Digimon Destiny von Kiripurin (season 6) ================================================================================ Kapitel 14: Arme Yuriokas ------------------------- „Herr Mazusuke, dürfte ich sie kurz bitten, ein paar Worte an meine Klasse richten zu dürfen?“, fragte die Klassensprecherin der 10-C zwei Tage später, als sie plötzlich neben dem Klassenleiter stand. Wie schon angekündigt wurden heute die Kandidaten für den Talente-Wettbewerb eingetragen und jetzt wollte Eve die erste Stunde nutzen, um das zu erledigen, der Lehrer würde ja doch nichts auf die Reihe bekommen. „Erschreck mich beim nächsten Mal nicht so, okay?“, meinte der Mann und richtete sich seine Brille, „Na gut, mach das, aber ich will auch noch die Hälfte der Stunde haben.“ „Hört mal alle zu, Leute!“, schrie sie durch das Klassenzimmer und platzierte sich auf den Lehrertisch, „Ich habe hier die Liste vom Talente-Wettbewerb und wenn ihr wissen wollt, wer sich noch aller eingetragen hat, dann seit jetzt leise!“ Nach ein paar Sekunden hatten alle Platz genommen und lauschten interessiert den Worten der Klassensprecherin. Herr Mazusuke fand es immer wieder erstaunlich, wie seine Klasse auf dieses Mädchen hörte. „Also, wie ich gesehen habe, sind seit gestern ein paar Schüler dazu kommen. Dass sich Takahashi angemeldet hat, wissen wir ja bereits. Jetzt stehen noch Kosuke, Heji und …“, las sie vor, machte aber jetzt eine kurze Pause, denn anscheinend konnte sie selber nicht wirklich fassen, was da auf dem Zettel stand, „… und Rico drauf.“ Als der Braunhaarige seinen Namen hörte machte er mit einer Hand eine Faust und setzte einen finsteren Blick auf. Natürlich war es klar, wer ihn auf die Liste gesetzt hatte. Alice. Nach der Schule konnte sie sich was von ihm anhören … Sein kleiner bester Freund, der einfach nur daneben saß und ihn aus dem Augenwinkel beobachtete, fragte sich, wer ihn wohl aufgeschrieben hatte. Er war es auf jeden Fall nicht gewesen, aber hoffentlich wusste das Rico auch. Hime wollte Alice eigentlich fragen, ob sie es war, aber da sonst keiner sprach, wollte sie die Stille nicht brechen und beschloss sich die Frage einfach für später aufzuheben. „Ehm … ja, also ich würde vorschlagen, da wir ja jetzt zu viele Kandidaten haben, dass wir das nach einem Ausschlussverfahren machen“, erklärte Eve weiter und setzte ein falsches Lächeln auf, um die seltsame Stimmung ein wenig aufzulockern, „Ich lese die Namen noch einmal vor und ihr zeigt dann bei denen zweien auf, die ihr nicht wollt. Aber nur zwei Mal aufzeigen, verstanden!“ Das Ergebnis gefiel Rico ganz und gar nicht. Natürlich zeigte bei ihm niemand auf, die hatten doch alle Schiss davor, sich gegen ihn zu stellen. Er hätte ihnen ja wer weiß was antun können … Also mussten jetzt Kosuke und er für ihre Klasse in den Wettstreit ziehen. Nachdem die Schule zu Ende war und sich die meisten Schüler auf den Heimweg machten, musste Hime jetzt endlich ihre Frage von vorhin loswerden. „Du Alice, sag mal, hast du Rico aufgeschrieben?“ „Was? Wie kommst du denn darauf?“, meinte sie und lachte nur, „Ich würde ihn doch nie zum Talente-Wettbewerb anmelden! Mit ihm gewinnen wir hundertprozentig nicht.“ „Sei nicht so gemein zu ihm, immerhin ist er dein Bruder!