappeln der Hufe auf dem Waldboden. Er hatte sich in dem Westernsattel nach vorne gebeugt und berührte mit seinem Oberkörper fast die helle, kurzgeschnittene Stehmähne, um weniger Luftwiderstand zu bieten. Während der Pianist davon galoppiert war, hatte Rans Pferd seinem Herdendrang folgen wollen und war ebenfalls – sehr zum Schreck seiner Reiterin – angetrabt. Da Dan jedoch die ganze Zeit die Zügel in der Hand gehabt hatte, hatte er es schnell zum Stillstand gebracht. „Ich will runter!!“ Ran sah ziemlich kläglich aus, wie sie dort oben saß und sich krampfhaft an dem Horn festklammerte. „Er macht doch nichts – er ist ein ganz lieber“, versuchte der Bodyguard sie umzustimmen und deutete auf ihr Pony, das nun entspannt dastand und vor sich hindöste, während es darauf wartete, dass sein Kamerad zurückkommen würde. Das Nervenbündel auf seinem Rücken schien ihn nicht die Bohne zu interessieren. „Hol mich hier runter!“ „Wie wäre es mit einem Deal? Ich setz mich hinter dich – dadurch habe ich eine bessere Kontrolle über ihn und du kannst dich an mir festhalten…“ „… aber nur ganz langsam! Nicht so schnell wie Yoyo gerade eben!“ „Wir reiten schön gemütlich im Schritt, versprochen“, lächelte der Bodyguard sie aufmunternd an. „Kann das Pony euch beide überhaupt tragen?“, wollte Takumi skeptisch wissen, als der andere mühelos hinter Ran auf den Rücken sprang und unter ihren Armen hindurch dann nach den Zügeln griff. „Schau dir doch mal den Körperbau an – der Junge ist kräftig! Klar, auf die Dauer würde ich es nicht machen, aber über einen kürzeren Zeitraum geht das schon. Und wenn es ihm zu viel wird, wird er es uns schon sagen!“, entgegnete er lachend und gab dem Pony mit leichtem Schenkeldruck zu verstehen, dass es angehen sollte. Sie waren noch nicht lange unterwegs – Takumi ging neben her – als Yoshiki auf sie zugaloppiert kam und erst kurz vor ihnen sein Gewicht nach hinten verlagerte, leicht an den Zügeln zog und seinen Norweger mit einem kurz „Brr“ dazu brachte die Geschwindigkeit zu verlangsamen. Er wendete und brachte sein Pferd dann links von Rans. Die ganze Zeit über zierte sein Gesicht ein breites Grinsen, was dazu führte, dass sich seine Nichte und seine Bodyguards unbemerkt von ihm verschwörerisch zuzwinkerten. Über die Jahre hinweg war sein Lachen eine Rarität geworden – zumindest dieses ehrliche, das man auch in seinen Augen sehen konnte. “Is everything alright?“, fragte Dan und musterte ihn kurz – das Letzte, das er wollte, war, dass dieser kleine Ausflug am Ende noch schädliche Folgen auf Yoshikis ohnehin schon angeschlagene Gesundheit hatte. “I’ve never felt any better! Why are you sitting on Ran’s pony? Too lazy to walk?“ “She thinks horseback riding’s scary.“ „Unheimlich?“, lachte der Musiker auf, „das sind doch gemütliche Ponys und keine überzüchteten Vollblüter, die chronisch schreckhaft sind!“ Ran, deren Englisch im Vergleich zu vor 10 Jahren schon recht gut war, was nicht zuletzt daran lag, dass sie öfter mit Yoshiki oder Dan in jener Sprache redete, hatte natürlich die komplette Unterhaltung verstanden und zog daraufhin nur eine Schnute, während sie sich entschloss, ihren Onkel einfach zu ignorieren. Somit wandte sich dessen Aufmerksamkeit Takumi zu, der schweigend, nebenher gelaufen war. „Was ist? Willst du eine Mitreitgelegenheit?“ „Nein danke, ich bevorzuge meine eigenen zwei Beine!“ „Angst?“, neckte Yoshiki ihn und grinste breit. „Wenn ich ‚Ja‘ sage, werde ich es dann bis an mein Lebensende zu hören bekommen?“ „Ja!“ „Dann ‚Nein‘!“ „Mein Bodyguard, der für mich eine Kugel abfangen würde, hat Angst vor einem kleinen Pony?!“, zog Yoshiki ihn lachend auf, doch wie Ran so beschloss auch er, ihn schlichtweg zu ignorieren. Wenn es bedeutete, dass der Boss endlich mal wieder völlig ausgelassen war, dann würde er damit leben können. Stunden später, es war schon Abend und die Dämmerung hatte längst eingesetzt, waren der Musiker und seine Nichte wieder zu Hause. Auf dem Rückweg hatten sie noch bei einem Italiener halt gemacht und eine Familienpizza mitgenommen, die nun zwischen ihnen lag, während sie auf dem Boden auf Sitzkissen saßen und die Nachrichten verfolgten. „Danke für heute Nachmittag, Ran“, durchbrach Yoshiki plötzlich die Stille zwischen ihnen und zog sie mit einem Arm ein wenig zu sich, um sie über den Pizzakarton hinweg umarmen zu können. „Keine Ursache“, tat sie es lächelnd ab und erwiderte die Geste. „Na, ich weiß nicht… du schienst dich nicht sonderlich wohl gefühlt zu haben, auf einem Ponyrücken zu sitzen…“ So angespannt wie sie die ganze Zeit gewesen war und wie sie jedes Mal erschrocken aufgequiekt hatte, wenn ihr Pferd etwas Unvorhergesehenes getan hatte, ahnte er, dass sie Angst vor den Huftieren hatte. „Ich hatte zuerst überlegt, Papa mit dir zu schicken… aber so, wie er dich immer in Watte packt, wäre er wahrscheinlich trotz des grünen Lichtes deiner Ärzte dagegen gewesen… also bin ich mit.“ „Kouki wusste nichts…?“ „Nein – Dan und Takumi sind die einzigen.“ „Danke Ran, ich weiß das zu schätzen!“ Sie wusste nur zu gut, wie sehr er es hasste, wenn ihr Vater ihn begluckte – er meinte es nur gut, aber es machte ihn wahnsinnig. „Schon gut – ich war froh, dich mal wieder richtig ausgelassen zu sehen…“ „Mich richtig ausgelassen zu sehen?“, wiederholte er und sah sie verwirrt an. „Seit X nicht mehr ist… und das mit deinen Bandscheiben immer schlimmer wird… du hast dich verändert… wir haben das alle bemerkt… und… ich kann es auch irgendwo nachvollziehen und verstehen… aber manchmal, da fehlt mir der alte Yoyo“, erklärte Ran leise und blickte rasch weg, nur um dann aufzustehen und zum Flügel zu gehen. „Ich sollte noch üben, nachdem ich den ganzen Nachmittag über nichts getan habe!“, äußerte sie und setzte sich auf die gepolsterte Bank und sortierte ihre Notenblätter, die voller Notizen waren, während Yoshiki ihr nur überrascht hinterher blickte und dann den Fernseher ausschaltete. Mühsam und unter Schmerzen richtete er sich auf und setzte sich auf das Sofa, wo er die Augen schloss und seiner Nichte erst bei ihren Fingerübungen und später bei ‚Nocturne‘ und ‚Tears‘ zuhörte. Seine Gedanken waren jedoch nicht wirklich bei ihrem Spiel sondern mehr bei dem, was sie gesagt hatte. Hatte er sich wirklich so verändert? X JAPAN ein weiteres Mal zu beenden war schwer gewesen, doch zu wissen, dass er die Bühne für immer verlassen würde, war noch viel schmerzhafter gewesen. Aber in Anbetracht seiner Gesundheit war es die einzig logische Schlussfolgerung gewesen. Hätte er nicht solch eine Angst vor den möglichen Konsequenzen jener OP, die ihm so helfen würde und hätte er sie schon vor Jahren machen lassen, würde es X JAPAN, sein Leben, seine Antriebskraft, noch geben? Wahrscheinlich… Toshi hatte ihm damals versprochen, solange mit ihm auf der Bühne zu stehen, wie er es tun würde. Pata und Heath hatten ähnliches geäußert, während Sugizo ihm zugesichert hatte, sie so lange zu unterstützen, wie sie es wollten. Er vermisste nicht unbedingt den Pressetrubel, doch ihm fehlte die Bühne furchtbar. Aber andererseits… jeder Star stand irgendwann an dem Punkt, wo er aus dem Rampenlicht treten und Platz für die nächste Generation machen sollte. Nach X‘ Trennung 1997 hatte er eine junge Indieband namens Dir en Grey unter seine Fittiche genommen und sie hatten das geschafft gehabt, wovon X JAPAN jahrelang geträumt hatte. Er hatte mit seinen eigenen Augen gesehen, wie aus einem kleinen Kind, das Potential hatte, eine vielversprechende Pianistin geworden war, die einiges an Talent mitbrachte, wenn sie sich denn am Riemen riss und dieses selbst erkannte. „Was meinst du?“, riss ihn Rans Stimme aus seinen Gedanken. „Hm? Was meinst du?“ „‘Tears‘!“ „Sorry, ich hab grad nicht zugehört…“ Ran spürte, dass etwas in der Luft lag, denn es war ungewöhnlich, dass ihr Onkel nicht mithörte, wenn sie spielte – gerade bei ‚Tears‘… da hatte er sie bisher noch immer kritisiert! „Wenn es wegen dem ist, das ich vorhin gesagt habe… es war in keiner Art und Weise böse gemeint!!“ „Ich weiß, Ran-tan“, antwortete Yoshiki und lächelte sie sanft an, „warum gehst du nicht ins Bett? Es ist schon spät… und dein Vater killt mich, wenn er spitz kriegt, dass du meine Schlafgewohnheiten übernimmst.