Apocalyptic fairytales von Tsuruume (One-Shot Sammlung [Degenesis]) ================================================================================ Kapitel 1: Glückskind --------------------- Hellvetiker x Apokalyptikerin Wahrscheinlich war es die Luft. Wahrscheinlich war es der Alkohol, der ihm langsam zu Kopf stieg. Wahrscheinlich war sie eine Dushani, deren Lied sich unbemerkt in seine Gedanken geschlichen hatte und diese nun vollkommen beherrschte. Aber um ehrlich zu sein, war es im Endeffekt gleich, was sie war oder woran es lag, im Endeffekt zählte nur, dass er sie seitdem er diese Bar betreten hatte, anstarrte. Und selbst, wenn er den Blick abwandte, weil sich ein kurzer Hauch von Vernunft meldete und darauf bestand, dass er diesen Unsinn ließ, dann zuckten Bilder durch seinen Kopf, hektischen Fieberträumen gleich, die aber allesamt nur ein einziges Thema hatten: Sie. Unter ihm, auf ihm. Ganz gleich wie, Hauptsache ohne diese störenden Fetzen, die einen Teil ihres Körpers bedeckten. Tief sog er die rauchgeschwängerte Luft, die ihn umgab, in seine Lungen und griff mit beiden Händen nach dem Humpen Bier, der vor ihm stand. Der Alkohol füllte Mund und Magen, brannte sich durch seine Kehle und erlöste ihn für einen dankbaren Augenblick lang von dieser fatalen Besessenheit. Solange, bis ihre Blicke sich trafen und die Flüssigkeit regelrecht in seinem Hals stockte. In ihren Augen lagen Verheißung und Belustigung in einem, ehe sie mit dem rechten Auge zwinkerte und ihm den Rücken zudrehte. Es gab ihm den Rest, auch, wenn er, ob des Alkohols, der seinen Weg in den falschen Teil seines Halses gewählt hatte, stark zu husten begann, nahm er noch wahr, dass ihr Rücken nur von einer winzigen Anzahl kaum sichtbarer Schnüre bedeckt war und der Blick auf die breite Tätowierung, die ihn bedeckte, freigab, ehe sein Sichtfeld sich aufgrund der Tränen trübte. Wahnsinn. Nichts anderes konnte sich seines Gemüts bemächtigt haben und das, was er jetzt hätte tun sollen, wäre eine kalte Dusche gewesen und danach ein reinigendes Gespräch mit seinem Vorgesetzen, damit dieser ihm den Kopf wieder zurecht rücken konnte. Aber sein Verstand folgte ihr in Richtung Tür, wo sie sich ein letztes Mal halb umdrehte und ihm über ihre rechte Schulter hinweg mit zwei Fingern bedeutete, dass er ihr doch folgen mochte. Gut, dass er seinen Wegbereiter im Quartier gelassen hatte, in diesen Sekunden hätte er ihn wahrscheinlich einfach hier liegen lassen, jetzt, wo er aufsprang und schlicht und ergreifend vergessen. Aber immerhin war er noch geistesgegenwärtig genug, einige Wechsel im Vorbeigehen auf die Theke zu werfen, ehe er die Bar verließ. Sie selbst lehnte an der Wand gegenüber, ein Bein an ihr abgestützt, was den uneingeschränkten Blick auf ihre Schenkel offen legte, zumindest bis zu dem Punkt, an dem sich knapper, schwarzer Stoff anschickte, zumindest ihren Schoß komplett zu verdecken. Aber das war nichts im Vergleich zu ihrem Lächeln, welches sie ihm schenkte, als er auf sie zukam. „Ich dachte schon, du würdest es nur dabei belassen, mich anzustarren.