The Equinox von ImSherlocked (Was tut man, wenn man sich von aller Welt verraten fühlt? Man wendet sich dem Feind zu!) ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- „Fingon!“ Sein Name wurde gerufen. Schon wieder. Wieso brauchst dieser Lehrling eines in Habad Rart ansässigen Schmiedes eigentlich ständig seine Hilfe? Seit nunmehr schon zwei Stunden wurde er ständig gerufen, wenn er gerade im Begriff war, zu gehen. Langsam drehte Fingon sich zu dem jungen, schmächtigen und blondem Lehrling um. Langsam, um bis zehn zählen zu können und nicht die Geduld zu verlieren. „Suilad. Wie oft muss ich es dir noch sagen? Ich werde dir heute nicht mehr helfen!“ „Ja, ich weiß, aber…“, entgegnete der Junge, der noch immer seinen Hammer in der Hand hielt, obwohl für ihn ebenso schon der wohlverdiente Feierabend angefangen hätte. Normalerweise ließ Fingon ihn aussprechen, doch heute war ihm dies vergangen. „Kein Aber! Ich habe heute genug von dir. Morgen ist noch ein ganzer Arbeitstag, an dem du mich nerven kannst.“ Mit der Hand verdeutlichte er die Endlosschleife und verdrehte dabei entnervt die stahlgrauen Augen, die denen eines Raubvogels so ähnlich sahen. „Aber Fingon…“, fing der Junge wieder an. Dieses Mal ließ er es über sich ergehen, welche Wahl blieb ihm auch? Der Lehrling, inzwischen vorsichtig geworden, wartet, ob er noch einmal unterbrochen werden würde, oder endlich frei reden konnte. Als Fingon nichts mehr sagte, sondern wegen des Ärgernisses und der Zeitverschwendung die Hände in die Hüften stemmte, fing Suilad an zu berichten. „Der Meister sagte gerade, er habe einen Boten des Lords erhalten. Dieser Bote berichtete, der Kaiser hätte ihm aufgetragen, unsere Schmiede zu begutachten.“ „Und was bedeutet das für uns?“ Fingon zog die Augenbrauen zusammen, wie er es so häufig tat, wenn etwas ihn ärgerte oder grübeln ließ. Dieses Mal bildete sich die tiefe Furche zwischen seinen Brauen aus Ärger. Er mochte den Lord nicht; die Städte des Lords, seine Magie und das gesamte Land ebenfalls nicht. Dass der Lord sich anscheinend persönlich für die Schmiede, in der er gerade arbeitete, zu interessieren schien, passte ihm gar nicht. Unbeirrt von der Miene seines älteren Freundes fuhr der Junge fort. „Der Bote sagte, wenn unsere Schmiede gut genug sei, dürften wir für die Armee des Lords Waffen schmieden.“ Zornig starrte Fingon hinauf zu dem Rauch, der sich selenruhig und ungestört von allem Unglück der Welt seinen Weg in die ewige Freiheit bahnte. Um seinen Zorn vor Suilad zu verbergen, umklammert Fingon einen Ast hinter seinem Rücken und drückte so fest zu, dass die Knöchel deutlich hervortraten. Der kleine durfte nicht erfahren, wie Fingons Einstellung zum dunklen Lord waren. Gegner der Regentschaft wurden sofort zur Rechenschaft gezogen, erst aufgehängt und dann geköpft. „Das ist aber schön….“. versuchte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorzubringen. Der Junge schwelgte gerade jedoch im Glück über die baldige bedeutsame Aufgabe, dass ihm Fingons verhalten gar nicht auffiel. „Nicht wahr? Dann können die Truppen des Lords auch bald magische Klingen einsetzen und so das gesamte Land befrieden.“ „Ja Kleiner.“ Mit Mühe und Not löste Fingon die Umklammerung um den Ast und wuschelte dem Jungen durch die Haare. Ihm wollte er nicht böse sein. Er konnte nichts für diese Wendung der Geschehnisse, er war lediglich der Überbringer der Botschaft. „Geh nach Hause kleiner. Und morgen suchen wir uns den besten Stahl heraus für die Waffen der Armee.“ Freudestrahlend schaute Suilad zu seinem Vorbild auf, verneigte sich artig und hüpfte davon. Fingon schnaubte verächtlich, als er an die Absichten des Lords dachte. Das Land befrieden. Er würde das gesamte Land höchstens unterdrücken. Doch den Menschen würde es wahrscheinlich gar nicht auffallen. Ihnen würde das Denken und sämtlicher eigener Wille abgenommen werden. Die meisten würden damit zufrieden sein. Fingon jedoch auf keinen Fall. Er liebte die kleinen Freiheiten, die er sich hin und wieder einfach zu nehmen pflegte. Einen festen Beruf hatte er zum Beispiel nicht. Er wandelte von einem Laden zum anderen, allerdings nur dann, wenn es im Winter in der Wildnis, wo er eigentlich immer hauste, bitterkalt war, und der Boden und Wald kein beständiges Nahrungsaufkommen sicherten. Nur langsam schwand sein Zorn und allein der kleinste Gedanke an das baldige Schicksal des netten Schmiedes und seines Lerhlings, entfachte ihn von Neuem. Aufgebracht rammte er die Faust in die Hosentasche und stapfte durch den riefen Morrast auf den Straßen quer durch das Herz des ehemaligen Söldnerlagers, das sich nun in eine riesige Stadt gewandelt hatte. Doch nur der Stadtkern hatte es inzwischen geschafft, aus Stein gebaut zu werden. Um den Kern herum hatten die Söldner Holzverschläge gebaut und im Außenring standen noch immer weiße Zelte etwas ungeordnet, wie es bei einer solchen Armee nicht anders zu erwarten war. Bekümmert über das Leid der Menschen und vor allem über das der Frauen, hielt er seinen Blick gesenkt. Er wollte nicht sehen, wie sie einfach von der Straße in Häuser gezerrt wurden. Er wollte auch ihre Schreie nicht hören, aber das war unmöglich. Er wollte nicht auffallen und das würde er mit den Fingern in den Ohren allemal. Fingon beschleunigte seine Schritte, als er eine Gruppe der Häscher des Lords sah. Er wollte ihnen nicht begegnen, zumal er bei den meisten als Unruhestifter nicht sehr beliebt war. Gern nahmen sie ihn dann mit, behielten ihn zwei oder drei Tage in einem kleinen Verhörraum und ließen ihn anschließend wieder frei. Fingon fragte sich noch immer, wofür das gut sein sollte, immerhin hatte er nie etwas verbrochen. Einer der Häscher erblickte ihn und machte seinen Kumpanen darauf aufmerksam. Ihr Opfer bemerkte die Aufmerksamkeit zum Glück jedoch noch früh genug, bog in eine Seitengasse ein und nahm einen Umweg. Zwischen den hochgewachsenen Häusern war es dunkel und obwohl die Häscher elbischer Herkunft waren, hatten sie selbst in der Dunkelheit keine Chance gegen seinen Orientierungssinn. Er war in dieser Stadt die ersten Jahre seines Lebens aufgewachsen und hatte sie in den letzten Monaten wieder neu erkundet, die Häscher jedoch meist nur ein paar Mal her, bevor sie ausgewechselt wurden, weil sie den Lord nicht zufriedenstellen konnten. Außer Reichweite der Elben fiel er in einen leichten Trott, um schneller vorwärts zu kommen. Die Sonne ging bald unter und Fingon wollte dann nicht allein durch komplett düstere Gassen streichen. Zwei Stunden nach Sonnenuntergang musste er zu Hause sein, denn dann war es niemandem mehr gestattet, auf der Straße zu sein. Diese Regel hatte der Lord vor wenigen Monaten angeordnet, nachdem es einen riesigen Aufstand mitten in der Nacht gegeben hatte. Wer sich nach Ablauf dieser zwei Stunden noch auf der Straße befand, wurde kurzerhand mit Pfeil und Bogen erschossen oder geköpft. Fingon lief durch die engen Gassen, immer in der Hoffnung, von niemandem entdeckt zu werden und einfach in seinen kleinen Holzverschlag zu kommen. In einigen Gässchen war es so schmal, dass kaum noch zwei Pferde nebeneinander laufen konnten. Nach einem strengen Fußmarsch erblickte er endlich das winzige Holzhaus, dass sich zwischen zwei steinerne Wohnhäuser gequetscht hatte. Ein einziges Fenster ging zur Straße, davor waren ein paar Blumen angebracht, um es wenigstens ein bisschen bunt zu gestalten. Fingon kramte einen Schlüssel hervor und ließ das Vorhängeschloss aufschnappen. Dann nahm er es ab, ging hinein und verriegelte damit hinter sich die Tür erneut. Wie von selbst liefen seine Füße nun erst in den kleinen Hinterhof, um Feuerholz für den Kamin zu holen. Außerdem schöpfte er einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, um sich an dem kalten Tag eine warme Suppe zu kochen. Ungerührt von dem Schneesturm, der sich draußen tobend bemerkbar machte, genoss Fingon den Teller Suppe und starrte ins Feuer. Bald würde er also für den Lord magische Klingen herstellen, damit seine Armeen es leichter hatten, das gesamte Land, wenn nicht sogar die ganze Welt in Unheil zu stürzen. Stöhnend raufte er sich die langen braunen Haare, die ihm offen über die Schultern fielen und die er sonst im Nacken lose zusammenband. Er wollte nicht für den Lord arbeiten. Der Lord war ihm ein Dorn im Auge. Fingon würde sich im Frühling also auf Reisen zu verschiedenen Bauern in der Umgebung machte. Dort, wie er wusste, fand er immer Arbeit, auch wenn das hieß, dass er sein kleines Haus verlassen und in die Welt ziehen musste. Wäre er doch nie aus den Bergen im Umland der alten Festungsstadt Maur weggezogen. Dort brauchte er kein Geld. Er war vollkommen auf sich allein gestellt und glücklich gewesen. Doch die Annehmlichkeiten einer Stadt hatten ihn gelockt und bis jetzt war es ihm nicht gelungen, diesem Kreis wieder zu entfliehen. Vor einigen Monaten hatte er dann angefangen, beim Schmied zu arbeiten. Es war ehrliche und gute Arbeit, auch wenn sie anstrengend war. Seitdem er in dieser Stadt war, war auch sein Sinn für Gerechtigkeit gewachsen. Höchstwahrscheinlich wollte man ihn deshalb am liebsten eliminieren. Fingon half unterdrückten Menschen, ihre Fesseln abzustreifen und aus der Stadt zu fliegen. Wie gern würde er manchmal selbst mitkommen, aber noch waren zu viele Menschen da, die ebenfalls gerettet werden mussten und die ein Recht darauf hatten, frei leben zu dürfen. Weiterhin in Gedankenstarrte Fingon aus dem Fenster und schaute zu, wie die Schneeflocken ruhig zu Boden sanken, der Sturm hatte sich gelegt. Wie sehr wünschte er sich, dass der Rest der Welt ebenso ruhig war. Als der Morgen graute, war Fingon schon auf den Beinen. Auch der Tee stand schon dampfend auf dem Tisch, nur etwas zu Essen hatte er nicht mehr im Haus. Vielleicht konnte er auf dem Weg zur Schmiede noch ein halbes Brot eim Bäcker kaufen. Die paar Kupfermünzen in seiner Tasche sollten genügen und selbst wenn das Geld nicht genug war oder es kein Brot mehr gab, der Schmied würde ihm auf jeden Fall ein kleines Frühstück geben. Vollkommen in Gedanken erblickte Fingon plötzlich einen Lichtfleck, der tanzend über dem Tisch schwebte. Wie vom Blitz getroffen sprang er auf – und stieß sich den Kopf gehörig an der Decke der etwas zu niedrigen Decke. Leise fluchend stolperte er aus der Tür und hielt sich den Kopf. Für seine Körpergröße von annähernd zwei Metern, war es darin viel zu niedrig, doch das war im Moment des Schreckens vergessen gewesen. Unschlüssig, was nun zu tun war, blieb der junge Mann vor der Tür stehen. Tanzende Lichtflecken hatten in diesem Land nie etwas Gutes zu bedeuten. Lichter ohne Ursprung waren magisch und somit für ihn nicht einzuschätzen. Der Lichtfleck konnte eine Seele sein, die auf ihrem Weg nur durch sein Häuschen musste. Andererseits konnte der Lichtfleck auch ein hübsch verpackter Todesfluch sein, der, wenn Fingon mit ihm in Berührung kam, sofort den plötzlichen und