Todesser der neuen Zeit von Theophanu ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „... die vielen Opfer der Schlacht zu betrauern.“ Im Klassenzimmer war es schwül und stickig. Bis auf die monotone Stimme des Lehrers herrschte bedrückende Stille. Die Schüler lagen schläfrig auf den Tischen oder starrten apathisch vor sich hin. Nur Angus lauschte interessiert den Ausführungen von Professor Binns über die Schlacht von Hogwarts und das Ende des Zweiten Krieges. Der Geist bemerkte nicht einmal, dass er tatsächlich einmal die volle Aufmerksamkeit eines Schülers besaß. Die Schlacht lag jetzt schon über 80 Jahre zurück. Der Sieger Harry Potter war zu einer Legende geworden, der Krieg dagegen nur noch ein Thema um hilflose Schüler zu quälen. Nach der Stunde verließen alle anderen Schüler so rasch wie möglich den Raum. Angus hingegen blieb noch ein wenig sitzen und lies das soeben gehörte auf sich wirken. „Professor?“ Professor Binns, der eben in Begriff war, ebenfalls den Raum zu verlassen, blieb in der Tür stehen. „Was gibt es denn, James?“ „Jenkins, Sir. Mir ist nur gerade aufgefallen, dass Sie nicht gesagt haben, wo Sie‑wissen‑schon‑wer begraben liegt.“ „Nun, dieses Wissen wurde behütet. Niemand sollte je die Knochen des gefährlichsten Zauberers seiner Zeit wiederfinden können. Zwar wurden die meisten seiner Anhänger eingesperrt oder getötet, aber man weiß ja nie.“ „Aber Sie waren doch damals hier, Sir. Wissen Sie nicht, wohin man die Leiche gebracht hat?“ „Ich habe mich nicht darum gekümmert. Nach der Schlacht gab es Wichtigeres zu tun. Ich glaube, Sie‑wissen‑schon‑wer wurde in den Verbotenen Wald gebracht. Aber darum müssen Sie sich nicht sorgen. Er ist schon lange fort. Aber Sie müssen sich jetzt beeilen, sonst kommen Sie zu spät zur nächsten Stunde.“ Mit diesen Worten drehte sich der Geist um und schwebte davon. Angus dachte den ganzen restlichen Tag über diese Geschichtsstunde nach. Der Krieg faszinierte ihn, die Schlacht, deren Spuren noch teilweise am Schloss zu sehen waren und besonders der Dunkle Lord. Zu gern hätte er ihm Fragen gestellt, wie es war, so viel Macht zu besitzen und wie es sein konnte, dass er dennoch sein Leben verlor. Darüber hatte sich Professor Binns ausgeschwiegen. Alles drehte sich nur um den heldenhaften Harry Potter, aber niemand erwähnte die ganze Geschichte. Wie war der mächtigste Zauberer aller Zeiten besiegt worden? Er beschloss, in der Bibliothek zu suchen. Nach Stunden inmitten von Geschichtsbüchern seufzte Angus leise auf. Nichts. Überall stand immer nur die gleiche Geschichte. Der Dunkle Lord kehrte zurück, griff Hogwarts an, Harry Potter stellte sich ihm entgegen und tötete ihn. Nur wie das geschehen konnte, darüber gab keine Quelle Auskunft. Es war wie beim Ende des Ersten Krieges. Lord Voldemort war verschwunden, die Welt feierte Harry Potter, aber niemand schien zu wissen, wie ihm das gelungen war. „Was machst du noch hier? Es ist längst Schlafenszeit. Verschwinde in deinen Gemeinschaftsraum!