Wings 2 von Tyra-Leonar ================================================================================ Kapitel 5: Die Legende ---------------------- Während die Welt so vor sich hin lebte, war für mich die Zeit stehen geblieben. Welcher Tag war heute? Meine Gedanken quälten sich im Schneckentempo vorwärts, während ich weiterhin aus dem Fenster und hinab auf die Straße sah. Ich konnte keine Zeitspanne definieren, denn ich wollte mich nicht erinnern. Wann auch immer es war, es fühlte sich nach Jahrzehnten an. Alles war unnatürlich in die Länge gezogen und detailgenau. Warum quälte die Welt mich nur so? Langsam hob ich meine Hände und legte sie mir vor mein Gesicht. Wann hatte die Welt angefangen nur noch aus grau zu bestehen? Insgeheim wünschte ich mir, doch aus dieser einen Fernsehserie zu sein. Ich würde eine Woche weinen, ihm hier und da wieder begegnen, bis auch mein Happy End auf mich zutreffen würde. Mit der Nase tief Luft holend, nahm ich die Hände herunter. Ich hatte nicht geweint, keine einzige Träne. Ich hatte es versucht. Aber da war nichts, ich fühlte gar nichts. Da war nur diese maßlose Enttäuschung, die mein komplettes Wesen in Anspruch nahm. Es riss mich jäh aus den Gedanken als es an der Tür klingelte. Lustlos drückte ich einfach den Knopf für den Türöffner. Egal wer da war, sei es eine meiner Freundinnen oder ein Mörder, es würde ja doch nichts ändern. Obwohl, Letzterer könnte meine Qualen beenden. Ich schüttelte den Kopf. „Reiß dich zusammen, Yara!“ schallt ich mich laut selbst. Schnell ging ich zur Tür und dann zur Treppe um über das Geländer zu spähen. Ich hörte nur Schritte, es waren ziemlich viele. Dann endlich sah ich sie. Kurze Zeit später waren alle drei schnaufend oben angekommen. „Yara…“ japste Evelyn „… du brauchst einen Fahrstuhl.“ Ich gab dieses monotone Lächeln zur Antwort. Mir war nicht nach Lächeln zumute, aber was sollte ich machen? Immerhin waren sie mittlerweile regelmäßig hier herauf gekommen nur um zu sehen, ob ich noch lebte. Zur Uni ging ich nicht, nicht mehr zumindest. Vielleicht würde ich mich so wieder fangen. „Aber so langsam müsstest du doch in Form kommen!“ lachte Corinne und verschwand leichtfüßig in meiner Wohnung. „Ihr müsst nicht ständig hierher kommen. Mir geht es gut, wirklich!“ „Natürlich, Yara.“ Lilli zuckte mit den Schultern und folgte Evelyn und Corinne. Niedergeschlagen war mir das Lächeln wieder aus dem Gesicht gefallen, während ich den Dreien dabei zusah, wie sie erst nur in meine Wohnung gingen und schließlich, als auch ich wieder drinnen war, anfingen, die Wohnung unter die Lupe zu nehmen. „Was erhofft ihr euch eigentlich hier vorzufinden?“ Als ich genauer hinsah, fand ich heraus, dass sie nicht suchten, sie räumten auf! „Ähm…“ schnell trat ich zu Lilli und wollte ihr das Kissen aus der Hand nehmen. „Ihr braucht das nicht zu machen, ich kann das alleine!“ sagte ich mit Nachdruck, da sie das blöde Sofading schnell aus meiner Reichweite brachte. „Lilli!“ schimpfte ich, doch sofort lenkte mich Corinne ab, die Sachen durch die Gegend trug. „Corinne!“ ich rannte ihr hinterher, doch es hatte keinen Sinn. Suchend sah ich mich im Raum um. „Und wo steckst du, Evelyn?“ fragte ich resignierend. „Im Schlafzimmer“ trällerte sie vergnügt als Antwort zurück. „Ich hasse euch!“ „Wir haben dich auch lieb, Yara.