“ Spott schwang in ihrer rauen Stimme mit und trieb ihm eine leichte Röte ins Gesicht, etwas, das seine Mutter das letzte Mal geschafft hatte, als sie ihn mit sieben bei einer faustdicken Lüge erwischt hatte. Und verdammt, er hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte, allein der Mund öffnete und schloss sich nutzlos wieder, da die Kehle keinerlei Ton preis geben wollte. Die junge Frau lachte auf, stieß sich von der Wand ab und kam ihm einen Schritt entgegen, so nah, dass er ihr schweres Parfum wahrnehmen konnte. Das dunkle Haar fiel weich und gepflegt offen über die schmalen Schultern und weckte in ihm das Bedürfnis, beide Hände tief darin zu vergraben. „Aber ist das, was du hier tust, nicht furchtbar dumm, Hellvetiker?“ Ihre Finger legten sich spielerisch auf seinen Brustpanzer, als sie auf die Zehenspitzen ging und ihr Gesicht fast unerträglich nah ans das seine kam. So nah, dass er ihren warmen Atem spüren konnte. „Warum?“ Eine dumme Frage, aber mehr konnte er nicht hervorbringen. Ein helles Lachen war die Antwort, zusammen mit einem leichten Stoß von der Hand, die bis gerade eben nicht mehr als leicht auf ihm gelegen hatte. „Wir sind gefährlich, Hellvetiker, ist es nicht das, was man euch beibringt? Ein ständiges, lebendes Ärgernis. Und manchmal, wenn ihr uns euren gepanzerten Hintern zudreht, sogar tödlich.“ Sie führte ihn vor wie einen Schuljungen. Es gab nichts, was er hätte darauf erwidern können, außer einem Ja, aber das würde ihn sicherlich nicht an das Ziel bringen, welches er ins Auge gefasst hatte. „Und es ist dir egal?“ Ihre Stimme hatte etwas Erstauntes angenommen und immerhin konnte er nicken. Kurz, mit Nachdruck, die Arme vor der Brust verschränkt, weil er ansonsten nicht gewusst hätte, was er mit diesen im Moment so nutzlosen Körperteilen hätte anfangen sollen. „Sieh an.“ Die Apokalyptikerin legte für einen Moment den Kopf schräg, musterte ihn mit einem seltsam ernsten Gesichtsausdruck, der sich Sekunden später in einem kehligen Lachen auflöste. „Na dann, starker Mann, wenn das wirklich, wirklich dein Ernst ist, dann komm mit.“ Eine letzte Chance für die Vernunft, ein letzter Appell an seine Ausbildung, ein kurzer Gedanken an die Kameraden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Quartier auf ihn warteten und dann drehte sie sich einfach wieder um, eine so harmlose Bewegung, die jeden Stunde tausendfach in dieser Stadt geschah, aber bei ihr beinhaltete es – wie alles, was sie tat – etwas so Sinnliches, dass sein Mund trocken wurde und die nutzlosen Hände zugreifen wollten. Aber wenigstens hier konnte er sich beherrschen, sie nicht einfach in die nächste Gasse zu zerren, ihr den Stoff vom Leib zu reißen und dort einfach über sie herzufallen, wie ein rasendes Tier, das nur auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse ausgelegt war. Nein, stattdessen folgte er ihr, wie ein gut konditionierter Hund, durch die engen Straßen der Stadt, konnte grob ausmachen, dass sie ihn in Richtung Marktviertel führte, wo er und seine Gruppe heute morgen die Spitalier hingebracht hatten, von denen sie ursprünglich angeheuert worden waren. Aber die Gassen, die sie durchquerten, waren ihm gänzlich fremd, genau wie das Haus, vor dem sie schließlich stehen blieb und ihm bedachte, es ihr gleich zu tun. Sie trommelte mit den Knöcheln der Finger und wippte in der Zeit, die es dauerte, bis jemand öffnete, wie ein kleines Mädchen ungeduldig von der Ferse auf die Zehen und zurück, während sie eine der dunklen Strähnen unentwegt um die Finger wickelte. Die Person, die öffnete, konnte er zunächst nicht ausmachen, nur die Stimme, die eindeutig männlich war, was ein unbestimmtes, aber schlechtes Gefühl in ihm hinterließ. „Cecil.