“ „Okay…“ Normalerweise hätte sie argumentiert, dass sie kein kleines Mädchen mehr war – schließlich war es erst kurz nach 22:00 Uhr, aber etwas sagte ihr, dass es im Moment besser wäre, ihren Onkel alleine zu lassen, wenn es das war, was er wollte. Sie ging kurz zu ihm, wünschte ihm eine gute Nacht, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging dann in ihr Zimmer. Anstatt jedoch direkt schlafen zu gehen, las sie erst noch ein wenig und machte erst über eine Stunde später das Licht aus. Von draußen konnte sie hören, wie Yoshiki auf dem Flügel spielte – zum Teil erkannte sie die Stücke, zum Teil schien er auch einfach nur zu improvisieren. Es machte ihr nichts aus, ihn spielen zu hören, doch schlafen konnte sie trotz allem nicht – das lag jedoch viel mehr daran, dass ihre eigenen Gedanken nun um das kreisten, was sie ihrem Onkel gesagt hatte… Nachdem sie sich eine gefühlte Ewigkeit hin und her gewälzt hatte, entschied sich Ran aufzustehen und sich aus der Küche ein Glas Wasser zu holen. Barfuß ging sie dorthin und holte sich etwas zu trinken. Auf dem Rückweg blieb sie jedoch im Wohnbereich stehen und lauschte der Melodie, die Yoshiki spielte – es war etwas, das sie schon als Kind gerne getan hatte. Als sie einmal mit Masern krank zuhause gewesen war, war er vorbei gekommen und hatte ihr den ganzen Nachmittag über etwas auf dem Klavier, das er ihr geschenkt hatte, vorgespielt, während sie in eine Decke eingekuschelt auf der Couch gelegen und gelauscht hatte. Erst als er zu spielen aufhörte und die Augen öffnete, die er die ganze Zeit geschlossen gehabt hatte, registrierte er seine Nichte und sah sie überrascht an, die da in kurzen Shorts und einem lockerem Top stand und ein Glas in der Hand hielt. „Solltest du nicht schlafen?“ „Kann nicht“, erwiderte sie und kam zu ihm, während er aufstand und kurz innehielt, als er wieder nur zu deutlich seinen Rücken spürte. Im nächsten Augenblick nahm er auch schon wahr, wie Ran ihm einen Arm um die Taille legte und ihm half. Dankbar stützte er sich mit einem Arm auf ihren zierlichen Schultern ab und ließ sich von ihr zum Sofa führen. Im Gegensatz zu ihrem Vater machte sie nie großes Aufheben um die kleinen Hilfen, die sie ihm bot, sodass es ihm einfacher fiel, seinen Stolz für einen Moment zu vergessen und sie anzunehmen. Sie beide setzten sich, wobei es sich seine Nichte quer auf seinem Schoß bequem machte, sich mit dem Kopf an seine Brust kuschelte und in einer Hand noch immer ihr Glas Wasser hielt, während sie aufpasste, dass sie es nicht verschüttete. Lächelnd schlang Yoshiki einen Arm um sie, um ihren Rücken ein wenig zu stützen und hauchte einen Kuss auf ihren Kopf. „Meinst du nicht, dass du dafür langsam zu alt wirst, alte Schmusekatze?“ „Sagt der Richtige – bist doch selber ein alter Schmusekater!“, entgegnete Ran grinsend. „Also, weshalb kannst du nicht schlafen? Ich hoffe, es sind nicht wieder irgendwelche Monster… Gackt ist nämlich auf Okinawa und Sugizo ist bei seiner Tochter in LA!“ „Keine Sorge“, antwortete sie lachend, angesichts der Erinnerung an eine ihrer ersten Nächte bei ihrem Onkel. „Also?“ „Keine Ahnung“, log sie, „vielleicht färbst du tatsächlich ab…!“ „Lass das nur deinen Vater nicht hören!“ „Ich hatte nicht vor, meinen Lieblingsonkel in nächster Zeit zu töten…“ „Du hast nur einen Onkel!“ „Na um so wichtiger, dass ich ihn noch eine ganz lange Zeit an meiner Seite habe!“ Rans letzte Aussage traf einen Punkt, über den Yoshiki schon länger nachgedacht hatte – so auch wieder vorhin, als er gespielt hatte. Dass sein Körper immer mehr abbaute, hatte schon vor ein paar Jahren dazu geführt, dass er sich um ein Thema besonders Gedanken gemacht hatte… „Ne Ran, kann ich dich etwas fragen?“ „Schon wieder, ob ich schwanger bin?“ „Nein, etwas anderes“, antwortete er lachend und wuschelte ihr durch die neuen, braun gefärbten Haare. „Schieß los!“, forderte sie ihn auf und setzte sich so, dass sie ihm in die Augen blicken konnte. „Ich verlange keine sofortige Antwort, okay? Ich möchte nur, dass du es dir durch den Kopf gehen lässt und mir dann eines Tages deine Entscheidung mitteilst. Und ich möchte, dass du sie unabhängig von dem triffst, was ich davon schlussendlich halten werde, okay?“ „Okay…“ Ran klang etwas skeptisch – das klang, als würde es etwas Ernstes sein. „Ich möchte dir gerne Extasy Records, Platinum Records, Japanese Music Agency und alle damit verbundenen Tochterfirmen, etc. eines Tages übergeben.“ „Was?!“ „Ich werde irgendwann sterben, Ran – machen wir uns nichts vor – und ich möchte, dass du die Unternehmen in meinem Sinne weiterführst…“ Der Teenager war unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. „Mama hat damals den Familienbetrieb verkauft, damit ich Extasy gründen konnte… damit hat alles angefangen… ich würde es nur ungerne in fremde Hände geben, sondern in der Familie belassen. Aber seien wir ehrlich, dein Vater ist im Geschäftlichen zwar gut, aber was den musikalischen Part anbelangt ist er ein hoffnungsloser Fall. Und du, Ran, warst für mich schon immer ein wenig sowas wie die Tochter, die ich nie hatte… Kouki hört es vielleicht nicht gerne, aber es gibt Momente, da kann ich mich in dir sehen… dasselbe Talent, dieselbe Hingabe zur Musik, derselbe Dickschädel…“ Lächelnd drückte er den Teenager an sich. „Du willst also, dass ich… wenn du tot bist…“ Die Vorstellung von Yoshikis Tod gefiel ihr überhaupt nicht. „Es ist deine Entscheidung, Ran! Ich möchte nicht, dass du die Firmen aus Verpflichtung annimmst, sondern, weil du dich selbst in Extasy wiederfinden kannst. Ich will ehrlich mit dir sein, die Chefetage ist immer noch zum Großteil Männerdomäne – du müsstest dir deinen Platz erkämpfen, selbst wenn du die Geschäftsführerin bist. Und was du übernehmen würdest, wären nicht nur die Firmen, sondern auch alle Lizenzen und Rechte an allen Songs, die ich besitze – das ist einerseits eine große Verantwortung und andererseits ein stattliches Vermögen, für das du verantwortlich wärst. Es ist viel, das weiß ich, aber wenn du dich eines Tages dafür entscheidest, werde ich dir alles zeigen, dich einarbeiten und dir alles weitergeben, was ich über das Business weiß. Wenn du dich dagegen entscheidest, dann akzeptiere ich das und werde eine andere Lösung finden…“ Yoshikis sachliche Ausführungen wurden von einem Schniefen unterbrochen, das ihn innehalten ließ. „Ran? Weinst du?“ „Was soll ich denn tun, wenn du über deinen eigenen Tod redest?“ Rasch stellte sie das Glas auf den Tisch und wischte sich dann mit beiden Händen über die Wangen. „Idiot, ich rede doch nicht davon, dass ich vorhabe, morgen ins Gras zu beißen!“, lachte der Pianist und drückte sie eng an sich, ehe er den Griff lockerte und einen flüchtigen Blick auf die Uhr warf. „Es ist schon spät, wir sollten beide ins Bett…“ „Kann ich bei dir schlafen?“, fragte Ran schniefend. „Du bist keine fünf mehr…“ „Bitte!!“ „Okay, meinetwegen“, gab Yoshiki schließlich nach und gab ihr einen leichten Klaps damit sie von ihm runterging und er aufstehen konnte. ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Fortsetzung folgt... Shock ----- @ Asmodina: Nicht nur dir… mir auch! @ JaeKang: Keine Sorge, dass Yoshiki so sachlich über seinen eigenen Tod gesprochen hat, war eigentlich nur reiner Selbstschutz – spätestens im letzten Kapitel wird klar, dass er das Ganze doch nicht ganz so gelassen sieht ;) @ Kaoru: Nicht alle Ponys sind Lebensversicherungen auf vier Hufen, aber mein Lieblingsmehlmäulchen war z.B. so eines :) Warum ich Harmonie gern mit was Düsterem verbinde? Wird doch langweilig, wenn immer nur alles rosa-rot ist – außerdem liebe ich Drama! Latein? Gott, weißt du was du mir da antust… heißt das sowas wie „Der Tod ist gewiss, die Stunde ist ungewiss“?? *Latein zusammenkratz* @ Terra-gamy: Ich glaub die Umarmung und „Alles wird gut“ könnte noch das ein oder andere Mal angebracht sein^^; @ all: Nachdem das letzte Kapitel so ewig lang gebraucht hat, bin ich eine liebe Autorin und lad jetzt schon das nächste und auch schon vorletzte Kapitel hoch. Viel Spaß damit!!^^ ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Am nächsten Morgen, löste Yoshiki nach dem Frühstück erst einmal sein Versprechen gegenüber seinem kleinen Bruder ein und sorgte dafür, dass Ran ihre Hausaufgaben machte. Der Teenager war nicht wirklich begeistert davon – erst recht nicht von der Aussicht seitenweise Imparfaitformen für Französisch zu lernen, aber der Hinweis, sie könnte sie schließlich beim geplanten Shoppingtrip in Paris gebrauchen, waren dann doch Ansporn genug. Als es jedoch um die Chemiehausaufgabe und irgendwelche Redoxgleichungen ging, stiegen beide Hayashis aus. „Warum weißt du das nicht?!“ „Weil ich das immer von Tosh abgeschrieben habe…“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, da hielt ihm seine Nichte auch schon ihr Handy unter die Nase. „Kurzwahl 5!“ Kurz sah Yoshiki sie mit hochgezogener Augenbraue an, nahm dann aber das Mobiltelefon und rief seinen besten Freund via Videotelefonie an. Dieser schien noch beim Frühstücken zu sein – zumindest hielt er eine große Tasse Kaffee in der Hand, als er den Anruf entgegen nahm. „Was gibt es?“ „Du musst mir bei Rans Chemiehausaufgaben helfen!“ „Wieso machst du ihre…?