“, ermahnte sie sie und setzte anschließend eine überlegende Miene auf, „Aber wenn du es nicht warst, wer war es dann? „Weiß nicht, Nayuta vielleicht …“, sprach die Orangehaarige ihren ersten Gedanken aus, wurde dann auf einmal an der Hand gepackt und von Rico, wie sie dann erkannte, von ihrer besten Freundin weggezerrt, „Hey, spinnst du? Das tut weh!“ „Alice!“, schrie Hime ihr nur nach und merkte dann, das Nayuta plötzlich neben ihr stand, wahrscheinlich war er Rico hinterher gedackelt und wusste jetzt auch nicht, was er tun sollte, „Hast du ihn auf die Liste gesetzt?“ „Ich?“, fragte der Kleine verwundert und zeigte auf sich, „Nein, wie kommst du darauf, ich hab zwar mit ihm darüber geredet, aber er hat es mir ausdrücklich verboten. Ich stell mich nicht freiwillig gegen ihn, das kannst du mit glauben.“ „Hm, seltsam …“, meinte sie nur und sah zu, wie Alice von ihrem Bruder hinter die Schule verschleppt wurde. Da das Schulgebäude seltsamer Weise keinen Hintereingang hatte, befanden sich hinter ihm auch nie irgendwelche Schüler oder andere Leute. Nur die großen Mistkübel waren dort unter einer Überdachung platziert. Der Junge schleppte seine Schwester also zu den Mistkübeln, um sicher zu gehen, dass sie ja keiner sehen konnte. „Was denkst du dir eigentlich dabei?“, wollte er wütend von ihr wissen, nachdem sich seine Schwester etwas unsanft aus seinem Griff befreien konnte, „Ich hab dir doch gesagt, dass du mich mit dem Thema in Ruhe lassen sollst und was machst du? Du schreibst mich für diesen beschissenen Wettbewerb ein!“ „Jetzt reg dich wieder ab, ja!“, konnte das Mädchen seine Aufregung nicht verstehen und rieb sich ihre Hand, die noch immer etwas von Ricos starkem Griff weh tat, „Es gibt Schlimmeres als vor einem Publikum Gitarre zu spielen, wenn man es kann!“ „Ich habe aber absolut keinen Bock darauf!“ „Warum? Dir ist es doch egal, was die anderen von dir halten, oder? Zumindest sagst du das andauernd! Also verstehe ich nicht, worin das Problem liegt!“ „Du willst wissen, worin das Problem liegt?“, wiederholte er ihre Frage noch einmal und wurde nun noch lauter, „Ich gehe jeden Tag in diese beschissene Schule und muss mir jeden Tag die verängstigten Blicke aller Schüler ansehen, wenn ich bei ihnen vorbei gehe! Du hast ja keine Ahnung, wie beschissen es ist, zu wissen, dass dich alle in deiner Schule verachten, nur wegen einer verdammten Sache! Und du verlangst jetzt von mir, dass ich mich auf so eine beschissene Bühne stelle, meine Gitarre in die Hand nehme und mich von diesem beschissenen Publikum ausbuhen lasse? Was willst du eigentlich von mir?“ Nachdem Rico seine Ansprache beendet hatte, fing er leise und kaum merklich zu keuchen an. So viel herum zu schreien war er gar nicht gewohnt, es war anstrengend, aber er bereute es nicht. Eine Weile entgegnete ihm Alice nichts und ließ die Worte einfach nur auf sich wirken. Dass ihren Bruder das alles so mitnahm hatte sie gar nicht gewusst, oder besser gesagt, dass er so emotional wurde hätte sie nicht gedacht. Normalerweise sprach er nie über seine Gefühle und war immer so unnahbar, doch jetzt schien ihm alles doch zu viel zu werden.“ „Ich … ich will, dass du dich deinen Problemen stellst und nicht einfach davon läufst“, meinte sie dann, nachdem sie ihren gesenkten Kopf gehoben hatte und ihn nun ansah. „Ach ja? Und welche Probleme sollen das sein?