Tränen verbinden von Kiajira (... und Tränen können Geheimnisse aufdecken ...) ================================================================================ Prolog: Zusammen und doch einsam -------------------------------- Hallo alle zusammen! Schön, dass ihr da seid! Disclaimer: Die Welt von Harry Potter hat Rowling ja immer noch nicht hergegeben, also gehört mir leider mal wieder nichts außer der Idee und ich bekomme auch kein Geld dafür. Aber vielleicht einen Kommi? Ich würde mich total freuen! ^^***^^***^^ Tränen verbinden Prolog - Zusammen und doch einsam Ginny rannte durch den Verbotenen Wald. Ihr Umhang wurde von den vielen Dornenbüschen zerrissen, doch es kümmerte sie nicht. Tränen vernebelten ihr die Sicht und liefen an ihren Wangen herunter. Wie konnte das nur passieren? Wie konnte Harry ihr das nur antun? Sie rannte nur noch schneller. Nur weg von der Schule, nur weg von ihm. Ein Gefühlstrampel war er zwar schon immer gewesen, doch jetzt hatte er es echt übertrieben. Er hätte sie nicht anlügen dürfen. Beim Frühstück hatte er mit ihr Schluss gemacht - mit der Begründung, er habe Voldemort in seinem Kopf gespürt und wolle nicht, dass sie seinetwegen in Gefahr schwebte. Pah! Von wegen! Nach dem Unterricht hatte sie noch Luna in den Ravenclawturm begleitet, weil Luna ihr ein Buch ausleihen wollte - und war in einer Nische vor dem Gemeindschaftsraum der Ravenclaws über Harry und Cho gestolpert, eng umschlungen und sich wild küssend. Ginny blieb kurz stehen, weil sie vor Tränen nichts mehr sehen konnte, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und lief dann wieder los. Sie hatte ihnen ihren stärksten Flederwichtfluch aufgehalst und sich dann verkrümelt. Cho hatte ordentlich das Kreischen und Harry das Fluchen angefangen. Hoffentlich schlugen sie sich immer noch mit ihren Flederwichten herum. Verdient hätten sie es. Vor allem Harry. Was fand er überhaupt an einer Heulsuse wie Cho? Sie bog um eine dichte Gruppe Tannen - und rannte in jemand hinein. Der Jemand strauchelte und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Ginny lief um ihn herum und wollte schon weiter rennen, da wurde sie am Arm gepackt. Sie versuchte, sich loszureißen, schaffte es jedoch nicht. Nun hob sie zum ersten Mal den Blick und erkannte den Jemand. Es war Professor Snape. Er war wie immer in schwarz gekleidet und sah sie mit seinen ebenfalls nachtschwarzen Augen durchdringend an. "Miss Weasley", meinte er überrascht. "Was ist denn mit ihnen passiert?" Seine Stimme klang nicht annähernd so kalt, wie Ginny es im Unterricht gewohnt war. Sie schauderte. Es war nicht das erste Mal, dass sie glaubte, diese Stimme würde in ihren Kopf eindringen, so tief, wie sie selbst nicht blicken konnte. Sie schüttelte den Kopf und schwieg. "Miss Weasley, warum sind Sie hier?" Ginny hob trotzig den Kopf. "Warum sind SIE hier?", entgegnete sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. Er hielt ein Bündel hoch, aus dem es verführerisch duftete. "Ich war Kräuter sammeln. Was ist mit Ihnen? Sie haben doch hoffentlich nicht vergessen, dass Sie nicht hier sein dürften?" Ginny schauderte erneut. Sie hatte eine ellenlange Standpauke erwartet. Dieser sanfte Tadel passte gar nicht zu dem strengen und unnahbaren Professor, den sie kannte. Obwohl, streng war er zu ihr noch nie gewesen. Sie wusste, wann sie in seinem Unterricht reden sollte und wann nicht, sie erledigte ihre Arbeit augenscheinlich zu seiner Zufriedenheit und sie legte sich nicht mit 'seinen' Slytherins an. Alles, was es brauchte, um einen Professor Snape davon abzuhalten, jemanden nicht zu mögen. Er hatte nie einen Grund gehabt, ihr Punkte abzuziehen oder ihr eine Strafarbeit aufzubrummen, und so war sie vermutlich die Griffindor, die am wenigsten unter seinen Launen zu leiden hatte. Ginny schniefte und antwortete sehr leise: "Ich wollte alleine sein." Snape nickte langsam. "Ich kann Sie verstehen. Manchmal komme ich auch hierher, wenn ich meine Ruhe haben will. Aber deswegen heiße ich es noch lange nicht gut, wenn Sie sich dort herumtreiben, wo Sie nicht sein dürften. Potter färbt doch hoffentlich nicht ab, hoffe ich." Ginny schluchzte auf und brach wieder in Tränen aus. Snape stand etwas verloren daneben und schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte. Schließlich legte er Ginny vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Ginny erstarrte. Ihr liefen immer noch unaufhörlich Tränen über das Gesicht, doch ihre Trauer und Wut hatte sich ein wenig beruhigt. Snapes Hand lag immer noch auf ihrer Schulter. Sie war viel wärmer, als Ginny gedacht hatte, und flößte ihr auf eine seltsame Art und Weise wieder Ruhe ein. Sie atmete tief durch, konnte die Tränen jedoch immer noch nicht stoppen. Jetzt ging Snape vor ihr in die Hocke, Schmerz in seinem Gesicht geschrieben. "Nicht weinen", meinte er leise. Seine Stimme klang fast sanft und fand offenbar den Weg zu Ginny. Sie spürte ein Kribbeln in ihrem Bauch, das sie nicht recht zuordnen konnte. Sie schluckte. "Ich kann es nicht sehen, wenn du weinst." Jetzt lief es Ginny kalt den Rücken hinunter. Diese Stimme... Sie war so anders, als alles, was sie je gehört hatte. Sie klang sanft und leicht, gleichzeitig lastete auf ihr ein ungeheures Gewicht, als würde es Snape eine große Anstrengung kosten, diese Worte von sich zu geben. Doch er nahm diese Anstrengung offenbar in Kauf, um ihr mitzuteilen, dass er sie nicht weinen sehen konnte... Ginny wusste sofort, dass er nicht log. Diese Stimme konnte nicht lügen. Sie hob den Kopf und blickte in Snapes schwarze Augen, nur um sich sofort in ihnen zu verlieren. Es war, als täte sich ein unendlich tiefer Abgrund auf und sie fiel... Direkt in ein Meer aus Schmerz, aus Trauer und Einsamkeit. Dieses schwarze Meer füllte ihn ganz und gar aus, und in dem Moment, in dem sie hin einfiel, lief es über. Eine einsame Träne stahl sich auf Snapes Gesicht. Ginny schluckte, dann nahm sie sich ein Herz und flüsterte: "Du musst mich nicht trösten. Du hast es schon schwer genug." Normalerweise hätte es Strafen gehagelt, wenn sie Snape geduzt hätte, doch hier fühlte es sich seltsamerweise richtig an. Snapes Blick klärte sich wieder und er schüttelte den Kopf. "Und wenn ich es will?" Wieder kribbelte es in Ginnys Bauch. Snape wollte sie trösten... Im nächsten Moment spürte sie, wie ein langer Finger ihr vorsichtig über die Wange strich und die Tränen abtupfte. "Warum?" Snape schwieg und legte ihr auch seine andere Hand auf die Schulter. "Mach die Augen zu", flüsterte er. Ginny holte noch einmal tief Luft, bevor sie gehorchte. Nach einem Atemzug spürte sie, wie weiche Lippen sanft ihre Stirn berührten. Sie riss die Augen auf. Vor ihr kniete Snape und sah sie unverwandt mit diesem unendlich traurigen Blick an, der ihr tief in die Seele drang. "Warum?", wollte sie erneut leise wissen. Doch Snape schüttelte den Kopf. "Besser, wenn du es noch nicht erfährt", meinte er ebenso leise. Mit einer fließenden Bewegung hatte er sich wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet und Ginny stellte erschrocken fest, dass seine Augen sich wieder vor der Welt verschlossen zu haben schienen. Er blickte genauso kalt wie jedes Mal, wenn sie ihn im Schloss sah. "Nun, Miss Weasley, ich hoffe, Sie wissen, dass es nicht sonderlich angenehme Konsequenzen geben wird, wenn Sie auch nur ein Wort über unsere ... Unterhaltung hier verlieren. Sie sind in den Wald gelaufen und ich sammle Sie wieder ein und bringe Sie zum Schloss zurück, bevor Sie vermisst werden, das ist alles. Und machen Sie sich nichts vor, ich werde Sie auf jeden Fall dafür bestrafen, dass Sie unerlaubter Weise hier waren. Kommen Sie!" Ginny folgte Snape wie betäubt zum Schloss zurück. Sie wusste nicht recht, was sie von ihm halten sollte. Kapitel 1: Wut und Ignoranz --------------------------- Kapitel 1: Wut und Ignoranz Als Ginny am nächsten Morgen die Große Halle betrat, fühlte sie sich beobachtet. Sie ließ den Blick schweifen und fand den Harrys, der sie zerknirscht ansah. Ihr Herz schlug einen Salto. Wie gerne hätte sie ihm verziehen, doch sie konnte es nicht. Sie erwiderte den Blick traurig und schüttelte den Kopf. Schon im nächsten Moment huschten seine Augen davon, in Richtung Ravenclaw-Tisch. Ginny folgte ihnen und entdeckte Cho. Sie schluckte und blickte wieder zu Harry. Als sich ihre Blicke das nächste Mal trafen, zog sie die Augenbrauen hoch und setzte eine hochmütige Miene auf, auch wenn ihr das reichlich schwer fiel. Sie kämpfte die aufsteigenden Tränen zurück und setzte sich rasch neben Jeanna, ihre beste Freundin. Jeanna warf ihr einen mitleidigen Blick zu. "Du siehst aus, als wäre dir sonstwas über die Leber gelaufen. Schlecht geschlafen, Gin?" Ginny schüttelte den Kopf und schüttete sich Kaffee ein. "Harry hat eine andere. Ich hab ihm gestern den Laufpass gegeben." Jeanna fiel das Brötchen aus der Hand. "WAS? Du Arme! Wer ist denn die Glückliche?" "Cho Chang", antwortete Ginny bitter. Jeanna legte ihr die Hand auf die Schulter. "Wenn ich dir irgendwie helfen kann - sag es mir, ja?" Ginny nickte abwesend. "Danke." Ihr Blick wanderte ziellos durch die Halle und blieb am Lehrertisch hängen. Professor Dumbledore unterhielt sich mit Professor Sprout auf seiner linken Seite. Rechts von ihm war Professor McGonagall anscheinend sehr beschäftigt damit, Professor Snape in ein Gespräch zu verwickeln, allerdings nicht sehr erfolgreich. Er sah sie nicht einmal an, sondern starrte finster in seinen Kaffee. Nach einer Weile hob er ganz plötzlich den Kopf - und