“ „Weil ich keinen Plan von dem Zeugs habe!“, fiel ihm die 15-Jährige ins Wort und sah ihn bettelnd an. „Und ich habe es auch immer nur von dir abgeschrieben!“, fügte Yoshiki hinzu und setzte einen ähnlichen Blick auf. „Und ihr beide meint, ich erinner mich nach all den Jahren noch daran?!“ Toshi schien gegen die Hundeblicke, die er erhielt, mehr oder weniger immun zu sein. „Du warst der Oberstreber der Klasse“, war die lapidare Antwort des Pianisten darauf. „Also?“ „Worum geht es?“, gab sich der Sänger geschlagen und stellte die Tasse weg. „Redoxgleichungen… keine Ahnung, was das sein soll…“ „Irgend so ein Zeugs reagiert mit was anderem und wir sollen so dämliche Gleichungen aufstellen. Keinen Plan wozu man das braucht – ich konnte bisher sehr gut ohne den Scheiß leben und habe dabei nichts verpasst!“ „Les mal vor…“ „Iodat-Ionen reagieren mit Sulfit-Ionen zu Iod und Sulfat-Ionen in saurer Lösung“, erläuterte Ran die Aufgabenstellung. „Was ist das eigentlich für ein Zeugs? Iod sagt mir ja noch was – das ist doch im Salz immer drinnen, oder? … Aber dieses Sul-irgendwas…?“ „Hast du chemische Formeln angegeben, Ran?“, fragte Toshi und ignorierte Yoshikis Kommentare. „Ja…?“ „Gut, dann bildest du daraus deine beiden Gleichungen, schaust, dass sie im Gleichgewicht sind und erhältst daraus dann deine Hauptgleichung.“ „Das klingt… kompliziert…!“ „Kannst du das nicht machen und dann schicken, damit sie es nur noch abzuschreiben braucht? Das ginge viel schneller und wir hätten mehr Zeit, um für den Wettbewerb zu üben!“ „Yosh!“ Toshis Stimme klang tadelnd. „Was? Ist doch fast wie in alten Zeiten! Die Haare ein bisschen heller, die Brust weg und du ein paar Jahrzehnte jünger mit weniger grauen Haaren et voilà!“ „Du spinnst!“ „Das fällt dir erst jetzt auf?“ „Bitte, Onkel Toshi!!“, bettelte Ran und zog seinen Namen absichtlich in die Länge, während sie den Kopf ein wenig schief legte, die Unterlippe hervorschob und unschuldig mit den Wimpern klimperte, „nur dieses eine Mal, versprochen! Du weißt doch, wie viel mir der Wettbewerb bedeutet, nicht?“ Yoshiki konnte förmlich sehen, wie der Widerstand seines besten Freundes dahin schmolz und lag innerlich am Boden und krümmte sich vor Lachen, angesichts der Tatsache, dass seine Nichte schamlos alle Register zog. „Naja… also gut, aber nur dieses eine Mal!! Verstanden?!“ „Danke dir Onkel Toshi – du bist der Beste!!! Ich schick es dir per Mail. Ach ja, bis morgen Früh bräuchte ich es dann wieder.“ „Ja ja…“ Der Sänger wusste durchaus, dass Ran ihn nach allen Mitteln der Kunst manipuliert hatte – leider war es schwierig, ihr irgendetwas abzuschlagen, wenn sie mit ‚Onkel Toshi‘ ankam? „Hab dich ganz, ganz, ganz, ganz doll lieb!!“, flötete der Teenager noch in die Kamera und unterbrach dann die Verbindung. „Alle Hausaufgaben erledigt!“, sagte sie grinsend zu Yoshiki und machte kurz ein Foto von der Chemieaufgabe, welches sie Toshi mailte. Anschließend stand sie auf, um zum Flügel zu gehen und zum angenehmen Teil des Tages zu kommen. „Du bist ein kleines, manipulatives Luder, Ran-tan!“, äußerte er kopfschüttelnd und holte hinter der Bar einen Gymnastikball hervor, welchen er neben die Klavierbank rollte und auf den er sich setzte. „Ich lerne nur vom Besten“, entgegnete sie grinsend. „Moi?!“ Scheinbar entsetzt und schwer verletzt sah er sie an. „Oui, toi!“, antwortete sie und fing dann an, ihren Vater nachzuahmen, „Yoshiki, um 16:00 Uhr ist ein Investorentreffen im Hauptgebäude von Extasy Records. Dein Chauffeur wird dich um Punkt 15:00 Uhr von zuhause abholen – und tu mir bitte einmal den Gefallen und sei pünktlich!“ Als ihr Onkel keine Reaktion darauf zeigte, fuhr sie fort, imitierte diesmal jedoch ihn, während sie sich noch theatralisch eine Hand an die Stirn legte. „Kouki, mir ist so schwindlig… und ich fühl mich so furchtbar schlapp… ich glaube, ich bin in keiner Verfassung, heute an irgendeinem Meeting teilzunehmen… das Beste wird wohl sein, wenn ich mich ins Bett lege und das Ende meiner Tage abwarte!“ „Investorentreffen sind totlangweilig… ich bevorzuge Meetings, in denen es um die eigentliche Musik geht. Für den gesamten Geschäftskram bezahl ich ja schließlich irgendwelche Eliteschlipsträger…“, verteidigte Yoshiki seine Strategie, die sein Bruder noch immer nicht durchschaut hatte, obwohl er sie schon seit Ewigkeiten anwandte. Natürlich immer wieder in abgewandelter Form: mal war es der Kreislauf, dann die Bandscheiben oder eine sich anbahnende Allergie… - seine Krankenakte bot da genügend Auswahlmöglichkeiten! Als Ran ihn nur angrinste und wissend nickte, meinte er, sie solle besser anfangen zu üben, anstatt sinnlos Zeit zu vertrödeln. Dass sie damit den kleinen Schlagabtausch gewonnen hatte, war ihm fürs erste egal. So verbrachten sie den restlichen Vormittag mit Üben. Bis auf ihre Interpretation von ‚Tears‘ war Yoshiki sehr zufrieden mit ihr, doch bei diesem einen Song fehlte ihm das entscheidende Etwas, das das Lied ausmachte. „Wenn du beim Wettbewerb so spielst, dann brauchst du gar nicht erst dort aufzutauchen!“ Es war mehr oder weniger der Standartsatz, den sie seit Monaten zu hören bekam. Mehrmals schon hatte er ihr vorgeschlagen, einen anderen Song auszuwählen, doch davon wollte sie nichts wissen: es sollte dieser und kein anderer sein! Entsprechend war es nicht verwunderlich, dass sie auch direkt nach dem Mittagessen wieder am Flügel saß und spielte. Sie würde das Lied schon noch knacken – dessen war sie sich sicher! Zur selben Zeit war Yoshiki noch in der Küche, kümmerte sich um den wenigen Abwasch – das meiste hatte er einfach in den Geschirrspüler gepackt – und schluckte einmal wieder verschiedenste Schmerztabletten. Er konnte nicht sagen, ob es am gestrigen Reiten lag oder er einfach einmal wieder einen schlechten Tag hatte, aber ihm tat einfach alles weh. Egal was er machte, wie er saß, stand oder lag, es schmerzte einfach nur höllisch. Zu allem Übel fühlten sich seine Füße auch noch so komisch pelzig an… die Jahre hatten ihn jedoch zu einem guten Schauspieler werden lassen, sodass Ran bisher noch nichts mitbekommen hatte. Er wollte ihr keine unnötigen Sorgen bereiten – der Wettbewerb stand kurz vor der Tür und da musste sie konzentriert sein, konnte keine Ablenkungen gebrauchen. Nachdem er das Geschirrhandtuch weggehängt hatte, öffnete er einen der Hängeschränke über sich, streckte sich leicht und holte zwei Trinkgläser heraus – Ran würde sicherlich auch etwas zu trinken wollen… Der Teenager war unterdessen ganz und gar vertieft in ‚Tears‘, spielte diverse Übergänge mehrmals durch, bis sie flüssig klangen und fragte sich weiterhin, was sie wohl tun könnte, damit ihr Onkel aufhören würde, ihr Spiel zu kritisieren. Jedes Mal, wenn sie spielte, versank sie in ihre eigene Welt und bekam nicht mehr wirklich mit, was um sie herum geschah – so auch diesmal. Die ständigen Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, vor allem mit ihrem Vater, die Sorge um Yoshiki, die Probleme in der Schule… das alles war vergessen, wenn sie in eine Welt voller Noten und Töne eintauchte. Erst als sie das Geräusch von zerbrechendem Glas hörte, schreckten sie auf. Wie versteinert saß sie auf der Klavierbank und sprang erschrocken auf, als sie gleich darauf wahrnahm, wie ein Körper mit dem Marmorboden der Küche kollidierte. "Yoyo!" Sie sprang auf und rannte in den angrenzenden Raum, blieb aber angesichts des Bildes, das sich ihr bot, unter dem Türrahmen stehen. Auf den ersten Blick konnte sie nicht sagen, ob sich ihr Onkel an den Glassplittern, in denen er lag, geschnitten hatte oder nicht. Was ihr Herz für einen Moment aussetzen ließ, war, wie er wieder versuchte auf die Beine zu kommen. Mit den Armen, die zitterten, hob er seinen Oberkörper vom kühlen Boden, doch ab der Hüfte abwärts sah es nicht so aus, als würde er irgendetwas tun, um wieder hoch zu kommen. Ran spürte, wie Panik in ihr hochkam, zwang sich jedoch, diese hinunter zu schlucken und betete, dass nicht das eingetreten war, was sie befürchtete. Sie kannte es noch von früher, als X JAPAN noch existiert und sie ab und an mit zu einem Konzert gedurft hatte, dass Yoshiki seinen Körper so verausgabt hatte, dass dieser ab einem gewissen Punkt einfach seinen Dienst versagte und ihm nicht mehr gehorchte. In jenen Momenten hatte ihn sein Staff oder einer seiner Bodyguards tragen müssen, weil er nicht einmal mehr die Kraft gehabt hatte, sich aufrecht zu halten. „Bei allen Göttern, die es gibt… lass es das sein!“ Ran löste sich schließlich aus ihrer Starre, legte die letzten Schritte zu Yoshiki zurück und ging neben ihm in die Hocke. „Warte, ich helfe dir!