“, wollte er von ihr wissen und glaubte nicht, dass sie darauf eine richtige Antwort wusste. Alice wollte schon etwas erwidern, doch plötzlich kam ein Junge, er war wahrscheinlich in der 12., vorbei, um Müllsäcke wegzuwerfen. Als er die zwei, vor allem Rico, sah, huschte er schnell bei ihnen vorbei, um möglichst bald wieder weg zu sein. „Du hast doch gerade alle erwähnt“, entgegnete sie ihm nach der kurzen Störung, worauf er sie verwundert ansah, „Du musst diesen Vorfall klären, ansonsten wird sich an den Blicken der Schüler nie etwas ändern.“ „Da gibt’s nichts zu klären …“, meinte er und wollte sich schon auf machen, um zu gehen, was seine Schwester aber ganz und gar nicht gut fand. „Siehst du, genau das meine ich! Immer wenn es um so etwas geht, läufst du weg!“, warf sie ihm vor und er blieb wirklich stehen. „Ich will nur nicht mit dir darüber reden!“, meinte er, nachdem er sich umgedreht hatte. „Du sagst ja nicht einmal Nayuta was, wer soll dir denn dann helfen?“ „Ich brauche keine Hilfe, warum kapierst du das nicht?“, ging er sie wieder an und langsam schien es so, als ob ihn das Gespräch schon die letzten Nerven kosten würde. „Weil es Unsinn ist alles alleine bewältigen zu wollen! Sag mir doch einfach was damals wirklich passiert ist, dann kann ich dir helfen!“ „Lass mich endlich damit in Ruhe! Du kennst doch die Wahrheit, ich hab’s dir schon tausend Mal erklärt und überhaupt wärst du der letzte Mensch, den ich um Hilfe bitten würde!“ Eine Weile verharrten die Geschwister in ihrer Position. Das hatte gesessen. Wortlos ging der Junge an ihr vorbei, doch diesmal versuchte sie nicht einmal ihn aufzuhalten. Sie war verletzt. Jeden Moment würde sie anfangen zu heulen, das spürte sie. Warum war er nur so zu ihr? Lag es an ihr selbst? Konnte man sich ihr einfach nicht anvertrauen? Wieso ging gerade eigentlich alles schief? Was hatte sie falsch gemacht? Ein Leben lang war sie ein nettes Mädchen gewesen, das gut in der Schule war, niemanden Probleme bereitete und anderen Leuten keine machte. Doch seit sich ihre Eltern stritten wurde sie immer verschlossener und Rico immer aggressiver und unnahbarer für sie. „Hey Rico, was ist …“, wollte Nayuta schon von seinem Kumpel wissen, als sich der Junge wieder Richtung Vordereingang der Schule und Richtung ihm selbst und Hime bewegte. „Nichts, wir gehen!“, entgegnete er ihm etwas lauter und zog ihn hinter sich her. „Ehm, aber …“, stotterte er herum und hatte Mühe seinem Freund zu folgen, „Wir sehen uns, Hime!“ „Ja, tschüss!“, schrie sie ihm nach, worauf sie erwartungsvoll zur Schule zurückblickte, doch Alice war noch nicht zu sehen … Wenige Stunden später war auch schon ein Digimon aufgetaucht, wann erlebten sie denn schon einen Tag ohne ein Monster? Auf jeden Fall machte sich Alice gerade alleine auf den Weg zum Polizeigebäude. Rennen war ihr zu anstrengend, also ritt sie auf Hutezamon, schneller ging das vor allem auch. Als das Mädchen ihr D-Maak in die Hand nahm, um nachzusehen, ob der Kampf bereits begonnen hatte, konnte sie feststellen, dass es nicht so war. Doch auf einmal erschienen zwei andere rote Punkte auf dem Display. Anscheinend hatten noch andere die Idee sich zum Kampf tragen zu lassen … „Alice, alles okay bei dir?“, wollte ihr Digimon wissen und sah sie aus dem Augenwinkel an. „Was? Ja, warum nicht?