The Equinox von ImSherlocked (Was tut man, wenn man sich von aller Welt verraten fühlt? Man wendet sich dem Feind zu!) ================================================================================ Kapitel 3: Drei --------------- Unschlüssig betrachtete Fingon die Weggabelung. Er wusste nicht weiter und der Horizont war nicht zu sehen, der Nebel hing zu tief. „Verdammt!“, fluchte er leise, als ein Trupp Soldaten plötzlich in seinem Rücken auftauchten, ihn aber noch nicht genau ausmachen konnten. Schnell zog er sich die Kapuze über den Kopf und senkte den Blick zu Boden. Die sechs Soldaten verlangsamten ihren Laufschritt und ihr Anführer hob die Hand. Sofort blieben alle stehen. Der Anführer, gekennzeichnet durch seine bulligen Körpermaße und die meisten Narben an seinem Hals, die seinen Rang anzeigten, trat auf ihn zu. „Wer bist du und was machst du so früh am Morgen und ohne Arbeit auf der Straße?“, rief er laut und im Befehlston, obwohl er nur einige Fuß von Fingon entfernt stand. „Ich bin nur auf der Durchreise und wollte die Berge vor dem Einbruch der Dunkelheit erreichen, deshalb bin ich früher aufgestanden. Ihr wisst sicherlich, dass es in den Bergen bei Nacht und ohne Feuer und Höhle sehr schnell gefährlich werden kann.“ „Das wissen wir sehr wohl. Aber wenn du diesen Weg beschreitest, landest du zweifelsohne im Sumpf und nicht in den Bergen, wo du hinwillst. Aber sag … was willst du denn in den Bergen? Wenn ich dich so anschaue, solltest du Soldat sein und kein Wanderer.“ Der Offizier trat einen Schritt auf ihn zu und zog die Brauen wütend zusammen. „Verzeiht, ich hätte es Euch sofort sagen sollen, mein Herr. Ich bin fast blind, deshalb kann ich auch die Berge, die wohl am Horizont zu erkennen sein sollten, nicht sehen.“ Fingon blinzelte und schaute, ohne dass seine Augen auf einem Punkt ruhten, zum Horizont und ließ seinen Blick hin und her schweifen. Der Nebel hatte sich zum Glück und zu Fingons Vorteil inzwischen etwas gelockert, sodass der Anführer sie sehen musste. Zu Fingons Entsetzen zückte er sein Schwert. Vielleicht soll das nur ein Test sein, dachte Fingon bei sich. Doch das grimmige Gesicht des Anführers, das er aus den Augenwinkeln genau sehen konnte, sagte etwas anderes. Trotzdem blieb er ruhig. Schöpfte Energie, um sich, falls es ernst werden sollte, wie eine Sprungfeder zusammenziehen und ausweichen könnte. Der Anführer holte aus. Die Klinge raste auf Fingons Schulter zu und – berührte ihn nicht. Sein Angreifer hatte vor dem Schnitt gestoppt. „Er scheint wirklich blind zu sein“, lachte er, „lasst ihn ziehen, wir haben Wichtigeres zu tun!“ Als Fingon sah, wie der Fußtrupp im Sumpf verschwand, atmete er erleichtert aus. Dieser Mann war leichtgläubig gewesen. Ein anderer hätte ihn nicht so einfach von dannen ziehen lassen. Glücklich setzte Fingon seinen Weg in die Berge fort. Er würde noch lange vor Einbruch der Dunkelheit die ersten Ausläufer erreicht haben. Dort wohnte ein Bauer, bei dem er einst einen Herbst gearbeitet hatte. Mit ein wenig Glück gab es diesen Bauern sogar noch. Fingons Schuhe versagten allmählich den Dienst. Er brauchte dringend neue. Wasser kroch in seine Socken und ließ seine Zehen bei diesem Wetter in kürzester Zeit blau frieren. Er hatte sie sich bei seiner Flucht aus der Stadt über offenes Geröllfeld durchgelaufen. Die kleinen Steine hatten der sowieso schon sehr dünnen Sohle den Rest gegeben. Hätte Fingon langsamer gehen können, hätte er darauf geachtet, wohin er trat; so wären die Steine kein Problem gewesen, doch nachdem er sich hastig von Suilad, dem Sohn des Schmieds, verabschiedet hatte, war Eile geboten, denn die Nacht war schon längst nicht mehr jung gewesen. Fingon schob den Rucksack unter seinem Umhang zurecht. Suilad hatte ihm geraten, erst hineinzuschauen, wenn er sicher in einem Versteck angekommen war, doch Fingon, in der Hoffnung einen Umhang oder einen Mantel zu finden, hatte schon vorher in einem dichten und gut verborgenen Waldstück hinein gelinst. Den Mantel hatte er gefunden und mehrere Beutelchen mit Kräutern, außerdem