“ Sie konnte nur hoffen, dass sie stark genug war, ihn zu halten. „Geht schon“, wehrte er sie ab und schlug ihr Hand, die ihm unter die Arme greifen wollte, weg. Dadurch ruhte sein ganzes Gewicht auf einem Arm, der diesem nicht standhielt und wegknickte. Fluchend landete er auf seiner Brust und befahl Ran zu gehen, da sie ihn so nicht sehen sollte. Was seine Nichte gesehen hatte, als sie den Raum betreten hatte, hatte er aus lauter Wut über seine Schwäche – wessen Füße versagten schon ihren Dienst, wenn man nur zwei Gläser aus dem Schrank holen wollte? – noch gar nicht registriert. „Komm!“ Anstatt auf ihn zu hören, half Ran ihm, sich aufzusetzen und schlang sich dann einen seiner Arme um die Schultern, um ihn mit hochzuziehen, als sie aufstand. Der Plan hörte sich jedoch leichter an, als er in der Tat war. Zwar hatte sich Yoshiki entschieden, ihre Hilfe anzunehmen und hielt sich entsprechend an ihr fest, doch anderweitig war sein Körper totes Gewicht für sie - etwa 60kg, die sie irgendwie in die Höhe bugsieren musste. Es half auch nicht wirklich, dass bei dem Pianisten schließlich die Erkenntnis einsetzte… Warum hingen seine Beine da so nutzlos herum? Warum gehorchten sie ihm nicht? Warum hatte er keine Kontrolle? Panik überfiel ihn, als er realisierte, was das bedeutete. Aus einem Reflex heraus, den er nicht erklären konnte, drückte er sich von ihr weg und stürzte erneut. Ran wollte ihn noch festhalten - schließlich hatte sie ihn schon halb oben gehabt und noch einmal von vorne anzufangen, war keine wirklich verlockende Aussicht -, wurde von Yoshiki aber nur mit zu Boden gerissen. Ein Schmerzlaut entkam ihr, als sie spürte, wie einige der Glassplitter die Haut ihrer nackten Beine durchbrachen. Sie hätte eine lange Trainingshose und keinen kurzen Rock anziehen sollen… „Ran?!“ Deutliche Besorgnis war aus seiner Stimme herauszuhören, denn natürlich hatten seine empfindlichen Ohren ihr unterdrücktes Aufkeuchen gehört. Als sie jedoch in seine braunen Augen blickte, sah sie dort hauptsächlich Panik angesichts der neuen Erkenntnis. „Alles okay, ich...“ Sie rappelte sich auf, wischte die Splitter von ihren Beinen - hoffentlich waren keine in die Wunden eingedrungen - und verschmierten das ausgetretene Blut auf ihrer Haut. „… ich rufe ein Notarzt!“ Es kostete den Teenager alle Mühe, ruhig zu bleiben, aber sie wusste, dass sie ihrem Onkel so mehr half, als wenn sie hysterisch werden würde. „Nein, kein Arzt! Ich will nicht ins Krankenhaus…Ran!“ Yoshiki versuchte sie aufzuhalten, doch mehr als sich aufzurichten, war nicht drin. Er war in den letzten 10 Jahren so oft im Krankenhaus gewesen, dass er nicht mehr hin wollte. Kliniken waren ihm ein Graus - er hasste sie. Egal, wie schlimm die Situation auch sein mochte, alles in ihm weigerte sich, auch nur einen Fuß dort hinein zu setzen. „Ran!“ Er musste sie abhalten. „Es ist besser so.“ „Ran!“ Sie hörte ihn, doch sie war schon im Wohnbereich, rannte in ihr Zimmer und holte ihr Handy. Immer wieder konnte sie ihren Onkel nach ihr rufen hören, wie er ihr abwechselnd befahl und sie dann wieder fast anflehte, dass sie keinen Notarzt holen möge. Mit jeder Sekunde, die verstrich, schwang mehr Panik in seiner Stimme mit, doch Ran zwang sich, nicht darauf einzugehen und wählte die 119. Eilig berichtete sie der Rettungsleitstelle, worum es ging, nannte die Adresse und legte dann auf, nur um gleich darauf über Kurzwahl Dans Handy anzuwählen. Während sie darauf wartete, dass er abnahm, tigerte sie unruhig auf und ab. „Ja“, meldeten sich gleich darauf der Bodyguard, der in der Zwischenzeit für Yoshikis Sicherheit zuständig war und alle anderen Securityleute koordinierte. “Dan, Code Rot in Yoshikis Villa!” Als sich heraus kristallisiert hatte, dass sie mehr und mehr Zeit bei ihrem Onkel verbrachte, hatte ihr Vater darauf bestanden, dass sie die verschiedenen Sicherheitscodes lernte, um im Notfall selbst die Security verständigen und ihr ohne große Worten mitteilen konnte, was Sache war. „Rodger“, bestätigte der ehemalige US-Soldat nur und hatte die Verbindung dann schon unterbrochen. Für einen Moment starrte Ran auf ihr Handy und ihr Daumen schwebte über der eins – der Kurzwahl für ihren Vater – als sie es sich anders überlegte und stattdessen die fünf drückte. Dan würde ihn vermutlich sowieso informieren und wenn sie eines über die Jahre gelernt hatte, dann, dass Yoshiki seinem kleinen Bruder keine Sorgen bereiten wollte. Das er oftmals so abweisend auf ihn reagierte, wenn es ihm schlecht ging, hing letztendlich damit zusammen, dass er ihn schützen wollte… „Ran, ich bin mit Chemie noch nicht ganz fertig“, meldete sich der ehemalige Sänger von X JAPAN nach wenigen Läuten. „Vergiss den Scheiß und komm her! Yoshiki ist zusammengebrochen und ab der Hüfte abwärts gelähmt. Notarzt und Security habe ich bereits verständigt…!“ Für einen Moment blickte Toshi starr in die Kamera seines eigenen Handys, dann konnte sie sehen wie er aufsprang und das Mobiltelefon packte. „Ich bin schon unterwegs!“ Damit hatte er aufgelegt und Ran legte ihr eigenes zurück auf den Nachttisch. Für einen Augenblick schloss sie die Augen und zwang sich zur Ruhe, da ihre Hände die ganze Zeit über während sie telefoniert hatte, gezittert hatten. Sie musste die Fassung waren, zumindest solange, bis einer von den Erwachsenen da war. Anschließend eilte sie zurück zu ihrem Onkel in die Küche, der so dalag, wie sie ihn verlassen hatten. Er hatte aufgehört, sie davon abzubringen, einen Notarzt zu holen und stattdessen nochmals versucht, aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen – doch es war sinnlos. Je mehr diese Erkenntnis und deren Auswirkung zu ihm durchsickerten, umso mehr Panik breitete sich in ihm aus. „Ein Arzt ist unterwegs und die Security und Toshi kommen auch!“, informierte Ran ihn und setzte sich zu ihm auf den Boden. Es gefiel ihr gar nicht, dass seine Atmung so schwer ging und er zitterte. Das letzte, was sie wollte, war dass er auch noch einen Asthmaanfall bekam… Vorsichtig richtete sie seinen Oberkörper auf und stützte ihn mit ihrem eigenen, während sie beide Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, um ihn zu beruhigen; sie wollte schließlich selbst am liebsten hysterisch werden. „Du musst langsamer atmen, Yoyo, bitte… und dich beruhigen… ansonsten meldet sich dein Asthma auch noch zurück…“, versuchte sie auf ihn einzureden, doch außer, dass sich seine Finger beinahe schmerzhaft an ihren Armen festkrallten, schien sie damit nichts zu erreichen. „Yoshiki, bitte…“, probierte sie es erneut, doch er schien nur noch mehr zu zittern und auch Ran fiel es immer schwerer, einen kühlen Kopf zu bewahren. „… Ich hab Angst… Ran…“, nahm sie schließlich seine Stimme war – so leise, dass sie sie fast nicht gehört hätte. „Ich auch… panische“, gab sie zu und verstärkte ihre Umarmung nur, „aber das wird schon alles wieder… irgendwie… ich bleib bei dir, versprochen!“ Eine Antwort blieb aus, da im nächsten Moment lautstark die Haustür geöffnet wurde und diese gleich einmal Bekanntschaft mit der nächsten Wand schloss. „Ran?!“ „Küche!“ Der Teenager war erleichtert, als im nächsten Moment auch schon Takumi und Dan hereingestürmt kamen. Beide Bodyguards erfassten die Situation innerhalb weniger Sekunden und ohne große Worte hob der ältere der beiden seinen langjährigen Chef und auch Freund hoch und trug ihn ins Wohnzimmer, wo er ihn auf das Sofa legte, damit er nicht mehr länger auf dem kalten Steinboden saß. Der andere nahm eine bereitliegende Decke und breitete sie über den zitternden Körper aus. Er vermutete, dass dies hauptsächlich von einem Schock kam. Yoshiki ließ das Ganze teilnahmslos über sich ergehen und bekam nur am Rande mit, wie Dan sagte, dass der Notarzt sicherlich gleich da sei, mitteilte, dass die restliche Security die Einfahrt vor Paparazzi sicherte und Takumi Ran besorgt nach den Schnitten an ihren Beinen fragte. Sie tat diese jedoch ab und kniete stattdessen vor der Couch nieder und legte ihren Kopf auf die Brust ihres Onkels. Vielleicht würde es ihn wenigstens ein bisschen beruhigen, wenn er ihre Nähe spüren konnte… Es waren noch keine fünf Minuten vergangen, da kamen auch schon ein Notarzt sowie zwei Sanitäter mit einer Trage herein und wollten als erstes wissen, was passiert war. Ran erklärte in wenigen Worten, was sich ereignet hatte, während Dan sie in Yoshikis Krankengeschichte einwies. Nur widerwillig löste sich die 15-Jährige von ihm, doch damit er untersucht werden konnte, musste sie aus dem Weg gehen. Etwas abseits stand sie dabei und beobachtete, wie der Notarzt ihm zunächst mehrere Fragen stellte, die Yoshiki jedoch entweder nicht mitbekam oder aber ignorierte, da er einfach nur an die Decke starrte. Anschließend wurden seine Reflexe getestet, die zum Glück noch vorhanden waren. Was jedoch völlig fehlte, waren willentlich gesteuerte Bewegungen. Als nächstes nahmen die Sanitäter die Decke, breiteten sie auf dem Boden aus, legten anschließend den Musiker darauf und drehten ihn auf den Bauch. Der Notarzt schob das T-Shirt hoch, damit er die Wirbelsäule sehen und abtasten konnte. Während dieser Untersuchung kam Toshi hinzu geeilt, dem man die Sorge deutlich am Gesicht ablesen konnte. Er berichtete den Bodyguards kurz, dass es draußen vor dem Einfahrtstor bereits vor Paparazzi wimmelte – vermutlich hatten sie den Notruf abgehört – und ging dann zu Ran, welcher er einen Arm um die Schulter legte, da er durchaus gesehen hatte, wie mitgenommen sie aussah. Sie sah kurz zu ihm, widmete dann ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Onkel, dem die Sanitäter gerade wieder halfen, sich auf den Rücken zu drehen. Die ganze Zeit über, hatte er alles stoisch über sich ergehen lassen und keinen Mucks von sich gegeben. Sein Zittern war auch abgeebbt und seine Atmung war wieder ruhiger geworden. „Und?