“, entgegnete sie ihm und schien etwas verwirrt über seine Frage. „Du bist in letzter Zeit so schweigsam und nachdenklich“, meinte es und konzentrierte sich jetzt wieder auf den Weg, „Das passt nicht zu dir, ich mache mir Sorgen …“ „Musst du aber nicht“, versuchte sie es zu beruhigen und streichelte seinen Hals, „Konzentrier dich einfach auf den bevorstehenden Kampf.“ Nach ein paar Minuten kam sie endlich an und anscheinend war sie die letzte. Alle waren schon da, wenn man einmal von Nayuta absah, der eh nicht mehr vorhatte zu den Kämpfen zu erscheinen. „Ich bin da“, begrüßte sie die anderen und sprang von Hutezamon runter, damit es sich kampfbereit machen konnte. „Ah, hallo Alice“, meinte ihre beste Freundin, nachdem sie sich zu ihr umgedreht hatte und lächelte sie an, „Wir wollten gerade anfangen zu kämpfen.“ Das orangehaarige Mädchen merkte, dass Baluamon und Gissimon bereits digitiert waren, die anderen mussten das noch machen. „Fikadamon digitiert zu … Flymon!“ „Acimon digitiert zu … Icemon!“ „Mantamon digitiert zu … Aalomon!“ „Takomon digitiert zu … Metalltakomon!“ Alle Monster stürzten sich in den Kampf und griffen, Digitamamon, wie das feindliche Digimon hieß, an. Als Alice die Daten des Wesens scannte, merkte sie, dass es auf dem Ultra-Level war, das konnte ja noch heiter werden. Als sie sich gerade in der Runde umsah, blieben ihre Blicke zuerst bei Ryan hängen, der gespannt den Kampf beobachtete. In der Schule war sie ihm in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen und das hatte auch gut funktioniert, aber immer bei den Digimon-Kämpfen konnte sie nicht verhindern, ihm zu begegnen. Sie gab es zu. Sie hatte Angst. Große Angst sogar. Was wenn das noch einmal passieren würde? Er schien nicht ganz zufrieden mit dem zu sein, was in der Besenkammer passiert war. Er würde sicher irgendwann wieder über sie her fallen. Nur wann? Das letzte Mal war es auch so unerwartet passiert. Aber warum tat er ihr das eigentlich an? Er wusste doch, dass sie ihn nicht mochte. Sie hatte sein Leben gerettet, da sollte er ihr doch dankbar sein. Oder wollte er sie dazu bringen, ihn zu mögen? Aber der Weißhaarige war nicht der einzige Junge, der ihr die ganze Zeit durch ihre Gedanken flog. Der Streit mit Rico hatte sie verletzt. Sehr. Und jetzt traute sie sich nicht einmal ihn anzusehen. Er war bestimmt sauer auf sie, aber sie bereute es nicht ihn auf die Liste eingeschrieben zu haben … „Hey Alice!“, schrie auf einmal Ryan, woraufhin ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief, „Wo bist du mit deinen Gedanken?“ Schon alleine seine Stimme machte ihr Angst, sie wollte nicht mit ihm reden … aber er hatte leider Recht. Ihre wirren Gedanken beeinflussten Hutezamon und das war bei so einem Kampf ganz und gar nicht gut. Aber Ryan hatte kein Recht sich zu beschweren, immerhin war er es, der sie nicht mehr in Ruhe ließ. „Hutezamon!“, schrie sie besorgt und wollte schon zu ihrem, am Boden gefallenen, Digimon hinlaufen, doch es hielt sie davon ab. „Schon okay, Alice …“, beruhigte es sie und rappelte sich wieder auf, „Ich schaff das schon.