underklärlichen Tod auslöste. Was sollte er nun unternehmen? Am besten war, er ging jetzt zur Schmiede und schaute am Abend noch einmal vorbei. Wenn das Licht dann verschwunden war, konnte er die wenigen Tage bis zu seiner Abreise zu den Bauern noch dort wohnen, ansonsten machte er sich sofort auf den Weg. Der Schmied würde enttäuscht sein, doch Fingon konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, Waffen für den Lord herzustellen. Und vor allem magische Waffen waren eine zu übermächtige Macht für den Tyrannen. Die Kupfermünzen klimperten, als Fingon die Hand in die Tasche seiner Lederhose steckte. Lederhosen waren ein Privileg, das den staatlichen und militärischen Arbeitern vorbehalten war. Zumindest war es in dieser Stadt so. Aus dem Land würde jeder Leder an den Beinen tragen, weil es das billigste und stabilste Material überhaupt war. Er ging still seinen Weg durch die Hauptstraßen der Stadt. Es war zwar nicht der kürzeste Weg, aber der, auf dem die Chance am größten war, einen Bäcker zu finden. Der Bäcker, bei dem er einige Male gekauft hatte, war schon brotlos, als er an dem kleinen Stand vorbeikam. Fingon seufzte. Wenn dieser Bäcker mit dem trockensten Brot überhaupt schon kein Brot mehr hatte, würde er auch an keinem anderen Stand etwas bekommen. Brot war in letzter Zeit immer schneller vergriffen gewesen. Waren das lag, konnte Fingon sich noch nicht erklären und ob er es überhaupt herausfinden würde, war unwahrscheinlich. Die Bevölkerung von Habad Rast munkelte, dass der Lord das Getreide für eine neue Armee von Magiern benötigte. Für die meisten Ohren klang das logisch, doch wirklich glauben wollte es niemand. Wie sollte das funktionieren? Fingon schüttelte den Kopf. Wieso gab sich der Lord nicht mit dem zufrieden, was er hatte? Mit knurrendem Magen kämpfte er sich durch die Menschenmassen. Hoffentlich hatte der Schmied noch Brot ergattern können. Sonst würde er, wie es hin und wieder vorkam, mit knurrendem Magen arbeiten müssen. Sein Arbeitstag lief so, wie es schlimmer gar nicht mehr werden konnte. Auch der Inhaber der Schmiede hatte nichts mehr zu essen. Das beste Eisen war ihnen ausgegangen und der Magier, der für die Herstellung der giftigen Pfeilspitzen verantwortlich war, war wegen Glückspiels festgenommen worden. Der Schmied war beim Arzt und sein Sohn Suilad auf dem Kohlkarren irgendwo in der Stadt unterwegs. Fingon war also alleine in der dunklen Schmiede und arbeitete still an dem Schwert weiter, an dem er seit seiner Ankunft arbeitete. Heute würde er endlich fertig werden. Die klinge war schon vollkommen, nur die Gravur war noch nicht in der Klinge verewigt und das Heft noch nicht geglättet worden. Sorgfältig wickelte Fingon das flache, schwarte Lederband von einer Rolle. Solches Leder war teuer, doch der Schmied hatte ihm alle Materialien freigestellt. Das nutzte Fingon nicht aus, das Lederband allerdings war unbedingt notwendig. Achtsam umwickelte Fingon nun das Heft, immer darauf bedacht, keine Falten entstehen zu lassen, die Blasen und Schwielen in der Hand verursachen würden. Als die Sonne hoch am Himmel stand, hatte Fingon das Heft endlich umwickelt und auch die Gravur, die aus alten, elbischen Worten bestand, war in der Klinge zu lesen. Er ließ seinen Blick schweifen. Irgendwo mussten doch eine Scheide und ein Gurt herumliegen. Das schwache Licht im hinteren Teil des kleinen Raumes trug nicht dazu bei, dass seine Suche schneller von Statten ging. Doch plötzlich fiel sein Blick auf eine pechschwarze Scheide. Sie schien alles Licht von außen einfach zu verschlucken. Beeindruckt von diesem Gegenstand, nahm Fingon ihn vom Boden auf und steckte das Schwert hinein. Er wunderte sich. Die Scheide schien sich perfekt an die Klinge zu schmiegen. „Besser als nichts“, murmelte er, machte die Scheide an einem Gurt fest und hängte sich diesen um. Auf seinem Weg über die Höfe in nächster Zeit würde sich bestimmt noch ein besserer Gurt finden lassen. Plötzlich rummelte es im Hinterhof. Die Tür flog auf und eine bullige Gestalt stand dort, mit der Sonne im Rücken. „Fingon, pack deine Sachen und verschwinde von hier!“, es war der Schmied, der brüllte. Seine Glatze glänzte im Schein der Sonne und sein Leib füllte die Tür fast ganz aus. „Sie rekrutieren alle kampffähigen Männer, das Heer wird bald aufbrechen!“ Noch während er sprach, packte der Schmied den Beutel, der seiner Schulter hing und ward ihn Fingon zu. Ungeschickt fing dieser ihn auf. „Ein Mann gab mir diesen Beutel. Ich weiß nicht, was darin ist, ich habe nicht geguckt. Der Mann sagte, du findest alles darin, was du brauchst, um heil von dannen zu kommen. Er trug mir auf, dich irgendwie mit aus der Stadt zu nehmen. Suilad kommt gleich mit dem Kohlewagen hierher. Er bringt dich in den Wald. Erst dort solltest du in den Rucksack gucken.“ Fingon starrte den Schmied wie von Donner gerührt an. Wie kam er auf die Idee, dass er ihn einfach und ohne Grund verlassen würde? Er konnte den Soldaten erklären, er wäre nur Schmied und könne nicht richtig mit Waffen umgehen, wäre sogar ungeschickt darin. Sein Arbeitgeber schien diesen Gedanken zu erraten und schüttelte den Kopf. „Schau dich an, Junge. Du könntest eine der Leibwachen des Lords sein. Sie würden dich niemals in dieser gottverdammten Schmiede lassen.“ Fingon sah es ein. Er war annähernd so groß wie Elben es normalerweise waren, vielleicht sogar größer. Sein breites Kreuz verriet, dass er im Umgang mit Waffen durchaus erfahren war und wenn er sich vor der Schmiede ohne Hemd wusch, wurden die jungen Frauen, die vorbeigingen, allesamt rot. „Nichts ist jemals einfach.“, stöhnte Fingon, schulterte den Rucksack erneut und blickte dem Mann in die kleinen, fast schwarzen Augen. Seine Besorgnis war echt und nicht gespielt. Ebenso wahr war die Geschichte des Mannes und des Beutels. Nur wieso? Diese Frage würde sich später mit Sicherheit noch klären. Bevor er jedoch jetzt noch etwas sagen konnte, fuhr Suilad mit dem Wagen vor. (ich hoffe doch, dass es euch gefallen hat^^ das war einfach mal ein Eindruck. Mal schauen, ob ich noch weitere Kapitel hochlade. Je nachdem, wie die Resonanz ist^^) Kapitel 2: Zwei --------------- Nienna schreckte aus dem Schlaf auf. Wieder knallte es draußen. Vom Druck der Explosion surrten ihre Ohren. Nur langsam erholten sich ihre Augen vom gleißenden Licht. Vor Müdigkeit schwankend, stand sie auf und ging vorsichtig und bedächtig zum Fenster. Nienna erkannte eine große Gestalt, die unter ihrem Balkon stand. Sein Gesicht lag im Schatten, ein Bein belastete er nicht. Allein an seiner Körperhaltung erkannte sie ihn. „Valandir, was tust du hier? Ich habe dir doch gesagt, du solltest nachts dein Zimmer nicht verlassen, wenn die Magier ihren Rat abhalten!“, flüsterte sie eindringlich und schaute ihn streng von ihrem Fenster aus an. „Aber ich war besorgt um euch, denn normalerweise seid ihr so früh noch nicht in eurem Zimmer und schlaft.“ Seine Stimme hallte zu ihr hoch. Er sprach nicht so leise wie sie. Er war es gewohnt, sich lauter zu artikulieren und konnte diese Angewohnheit nach 553 Lebensjahren als Halbelb nicht ablegen. „Bitte leg dich schlafen, Valandir. Morgen ist ein sehr anstrengender Tag für uns beide und ich möchte, dass wir ausgeschlafen sind.“ Unzufrieden und trotzig starrte er zu ihr hoch und das Mondlicht schien auf sein Gesicht. Es fiel in seine grünen Augen und auf die dunkelbraunen Haare, die ihn in diesem Palast eindeutig als Halbelben enttarnten. In diesem Bereich von Talma Lúme, in Vilos, wurden Halbelben zwar nicht so ungerecht behandelt wie in El Galad, ihrer Heimatstadt und Regierungssitz der Elben, viel besser hatte er es jedoch auch nicht. Denn hier wohnten Magier, und Magier waren ebenso mies zu Nichtmagiern wie Elben zu Halbelben. Sie selbst wurde zum Glück nicht unterdrückt, da sie als Thronfolgerin der Elben auch die Fähigkeit hatte, die Zukunft zu sehen. „Bitte Valan, sei vernünftig und leg dich schlafen. Es kann sein, dass wir morgen schon aufbrechen müssen, wenn Rúmil beschließt, ihn endlich zu suchen.“ Entnervt seufzte Valandir auf und wandte das Gesicht ab. Wieso konnte er ihr nie widersprechen? Wahrscheinlich, weil sie die Wahrheit sprach. Ohne ein weiteres Wort zu ihr zu sagen, verschwand er im Dunkeln. Nienna blickte ihm hinterher. Er war wie eine Glucke, wollte ständig auf sie achten. Manchmal ersetzte er ihr den Bruder, den sie nicht hatte, doch manchmal war es einfach nerv raubend. Am nächsten Morgen erwachte sie durch das Zwitschern zweier Rotkehlchen vor ihrem Fenster. Brummig zog sie die Decke über den Kopf und schloss erneut für einen kurzen Moment die Augen. Wieso nicht einfach liegenbleiben und den herrlichen Moment im warmen Bett genießen? Wahrscheinlich, weil dann der Rat nicht einberufen, die Reise nicht begonnen und der Lord nicht verrichtet werden konnte. Schwungvoll ward sie die Decke vom Bett und sprang auf ihre Füße, die blonden Haare fielen ihr offen um die Schultern. Als ihre Zofen den Lärm hörten, den sie verursachte, liefen sie sofort herbei, um ihr beim Waschen, Haare machen und ankleiden zu helfen. Widerwillig ließ sie die allmorgendliche Prozedur über sich ergehen. So oder so würde sie die drei Frauen nicht abwimmeln können, denn beim Rat vertrat sie eine hohe Position, nämlich ihre Mutter. Diese war die Königin von Bôr Aeglir, dem Reich der Elben. Nienna, als ihre Tochter, musste einen guten Eindruck machen. Als sie das rote Kleid entdeckte, in das sie ihre Zofen stecken wollten, protestierte sie. „Das werde ich nicht anziehen! Wenn wir schnell aufbrechen müssen, ist es viel zu unbequem und beengend!“ Die älteste der Zofen zwängte sie unwirsch in eine Korsage und schnürte sie ein. „Wir bekamen den Befehl von eurer Mutter, euch nicht praktisch, sondern schön einzukleiden. Außerdem kommt der Prinz von Tharn Dor, Nambor, ebenfalls zu der Sitzung. Ihr wisst, dass er ein Auge auf euch geworfen hat.“ Erbarmungslos zog die alte Frau die Korsage zu. Nienna blieb die Luft weg. Die Zofe wetterte weiter, während ihr Opfer um ein wenig Atemluft kämpfte. Erst als sie merkte, dass ihre Beine unter ihr nachgaben, wurde ihr das Atmen endlich erleichtert. „Dass ihr so knapp an Luft seid, hättet ihr auch sagen können…“ Immerhin war der Ton der Alten etwas besorgter geworden. Und trotz aller Widerworte fand Nienna sich kurze Zeit in ihrem roten Kleid wieder, mit dem reiten unmöglich war. Etwas steif lief sie durch das Zimmer, denn selbst sitzen war eine Tortur. Plötzlich pochte es an der Tür. „Nienna Hîril! Bitte öffnet die Tür. Der Rat tritt jetzt schon zusammen!“ Sie eilte zur Tür, öffnete sie und ihr entgegen kam Valandir, der sehr abgehetzt aussah. Eilig raffte sie ihr Kleid zusammen und lief an ihm vorbei, den Gang hinab zu einer Wendeltreppe. Diese war eine Abkürzung für Bote, wurde jedoch hin und wieder auch von Nienna und Valandir benutzt. „Erzähl mir alles!