“ Seine Begleitung schien durchaus erfreut zu sein. „Ivy.“ Cecil weniger. Aber was interessierte ihn das? Nichts. Alles, was hiervon hängen blieb war, dass er jetzt immerhin ihren Namen kannte. „Besuch?“ Die Tür öffnete sich ein wenig weiter und er konnte jetzt direkt in das Gesicht eines älteren Mannes blicken – unübersehbar vom gleichen Kult wie die junge Frau – der ihn anstarrte, als hätte sie einen tollwütigen Hund angeschleppt. „Besuch.“, bekräftigte sie und griff nach seiner Hand. Er bereute es zutiefst, die gepolsterten Handschuhe immer noch zu tragen. So blieb ihm nur die Imagination der Wärme ihrer Haut auf seiner und der Kopf ließ sich darauf ein, ihm zuzugestehen, dass er immerhin glauben konnte zu spüren, wie sie sich durch den Stoff fraß und um seine Finger legte, als sie ihn an Cecil vorbeizog, der außer einem tiefen Seufzen nichts mehr dazu sagte. Eine Treppe nach oben, in ein Zimmer, das voll war von dem Geruch nach ihrem Parfum, voll von Stoffen, die einen fast paradiesvogelartigen Kontrast zum dominierenden Grau der Welt vor der Tür boten. Es mochte unangebracht sein, wenn man das betrachtete, worauf all das hier am Ende hinauslaufen würde, aber er fühlte sich wie ein kleiner Junge, dessen strahlend bunte Träume mit einem Mal wahr geworden waren. Vielleicht ließ sich daraus auch das Bedürfnis erklären, welches aus ihm heraus brach, ihr seinen Namen zu nennen, jetzt, wo er ihren wusste und wo sie ihn hierher gebracht hatte. „Ich bin Jason, Jas...“ Beenden konnte er den Satz nicht, da sie einfach nur die Hand in einer kurzen, harten Geste bewegte, die ihm bedeutete, zu schweigen. „Jason reicht völlig.“ In einem Tonfall, der deutlich machte, dass das eigentlich auch schon zu viel war. Wunderbar. Aber ehe er sich Gedanken über seine vollkommene Unfähigkeit machen konnte, hatte sie das Ruder längst wieder in der Hand. „Das da“ Ihre Worte wurden von einem spöttischen Schnippen gegen den Brustpanzer begleitet. „solltest du loswerden, falls du wirklich noch Interesse haben solltest.“ Bei seinem Wegbereiter, so schnell war er noch nie in seinem Leben aus der Panzerung gewesen. Und trotzdem ging es nicht schnell genug, dauert es eine gefühlte Ewigkeit das, was ansonsten sein Leben schützte, nutzlos auf den Boden fallen zu lassen. „Brav.“ Sie war dicht hinter ihm und als er sich umdrehte, um sie ansehen zu können, legten ihre schlanken Arme sich um seinen Hals und der warme Körper der jungen Frau schmiegte sich eng an den Seinen. Und da waren die Scham, die Verwirrung und alles andere, was ihn bis jetzt gehindert hatte, weg. Jetzt, wo er eine Hand auf ihren Rücken pressen konnte, die Finger in den Schnüren verhakt und die anderen Finger endlich in den dichten, weichen Haaren vergraben konnte, war er wieder der selbstwusste Soldat, der sich an dem Ziel wähnte, welches er von Anfang an ihm Auge gehabt hatte. Sie. Es war nur eine schnelle, ruckartige Bewegung, ehe er sie auf dem Bett unter sich hatte, leichte Überraschung im Blick, die verschwand, als er seine Lippen hart und fordernd auf die ihren presste. Sie kam ihm entgegen, wie er es sich erhofft hatte, ohne ihm etwas zu schenken, die Arme von ihm lösend, um die Hände unter das grobe Leinenhemd zu schieben, welches er noch trug. Und ja, sie waren so warm, wie er es sich erhofft hatte, hinterließen ein Prickeln auf den