“ Das Mädchen war immer wieder gerührt, wie gut Naokimon sie kannte. Es hatte von alleine gemerkt, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte, auch wenn es manchmal ganz schön nerven konnte, war es doch der beste Partner, den sie sich vorstellen konnte. Schlussendlich schafften sie es Digitamamon zu besiegen und machten sich auf den Heimweg. Alle hatten den Kampf ohne große Schäden bestanden und von der Umgebung wurde auch nichts Weltbewegendes zerstört. Als Alice ein paar Schritte gegangen war, überholte Ryan sie plötzlich und rempelte sie leicht an. „Ups, sorry“, meinte er nur und grinste sie falsch und über die Schulter sehend an. Geschockt blieb sie stehen und starrte ihm entgeistert nach. Das war reine Absicht gewesen. Wenn er sich jetzt umdrehen würde, würde er sie bestimmt auslachen. Wenn er jetzt ihr Gesicht sehen würde, würde er sich nur etwas darauf einbilden und noch überheblicher werden. Aber zum Glück ging er einfach weiter, ohne sie noch einmal anzuschauen. Wenn das so weiter ging, würde sie noch verrückt werden … Naokimon, das wieder, wie auch die anderen Digimon, zurückdigitiert war, saß nur neben seinem Partner und schaute unschuldig zu ihm rauf. Dann schmiegte es sich an den Fuß des Mädchens, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Hime wollte gerade zu ihrer besten Freundin gehen, um sie zu fragen, was los war, doch irgendwer hielt sie an ihrer Hand fest. Als sie sich umdrehte, um zu sehen, wer das war, stellte sie fest, dass es Shunichi war. „Hey“, meinte er nur und blickte in das überraschte Gesicht des Mädchens, „Können wir reden?“ „Ehm …“, entgegnete sie ihm nur etwas überfordert, riss sich dann aber zusammen, „Ja, klar. Was ist denn?“ Seitdem der Schwarzhaarige ihr das mit seiner Freundin erzählt hatte, hatten sie sich nicht mehr getroffen oder alleine mit einander gesprochen. Hime hatte Angst, dass er wusste, was sie ihm damals sagen wollte. Das purpurhaarige Mädchen stand ihm jetzt gegenüber, schaute sich aber vorher noch einmal um, um zu schauen, ob eh niemand mehr da war. Sie waren allein, sogar Alice war nicht mehr da. Nur ihre Digimon standen daneben und lauschten ihrem Gespräch. „Du … du bist einfach so schnell gegangen, als ich dir von Yui erzählt habe“, fing er an zu erklären und sah betrübt zu Boden anscheinend war ihm diese Situation auch nicht ganz angenehm, „Ich wollte nur wissen, ob du ein Problem mit ihr hast oder so …“ „Nein, es ist alles okay“, beruhigte sie ihn und lächelte ihn an, „Ich fühlte mich nur ein wenig … überrumpelt, das ist alles.“ „Wie meinst du das?“, fragte er verwirrt und hob seinen Kopf, um ihr in die Augen zu sehen. „Es ist schon wieder zwei Jahre her, seit zu deine letzte Freundin hattest und das war nicht wirklich eine ernsthafte Beziehung“, erklärte sie ihm, lächelte aber noch immer, „Es ist ungewohnt, das es jetzt noch ein Mädchen in deinem Leben gibt, du hast mich die letzten zwei Jahre einfach zu sehr verwöhnt.“ „Ich werde dich nicht vernachlässigen, versprochen!“, meinte er entschlossen und ergriff ihre Hände. „Gut, schön zu hören“, antwortete sie und bekam bei dieser Berührung Herzklopfen. Sie schaffte es nicht länger, ihm ins Gesicht zu sehen, ohne rot zu werden, also wandte sie ihren Blick ab. Langsam entfernte sie seine Hände von ihren, worauf er verwirrt zu sein schien. „Was ist los? Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?“ „Nein, aber sowas sollten wir in nächster Zeit lieber lassen“, meinte sie und drehte sich um, um zu gehen, „Deine Freundin wird sicher leicht eifersüchtig.“ „Woher willst du das wissen?