“, wollte der Teenager von dem Mediziner wissen. „Alles deutet auf einen Bandscheibenvorfall hin, wobei die ausgetretene Bandscheibe einen Spinalnerv einklemmt. Wir werden ihn mitnehmen müssen – im Krankenhaus werden dann noch ein Röntgen und eventuell noch ein MRT gemacht, um das genaue Ausmaß zu sehen. Anschließend wird in einer OP das Bandscheibengewebe, das auf den Nerv drückt, entfernt. Wichtig ist hier vor allem Schnelligkeit – je länger das Nervengewebe gequetscht wird, desto mehr Nervenzellen werden absterben und im schlimmsten Fall eine bleibende Lähmung verursachen“, erklärte der Arzt sachlich die Lage. Während der Ausführungen hatten die Sanitäter Anstalten gemacht, Yoshiki auf die Trage zu heben, als wieder Leben in diesen kam und er, so gut er es in seiner Lage konnte, sich gegen sie wehrte. „Ich geh nicht ins Krankenhaus! Ich lasse mich nicht operieren!!“ – Trotz gepaart mit Panik war aus seiner Stimme herauszuhören. Er hatte es geschafft, seine Arme loszureißen und schlug die Hände des Sanis weg, als er sie wieder greifen wollte. Seine Atmung hatte sich erneut beschleunigt und Ran konnte nur zu gut die Angst sehen, die in seinen Augen lag. „Herr Hayashi…“, fing der Arzt an, wurde aber unterbrochen, da ihm eben jener ins Wort fiel. „Nein! Sie können mich nicht ohne meine Zustimmung operieren!!“ „Yoshiki sei vernünftig!“, meldete sich das erste Mal Toshi zu Wort und sah seinen langjährigen Freund eindringlich an. Doch dieser steigerte sich nur weiter hinein und wehrte sich mit aller Macht. „Nein!!“, gebarte er sich weiter und schlug dem Notarzt mit dem Unterarm gegen die Schläfe, als dieser ihm eine Beruhigungsspritze geben wollte. Jener hatte neben dem schwierigen Patienten gekniet und taumelte nun zurück, sodass er um sein Gleichgewicht kämpfen musste. Dan und Takumi hatten sich einen kurzen Blick zugeworfen – beide dachten dasselbe: sollten sie eingreifen oder nicht? Letztendlich entschieden sie sich jedoch dagegen, da es nur im Sinne des Pianisten war, auch wenn dieser das in dem Augenblick anders sah. Die Sanitäter hatten sich unterdessen wieder zur Aufgabe gemacht, Yoshiki ruhig zu stellen, damit ihm das Beruhigungsmittel verabreicht werden konnte, als Ran es nicht mehr länger mit ansehen konnte und dazwischen ging. Das sah so aus, dass sie sich auf ihren Onkel warf – dadurch war dieser einerseits wirkungsvoll auf den Boden gepinnt und ruhiggestellt, andererseits war er vorerst vor der Spritze sicher. „Ran!“ „Fräulein!“ Diverse Stimmen redeten auf sie ein – offensichtlich war niemand von ihrer Einmischung wirklich begeistert. Lediglich eine Person schwieg… „Fuck off!!“, fauchte sie den nächstbesten an, der sich als der Notarzt herausstellte und funkelte ihn wütend an, „sie machen nur noch alles schlimmer!“ Über die Jahre hatte sie gelernt, die ersten Anzeichen für einen Asthmaanfall zu deuten, wobei ihr ihr feines Gehör, dass sich durch das jahrelange musikalische Training herausgebildet hatte, zu Gute kam und sie so schon ein geringfügiges Pfeifen in der Atmung hören konnte, während die meisten anderen es noch lange nicht wahrnehmen konnten. Zum Bedauern ihrer Eltern und Lehrer hieß das nicht, dass sie stets alle Aufforderungen und Befehle mitbekam, da sie diese gerne grundsätzlich herausfilterte. „Ran!“, versuchte Toshi sie zur Raison zu bringen, da es nicht ging, dass sie sich in die Arbeit des Arztes einmischte und diesen dann auch noch so respektlos ansprach – damit stieß er allerdings auf taube Ohren. „Verpisst euch gefälligst, damit man hier für verdammte fünf Minuten mal unter vier Augen reden kann!!“, schrie sie niemand bestimmtes direkt an und stützte sich auf ihren Armen ab, damit sie nicht mit ihrem Körpergewicht auf Yoshikis Brustkorb drückte. Nichtsdestotrotz schirmte ihr Körper ihn immer noch vor Notarzt und Sanis ab. „Lassen Sie sie mit ihm reden. Sie können ihn nicht zwingen, der OP zuzustimmen, selbst wenn es das Beste ist“, mischte sich Dan mit ein und trat zu dem Arzt, um ihm aufzuhelfen und sicher zu gehen, dass er den Raum verlassen würde, während Takumi zu den Sanitätern getreten war. Mit einem gewissen Widerwillen ließen sie sich in ihrer Arbeit unterbrechen und hinaus eskortieren, während Toshi mit einigen Schritten Abstand folgte, in der Tür kurz stehen blieb und einen Blick nach hinten warf, ehe auch er den Raum verließ. Auch wenn er selbst die 15-Jährige bei aller Liebe oft als kleine, verwöhnte Göre ansah, woran sein bester Freund nicht unschuldig war, weil er ihr viel durchgehen ließ und ihr so ziemlich jeden Wunsch erfüllte, so wusste auch er, dass sie im Augenblick vermutlich bessere Chancen hatte, Vernunft in Yoshikis Dickschädel zu bringen als er oder irgendjemand sonst. Schließlich hatte er schon seit Jahren versucht, ihn von der Operation zu überzeugen, weil es auf lange Sicht einfach die beste Lösung war, aber wie man sah, war auch er stets erfolglos gewesen. Doch so verzogen und schwierig der Teenager sein konnte, Toshi wusste aus Erfahrung, dass sie durchaus sehr vernünftig und erwachsen auftreten konnte. Diese Seite trat jedoch nur dann zu Tage, wenn sie glaubte, ihren Onkel beschützen zu müssen – das war schon vor 10 Jahren so gewesen und hatte sich mit der Zeit nur noch verstärkt. „Kriegst du Luft?“, fragte Ran besorgt, als der Sänger die Tür geschlossen hatte und richtete sich auf, um sich neben Yoshiki zu knien, der nickte. „Geht schon“, antwortete er und zwang sich seine Atmung wieder zu verlangsamen. Das letzte was er wollte, war eine ausgewachsene Asthmaattacke – dann war er diesem Arzt ja erst recht ausgeliefert! „Danke, Ran…“ „Schon okay… du beschützt mich, ich beschütz dich… so einfach ist das!“, tat sie es ab und griff nach einer seiner Hände und hielt diese fest. „… Ich mach es nicht…“ „Hm?“ „Ich lass mich nicht operieren!“ Sie ließ ihren Blick über ihn schweifen, senkte ihn dann und biss auf ihrer Unterlippe herum. „Ich weiß, dass du Angst hast, Yoyo…“ Über die Jahre hatte sie genügend Streits und Diskussion zwischen ihrem Vater und ihrem Onkel oder mit Toshi mitbekommen, um zu wissen, dass der einzige Grund, der ihn all die Jahre zurückgehalten hatte, der war, dass er die Risiken fürchtete. „… aber wir schreiben nicht mehr das Jahr 1995, sondern 2019! Die Medizin hat beträchtliche Fortschritte gemacht und die Risiken haben sich deutlich verringert.“ „Nein, Ran!“ „Wenn du es nicht tust, dann bist du dein restliches Leben querschnittsgelähmt… und ich wette mit dir um eine Schüssel Pudding, dass das bedeutet, dass Papa dich 24/7 beglucken wird. Und dann wirst du ihm nicht mehr so schnell entkommen können! Außerdem, willst du dein Leben lang auf den verhassten Rollstuhl angewiesen sein? Du wärst endlich wieder schmerzfrei und könntest vielleicht sogar wieder Drums spielen, anstatt sie immer nur sehnsüchtig anzusehen“, argumentierte der Teenager und sah ihn eindringlich an. „Ich könnte sterben, Ran-tan…“ Dessen war sie sich bewusst und es war ein Gedanke, den sie so gut es ging verdrängte. Ihr saß ja noch immer die Unterhaltung von letzter Nacht in den Knochen. Sie war schließlich auch der Hauptgrund gewesen, weshalb sie darauf bestanden hatte, bei ihm im Bett schlafen zu dürfen – sie wollte das Gespräch vergessen und sich vorstellen, dass alles wie früher war, als sie noch klein gewesen war. „Um Papa zu zitieren: ‚Der Idiot ist viel zu dickköpfig, um ins Gras zu beißen!‘“ Angesichts dieser Aussage lachte Yoshiki auf und drückte ihre Hand, die seine festhielt. „Im Ernst, Ran…“ „Sieh es so… du würdest deinen Vater und hide wiedersehen…“ „Und was ist mit dir?“ „‘Die Ewigkeit wird dein Andenken waren.