Stellen, die sie berührten, das noch anhielt, als sie sich längst weiterbewegt hatten. Er fuhr mit der Hand in ihren Nacken, um dort den Knoten zu lösen, der das Lederband zusammen hielt, welches ihren kompletten Hals bedeckte, zog daran und stellte, nicht unzufrieden, fest, dass nahezu alles, was sie trug, damit zusammenhing. Bis zu dem Punkt unter ihren Brüsten, aber das Leder dort behinderte ihn nicht länger als jenes, an ihrem Hals und er schleuderte alles mit einer unbeherrschten Bewegung von sich. Ja, das hatte deutlich mehr, als sich aus den eigenen Sachen schälen zu müssen und für einen Moment sah er sie einfach nur an, endlich wieder Jäger, der seine Beute vor sich sah. Zeit, die sie nutzte, um ihn ihrerseits vom Stoff zu befreien. Seine Lippen strichen sacht über ihren Hals, ehe sie ihren Platz an der Stelle fanden, wo er in die Schulter überging. Befriedigt nahm er wahr, wie sie die Luft in einem kurzen, harten Ruck einzog, als er zubiss. Seine Hände wanderten weiter nach unten, wobei die Linke eine Brust umschloss und die weiche Rundung mit den Fingern nachzog, was sie mit einem kehligen Laut quittierte, die eigenen Hände fest auf seinen Rücken gepresst. Die Rechte erreichte den letzten Rest Kleidung, verfing sich am Rand der schwarzen Hose, ehe er den Knopf mit zwei Fingern löste und sie, mitsamt der Unterwäsche und dem Stofffetzen, der irgendwann wohl einmal einen kompletten Rock dargestellt hatte, abstreifte. Hitze bahnte sich den Weg durch seine Adern, floss unaufhaltsam tiefer und nur mühsam konnte er das unterdrücken, was sein Körper schreiend forderte. Gleich. Gleich, noch... noch galt es etwas zurückzugeben. Sie selbst hatte begonnen an seiner Hose zu nesteln, nur unterband er das, griff nach ihren Gelenken und drückte sie hart über ihrem Kopf zusammen in die Kissen. Ignorierte den halbherzigen Versuch, sich dagegen aufzubäumen, verzog nur die Mundwinkel zu einem fast schon gehässigen Lächeln, hauchte ihr ein „Vergiss es“ ins Ohr und sah, wie die feinen Härchen sich aufstellten, ehe sein Mund dorthin wanderte, wo seine Hand zuletzt gewesen war. Umspielte mit der Zunge die längst hart gewordene Mitte, nahm begierig ihr leises Stöhnen wahr und schob die Finger der Rechten in ihren Schoß. Ihr Atem stockte, als er in die warme Feuchtigkeit eindrang, die Hüften hoben sich ihm fordernd entgegen und das, was bis jetzt nur leise über ihre Lippen gekommen war, steigerte sich, als er die Hand zu bewegen begann, zumindest bis zu dem Punkt, an dem er es mit seinem eigenen Mund erstickte. Hier und jetzt gehörte sie ihm. Der schlanke Körper, der sich unter ihm wand, die leicht geöffneten Lippen, aus denen stoßweise Luft entwich, die Augen, die sie fest geschlossen hatte und die geröteten Wangen, an denen er, er alleine Schuld trug. So, so hatte sie ausgesehen, in den Fieberphantasien seines überreizten Verstandes und trotzdem waren sie nur ein müder, grauer Abklatsch dessen gewesen, was er jetzt sein Eigen nannte. „Hellvetiker.