Yeh Zindagi Hai. von elfogadunk (Neue Chance, neues Leben?) ================================================================================ Kapitel 8: Die Enge des Zuges ----------------------------- Während der halbstündigen Fahrt fiel kein Wort mehr zwischen ihnen. Ihre Situation fühlte sich für beide zu merkwürdig an, als dass sie in der Lage gewesen wären, irgendetwas Sinnvolles zu sagen. Als sie schließlich in Bhopal angekommen waren und sich aus dem Zug gekämpft hatten, atmeten sie erst einmal tief durch und streckten sich, um die unangenehme Enge des Zuges abzuschütteln. „Und wo genau soll es jetzt hingehen?“, wollte Sudhir wissen, nachdem sie den Bahnhof verlassen und sich eine Rikscha genommen hatten. „Zur Bibliothek, zur Universität und zum Marktplatz.“, gab Shruti kurz angebunden zurück. In der Bibliothek gab Shruti einige Bücher zurück und nahm andere, die sie anscheinend vorbestellt hatte, wieder mit. Lange blieben sie dort nicht und machten sich anschließend auch sofort auf den Weg zur Universität. Unterwegs begann allerdings Sudhirs Magen unüberhörbar zu knurren. „Können wir irgendwo essen gehen? Ich hatte heute nur...“, begann er, doch Shruti unterbrach ihn. „Ich habe an der Uni einen Termin. Also gehst du jetzt entweder alleine oder du musst dich noch so lange gedulden bis ich alles erledigt habe.“, zeigte sie ihm teilnahmslos seine zwei Möglichkeiten auf. Obwohl Sudhirs Magen vor Hunger schon beinahe schmerzte, wollte er sich die Gelegenheit, allein mit Shruti essen zu gehen, nicht entgehen lassen und entschied sich dafür, noch zu warten. Während Shruti ihren Termin wahrnahm, wartete Sudhir draußen auf dem Unigelände. Er setzte sich auf eine Bank und beobachtete das rege Treiben auf dem Campus. Seine Gedanken schweiften aber bald ab – hin zu Shruti. Er konnte noch immer nicht fassen, wie hübsch sie war. Das hätte er niemals für möglich gehalten, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Ihr abweisendes Verhalten war allerdings das genaue Gegenteil davon. Er musste jedoch zugeben, dass sie das auch interessanter machte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahinter steckte, doch ihm war bewusst, dass es einige Zeit dauern würde bis er herausfinden würde, was es war. Nach einer knappen Stunde verließ Shruti das Unigebäude schließlich wieder und lief an Sudhir vorbei. „Können wir jetzt endlich essen gehen?“, drängte er, nachdem er sie eingeholt hatte. „Ja, von mir aus...“, antwortete sie leicht gereizt. „Hier in der Nähe ist eine kleine Gaststätte, wo das Essen schmeckt und es nicht so teuer ist.“, schlug sie vor und er zeigte sich einverstanden. Eine Viertelstunde später hatten sie sich einen Platz gesucht und bereits ihre Bestellung aufgegeben. Sudhir wunderte sich, wieso Shruti sich hier so gut auskannte und fragte sie auch umgehend danach. Zu seiner Überraschung gab sie ihm sogar eine ernstgemeinte Antwort. „Ich habe hier studiert und kenne mich dementsprechend gut hier aus. In relativ unregelmäßigen Abständen komme ich her, um mich mit meinem ehemaligen Professor ein wenig auszutauschen und mir Tipps für den Unterricht und bei Problemen zu holen...“, meinte sie und wirkte dabei etwas geistesabwesend. Sudhir betrachtete sie stumm und war überrascht, wie verletzlich sie plötzlich wirkte. Er hatte das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, doch das verkniff er sich. Stattdessen meinte er: „Ich finde gut, dass du dich so für deinen Beruf engagierst. Gerade wenn man mit Kindern arbeitet, sollte man immer aufpassen, was man tut und wie man es tut...“ Shruti schaute ihn verwundert an. „Ja... Ja, das denke ich auch. Ich...“, meinte sie, wurde aber vom Kellner, der ihnen ihr Essen brachte, unterbrochen. Nachdem er wieder gegangen war, herrschte eine seltsame Stimmung zwischen den beiden und ihr zuvor aufkeimendes Gespräch kam nicht wieder auf. Stattdessen saßen sie sich schweigend gegenüber und aßen ihre bestellten Gerichte. „Das kommt gar nicht in Frage. Ich übernehme die Rechnung!