“ Die Stimme der Bibliothekarin lies Angus zusammen fahren. Er hatte gar nicht bemerkt, wie spät es war. Hastig verließ er die Bibliothek und machte sich auf den Weg zum Schlafsaal. Doch das Rätsel um das Ende des Dunklen Lords wollte ihm nicht aus dem Sinn. Er war so sehr in diese Gedanken vertieft, dass er fast zu spät den Hausmeister bemerkte. Schnell rannte Angus in die Richtung davon, aus der er gekommen war. Jedoch auch am anderen Ende des Gangs hörte er Stimmen, zwei Lehrer, die nachts die Gänge kontrollierten. Er wich einige Schritte zurück. Der Punktverlust schien unvermeidlich, er konnte nur noch wählen, von wem er sich erwischen lassen wollte. Plötzlich sah er neben sich eine Tür. Sein Körper handelte schneller als er sich fragen konnte, ob sie schon die ganze Zeit dort gewesen war. In letzter Sekunde schlüpfte er hinein und lies die Tür leise ins Schloss fallen. Sofort waren alle Geräusche von draußen verstummt. Dafür legte sich ein scheußlicher Brandgeruch auf seine Nase und hinderte ihn fast am atmen. „Wer bist du und wie kommst du hier herein?“ Eine hohe kalte Stimme lies Angus zusammenzucken und schnell herumfahren. Doch in dem Raum stand kein Lehrer, es war ein Geist. Ein sehr merkwürdiger Geist. Seine Haut schien irgendwie blasser als bei den anderen Geistern der Schule. Die Gestalt war dünn und wirkte seltsam in die Länge gezogen. Das Gesicht aber war furchteinflößend, viel furchteinflößender als selbst der Blutige Baron. Dort wo die Nase sein sollte, waren nur zwei lange Schlitze. Am Schlimmsten aber waren die Augen, die so wirkten, als würden sie rot leuchten. Dieser Blick fixierte Angus und er hatte das Gefühl, nichts verbergen zu können. Mühevoll rang er nach Luft. „Ich wollte nicht stören. Da draußen sind Lehrer.“ Hilflos deutete er auf die Tür. Seine Stimme klang, als hätte er sie seit Jahren nicht benutzt. „Das ist mir egal“, antwortete der Geist. „Ich will meine Ruhe. Verlass diesen Raum.“ Doch Angus rührte sich nicht. „Warum... warum riecht es hier so verbrannt?“ „Weil es hier gebrannt hat. Das Feuer ist erst vor wenigen Jahren ausgegangen.“ „Aber wie kann ein Feuer so lange brennen?“ „Hast du noch nie etwas von Dämonsfeuer gehört, Junge?“ Angus schüttelte den Kopf. „Wer bist du? Ich habe dich noch nie hier in Hogwarts gesehen.“ „Ich verlasse den Raum selten. Die anderen Geister meiden mich und es ist besser, wenn ich möglichst wenig Aufmerksamkeit errege. Nur nachts komme ich heraus um in der Bibliothek zu lesen.“ „Ein Geist, der Bücher liest? Was willst du denn wissen?“ Die durchdringenden Augen fixierten den Jungen noch etwas mehr. „Ich suche nach einem Zauber, der einen Geist an einen lebenden Körper bindet. Ich will nicht länger tot sein.“ Diese Worte erschreckten Angus, noch nie hatte er eine Geist des Schlosses etwas derartiges sagen hören. Gleichzeitig faszinierte ihn der Gedanke. Dieser Zauber würde Unsterblichkeit bedeuten, den Sieg über den Tod. Ein unmerkliches Lächeln huschte über das Gesicht des Geistes. „Ich sehe, die Idee gefällt dir. Und die Lösung ist ganz nah. Alles, was ich noch brauche, sind meine Gebeine und einige Tropfen reines Zaubererblut. Willst du mir helfen?“ Angus starrte den Geist an. War ein solcher Zauber möglich? Doch der Gedanke hatte ihn schon zu fest in seinen Bann gezogen. „Ja.