“, befahl sie ihm, als sie begann, die Treppe herabzusteigen. „Meister Rúmil ist eingetroffen und hat befohlen, den Rat einzuberufen. Und deshalb musste ich euch so schnell rufen. Ansonsten hätte ich euch noch euer Frühstück gelassen.“ Nienna fuhr über die Fugen in der Wand, als sie daran vorbeilief. „Um mein Frühstück brauchst du dich nicht sorgen, ich könnte es nicht essen.“ Die Korsage saß so eng, dass ihr selbst beim Stufen hinabsteigen die Luft beinahe wegblieb. „Hat Rúmil einen Anlass genannt, weshalb jetzt alles schnell gehen muss?“, fragte sie kurzatmig. „Ja, aber ich verstand die Bedeutung seiner Worte nicht.“ Sie bogen um eine Ecke. Alle Bediensteten, die die beiden erblickten, wichen hastig zurück und gingen ihrer Arbeit nach, ohne den Kopf zu heben. „Sag mir, was er die mitgegeben hat. Dass du es nicht verstehen solltest, war bewusst gemacht. Er hat ein Netz um die Worte gewebt, damit nur die richtigen Ohren sie verstehen. Ich dachte, du wüsstest das?!“ Dies war eine Anschuldigung an Valandir und das wusste er. Nienna hatte ihm so gut wie das gesamte Grundwissen über Zauberer eingetrichtert und trotzdem verstand er es nicht immer. Leiser sprach er zu ihr: „Er sagte, dass derjenige, um den sich alles drehe, das Alles zu verlassen gesucht, um einer anderen Berufung nachzugehen.“ Die Worte kamen wie von selbst über seine Lippen, denn der Zauberer wollte es so. Nienna wurde bleich. Davon stand nichts in der Prophezeiung. War ihre allerschlimmste Befürchtung wahr geworden? Hatte derjenige selbst und ohne es zu wissen die Prophezeiung geändert? Das wäre folgenschwer und nicht zu erdenken. Was würde passieren, wenn die letzte Hoffnung zerstört würde? „Was machen wir nur?“, flüsterte sie, ohne auf ihre Worte oder die Umgebung zu achten, in der sie sich inzwischen befand. Riesige Säulen, aus Marmor gehauen, säumten den roten Weg, der gerade auf eine weite Flügeltür, aufwändig mit Gold verziert und aus Ebenholz beschaffen, zuführte. Umgeben war der rote Marmorstreifen von einem einzigen großen Mosaik aus verschiedenen schwarzen, grauen und weißen Marmorplättchen. Zusammen stellten sie diverse Erinnerungen der obersten Zauberer dar, die hier über Jahrtausende gelebt hatten. Die Bilder waren ihr inzwischen vertraut, sodass sie in dem menschenleeren Saal nicht darauf achtete, was um sie herum geschah. „Zerbrecht euch nicht euren schönen Kopf darüber, was wir unternehmen sollen. Mitnichten … Rúmil hat sich in letzter Zeit recht häufig geirrt.“ Wie paralysiert blieb sie stehen, Valandir hinter ihr machte seinem Ärger mit einem verächtlichen Schnauben Luft. Zwischen zwei der weißen Säulen kam ein Mann hervor. Er war unverkennbar: Seine langen schwarzen Haare fielen ihm um die Schultern, der graue Umhang passte perfekt zu den dunkelblauen Augen, so tief wie das Meer. Seine Stiefel reichten ihm bis über das Knie und die Hose lag eng an. Ein bisschen zu eng für Niennas Geschmack, denn das schwarze Beinkleid präsentierte seine Männlichkeit in vollen Zügen und das dunkelblaue Hemd über darüber konnte sie nur schlecht verdecken. „Nambor. Macht euch keine Gedanken darüber, ob ich mir meinen Kopf zerbreche oder nicht. Und erst recht macht euch keine Gedanken darüber, mit welchem Thema ich dies mache!“ Sie straffte ihr Kreuz. „Und vor allem hat Rúmil immer einen Grund, uns zusammenzurufen. Seid nicht respektlos gegenüber einem sehr viel älteren Magier als ihr es seid!“ Sie ging weiter, blieb jedoch erneut stehen. Ihr Blick heftete sich auf seine Stirn. „Entschuldigt. Ich hatte es vergessen. Ihr seid gar kein Magier, sondern nur ein gewöhnlicher Mensch!“ Vor Wut bebend raffte sie ihr Kleid erneut und schritt stolz voran. „Valandir komm. Ich benötige seine Gesellschaft nicht häufiger, als es unbedingt notwendig ist.“ Voll Achtung sah Valandir seine Herrin an und eilte ihr hinterher, als sie durch die großen Flügeltüren trat. Nambor blieb enttäuscht und allein zurück. Er tat niemandem hier Leid, denn hier wohnten nur Elben und Magier, die nicht viel für normale Menschen übrig hatten, egal, welches Amt sie bekleideten. Nicht einmal als Prinz der gesamten Menschenwelt, die mindestens dreimal so groß war, wie das Reich der Elben und das der Magier zusammen. Es wurde befohlen, freundlicher zu ihm zu sein. Niennas Mutter hörte nicht an, wenn er um Niennas Hand bat und Nienna ignorierte ihn oder behandelte ihn wie ein kleines Kind. Beim Rat von Vilor war seine Stimme nichts wert, was die Menschen sehr ärgerte. Doch schon bald würde sich dies ändern, wenn der Rat endlich wieder in der Oasenstadt der Menschen, Beth Sundo, tagte. Diese Stadt war seine Heimat, dort hatte sein Wort immer das größte Gewicht, alles deshalb, weil er mehr als dreihunderttausend Mann befehligte. So konnte er die Macht, die er haben wollte, erzwingen. Hierher hatte er allein kommen müssen, ohne jeglichen Schutz seiner Männer. Als Letzter betrat er den großen runden Saal, in dem die Versammlung tagte. Rúmil saß bereits aus dem Stuhl, auf dem er immer saß und er saß zudem auch noch so, wie er sonst immer saß. Die Beine lang ausgestreckt, den Kopf auf die Hand abgestützt und zusammengesunken, als wäre er nur ein stiller Beobachter und hätte keinen Respekt vor den anderen. Schwarze Haare mit einigen grauen Strähnen durchwirkt, fielen ihm wirr übers Gesicht und die Zornesfalten zwischen seinen Augenbrauen waren tief, tiefer als gewöhnlich. Nienna saß kerzengerade neben ihm auf der Kante ihres Stuhls. Es sah so aus, als bekäme sie nicht gut Luft, was bei ihrem Kleid nicht verwunderlich war. Valandir saß wie ein Wachhund hinter ihr und ließ seinen Blick über die anwesenden Zauberer ersten und zweiten Ranges schweifen. Viele von ihnen waren gekommen, fünf ersten und acht zweiten Ranges. Insgesamt waren hier nicht mehr so viele von ihnen, wie noch vor einigen Jahren gewesen waren. Einige waren beim Militär, andere hatten sich abgesetzt oder waren anders gesinnt als früher. Erschrocken bemerkte Nambor den Kriegszauberer, der im Schatten schräg hinter Rúmil saß. Was suchte einer von ihnen hier? „Bitte setze dich, Nambor. Wir haben nicht viel Zeit.“ Eine weibliche Stimme sprach zu ihm. Er drehte sich um und erblickte eine junge Magierin, die in Waldläuferausrüstung plötzlich hinter ihm gestanden hatte. „Bitte setzt euch!“, wiederholte sie mit Nachdruck und er bemerkte, wie sich seine Beine zu dem letzten leeren Stuhl bewegten und er sich hinsetzte, ohne es selbst zu wollen. Ihre leeren Augen verfolgten ihn, bis er sich gesetzt hatte, dann stellte sie ich vor alle und faltete die Hände über dem Bauch, eine bekannte Geste von Rúmil. Nienna betrachtete die Frau genauer. Sie war Ende zwanzig, recht klein und sah nicht so aus, als würde sie häufig Kleider tragen. Auch im Moment trug sie eine grüne Weste, braune Lederhosen und Stiefel. Die kurzen dunkelbraunen Haare verliehen ihr etwas Unabhängiges. Doch Nienna erschrak, als sie genauer in die Augen der blickte. Sie waren blau – und leer, als wenn ihre Seele momentan nicht hinter ihnen war. Unsicher wandte die Elbin den Blick zu Rúmil, der die Frau vor sich eingehend betrachtete, mit Augen, ebenso leer wie die ihren. „Rúmil, was tut ihr?“, flüsterte sie eindringlich fragend, doch er antwortete nicht, bewegte sich nicht einmal. Der Kriegszauberer blickte zu ihr, schüttelte langsam den Kopf und legte einen Finger an die Lippen. Nienna verstand langsam. Es schien so, als würde der oberste Zauberer durch die Frau sprechen. Doch wieso? War er krank oder schlief er womöglich noch? Unbeirrt sprach die junge Frau weiter. „Mein Name ist Aranel, ich bin Rúmils Schülerin und er wird durch mich sprechen.“ Ein Raunen ging durch die Reihen. Der oberste Zauberer hatte tatsächlich eine weibliche Schülerin aufgenommen. So etwas war ungewöhnlich, denn Frauen waren normalerweise sehr viel weniger begabt als Männer und hatten auch weniger aktiv verfügbare Energie. Insgesamt besaßen sie jedoch genauso viel Energie wie Männer, die passive Energie gebrauchten sie jedoch dafür, Kindern das Leben zu schenken. Als Aranel erneut weitersprach, bewegte sich zwar ihr Mund, aber Rúmils tiefe und unverkennbare Stimme erklang. „Es ist nun an der Zeit, dass wir den suchen, der uns Hoffnung geben wird und dem wir unser Leben anvertrauen können. Drum wähle ich nun die von euch aus, die mich und meine Schülerin begleiten werden. Zuerst erwähle ich Nienna und ihren Begleiter. Sie wird uns helfen zu sehen und er wird uns helfen, zu hören.“ Alle Augen hefteten sich auf die beiden. Doch Aranel drehte sich schwungvoll um und verhinderte so die volle Aufmerksamkeit auf die beiden. Sie zeigte auf den Kriegszauberer, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. „Hadhod kommt ebenfalls mit.“ Diesem fiel ein wenig Licht ins Gesicht und Nienna erschrak noch mehr als vorher, nachdem ihr Name genannt worden war. Das Gesicht des Kriegszauberers war vernarbt und seine Körperhaltung von etlichen Entbehrungen und Flüchen gezeichnet. Struppige und teilweise schon graue Haare standen ihm in alle Richtungen vom Kopf und die nachtschwarzen Augen zuckten nervös immer wieder über jedes anwesende Gesicht, auf der Suche nach etwas Verdächtigem. Hadhod stand auf. Während Rúmil wenigstens noch etwas auf den Rippen hatte, war der anscheinend ältere von beiden sehr mager. Sein Gewand fiel ihm um die Mitte, ohne seinen Körper einmal zu berühren. Er hatte sicher auch schon bessere Zeiten gesehen. „Es ist mir eine Ehre, euch begleiten zu dürfen“, er verneigte sich tief und Nienna dachte schon, er würde nicht wieder hochkommen. Doch er schaffte es und stellte sich stolz direkt hinter Rúmil auf. Aranel fuhr fort. „Außerdem wird uns der Rat der Herrin vom See ein ständiger Begleiter sein, denn sie ließ und seine Phiole mit ihrer gesammelten Weisheit zukommen.“ Allen stockte der Atem. Galadriel hatte ihren Einfluss geltend gemacht und sich endlich in diese verzwickte Angelegenheit eingemischt. Vielleicht war die Situation doch nicht so aussichtslos wie anfangs gedacht. „Macht euch nicht zu viele Hoffnungen, nur wegen dieser einen Phiole, haben wir den Krieg noch lange nicht gewonnen, höchstens eine Schlacht. So sehr ich es auch befürworte, dass sie uns unterstützt, muss ich doch auch sagen, dass diese kleine Phiole schnell dem Feind zufallen kann. Und dann nützt sie und gar nichts mehr, sie schadet nur.“ Die Freude war sofort verflogen, als Aranel dies sagte. Bedrückt schaute Nienna zu Rúmil. Sie wusste, wie es ihn schmerzte, dass seine Frau Galadriel nicht bei ihm sein konnte. Einst vom Lord verflucht, fristete sie ihr Leben im und am See Rath. Die beiden hatten nicht mehr die Möglichkeit, zusammenzuleben, nachdem Rúmil oberster Zauberer geworden war. Doch immerhin war er durch die Phiole seiner Frau etwas näher. Hadhod legte Rúmil eine Hand auf die Schulter. Sofort wurden die Augen des Magiers wieder klar und er rührte sich. Auch Aranels Augen wurden wieder klar. Sie streckte sich und während die anderen auf ein Zeichen von Hadhod verschwanden, stellte sie ihren Meister auf die Beine und blickte in die Runde. „Wissen wir denn schon, wo er sich befindet?