“ Corinne klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter. Zehn Minuten und drei Freundinnen später, die sich übrigens in einen rückwärts drehenden Tornado verwandelt hatten, das ist so ein Ding, welches alles wieder hübsch aufbaut, war die Wohnung beinahe wie geleckt. „Muss ich zwangsräumen, oder kommen gleich Fernsehteams herein?“ Beleidigt setzte ich mich auf das Sofa und rückte so die Kissen wieder etwas unordentlich. Jetzt sah es zumindest hier wieder nach mir aus. Während Corinne, Evelyn und Lilli sich um mich herum setzten, kam ich mir noch mehr wie ein kleines Kind vor. Ich lies den Blick durch den Raum schweifen. Was war in mich gefahren, dass ich tagelang hier allein sein wollte? Tian war weg, Trauer brachte ihn auch nicht zurück. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass wir sogar beim „HonkyTonk“ gewesen waren? Nichts, gar niemand erinnerte sich an ihn. Es war so, als ob nur ich und meine Freundinnen ihn jemals gesehen hätten und er unserer Phantasie entsprungen sei. Tian war wie vom Erdboden verschluckt und nur in Erinnerungen existent. „Yara…“ Evelyns sanfte Stimme holte mich in die Gegenwart zurück „… du musst aufhören, um deiner selbst willen. T…. Der Idiot ist weg.“ Wir hatten uns darauf geeinigt nie wieder seinen Namen zu verwenden, wenn er denn schon nicht „existierte“. Es war aber wohl auch der Liebeskummer, der mich dazu trieb, genau dies zu glauben. Mein Blick schweifte von einer Person zur anderen und dann wieder durch den Raum. Evelyn warf hilfesuchende Blicke um sich, doch niemand sagte etwas, bis ich es tat. „Den wievielten haben wir heute?“ Wie sich herausstellte, hatte sich die Welt ohne mich, so gut wie gar nicht weiter bewegt. Ich hätte gedacht, dass es mir wie Jahre hätte vorkommen müssen. Aber es war doch alles so ziemlich beim alten. Geschichte, ein Horror. Lillis Verehrer, immer noch am Leben. Corinne, naja, ein Date letztes Wochenende, weil sie auf andere Gedanken kommen wollte, sagt sie. Und Evelyn… die unveränderte Leier. „Ich freue mich, dass Sie uns auch wieder mit Ihrer Anwesenheit beglücken, Yasmn!“ Ich freue mich auch hier zu sein. Sie sind der netteste Lehrer, den ich je kennen gelernt habe und mein neuer Name passt wirklich besser zu mir. Das hätte ich gerne so laut und ironisch wie möglich gesagt. Aber ich bewegte nicht mal den Kopf. Wäre ich doch bloß zu Hause geblieben und hätte mich weiterhin in Selbstmitleid ertränkt! „Da sie ja nun genügend Zeit hatten, sich zu erholen, können Sie mir auch sicherlich bis nächste Woche eine Zusammenfassung unserer letzten….“ Bitte was? Noch bevor er zu Ende geredet hatte, stellte mein Gehirn schon auf taub. Tut Tut Tut, kein Anschluss unter dieser Nummer. Als ich wieder erwachte, fand ich mich im Krankenzimmer wieder. Die Leuchtröhren waren unangenehm hell und taten in den Augen weh. Ich sah zur Seite. Corinne stand besorgt da und drückte meine Hand fester, die sie wohl schon eine ganze Weile mit ihren beiden Händen fest umschlossen hielt. „Yara! Alles in Ordnung?“ Ihre panische Stimme überschlug sich fast. „Ich sagte doch bereits, sie hatte nur einen Schwächeanfall!“ schimpfte die Krankenschwester. Zu ihrer Bestätigung meldete sich auch mein Magen. „Oh Gott, Yara!“ Irrte ich mich, oder war Corinne den Tränen nahe? Ihr kleiner Körper versuchte mich so gut es ging zu umspannen, während sie mich halb erdrückte. „Corinne, ich lebe ja noch.