“ Von nun an verbrachte Angus Nacht für Nacht in der Bibliothek. Den seltsamen Raum fand er zwar nicht wieder, aber der Geist gesellte sich zu ihm. Angus übte unter seiner Anleitung einen Zauber zum aufspüren verlorener Gegenstände und stahl Kräuter aus dem Vorratsschrank des Zaubertranklehrers, die für den Zauber benötigt wurden. Eines Nachts war es so weit. Angus und der Geist schlichen sich in den Wald. Dort sollten die Gebeine des Geistes liegen, hatte er gesagt. Wie ein silbernes Licht glitt der Geist neben dem Jungen her, der die Augen schloss und sich auf die Knochen konzentrierte. Doch im Wald waren schon viele Lebewesen gestorben und so irrten sie Stunden umher, bis sie die richtige Stelle fanden. Angus machte sich an die Arbeit und grub die Gebeine aus, während der Geist sich umschaute. „Junge, ich frage mich schon die ganze Zeit, wie du in meinen Raum gekommen bist. Wenn du dich nur verstecken wolltest, wärst du nicht bei mir gelandet.“ „Ich weiß es nicht. Ich war auf dem Rückweg von der Bibliothek, als plötzlich am Ende des Ganges der Hausmeister auftauchte, am anderen Ende zwei Lehrer. Ich habe nur nach einer Fluchtmöglichkeit gesucht.“ „Was wolltest du denn in der Bibliothek?“ „Wir haben in Geschichte der Zauberei vom Zweiten Krieg und der Schlacht um Hogwarts gehört. Ich wollte einfach mehr wissen. Wie konnte der Dunkle Lord so einfach besiegt werden, wo er doch der größte Zauberer überhaupt war? Professor Binns hat viel zu wenig erzählt.“ Die Augen des Geistes schienen aufzublitzen. „Du interessierst dich für die Schlacht von Hogwarts? Nun, ich war dabei. Wenn unser kleines Experiment Erfolg hat, werde ich dir zum Dank alles erzählen. Aber sag mir Eines, was ist mit Harry Potter? Hat euer Professor ihn erwähnt?“ „Viel zu oft. Er wird verherrlicht, aber niemand weiß, wie ihm der Sieg gelungen ist.“ „Und wo ist er jetzt?“ „Die Schlacht ist so lange her. Er ist tot.“ Plötzlich begann der Geist, laut und schrill zu lachen. In den Bäumen ringsum flogen verschreckte Vögel auf. „Nun denn, Junge. Lass uns beginnen.“ Der Geist beugte sich hinunter zu den Knochen und legte sich über sie. Angus schüttete einen vorbereiteten Trank darüber, den er aus den gestohlenen Zutaten gebraut hatte. Dann, als der Geist begann, leise Beschwörungsformeln zu murmeln, zog der Junge ein Messer aus der Tasche, schloss kurz die Augen und stach sich in den Finger. Während die letzte Zutat, reines Zaubererblut, durch den Geist hindurch auf die Gebeine tropfte, stieg langsam Rauch auf. Angus konnte nichts mehr sehen. Immer dichter wurde der Rauch und als er sich verzog, stand da der Geist. Doch er war nicht mehr silbern und durchsichtig, er wirkte fest. Sein Körper war schmal, die Haut blass und die Augen leuchteten glühend rot. In diesem Moment erkannte Angus ihn. Er hatte auf seiner Suche nach Informationen über den Krieg viele Male Bilder von ihm gesehen. „Du... du bist der Dunkle Lord.“ „Ja, und dank dir bin ich zurückgekehrt. Dafür werde ich dich reich belohnen, mein treuer Diener, mein erster Todesser der neuen Zeit.“ Über dem Wald ging die Sonne auf, ihr rotes Licht drang bis auf den Boden. Lord Voldemort atmete tief ein. Er war zurück, stärker denn je. Seine alten Feinde waren alle tot. Nur er war noch da, weder tot, noch lebendig, ein Geist an einen Körper aus Fleisch und Blut gebunden. Das machte ihn unbesiegbar. Nun war es an der Zeit, erneut nach der Macht zu greifen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)