“, fragte sie leise. Nienna wartete mit ihrer Antwort, bis sie niemanden mehr auf dem Gang hörte. „Ich habe seinen Weg nach Westen gesehen. Er befindet sich in Habad Rast … macht sich aber bald auf den Weg in die Berge. Wenn wir vor Wintereinbruch nicht dort sind, werden wir ihn erst ein halbes Jahr später finden, wenn der Schnee geschmolzen ist, oder gar nicht…“ Sie gab alles exakt wieder, wie sie es gesehen hatte. Das einzige, was sie nicht gesehen hatte, war das Objekt der Begierde. „Du hast ihn also nicht gesehen.“, schloss Hadhod. Nienna nickte zögerlich und schämte sich für ihre miserablen Fähigkeiten. „Das hilft uns schon sehr weiter“, sagte Rúmil, obwohl Nienna merkte, dass er ebenfalls enttäuscht war. Hadhod stellte sich vor sie alles und sprach: „Sammelt eure Sachen zusammen, wir brechen auf!“ ------------------------------------------- Ja, es kommen sehr viele neue dazu. Ich hoffe ihr verliert dabei nicht den Überblick. Da ich es mir selbst ausgedacht habe und damit vertraut bin, kann ich mich ja selbst dabei nicht überprüfen^^ wenn ihr fragen habt, fragt einfach per kommentar, ich antworte wahrscheinlich innerhalb von 24 stunden ^^ Kapitel 3: Drei --------------- Unschlüssig betrachtete Fingon die Weggabelung. Er wusste nicht weiter und der Horizont war nicht zu sehen, der Nebel hing zu tief. „Verdammt!“, fluchte er leise, als ein Trupp Soldaten plötzlich in seinem Rücken auftauchten, ihn aber noch nicht genau ausmachen konnten. Schnell zog er sich die Kapuze über den Kopf und senkte den Blick zu Boden. Die sechs Soldaten verlangsamten ihren Laufschritt und ihr Anführer hob die Hand. Sofort blieben alle stehen. Der Anführer, gekennzeichnet durch seine bulligen Körpermaße und die meisten Narben an seinem Hals, die seinen Rang anzeigten, trat auf ihn zu. „Wer bist du und was machst du so früh am Morgen und ohne Arbeit auf der Straße?“, rief er laut und im Befehlston, obwohl er nur einige Fuß von Fingon entfernt stand. „Ich bin nur auf der Durchreise und wollte die Berge vor dem Einbruch der Dunkelheit erreichen, deshalb bin ich früher aufgestanden. Ihr wisst sicherlich, dass es in den Bergen bei Nacht und ohne Feuer und Höhle sehr schnell gefährlich werden kann.“ „Das wissen wir sehr wohl. Aber wenn du diesen Weg beschreitest, landest du zweifelsohne im Sumpf und nicht in den Bergen, wo du hinwillst. Aber sag … was willst du denn in den Bergen? Wenn ich dich so anschaue, solltest du Soldat sein und kein Wanderer.“ Der Offizier trat einen Schritt auf ihn zu und zog die Brauen wütend zusammen. „Verzeiht, ich hätte es Euch sofort sagen sollen, mein Herr. Ich bin fast blind, deshalb kann ich auch die Berge, die wohl am Horizont zu erkennen sein sollten, nicht sehen.“ Fingon blinzelte und schaute, ohne dass seine Augen auf einem Punkt ruhten, zum Horizont und ließ seinen Blick hin und her schweifen. Der Nebel hatte sich zum Glück und zu Fingons Vorteil inzwischen etwas gelockert, sodass der Anführer sie sehen musste. Zu Fingons Entsetzen zückte er sein Schwert. Vielleicht soll das nur ein Test sein, dachte Fingon bei sich. Doch das grimmige Gesicht des Anführers, das er aus den Augenwinkeln genau sehen konnte, sagte etwas anderes. Trotzdem blieb er ruhig. Schöpfte Energie, um sich, falls es ernst werden sollte, wie eine Sprungfeder zusammenziehen und ausweichen könnte. Der Anführer holte aus. Die Klinge raste auf Fingons Schulter zu und – berührte ihn nicht. Sein Angreifer hatte vor dem Schnitt gestoppt. „Er scheint wirklich blind zu sein“, lachte er, „lasst ihn ziehen, wir haben Wichtigeres zu tun!“ Als Fingon sah, wie der Fußtrupp im Sumpf verschwand, atmete er erleichtert aus. Dieser Mann war leichtgläubig gewesen. Ein anderer hätte ihn nicht so einfach von dannen ziehen lassen. Glücklich setzte Fingon seinen Weg in die Berge fort. Er würde noch lange vor Einbruch der Dunkelheit die ersten Ausläufer erreicht haben. Dort wohnte ein Bauer, bei dem er einst einen Herbst gearbeitet hatte. Mit ein wenig Glück gab es diesen Bauern sogar noch. Fingons Schuhe versagten allmählich den Dienst. Er brauchte dringend neue. Wasser kroch in seine Socken und ließ seine Zehen bei diesem Wetter in kürzester Zeit blau frieren. Er hatte sie sich bei seiner Flucht aus der Stadt über offenes Geröllfeld durchgelaufen. Die kleinen Steine hatten der sowieso schon sehr dünnen Sohle den Rest gegeben. Hätte Fingon langsamer gehen können, hätte er darauf geachtet, wohin er trat; so wären die Steine kein Problem gewesen, doch nachdem er sich hastig von Suilad, dem Sohn des Schmieds, verabschiedet hatte, war Eile geboten, denn die Nacht war schon längst nicht mehr jung gewesen. Fingon schob den Rucksack unter seinem Umhang zurecht. Suilad hatte ihm geraten, erst hineinzuschauen, wenn er sicher in einem Versteck angekommen war, doch Fingon, in der Hoffnung einen Umhang oder einen Mantel zu finden, hatte schon vorher in einem dichten und gut verborgenen Waldstück hinein gelinst. Den Mantel hatte er gefunden und mehrere Beutelchen mit Kräutern, außerdem einen mit Münzen aus Gold, Silber und Bronze. Zu seiner Zufriedenheit hatte er auch eine Karte gefunden, die jedoch nur auf den ersten Blick wie eine schien. Sie veränderte nämlich fortlaufend das Gebiet, das sie anzeigte. Aus Angst, die Karte könnte auf „böser“ Magie beruhen, hatte er sie ganz unten in den Rucksack verbannt. Fingon, als ehemaliger Waldbewohner und Jäger für seine Eigenversorgung, würde auch ohne eine Karte in heimischen Gefilden gut zurechtkommen. Er blickte zum Horizont. Wolken zogen auf. Eile war geboten. Ganz so schnell wie erhofft, fand sich Fingon bei den Ausläufern der Berge wieder. Einige Male hatte er wegen eines Fußtrupps oder eines Reiterbatallions Umwege durch die Wildnis nehmen müssen. Zudem suchte er nun schon eine Weile den Bauern, von dem er wusste, dass dieser versteckt wohnte und ihm auch neue Schuhe geben konnte. Er fluchte leise, dass er in Muschelschalen trat. Fingon blickte nach unten zu seinen Füßen, bückte sich und untersuchte die Schalen genauer. Sie mussten durch einen Vogel hierhergekommen sein. Durch einen sehr großen Vogel. Im gleichen Moment erklang ein durchdringender Schrei in einem Tal, dass er noch nicht ganz überblicken konnte. Er kannte diese Schreie. In seiner Kindheit hatten diese Vögel oft die Dörfer aufgesucht, in denen er wohnte und immer kleine Kinder verschleppt. Einige wurden Jahre später verwildert gefunden, von anderen fand man höchstens ein paar Knochen, manchmal nicht einmal mehr diese. Fingon duckte sich erschrocken, als ein Schatten über ihn hinweg huschte. Die Vögel konnten es einzeln nicht mit einem erwachsenen Mann aufnehmen, doch wenn es mehrere waren, und nach den Schreien zu urteilen waren es mehrere, konnte er ganz leicht getötet werden. Vorsichtig und im Schatten von Felsen lief er weiter. Die Vögel hatten ihn zum Glück noch immer nicht entdeckt. Nach einigem Suchen entdeckte Fingon endlich einen Felsenkamm, über den er ohne entdeckt zu werden ins Tal blicken konnte. Zutiefst verletzt blickte er auf die Ruinen des Bauernhofs. Fünf Leichen lagen vor der Scheune säuberlich in einer Reihe, ein Mann, eine Frau und drei Kinder. Das Feuer loderte noch beim Haupthaus und die Vögel hatten sich deshalb nicht getraut, die Leichen anzurühren. Zu Fingons Erleichterung konnte er die Bestien also mit Feuer fernhalten. Wer hatte dies getan? Wer hatte eine arme Bauernfamilie umgebracht und alles angezündet? Trauer überwältigte ihn. Sie waren immer nett und zuvorkommend zu ihm gewesen. Plötzlich erblickte er weit unten am Steilhang vor ihm einige Zelte der Soldaten des Lords. Mathan eroberte sich allmählich das Gebirge, in dem es so lange ruhig gewesen war. Was wollte er hier? Eisenerz gab es kaum, Kohle und Salz auch nicht. Vielleicht brauchte er Platz oder mehr Land, um die riesige Armee zu unterhalten. Das wäre logisch. Doch wieso tötete er dann Bauern, von denen er Getreide hätte erpressen können? Fingon wusste nicht genau, was er unternehmen sollte. Vielleicht sollte er einfach noch viel weiter ziehen, sich eine neue Hütte bauen und still und leise vor sich hinleben, ohne weiter aufzufallen. Aber war denn ein solches Leben gut für ihn? Leise stieg Fingon den Steig wieder hinab, um eine andere Route einzuschlagen, die weit um das Tal herumführte. Einer der Vögel stieß einen spitzen Schrei aus und sofort warf Fingon die grau Kapuze über sein Haupt, duckte sich unter einige Büsche. Es würde schwierig werden, von diesem durch die Vögel gut bewachten Stückchen Erde unentdeckt zu entkommen. Er zog die Beine dicht an den Körper und legte das Kinn auf die Knie. Sei Schwert drapierte er samt pechschwarzer Scheide zu seinen Füßen und strich mit den Fingern vorsichtig hinüber. Seine Fingerspitzen kribbelten. Das hatte er bisher nur bei ein paar Schwertern seines Meisters erlebt. Ihm selbst war es vorher noch nie gelungen, solch ein meisterhaftes Schwert zu schmieden, er hatte es aber auch noch nie versucht. Es klopfte auf die Blätter über ihm. Fingon zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern und löste sich auch nicht aus dieser Schreckstarre, als er wusste, dass es Regen war, der diesen Lärm machte. Regen in den Bergen war selten, doch wenn es einmal angefangen hatte zu regnen, hörte es so schnell nicht wieder auf. Oft hatte Fingon im Regen gesessen. Er liebte Regen, vor allem im Moment. Er wusch seinen Geruch aus der Luft, die Vögel würden es nun nicht mehr so leicht haben, ihm zu folgen. Vorsichtig kroch er tiefer ins Gebüsch. Vielleicht würde er durch den nahegelegenen Wald einen Fluchtweg finden. Im Wald konnten die Biester nicht fliegen und die Soldaten kamen wegen ihrer Ausrüstung im Unterholz nicht so schnell voran. Doch wenn ein Magier unter ihnen war, würde es für Fingon schwieriger werden. Doch Magier hatte er auch schon vorher überlisten können. Meistens mit ganz simplen Fallen, mit denen sie nicht rechneten. Eine Grube, bedeckt mit Blättern zum Beispiel. Oder eine Seilschlinge, in die sie hineintraten und plötzlich kopfüber zehn Meter hoch in einem Baum hingen. Das alles waren zwar keine richtigen Fallen für einen Magier, es hielt sie aber eine Weile auf. Und es schien Fingon, als würde die Natur ihm helfen wollen. Das Unterholz wuchs mannshoch unter den Föhren. Ideal für ihn, um sich einen Fluchtweg zu bahnen und unentdeckt weiter in die Berge zu entkommen. Er floh nicht gern, doch im Moment wuchs das Gefühl, dass eine Flucht unbedingt erforderlich war, um sein Leben zu schützen. Leise und aufmerksam, die Sinne in alle Richtungen ausgedehnt, sprintete er geduckt unter den riesigen Farngewächsen hindurch. Das Gestrüpp peitschte ihm ins Gesicht und durchnässte ihn bis auf die Knochen, zu allem Überfluss konnte er noch nicht einmal mehr sehen, wo er hinlief. Eine dicke, graue und suppige