einen mit Münzen aus Gold, Silber und Bronze. Zu seiner Zufriedenheit hatte er auch eine Karte gefunden, die jedoch nur auf den ersten Blick wie eine schien. Sie veränderte nämlich fortlaufend das Gebiet, das sie anzeigte. Aus Angst, die Karte könnte auf „böser“ Magie beruhen, hatte er sie ganz unten in den Rucksack verbannt. Fingon, als ehemaliger Waldbewohner und Jäger für seine Eigenversorgung, würde auch ohne eine Karte in heimischen Gefilden gut zurechtkommen. Er blickte zum Horizont. Wolken zogen auf. Eile war geboten. Ganz so schnell wie erhofft, fand sich Fingon bei den Ausläufern der Berge wieder. Einige Male hatte er wegen eines Fußtrupps oder eines Reiterbatallions Umwege durch die Wildnis nehmen müssen. Zudem suchte er nun schon eine Weile den Bauern, von dem er wusste, dass dieser versteckt wohnte und ihm auch neue Schuhe geben konnte. Er fluchte leise, dass er in Muschelschalen trat. Fingon blickte nach unten zu seinen Füßen, bückte sich und untersuchte die Schalen genauer. Sie mussten durch einen Vogel hierhergekommen sein. Durch einen sehr großen Vogel. Im gleichen Moment erklang ein durchdringender Schrei in einem Tal, dass er noch nicht ganz überblicken konnte. Er kannte diese Schreie. In seiner Kindheit hatten diese Vögel oft die Dörfer aufgesucht, in denen er wohnte und immer kleine Kinder verschleppt. Einige wurden Jahre später verwildert gefunden, von anderen fand man höchstens ein paar Knochen, manchmal nicht einmal mehr diese. Fingon duckte sich erschrocken, als ein Schatten über ihn hinweg huschte. Die Vögel konnten es einzeln nicht mit einem erwachsenen Mann aufnehmen, doch wenn es mehrere waren, und nach den Schreien zu urteilen waren es mehrere, konnte er ganz leicht getötet werden. Vorsichtig und im Schatten von Felsen lief er weiter. Die Vögel hatten ihn zum Glück noch immer nicht entdeckt. Nach einigem Suchen entdeckte Fingon endlich einen Felsenkamm, über den er ohne entdeckt zu werden ins Tal blicken konnte. Zutiefst verletzt blickte er auf die Ruinen des Bauernhofs. Fünf Leichen lagen vor der Scheune säuberlich in einer Reihe, ein Mann, eine Frau und drei Kinder. Das Feuer loderte noch beim Haupthaus und die Vögel hatten sich deshalb nicht getraut, die Leichen anzurühren. Zu Fingons Erleichterung konnte er die Bestien also mit Feuer fernhalten. Wer hatte dies getan? Wer hatte eine arme Bauernfamilie umgebracht und alles angezündet? Trauer überwältigte ihn. Sie waren immer nett und zuvorkommend zu ihm gewesen. Plötzlich erblickte er weit unten am Steilhang vor ihm einige Zelte der Soldaten des Lords. Mathan eroberte sich allmählich das Gebirge, in dem es so lange ruhig gewesen war. Was wollte er hier? Eisenerz gab es kaum, Kohle und Salz auch nicht. Vielleicht brauchte er Platz oder mehr Land, um die riesige Armee zu unterhalten. Das wäre logisch. Doch wieso tötete er dann Bauern, von denen er Getreide hätte erpressen können? Fingon wusste nicht genau, was er unternehmen sollte. Vielleicht sollte er einfach noch viel weiter ziehen, sich eine neue Hütte bauen und still und leise vor sich hinleben, ohne weiter aufzufallen. Aber war denn ein solches Leben gut für ihn? Leise stieg Fingon den Steig wieder hinab, um eine andere Route einzuschlagen, die weit um das Tal herumführte. Einer der Vögel stieß einen spitzen Schrei aus und sofort warf Fingon die grau Kapuze über sein Haupt, duckte sich unter einige Büsche. Es würde schwierig werden, von diesem durch die Vögel gut bewachten Stückchen Erde unentdeckt zu entkommen. Er zog die Beine dicht an den Körper und legte das Kinn auf die Knie. Sei Schwert drapierte er samt pechschwarzer Scheide zu seinen Füßen und strich mit den Fingern vorsichtig hinüber. Seine Fingerspitzen kribbelten. Das hatte er bisher nur bei ein paar Schwertern seines Meisters erlebt. Ihm selbst war es vorher noch nie gelungen, solch ein meisterhaftes Schwert zu schmieden, er hatte es aber auch noch nie versucht. Es klopfte auf die Blätter über ihm. Fingon zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern und löste sich auch