“ Es war leise, kaum zu verstehen, eine Mischung aus Erregung und der Bitte nach mehr, nicht sein Name, nur sein Kult, aber für heute sollte es ihm genügen, für heute würde er sie so einfach davon kommen lassen. Er zog die Finger zurück, kostete den unwilligen Laut, den es zur Folge hatte, aus, in der Zeit, die er brauchte, um sich selbst von der Hose zu befreien. Ließ ihre Gelenke los, umfasste ihre Hüfte mit beiden Händen und schob sich tief in sie. Die warme Enge, die ihn umfing, vernebelte seinen Verstand vollends, ließ die Hitze auf ein unbekanntes Maß nach oben kochen, welches sein Limit erreichte, als sie nach ihm griff, die Beine um seine Hüften schlang und ihn noch tiefer in sich zog, die Nägel tief in seinen Rücken gebohrt. Sie löschte jegliches Maß an Zurückhaltung vollständig aus und ließ nur noch die rasende Gier zurück. Hart stieß er in sie, raunte zufrieden auf, als ihre Bewegungen sich ihm anpassten, küsste sie wieder und wieder, all jene Stellen die er erreichen konnte, ihre weichen Lippen, den geschundenen Hals, ihre Brüste, als könne er dadurch verhindern, dass jemals wieder ein anderer Mann all das hier berühren konnte. Bis sie sich ihm schließlich zitternd ein letztes Mal entgegen drückte und ihn erlösend mit sich riss. Schwer atmend stützte er sich einen Augenblick lang über ihr ab, ehe er sich zur Seite rollte. Schweigend sah er sie an, satt, zufrieden, selbst dann noch, als sie die Augen öffnete und ihn anblinzelte, die Stimme noch rauchig, aber unverkennbar durchsetzt von dem Spott, den er seit Anfang hatte ertragen müssen. „Braver Soldat.“ Er konnte Cecils Blick auf sich spüren, als er die Treppe nach unten kam, dicht gefolgt von ihr. Was genau darin lag, konnte er nicht deuten, glaubte aber, eine Spur Missbilligung darin zu entdecken, auch wenn es unsinnig schien. Was sollte einen Apokalyptiker das kümmern? Ivy vertrieb jegliches Grübeln darüber einerseits dadurch, dass sie ihn schlicht aus der Tür schob, aus der Sichtweise des Mannes, wieder ganz die bestimmende Kraft und andererseits dadurch, dass sie sich, nach einem kurzen, fast prüfenden Blick auf ihre Umgebung, dazu hinreißen ließ, sich ihm entgegenzustrecken, beide Hände gegen seinen Brustpanzer drückend und ihn küsste. Der bittersüße Hauch des Abschieds lag darin, nicht anders als erwartet und doch auf grausame Art und Weise ernüchternd. „Mach es gut, Hellvetiker.“ Ein Trommeln mit den Zeigefingern auf die harte Unterlage und dann hatte sie sich schon von ihm weggedreht und sprang die beiden Treppenstufen nach oben. „Jason!“, fühlte er sich verpflichtet, es endlich in ihr Gedächtnis zu rufen. Und tatsächlich drehte sie sich halb zurück, die Hände hinter dem Rücken, den Oberkörper leicht nach vorne geneigt und lachte hell auf. „Ja. Jason.“ Es ließ ihn, dümmlich grinsend, zurück auf der Straße, aber wenigstens, wenigstens hatte er noch die Geistesgegenwart, die Maske nach oben zu klappen und dem Rest der Welt diesen Anblick zu ersparen. Oder sich das Gespött der Menschen. Aber er, er fühlte sich gut. Sehr sogar. Glückskind. ~ Fin Kapitel 2: Befreiungsschlag --------------------------- „Du bist einfach nutzlos, Malaika, sieh es sein.“ Und dann ging alles, ganz, ganz leicht. Beflügelt von dem Hass, der sich über Jahre in ihrem Herzen festgefressen hatte und nur noch gelenkt von dem tiefsitzenden Wunsch, ihn endlich, endlich zum Schweigen zu bringen, umschlossen ihre Finger den glatten Stein, den sie vom staubigen Boden auflaß. Sie war immer schneller gewesen, als er. Und die Wut, die Verzweiflung und der brennende Wunsch nach Rache, verliehen ihr die Kraft, die er ihr voraus hatte. Erstaunen war das Letzte, was in seinen dunklen Augen stand, als sie zuschlug. Mit einem trockenen Knacken brach irgendein Knochen in seinem