blickte Ginny direkt an. Ginny schluckte schwer, hielt dem Blick jedoch stand. Snapes Miene verdüsterte sich nur noch mehr, falls das möglich war, und er sah Ginny jetzt mit so viel unterdrückter Wut an, dass sie zusammen zuckte und sich rasch wieder über ihren Teller beugte. Jeanna musterte sie stirnrunzelnd. "Was ist jetzt schon wieder?" Ginny hob den Blick nicht, als sie antwortete: "Die Fledermaus hat wieder ihren Todesblick drauf." Jeanna sah auf, zuckte zusammen und duckte sich auch gleich wieder. "Oh ja, ist diesmal wirklich übel." Sie schüttelte sich. Ginny war mit den Gedanken jedoch schon wieder woanders. Die 'Fledermaus', wie Jeanna sie gerne nannte, war gestern so anders gewesen als sonst. So, als befände sich unter der harten Schale direkt so etwas wie Gefühle. Unerwiderte, immer wieder enttäuschte Gefühle, die einen unglaublich großen Frust und eine Gleichgültigkeit geschaffen hatten, hinter der er sich versteckte. Doch wieso war er ausgerechnet bei ihr aus seinem Versteck gekommen? Wieso hatte er sie getröstet? Wollte er vielleicht nicht, dass sie auch so frustriert wurde wie er? Aber darauf wiederum fragte sie sich: Warum gerade ich? Vielleicht war sie einfach an der falschen Zeit am falschen Ort gewesen und er war schon kurz vorm Platzen. Aber dann hätte er sie doch nicht aufgehalten, sondern sie verschwinden lassen, damit er seine Ruhe hatte. Warum? Ginny seufzte schwer. Sie verstand es nicht. Und sie war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt wollte. An diesem Tag lauschte sie den Lehrern nur mit einem Ohr, während sie vergeblich versuchte, den Aufruhr in ihrem Inneren zu beseitigen. Sie hegte auf der einen Seiten immer noch eine wahnsinnige Wut gegen Harry. Wie konnte er es wagen, ein anderes Mädchen zu küssen, nachdem er nicht wirklich Schluss mit ihr gemacht hatte, sondern sie auf irgendwann in ferner Zukunft vertröstet hatte, wenn Voldemort nicht mehr wäre? Warum hatte er sie angelogen? Hatte sie ihm wirklich so wenig bedeutet, dass er ihr die Wahrheit erzählen konnte? Oder war er einfach zu feige gewesen? Unsinn, ein Harry Potter war nicht feige. Oder? Ginny war sich mittlerweile nicht mehr sicher. Auf alle Fälle hatte sein Verhalten sie so sehr verletzt, dass sie ihn am liebsten kurz und klein gehext hätte. Auf der anderen Seite jedoch vermisste sie ihn jetzt schon. Sie hatte ihn geliebt, von dem Moment an, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Sie war ihm immer noch unendlich dankbar dafür, dass er sie aus der Kammer des Schreckens gerettet hatte. Sie hatte es geliebt, mit ihm zusammen den wilden Snidgets in den Wäldern um den Fuchsbau hinterher zu jagen und dabei immer wieder seinen Weg zu schneiden, sodass er trotz Feuerblitz nicht besser war als sie. Sie hatte es sogar geliebt, mit ihm in der Bibliothek über dicken Wälzern zu brüten und dabei die Lehrer zu verfluchen. Es konnte nicht einfach vorbei sein. Es durfte nicht einfach vorbei sein! Doch dann stand ihr wieder ein Bild vor Augen: Harry und Cho, eng umschlungen, sich wild küssend. Ginny war sich sicher, dass, wenn sie nicht dazwischen gekommen wäre, es nicht mehr lange beim Küssen geblieben wäre. Sie ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen, während sich ihre Augen ohne ihr Zutun mit Tränen füllten. Zum Glück hatte sie gerade Geschichte der Magie und ihre Verzweiflung blieb unbemerkt. Als sie den beiden ihren schlimmsten Flederwichtfluch auf den Hals gejagt hatte, hatte Harry fluchend um sich geschlagen und gerufen: "Es ist nicht so, wie du denkst, Ginny!" Ginnys Fingernägel pressten sich schmerzhaft in ihre Handflächen. Von wie vielen Jungen hatte sie das jetzt schon gehört? Und wie viele von diesen Jungen waren treu gewesen, nachdem sie ihnen verziehen hatte? Nein, sie hatte schon viel zu oft verziehen. Sie musste einem Jungen vertrauen können, musste wissen, dass er immer ehrlich zu ihr wahr, bevor sie ihm ihr Herz schenken konnte. Von einem wirklich anständigen Freund erwartete sie, dass er, wenn sie ihn bei einem Seitensprung erwischte, ehrlich zu ihr war, es nicht abstritt, sie um Verzeihung bat und ihr versprach, dass es nicht wieder vorkommen würde. Doch so ein Junge war ihr noch nicht untergekommen. Zuerst hatte sie gedacht, es wäre Harry, doch sie war wieder enttäuscht worden. Er war auch nicht besser als ihre früheren Freunde gewesen. Und das schmerzte. Die anderen Jungs waren so eine Art Zwischenlösung gewesen, solange Harry in ihr nur die Schwester von seinem besten Freund sah. Sie hatte die ganze Zeit auf ihn gehofft, auf ihn allein. Und nun wurde sie auf brutalste Art und Weise enttäuscht. Ginny schluckte und blinzelte, doch sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie quollen aus ihren Augen und rannen still ihre Wangen hinunter. Sie wischte sie unwirsch weg, doch Professor McGonagall, bei der sie gerade Verwandlung hatte, sah es trotzdem. "Miss Weasley, fühlen Sie sich nicht wohl?" Ginny sah auf. "Das ist doch offensichtlich, oder?", gab sie patzig zurück und schniefte. Professor McGonagall seufzte. "Gehen Sie eine Weile vor die Tür, bis es Ihnen besser geht. Soll jemand Sie begleiten?" Ginny schüttelte den Kopf und lief so schnell wie möglich nach draußen auf den kalten Korridor. Die besorgten Blicke ihrer Lehrerin und ihrer Klassenkameraden folgten ihr. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, schluchzte sie laut auf. Sie krabbelte in eine kleine Fensternische, umklammerte die Knie mit den Armen und bettete den Kopf drauf. Jetzt erst konnte sie ungehemmt alle Wut und Trauer in Tränen fassen und heraus lassen. Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß und in einem Meer aus Verzweiflung gegen das Ertrinken kämpfte, bis sie jemand ansprach. "Miss Weasley, was tun Sie da?" Sie zuckte furchtbar zusammen. Auf diese Stimme war sie nicht vorbereitet gewesen, mit all ihrer Kälte und Schärfe. Langsam hob sie den Kopf. Vor ihr stand Professor Snape. "Was wollen Sie?", fragte sie weinerlich. "Sehen Sie denn nicht, dass ich alleine sein will?" Snape zog die Augenbrauen hoch und ein spöttischer Zug legte sich um seine Mundwinkel. "Wissen Sie denn nicht, dass Sie im Unterricht sein müssten?" Seine Stimme war hart und kalt wie jeher, nicht ein Hauch Mitgefühl schwang darin mit. Ginny wischte sich mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht und antwortete trotzig: "Professor McGonagall hat mich vor die Tür geschickt, bis es mir wieder besser geht. Wären Sie nun so freundlich, mich in Ruhe zu lassen?" Snapes Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher und verschwanden fast unter seinem tiefschwarzen Haaransatz. "Nein. Sie sollten mittlerweile wissen, dass ich kein freundlicher Mensch bin, Miss Weasley. Sie sind weiß Gott lange genug auf dieser Anstalt hier, um meine Erziehungsmethoden zu kennen. Sie haben noch eine Strafe abzusitzen, schon vergessen?" Stumm schüttelte Ginny den Kopf, immer noch vergeblich bemüht, ihre Fassung wieder zu bekommen. "Sie werden meine persönlichen Vorratsschränke wieder auffüllen, und zwar mit handgepflückten Pflanzen aus dem Wald oder vom Seeufer. Das dürfte eine Weile dauern. Bis dahin ist Ihnen der Zutritt zum Wald erlaubt." Ginny nickte, immer noch stumm. Sie fürchtete, wenn sie sprach, könnte sie wieder in Tränen ausbrechen. "Und Sie werden heute damit beginnen, haben Sie verstanden? Bringen Sie mir Schleierkraut. Es wächst auf Lichtungen und am Waldrand. Aber glauben Sie nicht, dass ich Ihnen immer Tipps gebe! Am morgen werden Sie selbst suchen müssen. Es sei denn, Sie sind so schlau und wissen bereits, wo Sie gefragte Zutat finden können. Aber so wie ich Sie kenne, wird das nicht der Fall sein. In ihrem Kopf ist doch nur Platz für pubertierende, picklige Jungen, die Sie mit ihrem zweifelhaften Charme eingewickelt haben." Ginny wurde es plötzlich siedend heiß. Wie konnte er nur? Im Nu war sie aus ihrer Nische heraus geklettert, stellte sich vor ihn hin und stemmte wütend die Hände in die Hüften. "Was unterstellen Sie mir da? Und warum beleidigen Sie mich, wenn Sie mich doch sowieso schon bestraft haben?", fauchte sie. Snape verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich unterstelle Ihnen, was ich will. Und ich beleidige Sie wann ich will, wie ich will und wie oft ich will. Zwanzig Punkte Abzug für Gryffindor wegen unverschämter Respektlosigkeit. Und jetzt machen Sie, dass Sie in den Unterricht zurückkommen! Ich warte heute Abend um neun in meinem Büro auf das Schleierkraut. Und ich warne Sie: Wenn Sie nicht pünktlich sind, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken!" Damit rauschte er davon. Ginny stand fassungslos da, wo er sie stehen gelassen hatte. Am Ende des Korridors blieb er noch einmal stehen, wirbelte herum und rief: "Sie sind ja immer noch nicht im Unterricht! Gehen Sie, oder ich mache Ihnen Beine!" Ginny sah noch einen Moment zu ihm hinüber, wie er um die Ecke eilte, dann setzte sie sich wieder in die Fensternische. Sie konnte noch nicht ins Klassenzimmer zurück. Das musste sie erstmal verdauen. Kapitel 2: Schleierkraut ------------------------ Kapitel 2: Schleierkraut Als Ginny aus dem Wald trat, schickte die Sonne gerade ihre letzten orangefarbenen Strahlen über den wolkenlosen Himmel. Die Grillen zirpten in den Büschen, die in einer leichten Brise rauschten. Der See lag ganz still da und spiegelte das warme Bild der untergehenden Sonne. Die ersten Katzen strichen durch das Unterholz, auf der Suche nach Beute, und die Eulen begannen zu kreisen, Ausschau auf Mäuse haltend. Ein Haufen Schwalben drehte seine letzte Runde über dem Schloss. Es war ein Sommerabend, wie man ihn sich schöner nicht wünschen konnte. Überall auf den Ländereien konnte man ausgelassene Schüler sehen, diesmal ohne die schwarzen Umhänge. Es war einfach zu warm dafür. Wie gerne wäre Ginny jetzt zu ihnen gegangen! Sich unterhalten, spielen, herum albern, lachen, sich eine Auszeit vom Prüfungsstress nehmen... Aber nein, sie musste ja einem ganz bestimmten Professor einen Besuch abstatten. Und das auch noch in einem Büro in den Kerkern. Sie schüttelte sich und machte sich schwermütig auf den Weg. Sie hatte wirklich keine Lust, heute noch Professor Snape zu begegnen. Sie hatte die Nase voll von ihm. Warum konnte nicht alles wie noch vor einer Woche sein? Sie gingen sich beide aus dem Weg und redeten nur miteinander, wenn es wirklich nötig war. Das wäre viel einfacher gewesen. Aber so, wie die Dinge jetzt standen, brachte sie es nicht einmal fertig, ihn zu hassen für sein Benehmen am Vormittag. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, musste sie unweigerlich an den gestrigen Tag denken, wo sie ihm im Wald begegnet war. Sie betrat gedankenversunken die kühle, dunkle Eingangshalle und machte sich auf den Weg eine schmale Treppe hinunter. Warum? Diese Frage beschäftigte sie immer noch. Was hatte Snape da bloß geritten? Ginny blieb vor einer schwarzen Tür aus massivem Eichenholz stehen. Sie schluckte. Doch noch bevor sie sich dazu durchgerungen hatte, anzuklopfen, wurde die Tür aufgerissen. Snape stand vor ihr. Und er sah reichlich wütend aus. Als er sie entdeckte, winkte er sie energisch herein. Langsam betrat Ginny sein Büro. Es war dunkel und kühl, und überall an den Wänden reihten sich Glaskästen, in denen undefinierbare Dinge schwammen - bei einigen konnte sie nicht einmal sagen, ob es Tier oder Pflanze war. Sie schüttelte sich. Snape ließ hinter ihr die Tür ins Schloss krachen. "Miss Weasley, ich denke, ich habe mich heute morgen klar ausgedrückt. Wann sollten Sie wieder hier sein?" Ginny drehte sich langsam zu ihm um. "Um neun Uhr, Sir." "Und warum in alles Welt sind sie dann nicht pünktlich gekommen?" Seine Stimme klang eiskalt und bedrohlich. Ginny zuckte erschrocken zusammen. "Ich... ich habe keine Uhr, Sir... Ich dachte, es wäre erst neun. Wie spät ist es denn?" Snape verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte sie mit seinen kalten Augen an. Ginny schrumpfte noch ein paar Zentimeter. "Zu spät. Haben Sie wenigstens das Schleierkraut?" Ginny streckte zaghaft die Arme aus, in denen sie ein ansehnliches Bündel besagtes Kraut hielt. Doch Snape blickte noch grimmiger drein. "Erst kommen Sie zu spät, und dann bringen Sie mir so wenig mit? Sie hatten doch sogar mehr Zeit als eingeplant - wo zur Hölle hatten Sie ihre Augen? Das Zeug wächst überall!" Ginny schluckte und blickte zu Boden. Am liebsten hätte sie ihm einen ordentlichen Flederwichtfluch auf den Hals gejagt, doch wer weiß, was er dann mit ihr anstellen würde... "Sie werden morgen noch einmal nach dem Schleierkraut suchen. Und dann sind sie gefälligst pünktlich und kommen mit mehr Ausbeute, verstanden?" Ginny reagierte nicht. "Ob Sie verstanden haben, Miss Weasley! Und mit mehr Ausbeute meine ich mindestens das doppelte, ist das klar?" Ginny reagierte immer noch nicht und starrte stur zu Boden. "Ich habe Sie etwas gefragt! Zehn Punkte Abzug für Griffindor wegen Verweigerung einer Antwort." Jetzt reichte es Ginny. Ihr auch noch Punkte dafür abziehen, nur weil sie nicht bei seinen Demütigungen mitspielte? Das ging zu weit! Sie warf ihm das Schleierkraut vor die Füße und schrie ihn an. "Da haben Sie ihr verdammtes Schleierkraut! Und wenn Ihnen das noch nicht genug ist, dann ist das noch lange kein Grund, mich so zusammen zu pflaumen!" Ihre Augen glänzten verdächtig, doch sie fauchte weiter: "Und mir wegen so einem Mist Punkte abzuziehen, finden Sie sicher auch noch lustig, was? Meinetwegen! Aber suchen Sie sich das nächste Mal ein anderes Opfer! Ich habe Ihnen nichts getan und ich werde garantiert nicht das Ablassventil für Ihre Wut sein! Wenn Sie noch mehr Schleierkraut haben wollen, dann können Sie das auch anders sagen!" Damit riss sie die Tür auf und stürmte hinaus. °°**°°**°°**°°**°°**°° Am nächsten Tag verabschiedete sich Ginny nach dem Abendessen von Jeanna und machte sich auf den Weg in den Wald. Immer noch brodelte die Wut auf Snape in ihr. Jahrelang waren sie gut miteinander ausgekommen, jedenfalls für Snape-Verhältnisse. Warum musste er das alles kaputt machen? Sie hatte gehofft, dass sie nie den Snape erleben würde, der Hermine und Harry piesackte. Beim Gedanken an Harry zog sich ihr Herz zusammen, doch das heizte ihre Wut nur noch an. Sie hatte auf einen Waffenstillstand mit Snape bis zu ihrem UTZ gehofft. Hatte gehofft, niemals den Albtraum Snape kennen lernen zu müssen. Aber nun schien es so, als warte er jedes Mal nur darauf, sie zur Schnecke machen zu können. Und alles nur, weil er im Wald... nett gewesen war! Fast schien es ihr, als wolle er ihr beweisen, dass er definitiv nicht nett war. Ginny schüttelte den Kopf. Er konnte nett sein, wenn er wollte, das wusste sie jetzt. Er wollte nur nie. Lieber nahm er in Kauf, dass die meisten ihn nicht ausstehen konnten. Aber warum wollte er es so? Ginny wusste es nicht. Als sie an Hagrids Hütte vorbei kam, ging die Tür auf und vier Personen kamen heraus. Harry, Ron, Hermine - und Cho. Ginny hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Sie presste die Lippen aufeinander und ging weiter, ohne Hagrid zu begrüßen, der den vieren nach draußen gefolgt war. Sie war schon fast am Waldrand angekommen, da hörte sie ihn mit seiner tiefen Stimme rufen: "Hey, Ginny! Willst du in den Wald? Das darfst du nicht!" Ginny drehte sich um und rief zurück: "Doch, frag Snape! Er hat es mir erlaubt!" "Das heißt Professor Sna - WAS? Wieso das denn?" "Strafarbeit!", antwortete Ginny kurz und verschwand dann zwischen den Bäumen. Als sie außer Sichtweise der Hütte war, holte sie tief Luft. Viel länger hätte sie es nicht in Harrys Gegenwart ausgehalten. Sie atmete noch einmal tief durch, um sich zu beruhigen, dann machte sie sich auf den Weg. Nach einer Weile, in der sie kein einziges Bündel Schleierkraut gefunden hatte, knackte irgendwo in ihrer Nähe ein Zweig. Ginny erschrak. Rasch kniete sie sich hinter den nächstbesten Busch und zog den Zauberstab. Es knackte erneut. Dann brach etwas durchs Unterholz. Ginnys Herz machte einen Hüpfer, als sie das Wesen erkannte. Es war ein Einhorn. Das Fell leuchtete gleißend weiß, das Horn schillerte in allen erdenklichen Farben, und der Schweif und die Mähne glitzerten silbern. Das anmutige Tier blähte die Nüstern, witterte anscheinend etwas und sprang mit einem Satz zwischen den Bäumen davon. Ginny saß noch einen Moment still da, dann beschloss sie, den selben Weg zu nehmen. Vielleicht fraßen Einhörner ja Schleierkraut und es würde sie dorthin führen, wo genug wuchs, um Snape zum Schweigen zu bringen? Das Einhorn hatte einen gewaltigen Vorsprung, doch hier und da fand Ginny silberne Haare in den Büschen hängen, denen sie folgte. Nach einer Weile lief sie auf einer Art Trampelpfad, und die Haare wurden häufiger. Vielleicht hatte sie einen der Wege gefunden, die die Einhörner regelmäßig benutzten? Eine Weile folgte sie dem Trampelpfad so leise wie möglich, ohne das etwas geschah. Doch irgendwann konnte sie in der Ferne ein silbernes Licht erkennen. Sie schnappte nach Luft. Entweder, das waren mehrere Einhörner, oder es war ein riesiger Haufen Schleierkraut. Als sie näher kam, erkannte sie, dass beides zutraf. Das Leuchten kam von einer Lichtung, auf der haufenweise Schleierkraut wuchs. Und auf dieser Lichtung standen ein paar Einhörner und grasten. Ginny blieb stehen, dann schlich sie näher. Sie wollte die eleganten Tiere auf keinen Fall verschrecken. Doch sie war noch nicht einmal am Rand der Lichtung angekommen, da witterte eines der Einhörner sie. Es wieherte laut, warf den schönen Kopf in den Nacken und preschte durch die Bäume davon. Die anderen folgten in Sekundenschnelle. Ginny blieb unschlüssig stehen und blickte ihnen nach. Als sie nicht mehr zu sehen waren, begann sie, Schleierkraut zu pflücken. Sie hörte erst auf, als sie ein mindestens doppelt so dickes Bündel wie gestern gesammelt hatte. °°**°°**°°**°°**°°**°°**°° Snape riss die Bürotür auf. Als er Ginny erblickte, klappte ihm die Kinnlade herunter. Allerdings nur für einen kurzen Moment, dann hatte er sich wieder im Griff, winkte sie herein und meinte höhnisch: "Sehen Sie? So schwer war das doch nicht. Es erstaunt mich allerdings immer wieder, was Sie mit so wenig Grips zu Stande bringen." Ginny sackte das Herz in die Hose. Nicht schon wieder! Sie warf das Kraut auf seinen Schreibtisch und stürmte hinaus, um noch mehr Beleidigungen zu entgehen. Tränen schimmerten in ihren Augen. Als ihre Schritte verklungen waren, schloss Snape langsam die Tür. Dann teilte er das Schleierkraut in kleine Bündel auf und hängte ein paar zum Trocknen unter die Decke. Es war mehr, als er brauchte, doch es hatte sein müssen. Er konnte nicht zulassen, dass sie Verdacht schöpfte. Selbst, wenn er sie dafür so gemein wie Potter behandeln musste. Während er wieder ein Bündel aufhängte, fiel ihm etwas silbernes ins Gesicht. Er angelte es sich und hielt es ins Licht. Ein Einhornhaar. Er hätte es wissen müssen. Ginny war nicht so dumm, wie er ihr neuerdings unterstellte, das war ihm klar. Er hoffte jedoch inständig, dass sie keine Fragen