Nebelwand verdeckte plötzlich seinen weiteren Weg. Er blieb davor stehen, wandte seinen Blick nach rechts und war erstaunt. Wie mit einem Messer abgeschnitten. Verunsichert durch dieses unnatürliche Verhalten wagte Fingon es nicht, einen Schritt nach vorn zu machen. Was würde geschehen? Tat sich ein Abgrund auf oder stieße er auf eine unbezwingbare Felswand? Vielleicht war es aber auch einfach nur ein Wald, wie bisher auch. Er nahm seinen gesamten Mut zusammen und griff mi einer Hand in den Nebel. Die Härchen auf seinem Arm sich ruckartig auf, seine Nackenhaare sträubten sich. So etwas Merkwürdiges hatte er noch nie vorher gesehen. Fast … magisch. Da durchfuhr es ihn schlagartig und er sprang einen gewaltigen Schritt zurück. Seine linke Hand, komplett nass und taub hing leblos an seinem Arm. Hier war natürlich Magie am Werk, doch die Erkenntnis kam zu spät. Nebel würde sich niemals freiwillig so anordnen. Sowieso beugte sich die Natur nur einem sehr mächtigen Magier. Fingon musste dringend die Flucht ergreifen. Aber der Nebel war eine undurchdringbare Grenze. Unschlüssig blickte er nach links und rechts. Westen oder Osten? Im Osten kam er schneller ans Meer als im Westen, vielleicht war das seine Rettung, vielleicht wehte der Wind den Nebel von dannen. Fingon blickte an sich herab und zu seiner Hand. Den Arm konnte er bewegen, die Hand war vollkommen taub, fast wie abgestorben. „Zum Glück nur links…“, murmelte er leise, wandte sich nach Osten und lief, ohne zurückzublicken. Zwei Wochen lief er. Fast ohne zu schlafen, ohne zu essen. Die Taubheit war nicht vergangen, sie wanderte eher seinen Arm hoch und war schon beim Ellbogen angekommen. Auch das Meer war nicht in Sicht, obwohl es schon längst hätte am Horizont erscheinen müssen. Fingon hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen. Die Berge zu seiner Rechten wurden und wurden nicht kleiner und egal wie hoch er kletterte, die Nebelwand „wanderte“ neben ihm her. AKs er auf einer Hügelkuppe ankam, sah er vor sich eine weite grüne Ebene, die er kannte. Am Horizont war Habad Rast zu sehen. Ohne es zu wollen war er vollkommen kopflos umhergeirrt und an dem Punkt wieder angekommen, zu dem er gar nicht mehr wollte. Und noch bevor er weitergehen konnte, packte ihn eine Hand an der Schulter. Kapitel 4: Vier --------------- Fingon zuckte zusammen und drehte sich ganz langsam um. Drei Männer in silberner Rüstung standen vor ihm und der vierte grinste ihm direkt ins Gesicht. „Was haben wir denn da?“, fragte er langgezogen, fauliger Atem schlug Fingon entgegen, angewidert drehte er das Gesicht zur Seite. Der Soldat rammte ihm den Ellbogen in den Magen, gequält sackte der junge Mann auf die Knie und spuckte Blut. „Wieso läufst du denn vor uns davon?“ Der Soldat, fast so hoch wie breit, zog ihn an den Haaren auf Augenhöhe. „Wir suchen dich nun schon sehr lange, du Armeeflüchtling!“ Deinen kleinen Freund haben wir schon. Wie hieß er doch gleich?“ Der Fette drehte sich zu seinen großgewachsenen Schwertkämpfern um. „Suilad, oder?“, die drei nickten. Fingon ließ sich nichts anmerken. „Suilad?“, brachte er stoßweise hervor, „einen Suilad kenne ich nicht“ Eine schallende Ohrfeige ließ ihn zu Boden sinken. Er keuchte. „Natürlich kennst du Suilad. Er hat uns gesagt, wo du zu finden sein würdest, Fingon Calaelen.“ Der am Boden liegende knirschte mit den Zähnen. „Weshalb bin ich so wichtig, dass man mich jagt?“ „Wir haben in einem Buch eine Liste mit Menschen gefunden, deren Beinamen Zwielicht bedeutet. Du gehörst dazu. Der Lord gab uns den Auftragt, euch zusammen zu treiben und zu Soldaten auszubilden, da ihr nützlich seid.“ Calaelen. Fingon hatte nie einen Beinamen gehabt. Und jetzt hatte ihm ein Buch einen Beinamen gegeben. So ein Name war ein großes Privileg in diesem Land. Er hatte von Reisenden aus anderen Ländern gehört, dass es dort vollkommen egal war, ob man einen Beinamen hatte oder nicht. Doch hier galt man fast als Adeliger, jedoch auch nur fast. Dann wenn man einen Beinamen wie Nénharma oder Séregon hatte, war dies ein großes Unglück. Menschen mit Krieg als Beinamen brachten Unruhe und Zauberer waren verpönt, außer sie waren vom Lord ausgebildet worden. „Aber nur, weil ich so heiße, muss ich doch nicht eingezogen werden!“, protestierte Fingon. „Doch, du bist nämlich ein junger Mann, der hier lebt und nicht in der Armee ist. Außerdem…“, der Anführer hielt inne und überlegte. Anscheinend wusste er nicht, ob er es erzählen sollte. „Außerdem ist jemand, der Calaelen heißt, unentschlossen und gefährlich für uns. Deshalb kommst du jetzt mit, Bürschchen!“ Er gab seinen drei Soldaten ein Zeichen und sie schleiften Fingon hinter sich her. Sein Arm war inzwischen bis zur Schulter taub. Besorgt versuchte er, ihn zu bewegen, es gelang ihm aber nicht. „Sei unbesorgt. Sobald du uns den Treueschwur geleistet hast, lässt die Taubheit nach.“ Wütend blickte Fingon zu dem Soldaten auf. Fast sofort ließ seine Wut nach. Der große Mann hatte sanfte braune Augen, in denen sich deutlich das Leid zu sehen war, dass er bisher erlebt hatte. Fingon wurde neugierig, was genau das war, doch er konnte es sich denken. Die Soldaten hatten es nicht einfach und einige, wie er selbst bald auch, wurden zu dem gemacht, was sie nun waren. Die meisten verabscheuten das Töten. Trotz der sanften braunen Augen packte der Soldat sehr fest zu und drehte ihm den gesunden rechten Arm auf den Rücken, um ihn zu fesseln. Dann nahm er ihm beim Laufen das Schwert ab und betrachtete es genauer. Die anderen sagten nichts dazu. Merkwürdigerweise kam es Fingon inzwischen so vor, dass der größte von ihnen mit den sanften braunen Augen das Sagen hatte. Und nicht der kleine Dicke mit der Glatze und den vielen Abzeichen auf der Brust und den Schultern. „Ich heiße übrigens Tendet.“ Der Name kam Fingon bekannt vor. „Du hast als kleiner Junge bei uns zuhause gewohnt“, hängte Tendet an. Fingon erinnerte sich. Bis er etwa 5 Jahre alt war, hatte er bei Tendet, der damals schon mit 17 Jahren beim Militär gewesen war, seiner Schwester und seiner alten Mutter gewohnt. Als die Mutter dann starb, Tendet in den Krieg gerufen wurde und seine Schwester Elayna in eine andere Familie einheiratete, musste Fingon wegziehen. Er nickte. „Ja, du bist Tendet. Und du hast überlebt.“ Der mit den sanften braunen Augen nickte und zog Fingons Klinge mit einer eleganten Bewegung blank. „Und du bist unter die Schmiede gekommen, wie ich sehe. So ein Schwert kann sich kaum jemand leisten.“ Fingon wusste nicht, ob er die Wahrheit erzählen sollte. „Ja, der Vater von Suilad hat es mir geschmiedet. Auch die Scheide hat er mir geschenkt.“ Lügen war immer gut, sonst würde er später wegen ungemeldeter magischer Machenschaften aufgeknüpft werden. Jeder Handwerker, der Magie in sein Werk einwebte, brauchte eine Genehmigung dafür und musste eine Prüfung ablegen. Da in der Schmiede überall Magie in der Luft gewesen war, war dieses Schwert automatisch magisch, Fingon hatte allerdings keine Genehmigung. „Du bist groß geworden, Kleiner. Fast so groß wie die Langohren.“, sprach Tendet und schob ihn weiter, weiter in Richtung Habad Rast. Fingon wollte nicht schon wieder in diese Stadt und vor allem nicht zum Militär. Er würde in die Sondereinheit kommen und „erzogen“ werden. Manche überlebten das nicht. „Ich bin schon größer…“, sprach Fingon und blickte auf seine Füße. „Ich falle immer auf, egal, wo ich bin.“ „Nur im Wald fällst du nicht auf. Du bist Waldläufer“ Fingon nickte stumm. Vielleicht würde man ihn auch als Waldläufer oder Fährtenleser einsetzen, wenn er für die Elite mit Beinamen zu unfähig war. Sich im Wald aufzuhalten wäre ihm nicht so zuwider, wie in eine ungewisse Zukunft zu schreiten. Außerdem würden die Fluchtmöglichkeiten besser sein, als in einem Lager oder unter einem Zauberer. „Was wird mit mir nun gemacht?“, fragte Fingon. Inzwischen war er neugierig geworden, welche Leiden er bald über sich ergehen lassen musste. Außerdem wollte er sich innerlich darauf vorbereiten. „Du wirst zuerst in ein Zwischenlager gebracht, um dich uns anzupassen und um zu testen, wie leistungsbereit du bist. Das werden wir solange testen, bis wir mit dir zufrieden sind. Danach wirst du und den Treueschwur leisten. Wenn du dich weigerst, das zu tun, wird nachgeholfen. Ich rate dir, den Schwur zu sprechen.“ Fingon war nicht ängstlich bei Androhung körperlicher Gewalt. Der Ausdruck des Schmerzes in Tendets Augen aber, ließen ihn zurückschrecken. „Was passiert andernfalls mit mir?“ Tendet blickte betroffen zur Seite und schwieg, der kleine Dicke trat an seine Stelle. „Dir wird die Haut abgezogen“, lachte er hämisch, „Und dann wirst du verbrannt. Ein Bann wird dafür sorgen, dass du noch möglichst lange lebst, um alles bis ins kleinste Detail zu fühlen und zu sehen. Gnade wird nicht gewährt.“ Fingon starrte ihn grimmig an. „Diese Alternative wäre mir lieber, als mich unter eure Herrschaft zu begeben!“, sprach er und spuckte dem Dicken vor die Füße. Plötzlich schwoll ein stechender Schmerz in seine Brust an. Es kam ihm so vor, als würde ein Pferd mit voller Wucht auf seinen Brustkorb springen und dann darauf stehen bleiben. Das letzte bisschen Luft wurde aus seinen Lungen gequetscht, bis diese nach Luft ächzten. Fingon kam sich vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er schnappte nach Luft, bekam aber keine. „Das passiert ab jetzt immer dann, wenn du dich uns widersetzt und hält solange an, bis du dich dafür schämst, was du getan hast oder ohnmächtig wirst. Dich schämen wird einfacher sein.“ Der Kleine grinste breit. „Niemals würde ich mich dafür schämen!“, presste Fingon noch hervor und brach zusammen, bevor er endgültig ohnmächtig wurde. Sein Kopf schlug auf den Boden, doch das merkte er bereits nicht mehr. Die Schmerzen hatten ihm das Bewusstsein geraubt. Tendet zog seine eigene Klinge blank. „Fingon wird nicht mit diesem billigen Trick gequält!“, rief er aus und durchtrennte mit einem glatten Hieb den Dicken, angefangen an der Schulter, hinaus aus den Rippen. Tief durchatmend drehte er sich zu den anderen beiden Soldaten um, die bisher nur stumm anwesend gewesen waren. „Dies ist nicht passiert. Falls aus euren Mündern nur noch ein Laut dringt, werdet ihr nie wieder sprechen können. Ihr werdet jetzt sofort aufbrechen und nach Garth gehen.“ Er wischte das Blut am Waffenrock des Dicken ab und steckte es zurück in die Scheide. Kreidebleich nickten die beiden Soldaten und salutierten vor ihm, bevor sie die Beine in die Hand nahmen und nach kurzer Zeit schon am Horizont verschwanden. Kapitel 5: Fünf --------------- Fünf Nienna schwirrte der Kopf. Seit fünf Tagen waren sie schon unterwegs und in dieser Zeit bekam sie ständig verschwommene Bilder vor Augen, die den Weg des Auserwählten zeigten, ihn selbst aber nicht. Rúmil sah ihren Auftrag gefährdet und redete immer wieder dringlich auf sie ein, alles zu erzählen, was sie erblickte. Zu Pferd versuchte sie, den Sturm der Bilder zu unterdrücken, da sie ansonsten häufig fiel oder ihr Pferd mit ihr durchging, doch die Visionen abends zu haben, bei dem kläglichen Versuch, einzuschlafen, war weitaus schlimmer. Sie schreckte aus ihrem Dämmerschlaf unter einer Gruppe Kiefern hoch, als sich ein Pferd mit donnernden Hufen näherte. Rúmil war von seinem Entdeckungsritt zurückgekehrt und sah etwas abgehetzt aus. „Mathan ist inzwischen bis zur Grenze vorgerückt. Er hat Garth eingenommen. Doch nun hält in die Grenzwacht vorerst zurück. Bis diese jedoch fällt, dauert es sicher nicht mehr allzu lange.