Todesser der neuen Zeit von Theophanu ================================================================================ Kapitel 4: ----------- „Ich sage Ihnen, Sie haben den Falschen!“ Die Stimme seines Vaters überschlug sich fast. „Sehen Sie sich den Jungen doch an. Wie soll er das getan haben?“ Nervöse Blicke zuckten zur Mitte des Raumes, zu dem Stuhl, auf dem Angus saß. Niemand sagte ein Wort. „Jeder könnte diesen O'Lewan angegriffen haben, wieso also gerade ein minderjähriger Zauberer? Nicht einmal die Ministerin weiß, was geschehen ist.“ „Harold, genau das ist das Problem.“ Ein grauhaariger Zauberer in der Mitte der ersten Reihe fixierte Mr. Jenkins, der die Hand auf die Schulter seines Sohnes gelegt hatte. „Die Ministerin weiß nicht, was geschehen ist. Trotzdem kann auch sie nicht abstreiten, dass O'Lewan mit dem unverzeihlichsten der drei unverzeihlichen Flüche angegriffen wurde. Ihr Sohn war als einziger noch anwesend. Wer also soll es sonst getan haben? Wollen Sie etwa die Ministerin beschuldigen? Das ist doch lächerlich!“ Angus spürte, wie sich sein Vater verkrampfte. Ja, wer sollte es getan haben, außer ihm? „Aber er ist noch ein Kind. Kein Kind könnte diesen Fluch ausführen, dazu sind nicht einmal alle erwachsenen Zauberer in der Lage.“ Die Stimme des Vaters nahm einen fast flehenden Ton an. „Genug jetzt.“ Die Zaubereiministerin, die die ganze Zeit über schweigend neben dem grauhaarigen Zauberer gesessen hatte, erhob sich. „Verehrtes Zaubergamot, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass ich nicht gesehen habe, wer O'Lewan angegriffen hat. Und er selbst kann es uns leider nicht sagen. Jedoch glaube ich nicht, dass dieser Junge dazu in der Lage wäre. Ich bitte Sie deshalb, nun abzustimmen. Wer hält ihn für schuldig?“ Zögernd hoben sich erst einige Hände, dann viele. „Und wer hält ihn für nicht schuldig?“ Die Ministerin selbst hob ihre Hand. Viele mehr folgten ihrem Beispiel. Der Protokollant zählte hastig nach und flüsterte dem grauhaarigen Zauberer dann etwas ins Ohr. Dieser nickte. „Angus Jenkins, nach Abstimmung des Zaubergamots werden Sie hiermit vom Vorwurf des Angriffs auf Florian O'Lewan freigesprochen. Harold, sie können Ihren Sohn mitnehmen.“ „Das sind wunderbare Neuigkeiten. So wunderbare Neuigkeiten.“ Sobald Angus und sein Vater das Haus betreten hatten, war die Mutter ihrem Jungen um den Hals gefallen. Dort hing nun sie schon eine ganze Weile und schien gar nicht mehr aufhören zu können zu schluchzen. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, was wir getan hätten, wenn sie dich zurück nach Askaban geschickt hätten. Jetzt wird alles wieder gut.“ „Diese Trottel. Anstatt den richtigen Täter zu suchen, beschuldigen sie einen Jungen. Heutzutage ist auch kein Verlass mehr auf das Ministerium.“ Der Vater lies sich sichtlich erschöpft auf einen Stuhl sinken. „Er wurde ja nicht verurteilt. Nun komm, Angus, Schatz, ruh dich aus. Es muss ja furchtbar für dich gewesen sein. Aber jetzt bist du wieder zu Hause. Ich weiß, was ich mache. Heute koche ich dir dein Lieblingsessen und nachdem du morgen wieder ausgeruht bist, besorgen wir deine Sachen fürs nächste Schuljahr.“ Angus, der bis da hin alles gleichgültig über sich hatte ergehen lassen, schreckte hoch. „Schule? Ich soll nach Hogwarts zurück?“ „Aber sicher, mein Schatz. Dein letztes Schuljahr fängt doch an. Bald hast du deinen Abschluss.“ „Aber ich will nicht zurück. Es gibt wichtigere Dinge. Hogwarts ist doch nur Zeitverschwendung.“ Sein Vater sprang auf. „Zeitverschwendung? Zeitverschwendung?!? Was denkst du denn, warum ich mich so bemüht habe, dass sie dich freisprechen? Damit du jetzt alles hinschmeißt und deine Zukunft ruinierst? Junge, ich weiß, dass die Zeit in Askaban hart war und du viel durchmachen musstest, aber ich lasse nicht zu, dass du die Schule abbrichst.“ Angus starrte seine Eltern an. War das wirklich ihr Ernst? Er sollte zurück auf diese dumme Schule? Das würde gar nicht in Frage kommen, auf ihn warteten andere Aufgaben. Wütend verließ er das Zimmer. „Schatz, es ist so schönes Wetter, warum trägst du denn lange Ärmel?