Wings 2 von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 14: Was bist du wirklich? --------------------------------- Manche würden sagen, man kann es kaum glauben. Aber Corinne war die Erste. Vielleicht lag es an ihrer geringen Körpergröße oder ihrem eigentümlichen Charakter. Doch ihr erster Seitwärtssalto und die sichere Landung auf einer wackeligen Steinplatte bewiesen es, sie war die Schnelle, die Dolchkämpferin. Ihre schmalen Füße fanden überall halt, ihr kleiner Körper konnte kunstvolle Sprünge vollführen. Wie eine Tänzerin suchte sie mit scheinbar geschultem Auge die Platten aus, die am sichersten schienen. Auch wenn sie scheinbar eine Falsche erwischte, sprang sie einfach weiter und brachte so schneller Meter hinter sich, als außen herum zu laufen. Dennoch gefiel ihr das Geräusch nicht, das um sie herum immer lauter wurde. Die verbliebenen Pfähle ächzten schwer. Auch als Corinne drüben auf dem sicheren Podest angekommen war, wollte das Jammern nicht verschwinden. Geschwind und zugleich grazil ging sie in die Hocke, streckte dabei ein Bein zur Seite aus und begann den Kreis und die Ornamente nach zufahren. Die sensiblen Ohren dieser schnellen Jägerin erhaschten noch so kleine Geräusche. Doch außer dem lauter werdenden Ächzen, kam ihr nichts in die Quere. Schon bald leuchte der Bannkreis gelb auf. Das Licht schoss nach oben, erleuchtete die Decke und bündelte sich schließlich zu einem Kegel, dessen Spitze sich genau über der Mitte des Podests zusammenschloss. Wie Schnee fiel das gelbe Licht in kleinen Punkt hinab und erschuf magisch zwei kleinere Schwerter und das passende Geschirr. Wie hatte sie diese leichten Waffen vermisst? Ohne jeglichen Zweifel griff Corinne nach ihnen und hielt sie sicher in Händen. Das Gewicht kam ihr vertraut vor, nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer. Genau richtig, um viele und schnelle Schläge auszuführen. Mit einem Lächeln drehte sie sich auf den Zehenspitzen um die eigene Achse, führte einen Schlag mit beiden Waffen nach hinten aus und blieb einen Moment in ihrer niedrigen Haltung stehen. Dies war die Stimme gewesen, die sie gerufen hatte. Nun war es still. Außer dem Ächzen, dass zu einem beständigen Geräusch angewachsen war. Geschwind legte die Blondhaarige sich die Lederriemen um, verstaute ihre Waffen in den Haltern und machte sich auf den Rückweg. Ungefähr zeitgleich fuhr Lilli weiter die Zeichen nach und sprang im nächsten Moment schon wieder zur Seite. Nur eine Rolle hatte sie dieses Mal retten können. Ihr schwarzes Haar war zersaust und die Schlange schien einfach nicht müde werden zu wollen. Ihr schwarzer Schuppenpanzer glänzte im Licht der Fackeln. Doch Lilli hatte keine Zeit auch nur einen Moment diese überirdische Schönheit zu bewundern. Sie sprang wie ein fliehender Hase und wünschte sich in letzter Zeit mehr Sport getrieben zu haben. Allein die Angst vor den Schmerzen, dem unerträglichen Tod, waren es, die sie immer wieder dazu brachten, ihre schmerzenden Glieder zum weitermachen zu überreden. Hastig brachte sie sich in Sicherheit, drehte sich halb herum um die Schlange nicht zu lange aus den Augen zu lassen und wollte schließlich zurück springen, wenn da nicht die Wand gewesen wäre, die sie aufhielt. „Verflucht“, drang es ihr hinter zusammen gebissenen Zähnen hervor. Ihre Hände lagen auf dem glatten Gestein, ihr Blick fixierte die Schlange, die ihre Chance witterte. Sie schien zu grinsen und zischelte. Blitzschnell schnellte sie vor. Lilli blieb nur eine Wahl, die Flucht nach vorn. Mit einem Bein stemmte sie sich ab und warf sich an dem Schlangenkopf vorbei. Hinter sich konnte sie es krachen hören, während sie ungeschickt über den Boden rollte, weit entfernt von einem gewollten Purzelbaum. Mit Schwindel rappelte sie sich auf und bemühte sich zurück zu dem Kreis zu gelangen, ehe das Tier, oder was auch immer es war, sich von dem Aufprall erholt hatte. Ihre aufgeschürften Hände strichen über den Boden, vervollständigten die Ansammlung, doch außer einem schwachen, lilanem Glühen, geschah nichts. Das schwarze Monster schüttelte ein paar Mal energisch den Kopf und drehte dann sein Haupt Lilli entgegen. Wütend zischte sie nur noch lauter. Jetzt würde sie ernst machen, schien sie zu sagen. Ihr Körper bewegte sich