“ Versuchte ich sie zu besänftigen, doch sie hörte nicht auf mich und jammerte immer weiter. Und das solange, bis ich sie von mir weg schob. Sie heulte wirklich. Vom Krankenzimmer ging es direkt in die Mensa, wo mich Corinne sofort zu einem Stuhl in der Nähe bugsierte und mich anwies, mich nicht zu rühren. Als sie wieder kam, hatte sie ein Tablett in der Hand, welches gefährlich mit ihr schwankte. Mit einem „Rumps“ landete das Stück Plastik auf dem Tisch. „Essen!“ befahl sie und setzte sich mir gegenüber, damit sie mich auch genau im Blick behalten konnte. Nach einiger Zeit kamen auch die andere Beiden hinzu. Die Diagnose war schnell gefunden, aufgrund von Liebeskummer hatte ich meine Bedürfnisse vergessen. Ich machte meinem Namen als Volldepp wirklich alle Ehre. „Ich soll dir das hier von einem Studenten geben.“ Sie hielt mir einen Zettel hin, den ich sofort auseinander faltete. Ich erkannte Herrn Won´s krakelige Schrift und entzifferte, was da stehen könnte. Nach zehn Minuten musste ich doch darum bitten, dass man mir half. „Das ist ein Tintenfisch!“ „Sei nicht albern, Corinne. Das ist ein Haus!“ „Mädels! Ernst bleiben.“ Sagte ich, dabei lachte ich als Einzigste und hatte schon Tränen in den Augen. Wenn ich mir mal einen Kommentar erlauben darf, das ist unfair! Das schreit doch vor Ungerechtigkeit! Nun sitze ich in der Bibliothek, weil meine Strafarbeit sich nicht auf die letzten Unterrichtsbesprechungen und einen Weltkrieg beziehen, sondern auf ein absolut…. ARGH! „Die Yasminblüten, verehrt durch ihre stille Schönheit, setzten sich…“ „Ja, ist gut. Das steht hier auch!“ Meine neue Strafarbeit handelte über Japan, soviel wussten wir bisher. Um was es genau ging, allerdings nicht. „Wie willst du jemals herausfinden, was er wissen will?“ Überlegend sah ich an den Buchreihen entlang. „Ich kann einfach die komplette Geschichte Japans aufschreiben. Irgendwo wird es schon drin sein.“ Evelyn hatte sich mit Corinne abgewechselt und übernahm nun die Wache über das Kind in unseren Reihen, mich! So Langsam streite ich das auch ehrlich gesagt gar nicht mehr ab. Alles an mir scheint Hilfe zu benötigen. Da wäre zum einen, dass man mich füttern muss. Das man aufpassen muss, dass ich mir keine imaginären Leute vorstelle. Das ich in Mülltonnen lande…. Eine nicht gerade kurze Liste, auf Details will ich gar nicht erst näher eingehen. Wenigstens hatte ich so keine Zeit, mich mit Liebeskummer zu beschäftigen. Wir wussten nicht, warum Herr Won sich noch eine schlimmere Strafe hatte einfallen lassen. Nach 4 Stunden Bibliotheksaufenthalt wusste ich nicht mal mehr, wo mein Hirn war. Während ich fieberhaft danach suchte, was mein Dozent denn gerne neu zu Papier gebracht haben möchte, sah und las ich so viele Abschnitte, dass mir der Kopf rauchte. Auf dem Weg durch die Geschichte, blieben meine wabbeligen Augen plötzlich hängen. Durch die Dunkelheit konnte ich die Wörter schon fast gar nicht mehr lesen. Ich sah mich um. Um kurz vor Acht, waren ungefähr noch eine handvoll Studenten an den Tischen. Ich sammelte meinen Kram zusammen, wechselte eiligst den Platz und las weiter. Jetzt hätte ich gern Evelyn oder Lilli dagehabt, die ich vorhin Beide genervt weggeschickt hatte. Meine Augen jagten den Wörtern förmlich hinterher. Während ich weiter las, packte ich meine Sachen