stellte. Fragen, die er seit Jahren nicht mehr gestellt bekommen hatte und von denen er nicht wusste, ob er die Antworten noch über die Lippen brachte, ohne wieder so die Kontrolle zu verlieren. Von denen er nicht wusste, ob er die Antworten noch über die Lippen bringen wollte. Kapitel 3: Rinde, Bowtruckles und ein paar Gemeinheiten ------------------------------------------------------- Kapitel 3: Rinde, Bowtruckles und ein paar Gemeinheiten Jeanna blickte Ginny nachdenklich an. "Sag mal, ist irgendwas mit dir los?" Ginny stolperte und wäre fast über ihre eigenen Füße geflogen. "Was meinst du?" Die beiden waren unterwegs zum Zaubertrankunterricht. Sie durchquerten gerade die Eingangshalle und betraten die schmale Treppe zu den Kerkern. "Denkst du, das merk ich nicht? Seit Tagen bist du total geistesabwesend!" Ginnys Herz machte einen Hüpfer. Sie hatte es bemerkt? Verdammt, sie konnte ihr doch nicht erzählen, dass Snape im Wald... "Es ist Harry, nicht wahr? Kein Wunder." Ginny atmete auf. Hier wurde ihr eine Ausrede mundgerecht serviert. Doch sie wollte Jeanna auch nicht anlügen, also entschied sie sich für die halbe Wahrheit. "Ja. Er... er hat..." Im nächsten Moment verfluchte sie Jeanna. Das hier war keine Ausrede mehr. Kaum hatte Jeanna Harry erwähnt, kamen Ginny wieder die Tränen. Sie schluckte schwer. Er hatte ihr Herz gebrochen. Jeanna schien zu verstehen und legte Ginny im Gehen den Arm um die Schultern. "Entschuldige. Ich wollte dich nicht verletzen. Willst du darüber reden?" Ginny schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. "Ich weiß nicht. Aber das ist ja nicht das einzige. Seit gestern ist Snape total fies zu mir. Ich weiß gar nicht, was ich ihm getan habe!" Außer ihn einmal schwach zu sehen, fügte sie in Gedanken hinzu. Doch das konnte sie Jeanna beim besten Willen nicht erzählen. "Ach, vergiss doch die alte Fledermaus! Geh ihm einfach aus dem Weg, dann wird er dich irgendwann schon wieder in Ruhe lassen." "Das geht nicht. Ich hab bei ihm noch eine Strafe abzusitzen. Du weißt schon, er hat mich doch im Wald erwischt." Jeanna nickte. "Du Ärmste. Wie gesagt, wenn du Hilfe brauchst... Ich bin da, ja?" Ginny nickte. "Danke." Die beiden betraten das Klassenzimmer. Ginny folgte Jeanna mit gesenktem Kopf zu ihrem Platz. Snape saß schon am Pult und korrigierte irgendwelche Aufsätze. Er sah erst beim Gong auf. "Ich möchte, dass Sie alle heute selbstständig arbeiten. Sie werden alle hier" -er hielt eine kleine Schüssel hoch- "einen Zettel hineinwerfen mit dem Namen eines Tranks, den Sie gerne brauen würden. Wenn alle Zettel drin sind, wird jeder einen ziehen und mir bis zum Ende der Stunde eine Probe seines Tranks liefern. Verstanden?" Alle nickten und begannen, Tränke herauszusuchen. Ginny ließ Jeanna ihren Zettel mit nach vorne nehmen und sich auch von ihr einen mitbringen. Sie hatte absolut keine Lust, Snape nahe zu kommen. Jeanna drückte ihr einen kleinen, zusammengeknüllten Pergamentfetzen in die Hand. "Hier, dein Trank. Ich hab den Stärkungstrank. Was ist mit dir?" Ginny rollte den Zettel auseinander und erstarrte. Vielsafttrank. Mit dem würde sie nie und nimmer in einer Stunde fertig werden. Die Florfliegen alleine mussten schon drei Wochen schmoren. Und bis dahin wären schon ihre Prüfungen... Sie schluckte und meldete sich. Snapes Augen verengten sich zu Schlitzen, als er ihren Arm sah. "Ja, was ist los, Miss Weasley?" "Ich habe den Vielsafttrank bekommen, Sir. Den bekomme ich nicht einmal bis zu den ZAGs fertig. Soll ich ihn trotzdem anfangen?" Snape blitzte sie wütend an. "Natürlich sollen Sie das! Ich werde schon sehen, wie weit Sie damit kommen, ohne einen Kessel zu sprengen." Ginny senkte den Blick und schluckte. Sie hatte noch nie einen Kessel gesprengt. Das einzige Mal, dass dies passiert war, in ihrem ersten Schuljahr, war es Jeannas Kessel gewesen und nicht ihrer. Langsam begann sie zu arbeiten. Nach einer halben Stunde trat Snape vor ihren Tisch. "Arbeiten Sie immer so langsam, Miss Weasley? Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie die ZAGs in Zaubertränke nie schaffen." Ginny ballte die Hände zu Fäusten. Diesmal hatte sie ihm wirklich absolut nichts getan. "Warum glauben Sie, ich würde in Zaubertränke durchfallen? Ich stand doch bis jetzt immer auf E. Und das nach Ihrer Korrektur! Ich glaube nicht, dass ich durchfallen werde. Sie wollen mich doch bloß kleinmachen!" Snape verschränkte die Arme vor der Brust und blickte sie mit blitzenden Augen an. Ginny schluckte. Das war nicht gut. "Sie werden nach dem Unterricht für mich im Wald Zauberstabbaumrinde und Bowtruckleruten suchen gehen. Und zwar diesmal genug, haben Sie verstanden?" Ginny schnappte nach Luft und wollte gerade etwas erwidern, da fuhr Snape ihr über den Mund. "Halten Sie den Mund, Miss Weasley. Ich will nichts hören." Er wirbelte herum und schritt mit wehendem Umhang zu seinem Pult zurück. Ginnys Fäuste lösten sich langsam. Doch noch immer funkelte sie Snape zornig an. Jeanna legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm. "Ich komm mit in den Wald. Das bekommen wir schon hin. Mach dir wegen der Fledermaus mal keine Sorgen." Ginny schnaubte. Wenn es doch nur so einfach wäre. °°**°°**°°**°°**°°**°° Ginny und Jeanna gingen langsam durch den Wald. "Hast du eine Ahnung, wo die Zauberstabbäume stehen?", wollte Ginny wissen. "Ja, ich denke schon. Sie wachsen an schattigen, feuchten Orten. Wir sollten also am Waldrand beim See nachschauen. Hast du den Reis für die Bowtruckles dabei?" Ginny nickte und hielt einen kleinen Beutel hoch. "Ich werd ihn vermehren, wenn er fast alle ist." "Gut." Schweigend liefen die beiden Mädchen weiter durch den Wald, bis sie an einem schmalen Streifen Gras ankamen, dass zwischen dem Verbotenen Wald und dem See lag. Jeanna zeigte auf einen knorrigen Baum ganz in der Nähe. "Schau mal, das könnte einer sein! Die Rinde löst sich ab! Schauen wir mal nach." Sie schleifte Ginny zu dem Baum und begann, die Rinde zu begutachten. Doch kaum hatte sie den Stamm auch nur berührt, ertönte ein schrilles Kreischen und etwas kam aus dem Geäst geflogen und landete direkt auf ihrem Kopf. Das Etwas sah aus wie eine Hand voller lebendig gewordener Äste. Äste mit ziemlich scharfen, krallenähnlichen Spitzen. Ein Bowtruckle, der seinen Baum verteidigte. Ginny zuckte zusammen, als das Vieh begann, seine Krallen durch Jeannas Gesicht zu ziehen. Sie stürzte sich darauf, um Jeanna zu schützen, doch alles, was dabei herauskam, war, dass ihr Gesicht auch zerkratzt wurde. Sie schrie auf. Da hörte sie Jeanna brüllen: "Ginny, der Reis! Mach, schnell!" Ginny zuckte zusammen. Natürlich! Sie zog den Beutel aus ihren Umhang und warf eine Handvoll Reis in die Luft. Der Bowtruckle krächzte erfreut auf und begann, die Reiskörner ein zu sammeln. Rasch riss Jeanna ein Stück Rinde ab. Ginny zog ihren Zauberstab und zischte: "Petrificus totalus! Dolor nullum!" Der Bowtruckle erstarrte mitten in der Bewegung. Ginny trat zu ihm und brach ihm vorsichtig die Rute ab, einen Ast, der auf der Stirn des Geschöpfs wuchs. Dann nickte sie Jeanna zu. Die beiden Mädchen begannen zu rennen. In den Wald zurück. Nur weg von dem Bowtruckle. Irgendwann blieben sie keuchend stehen. Jeanna sprach als erste. "Wenn der wieder aufwacht, wird er stinksauer sein, aber er wird uns nicht mehr finden. Was meinst du, wie viele müssen wir noch abklappern?" Ginny blickte auf die Rute in ihrer und das Stück Rinde in Jeannas Hand. "Naja... damit Snape uns nicht kurz und klein schimpft, sicher noch fünf oder sechs Stück." Jeanna stöhnte und betastete die Kratzer in ihrem Gesicht. "Das wird lustig. Dann sollten wir mal weiter suchen, was?" Ginny nickte matt. "Ja, das sollten wir." °°**°°**°°**°°**°°**°° Als schon die Dämmerung über die Ländereien hereinbrach, tauchten zwei Gestalten am Waldrand auf. Zwei Mädchen in zerrissenen Schuluniformen, mit blutigen Kratzern im Gesicht und zerzausten roten und braunen Haaren. Die eine trug einen Haufen Rindenstücke, die andere eine Ladung Äste. Sie machten sich auf den Weg zum Schloss, betraten die Eingangshalle und bogen zu den Kerkern ab. Keine sprach auch nur ein Wort. Professor Snape war sauer. Er hatte Ginny doch ganz klar zu verstehen gegeben, dass sie heute wieder für ihn Zutaten zu sammeln hatte. Wo blieb sie nur so lange? Eigentlich wusste er, dass seine Wut auf Ginny nicht berechtigt war, doch er war nun einmal wütend. Warum hatte er sich vorgestern nur so gehen lassen, als er sie im Wald getroffen hatte? Es wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, ihr es endlich zu sagen. Doch er konnte es nicht. Er wollte es nicht. Er hatte immer gewusst, dass er es ihr eines Tages sagen müsste, doch sie würde es sicher niemals akzeptieren. Er hatte Angst davor, was sie ihm an den Kopf werfen würde, wenn sie es erfuhr. So hatte er es immer vor sich hergeschoben. Und wenn vorgestern nicht gewesen wäre, hätte er es noch ewig vor sich herschieben können, sie hätte nichts bemerkt. Jetzt aber... Ach, verdammt! Er warf frustriert die Feder beiseite. Er konnte jetzt nicht klar denken. Er war sowieso schon länger hier, als nötig. Ginny würde sowieso nicht mehr kommen. Er räumte die Aufsätze, an denen er gerade gesessen hatte, auf einen Stapel und stand auf. Er trat auf den Gang hinaus und wollte gerade die Tür absperren, da ertönten Schritte. Er wirbelte herum. Da stand Ginny mit ihrer Freundin, beide ziemlich übel zugerichtet, doch die eine hielt eine Ladung Rinde und die andere einige Ruten in ihren Armen. Ginny schluckte. Snapes