Gesicht, warmes, rotes Blut spritzte auf ihre Hand und er taumelte nach hinten, beide Arme hochgerissen, in einer Mischung aus Schutz und dem Versuch, sie zu ergreifen und sich zu wehren. Nutzlos. So nutzlos wie ihre Existenz in seinen Augen immer gewesen war. Gnadenlos schlug sie zu, immer und immer wieder, so lange, bis ihre Hände und Arme rot waren, so lange, bis er sich nicht mehr rührte, so lange, bis sein Gesicht, das ach so hübsche Gesicht, nichts mehr war, als eine einzige Masse aus rohem Fleisch und weißem, gesplittertem Knochen, kein Fetzen mehr von der dunklen Haut, kein Fetzen mehr, der zeigte, dass es einmal das Gesicht eines Menschen gewesen war. Und erst dann wurden ihr die Arme lahm, erst dann ließen die verkrampften Finger den Stein los, der mit einem dumpfen Laut auf dem Boden aufkam, ein Stück weit rollte und schließlich neben ihrem Fuß liegen blieb. Es war vorbei. Saeed war ruhig, endlich, endlich ruhig, still, still, so still. Ein hysterisches Lachen kroch aus ihrer Kehle, flog in die trockene Wüstenluft, wie ein Vogel, der gen Norden zog, weil der Winter in seinem Heimatland vorbei war. Dafür würden sie sie töten. Und obwohl diese Erkenntnis in ihrem Kopf hängen blieb, störte sie das nicht. Keine Sekunde lang, denn sie hatte bekommen, wonach sie sich gesehnt und er das, was er verdient hatte. Um ihn würden sie weinen, ihn, das Schwein. Würde sie hier an seiner statt liegen, niemand würde auch nur eine Träne für sie vergießen, bis vielleicht auf Mutter. Aber nicht ihr Vater, nicht das Dorf, niemand. Still würde man sie dem Anubier übergeben und zum Tagwerk übergehen. „Und womit hast du solche Ehren verdient?“, Sie zischte es in die Richtung des leblosen Körper, Abscheu in Stimme und Blick. „Womit?“ Nur, weil er ein Junge gewesen war, nur, weil er sich den Geißlern, die ihr Vater so sehr verehrte, hatte anschließen können. Dabei hatte er nichts von dem verstanden, was die Krallen des Löwen repräsentierten. Nichts. Er war ein arroganter Dummkopf gewesen, der die Dekadenz liebte und eigenen Schmerz fürchtete. Jemand, der eher davon gelaufen wäre, anstatt sein Blut für sein Volk zu vergießen. „Ich wäre besser gewesen als du, Saeed, viel besser.“ Geräuschvoll spuckte sie auf seine Brust. Aber sie war eine Frau. Ihr würden diese Weihen auf ewig verschlossen bleiben, ganz gleich, was sie tat. Außer Saeed würde heute Abend doch noch in das Dorf zurückkehren. Es war wie ein kurzer Blitz in ihrem Kopf, als hätten die Ahnen selbst hinter ihr gestanden und ihr diese Lösung ins Ohr geflüstert. Zwillinge. Immer gleich groß gewesen, ein schlanker Körperbau, den die anderen Mädchen belächelten, weil er so knabenhaft war. Eine tiefe Stimme und ein Gesicht, dem Bruder so ähnlich. Und allem voran: nichts zu verlieren. Nur zu gewinnen. Mit fliegenden Fingern begann sie, ihn zu entkleiden, um ihre Sachen mit ihm zu tauschen, den Ahnen dafür dankend, dass er ein Hemd getragen hatte, welches ihre Brust fürs Erste verbergen würde. Schleppte seinen Körper hin zu den Spalten, die sich in der Erde auftaten, um ihn dorthin zu stoßen, tief, so tief nach unten, dass von seinem zerschmetterten Körper nichts übrig bleiben würde, was sie verraten konnte. Schor sich den Kopf, die Zähne zusammengebissen, konzentriert, in der Angst, sich zu schneiden und somit zu verraten. Und lief schließlich zurück, um panisch ihren eigenen Tod