‘“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge, als er die Songzeile erkannte, die er vor so langer Zeit selbst geschrieben hatte. Er wusste nicht weshalb, aber aus irgendeinem Grund hatte Ran einen Narren an jenem Song gefressen gehabt. „Ich würde irgendwie lernen, damit zu leben“, fügte sie hinzu und wandte dann schnell ihren Kopf ab, damit er nicht sah, wie sie mit den Tränen kämpfte. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, wenn sie ihn nicht mehr hätte. Doch er kannte sie nur zu gut, sodass er sie mit der Hand, die sie noch immer hielt, zu sich zog und sie an sich drückte. „Naja… zumindest wirst du den Wettbewerb definitiv gewinnen, wenn ich sterben sollte…“ Er musste selbst aufpassen, dass seine Stimme nicht seine eigenen, aufgewühlten Emotionen verriet. „Was meinst du damit?“ „Nichts, Ran-tan, nichts… du meinst also, ich sollte mich unters Messer legen?“ „Du hast noch nie kampflos aufgegeben… warum also jetzt damit anfangen?“, entgegnete sie und sah ihn eindringlich an. Der Yoshiki, den sie kannte, hatte einen Kampf nie gescheut. Nur zu oft hatte sie die Geschichten aus X‘ Anfangszeiten gehört, als niemand dieser komischen Band eine Chance gegeben hatte und sie am Ende alle eines besseren belehrt worden waren… „… okay!“, gab er schließlich seine Einwilligung, nachdem er zunächst geschwiegen hatte, und holte tief Luft, was nicht so einfach war, wenn man einen Teenager auf sich hatte. „Wirklich?“ „Sag es lieber dem Arzt, bevor ich meine Meinung noch mal ändere!“ Damit sprang Ran auf, wischte sich etwaige Tränenspuren mit dem Handrücken von den Wangen und eilte zur Tür. „Es ist die richtige Entscheidung, Yoyo…“ „Sagst du dem Arzt, dass etwas Sauerstoff vielleicht nicht schlecht wäre… ich weiß nicht, ob das immer noch wegen vorhin ist…“ Sie nickte und trat dann ins Foyer, wo die Rettungscrew sowie Dan, Takumi und Toshi waren. „Er hat der OP zugestimmt“, teilte sie mit und fixierte den Notarzt, „er kommt aber nur unter der Bedingung mit, dass ich ihn begleite!“ Yoshiki hatte zwar nie etwas dergleichen gesagt, aber sie würde definitiv nicht von seiner Seite weichen – und dass sie hier gerade log, wusste schließlich keiner. „Wir hätten Sie sowieso mitgenommen. Ihre Schnitte müssen auf Glassplitter hin untersucht werden“, erklärte der Mediziner und machte sich mit seinen Sanitätern zurück auf den Weg zu ihrem Patienten, als Ran ihnen noch hinterher rief: „Und geben sie ihm gefälligst Sauerstoff! Ihre hirnrissige Aktion eben hätte fast einen Asthmaanfall ausgelöst!“ ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Fortsetzung folgt… Sands of time ------------- @ Asmodina: Schnell genug? ;) Apropos Schnelligkeit – du bist ja echt fix wie ein Flitzebogen, wenn’s um Lesen und Kommentieren geht!! @ Kaoru: Mit geschlossenen Augen lesen? *lach* Du kannst sie ja zumachen und ich les dir vor! @ Terra-gamy: Ja, der gute Toshi ist schon arm dran, wenn er da mit Dackelblicken bombardiert wird ;) @ all: Et voilà, bevor es bei mir wieder total stressig wird, hier das letzte Kapitel von „Broken Glass“. ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ Seufzend starrte Ran auf den lilafarbenen Vorhang in der Notaufnahme, durch den sich Takumis Körperumrisse abzeichneten, während sie darauf wartete, dass eine Krankenschwester kam und ihre Schnittwunden an den Beinen verband. Nach der Ankunft im Krankenhaus – Dan hatte dafür gesorgt, dass es jenes war, in dem Yoshiki schon seit zahlreichen Jahren wegen seiner Bandscheiben in Behandlung war – hatte man sie in die Notaufnahme gebracht, wo ein Arzt sich ihre Verletzungen angesehen und natürlich prompt mehrere kleine Glassplitter gefunden und entfernt hatte. Nun saß sie auf der Behandlungsliege und wurde von Minute zu Minute ungeduldiger. Von Takumi, der mit ihr gegangen war, während Dan und Toshi ihren Onkel begleitet hatten, wusste sie, dass dieser das Röntgen bereits hinter sich hatte und nun noch ein MRT machte. „Gibt es etwas Neues?“ „Nein“, war die kurze Antwort. Über einen kleinen Knopf im Ohr standen die beiden Bodyguards in Funkkontakt, sodass Takumi Ran immer auf dem Laufenden halten konnte. „Maaaaaan, wie lange dauert das denn noch?!“, stöhnte der Teenager genervt auf. „Es ist einiges los“, bekam sie eine sachliche Antwort. Wenn der jüngere Bodyguard nicht im Dienst war, dann konnte man super gut mit ihm herumalbern, doch wenn er arbeitete, war er stets hochkonzentriert und immer eher kurz angebunden – zumindest für Rans Geschmack. „Ne, Takumi, kann ich dich mal was fragen?“ „Was?“ „Du solltest doch eigentlich mal die Firma von deinem Vater übernehmen, richtig?“ „Ich bin sein ältester Sohn… es wurde eigentlich von mir erwartet, dies zu tun. Ich konnte es mir nicht wirklich aussuchen.“ „Aber du arbeitest jetzt für Yoshiki…“ „Als ich das Angebot von deinem Onkel angenommen habe, habe ich gleichzeitig auf mein ‚Erbe‘, wie es mein Vater stets nannte, verzichtet.“ „War er wütend?“ „Enttäuscht, denke ich… aber eigentlich war er wohl auch froh, dass ich endlich erwachsen geworden war und etwas gefunden habe, das mir Spaß macht.“ „Bereust du es? Ich meine, du könntest jetzt selbst Leute herumkommandieren…“ „Nein, ich wollte die Firma meines Vaters nie, weil ich mich damit zu keiner Sekunde identifiziert habe. Ich kann schlecht Vergleiche ziehen, weil Yoshiki bisher der einzige ist, für den ich je gearbeitet habe, aber ich könnte mir keinen besseren Arbeitgeber vorstellen. Klar geht er einem von Zeit zu Zeit mal tierisch auf den Keks und seine Forderungen sind manchmal ziemlich unmenschlich… aber am Ende des Tages zählt er uns genauso zu seiner Familie wie dich und deinen Vater… mein eigener Vater hat das nie getan – Angestellte sind Angestellte, Punkt, aus!“ „Was würde aus dir und Dan werden, wenn Yoyo die OP nicht… du weißt schon…“ „Wenn er sterben sollte?“, sprach Takumi das aus, was Ran nicht konnte. Sie wollte nicht daran denken, dass es auch schief laufen konnte und sie es gewesen war, die ihn dazu gebracht hatte, seine Einwilligung zu geben… „Ich kann nicht für Dan sprechen, aber ich schätze, er würde sich mit einer eigenen Sicherheitsfirma selbstständig machen… oder nach Texas zurückkehren und für sein restliches Leben Cowboy spielen!“ „Und du?“ „… Meine Zukunft, Ran, hängt letztendlich von dir ab…“ „Von mir?“ Für den Teenager ergab diese Aussage keinen Sinn. „Es geht dabei um Dinge, die Yoshiki mit mir vor einiger Zeit besprochen hat…“ „Welche Dinge?“ „Das ist unwichtig, Ran“, tat er es ab und drehte sich kurz zu dem Vorhang, hinter dem sie war, um, ehe er sich wieder mit dem Rücken dazu hinstellte. „Wie kann es unwichtig sein, wenn es um deine Zukunft geht?!“ Wenn es etwas gab, das sie nicht mochte, so war es, wenn hinter ihrem Rücken Sachen besprochen wurden, über die sie im Dunkeln gelassen wurde. Sie glaubte, Takumi seufzen zu hören, ehe er sie bat, zu versprechen, dass Folgende nicht an den Boss weiterzugeben. „Yoshiki hat die Vermutung, dass du eines Tages ins Musikgeschäft einsteigen wirst. Ich versteh nicht allzu viel von Musik, aber wenn ich es einmal so ausdrücken darf… du scheinst gut zu sein, ansonsten würde der Boss nicht so viel Mühe in dich stecken, und du wärst verdammt blöd, wenn du aus einer Begabung, die dir Spaß macht, nicht Geld schlagen würdest! Worum mich Yoshiki gebeten hat, ist, dich zu beschützen, solltest du dich entscheiden, diesen Weg zu gehen und sollte er dann nicht mehr sein…“ „Du würdest mein Bodyguard werden?“ „Babysitter trifft es wohl eher.“ „Haha! … und was würde aus dir werden, wenn ich… keine Ahnung, Verkäuferin in einem Combini werden würde?“ „Kommt drauf an, was aus Yoshikis kleinem Imperium werden würde… vielleicht würde ich bleiben und irgendjemand anderen schützen, vielleicht würde ich auch gehen… ich habe schließlich immer noch den Treuhandfond meiner Eltern – theoretisch bräuchte ich nicht zu arbeiten.“ Ran ließ sich seine Antwort durch den Kopf gehen, ehe sie ihm für seine Ehrlichkeit dankte. Die heutigen Ereignisse hatten natürlich dazu geführt, dass sie wieder an die gestrige Unterhaltung und das Angebot ihres Onkels denken musste. Eigentlich wollte sie das nicht tun, weil es gleichzeitig bedeutete, sich mit seinem Tod zu konfrontieren… Von Takumi war von klein auf erwartet worden, dass er das Familienunternehmen eines Tages übernehmen würde, obwohl er sich kein bisschen damit identifizieren konnte. Er war letzten Endes ausgebrochen und hatte seinen eigenen Weg gewählt. Sie selbst hatte bis gestern Nacht nie einen Gedanken daran verschwendet, was aus Yoshikis Firmen werden würde, wenn er einmal nicht mehr war. Dass er sie als Erbin einsetzten könnte, war ihr nie in den Sinn gekommen… Sie hatte sich nie als seine Nachfolgerin gesehen… Von ihrem Vater wusste sie, dass ein Großteil von Yoshikis milliardenschwerem Vermögen fest in den Firmen gebunden war, das hieß, sie würde automatisch seine Haupterbin werden. Sein ‚Baby‘, wie er X JAPAN immer nannte, würde dann in ihrer Verantwortung liegen – alle Lizenzen, alle Rechte… Wenn er den Eingriff nicht überleben würde, würde sie dann überhaupt schon die Firmen übernehmen können? Sie war schließlich nicht volljährig und hatte ja schon Probleme, ihr Taschengeld so zu planen, dass es einen Monat reichte… Wollte sie denn überhaupt in die Fußstapfen ihres Onkels treten?! Sie erschienen ihr so groß, dass sie bezweifelte, dass sie sie jemals ausfüllen würde… Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als endlich eine Krankenschwester kam, die ihre Schnittwunden verband. Sie war gerade fertig geworden, als der Vorhang zurückgerissen wurde und ihr Vater zu ihr rannte. „Ran!