zusammen und in meine Tasche. Dann nahm ich das Buch, ging zu einem PC und tippte mehrere Dinge in die Suche ein. „Japanisch“, „Legende“ und „Geschichte“. Das waren Wörter, die ich zuvor versucht hatte. Aber nun waren es konkrete Begriffe, mit denen ich arbeiten konnte. Eiligst schrieb ich die Kürzel auf ein kleines Stück Papier und rannte zu den Buchreihen. Ich hatte noch genau 10 Minuten in denen ich alle Bücher finden musste. Ich war so in meine Arbeit vertieft, dass mir überhaupt nicht bewusst war, dass ich alle Bücher gar nicht gleichzeitig lesen konnte. Während ich meine Liste systematisch weiter abarbeitete, stieß ich irgendwann auf das Buch, welches ich als nicht ganz passend befunden hatte. Mittlerweile war es auch schon zwei Minuten vor Acht und die letzte Lautsprecheransage schon 8 Minuten her. Hastig griff ich trotzdem zu dem Buch, rannte zum Ausgang und handelte mir, als ich den Stapel von Büchern auf die Theke balancierte, einen bitter bösen Blick ein, weil jetzt jemand 10 Minuten Überstunden machen musste. Tja, im Leben geht nun mal nicht alles wie geplant. Ein paar Tage später, hatte ich alle Bücher durch, bis auf eines natürlich. Meine Ausbeute war immens. Ich wusste zwar nicht, ob Herr Won sich darüber freuen würde, doch mir machte es so viel Spaß die Legende Stück für Stück zusammen zusetzten, dass ich gar nicht anders konnte, als sie zu meiner Strafarbeit zu machen. Eine alte japanische Sage besagt, dass es einmal eine Art „Königshaus“ gegeben hatte, welches an die Wiedergeburt glaubte. An und für sich nicht gerade spannend. Aber wie jede Sage hat sie doch etwas Märchenhaftes an sich. So erfuhr ich, dass es damals eine Familie gab, die im Rang nicht weit unter dem Kaiser gestanden hatten. 5 Krieger, allesamt durch Sternendeutung auserwählt, beschützten die Priesterin bzw. den Priester des Hauses. Sie wurden „der Stern“ genannt, da man sie als die symbolischen fünf Ecken eines Sternes sah. Es war Tradition, dass von Generation zu Generation eine Person ausgebildet wurde um auf die drohende Katastrophe vorbereitet zu sein. Viele Priesterinnen und Priester schieden dahin, ohne, dass auch nur etwas Nennenswertes geschah. Dennoch glaubte die Familie an ihre Bestimmung. Außerdem wurden ihnen heilerische Fähigkeiten nachgesagt, die manchmal auf Zauberei beruht haben sollen. Jedenfalls geschah plötzlich die vorhergesagte Katastrophe. Ganz Japan sollte untergehen. Doch die Priesterin griff, unterstützt von ihren 5 Leibwächtern, im rechten Moment ein, um die Katastrophe abzuwenden. Das Böse sei daraufhin geflohen. Leider fand ich nicht heraus, wie die Priesterin gekämpft hatte, die Geschichten gingen an dem Punkt ziemlich stark auseinander. Es war eine irrsinnige Arbeit gewesen, alle „Tatsachen“ zu lesen und diejenigen heraus zufiltern, die möglicherweise falsch sein könnten. Während meiner Recherche, die ich nachmittags bis abends in der Bibliothek und nachts zu Hause durchführte, erfuhr ich, dass es vielleicht auch um einen Tempel ging, der das Böse heraufbeschworen haben soll. In diesen heiligen Hallen soll es ein Buch gegeben haben, welches das Böse in einem Mann geweckt haben soll, als er es las. Während ich immer weiter auf Informationen stieß, musste ich irgendwann zugeben, dass unsere Hochschulbibliothek wohl nicht ausreichen würde um meine Suche zu verfeinern. Ich fuhr am Wochenende in die Hauptstadt zur Zentralbibliothek des Landes. Dort fand ich nach stundenlangem Suchen ein älteres Buch, dessen Seiten von einer alten Pergamentrolle kopiert worden waren. Leider waren es ausschließlich japanische Schriftzeichen. Aber wer konnte mich schon aufhalten? Ich würde schon jemanden finden, der sie mir übersetzen konnte. Leider erfuhr ich erst beim ausleihen, dass ich dieses Buch nicht mitnehmen könnte. „Aber warum denn nicht?