Blick wanderte über ihre zerfetzten Uniformen und blieb bei ihren Gesichtern hängen. Einen Moment schien sie etwas wie Mitleid in seinen Augen zu erkennen, dann wurde sein Blick eiskalt und er zischte: "Sie sind zu spät." Er öffnete die Bürotür. "Legen Sie alles auf meinen Schreibtisch." Die beiden Mädchen gehorchten und kamen dann so schnell wie möglich wieder aus dem unheimlichen Raum heraus. Snape stand immer noch an der Tür. "Wie sehen Sie eigentlich aus? Können Sie keinen anständigen Schutzzauber anwenden?" Ginny senkte den Blick. Jeanna tat es ihr nach. Warum hatten sie nicht daran gedacht? Es wäre so einfach gewesen! "Warum haben Sie Miss Weasley geholfen, Miss Mayenne? Das war alleine Miss Weasleys Strafarbeit. Sollte das noch einmal vorkommen, werden Sie bei mir Nachsitzen müssen, wann immer Miss Weasley für mich Zutaten sammelt, ist das klar?" Jeanna nickte kleinlaut. "Gut. Miss Weasley, morgen werden Sie für mich die gesammelten Zutaten konservieren. Punkt sechs hier, und mir ist egal, ob Sie eine Uhr haben. Sie werden pünktlich sein." Er rauschte an den beiden vorbei den Gang entlang. Jeanna blickte ihm zornfunkelnd nach, doch Ginnys Blick war auf seinen Umhang gerichtet. Snape konnte sich wirklich wie eine Fledermaus benehmen. Wenn der Umhang sich so aufbauschte... In dem Moment wirbelte etwas hinter Snape zu Boden. Ein Stück Pergament, wie es schien. Jeanna machte sich jetzt auch auf den Weg zurück zur Eingangshalle. Ginny folgte ihr und bückte sich rasch nach dem Zettel. Doch bevor sie ihn sich genauer ansehen konnte, fragte Jeanna: "Kommst du?" Einen Moment lang wollte Ginny ihn ihr zeigen, doch dann besann sie sich anders, steckte das Pergament in den Umhang und folgte Jeanna in den Gemeindschaftsraum. °°**°°**°°**°°**°°**°° Ginny wälzte sich hin und her. Sie konnte tun, was sie wollte, sie konnte nicht schlafen. Sie wollte wissen, was das für ein Zettel war. Sie hatte es nicht mehr geschafft, ihn anzusehen, ohne dass Jeanna zusah. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie das nicht wollte. Doch jetzt schlief Jeanna. Ginny kroch aus dem Bett und fischte das verblichene Stück Pergament aus ihrem Umhang. Dann krabbelte sie wieder ins Bett, zog die Vorhänge zu, nahm ihren Zauberstab und murmelte: "Lumos." Es war eine Todesanzeige, wahrscheinlich aus dem Tagespropheten ausgeschnitten. Ginny erstarrte, als sie den Namen der Verstorbenen las. Ginevra Muriel Weasley geboren am 28. 4. 1959 gestorben am 1. 8. 1981 In unseren Herzen wirst du auf ewig weiterleben. Muriel und Arnold Weasley samt Familie James und Mary Weasley Molly und Arthur Weasley samt Söhne Severus Snape Kapitel 4: Ginevra ------------------ Kapitel 4: Ginevra Ginny starrte auf das Todesdatum. Es war der Tag, an dem sie auf die Welt gekommen war. Und diese Frau hatte auch noch ihren Namen getragen... Sie schluckte schwer. Das konnte doch nicht sein! Und wieso stand Snapes Name auf der Anzeige? Wieso hatte Snape diese Anzeige all die Zeit aufgehoben? Sie hielt sich das Pergament noch dichter unter die Nase, aus Angst, etwas übersehen zu haben. Doch da war nichts. Frustriert murmelte sie einen Zauberspruch. Es war einer der Sprüche, die Hermine ihr beigebracht hatte, zum Aufspüren von unsichtbarer Tinte. Eigentlich glaubte sie nicht, dass etwas geschehen würde, doch entgegen ihrer Erwartung tauchten Buchstaben auf. Direkt unter die Widmung gekritzelte Worte. Ginny erkannte die Schrift sofort. Diese Schrift zierte jeden ihrer Zaubertrank - und neuerdings auch Verteidigung gegen die dunklen Künste - Aufsätze. Snapes Schrift. Ich vergesse dich nicht. Ginny runzelte die Stirn. Diese Ginevra musste Snape viel bedeutet haben, wenn er sich zu so viel "Gefühlsduselei" hinreißen ließ. Ginny schluckte. Warum war diese Frau an ihrem Geburtstag gestorben? Sie zermarterte sich den Kopf, doch bevor sie zu einem Schluss gelangt war, fielen ihr die Augen zu und ihr Zauberstab erlosch. °°**°°**°°**°°**°°**°° Den ganzen nächsten Tag über grübelte sie weiter. Doch jedes Mal lief es darauf hinaus, dass Ginevra nur durch Zufall an ihrem Geburtstag gestorben war. Nach dem Abendessen verabschiedete sie sich von Jeanna und verließ die Große Halle. Sie hatte die Eingangshalle schon halb durchquert, da rief eine Stimme hinter ihr: "Ginny! Warte auf mich! Ich muss mit dir reden!" Ginny erstarrte für einen Moment. Dann verdüsterte sich ihre Miene. Sie drehte sich um und fauchte: "Ich wüsste nicht, was es noch zu bereden gäbe, Harry." Damit machte sie sich auf den Weg in die Kerker. Ihre Kaltblütigkeit hatte ihr wieder die Tränen in die Augen getrieben. Vor zwei Wochen noch wäre es für sie undenkbar gewesen, so unfreundlich zu Harry zu sein. Und selbst jetzt fiel es ihr noch schwer. Doch womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass Harry hinter ihr herlief. "Ginny! Warte! Lass es mich doch erklären!" Ginny lief die schmale Steintreppe so schnell es ging hinunter und zischte, ohne sich umzudrehen: "Du musst mir nichts erklären. Du hast mich nie geliebt. Und dann hast du mich abserviert, damit du frei für Cho bist. Hau ab." Sie schniefte und lief schneller. Doch Harry folgte ihr auch schneller. "Nein, Ginny, so war es nicht!" Sie wirbelte zornig herum und schrie: "Wie soll es dann gewesen sein?!" Tränen quollen aus ihren Augen. Harry wirkte etwas verloren. "Naja... also... ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat..." Ginny ballte die Hände zu Fäusten. Das war doch nicht zu fassen! "Ganz einfach! Dein Testosteron! Und jetzt lass mich in Frieden!" Sie wirbelte herum und stürmte weiter. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals den Weg zu Snapes Büro so schnell zurückgelegt zu haben. Als sie dort angekommen war und anklopfte, holte Harry sie ein. "Ginny! Was ist in dich gefahren?" Ginny wischte sich die Tränen unwirsch aus dem Gesicht und fauchte Harry dann an: "Und das fragst ausgerechnet DU?!" Sie bemerkte nicht, dass die Bürotür aufging und Snape sich vor ihr aufbaute. "Wer ist denn fremdgegangen und hat mich angelogen?! Ich würde niemals mit einem anderen Jungen rummachen, wenn ich einen festen Freund hab!" Harry wollte gerade etwas erwidern, da fiel sein Blick auf Snape hinter Ginny. Ginny folgte ihm und drehte sich um. Sie erschrak. Snape blickte verdammt sauer aus der Wäsche. "Miss Weasley, sie sollten doch alleine kommen. Fünf Pun-" "Sir, ich wollte alleine kommen, aber er ist hinter mir hergelaufen!" Snapes schwarze Augen blitzten unheilvoll. "Unterbrechen Sie mich nicht, Miss Weasley! Und jetzt rein mit Ihnen! Potter, machen Sie, dass Sie verschwinden!" °°**°°**°°**°°**°°**°° Ginny arbeitete sicher schon seit Stunden. Und immer noch war sie nicht fertig. Anscheinend hatte Snape schon vorher begonnen, haufenweise neue Zutaten zu sammeln, die Ginny nun alle abwiegen, sauber machen, abfüllen und beschriften musste. Von einigen Dingen wollte sie gar nicht wissen, wo Snape sie her hatte. Sie waren auch so schon ekelhaft genug. Flubberwurmschleim war nur ein Beispiel. Schließlich meinte Snape: "Sie können für heute gehen." Ginny seufzte erleichtert auf, wusch ihre Hände und wandte sich zum Gehen. Doch sie blieb noch einen Moment stehen und wühlte in ihrem Umhang. Snape schnaubte ungehalten. "Was ist denn noch, Miss Weasley?" Sie zog die Todesanzeige heraus und legte sie auf Snapes Schreibtisch. "Sie haben gestern etwas verloren." Damit verließ sie sein Büro. Snape erstarrte. Sie hatte die Anzeige gefunden? Eisige Kälte schien sein Herz zu umklammern. Jetzt würde sie sicher Verdacht schöpfen. Und dann wäre er geliefert. Was, wenn sie an ihre Mutter schreiben würde? Er konnte nicht zulassen, dass Molly alles ausplauderte. Entschlossen griff er nach Feder und Pergament und begann, einen Brief zu schreiben. °°**°°**°°**°°**°°**°° Ginny lag noch lange wach und überlegte, doch wieder kam sie zu keinem Schluss. Sie müsste wissen, wie diese Ginevra mit ihr verwandt war. Doch die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, war, an ihre Mutter zu schreiben. Ginny schüttelte den Kopf. Nur das nicht! So wie sie ihre Mutter kannte,würde diese wieder ein riesiges Drama daraus machen. Das tat sie immer. Ginny kuschelte sich tiefer in ihre Kissen. Morgen würde sie weiter darüber nachdenken. Jetzt nicht mehr. °°**°°**°°**°°**°°**°° Die nächsten paar Tage hielt Ginny sich von Harry und auch von Snape fern, so gut es ging, und vergrub sich in ihren Schulbüchern. Ihre ZAGs rückten näher. Auch an Ginevra Muriel verschwendete sie keinen weiteren Gedanken. Sie erledigte die Strafarbeiten für Snape so schnell wie möglich und gab ihm keine Gelegenheit, sie zusammen zu pflaumen. Die Prüfungen gingen vor. Doch nach fünf Tagen wurde sie wieder daran erinnert. Sie saß gerade beim Frühstück und unterhielt sich mit Jeanna, da kam die Post. Ginny schenkte den vielen Eulen keine große Aufmerksamkeit, doch plötzlich zeigte Jeanna nach oben. "Ginny,schau mal! Ist das nicht Errol?" Ginny hob den Blick. Und tatsächlich flatterte da inmitten der anderen Vögel ein zerrupfter, unsicherer Waldkauz und versuchte verzweifelt, nicht abzustürzen. Kein Zweifel, das war Errol, die Familieneule der Weasleys. Ginny sah fragend zu ihren Bruder Ron hinüber. Er schüttelte ratlos den Kopf. Zu wem wollte Errol, wenn nicht zu Ron? Ginny beobachtete die taumelnde Eule, wie sie durch die Halle flog. Sie steuerte geradewegs auf den Lehrertisch zu! Wem von ihren Lehrern schrieben ihre Eltern denn? In diesem Moment stürzte Errol ab und landete mitten in einem Teller voller