The last path von Sanira ================================================================================ Kapitel 1: ----------- The last path Das Laub knirschte unter seinen Füssen, das tiefe Rot der Blätter war einem vertrocknetem Braun gewichen. Der kalte Wind fuhr in seinen Mantel und mit klammen Fingern zog er ihn enger. Immer weiter vor, endlos erschienen die Reihen aus weißen Steinen. Anonyme Mahnwachen, Totenwächtern gleich, Respekt fordernd. Er war den Weg schon unzählige Male gegangen und jedes Mal war er schwerer geworden. Als würde das Gewicht auf seinen Schultern ihn immer mehr zu Boden drücken. Seine Schuld versagt zu haben. Die Entfernung schmolz dahin, seine Beine trugen ihn wie automatisch, ohne einen Befehl zu bekommen. Als wäre dieser Weg der einzige den sie noch gehen konnten, der einzige für den sie noch genügend Kraft aufbringen konnten. Und plötzlich war er da, als hätte die Zeit einen Sprung gemacht und er blieb stehen. Erneut zog der Wind an seiner Kleidung, versuchte ihn zum Umkehren zu bewegen. Doch er ließ sich nicht beirren, blieb standhaft, starrte mit gesenktem Kopf auf den weißen Stein vor sich. Wie jedes Mal zog sich sein Magen zusammen, ließ einen grausamen, kalten Klumpen zurück, als er die Inschrift las. Wieder und wieder. Als würde sein Gehirn immer aufs Neue Zeit brauchen, um zu realisieren was dort oben stand. Sein Hals schnürte sich zu, erschwerte ihm das Atmen, er öffnete den Mund um nicht zu ersticken. Wie lange war es inzwischen her? Vermutlich unzählige Tage. Er hatte aufgehört zu zählen. Jeden Moment in der Gewissheit versagt zu haben. Er hatte sein Versprechen gebrochen, den Menschen zu schützen der ihm am Wichtigsten war. Er hatte versprochen einen Weg zu finden, eine Lösung, um das Unaufhaltsame aufzuhalten. Doch er war gescheitert, hatte seine Niederlage bei der Beerdigung eingestehen müssen. Bis zur letzten Sekunde hatte er gekämpft, hatte nie aufgegeben. Doch am Ende war er hilflos gewesen, konnte nur tatenlos zusehen, wie der Mann vor ihm immer mehr zerfiel und zum Schatten seiner selbst wurde. Unbemerkt hatte er zahllose Tränen vergossen, geschrieen, getobt, die Welt verflucht. Aber nichts hatte seinen Schmerz gelindert und jedes Wort war eines zuviel gewesen. Er hatte sich zurückgezogen, abgeschnitten von allem und jeden. Der letzte Rest seiner Seele war hier mit beerdigt worden und er hatte sich von der Welt abgewandt. Nur um hierher zu kommen, hatte er sich aus seinem Loch gewagt. An den letzten Ort, an dem er ihm noch begegnen konnte. Er streckte seine Hand aus, strich behutsam über den noch glatten Stein. Seine Augen brannten, doch er konnte nicht mehr weinen, hatte bereits zuviel Tränen vergossen. Ausgetrocknet, wie sein Herz, jeglicher Menschlichkeit beraubt. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, glich mehr einer einsamen Fratze. Er war hier um endlich abzuschließen. Heute würde er sich von dem Schmerz befreien, welcher seine Brust eisern umklammert hielt und ihm die Kraft zum Leben raubte. Beinahe zärtlich strichen seine Finger über den weißen Stein und ein Kloß steckte ihm im Hals, erschwerte ihm das Schlucken. Heute würde er Abschied nehmen. Sein Blick verschwamm und noch ehe er es wirklich realisierte, liefen ihm Tränen über die Wangen. Erstaunt hob er die Hand, strich über sein Gesicht. Und er hatte gedacht, dass er keine mehr übrig hätte. Doch es war gut so, denn es würden seine Letzten sein. Seine Hand verschwand in seiner Jackentasche und wenige Sekunden später umklammerten seine Finger eine alte Waffe, zogen sie hinaus. Die Pistole hatte schon viele Kriege überstanden, es war Snakes treue Operator und sie würde ihn hier und heute befreien. Seit der Beerdigung hatte er sie bei sich getragen, geladen, um vorbereitet zu sein und heute wäre es endlich soweit. Er setzte sich auf den Boden, lehnte schwer an dem Grabstein hinter sich und zärtlich strich er über die Waffe. Sein Daumen rieb über den Lauf, als er den Kopf hinten anlehnte und auf die trüben, dunklen Wolken starrte. Als wären sie endlos, liefen weitere Tränen über seine Wangen, verschwanden ungesehen in seinem Kragen. Und als hätte der Himmel Mitleid mit ihm, öffnete er seine Pforten und kalte Tropfen benetzten sein Gesicht, als würden sie ihm Mut zusprechen. Doch den brauchte er gar nicht. Sein gesamter Körper wurde ruhig und die Tränen versiegten. Er hatte abgeschlossen, sein Bewusstsein war leer, kein einziges Wort durchstreifte seine Gedanken. Er hielt die Waffe fester, drehte sie um und öffnete den Mund. Er dachte nicht an die Sauerei, die er verursachen würde, an die vielen unausgesprochenen Fragen, die er hinterlassen würde. Etwas in ihm war schon gestorben, an dem Tag als es passiert war. Hatte den letzten Funken Lebenswillen zerfetzt, in Stücke gerissen und nur sein Äußeres übrig gelassen. Eine leere Hülle, die unfähig zu menschlichen Regungen war. Doch jetzt würde es endlich vorbei sein. Sein Geist war schon gestorben, jetzt fehlte nur noch sein Körper und er konnte endlich frei sein. Frei von dem Schmerz der Einsamkeit, der ihn von innen auffraß. Er hatte ihn hier alleine zurück gelassen und nun würde er ihm folgen.. An dem regnerischen Nachmittag hallte der einsame Schuss noch lange über den unendlichen erscheinenden Militärfriedhof. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)