Grandia II: Der Pfad zur Seele von Ghaldak (Eine Tragödie in 5 Akten) ================================================================================ Kapitel 3: Die Flügel Valmars (1) --------------------------------- In dieser Nacht war ich ein schlechter Wächter. Als langsam das Adrenalin ausklang, bemerkte ich, wie ausgelaugt ich mit einem Mal war. Ich schlief ein, noch ehe ich die Gefahr erkannte. In dieser Nacht träumte ich. Ich saß wieder am Feuer, als ich ein scharrendes Geräusch hörte, irgendwo aus der Ferne, und als ich nachsah, bemerkte ich eine Frau. Sie schien im Boden gefangen zu sein und ich sah, wie sie sich herausgrub. Immer weiter kam sie frei, sie hatte es fast geschafft. Ich gab ihr meine Hand, um sie hochzuziehen. Sie ergriff sie und war frei. Dies war ein Traum. Deutlich wurde ich mir dessen bewusst, als sie vor mir stand. Langes, rotes Haar war im fahlen Licht zu sehen, ein einladender Körper und smaragdgrüne Augen. Sie war schmutzig und erschöpft von der Graberei und ich fragte sie nicht, was passiert war. Stattdessen fragte ich: „Das ist ein Traum, oder?“ Sie nickte. „Das ist ein Traum.“ So standen wir da. Niemand von uns wusste, wie es weitergehen sollte. Ich spürte den Wind, roch den westschlesischen Wald und bemerkte jetzt erst ihre Flügel, ledern und riesig wie jene von Fledermäusen. Sie zitterte unter meinem Blick. „Schön sind sie“, sagte ich. „Darf ich sie berühren?“ Sie zog sie zusammen und umschloss uns damit, schirmte uns ab gegen die Außenwelt. Ihr Blick ruhte auf mir, als ich langsam über ihre Schwingen strich, die dünn und kalt waren, fast wie Leder. Ich sah sie an, um etwas zu sagen, doch sie zitterte am ganzen Körper, konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Ich wandte mich von ihren Flügeln ab und ergriff ihre Hand, zitternd und kühl. „Dir ist kalt“, sagte ich, ohne sie loszulassen. „Wenn ich nur eine Jacke hätte.“ Sie flüsterte: „Macht nichts. Es ist ein Traum.“ Richtig, dachte ich, es ist nur ein Traum. So verflogen meine Hemmungen. Sie war so schmutzig, bedeckt mit Laub, Dreck und Erde, da begann ich, sie zu säubern. Meine Finger durchzogen ihre Haare, streiften über ihre Wangen, befreiten ihre Arme und Schultern. Ich tat es langsam und gründlich und sie ließ es geschehen. Sie zuckte nicht zurück und wehrte sich nicht. Ich fragte sie nicht, ob sie es genoss. Ich war bei ihren Brüsten angekommen, wo mit Spitze und Korsett ihr Stoff begann. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich hierhin vordringen sollte, doch es war ein Traum und meine Hand war schneller. Ich ließ mich nicht abhalten, befreite auch ihre Brüste von Erde und Laub, ging dann aber weiter und klopfte Stoff und Taille ab. Noch immer zuckte sie nicht und ihr Blick schien glasig zu werden. Da beendete ich meine Katzenwäsche und zog sie an mich, umarmte sie, fühlte ihr kaltes Fleisch unter dünnem Stoff und wärmte sie. Was störten mich schon Flügel. Lange blieben wir so stehen, bis sie endlich auftaute. Langsam kam Leben in sie, ihr Körper kam in Bewegung und sie seufzte, als sie sich an mich schmiegte. Ich sah, wie sie lächelte und mich zufrieden anblickte. Es war ein schöner Traum. Irgendwann löste sie sich von mir. Sie strahlte, als sie mich ansah. „Danke“, sagte sie. „Wofür?“ – „Für diesen Traum“, sie musste kichern, bekam sich in den Griff. „Wie heißt du?“ – „Ryudo“, antwortete ich knapp. „Wir sehen uns wieder, Ryudo“ Sie verbeugte sich, sehr grazil. „Dann wird es kein Traum sein.“ Dann war sie schon verschwunden. Die Welt wurde dunkel und ich war verwirrt. Sterne über mir. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ich bei Elena lag, auf offenem Feld. Es war kalt geworden und langsam dämmerte es. Skye war nicht zu sehen. Ich rappelte mich auf. Ein schlechter Wächter war ich. Wenn nun die versprochenen Monster erschienen wären, wäre es das für uns gewesen. Ich hatte Glück, dass alles so ruhig geblieben war. Ein nächstes Mal sollte es aber so einen Fehler nicht mehr geben. Ich musste mich schelten, um nicht daran zu denken, was passiert war. Schweigend ging die Reise weiter. Erst nach Sonnenaufgang erwachte Elena, doch sie stellte keine Fragen. Sie knabberte still an den Ereignissen der letzten Nacht und ich ließ ihr ihren Frieden und hoffte, dass sie der Sache gewachsen sein würde. Aber ihre Reise war auch bald vorbei und sie würde in der Kirche von Karbowitz Möglichkeit zum Beichten und Trauern finden oder was immer ihr half. Sie lernte gerade auf die harte Schule, was es hieß, zu überleben. Doch auch mein Kopf war nicht frei. Ich musste immerzu an den Traum denken. Was hatte er zu heißen? Er war zu gezielt, zu deutlich, um gegenstandslos zu sein. Diese Frau war mir noch nie begegnet, aber mein Gefühl sagte mir, dass ich ihre letzten Worte ernst nehmen sollte. Eines Tages konnte sie mir über den Weg laufen. Schon bald hatten wir das Dorf erreicht und wenig später saß ich in der Kirche und wartete. Carrius hatte mich gebeten, noch zu bleiben, während er sich um Elena sorgte, und ich ahnte auch, warum. Dinge waren geschehen. Nun musste die Kirche reagieren. „Und, wie geht es ihr?“, fragte ich ihn, als ein abgekämpfter Priester schließlich erschien und sich zu mir setzte. Er wirkte ratlos. „Sie kann sich an nichts mehr erinnern, sagt sie. Seit Beginn der Zeremonie.“ Ich nickte. „Verwundert nicht. Wenn man bedenkt...“ Ich sprach den Satz nicht zu Ende. „ Sie hat viele Freundinnen verloren und zu viele Menschen sterben gesehen. Nur leider ist das nicht nur für sie eine schwere Zeit.“, er seufzte, „Ich wüsste wirklich gerne, was dort geschehen ist. Wissen Sie mehr?“ Nein, leider nicht. „Als ich hereinkam, war alles bereits am Boden.“ Er hatte mit nichts anderem gerechnet. „Wozu diente das Ritual eigentlich?“, fragte ich schließlich, um die Stille nicht gewinnen zu lassen, und Carrius zögerte, offensichtlich unentschlossen, wie viel er mir erzählen durfte. Schließlich gab er sich einen Ruck „In dem Turm befindet sich ein heiliges Siegel, welches großes Dunkel von dieser Welt fernhält. Das Siegel muss alle Jahre neu gesegnet werden, um seine Macht nicht zu verlieren. Dazu diente die Zeremonie.“ Schmerz lag in seinen Worten und ich konnte es verstehen. „Was für ein Dunkel?“, fragte ich. „Ich weiß es nicht. Man sagt, es stamme noch aus dem großen Krieg.“ Ich nickte. Es ging um jenen Kampf zwischen Gut und Böse zu Anbeginn der Welt, an den die Kirche glaubte. „Ich muss befürchten, dass das Siegel zerbrochen wurde. Und das ist der Grund, warum ich mit Ihnen sprechen wollte.“ Er schluckte. „Bitte, würden Sie sich in meinem Auftrag nach St. Heim begeben? Berichten Sie dort den Herren der Kirche, was vorgefallen ist, und fragen Sie um Rat. Sie werden Dinge wissen, die ich nicht wissen kann. Und…“ Er stockte. „Nehmen Sie bitte Elena mit. Ich wüsste sie gerne in guten Händen.“ Carrius gebrochene Augen blickten mich an. Mit jedem Wort schien der Geistliche kleiner zu werden, verständlich, wenn man verstand, worum er mich bat. Nur den letzten Punkt konnte ich ihm nicht ersparen. „Sie denken, sie könnte infiziert sein?“ – „Ja. Sie ist die Überlebende.“ So wiederholte sich an jenem Tag die gleiche Prozedur wie am gestrigen. Wieder drängte ich auf einen schnellen Aufbruch und wieder ließ ich Elena nur wenig Zeit, sich auf ihre Reise vorzubereiten. Diesmal wollte ich es so. Wir mussten uns beeilen, wenn wir vor der Nacht noch etwas erreichen wollten, und ich wollte sie auch nicht Kinderzimmer und leeren Häusern überlassen. So kam es dann, dass wir schon bald aufbrachen. Diesmal sollten wir für eine längere Zeit zusammen reisen. Dem ersten Tag folgte schon bald die erste Nacht. Wie ein Geist war Elena mir nachgetrottet, hatte wenig gesprochen und noch weniger verlangt. Für mich bedeutete es aber nur eine größere Belastung, da ich nicht nur auf Weg und Gesträuch, sondern auch auf sie ein Auge haben musste. So ging auch dieser Tag wie im Flug vorbei und schon bald war Abend geworden und ich fand mich am Feuer sitzend und in die Glut starrend. Ich spürte, dass Skye über mir kreiste, noch bevor ich ihn sah oder hörte. Das waren die Momente, in denen er normalerweise aufkreuzte. So auch diesmal. „Du siehst müde aus“, begann er. „Der Tag war lang. Kannst du nicht schlafen? Oder willst du nicht?