blitzschnell vorwärts und überbrückte die wenigen Meter zwischen ihnen. Doch die Hexe hatte etwas anderes im Blick. Auch sie rannte vor. Das Tier schien nur einen Moment beeindruckt von ihrem Wagemut, beschleunigte aber nur noch mehr. Mit einem Hechtsprung in aller letzter Sekunde, und mit viel Glück, wie sie sich eingestehen musste, brachte sich die junge Frau wieder für einige Sekunden außer Gefahr und rannte wieder zurück zu der Wand, an der etwas kleines lag. Weiß, lang, spitz und getränkt mit einem tödlichen Gift. Hastig griff sie nach dem dickeren Ende und schwang sich mit ihrer neuen Waffe, die sie weit von ihrem Körper entfernt hielt herum. Dann war es still. Lilli befand sich Auge in Auge mit der monströsen Kreatur. Ihre gelben Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen zu schmalen Schlitzen verengt. Erst nach schier endlosen Sekunden brach der Leib zusammen und begrub Lilli unter sich. Ächzend und stöhnend befreite sich die Schwarzhaarige von ihrer Last und verharrte sitzend neben dem schwarzen Haufen, der sich keinen Zentimeter mehr rührte. In ihrer Hand hielt sie noch immer den abgebrochenen Zahn fest umklammert. Das würde ihr niemand glauben. Völlig fertig sah sie zu dem schwachen Licht hinüber, welches von dem Bannkreis ausging und befahl ihren zitternden Beinen wieder aufzustehen. Ihr Hals schmerzte und verlangte nach etwas Wasser, doch die Stimme, wusste, was zu tun war. Kaum hatte sie den ersten Fuß in den äußeren Kreis gesetzt erstrahlte das Licht in all seine Herrlichkeit, sodass alles um sie herum düster erschien. Lillis müder Arm streckte sich nach vorn und hielt den Zahn mit der Spitze nach unten über der Mitte des Ornaments. Ein einzelner Tropfen verließ zögerlich den Schaft, viel zu Boden. Doch die Schwerkraft schien, umso näher das Gift dem Boden kam, immer schwächer zu werden. In der Luft hielt er inne, bis sich darum ein kleines Fläschchen gebildet hatte. Auch hinter der Frau tat sich etwas. Die Schlange schmolz dahin. Ihr Körper löste sich zu Gliedern auf und wurde immer kleiner. Solange, bis nur noch ein Gürtel mit weiteren kleinen Fläschchen daran übrig blieb. Das helle Licht, verlor an Stärke und das Gefäß vor Lilli, wäre beinahe zu Boden gestürzt, hätte sie nicht schnell vorgegriffen. Kritisch musterte sie den Inhalt durch das durchsichtige Glas und bemerkte erst jetzt, dass der Zahn in ihrer Hand verschwunden war. „Das war ja so klar...“ Langsam senkte sie die Hand. „Konnte ich nicht Magie abkriegen?“ Die Hexe schien doch herbe enttäuscht. Evelyn hingegen hatte ganz andere Sorgen. Immer schneller fielen ganze Gesteinsbrocken hinab. Sogar das Dach, welches äußerlich nach Stroh ausgesehen hatte, schien nicht aus weichem Material zu bestehen. Sie war noch nicht einmal bei der Hälfte des Kreises angekommen. Dennoch sah sie nach oben. Die junge Frau wollte sehen, warum es sie hier fast erschlug. Doch was sie sah, war nicht mehr die innere Seite eines Hauses. Die hohe Decke wirkte wie aus einem Ballsaal, den sie aus alten Filmen kannte. Mit einem Aufschrei sprang sie zur Seite. Ein Brocken, genauso groß wie ihr Kopf schlug neben wir auf dem Boden auf und zerteilte sich in viele kleine Stücke. Wieder sah sie nach oben, versuchte abzuschätzen, wie lange es noch dauern würde, bis das gesamte Mauerwerk über ihr einstürzte. Doch als der nächste Brocken herunter kam und sie schmerzhaft am Arm streifte, kam sie schnell zu dem Entschluss, nur noch nach vorne zu blicken. Auch wenn das nach unten sein musste. Während sie die Zeichen nach fuhr, schlug immer wieder etwas auf ihren Körper. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher, doch außer den Schreien, die ihre Kehle immer öfter verließen, zeugte nichts von ihrer Panik. Evelyn biss die Zähne so fest sie konnte aufeinander, versuchte nur an ihre Aufgabe zu denken. Sie waren soweit gekommen. Das alles hatte einen Sinn. Sie durfte nicht diejenige sein, die sie zum Scheitern verurteilte. Und verdammt nochmal, diesen Arsch von Freund würde sie etwas erzählen, wenn er das nächste mal anrief! Dann war es geschafft. Die blaue Lichtquelle spaltete sich in vier Säulen, die Evelyn umschlossen. Da trotzdem immer noch die Decke herab fiel, streckte die junge Frau, deren Körper von Wunden, blauen Flecken