“, wandte Sudhir ein, als Shruti ihre Geldbörse herausholte, um ihr Essen zu bezahlen. Noch ehe sie protestieren konnte, hatte er dem Kellner das Geld und ein angemessenes Trinkgeld in die Hand gedrückt, so dass dieser auch gleich wieder verschwand. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“, meinte Shruti grimmig, als sie ihre Tasche nahm und aufstand. „Jeder anständige und ordentlich erzogene Mann hätte das getan, also gibt es hier jetzt nichts zu diskutieren.“, merkte Sudhir an und erhob sich ebenfalls. Shruti zog die Stirn daraufhin zweifelnd in Falten, sagte aber nichts weiter. Den Marktplatz hatten sie anschließend in wenigen Minuten erreicht. Überall waren kleine Stände, deren Besitzer lautstark ihre Waren anpriesen. Tausend verschiedene Gerüche schwängerten die Luft, die erfüllt war von den Stimmen der vielen Marktbesucher. Sudhir und Shruti schlenderten ein wenig umher, blieben an dem einen oder anderen Stand stehen, schauten sich die angebotene Ware an und gingen meistens weiter. Nach und nach arbeiteten sie so Shrutis Einkaufszettel, den sie von Kavita bekommen hatte, ab und konnten sich anschließend nach einer guten Stunde auf den Weg zurück zum Bahnhof machen. Der Zug war aufgrund des Feierabendverkehrs beinahe noch voller als auf der Hinfahrt, doch mit viel Glück erwischte Shruti noch einen Sitzplatz. Sie platzierte ihre Einkaufstüten zwischen ihre Beine, während Sudhir sich neben sie stellte. Um ihn herum drückten und drängelten wieder unzählige Menschen und er wurde immer wieder unangenehm angerempelt oder Leute lehnten sich von hinten gegen ihn. Shruti musste zugeben, dass sie schon beinahe Mitleid hatte, doch die einzige Lösung, die ihr dafür in den Sinn kam, wollte sie nicht aussprechen. „Shruti, ich weiß, dass du mit aller Wahrscheinlichkeit `nein´ sagen wirst, aber...“, meinte Sudhir plötzlich und beugte sich leicht zu Shruti hinunter. „... hättest du etwas dagegen, wenn ich mich hinsetzen und dich auf den Schoß nehmen würde...?“ Es war ihm sichtlich unangenehm, darum zu bitten, doch langsam begann sein Rücken zu schmerzen und er wusste nicht, ob er das die restliche Fahrt noch aushalten würde. Shruti wurde rot, wandte ihren Blick ab, zögerte. Schließlich allerdings meinte sie: „... Ja, es macht mir etwas aus, aber die drängelnden Horden hinter dir sind ja anscheinend kaum zu bändigen...“ Sudhir traute seinen Ohren kaum, doch als er sah, dass Shruti aufstand, um ihm Platz zu machen, wusste er, dass sie es ernst meinte. Zögerlich rutschte er hinter ihr in den Sitz und nahm die Tüten zwischen die Beine. Shruti stand erst noch unentschlossen da, setzte sich dann allerdings schüchtern und vorsichtig auf Sudhirs Schoß. Ihr Gesicht glühte und sie achtete darauf, so wenig Körperkontakt mit ihm zu haben wie möglich, doch die Tatsache, dass sie auf ihm saß, ließ ihr Herz wie verrückt gegen ihren Brustkorb hämmern. Sudhir bemerkte ihre Nervosität und beugte sich etwas zu ihr vor, um ihr beruhigende Worte zuzuflüstern. „Keine Sorge. Ich werde dir nichts tun. Nicht vor all diesen Menschen...“, meinte er und biss sich anschließend auf die Zunge, da ihm der letzte Satz aus Versehen herausgerutscht war. Shrutis Körper versteifte sich daraufhin noch mehr und sie rutschte auf seinen Knien so weit nach vorn wie es ging. Seufzend ließ Sudhir sich zurück in den Sitz fallen und ärgerte sich über sein loses Mundwerk. Wenn er so weiter machte, würde er Shrutis Abneigung gegen ihn nur noch mehr vertiefen und sie würde sich ihm nie öffnen oder anvertrauen. Am liebsten hätte er einfach seine Arme um sie gelegt und sie an sich gezogen, doch das wäre das Dümmste, was er hätte tun können in diesem Moment und so starrte er schließlich für den Rest der Fahrt gedankenverloren aus dem Fenster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)