“ – „Ich will nicht“, begann ich. „Du weißt ja, der tapfere Ritter bewacht den Schlaf der Prinzessin – und diesmal richtig.“ Ich lachte, doch er stimmte nicht ein. „Und außerdem möchte ich noch etwas Zeit für mich haben. Du verstehst?“ – „Dir geht alles zu schnell. Das verstehe ich sehr gut.“ – „Zu schnell. Ja, das trifft es. Es ist der dritte Auftrag innerhalb zweier Tage. Den letzten habe ich noch nicht aus den Knochen und schon bin ich wieder gebunden, wer weiß für wie lange.“ Ich seufzte. „So ist wohl das Leben.“ Ich blickte ins Feuer. Skyes Blick suchte wohl eher das Zelt, hinter dessen Wänden ein blondes Mädchen schlafen sollte. „Was hältst du von ihr?“ – „Von Elena?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Habe mir noch keine Gedanken gemacht.“ Die Antwort stellte ihn nicht zufrieden, also fügte ich hinzu: „Sie muss eine Menge durchmachen. Sie hat Freunde verloren. Wenn ich bedenke, wie ich damals…“ Erinnerungen kamen hoch, Bilder von Körpern im Fels. Schnell vertreiben: „Nein, Themawechsel“, hörte ich mich sagen. „Mir gefällt aber auch der ganze Auftrag nicht. Wer weiß, ob sie mich in St. Heim auch bezahlen? Ich möchte ungern den Weg nach Karbowitz nur deshalb zurückgehen.“ Die Glut pulsierte wie ein Herz. Ich betrachtete sie und spielte mit den Fingern an meinem Schwertknauf. Skye landete irgendwo und setzte zum Todesstoß an. „Du glaubst also nicht, dass sie heimkehren wird.“ Das war keine Frage. Ich sprang auf. „Das habe ich nicht…“. Gesagt, wollte ich noch sagen, aber er hatte Recht. Ich hatte es gesagt. „Nein“, gab ich zu. Ich dachte an den Turm, an mein Gefühl. „Wenn sie infiziert ist, dann wird sie sterben. Hoffentlich.“ – „Sonst müsstest du sie töten?“ Die Frage blieb im Raum. Ich dachte darüber nach und musste lachen. „Ist ein verdammter Auftrag“, sagte ich. „Carrius selbst wusste es. Er weiß, dass sie verloren ist und möchte sie nicht selbst umbringen. Jetzt bin ich sein Mörder.“ Dahin war meine Ruhe. Ich griff einen Stein vom Boden und schleuderte ihn in die Finsternis. „Ich hasse es, Skye. Verdammt, ich hasse es.“ Der Vogel blieb ruhig. „Möchtest du sie töten?“, fragte er mich schließlich. Was für eine Frage. „Nein“, schrie ich fast. „Ich habe sie gerettet.“ – „Dann tue es nicht.“ Er ließ mir eine Pause, ehe er anfügte. „Ziehe mit ihr nach St. Heim. Dort kann man ihr helfen.“ Ich blickte in die Dunkelheit, wo ich Skye vermutete, doch nur Schemen ließen sich erkennen. Was sollte ich sagen? Ich setzte mich wieder auf meinen Stein. Zurück zur Glut. „Ich bezweifle, dass sie so lange durchhält.“ Etwas begann wieder in mir zu toben. „Sie kann“, begann Skye. „Sie kann. Sie ist von der Kirche, erinnerst du dich? Sie wird sich bestimmt nicht mit einem Teufel einlassen.“ Ich nickte, hilflos zugegebenermaßen. „Sie wird es schaffen.“, wiederholte ich. „Wir müssen nur schnell sein.“ Ich spürte mein Schwert. Ich würde das Beste für sie geben. „Braver Ritter“, meinte Skye zu mir. „Nun geh zu deiner Prinzessin und schlaf dich aus. Übermüdet nutzt du niemandem. Am wenigsten ihr.“ Ich konnte nichts sagen. Skye hatte Recht. So suchte ich im Zelt meinen Platz. Ich bin nie gerne ein Mörder gewesen. Als ich Elena sah, hoffte ich, dass ich es auch nicht sein musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)