Rührei. Snape bekam das meiste ab. Ginny musste unwillkürlich lachen. Snape mit Rührei in den Haaren sah aber auch zu komisch aus! Plötzlich traf sie jedoch Snapes Blick. Er strotzte vor unterdrückter Wut. Ginny blieb das Lachen im Hals stecken und sie wandte sich rasch wieder ihrem Essen zu. Snape schnippte mit dem Zauberstab und ließ das Rührei verschwinden. Dann fischte er aus dem Wust aus Federn einen kleinen Briefumschlag heraus, nahm einen Pergamentzettel heraus und begann zu lesen. Lieber Severus! Mach dir keine Sorgen. Sie hat mir noch nicht geschrieben und selbst wenn sie es täte, du bist derjenige, der ihr die Wahrheit sagen muss. Allerdings verstehe ich nicht, wieso du es immer noch vor dir herschiebst. Willst du es ihr überhaupt sagen? Du kannst sie nicht die ganze Zeit im Dunklen lassen! Komm wenigstens einmal in deinem Leben aus deinem Schneckenhaus! Sie hat es verdient! Mit lieben Grüßen, deine Molly °°**°°**°°**°°**°°**°° Als Ginny an diesem Abend wieder einmal in Snapes Büro Zutaten konservierte, fragte sie wie beiläufig: "Errol war heute morgen bei Ihnen. Von wem haben Sie Post bekommen? Von meinem Vater?" Snape brummte: "Von Molly." "Was wollte sie?" "Nichts wichtiges. Machen Sie weiter! Die Arbeit macht sich nicht von alleine!" Eine Weile arbeiteten sie schweigend weiter, dann konnte Ginny ihre Neugierde nicht länger bezwingen. "Wer war Ginevra?" Snape sah sie unergründlich an. Trauer lag mit einem Mal in seinen Zügen, als er Ginny musterte. "Mollys Schwester." Ginny schluckte, als sie in Snapes Augen die Traurigkeit erkannte. "Sie haben sie gemocht, nicht wahr?" Urplötzlich änderte sich seine Miene. Die Augen verschlossen sich wieder und Wut trat auf seine Züge. Wut auf alles und jeden. Wut und Kälte. "Verschwinden Sie. Aber ein bisschen plötzlich, sonst mache ich Ihnen Beine." Er hatte ruhig gesprochen, doch seine Stimme war von einer Eiseskälte, dass Ginny blass wurde und die Beine in die Hand nahm. Als sie schon fast an der Treppe zur Eingangshalle angekommen war, hallte seine Stimme hinter ihr her: "Morgen bringen Sie mir Sumpfgras! Und zwar frisch geerntet!" Kapitel 5: Sumpfgras -------------------- Kapitel 5: Sumpfgras Als der Gong ertönte, begannen alle Schüler zu jubeln. Endlich Wochenende! Am Montag würden zwar die ZAGs beginnen, doch den heutigen Nachmittag würden alle draußen auf den Ländereien verbringen. Nur Ginny freute sich nicht. Sie hatte gestern noch nachgeschlagen, wo und wie man Sumpfgras ernten konnte. Es war eine schöne Sauerei. Man musste ein Stück in den See hineinwaten, an einer schattigen Stelle, und es dann mit der Hand vom Seegrund pflücken. Mit Magie ging es nicht, das Gras war zu empfindlich. Ginny schüttelte sich. Und das ausgerechnet ein paar Tage vor den ZAGs! Sie hatte besseres zu tun! Doch sie wusste auch, das Widerstand zwecklos war. Wer widersprach schon gerne einem Professor Snape? So machte sie sich nach dem Abendessen auf den Weg zum See hinunter. Sie beschwor einen Eimer herauf, den sie ans Ufer stellte. Dann zog sie Schuhe und Strümpfe aus und watete in den See, bis ihr das Wasser bis übers Knie ging und die Grasbüschel sie an den Beinen kitzelten. Ginny seufzte und machte sich an die Arbeit. Während sie das Gras pflückte, wanderte ihr Blick über die vielen Schüler, die hier draußen spielten, sich unterhielten oder einfach die warme Sonne genossen. Wie gerne wäre sie eine von ihnen gewesen! Aber nein, Snape war der Meinung, dass ihr kleiner Besuch im verbotenen Wald immer noch nicht ausgemerzt war. Ginnys Blick wanderte zum Quidditchfeld, als sie wieder ein Grasbüschel in den Eimer warf. In weiter Entfernung konnte sie ein paar Gestalten auf Besen herumflitzen sehen. Eine der Gestalten ging gerade in einen halsbrecherischen Sturzflug. In Ginnys Hals bildete sich ein Kloß. Das war Harry. Niemand anders flog so wie er. Eine zweite Gestalt schlug die ganze Zeit vor Harry Haken und schnitt seine Flugbahn, um ihn aufzuhalten. Die langen schwarzen Haare flatterten hinter ihr im Wind. Das musste Cho sein. Ohne es zu merken, zerdrückte Ginny das Grasbüschel in ihrer Hand. Sie musste schlucken, doch die Tränen kamen trotzdem. Was gäbe sie dafür, wenn Harry niemals fremdgegangen wäre und sie jetzt an Chos Stelle mit ihm über den Platz jagen könnte! Plötzlich zerrte etwas mit einer ungeheuren Wucht an Ginnys Knöchel. Sie schrie auf und landete mit einem lauten Platschen im Wasser. Kleine Hände mit langen Fingern hatten ihre Beine umklammert und zerrten sie weiter in den See. "Grindelohs", schoss es ihr durch den Kopf. Ginny zog ihren Zauberstab und wollte auf die Wesen zielen, doch bevor sie einen Zauber abfeuern konnte, packten weitere lange Finger das Stück Holz und entrissen es ihr. Sie schnappte nach Luft. "HILFE!!!", schrie sie. Immer weiter zogen die Grindelohs sie ins Wasser. Sie strampelte und trat, doch jedes Mal, wenn sie dachte, endlich frei zu sein, kam ein neuer Grindeloh und packte sie wieder. Sie schnappte wieder nach Luft. Jetzt, wo sie keinen Boden mehr unter den Füßen hatte, zogen die Viecher sie senkrecht nach unten. Ginny ruderte wild mit den Armen, schluckte Wasser, kam wieder an die Oberfläche, spuckte und hustete, wurde wieder nach unten gezogen... Ihre Kleider hatten sich voll Wasser gesogen und zogen schwer an ihr, doch sie schaffte es nicht, sie auszuziehen. Und noch immer zogen die Grindelohs sie unbarmherzig in die Dunkelheit. Diesmal bekam sie keine Luft mehr in den Mund, sondern nur noch Wasser, bevor der See sich über ihr schloss. Sie strampelte und ruderte noch energischer, doch sie erreichte die Oberfläche nicht mehr. Sie presste die Lippen fest aufeinander, um nicht noch mehr Wasser in die Lungen zu bekommen, und kämpfte weiter. Doch ihre Kraft ließ nach. Schließlich hörte sie auf, sich zu wehren, und blickte nach unten. Den Boden konnte sie nicht entdecken. Nur Schwärze... und die Grindelohs, die sich an ihren Beinen festgeklammert hatten. 'Meine Güte, sind die hässlich!', dachte sie noch, dann gab sie auf. Ihr wurde schwindelig und das Wasser presste auf ihre Ohren. Ihr Blick trübte sich. Es war vorbei. Doch dann schossen helle Strahlen durch das Wasser und trafen die Grindelohs. Sie ließen sofort von Ginny ab. Sie merkte nicht mehr viel davon. Sie spürte nur noch, wie zwei dünne Arme sich um ihre Brust schlangen und sie nach oben zogen. °°**°°**°°**°°**°°**°° Luft. Licht und Luft. Ohne ihr Zutun riss Ginny den Mund auf und pumpte Luft in ihre Lungen. Dann begann sie zu husten. Sie hatte einiges an Wasser in die Lungen bekommen. Jemand hielt sie fest und klopfte ihr in regelmäßigen Abständen auf den Rücken, um ihr das Abhusten zu erleichtern. Langsam öffnete Ginny die Augen. Sie kniete am Ufer des Sees, von einem dünnen Arm aufrecht gehalten. Als sie nicht mehr husten musste, wandte sie sich langsam um. Und zuckte erschrocken zusammen. Ihr Retter war niemand anderes als - Professor Snape! Er blickte Ginny einen Augenblick besorgt an und fragte fast sanft: "Geht es wieder?" Sie nickte stumm. Sofort schob sich wieder eine Maske über Snapes Gesicht und löschte jede Gefühlsregung aus. "D-danke, P-professor..." murmelte Ginny verwirrt. Snape machte eine wegwerfende Handbewegung. "Nicht der Rede wert", meinte er mit der üblichen Teilnahmslosigkeit und zog seinen Zauberstab. Mit einem Schnippen waren sie beide wieder trocken. Ein weiteres Schnippen, und Ginnys Zauberstab kam aus dem See geflogen und landete vor ihr im Gras. Snape begutachtete jetzt den Eimer mit dem Sumpfgras. "Gute Ernte. Das ist mehr, als ich brauche." Er stand auf und packte den Eimer. Dann griff er noch einmal in seinen Umhang. "Hier, für Sie. Sie wollten doch wissen, wer Ginevra ist." Er drückte ihr ein Foto in die Hand und rauschte davon. Ginny blickte Snape einen Moment lang verblüfft hinterher, dann warf sie einen Blick auf das Bild. Und schnappte nach Luft. Ginevra sah genauso aus wie sie! Vielleicht ein paar Jahre älter als sie jetzt war, doch ansonsten glich sie Ginny aufs Haar. Nein, nicht ganz. Ginevra hatte grünblaue Augen, Ginny hatte dunkelbraune. Trotzdem... Ginevra hätte Ginnys Zwillingsschwester sein können. Kapitel 6: Eine kühne Vermutung ------------------------------- Kapitel 6: Eine kühne Vermutung Ginny krabbelte durch das Portraitloch und sah sich suchend um. Wo war Jeanna, wenn man sie brauchte? Sie entdeckte ihre Freundin schließlich in einer Ecke, über einem Buch vergraben. Rasch ging sie zu ihr hinüber und meinte: "Jeanna? Kommst du mit in den Raum der Wünsche? Ich muss dir etwas zeigen." Jeanna zog eine Augenbraue hoch. "Warum in den Raum der Wünsche? Geht das nicht hier?" Ginny schüttelte den Kopf. "Ich will sichergehen, dass uns niemand zuhört. Wenn das die falschen Leute erfahren, bin ich tot." Jeanna schlug das Buch zu und sprang auf. "Natürlich. Wenn es so geheim ist... Aber wer würde dich umbringen?" "Snape." "Oh." Die beiden kletterten wieder aus dem Gemeindschaftsraum und machten sich auf den Weg zum Raum der Wünsche. "Ich brauche einen Raum, in dem ich Jeanna alles erzählen kann, ohne abgehört zu werden. Ich brauche einen Raum, in dem ich nicht abgehört werden kann. Ich brauche..." Eine Tür war in der Wand erschienen. Ginny öffnete sie rasch und die beiden Mädchen traten ein. Der Raum dahinter ähnelte stark ihrem Gemeindschaftsraum. Rote Plüschsessel gruppierten sich um einen prasselnden Kamin und warfen lange Schatten auf die hellrot gemusterten Wände. Jeanna schloss die Tür und ließ sich neben Ginny in einen der Sessel fallen. "Also, was ist