“ Kouki war sofort losgefahren, nachdem er Dans Anruf erhalten hatten, doch der mörderische Verkehr in Tokyo hatte ein schnelles Vorankommen nicht unbedingt begünstigt; hinzu kam, dass eine Meute Paparazzi den Krankenhauseingang belagerte. Zwischendurch hatte er noch eine Mitteilung von Takumi erhalten, dass seine Tochter wegen etlicher Schnittverletzungen ebenfalls in der Klinik war. Nachdem der andere nichts über deren Ausmaße geschrieben hatte, hatte er sich im Kopf natürlich bereits Horrorszenarien ausgemalt und sich Gedanken darüber gemacht, wie er das seiner Frau am besten beibringen sollte. „Papa!“ Erleichtert umarmte sie ihn und war froh, ihn an ihrer Seite zu haben. Ihr Verhalten überraschte Kouki ein wenig, wenn man bedachte, wie am Freitag die Fetzen zwischen ihnen geflogen waren. Andererseits konnte er sich vorstellen, dass ihr der Schreck über Yoshiki noch tief in den Knochen saß – und letzten Endes war sie eben doch immer noch ein Kind, egal wie erwachsen sie manchmal tat… zumindest redete er sich das ein. „Bist du in Ordnung?“ Ran nickte nur und löste sich wieder von ihm, während die Krankenschwester hinzufügte, dass alle Splitter aus den Wunden entfernt waren und sicherlich alles gut verheilen würde. Danach verabschiedete sie sich und Takumi führte Vater und Tochter zu Dan und Toshi, die darauf warteten, dass Yoshiki wieder aus dem MRT kam. Kouki begrüßte die beiden kurz und wollte dann wissen, zu welchen Ergebnissen die Ärzte bereits gekommen waren. Aber außer, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handelte, wussten sie auch nichts Weiteres. „Aber wenigstens lässt sich Onkel Yoyo operieren“, fügte Ran hinzu und lehnte sich gegen die Wand. „Bitte was?“ Völlig überrascht sah Kouki seine Tochter an – das waren ja ganz neue Töne, die er da von seinem großen Bruder hörte. „Er hatte sich zunächst mit aller Kraft dagegen gewehrt, aber Ran hat ihn umstimmen können“, erklärte Toshi. „Der Arzt und die Sanitäter waren dermaßen unfähig… die sollte man wegen Körperverletzung oder so verklagen! Yoyos Ärzte wären nie so mit ihm umgegangen!“, äußerte der Teenager und verschränkte die Arme. „Die werden aber auch entsprechend dafür bezahlt, Prinzesschen mit Samthandschuhen anzufassen“, entgegnete Toshi und hob eine Augenbraue hoch. „Trotzdem!“, beharrte Ran auf ihrer Meinung. Die Erwachsenen wollten noch etwas darauf erwidern, kamen jedoch nicht dazu, da einer der behandelnden Ärzte aus einer der zahlreichen Türen trat und zu ihnen kam. „Wie sieht es aus, Herr Doktor?“, kam Kouki direkt zur Sache, nachdem er ihn begrüßt hat. „Leider nicht sonderlich gut – wie sie wissen, sind mehrere Bandscheiben bei ihm geschädigt. Zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel wird der Spinalnerv eingequetscht, was die Lähmung seiner Beine erklärt. Zusätzlich drückt Bandscheibengewebe zwischen dem fünften Lendenwirbel und dem ersten Sakralwirbelkörper auf einen weiteren Nerv. Ich weiß nicht, inwieweit er ihnen etwas davon gesagt hat, aber das Taubheitsgefühl in seinen Händen ist ebenfalls vorangeschritten. Im MRT konnte man gut sehen, dass zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel Bandscheibengewebe weiter ausgetreten ist und starken Druck auf den dortigen Nerv ausübt. Zudem sind die Bandscheiben zwischen seinem dritten und vierten und dem sechsten und siebten Halswirbel so gut wie nicht mehr existent. Die Wirbel reiben mehr oder weniger direkt aufeinander…“ „Was bedeutet das konkret?“, wollte Kouki wissen. Gedanklich drehte er seinem Bruder gerade den Hals um, weil er verschwiegen hatte, dass der Zustand seiner Hände schlimmer geworden war. Ob Ran darüber Bescheid gewusst hatte? Es wäre nicht das erste Mal, dass beide unter einer Decke steckten… „Nun, da Yoshiki der OP endlich zugestimmt hat, werden wir natürlich als erstes dafür sorgen, dass die Nerven in der Lendenwirbelsäule wieder frei kommen, um die Lähmung aufzuheben. Ob sie sich jedoch zu 100% regenerieren werden, kann man jetzt noch nicht sagen.“ „Die Bandscheiben?“ „Wir werden sie entfernen und durch künstliche ersetzen. Spätestens in einem Monat sind sie fest mit dem umliegenden Knochengewebe verwachsen.“ „Und am Hals?“ „Sie wissen so gut wie ich, dass ihr Bruder über die Jahre diverse Allergien auf Inhaltsstoffe in Medikamenten entwickelt hat und es immer ein gewissen Glücksspiel ist, wie er auf sie reagiert… Wenn sein Zustand am Ende der Operation an der Lendenwirbelsäule jedoch stabil ist, werden wir dieselbe Prozedur an seinen Halswirbeln wiederholen und sämtliche Baustellen in einem Abwasch beheben.“ „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sterben wird?“, mischte sich Ran mit ein und stellte damit die Frage, deren Antwort sie am meisten interessierte und die sie gleichzeitig am meisten fürchtete. „Die OP ist heutzutage Standard – wenn wir alles machen, wird sie mit mindestens sieben Stunden zwar recht lang sein, aber es sollte kein Problem darstellen. Körperlich ist er in einer guten Verfassung und er hat ein starkes Herz. Wo ich wirklich ein großes Risiko sehe, sind seine Allergien. Wir werden nur Medikamente einsetzen, von denen wir wissen, dass er sie problemlos verträgt, aber das heißt nichts, da er schon in der Vergangenheit mehrmals allergisch auf Mittel reagiert hat, die er lange Zeit gut und ohne Probleme hatte einnehmen konnte. Gefährlich wird es, wenn er in einen anaphylaktischen Schock fällt… ansonsten stehen seine Chancen sehr gut!“ „Ich vermute, die Operation wird in Kürze beginnen…?“, wollte Kouki wissen und warf einen kurzen Blick zu seiner Tochter, von deren Gesicht man jedoch nicht ablesen konnte, was sie dachte. Er wusste, dass es sie schwer treffen würde, würde sein Bruder die Operation nicht überstehen. „Der OP-Saal wird gerade fertig gemacht und Yoshiki wurde auch schon vorbereitet. Sie können aber gerne noch für einen Moment zu ihm – er hat sowieso schon nach ihnen gefragt“, erklärte der Arzt lächelnd und nannte ihnen noch das Zimmer, in dem sich der Patient momentan befand. Kurz darauf klopfte Kouki an der Zimmertür und trat danach mit Ran und Toshi im Schlepptau ein, während Dan und Takumi ihre Wachposten bezogen. „Schickes Nachthemd“, kommentierte er den Krankenhauskittel, den Yoshiki trug. „Hey…“, begrüßte dieser sie und öffnete müde die Augen, die er geschlossen gehabt hatte. In Vorbereitung auf die Narkose hatte man ihm bereits ein Beruhigungsmittel verabreicht, dessen Wirkung schon eingesetzt hatte. „Wie geht es dir?“, fragte Toshi und zog sich einen Stuhl heran, während Ran sich einfach aufs Bett setzte und dann an die Brust ihres Onkels kuschelte. „Müde… die haben mir schon irgendwas hinsichtlich der Narkose gegeben…“ „Spätestens wenn sie Yoshiki für die OP abholen, musst du da aber runter, Ran!“, wandte sich Kouki, der es vorzog zu stehen, an seine Tochter. „Du meinst, wenn sie mich auf die Schlachtbank führen…“ „Ich bleib hier, ich hab Yoyo versprochen, bei ihm zu bleiben!“ entgegnete die 15-Jährige lediglich und lauschte seinem Herzschlag. „Wie hat sie es eigentlich geschafft, dich rumzukriegen?“ „Ich dachte lediglich, wenn die OP schief geht, dann gewinnt sie wenigstens den Wettbewerb“, war Yoshikis lapidare Antwort. „Bitte was?“ „Die OP wird nicht schief gehen! Hör auf, dir solchen Schwachsinn einzureden“, mischte sich Toshi mit ein und sah ihn tadelnd an. „Er glaubt, nur wenn er tot wäre, würde ich es endlich schaffen, ‚Tears‘ richtig zu spielen“, erklärte Ran ihrem Vater. Aus ihrer Stimme konnte man deutlich heraushören, dass sie diese Denkweise für Blödsinn abtat. Für Kouki, wie auch für Toshi war klar, was Yoshiki ihr da andeutete, was ihr noch fehlte, um den Song richtig zu spielen, während sie immer noch glaubte, wenn sie ihre Technik ändern würde, gäbe es endlich ein Lob von ihm. „Sind Dan und Takumi auch da?“, wechselte der Pianist das Thema und sah seinen Bruder und seinen besten Freund fragend an. „Sie sind draußen.“ „Kannst du sie holen, Kouki?