nicht aus dieser Schreckstarre, als er wusste, dass es Regen war, der diesen Lärm machte. Regen in den Bergen war selten, doch wenn es einmal angefangen hatte zu regnen, hörte es so schnell nicht wieder auf. Oft hatte Fingon im Regen gesessen. Er liebte Regen, vor allem im Moment. Er wusch seinen Geruch aus der Luft, die Vögel würden es nun nicht mehr so leicht haben, ihm zu folgen. Vorsichtig kroch er tiefer ins Gebüsch. Vielleicht würde er durch den nahegelegenen Wald einen Fluchtweg finden. Im Wald konnten die Biester nicht fliegen und die Soldaten kamen wegen ihrer Ausrüstung im Unterholz nicht so schnell voran. Doch wenn ein Magier unter ihnen war, würde es für Fingon schwieriger werden. Doch Magier hatte er auch schon vorher überlisten können. Meistens mit ganz simplen Fallen, mit denen sie nicht rechneten. Eine Grube, bedeckt mit Blättern zum Beispiel. Oder eine Seilschlinge, in die sie hineintraten und plötzlich kopfüber zehn Meter hoch in einem Baum hingen. Das alles waren zwar keine richtigen Fallen für einen Magier, es hielt sie aber eine Weile auf. Und es schien Fingon, als würde die Natur ihm helfen wollen. Das Unterholz wuchs mannshoch unter den Föhren. Ideal für ihn, um sich einen Fluchtweg zu bahnen und unentdeckt weiter in die Berge zu entkommen. Er floh nicht gern, doch im Moment wuchs das Gefühl, dass eine Flucht unbedingt erforderlich war, um sein Leben zu schützen. Leise und aufmerksam, die Sinne in alle Richtungen ausgedehnt, sprintete er geduckt unter den riesigen Farngewächsen hindurch. Das Gestrüpp peitschte ihm ins Gesicht und durchnässte ihn bis auf die Knochen, zu allem Überfluss konnte er noch nicht einmal mehr sehen, wo er hinlief. Eine dicke, graue und suppige Nebelwand verdeckte plötzlich seinen weiteren Weg. Er blieb davor stehen, wandte seinen Blick nach rechts und war erstaunt. Wie mit einem Messer abgeschnitten. Verunsichert durch dieses unnatürliche Verhalten wagte Fingon es nicht, einen Schritt nach vorn zu machen. Was würde geschehen? Tat sich ein Abgrund auf oder stieße er auf eine unbezwingbare Felswand? Vielleicht war es aber auch einfach nur ein Wald, wie bisher auch. Er nahm seinen gesamten Mut zusammen und griff mi einer Hand in den Nebel. Die Härchen auf seinem Arm sich ruckartig auf, seine Nackenhaare sträubten sich. So etwas Merkwürdiges hatte er noch nie vorher gesehen. Fast … magisch. Da durchfuhr es ihn schlagartig und er sprang einen gewaltigen Schritt zurück. Seine linke Hand, komplett nass und taub hing leblos an seinem Arm. Hier war natürlich Magie am Werk, doch die Erkenntnis kam zu spät. Nebel würde sich niemals freiwillig so anordnen. Sowieso beugte sich die Natur nur einem sehr mächtigen Magier. Fingon musste dringend die Flucht ergreifen. Aber der Nebel war eine undurchdringbare Grenze. Unschlüssig blickte er nach links und rechts. Westen oder Osten? Im Osten kam er schneller ans Meer als im Westen, vielleicht war das seine Rettung, vielleicht wehte der Wind den Nebel von dannen. Fingon blickte an sich herab und zu seiner Hand. Den Arm konnte er bewegen, die Hand war vollkommen taub, fast wie abgestorben. „Zum Glück nur links…“, murmelte er leise, wandte sich nach Osten und lief, ohne zurückzublicken. Zwei Wochen lief er. Fast ohne zu schlafen, ohne zu essen. Die Taubheit war nicht vergangen, sie wanderte eher seinen Arm hoch und war schon beim Ellbogen angekommen. Auch das Meer war nicht in Sicht, obwohl es schon längst hätte am Horizont erscheinen müssen. Fingon hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen. Die Berge zu seiner Rechten wurden und wurden nicht kleiner und egal wie hoch er kletterte, die Nebelwand „wanderte“ neben ihm her. AKs er auf einer Hügelkuppe ankam, sah er vor sich eine weite grüne Ebene, die er kannte. Am Horizont war Habad Rast zu sehen. Ohne es zu wollen war er vollkommen kopflos umhergeirrt und an dem Punkt wieder angekommen, zu dem er gar nicht mehr wollte. Und noch bevor er weitergehen konnte, packte ihn eine Hand an der Schulter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)