“ Hadhod, der sich nicht regte und nur in die Nacht heraus starrte, schreckte plötzlich auf und stand schneller auf den Beinen, als Nienna es sehen konnte. Kleine Blitze zuckten um seine Finger. Aranel stand sofort neben ihm. „So beruhigt Euch doch. Wie werden eben den Seeweg nehmen müssen. Daran führte von Anfang an keinen Weg vorbei.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Die kleinen Blitze zogen sich zu winzigen Kugeln zusammen und explodierten mit einer warmen Farbenpracht. Dichter Nebel hüllte alles für kurze Zeit wie in Watte. Nienna hatte größeren Respekt vor Hadhod, als sie vorher eh schon gehabt hatte. Sein Hass gegen den Lord leitete ihn und trieb ihn sogar so weit, sich kurzzeitig nicht unter Kontrolle zu haben. Das war bei einem Kriegszauberer äußerst selten zu beobachten. Sie wurden über Dekaden nur darauf geeicht, nicht die Beherrschung zu verlieren oder sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Bei Hadhod hatte sie so etwas noch nie gesehen. Rúmil geschah das hin und wieder. Er aber war auch kein Kriegszauberer, sondern Zauberer ersten Ranges und fast zu allem befugt, auch zu kleinen großen Gefühlsausbrüchen, die weniger gefährlich waren als die von Kriegszauberern. „Der Seeweg ist gefährlich, meine Herrin“ Valandir, vom Jagen zurückgekehrt, stellte sich neben sie. „Sehr viele Untiefen und Gewitter sind auf dem Weg zum anderen Ufer. Außerdem ungünstige Winde. Und: Es ist verboten Schiffe zu bauen. Man braucht eine Genehmigung.“ „Dann bauen wir eben keines“, Nienna kniff die Augen zusammen und sah, wie Bäume gefällt wurden. Es ergab alles keinen Sinn. Nie ergab irgendetwas bei dem, was sie sah einen Sinn. „Aber Herrin…“, stammelte Valandir unruhig. Er war doch nur besorgt um sie. Sah sie das denn nicht? „Nichts aber!“, fuhr sie ihn ohne Weiteres an. Ihr persönlicher Leibwächter zuckte verängstigt zurück. So kannte er sie nicht. Nienna holte tief Luft und fuhr fort. „Wir werden uns also ein Schiff…borgen. Und das Problem auf See dürfte mit zwei ausgebildeten Zauberern und einer Novizin an Bord nicht unlösbar sein, oder?“ Rúmil nickte zustimmend. Es würde kein Problem sein, an ein Schiff zu kommen und das kleine Stück mehr Meer zu überqueren. „Ein viel größeres Problem wird sein, unbemerkt an Land zu kommen. Am besten Segeln wir bis in die Mündungen Ethir, um Lûth herum.“ Hadhod schüttelte den Kopf. „Dann müssen wir quer durch die Wüste. Auf dieser Seite der Barriere würde ich nicht versuchen, das Ufer zu wechseln.“ Er beugte sich vor und malte eine kritzelige Karte in den Sand. Anschließend deutete er mit dem Finger auf eine Insel. „Carag Lhaeg liegt sehr günstig in unserer Routenplanung. Das einzige was mich stört, ist, am Ende wieder von der Insel zu kommen. Es ist eine Festung, eine unbemerkt kommt niemand heraus. Und da unsere Aufgabe geheim gehalten werden muss, sind wir Feinde auf unserem eigenen Gebiet.“ Nienna schluckte hart. Ihr Hals war komplett ausgetrocknet. Natürlich hatte Hadhod recht. In solchen Belangen hatte er immer recht. „Wir werden uns also als normale Truppen dort untermischen und hoffen, für eine Erkundungsfahrt mitgenommen zu werden? Das ist wahnwitzig! Wir müssen uns zu erkennen geben. Dann bekommen wir auch Unterstützung, die wir brauchen. Ansonsten… es kann zwei Tage oder zwei Jahre dauern, für eine solche Expedition zugelassen zu werden. Und selbst dann wären wir nur Kanonenfutter!“ Rúmil, anscheinend auch von Hadhods Idee angetan, blickte Nienna vorwurfsvoll an. „Du unterschätzt uns maßlos, meine Liebe. Ich bin nicht umsonst der oberste Zauberer. Als einer vierten oder dritten Ranges kann ich mich also allemal ausgeben, um „Kanonenfutter“ zu werden. Und Kanonenkugeln können einem, von Magie geschützten Schiff so schnell nichts anhaben.“ Verzweifelt schüttelte Nienna den Kopf. „Die Heerführer dort werden uns alle zweifellos erkennen. Und was ist mit Hadhod? Er kann sich nicht als ein niederer Zauberer ausgeben. Oder mit dem Halbelben. Den beiden Frauen.“ Rúmil, so geduldig wie zuvor auch schon, fuhr fort. „Ein Halbelb eignet sich perfekt für die Front. Verzeih, mein Freund..“, er blickte zu Valandir. Dieser knirschte nur mit den Zähnen. Ungerührt fuhr Rúmil erneut fort. „Und zwei Frauen an Bord zu haben, die Männern Spaß bringen und gleichzeitig kämpfen können; Besseres kann uns gar nicht passieren. Der Kriegszauberer hingegen… ja, du hast recht, es wird schwierig, ihn zu kontrollieren.“ Hadhod nickte zustimmend, erstarrte und erblasste jedoch, als Rúmil eine zarte Schnur aus Silber aus einem das Licht gefährlich schluckenden Samtbeutel zog. „Nein! Du hast mir geschworen, es mir nie wieder anzulegen!“, plötzlich war Hadhod außer sich vor Zorn. Valandir zog verängstigt den Kopf ein. Er hatte bisher selten mit Magie zu tun gehabt. „Geschworen, mein Sohn!“ Hadhods Miene verfinsterte sich immer weiter, die Magie allerdings hatte er dieses Mal sehr wohl unter Kontrolle. Nienna wollte sich nicht ausmalen, was sonst passiert wäre. Doch plötzlich verarbeitet und begriff sie, was er gesagt hatte. „Ihr seid…was? Rúmil…“ Der oberste Zauberer zog die Luft scharf durch die Zähne ein. „Eigentlich sollte das niemals an die Öffentlichkeit geraten, doch nun ist es eh zu spät. Ja, er ist mein Vater. Und es tut mir außerordentlich Leid, dies noch einmal tun zu müssen. Aber leider ist es notwendig.“ Hadhod stand die Panik ins Gesicht geschrieben. „Dieses…Ding. Wieso hast du es nur mitgenommen?!“ „Weil wir wahrscheinlich auf einen Kriegszauberer treffen. Und weil ich vorbereitet sein wollte. Drei Stück davon habe ich mit, dies ist das, welches am wenigsten Macht hat. Zier dich also nicht so, Vater…“ Valandir lugte hinter Nienna hervor. „Aber das ist doch nur eine kleine Silberkette. Was kann sie schon ausrichten?“ Hadhods Augen funkelten. „Diese Silberkette unterdrückt meine Gefühle. Und ohne diese muss ich meine Magie mühsam und mit großer Kraftanstrengung hervorbringen, bin zu nicht mehr fähig als ein Zauberer vierten Ranges oder sogar als ein Lehrling!“ Nienna war geschockt, sah aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit. Hadhod war zwar einer der Ältesten und Erfahrensten seiner Art, aber gleichzeitig auch sehr aufbrausend und intuitiv. Rúmil fuhr fort. „Bitte sei vernünftig Vater. Ich weiß, dass es sicher nicht einfach für dich ist. Aber eine andre Möglichkeit gibt es leider nicht mehr. Und was hast du lieber? Eine silberne oder eine goldene Kette?“ „Eine silberne natürlich!“, knurrte Hadhod und hielt ihm nun bereitwillig den Hals hin. Ein Glück war er heute noch einigermaßen verträglich gewesen. Nienna war betroffen, als sie den veränderten Gesichtsausdruck sah. Hadhods Augen waren leer, die Gesichtszüge noch stärker nachgezeichnet als sie es vorher eh schon gewesen waren. Etwas kränklich stützte er sich auf seinen Sohn, dieser litt stumm mit seinem Vater, der das Leid nicht mehr spürte. „Aber das wird nur für die Zeit am Wasser sein.“, sprach er leise und um sich zu beruhigen. „Und wieso hast du sie ihm jetzt schon angelegt?“ Nienna verstand Rúmils Logik nicht. „Wir gehen jetzt zum Meer, am Fluss entlang. Wasser verstärkt seine Fähigkeiten noch.“ Hadhod nickte schwach. „Wasser ist etwas, mit dem ich besonders gut umgehen kann. Mit Feuer hingegen kann ich fast gar nichts anfangen. Dafür muss ich meine normalen Kräfte benutzen und kann nicht auf meine Instinkte zugreifen.“ Die junge Elbin stutzte. So etwas hatte sie noch nie gehört. „Es ist selten, dass wir ein Defizit haben, doch es kommt vor.“, antwortete ihr Hadhod auf ihren verdutzten Gesichtsausdruck. Aranel nickte zustimmend. „Ich habe auch ein Defizit. Allerdings kommt es bei uns öfter vor als bei Männern. Ich kann nicht mit Luft umgehen, dafür aber mit Holz“ „Und deshalb ist sie meine Schülerin. Weil sie etwas Besonderes ist.“ Aranel wurde rosa, als Rúmil das sagte. „ich werde euch verbotener Weise ein Schiff bauen können, während ihr mir Rückendeckung gebt. Wenn schon Bäume an der Küste wachsen wird es nicht so lange dauern, als wenn ich sie erst pflanzen muss und sie mit Magie wachsen.“ Valandir nahm eine Hand voll Staub vom Boden auf und warf ihn hoch in die Luft. „Wir müssen weiter. Der Wind dreht. Er kommt nicht mehr den Bergen und weht unsere Spuren aufs Meer, sondern kommt vom Meer und macht es unseren Verfolgern einfacher, uns aufzuspüren, selbst wenn wir versuchen, sie mit Magie in die Irre zu führen.“ Etwas erschrocken blickte Nienna zu Valandir. Er sagte selten etwas in letzter Zeit, doch wenn er etwas sagte, so war es meist produktiv. Mit einem Nicken stimmte sie ihm zu, schulterte ihre Tasche und blickte in die Runde. „Dann wollen wir keine Zeit verlieren und endlich aufbrechen. Bis zum Meer sind es nur noch einige Stunden. Und wenn wir schnell reiten, sind wir noch vor Tagesanbruch angekommen.“ „Nienna spricht die Wahrheit. Wir dürfen auf keinen Fall Zeit verlieren. Der, von dem die Rede ist, wird nicht auf uns warten und…“ Noch während Rúmil sprach, wurde Nienna schwindelig und sie musste sich an Valandir festhalten, um nicht umzufallen. Gerade bemerkte sie noch, dass sie alle Blicke auf sich zog, bevor ihr schwarz vor Augen wurde. Sie blinzelte. Was war das, was sie sah? Es hatte Arme und Bein, Kontraste gab es aber noch nicht .Es sah alles so aus wie in jeder Vision, doch gleichzeitig unbekannt, denn dabei war sie noch nie, noch nie ein Teil des Geschehens gewesen. Nur allmählich verschärften sich die Umrisse, der graue Ton in den Farben verschwand. Um sich herum konnte sie Schreie hören. Nienna stutzte. Sie stand in einem Feldlager oder etwas Ähnlichem. Junge Männer gingen vorüber oder streiften sie, ohne sie zu bemerken. Doch ihr Augenmerk viel schnell auf jemanden, der wie in hellem Licht, umgeben von Tristes, zu stehen schien. Er war ein großgewachsener Mann Anfang zwanzig. Sofort heftete Nienna den Blick auf die Ohren des Mannes, doch es waren die eines Menschen. Auf den ersten Blick ähnelte er einem sehr stattlichen Elben, aber nun sah sie auch, dass sein Haar dicker und, obwohl lang und im Nacken zusammengebunden, nicht so fließend war wie das eines Elben. Niennas Blick glitt hinab. Der Mann setzte sich in den Schneidersitz, unberührt von dem, was um ihn herum geschah. Er schwitzte. Sein nackter Oberkörper glänzte im Schein der Sonne, jeder Muskel war angespannt. Nienna trieb es die Schamesröte ins Gesicht, als sie merkte, wie sie daran dachte, dass dieser Mensch es tatsächlich vollbrachte, besser auszusehen als jeder Elb, den sie jemals so zu Gesicht bekommen hatte. Ein anderer Mann, dieses Mal jedoch wirklich ein Elb, näherte sich dem sitzenden Menschen von hinten mit fließenden Bewegungen, so leise, dass Nienna selbst es nicht zu vernehmen vermochte. Der Elb, mit blondem, glänzendem Haar und hellblauen Augen gesegnet, zückte zu ihrem Entsetzen ein Messer, pirschte sich näher an den Sitzenden heran und hielt diesem die Klinge an die Kehle.