“ „Ist doch bei jedem Mädchen so“, meinte sie, nachdem sie sich noch einmal umgedreht hatte und ihn angrinste. „Hätt ich fast vergessen“, entgegnete er ihr, schmunzelte sie an und hob die Hand zum Abschied, „Bis dann!“ „Ja, bis dann!“ „Hime ist echt ein nettes Mädchen“, merkte Mantamon an und sprang Shunichi auf den Kopf. „Ja, das ist sie wirklich.“ Es war schon ziemlich spät, als Ricos und Alice‘ Mutter im Wohnzimmer das Licht anmachte und hektisch ins Vorzimmer lief, um sich ihre Schuhe anzuziehen. Natürlich war ihr Vater nicht zu Hause, der saß wahrscheinlich wieder in irgendeiner Bar und begnügte sich mit irgendwelchen dahergelaufenen Nutten. Schnell schlüpfte die Frau in ihre Stiefel und stellte anschließend die Alkoholflasche auf den Boden ab, um sich einen Mantel anzuziehen. Nachdem sie das getan hatte, wollte sie zu ihren Autoschlüssel greifen, die auf einem kleinen Tisch neben der Tür lagen, doch sie wurde von einer starken Hand am Arm gepackt. „Lass mich los, Rico!“, brüllte die Frau und versuchte sich loszumachen, doch der Junge ließ nicht locker. „In deinem Zustand kannst du nicht Autofahren“, erklärte er ihr und sah sie böse an, „Wenn du schon so spät noch weggehst, dann geh zu Fuß.“ „Ich lass mir doch von meinem Sohn nicht vorschreiben, wie ich mich zu benehmen habe!“, schrie sie wieder und prügelte mit ihrer freien Hand auf seine ein, doch das half auch nichts. „Solltest du aber, im Moment bin ich der Vernünftigere von uns zwei“, meinte er und konnte beobachten, wie sich seine Mutter nach etwas umsah, das ihr in ihrer Lage helfen konnte. „Ach ja? So etwas muss ich mir von dir nicht vorwerfen lassen!“, entgegnete sie ihm darauf und griff schnell zu der Blumenvase, die sich neben den Autoschlüssel befand. Rico konnte gar nicht so schnell reagieren, denn er hätte nicht gedacht, dass seine Mutter das wirklich machen würde. Die Frau hatte nun die Vase, die aus Glas bestand, in der Hand, holte, so weit es eben ging, aus und schlug sie gegen den Arm ihres Sohnes, der sie festgehalten hatte, es jetzt aber nicht mehr tat. Er konnte den Aufprall des Gefäßes und jede einzelne Scherbe, die jetzt in seiner Haut steckte, genau spüren. Es tat verdammt weh, doch das schien seine Mutter nicht im Geringsten zu interessieren. Blitzartig riss sie die Wohnungstür auf, um wenige Sekunden später zu verschwinden. Sie hatte sogar die Schlüssel und ihre Flasche stehen lasse, anscheinend wollte sie so schnell wie möglich weg. Der Junge wollte sich jetzt aber keine Gedanken um seine Mutter machen. Er musste sich um sich selbst kümmer, doch was sollte er tun? Reflexartig hatte er mit seiner nicht verletzten Hand auf die Wunde gegriffen, doch er hatte vergessen, dass ihm ja noch immer Scherben im Arm steckten, es schmerzte nämlich noch mehr als zuvor. Also ließ er sich an der nächst besten Mauer am Boden gleiten und fing an die Splitter herauszuziehen. Bei jedem Stück musste er sich anstrengen, um Laute des Schmerzes zurückzuhalten. Es tat einfach nur weh. Doch obwohl er sich bemüht hatte leise zu sein, war schon Alice mit einem Erste-Hilfe-Kasten im Anmarsch und schmiss sich neben ihn auf den Boden. Wortlos nahm sie ihm den verletzten Arm weg und holte mit einer Pinzette und einer Taschenlampe die restlichen Scherben heraus. Nachdem sie glaubte, alle zu haben, desinfizierte sie die Wunde. Als sie mit dem kleinen Tuch seine Haut berührte, konnte er einen Laut des Schmerzes nicht zurückhalten. „Stell dich nicht so an …“, meinte sie nur und machte ohne Pause weiter, „Du bist ja selber Schuld …“ Seit ihrem Streit hatten sie kein Wort mit einander gewechselt. Beide waren sauer auf den anderen und obwohl er eigentlich zu ihr gesagt hatte, dass er ihre Hilfe nicht wollte, war sie jetzt für ihn da. „Immer musst du dich in solche Sachen verwickeln lassen …“, hielt sie ihm vor, als sie gerade dabei war seinen Arm einzubandagieren, „… du Idiot.