“ Angus riss den Arm zurück, den seine Mutter gerade anfassen wollte. Schön, er hatte sich überreden lassen, mit in die Winkelgasse zu kommen. Er war bereit, so zu tun, als ob er zur Schule zurückkehren würde. Aber sein Mal auf dem Arm sollte die Mutter nicht berühren. Der Gedanke an den Totenkopf erfüllte ihn mit Stolz, aber er war klug genug, ihn verborgen zu halten. Vorerst. Die Straße war überfüllt mit Menschen. Überall sah man Schüler, die sich auf das neue Schuljahr vorbereiteten. Diese Menschenansammlung war Angus zuwider. Dazu kam noch die Mutter, die ihn in dieses Geschäft zog, ihm das zeigte und ihn gar nicht zur Ruhe kommen lies. Nach einer Weile, als er es gar nicht mehr ertragen konnte, bat er sie, sich allein umsehen zu dürfen und eilte mit großen Schritten davon. Was sollte er nun tun? Disapparieren konnte er nicht, aber den Dunklen Lord zu rufen wagte er auch nicht. Es wäre sicher nicht klug, sich in der Winkelgasse zu zeigen. Angus beschloss, dass er die Zeit auch nutzen konnte, um sich neues Wissen anzueignen. Je stärker er war, desto besser konnte er dem Dunklen Lord dienen. Also machte er sich auf den Weg zu Flourish & Blotts. Im Innern des Ladens tanzten Staubkörner, an denen sich die Sonnenstrahlen brachen, die durch jene Fenster fielen, die noch nicht mit Büchern verdeckt waren. Mitarbeiter eilten durch die Reihen der Regale um Bücher für zwei zukünftige Hogwartsschüler zu suchen. Der Lärm der Straße war angenehm gedämpft. Endlich kam Angus ein wenig zur Ruhe und begann sich umzusehen. Er wusste nicht genau, was er suchte, also wanderte er einfach die Reihen entlang, lies den Finger über die Buchrücken gleiten und zog hier und da einen Band aus dem Regal. Es gab fantastische Bücher hier. Tierwesen, Zaubertränke, Flüche, Wahrsagerei, Geschichtsbücher, das gesamte Wissen der Zaubererschaft schien in diesem Laden zu stehen. Angus vergaß völlig die Zeit, das Zaubergamot, Askaban, ja fast sogar den Dunklen Lord. Gerade als er in das Buch „Zauberhafte Zaubereien – So fluchen Fortgeschrittene“ versunken war, wurde er beiseite gestoßen. „Oh, Entschuldigung. Ich habe Sie nicht gesehen.“ Als Angus den Kopf hob, lies er fast das Buch fallen. Vor ihm stand eine junge Hexe, ungefähr in seinem Alter. Ihr Gesicht war gleichmäßig, mit fast schon weißer Haut und einer leichten Stupsnase, auf der Sommersprossen verteilt waren. Die Augen waren tief blau, sofern man das in diesem Licht beurteilen konnte. Am meisten zogen seinen Blick aber ihre Haare an, die mit leichten Wellen auf ihre Schultern fielen. Ein Sonnenstrahl schien darauf und lies sie satt dunkelrot leuchten. „K... kein Problem. Ist nichts passiert.“ „Ein Glück.“ Ein feines Lächeln spielte um ihren Mund. Angus' Blick fiel auf das Wappen auf ihrer Kleidung. „Gehst du auch nach Hogwarts? Ich habe dich da noch nie gesehen.“ „Ja, ich komme jetzt in die siebte Klasse. Ich habe dich auch noch nicht gesehen, vielleicht sind wir nicht im selben Haus. Ich bin in Ravenclaw. Und du?“ Ravenclaw, ausgerechnet. Angus kannte kaum jemanden aus den anderen Häusern, sie kümmerten ihn wenig. Er überlegte gerade, ob es einen schlechten Eindruck auf sie machen würde, wenn er sagte, dass er aus Slytherin kam. Sein Haus hatte nicht unbedingt den besten Ruf. In dem Moment kam eine Frau auf sie zu. „Mary, kommst du? Wir haben noch einiges zu besorgen.“ Das Mädchen lächelte Angus noch einmal an. „Ich muss gehen. Wir sehen uns dann in der Schule.“ Angus stand wie erstarrt da, als sie sich abwandte und den Laden verließ. Sie konnte nicht gehen. Er hatte doch noch nicht einmal seinen Namen genannt. Schnell stellte er das Buch zurück und rannte zur Tür. Er musste ihr wenigstens seinen Namen sagen. Das Sonnenlicht draußen blendete ihn. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er sich um. Wo war sie? So weit konnte sie noch nicht gekommen sein. Die Frau hatte etwas von Besorgungen gesagt, also konnte er sie vielleicht noch finden, wenn er alle Geschäfte absuchte. Nur wo beginnen? Angus wandte sich nach rechts und schaute in den benachbarten Laden. Nichts. Er lief einige Meter weiter. Auch hier war sie nicht. Sie konnte nicht gehen, die ganzen vergangenen Schuljahre hatten sie sich in Hogwarts nicht getroffen, wieso sollte er sie nun dort treffen? Der nächste Laden. Nichts. Er hielt Ausschau nach ihren roten Haaren, ihrem Umhang, sogar den blauen Augen. Die ganze Zeit schienen sie ihn anzulächeln. Sie durfte nicht verschwunden sein. Plötzlich sah er sie. Zusammen mit der Frau kam sie aus Madam Malkin's. Fast hätte Angus laut gejubelt und sie gerufen. Stattdessen lief er auf sie zu. Er würde sie nicht wieder aus den Augen verlieren. Das Mädchen ging mit der Frau gemeinsam die Straße entlang. Angus hätte schwören können, dass er noch nie etwas Anmutigeres gesehen hatte. Fasziniert beobachtete er ihre Schritte, wie sie den Fuß auf das Pflaster aufsetzte, dabei den anderen hob. Er beobachtete den Saum ihres Umhangs, wie er fast über den Boden streifte, ihre Haare, wie sie sich im Rhythmus ihrer Schritte bewegten. Die Sonne schien auf ihnen zu tanzen, brachte sie zum funkeln und schien das ganze Mädchen zu umarmen. Angus konnte den Blick einfach nicht abwenden. Er bemerkte nicht einmal, dass andere Menschen in der Straße zur Seite springen mussten, damit er sie nicht umrannte. Er hörte nicht, wie sie schimpften. Er hörte nur das Mädchen, wie sie sagte „Wir sehen uns dann in der Schule“ und die Frau, die ihren Namen nannte. Mary. Mary. Mary. Jetzt gingen die beiden auf den Tropfenden Kessel zu. Vielleicht setzten sie sich hin um etwas zu trinken und er konnte sich ihnen anschließen. Er wollte einfach noch einmal ihre Stimme hören. „Angus? Angus! Hast du mich nicht gesehen?“ Jemand hielt ihn am Arm fest und widerwillig musste er den Blick von dem Mädchen abwenden. Neben ihm stand seine Mutter. „Hast du etwas Schönes gefunden, Schatz? Komm, dein Vater wartet auf uns im Tropfenden Kessel.“ Angus beeilte sich, ins Pub zu kommen. Nicht weil der Vater wartete, aber so hatte er einen guten Grund, dem Mädchen weiter hinterher zu laufen. Freudig riss er die Tür auf, schaute sich um, doch sie war nicht zu sehen. Im Schankraum waren nur der Wirt, der Vater und andere Gäste, die sich nach den Einkäufen erfrischten. Mit langen Schritten eilte Angus zu der Tür, die ins London der Muggel führte. Auch dort war sie nicht zu sehen. „Junge, was ist denn mit dir? Suchst du jemanden Bestimmtes?“ „Ich... ich... nein, ich wollte nur... ich...“ „Schon gut, setz dich. Es war ein anstrengender Tag für dich.“ Der Vater schob ihm eine Flasche Butterbier hin. In Gedanken versunken bemerkte Angus fast gar nicht, was er da trank. Vielleicht war Bildung doch nicht so schlecht. Wahrscheinlich wäre es das Beste, zur Schule zurückzukehren, damit er ein noch besserer Diener für seinen Herrn sein konnte. Und vielleicht begegnete er dann ja auch einigen Ravenclaws. Das erste, was er hörte, war das rascheln von Umhängen. Avada Kedavra. So fühlte sich also der Tod an? Raschelnde Umhänge und ein Licht, das in den Augen blendete? Mühsam versuchte Florian O'Lewan die Augenlider zu heben und sich zu bewegen. Da war sein Arm, eingehüllt in einen gelben Schlafanzug, wie es schien. War das der Tod? Nein, das konnte nicht sein. Er sah doch Gestalten. Zwei Frauen standen am Fußende seines Bettes. Ein Mann saß auf einem Stuhl an der Wand. Alle drei blickten ihn nun an, Erstaunen breitete sich auf ihren Gesichtern aus, sie stürzten auf ihn zu. „Florian, mein Gott, Florian.“ „Mum, Dad, Mary. Was... was ist passiert? Wo bin ich? Bin ich tot?“ Die jüngere Frau beugte sich zu ihm hinunter, umarmte ihn und lange dunkelrote Haare fielen auf sein Gesicht. „Nein, nein, du bist nicht tot. Zum Glück bist du wieder aufgewacht, Bruderherz. Wir hatten solche Angst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)