“Calaelen ist dein Name, richtig?“, fragte er und beugte sich zum Ohr des Menschen vor. „Und mit erstem Name Fingon, wenn mich nicht alles täuscht.“ Der Angesprochene zeigte keine Reaktion, sein Atem ging weiterhin regelmäßig. „Es geht das Gerücht um, dass du zwar zu denen gehörst, die in den Büchern stehen, aber selbst keine Magie in dir trägst. Richtig?“ Wieder zeigte der Mensch, dessen Name Fingon war, keine Reaktion. „Auch heißt es, dass deine Schwester ihm gehört. Ist das nicht furchtbar zermürbend? Zu wissen, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit sein Spielzeug ist und nur dem Zweck dient, dass…“ Plötzlich verstummte der Elb, seine Augen wurden blind und aus Nase, Mund und Ohren flossen kleine Rinnsale seines Blutes. Ohne die Augen zu öffnen nahm Fingon ihm das Messer aus der fast erschlafften Hand und steckte es neben sich in den Boden. Der Elb brach hinter ihm tot zusammen. Nienna atmete erschrocken auf und als hätte der Mensch das gemerkt, öffnete er plötzlich die Augen und starrte in ihre Richtung. Die junge Elbin rang nach Luft. Seine Augen, so grau wie der Himmel an einem Regentag zogen sie komplett in seinen Bann, sie war unfähig sich zu bewegen oder zu denken. Sein Blick bohrte sich durch ihren Schädel, als wäre er aus Butter. Jeder einzelne Gedanke schien dem Fremden offen gelegt zu werden. Doch als es soweit war, dass Scham und Angst für Nienna unerträglich wurden, änderte sich der Blick. Er war plötzlich nicht mehr der eines tosenden Gewitters. Sie sah deutlich, dass er litt. Das Funkeln, Blitzen gleich, verschwand, seine Augen wurden trübe und stumpf, fast ausdruckslos. Nienna wollte einen Schritt auf ihn zu machen und fragen, was passiert war, als plötzlich wieder alles verschwamm. Von den Seiten ihres Blickfeldes wurde es schwarz. Ein Tunnel entstand… Und plötzlich rang sie nach Luft und schlug die Augen wieder auf. Rúmils Gesicht war direkt über ihrem. Seine Hände lagen auf ihren Schultern, Neben seinem Gesicht leuchtete der strahlend blaue Himmel. Wie lange war sie weg gewesen? „Was hast du gesehen?“, fuhr er sie an. Verzweiflung schwang deutlich in seiner Stimme mit. So deutlich diese Vision gewesen war, so schnell verblasste sie auch wieder vor ihren Augen. Nur an den Blick des Fremden konnte sie sich noch erinnern. „Graue Augen, ein Blick wie ein tosendes Gewitter. Aber gleichzeitig auch unendliches Leid. Er war es…“, flüsterte sie und wurde fast wieder ohnmächtig. Die Magie hatte ihr beinahe alle Kraft geraubt. „Bleich wach, Nienna…“, flüsterte Aranel und legte ihr jeweils zwei Finger an die Schläfen. Eine wohlige Wärme strömte in sie und nahm ihr die innere Leere der fehlenden Magie. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Hadhod begann, nervös auf und ab zu laufen. Nervosität ließ die Kette also zu. „Hat er dich direkt angesehen?“, fragte er und blieb stehen. Nienna drehte den Kopf zu ihm und riss panisch die Augen auf, versuchte von ihm wegzukommen, konnte sich aber nicht bewegen. „Genauso wie ihr mich gerade durchblickt, hat er es ebenfalls getan. Sein Blick war nur… noch stechender und mehr di eines Unwetters. Eurer ist der eines Raubvogels. Doch der leidende Ausdruck war der gleiche…“, stammelte sie vor sich hin und versuchte, den Blick von Hadhod zu nehmen, es gelang ihr aber nicht. „Er läuft Gefahr, außer Kontrolle zu geraten.“, brach Rúmil letztendlich das Schweigen. „Er hat uns einen Hilferuf gesendet, der jedoch nicht ganz überbracht werden kann, weil die Überbringerin der Botschaft noch nicht mächtig genug ist. Mach dir keine Vorwürfe, Nienna.“ Sie schüttelte nur den Kopf. „Er hat mich zwar angeschaut, aber es sah eher aus wie eine Vision. Das bedeutet, es ist noch nicht passiert. Aber den Blick habe ich trotzdem empfangen. Vielleicht wird er in der Zukunft einen Hilferuf senden. Visionen sind schwierig zu deuten…“ Aranel massierte ihre Schläfen und stand dann auf. „Aber wenn du jetzt schon umgefallen bist.. was passiert dann, wenn der richtige Ruf kommt?“ Das wollte niemand wissen. „Wenn es eine Vision war, muss aber noch etwas dort gewesen sein, als nur sein Blick. Doch du kannst dich nicht erinnern..“ Hadhod begann wieder, nervös hin und her zu laufen. „Wir haben noch Zeit. Er dürfte noch nicht im Stande dazu sein, seine Magie so einzusetzen. Aber es ist alles mehrdeutig…“ Er ergriff die Zügel seines Pferdes und saß auf. „Wir müssen weiter!“, rief er und galoppierte davon. Kapitel 6: Sechs ---------------- Sechs Fingon schwirrte der Kopf, seine Brust schmerzte noch immer fürchterlich. Nur langsam gelang es ihm, die Augen aufzuschlagen und seine Umgebung wahrzunehmen. Er lag auf einem Bett. Zwar war es gefüllt mit Stroh, aber es war ein Bett. Eine Öllampe brannte neben ihm und als er den Kopf leicht zur Seite drehte, sah er auch das Nachtschränkchen, auf dem die Lampe stand. Das kleine Lichte leuchtete das Zimmer nicht ganz aus, doch schemenhaft erkannte Fingon einen Tisch mit zwei Stühlen und dahinter noch ein Bett, das allerdings leer war. Lärm von Betrunkenen drang durch die Tür, Fenster und Boden zu ihm durch. Wo war er hier gelandet? Ursprünglich sollte er doch nach Habad Rast gebracht werden. Doch in der Stadt selbst waren solche „Kneipen“ verboten. War er vielleicht erst auf dem Weg dorthin oder... was war nur passiert? Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er, vom Schmerz überwältigt, plötzlich ohnmächtig geworden war. Langsam setzte er sich auf, um seine Umgebung näher zu erkunden. Seine Schuhe waren nicht vor seinem Bett, stattdessen standen neue Lederstiefel dort, wie sie die Soldaten auch trugen. Er schaute an sich herab. Ansonsten hatte er seine Kleidung behalten. Aber wo war sein Schwert? Hecktisch begann Fingon, die Klinge zu suchen und war erleichtert, als er sie neben dem Kopfende seines Bettes lehnen sah. Leise ging die Tür auf und Tendet betrat den Raum. Seine Rüstung hatte er abgelegt und stattdessen ein braunes Leinenhemd und eine schwarze Lederhose angezogen. Abgesehen von seiner noch zu stolzen Haltung konnte man ihn nun für einen normalen Arbeiter halten. „Guten Abend, Kleiner. Du bist also endlich aufgewacht.“, stellte der mit den sanften braunen Augen erfreut fest. Fingon nickte und zog sich langsam die Stiefel an. „Was machen wir hier?!“, fragte er aufgebracht. „Ich verstehe nicht, was das jetzt soll...“ Tendet lächelte und ging zum Fenster. „Ein hübscher Rucksack, den du dort hast.“, sprach er, ohne zu Fingon zu blicken. „Und der Mantel. Der würde auch mir passen. Dir ist er etwas zu kurz, oder?“ Fingon nickte und hatte zumindest das verstanden. „Du hast mir den Beutel zukommen lassen“; stellte er fest. „Aber wieso das alles hier? Und wo sind die anderen drei?“ „Wieso das alles hier? Das ich dir leider nicht sagen. Noch nicht. Etwas hingegen kann ich dir mitteilen. Einer von den Dreien ist tot und die anderen beiden werden es bestimmt bald sein. Mehr Antworten wirst du noch nicht bekommen. Folge mir einfach, dann wirst du ans Ziel kommen.“ „Wieso sollte ich dir vertrauen?!“, plötzlich in Rage sprang Fingon auf. Ihm war schwindelig, aber das konnte er überspielen. „Du hast deine Soldaten umgebracht, erzählst mir nicht, was mit mir passiert und ich soll dir einfach so vertrauen? Mein linker Arm ist taub, ich habe auf einmal einen Beinamen „Zwielicht“. Und mir scheint, die ganze Welt ist hinter mir her, will mich auf eine bestimmte Seite ziehen oder meinen Tod erzielen. Fragt auch mal jemand, was ich möchte, oder wie es mir dabei geht?“ Tendet guckte ihn betroffen an. „Du hast Recht. Mit Allem, was du sagt. Doch ändern kann es niemand mehr. Du vielleicht noch, aber selbst steht in den Sternen.“ Er setzte sich auf einen Stuhl, doch Fingon blieb unbeirrt stehen, seine Miene aber wurde weicher. „Was hast du damit zu tun, Tendet? Wieso hilfst du mir?“, Verzweiflung klang inzwischen in seiner Stimme mit. Tendet überlegt. Alles durfte noch nicht gesagt werden. „Ich bin nur ein Rädchen im Getriebe. Ich bin unbedeutend. Und wieso ich die helfe? Weil ich die Augen aufgemacht habe und nicht mehr so blind durch die Weltgeschichte laufe, wie all die anderen Menschen dieser Welt. Es muss endlich etwas gegen Mathan gemacht werden, der sich selbst Dunkler Herrscher nennen wird. Er ist nicht mehr zu ertragen, wie er Elben terrorisiert und mächtige Magier auslöscht, als wären sie lästige Fliegen. Die Welt verkommt unter seiner Herrschaft und wir müssen uns wehren.“ „Und was heißt das jetzt? Wir müssen uns wehren. Das weiß ich! Schon seit Jahren! Aber wir können nichts unternehmen. Wir sind nur zu zweit. Und wie viele sind die?“, er zeigte aus dem Fenster, „bestimmt mehr als eine Million Soldaten. Dazu Elben an die zwanzigtausend, und Magier, so weit das Auge reicht. Und du hast ihnen die Treue geschworen und ich muss es, um zu überlegen und die Schmerzen in der Brust nicht mehr zu haben. Außerdem bin ich ein ganz normaler Mensch! Ebenso wie du.“ Tendet schwieg. Er konnte Fingon nicht das sagen, was ihn beruhigen würde, stattdessen sprach er: „Es ist nur positiv, dass du in die Sondereinheit kommst. Mathan schenkt ihr besondere Beachtung und... unterrichtet … sie auch hin und wieder. So hast du vielleicht irgendwann die Möglichkeit, ihm Schaden zuzufügen.“ Fingon würde schon seine Chance bekommen. Und wenn nicht, würde es ihm nichts tun. „Du musst nur die Befehle befolgen, die dir gegeben werden, dann kann dir nichts passieren. Und blicke ihnen niemals in die Augen!“ Tendet hob die Hand, als Fingon etwas erwidern wollte. „Am besten, du fängst jetzt schon damit an, Befehlen zu gehorchen. Schweig und blicke niemandem in die Augen. Hast du mich verstanden?“ „Ja, Sir“, flüsterte Fingon niedergeschlagen. Er schaute aus dem Fenster und seufzte auf. „Ich habe Hunger, Sir.“ Tendet blickte ihn traurig an. „Ja, am besten wir gehen nach unten uns Wirtshaus. Die junge Dame dort ist ganz nett und kann wirklich gut kochen.“ Fingon nickte. „Wo genau sind wir eigentlich im Moment?“ „Bei meiner Schwester. Sie wird dir auch gleich unten im Wirtsraum begegnen. Bitte... starre sie nicht an“ Der Jüngere wusste zwar nicht, weshalb, nickte aber. „Außerdem sind wir etwa zwei Stunden mit dem Pferd von Habas Rast entfernt.“ Erneut nickte Fingon und hörte plötzlich seinen Magen knurren. Der Gastgeber schmunzelte und stand auf. „Was hast du eigentlich die letzten Wochen gegessen?