zu verkünden. Malaika starb an jenem Tag, mehr beweint, als sie jemals geglaubt hatte. Aber Saeeds Stern begann zu steigen, in Jahren, die sie immer weiter vorwärts trugen. Weg, weit weg von dem Dorf, aus dem sie gekommen war, mit den Geißlern über Gibraltar in die Länder der Weißen, die sie hassen lernte. Immer auf der Flucht vor damals, immer in der Furcht, enttarnt zu werden. Den Körper voller Verbände, von denen jener auf der Brust einzig dazu diente, das zu verstecken, was sie als Frau auswieß. Darauf angesprochen kam immer das Gleiche über ihre Lippen: Nichts weiter als eine stetige Erinnerung an all die unheilbaren Verletzungen, die ihrem Volk zugefügt worden waren, die es nun zu rächen galt. Immer noch. Damit sie niemals, niemals vergessen konnte. Die Krallen der Löwin hatten sich in den heißen Wüstensand gegraben, zerrissen jene, die an ihr zweifelten und trugen sie und ihren unbändigen Ehrgeiz nach oben. Kapitel 3: Teamspeak -------------------- Die Art, wie der Rauch vor seinem Gesicht aufstieg, hatte etwas unglaublich beruhigendes, fast schon hypnotisches, das seinen Geist komplett zur Ruhe kommen ließ. Bedächtig zog er an der Zigarette zwischen seinen Fingern, wartete, bis die weißen Schlieren sich verzogen hatten, ehe er sie durch neue, dem Himmel entgegen tanzende ersetzte. „Dir ist klar, dass du viel zu viel rauchst, Sojirô?“ „Dir ist klar, dass du viel zu viel redest, Madoka?“ Er konnte ihr leises Auflachen hören, zusammen mit dem leisen Rascheln von Stoff und Gras, als sie sich neben ihn setzte. „Mein Laster wird mich aber nicht langsam umbringen.“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, während er die rot glühende Asche, die sich an der Spitze der Zigarette bereits bedrohlich nach unten neigte, auf das Gras neben sich schnippte. „Das kommt darauf an, ob man dir irgendwann einfach den Hals umdrehen oder dich langsam zu Tode foltern wird.“ Sie schnaubte und ließ sich nach hinten kippen, die Hände über dem Bauch gefaltet, das rechte Bein über das Linke geschlagen, wodurch die Spitze ihres Fußes sich in sein Blickfeld schob und zu dem filigranen Rauch ein stetig wackelnder Schuh hinzukam. Interessant. Aber nichts, was er als wichtig genug empfand, um es wirklich zu kommentieren und so schwieg er weiter, obwohl er fast schon greifbar neben sich ihre Unruhe und ihren Wunsch spüren konnte, ein Gespräch zu führen. Madoka war kein Mensch, der einfach nur sitzen und schweigen konnte, was an manchen Tagen mehr als nur eine Last war. Gerade jetzt konnte er sich noch nicht entscheiden, ob er es als angenehm empfinden oder als Belästigung bewerten sollte. „Was ist eigentlich so unglaublich toll daran?“ Sie hatte sich wieder aufgesetzt und leicht nach vorne gebeugt. „An was?“ Er verstand wirklich nicht, was sie von ihm wollte, aber wahrscheinlich hätte er die Frage auch gestellt, wenn er es gewusst hätte. Alleine schon, weil es ihn irgendwie belustigte, sie zu aufzuziehen. Seine Teamkameradin hob die Hand und schnippte gegen die Zigarette zwischen seinen Fingern. „Daran. Immerhin hängst du an dem Zeug, als würde dein Leben davon abhängen. Also, was ist so unglaublich großartig daran?“ Sojirô zuckte mit den Schultern und antwortete mit einem lapidaren „Es schmeckt.“ „Nach was?“ Sie schaffte es gerade, sich in die Richtung zu schieben, in der sie ihm leicht auf die Nerven ging. Wirklich. „Kann ich nicht beschreiben, das muss man selbst testen... ich mag es.