“ Der Junge konnte plötzlich eine nasse Stelle, neben dem Blut, das durch die Fasche drang, wahrnehmen. Weinte seine Schwester etwa? Hatte er sie so verletzt? „Tut … tut mir Leid …“, entschuldigte er sich auf einmal leise, worauf keiner mehr etwas sagte. Alice wusste nicht, was ihm genau Leid tat. Das was er hinter der Schule zu ihr gesagt hatte, oder dass er immer so leichtsinnig war und immer irgendwelche Verletzungen hatte. Aber das war ja auch egal, er hatte sich entschuldig und das war ihr schon genug. Schnell wischte sie sich mit ihrem Arm über ihre Augen, um ihre letzten Tränen wegzumachen. Am nächsten Morgen hatte die 10-C in der vierten Stunde Mathe bei einem sehr strengen Lehrer. Niemand konnte ihn sonderlich gut leiden und er war auch nicht sehr angetan von der Klasse, aber so etwas kam ja mal vor. „Schlagt eure Bücher auf Seite 54 auf“, forderte der Mann seine Schüler auf, nachdem er den Raum betreten hatte, „Ich will gleich mit den Übungsbeispielen zu dem Thema, das wir gestern durchgenommen haben, anfangen.“ Sofort nahmen alle ihre Plätze ein und es war mucksmäuschenstill. Die Jugendlichen folgten den Anweisungen des Lehrers, während er sich auf seinen Stuhl setzte und sich einmal umsah, wer aller da war, doch als ihm Rico, der in der Jacke da saß, unter die Augen kam, hatte er gleich etwas zu meckern. „Yurioka …“, leitete er seine Beschwerde ein und erhob sich wieder, „Warum tragen Sie eine Jacke im Unterricht?“ „Mir ist kalt“, entgegnete er ihm nur knapp und erwiderte seinen bösen Blick. „Es sollte jedem Schüler bekannt sein, dass es untersagt ist, während des Unterrichts eine Jacke zu tragen“, ließ er sich nicht einschüchtern und ging auf den Jungen zu. „Mir ist es ja auch bekannt“, antwortete er ihm unhöflich und stützte sich mit seinen Ellbogen auf dem Tisch ab. „Und warum tragen Sie dann eine?“ „Hab ich Ihnen schon gesagt.“ Nayuta wusste nicht, was mit ihm los war. Es war zwar nichts Ungewöhnliches, das Rico Zoff mit den Lehrern hatte, aber das er es so darauf anlegte, war erst seit kurzer Zeit. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm … „Ziehen Sie die Jacke aus Yurioka, das ist keine Bitte, sondern ein Befehl!“, meinte der Mann wütend und verschränkte die Arme. „Und wenn ich aber nicht will?“, meinte er und sah ihn herausfordernd an. „Dann werden Sie jetzt gleich zum Direktor gehen und eine neue Schulordnung verlangen.