“, fragte er und öffnete Fingon die Tür, damit dieser vorgehen könnte. Der Reisende musste tatsächlich nachdenken und blieb vor der Tür stehen, während Tendet die Tür abschloss. „Moos, Beeren, hin und wieder einen Fisch. Mehr nicht, glaube ich.“ Fingon wurde die Hand auf den Rücken gelegt und er wurde die Treppe hinunter geschoben. „Dann wird es jetzt dringend Zeit, dass du wieder etwas bekommst. Und denke daran: Niemandem in die Augen blicken!“ „Ja, Sir!“, entgegnete Fingon genervt und stieg die steile und ziemlich schmale Treppe hinunter. Tendet folgte ihm auf den Fersen. Der Schankraum war bis zum Bersten gefüllt. Jüngere und ältere Menschen, meinst aber Männer, saßen an Tischen oder standen am Tresen. Frauen huschten zwischen den Männern umher und die älteren von ihnen hatten es sogar schon heraus, sich den grapschenden Händen geschwind zu entziehen. Tendet setzte sich mit Fingon an den Tresen. Eine Frau Anfang bis Mitte dreißig kam strahlend auf sie zu. Sie hatte rehbraune Haare, die ihr knapp bis über die Schultern reichten und die gleichen sanften braunen Augen wie Tendet. Das musste seine Schwester sein. „Na endlich, du bist wieder da!“, freute sie sich und fiel ihrem Bruder mit lautem Lachen um den Hals. Es schien, als hätten sie sich länger nicht gesehen. „Wie geht es dir und Dalya?“, fragte er und schaute sich im Getümmel um. „Sie ist in der Küche und macht euch beiden gerade etwas zu Essen.“, sie blickte zu Fingon, der seinen linken Arm schnell unter seinem Mantel verbarg. „Ich bin Eylana. Und du bist?“ Fingon wusste nicht, ob er antworten durfte. Tendet nickte aber. „Ich bin Fingon und mit Tendet unterwegs“, seine Antwort war knapp aber Eylana begnügte sich damit und lächelte ihn lieb an. Für Fingon hatte es den Anschein, als würde sie es schon kennen, wenn Tendet geheimnisvolle Freunde mitbrachte. Die Geschwister wechselten Blicke, die er nicht verstand. Es war, als würden sie sich unterhalten, aber ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Sie hätten sich aber in aller Ruhe unterhalten können, es wäre keines der Worte bei Fingon angekommen. Denn plötzlich johlten einige Männer auf, als eine junge Frau mit zwei Tellern aus der Küche kam. Sie steuerte direkt auf sie zu und Fingon betrachtete, wie die Männer nach ihr griffen, wenn sie vorüberging. Als Fingon ihre Augen sah, wusste er, es musste die Tochter Dayla sein, denn auch sie hatte die sanften braunen Augen, sie sich quer durch die gesamte Familie zogen. Was aber sofort auffiel, war, waren die feuerroten Haare, die ihr in Locken fast bis zur Taille reichten. Eine fleckige Schürze hatte sie eng um ihre Mitte gebunden. Darunter trug sie ein hellbraunes Leinenkleid mit ein bisschen Ausschnitt, der aber nicht zu viel offenbarte. Dayla stellte die zwei Teller vor Tendet und Fingon und umarmte schließlich unter Tränen ihren Onkel. „Du bist aber groß geworden.“, lachte er glücklich und umarmte sie ebenfalls. Die anderen Männer schauten den beiden zu, wendeten sich dann aber wieder ihrem Essen zu und verhielten sich so wie zuvor. Fingon hielt Ausschau nach einigen von ihnen, die potentiell Ärger machen könnten. Und da gab es nicht nur einen, nein, es war fast mehr als die Hälfte. Übles Gesindel hockte zusammen an Tischen und aßen nicht nur, sondern spielten auch Karten und tranken Alkohol. „Tendet, ich störe dich nur ungern, aber ich glaube, wir sollten uns nicht allzu lange hier aufhalten. Du scheinst nicht sehr beliebt bei diesen Männern zu sein.“ Sein Freund nickte und ließ seine Nichte wieder los. „Du hast Recht, Kleiner. Die meisten in diesem Raum kenne ich und sie mich leider auch noch.“ Tendet setzte sich auf den Hocker und begann, den Teller Suppe auszulöffeln. Fingon tat es ihm gleich. Es tat gut, nach langer Zeit endlich wieder eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Es war eine Sippe mit Kräutern und ein bisschen Huhn. Außerdem war sie scharf genug, um seine eiskalten Füße langsam wieder zu erwärmen. Noch bevor Fingon den dritten Löffel zu sich genommen hatte, war Tendet schon fertig, drehte sich auf seinem Hocker um und lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. Seine Nichte war auch schon längst wieder in der Küche verschwunden. Eylana brachte den Männern neue Getränke. Sie war eine von denen, die es wirklich schafften, den Händen der Gäste zu entgehen. Und wenn es doch geschah, dass sie jemand berührte, schlug sie ihm auf die Hände und tadelte ihn, blieb dabei aber immer fröhlich. „Wieos habt ihr eigentlich alle braune Augen?“, fragte Fingon, nahm seinen noch fast gefüllten Teller in die Hand und drehte sich ebenso wie Tendet auch, um. Sein Freund lächelte leicht. „Diese Frage ist eine von denen, die ich dir noch nicht beantworten kann. Aber eines kann ich dir sagen. Triffst du jemals einen Menschen mit diesen Augen, kannst du ihm vertrauen und von ihm auch jede Hilfe bekommen, die du erfragst. Nur wissen wirst du von ihm nichts bekommen, denn Manches darfst du einfach nicht erfahren.“ Fingon seufzte und löffelte seine Suppe weiter. Er würde nie etwas erfahren und dumm sterben, wenn es nach Tendet ging. „Aber ich darf weiterhin Fragen stellen, oder? Irgendwann muss doch einmal eine dabei sein, die du mir beantwortest.“ Tendet schmunzelte. „Du bist so neugierig, Fingon. Ich hoffe, das wird dir auch einmal Vorteile erbringen und nicht immer nur nachteilig sein. In diesem Land neugierig zu sein, ist sehr gefährlich für dein allgemeines Wohlbefinden. Wenn du bald im Lager zu neugierig bist, werden sie dich foltern und dir Sprechverbot erteilen.“ Niedergeschlagen ließ Fingon den Löffel sinken. „Ich dachte, dass du mich jetzt, nachdem du mich schon 'gerettet' hast, nicht mehr in dieses Lager schickst. Aber da habe ich mich geirrt, wie es scheint.“ „Fingon... Du musst dorthin, damit du überlebst. Das hört sich wahnwitzig an, aber den Fluch der Betäubung kann nur der Treueschwur von dir nehmen. Außerdem fällst die Mathan nicht so schnell auf, wenn du da bist, wo er dich am wenigsten erwartet. Noch dazu kommt, dass du ausgebildet wirst und das nicht einmal schlecht. Der einzige Nebeneffekt besteht darin, dass du Schmerzen haben wirst, wenn du nicht gehorchst und der ständigen Willkür deiner Vorgesetzten ausgesetzt bist. Du wirst es nicht immer leicht haben, aber es wird einfacher sein, als so zu überleben.“ Fingon schüttelte ungläubig den Kopf. Es kam ihm vor, als wäre er allein auf der Welt. Tendet half ihm zwar und rettete ihn vor einer Bedrohung, er wusste aber nicht, worin die Bedrohung bestand oder wieso ihm fast keine seiner Fragen beantwortet wurden. Auch wusste er nicht, wieso plötzlich die gesamte Welt interessiert an ihm schien, oder was für eine Rolle Tendet dabei spielte. Jetzt stellte sich für ihn die Frage: Würde sich das alles überhaupt irgendwann aufklären? „Kleiner, sein nicht enttäuscht. Manchmal läuft das Leben so, wie es für dich gerade läuft. Das ist nicht schön, aber unumgänglich für dich und auch für mich. Du bist nicht der einzige mit unbeantworteten Fragen.“ Fingon nickte und akzeptierte, dass es nicht zu ändern war, auch wenn es ihm schwerfiel. Plötzlich ging ein Bierkrug klirrend zu Bruch, der Inhalt spritzte in alle Richtungen an Wände, Beine und Stühle. Zwei Männer standen wütend auf und stritten in einer Sprache, die Fingon nicht verstand. Tendet setzte sich sofort aufmerksam kerzengerade auf seinen Hocker und beobachtete die Situation. Anscheinend verstand er diese Sprache. Auch Eylana und Dayla gesellten sich nun, da es Ärger gab, wieder zu Fingon und Tendet. Eylana seufzte. „Ich schätze, wenn wir nichts unternehmen, liegt diese Bar in wenigen Augenblicken in Schutt und Asche..“ Tendet nickte und blickte zu Dayla. „Meine werte Nichte. Möchtest du dich einmal versuchen?“ „Aber das sind Zauberer.. 4. Ranges. Vielleicht sogar 3. .. Ich glaube kaum, dass ich da jetzt schon etwas ausrichten kann.“, Eylana lächelte. „Dann zeige ich es dir noch einmal.“ Sie ging in Richtung der zwei Männer, um die sich inzwischen eine Traube von von anderen Männern gebildete hatte, und schob diesen Ring auseinander. Sie wusste sich durchzusetzen, das sah Fingon. Die älteren Männer wurden ruhiger und gingen zurück auf ihre Plätze. Die jüngeren hingegen störten sich nicht weiter an ihr, wurden aber ebenfalls etwas ruhiger. Nur die beiden Zauberer schien es noch immer nicht zu interessieren. Sie stritten weiter, in der Sprache, die Fingon nicht verstand. „Bitte meine Herren. Streiten sie sich doch bitte nicht über eine solche Nichtigkeit, über die man sich in dieser Gesellschaft nicht streiten sollte.“, sprach sie deutlich, packte den jüngeren Zauberer am Arm und drehte in in ihre Richtung. Sofort wurde sein Blick von ihren Augen angezogen und er unterlag ihr vollkommen. „Ab Besten ist es, wenn ich nun nach Hause gehe und meine Bücher studiere..“, sprach er abwesend. Der ältere Magier wich verängstigt einige Schritte zurück und stammelte Unverständliches Zeug vor sich hin, bevor er ebenso wie der andere auch inzwischen, die Beine in die Hand nahm und die Gaststätte fluchtartig verließ. Eylana lächelte breit und klatschte in die Hände. „Und weiter geht es!“, rief sie in die Runde. Die Kellnerinnen eilten herbei und gaben eine Runde Getränke an alle aus, auch Fingon und Tendet bekamen einen Krug in die Hände gedrückt. Fingon blickte in das Tongefäß und runzelte die Stirn. So ein Getränk kannte er nicht. Tendet schaute ihn amüsiert zu. „Das ist eine Mischung aus Zuckerrohrbrand und Ziegenmilch. Ein ziemlich kräftiger Schlaftrunk. Zu vuel davon macht Kopfschmerzen bei normalen Menschen, denn eigentlich es es nicht für diese bestimmt, sondern nur für unsere Familie. Das das Geschäft damit läuft gut und wir brauchen jede Kupfermünze.“ Es setzte den Krug an und trank ihn bis zur Hälfte leer. Dann stellte er das Gefäß auf den Tresen und wandte sich erneut an Fingon. „Da du.. kein gewöhnlicher Mensch bist, musst auch du keine Angst vor Kopfschmerzen haben, denn wahrscheinlich zeigt es bei dir gar keine Wirkung, Kleiner.“ Fingon schnupperte an der braunen Milch. Sie roch leicht süßlich, gar nicht so, wie Ziegenmilch eigentlich roch. Ohne noch weiter zu zögern, setzte er das Gefäß an und nahm einen großzügigen Schluck. Ebenso wie es roch, schmeckte es auch. Leicht süßlich und kaum nach Ziegenmilch. Jedoch brannte es auch etwas scharf im Rachen. Er hatte nicht überhört, was Tendet noch gesagt hatte. „Ich bin kein gewöhnlicher Mensch?“, fragte er verunsichert. Tendet ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. „Wer von uns ist schon gewöhnlich?“ _____________________________________ Nach langsam Warten endlich ein neues Kapitel. Ich hoffte, es ist einigermaßen gelungen und auch einigermaßen rechtschreibfehlerlos, das Abtippen musste schnell gehen... >.> In nächster Zeit schreibe ich noch einen Prolog, damit einige offene Fragen geklärt werden =) mfg Kahlan Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)