“ Wie sollte man Zigarettenrauch jemandem beschreiben, der es nicht kannte? Da war nichts, mit dem man es hätte vergleichen können, das war eine Sache, die es selbst zu erfahren galt. Zumindest aus seiner Sicht der Dinge. Wieder einen Augenblick des Schweigens, dann setzte sie sich direkt vor ihn und sah ihn auffordernd an. „Na dann, gib her.“ „Was?“ Man mochte ihm vergeben, dass er ein wenig irritiert war und auch noch reagierte, als sie fast schon herrisch gegen seine Hand schnippste. „Was wohl?“ Madoka sah ihn fast entrüstet an, pustete sich die Strähnen des Ponys, der mittlerweile bedenklich lang geworden war, aus dem Gesicht und schnalzte leicht mit der Zunge, ein Zeichen dafür, dass sie ungeduldig wurde. Gut, er begriff gerade, aber das hieß nicht... „Nein?“ In einer Tonlage, die man fast schon als hysterisch hätte bezeichnen können, zog er die Hand zurück. „Warum sollte ich?“ „Um mir diese allumfassende Erfahrung zu gönnen, mich mit Wissen zu erleuchten, damit ich einen Schritt weiter bin, auf dem Pfad hin zu der höheren Existenz, die du bereits bist.“ Seine Augen wurden schmal in der kurz aufflammenden Wut. Er mochte es nicht, wenn sie sich über ihn lustig machte. Er mochte es wirklich nicht. „Das wird wohl nichts.“ Nein. Und um das noch zu unterstreichen, hob er die Zigarette an den Mund und zog daran. Das Spiel konnte man zu zweit spielen und er beherrschte es deutlich besser. Zumindest ging er zu dem Zeitpunkt, an dem die leuchtend rote Spitze ihr Gesicht, welches mit einem Mal eigenartig nah war, noch davon aus. Auf ihren Zügen lag eine eigenartige Entschlossenheit, die er nicht einordnen konnte, als sie die Hände neben seiner Hüfte abstütze. „Das wollen wir doch sehen.“ Hätte er wirklich noch etwas dazu sagen wollen, dann wäre es so oder so nicht mehr gegangen. Ihre Lippen legten sich warm auf seine, fordernd, so, als hätte sie schon länger auf eine Möglichkeit gewartet, genau da hier zu tun. Und er hätte lügen müssen, wäre ein kleiner Teil von ihm ihr dafür nicht dankbar, selbst, wenn die Umstände nicht hätten dümmer sein können. Aber es waren Beschwerden, die darin untergingen, in dem Kribbeln, welches sich durch seine Adern schlich, als er den Kuss erwiderte und die Finger der freien Hand tief in ihren Haaren vergrub, dort, wo sie noch nicht unter dem schwarzen Band verschwanden, welches ihren Zopf zusammen hielt. Ein leises Auflachen kroch aus ihrer Kehle, als sie sich von ihm löste und dem Blick, den er ihr schenkte, auswich, indem sie den Kopf senkte und sich wieder zur Seite fallen ließ. „Und?“ Er konnte spüren, wie eine brennende Röte sich auf seinen Wangen ausbreitete, eine Röte, die einem kleinen, verlegenem Mädchen besser gestanden hätte, als einem fast erwachsenen Hyuga. „Nein, ich glaube nicht, dass ich damit anfangen werde.“ Es war wie ein Schlag in den Magen und so wahr sein Blick mehr als ungläubig, als er sich nach rechts drehte, um sie anzusehen. „Was?“ „Es schmeckt nicht. Sojirô. Keine Ahnung, was du daran findest, aber es ist widerlich.“ Widerlich. „Beim ersten Mal mag man es nie, Madoka, man braucht schon ein paar Züge mehr.“ Ein fast schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die Arme im Nacken verschränkte. „Na dann, Hyuga... lass mich noch mal ziehen.“ ~Fin.~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)