“ „Mädchen, für wen machen wir eigentlich die ganze Arbeit? Da ist ein roter Punkt drauf, das bedeutet ‚Aus-leih-en ver-bo-ten’!“ Während der Bibliothekar mir dies erklärte und dabei die Arme vor dem Körper kreuzte, erinnerte er mich stark an Herrn Won. Geknickt ging ich erst einmal zurück. Warum zurück? Weil der nette Herr mir sagte, dass ich das Buch auch gefälligst dahin bringen soll, wo ich es her habe. Die Tatsache, dass es hier Angestellte gab, die die Bücher auch wieder einsortieren, überspielte er einfach. Noch bevor ich bei der staubigen Buchreihe im vierten Stock ankam, hatte sich eine Idee in meinem Kopf geformt. Ich sah mich um. Es war niemand zu sehen. Kameras? Mein Kopf wanderte nach oben. Ja, es gab ein paar. Aufgefallen war ich jetzt also auch schon. Ich lief weiter, als sei nichts gewesen, während ich mir hektisch überlegte, wie ich es anstellen sollte. Just in dem Moment gab es eine Lautsprecherdurchsage. Da fiel mir doch wirklich etwas ein, was ich im Internet gelesen hatte. Sofort warf ich mich auf den Boden und nahm die Fötushaltung ein. „Ah! Diese Stimmen! Diese Stimmen!“ rief ich. Ich hatte bereits den Aufkleber mit dem Chipsender vom Buch herab gerissen, der als zusätzliche Sicherheit bei den Meldern an der Tür Alarm schlagen sollte, wenn man ein Buch eingesteckt hatte. Man war ich gut. Schnell hatte ich das Buch unter ein Regal geschoben, während ich mit dem Rücken zur Kamera lag und so meine Tat verdeckt hatte. Ich war verdammt gut. Gerade als ich meinen Arm zurück zog, kam jemand um die Ecke und trat mir auf die Hand. „Au!“ „Oh, Verzeihung!“ Die Bibliothekarin sprang zurück. „Was ist mit ihnen? Geht es ihnen nicht gut?“ „Äh, nein…“ jammerte ich „Da war diese Stimme!“ Der Blick, den mir die Frau zuwarf, war mehr als fragwürdig. Entweder wollte sie lachen, oder mit den Augen rollen und sagen, dass ich verrückt sei. Sie konnte sich nicht so richtig entscheiden und stand aus der Hocke auf. „Ich brauche frische Luft!“ japste ich und setzte meinen besten Dackelblick auf, den ich überhaupt hinkriegen konnte. Unwillig half mir die Frau auf und bemerkte nicht, wie ich das Buch unter dem Regal hindurch stieß. Sie brachte mich zum Fenster und wollte wieder gehen, als ich protestierend meinte, dass sie mich bloß nicht mit dieser Stimme allein lassen solle. Ängstlich tätschelte die Frau mir den Rücken und sah sich nach Hilfe um, doch da war niemand. In großen Bibliotheken geht es wie bei einem gut bekannten Elektronikmarkt zu, die Angestellten haben einen Sensor für hilfesuchende Menschen. Dann laufen sie schnell in die andere Richtung. Ganze zehn weitere Minuten gab ich mein schauspielerisches Können preis, ehe ich mich von dem geöffneten Fenster abwandte und die Frau anlächelte. „Vielen Dank! Es tut mir Leid, aber ich habe eine kleines Problem mit Lautsprecherdurchsagen.