und Blut gezeichnet war, die Hand in eine Säule. Etwas rief sie. Das Licht fühlte sich kühl auf ihrer Haut an und trotzdem irgendwie warm und weich. Ihre Fingerspitzen ertasteten etwas hartes schmales. Sachte schloss sich ihre Hand um den langen Schaft und zog den Speer aus dem Licht. Die Stimme war verschwunden, genauso wie das Licht, dass in einer Explosion auseinander gestoben und nun verblasst war. Die Erschütterung reichte aus, um dem Gebäude endgültig den Rest zu geben. Ein schwerer Stein traf Evelyn an der linken Schulter, brachte sie zum Taumeln. Sie musste hier raus, und das schnell. Ihr Haar flog durch die Luft, als sie sich hektisch umsah, um nach einem Ausweg zu suchen. Die Tür, durch die sie gekommen war, war völlig verschwunden. Die Trümmer, viel zu viel für ein einzelnes Dach, versperrten ihren Weg. Hart traf sie das nächste Geschoss von oben. Sterne tanzten vor ihren Augen. Ihr wurde schlecht und wollte sich am liebsten an Ort und stelle hinlegen. Plötzlich sah sie es. Das Loch in der Wand. Durch die Explosion waren rissige Teile hinaus geschleudert worden. Wenn sie es dort hindurch schaffte, dann war sie gerettet. Unwillig setzten sich ihre Beine in Bewegung. Sie schluckte schwer das hinunter, was ihre Kehle hinauf kriechen wollte. Der letzte Schlag war wirklich zu viel gewesen. Ihr Schädel schmerzte und ihre Gedanken gingen schwer. Trotzdem rannte sie, auch wenn es ihr so vorkam, als hätte man sie auf Zeitlupe gestellt. Das Loch kam nur langsam näher und das Haus um sie herum war bereit in seine letzten Einzelteile zu zerfallen. Evelyn wusste nicht, wie ihre Füße auf dem Geröll und Schutt halt fanden, aber irgendwie taten sie es. Solange, bis ein Stein nicht so wollte wie sie. Ihr Fuß rutschte zur Seite. Mit der letzten Haltmöglichkeit sprang sie vor, den Speer dicht an ihrer Seite. Das dumme war nur, dass es keine weitere Möglichkeit gab, den Sprung zu verlängern. Nach Luft schnappend öffnete Yara die Augen. War sie wirklich gerade dort gewesen? Hatte sie die Wirklichkeit gesehen? Das, was gerade geschah? Oder geschehen war? Wenn es Ersteres war, dann musste sie Evelyn warnen. Sie balancierte das Buch auf einen Arm und zog mit der freien Hand ihr Handy aus der Hosentasche, um die Kurzwahltaste der Nummer für ihre Freundin zu wählen. Noch vor dem ersten Klingeln hatte sie das Telefon an ihrem Ohr. Während ihre Augen etwas sahen, was sie völlig vergessen hatte, sprach eine Stimme das aus, an das sie ständig dachte. „...nicht zu erreichen. Bitte versuchen...“ Yaras Hand sank herab. Dort am Ufer kam gerade etwas aus dem Wasser. Über und über voll mit Meeresalgen schälte Tian sich in seiner vollen Körpergröße heraus. Sein Oberkörper war frei und die kurze Hose klebte an seinem Körper. Genau wie sein dunkles Haar. Doch seine Augen schienen zu brennen. Sogar auf dieser Entfernung konnte sie seinen Blick erkennen, in dem nicht mehr die Zuneigung und die Magie lag, die ihre Knie hatten schwach werden lassen. Die junge Frau wollte schlucken, doch keine Feuchtigkeit befand sich in ihrem Mund. Viel schlimmer noch, ihre Zunge fühlte sich an wie eine pelzige Raupe. Ihr Atem ging wie ein Uhrwerk, das mit einem Hindernis zu kämpfen hatte. Trotzdem ging sie aus der kleinen Hütte heraus. „Ich weiß, weswegen du hier bist...“ rief sie ihm schon von Weitem zu und versuchte so selbstsicher wie möglich zu klingen. „... aber du wirst es nicht bekommen!“ Einen Moment war er still. Nur die Wellen des Meeres rauschten besänftigend im Hintergrund. „Das klingt ganz nach einem Filmklassiker“, verspottete Tian sie. Er klang viel sicherer als sie. Yara hatte nur einen Moment, um zu überlegen, was sie darauf antworten konnte. Aber was hatte sie einmal gelesen? Derjenige, der die Frage stellt und den anderen zum antworten zwingt, ist der Überlegene? „Gewiss. Für dich ist das hier nichts weiter als eine Endlosschleife. Irgendjemand hat vergessen das „Repeat“ auszustellen. Ist es nicht so, Geflügelter?“ Überrascht weitete Tian die Augen. Jedoch war dies nur ein kurzer Moment, der einem Grinsen mit Boshaftigkeit schnell weichen musste. Blitzschnell schossen zu seinen Seiten schwarze Flügel in das Blickfeld der jungen Frau. Wings war kein Märchen gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)