“ „Ich geh schon“, bot Toshi an und stand auf, um die beiden Bodyguards hereinzuholen. Sie begrüßten ihn mit einem Lächeln und einem kurzen Kopfnicken, als sie ins Krankenzimmer kamen und sich ans Fußende stellte. „Dan…“ Der Angesprochene sah auf und blickte ihn fragend an. “If this whole thing doesn’t work out as planned… I don’t think there are any words in any language we both speak to express my gratefulness for everything you’ve done for me during all those years we’ve spent together… I guess protecting me wasn’t always easy… “ “Definitely not“, antwortete dieser grinsend und kam nicht umhin sich an diverse Ereignisse zu erinnern. “Thank you for putting up with me for such a long time, Dan!“ “Anytime again, boss!” Ran lauschte den Worten und für sie klang es wie ein Abschied – ein Abschied, den sie verdrängen wollte. „Takumi…“ „Ja?“ „Du erinnerst dich an das, worüber wir vor einigen Wochen gesprochen haben?“ „Natürlich, wie könnte ich es vergessen. Wenn es soweit ist, werde ich da sein, Boss!“ „Danke!“ „Ehrensache!“ Ran vermutete, dass es um das ging, was Takumi ihr vorhin in der Notaufnahme erzählt hatte. Sollte sie sich je dazu entscheiden, in die Fußstapfen ihres Onkels zu treten, würde er an ihrer Seite sein und sie mit seinem Leben schützen. „Toshi…“, sprach Yoshiki seinen besten Freund an, der sich wieder hingesetzt und wie die anderen schweigend gelauscht hatte. „Spar es dir! Ich will keinen Abschied, weil ich dir verbiete, da drinnen den Löffel abzugeben!“ Seine Stimme zitterte und er hatte Mühe, die Gefühle aus ihr herauszuhalten. „Ehrlich gesagt, ich hab auch keine Ahnung, was ich dir sagen will, weil es zu viel gibt“, entgegnete Yoshiki mit einem Grinsen, doch Ran konnte spüren, wie sein Körper unter dem ihren bebte. „Dann sag nichts“, erwiderte Toshi und wischte sich über die Augen. „Komm her…“ Der Sänger kam der Aufforderung nach und umarmte ihn so gut es ging, während er da lag und Ran nicht gewillt war, auch nur einen Zentimeter von ihm zu weichen. „We are…“, flüsterte Yoshiki in Toshis Ohr das seinen Lippen am nächsten war. „…X!“, vervollständigte er es leise und löste sich mit einem Lächeln von ihm, um sich wieder zu setzen. Beide hatten Tränen in den Augen, ignorierten sie jedoch und mussten an das denken, dass Yoshiki vor so vielen Jahren bei hides Beerdigung gesagt hatte: „Und egal was auch passiert, wir werden für immer X JAPAN sein – das schwöre ich.“ „Bevor du irgendetwas sagst, halt die Klappe, okay?! Ich will nichts hören, weil du da drinnen nicht sterben wirst“, fing Kouki an, ehe der Pianist die Möglichkeit hatte, etwas zu sagen. Der Gedanke, seinen großen Bruder vielleicht verlieren zu können, war unerträglich für ihn – sie waren gemeinsam durch so viel gegangen, hatten sich gestritten und wieder vertragen, waren für einander da gewesen, waren ein Teil des jeweils anderen… „Versprich mir, dass du Ran weiter fördern lassen wirst!“ „Ich bin zwar nicht so musikalisch bewandert wie du, aber in der Zwischenzeit habe selbst ich geschnallt, dass sie verdammt gut sein muss, wenn du so viel Zeit und Arbeit in sie investierst“, antwortete er und versuchte sich an einem Grinsen, das ihm nicht wirklich gelang. „Versprich es!“ „Versprochen , Kleiner – hoch und heilig!“ „Ne, Kouki… wirst du wenigstens mich beweinen, wenn du schon nie eine Träne über Papa vergossen hast?“ „Ich habe nie geweint, weil du es für uns beide getan hast…“, antwortete er und schaffte es nur mit Mühe, seine Stimme am Zittern zu hindern. Als sein großer Bruder ihn fragend ansah, lächelte er lediglich und schüttelte den Kopf. Yoshiki beließ es dabei und sah zu Ran hinab, die sich die ganze Zeit über an ihn geklammert hatte. Sich von ihr zu verabschieden, würde definitiv am schwierigsten werden und er konnte jetzt schon spüren, wie er den Kampf gegen die Tränen verlor. „Bevor du etwas sagst, lass mich reden, okay?“, bat sie, als sie sich aufrichtete und ihn direkt ansah. Nach außen hin schien sie die Unnahbare zu spielen, aber in ihren Augen konnte er nur zu deutlich die Angst sehen. „Du hast gesagt, wenn ich eine Antwort auf deine Frage habe, dann soll ich es dir sagen, nicht?“ „Ran, das ist zu früh!“ Energisch schüttelte er den Kopf, während die anderen, die bisher stumm zugehört hatten, aufhorchten, da sie natürlich nicht wusste, worum es ging. „Nein… denn genau genommen gibt es nicht viel nachzudenken, Yoyo…“ „Ran…“ „Du hast gesagt, ich soll nicht ‚Ja‘ sagen, wenn ich mich nicht in Extasy sehen kann… aber ich kann es. Ich sehe dich in Extasy und du bist Familie… folglich ist Extasy auch Familie… genauso wie Dan und Takumi… und Familie lässt man nicht im Regen stehen, richtig?“ Wie auch ihr Onkel war sie als Verliererin aus dem Kampf gegen die Tränen hervorgegangen. „Ich werde dein Imperium, wie es Takumi genannt hat, übernehmen – mit allem Drum und Dran – und es einmal in deinem Sinne weiterführen, wenn du tot bist“, fuhr sie fort und schluckte schwer, als sie das verhasste Wort aussprach. „Ran…“ „Lass mich ausreden! Ich habe nur eine Bedingung…!“ „Welche?“ Trotz der Tränen auf seinen Wangen, musste Yoshiki schmunzeln – er war sich sicher, dass sie sich ihren Platz zwischen all den Männern erkämpfen würde, wenn sie jetzt schon Forderungen stellte. „Du hast gesagt, du würdest mich einarbeiten, mir alles beibringen… das erwarte ich von dir! Also darfst du da drinnen nicht sterben – und wenn du dein Versprechen brichst, dann werde ich sicher gehen, dass Gackt einen Geist findet, der dir im Tod das Leben zur Hölle macht, klar?!“ Sie versuchte ihn drohend anzusehen, doch so verheult wie sie inzwischen aussah, gelang ihr das nicht wirklich. Statt zu antworten zog Yoshiki sie zu sich und drückte sie eng an sich, während er den Tränen freien Lauf ließ. „Du warst für mich immer so etwas wie eine eigene Tochter, Ran… du kannst dir nicht vorstellen, wie unglaublich stolz ich auf dich bin…“ Seine Stimme brach ab und ihr Körper bebte in seiner Umarmung. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da klopfte es an der Tür, welche sich gleich darauf auch öffnete. Zwei OP-Schwestern traten ein und teilten mit, dass alles bereit wäre. „Ran!“, forderte Kouki seine weinende Tochter auf, vom Bett aufzustehen und berührte sie an der Schulter, doch sie krallte sich nur an ihrem Onkel fest. „Ich lass dich nicht gehen!“, schluchzte sie, während Yoshiki ihre Hände von sich loseiste und zum ersten Mal die blauen Flecke an ihren Armen sah, die er verursacht hatte, als vor wenigen Stunden es noch er gewesen war, der sich an ihr festgehalten hatte. Als er sie hatte, konnte sein kleiner Bruder sie hochheben und festhalten, während die Schwestern die Bremsen der Betträder lösten. „Das wird schon alles“, meinte eine und lächelte ihm aufmunternd zu, während er sich die Tränen wegwischte und sich zwang sich, wieder zu beruhigen. Dies erforderte nicht viel Mühe, da das Sedativum inzwischen seine volle Wirkung entfaltet hatte. Während er hinausgeschoben wurde, konnte er hören, wie Ran noch immer weinte. Kouki hatte sie wieder auf ihre eigenen Füße gestellt, hielt sie jedoch fest, da er ihr durchaus zutraute, dass sie den OP stürmen würde. In einem kurzen, unachtsamen Moment, in dem er zu Toshi, Dan und Takumi geblickt hatte, riss sie sich allerdings los und rannte den Krankenschwestern hinterher. Sie hörte zwar, wie ihr Vater ihr etwas nachrief und ihr jemand folgte, doch sie ignorierte dies und hastete auf die geöffneten Türen zu, hinter denen der Operationsbereich anfing, und achtete nicht darauf, ob sie irgendwelche Leute anrempelte oder nicht. Viel sah sie sowieso nicht, da die Tränen ihren Blick verschleiert hatten. „Yoshiki!!“ Die Schwestern hielten für einen Moment inne und sahen sie überrascht an, doch die Türen waren bereits wieder am Schließen. „Promise me you won’t leave!“ Sie konnte nicht sagen, weshalb sie ins Englische gewechselt war, da sie sich eigentlich nur dann in dieser Sprache unterhielten, wenn sie über Dinge redeten, die nicht jeder verstehen sollte. Yoshikis Antwort hörte sie aber nicht mehr. Sie sah nur noch, wie er müde lächelte und seine Lippen ein „Goodbye“ formten, ehe sich die Türen schlossen und sie schluchzend in die Knie ging. „Ran… versprich mir, dass du nie gehst, ohne dich zu verabschieden!“ ★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★ ENDE Vielen Dank an alle, die diese kleine FF verfolgt und kommentiert haben. Die nächste steht auch schon in den Startlöchern (muss meiner lieben Beta nur noch einen kleinen Vorsprung verschaffen), hat allerdings nichts mit Yoshiki und Ran zu tun (aber vielleicht kram ich sie irgendwann nochmal aus, sollte mich die Muße diesbezüglich küssen) ^.~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)