“ Schnell winkte die Bibliothekarin ab, meinte, dass es nicht weiter schlimm gewesen sei, auch wenn ihr Blick etwas ganz anderes sagte und dackelte eilig davon. Aber natürlich nicht, ohne mein Buch zu bemerken, welches unter dem Regal in der nächsten Reihe hervorlugte und von der Kamera aus nicht zu sehen war. Sie hob es auf, drehte es in der Hand herum. Da hatte doch wirklich jemand den Aufkleber abgerissen. Ärgerlich lief sie hinab ins Erdgeschoss wo sich die Aufzüge für die Buchkisten befinden. Ich eilte ihr hinterher und versuchte so unauffällig wie möglich zu sein. Da drehte sie einfach in eine andere Richtung ab. Verdammt nein, nicht selber die Treppe runter laufen! Ich hastete ihr hinterher. Denk nach, Yara, denk nach!!! Ich folgte ihr weiterhin. Als wir im ersten Untergeschoss ankamen, war ich mir schon sicher, dass meine Idee in die Hose gehen würde. Was ich aber nicht wusste war, dass auch bei der Toilette versteckte Warnmelder angebracht worden waren. Während ich ihr also immer noch folgte und mich an den Kleinkindern vorbeidrängelte, die im Untergeschoss ihre Abteilung hatten, kam die Frau an einer Toilette vorbei, die sofort, aufgrund des Chipsenders unter ihrem Schuh Alarm schlug. Sie hielt an. Die Kinder, angelockt von dem Krach rannten teilweise zu ihr und fragten in ihrem kindlichen Denken, ob denn jetzt die Feuerwehr kommen würde. Gereizt, wie die Frau schon von mir war, herrschte sie eines der Kinder an, das sofort anfing zu plärren. Schnell griff sie in eine ihrer Taschen und holte ein kleines Telefon hervor. Wütend legte sie das Buch auf eines der kleinen Tischchen, die die Tür zur Toilette flankierten und benutzte dann ihr Telefon, in das sie eher hinein brüllte, als redete. Sie drehte sich herum, weil sie durch den ganzen Krach kein Wort verstand und anscheinend auch nicht verstanden wurde. Dem Ganzen noch eins drauf setzend nahm ein Kind das Buch und wollte es zu seiner Mutter tragen. Die Kleine kam direkt auf mich zu. Ohne groß zu überlegen schnappte ich mir das Buch und lief zurück zu den Treppen. Verdutzt sah das Kind mir erst nur verdutzt hinterher, dann schrie auch sie wie am Spieß. Oben angekommen war das Buch bereits in meiner Tasche verschwunden, als ich mich zwischen einer großen Masse von Kindern hindurch geschlängelt hatte. Den Göttern sei dank, dass heue eine Kinderanimation in der Bücherei stattfand. Ansonsten hätte mein Plan niemals funktioniert. Ungestört verließ ich das Gebäude durch eine der Drehtüren. Am nächsten Tag und zurück in der Uni. „Und das hast du wirklich gemacht?“ Corinne war hellauf begeistert. Den ganzen Tag über hatte ich jetzt schon von gestern erzählt. Zwischen zwei Lesungen, hatten wir uns alle zufällig auf der Toilette getroffen. Gerade war ich mit meiner Geschichte fertig geworden. Ich war selbst noch baff, wie das alles geklappt hatte. „Wetten die finden es doch heraus? Dann suchen die dich!“ lachte Corinne, als sie aus der Toilette kam. „Vielleicht kommt ihr mich dann ja im Knast für schwer erziehbare Buchdiebe besuchen.“ „Natürlich!“ stimmte Evelyn sofort zu „Das können wir gleich mit Lillis Aufenthalt bei den schwedischen Gardinen verbinden, wenn ihr Mord klappt!“ „Keine Sorge! Ich arbeite daran!“ Lillis düstere Stimme kam von einer weiteren Toilette. Was danach passierte, war der reinste Alptraum! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)