“ Auf das hatte der Braunhaarige noch weniger Bock. Ihm blieb nichts anderes übrig, als nachzugeben, auch wenn er das eigentlich verhindern wollte. Während er einen Laut des Genervtseins ausstieß, zog er sich seine Jacke aus und hang sie hinter sich auf den Sessel. Als er sich umgedreht hatte, hatte er in die verdutzten Gesichter seiner Mitschüler geschaut. Natürlich waren sie geschockt und dass sie das sahen, verbesserte seinen Ruf bestimmt nicht. Der Lehrer schien so etwas ebenfalls nicht erwartet zu haben und starrte, als der Junge wieder normal da saß, auf dessen Arm, der mit einer Fasche eingewickelt war. Der Verband hatte die Farbe des Blutes angenommen und auch die Stellen, die nicht von der Bandage bedeckt waren, waren blutig. „Na gut“, meinte der Lehrer nur, nachdem er sich, nach ein paar Sekunden des Starrens, von ihm abgewendet und umgedreht hatte, um wieder zu seinem Tisch zu gehen, „Toboe, machen Sie bitte das erste Beispiel.“ „Ja!“, meinte der angesprochene Junge nur und las einmal vor. Das war typisch. Jeden anderen Schüler hätte er zur Schulärztin geschickt, aber nicht ihn. Er war ja Rico Yurioka. Er war ja der Schüler, der ein Mädchen belästigt und einen Lehrer zusammen geschlagen hatte. Um ihn musste man sich ja nicht kümmern. Das konnte er ja selbst. Wie ihn diese ganze Schule anpisste. „Was … was hast du da eigentlich gemacht?“, fragte Nayuta seinen Kumpel nach der Schule auf dem Heimweg und meinte natürlich seinen Arm, „Und komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden, ich will die Wahrheit wissen, klar!“ „Ich bin am Asphalt gestolpert und blöd auf meinen Arm gefallen, das ist alles …“, entgegnete er ihm nur, doch der Kleine schien nicht wirklich zufrieden mit der Antwort zu sein. „Ach ja? Und warum ist der Verband dann so blutig?“ „Gestern habe ich ihn mir rauf gegeben. Und in der Nacht habe ich mich oft umgedreht und bin wahrscheinlich blöd gelegen, sodass die Wunde wieder zu bluten angefangen hat“, erklärte er ihm, wenigstens damit log er ihn nicht an, „In der Früh wollte ich den Verband eigentlich noch wechseln, aber da ich so spät dran war, hatte ich keine Zeit mehr dazu.“ „Das erklärt auch die Sache mit der Jacke …“, konnte sein Freund verstehen und war schon wieder dabei, ihm die Geschichte zu glauben, doch dann kam er wieder zur Vernunft, „Ach komm schon! Kein Mensch verletzt sich so seinen Arm, wenn er stolpert! Auch wenn’s am Asphalt ist!“ „Wenn du auf’s Knie fällst blutet es doch auch.“ „Das ist was anderes, am Knie ist die Haut viel dünner, als am Arm und überhaupt geht das gar nicht, dass man so blöd aufkommt, dass man sich den Arm so arg verletzt!“, hinterfragte er seine Erklärung und war nicht gewillt nachzugeben. „Alles geht, siehst du doch …“ „Du treibst mich in den Wahnsinn, weißt du das?!“ „Ja, aber jetzt müssen wir uns leider verabschieden“, meinte der Junge und spielte auf ihre Heimwege an, die sich hier trennten, „Bis dann.“ „Nein, du rennst jetzt nicht weg, wir reden jetzt mit einander“, meinte Nayuta verstört und wollte ihm schon hinterher gehen, doch er blieb sowieso nicht stehen, „Rico!“ Immer wieder dasselbe Theater. Nayuta wollte über etwas reden, das mit seinem besten Freund zu tun hatte und er lief weg. Über die Probleme des Kleinen mussten sie immer reden, er musste ihm ja alles erzählen, doch er selbst durfte Rico nie auf seine Probleme ansprechen, dann konnte er das Gespräch gleich vergessen. Er hatte ja nicht die Stärke dazu, sich gegen ihn durchzusetzen … Irgendwie wird DD immer brutaler, ich hoffe, dass macht nicht allzu viel, ich steh nämlich drauf sowas zu schreiben ^^ Ich hoffe auch, dass diese Depri-Stimmung irgendwann weggeht, aber ich bezweifle es irgendwie … Kiripurin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)