so wichtig?" Ginny schluckte, dann erzählte sie Jeanna von ihrer Begegnung mit Snape im Wald. Jeanna unterbrach sie nicht, doch als Ginny fertig war, stand ihr der Mund offen. "WAS?" Ginny schluckte. "Du glaubst mir nicht, was?" Jeanna schüttelte energisch den Kopf. "Natürlich glaube ich dir. Wenn du mir was vorflunkern wolltest, hättest du dir etwas glaubwürdigeres einfallen lassen. Es ist so... unvorstellbar. Ein Snape mit Gefühlen... das ist wie ein netter Knallrümpfiger Kröter!" Ginny lächelte schwach. "Ich weiß. Aber ich glaube, es war ihm ziemlich peinlich. Er hat mich ja ab dem nächsten Tag total fertig gemacht. Und..." Sie zögerte kurz und schluckte erneut. "Weißt du noch, als wir die Zauberstabbaumrinde und die Bowtruckle-Ruten bei ihm abgeliefert haben?" Jeanna nickte. "Ich bin kurz stehen geblieben. Ich hab es dir nicht gesagt, aber Snape hat etwas fallen gelassen." Jeanna legte den Kopf schief. "Was denn? Absichtlich?" "Absichtlich mit Sicherheit nicht. Es war eine Todesanzeige. Moment mal, ich mal sie dir auf." In dem Moment, in dem sie das Wort 'malen' ausgesprochen hatte, erschien vor ihr aus dem Nichts ein kleiner Tisch, auf dem unbeschriebenes Pergament, Feder und Tinte lagen. Sie lächelte. "Der Raum hier ist schon klasse." Sie griff nach der Feder, tunkte sie in das Tintenfass und malte die Todesanzeige aus dem Gedächtnis so genau wie möglich auf. Als sie fertig war, schob sie sie zu Jeanna hinüber. Jeanna starrte eine ganze Weile auf das Papier. Dann hob sie verblüfft den Kopf. "Und DAS hat Snape fallen gelassen? Allen Ernstes?" Ginny nickte. "Er hatte sogar selber noch was drauf geschrieben. 'Ich vergesse dich nicht.' " Jeanna sog die Luft ein. "WAS? Das klingt so gar nicht nach Snape..." Ginny nickte zustimmend. "Das ist noch nicht alles. Gestern ist doch Errol hier aufgetaucht. Weißt du noch?" Jeanna nickte. "Er hat Snape einen Brief gebracht. Als ich ihn abends gefragt habe, hat er mir gesagt, dass der von Mum war. Und ich hab rausgefunden, dass Ginevra meine Tante war. Die Schwester von meiner Mutter. Als ich ihn gefragt habe, ob er sie gerne gehabt hat, hat er mich rausgeschmissen." "Kein Wunder. Aber das zeigt doch nur, dass er sie immer noch gerne hat, oder?" Ginny nickte stumm. "Und weißt du, was vorhin passiert ist?" "Erzähl." "Ich hab für ihn Sumpfgras geerntet, da haben mich Grindelohs gepackt und meinen Zauberstab geklaut. Die wollten mich unter Wasser ziehen." Ginny schüttelte sich. "Sie hätten es geschafft, wenn mich nicht im letzten Moment jemand gerettet hätte. Dreimal darfst du raten, wer das war." Jeanna riss die Augen auf. "Sag nicht, es war Snape!" Ginny zog eine Grimasse. "Doch. Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Er hat mir dann noch das hier in die Hand gedrückt. Das ist Ginevra." Sie drückte Jeanna das Foto in die Hand. Jeanna schnappte nach Luft. "Das darf doch nicht wahr sein!" Sie starrte Ginny fassungslos an. "Die sieht aus, als wäre sie deine Mutter!" Ginny lächelte schwach. "Hmm..." Jeanna stutzte plötzlich. "Das könnte sogar sein...", murmelte sie leise und zog die Todesanzeige zu sich. "Du sagst, Ginevra war Mollys Schwester?" Ginny nickte verwirrt. "Was könnte sein?" Jeanna sah auf. "Dass Ginevra deine Mutter ist!" Ginny zog ungläubig die Augenbrauen hoch. "Das glaubst du doch selber nicht." "Doch, schau mal!" Sie schob Ginny die Anzeige und das Foto unter die Nase. "Ginevra sieht dir total ähnlich. Sie ist an deinem Geburtstag gestorben. Es ist bei ihrem Alter gut möglich, dass sie bei einer Geburt gestorben ist. Und außerdem... schau dir mal ganz genau an, was bei Molly und Arthur steht." Ginny runzelte die Stirn. "Ja, und?" "Siehst du's nicht? Da steht nicht: 'samt Familie' oder 'samt Kinder' sondern 'samt Söhne'. Wenn Ginevra an deinem Geburtstag gestorben ist, dann ist die Anzeige ein paar Tage später erschienen. Da warst du schon auf der Welt, also hättest du mit dabeistehen müssen. Tust du aber nicht. Also ist die einzige logische Erklärung, dass du Ginevras Kind bist und erst nach ihrem Tod zu Molly gekommen bist." Ginny starrte Jeanna ungläubig an. "WAS?" Jeanna seufzte. "Es ist zwar nur eine Vermutung, aber es könnte durchaus sein." Ginny schluckte. Ihr war plötzlich furchtbar kalt. Das konnte doch nicht stimmen! Aber... was war, wenn es wahr war? Ginny bekam Angst. Angst davor, dass Jeanna Recht haben könnte. So, wie sie es erklärt hatte, sprach wirklich alles dafür, dass Molly nicht ihre Mutter war. So viele Zufälle konnte es doch gar nicht geben... Ginny schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. "Aber...", flüsterte sie fast. "Wenn Ginevra meine Mutter war... wer ist dann der Vater?" Jeanna warf ihrer Freundin einen mitleidigen Blick zu. "Ist das nicht offensichtlich? Ich kann es ja selber nicht glauben, aber... Es kommt nur einer in Frage. Snape." Kapitel 7: Endlich die Wahrheit ------------------------------- Kapitel 7: Endlich die Wahrheit Als Ginny am Samstag Morgen in die Große Halle kam, blickte sie als erstes zum Lehrertisch auf. Snape saß missgelaunt über seinem Frühstück und schien es nicht schnell genug verschlingen zu können. Seine Umgebung würdige er keines Blickes. Die langen Haare fielen ihm ins Gesicht und verdeckten es. Ginny schluckte schwer. Konnte dieser Mann ihr Vater sein? Ja, musste sie sich eingestehen. Nach allem, was sie wusste, konnte er es sein. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wollte, dass Arthur ihr Vater war. Er war hundertmal netter als Snape. Jeanna, die neben ihr hereingekommen war, folgte ihrem Blick und bugsierte sie dann energisch zum Gryffindortisch. Als Ginny sich sträubte, murmelte sie: "Vom Anstarren wirst du die Wahrheit auch nicht erfahren. Vergiss ihn erstmal und konzentriere dich heute auf die Prüfungen." Ginny schnaubte ungläubig. "Das geht nicht so einfach, wie du dir das vorstellst", murmelte sie, doch sie fügte sich und ließ sich sogar zum Essen überreden. Doch immer wieder wanderte ihr Blick zum Lehrertisch. Sie hatte kaum zwei Bissen von ihrem Toast hinuntergewürgt, da kam schon die Post. Eine schwarze Schleiereule landete elegant vor Ginnys Kürbissaft. Sie blickte verblüfft auf. "Wer schreibt dir denn?", wollte Jeanna wissen. Ginny zuckte mit den Schultern und nahm der Eule einen schwarzen Briefumschlag ab. Sie riss ihn auf und zog ein kleines Blatt Pergament heraus. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie die Schrift erkannte. Es war Snape. Miss Weasley, Kommen Sie heute Abend um sechs Uhr in mein Büro für den letzten Teil Ihrer Strafarbeit. Wehe, Sie verspäten sich! Professor Snape Jeanna, die ihr über die Schulter geblickt hatte, schnaubte. "Unsere Fledermaus. Kurz angebunden wie eh und je." Ginny zuckte zusammen. Irgendwie gefiel ihr es nicht, dass Jeanna ihn Fledermaus nannte, obwohl sie sich eingestehen musste, dass er sich manchmal wirklich wie eine benahm. "Halt doch die Klappe", brummte sie und stand auf. °°**°°**°°**°°**°°**°° Den ganzen Tag lang vergrub Ginny sich in ihren Büchern. Jedes Mal, wenn sie an den bevorstehenden Abend in Snapes Büro dachte, rauschten Angst und Aufregung durch ihre Adern. Sie wusste selbst nicht, ob sie wollte, dass Snape ihr Vater war. Es war so... unfassbar. Sie glaubte nicht, dass es wahr sein könnte. Molly und Arthur hätten sie wohl kaum so lange Jahre einfach angelogen. Doch irgendwoher flüsterte eine kleine Stimme ihr unbarmherzig zu, dass er es doch war. Sie verdrängte diese Stimme, so gut es ging, und lernte wie eine Besessene, nur um nicht über etwas anderes nachdenken zu müssen. Es widerstrebte ihr, sich jemand anderes als Molly und Arthur als ihre Eltern vorzustellen. Das konnte doch nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein! °°**°°**°°**°°**°°**°° Nach dem Abendessen machte sie sich schließlich mit pochendem Herzen auf den Weg zu Snapes Büro. Als sie vor der Tür stand, musste sie sich regelrecht überwinden, anzuklopfen. Snape riss nach einem Moment quälender Stille die Tür auf und wies sie mit einer so barschen Geste wie immer nach drinnen. "Miss Weasley. Sie werden heute das Sumpfgras konservieren und einlegen. Der Kessel steht da drüben, hier ist alles, was sie für den Sud brauchen. An die Arbeit!" Ginny schluckte und warf ihm nur noch einen kurzen verstohlenen Seitenblick zu, bevor sie gehorchte. Sie zwang sich, nur auf die Zutaten und den Kessel vor ihr zu starren, um nicht wieder an Ginevra und Snape denken zu müssen. Doch die Gedanken ließen sich nicht verscheuchen. Immer wieder kehrten sie zurück zu ihr wie lästige Mücken, sooft sie auch versuchte, sie loszuwerden. Wie sollte es auch anders sein, wenn sie mit Snape im gleichen Zimmer war? Ginny musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen, um den Sud herzustellen, ohne den Kessel in die Luft gehen zu lassen. Sie brauchte Gewissheit. Dringend. Noch heute. Sie ließ den Sud über der niedrigen Flamme simmern und begann das Sumpfgras zu waschen. Vielleicht sollte sie erst fragen, wenn sie fertig war. Wer weiß, was er ihr wieder um die Ohren knallen würde. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und füllte das Sumpfgras in kleinen Portionen zusammen mit dem Sud in die Weckgläser, die Snape ihr auf den Tisch gestellt hatte. Erst, als sie auch das letzte Grasbüschel abgefüllt hatte, wagte sie wieder, an andere Dinge zu denken. Sie murmelte einen Reinigungszauber und der Dreck verschwand. Einen Moment stand sie unschlüssig da. Nur vor Minuten wäre sie mit ihrer Frage fast herausgeplatzt, doch nun, da sie sich am Riemen gerissen hatte, bis die günstigste Gelegenheit gekommen war, brachte sie den Mund nicht auf. Nach einer quälenden Stille sah Snape von seinem Schreibtisch auf. "Was suchen Sie noch hier, wenn Sie fertig sind? Sind Sie so versessen aufs Tränkebrauen, dass Sie meine Gesellschaft noch länger ertragen möchten?" Ginny schüttelte stumm den Kopf. Da war er wieder. Der launische, zickige, sarkastische Snape. Fast hätte sie laut aufgelacht. Launisch und zickig? Doch sie beherrschte sich. Noch ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann wagte sie endlich, die Frage zu stellen. "Wer war Ginevra?" Snape schnaubte. "Mollys Schwester, hab ich Ihnen doch schon gesagt." Snapes Herz schien einen Moment still zu stehen. Er hatte sich vor dieser Frage gefürchtet. Und er wusste, dass er Ginny nicht länger anlügen durfte. Das war einfach nicht fair. "Das hab ich nicht gemeint, Professor." Natürlich hatte sie das nicht gemeint, das war ihm klar. Es war der allerletzte Versuch gewesen, ihr auszuweichen. Snape sank das Herz in die Hose. Jetzt musste er mit der Wahrheit rausrücken. Es war so weit. Er schluckte. Doch er konnte es nicht. Er konnte es einfach nicht. Ginny hatte ja keine Ahnung! Absolut keine! Er sah, wie sie den Kopf schief legte und unsicher lächelte. "So schlimm wird es schon nicht sein, Professor. Ich bin auf alles gefasst." Er zog unwillkürlich die Augenbrauen hoch. Auf alles? Nein, auf die Wahrheit sicher nicht. Vielleicht konnte er es wenigstens so hindrehen, dass sie nur einen Teil erfuhr? Er holte tief Luft. Vielleicht konnte man ja mit Wahrheit die Wahrheit verbergen. "Sie war... deine Mutter." Er sah unbehaglich zu, wie Ginnys Gesicht immer mehr zu einer Maske erstarrte und sie immer blasser wurde. Sein Herz pochte heftig. Er wusste, wie es in ihr arbeiten musste. Und er wusste, welche Frage gleich kommen würde. Wenn er jetzt noch ein zweites Mal ehrlich war, dann konnte er vielleicht den Teil der Wahrheit, der ihr am meisten wehtun würde, für sich behalten. Molly würde nichts verraten, da war er sich sicher. Ginny öffnete zögernd den Mund. "Und wer ist mein Vater?" Snape blickte sie undurchdringlich an. Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Und die Tränen würden nicht länger auf sie warten lassen, wenn er ihr die Wahrheit sagte. Und er musste es tun. Das würde Schock genug sein. Dabei würde sie es belassen wollen. Snape holte tief Luft. "Ich." Kapitel 8: Malfoys große Stunde ------------------------------- Kapitel 8: Malfoys große Stunde Ginny schnappte unwillkürlich nach Luft und starrte Snape an. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht. Er war es wirklich. Es durfte nicht wahr sein. Sie schien zu fallen, immer tiefer und tiefer. Etwas in ihr jedoch schien zurückzubleiben, und sie wusste, dass sie es niemals wieder finden würde, egal wie viel sie suchte. Eine einsame Träne lief ihre blasse Wange hinunter. Sie drehte sich um und rannte aus Snapes Büro. Die Bürotür knallte hinter ihr ins Schloss. Snape seufzte auf. Wenigstens etwas. Sie wusste nicht, wieso er es ihr nie gesagt hatte. Und so wie es aussah, wollte sie es auch gar nicht wissen. Gut. Dann musste er sich wenigstens nicht dafür schämen. Ginny lief geradewegs in den Gryffindorturm zurück und verkroch sich in ihrem Bett. Sie wollte niemanden sehen. Eine Weile lag sie stumm auf ihrem Bett. Sie fühlte alles mögliche, doch nach und nach kristallisierte sich eine einzige Empfindung heraus. Enttäuschung. Sie schniefte und betrachtete das Familienfoto auf ihrem Nachttischchen. Es zeigte alle neun Weasleys, Arm in Arm und lachend. Hinter ihnen ragte ein große Pyramide auf. Sie seufzte. Die Ginny auf dem Bild stand zwischen Molly und Ron, einen Arm um sie beide gelegt. Sowohl Molly als auch Ron hatten nicht den Mut besessen, Ginny die Wahrheit zu sagen. Wusste Ron es überhaupt? Wahrscheinlich war er damals noch zu klein gewesen, um zu bemerken, dass sie nicht von Molly geboren worden war. Aber ihre anderen Brüder mussten es alle wissen. Wahrscheinlich hatten sie entweder gedacht, Molly und Arthur hätten ihre Gründe, Ginny nicht einzuweihen, oder aber sie dachten, Ginny wüsste es bereits. Ihnen konnte sie keinen Vorwurf machen. Aber Molly und Arthur hatten beide nicht den Mut besessen, es ihr zu sagen. Ginny strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Stumme Tränen rannen ihr nun über die Wangen. Wie konnten nur die beiden Menschen, die sie am meisten liebte, sie ihr ganzes Leben lang anlügen? Sie schluchzte auf. Die Welt war so verlogen... Und Snape erst! Er hatte sich ebenfalls nie getraut, ihr alles zu erzählen. Dabei wäre es seine Pflicht gewesen! Er war schließlich ihr Vater! Sie rollte sich auf den Rücken und starrte auf den dunkelroten Baldachin ihres Himmelbetts. Snape hatte sich, so lange sie lebte, vor seinen Vaterpflichten gedrückt. Vielleicht wollte er es sich bis heute nicht eingestehen, dass er ein Kind hatte? Sie hatte schließlich keine leibliche Mutter, die Snape ins Gewissen redete. Molly würde ihn nie dazu drängen, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie hätte sicher zu große Angst vor Ginnys Ablehnung ihrerseits als Mutter. Ginny weinte immer noch. Es tat weh, sie nicht mehr als Mutter zu haben. Molly war ihre Tante. Tante. Das Wort dröhnte in ihrem Kopf. Es tat weh. Das klang so distanziert... Arthur. Onkel. Es tat weh. Lügen. Schweigen. Ihre ganze unbeschwerte Kindheit basierte auf einer Lüge. Snape. Vater. Mutter. Tot. Lügen. Schweigen. Schmerz. Es tat so weh... °°**°°**°°**°°**°°**°° Den Sonntag verbrachte Ginny in einer Art Trance. Sie vergrub sich entweder in ihren Büchern oder saß irgendwo und starrte ins Leere. Nachdem sie im Gemeindschaftsraum schon von mehreren ihrer Freunde besorgt gefragt worden war, ob alles in Ordnung war, hatte sie sich genervt in die Bibliothek verkrochen und saß nun in einer Fensternische, ein Zauberkunstbuch auf den Knien, doch sie las nicht. Immer noch wirbelte alles in ihrem Kopf und ließ sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Warum hatte niemand ihr die Wahrheit gesagt? Warum hatte Snape ihr nicht die Wahrheit gesagt? Warum hatte er sie abgeschoben? Warum hatte er sie in eine glückliche Familie gesteckt, wo er doch genau wusste, dass sie eines Tages durch die Wahrheit wieder herausgerissen würde? Snape war schuld. Snape, die alte Fledermaus. Ginny seufzte. Es tat gut, jemandem die Schuld für den ganzen Schlamassel zu geben. Es machte das Ganze leichter. Draußen ging die Sonne unter und tauchte die Schlossgründe in tiefe, rote Schatten. In der Ferne konnte Ginny das große Schlosstor sehen, das von zwei steinernen Ebern flankiert wurde. Die beiden leuchteten im Licht des Sonnenuntergangs in einem schwachen orange. Eine breite Auffahrt führte zum Schloss hoch. Sie lag bereits im Schatten, doch Ginny konnte erkennen, dass dort eine Gestalt lief. Eine große, dünne Gestalt. Als sie aus den Schatten trat, leuchteten die hüftlangen Haare silberhell auf. Ginny blickte überrascht auf. Was machte Dumbledore alleine dort draußen? Wollte er nach Hogsmeade? Doch dann schüttelte sie den Kopf. Das ging sie nichts an. Sie hatte selbst genug Probleme. Genauer gesagt, Snape war ihr Problem. Sie konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass er ihr Vater war. Plötzlich wurde etwas in ihrer Umhangtasche sehr heiß. Sie sog zischend die Luft zwischen die Zähne und zog eine Galleone heraus. Die Galleone schien einen Moment zu glühen, dann kühlte sie schlagartig ab. Ginny untersuchte die Zahlenreihen am Rand der Münze. Es waren keine Zahlen mehr, sondern Buchstaben. Alles, was darauf stand, war: "Heute. Sofort." Ginny starrte die Münze lange an. Schon seit über einem Jahr war kein neues Datum mehr erschienen. Die DA gab es nicht mehr. Was also war los? Sie überlegte nicht lange, ließ ihre Tasche liegen und lief los, zum Raum der Wünsche. Kurz bevor sie dort ankam, fiel ihr plötzlich etwas ein. Hermine war es, die die Münzen steuerte, doch vielleicht war Harry auch da? Sie wurde langsamer, doch dann schüttelte sie energisch den Kopf und beschleunigte ihre Schritte wieder. Egal. Hermine war es, die sie gerufen hatte, und sie würde sie nicht im Stich lassen. Sie schlidderte um die letzte Ecke und stieß fast mit Hermine und Ron zusammen. "Ginny! Ein Glück!", rief Hermine aus. Ginny kam keuchend zum Stehen. "Was ist los? Und wo ist Harry?" Hermine biss sich einen Augenblick auf die Lippe, dann antwortete sie: "Er ist mit Dumbledore unterwegs. Wahrscheinlich wird er erst spät in der Nacht wiederkommen." Ginny nickte emotionslos. Im Grunde war sie froh, dass Harry nicht da war. "Harry hat Trelawney getroffen", fuhr Ron aufgeregt fort, "Sie ist von Malfoy aus dem Raum der Wünsche geschmissen worden, als er gerade dadrin gefeiert hat!" Ginny riss die Augen auf. "Was? Dann hat er also wirklich irgendwas ausgeheckt?" Ginny hatte das ganze Jahr über Harrys Vermutungen dazu mitbekommen - bis zu dem Tag, an dem sie ihn mit Cho erwischt hatte. Sie blickte Hermine neugierig an. "Hab ich was verpasst?", wollte sie wissen. Hermine schüttelte den Kopf. "Nein, die zwei Wochen ist nichts neues mehr passiert - bis vorhin." "Gut. Was habt ihr jetzt vor?" Hermine holte tief Luft und holte ein kleines Fläschchen aus ihrem Umhang. Darin befand sich eine leuchtend goldene Flüssigkeit. "Das ist Felix Felicis. Flüssiges Glück. Harry hat ihn uns gegeben, dass wir drei ihn uns teilen. Er glaubt, wir werden es brauchen." Ginny blickte misstrauisch. "Hat er wirklich gesagt, dass ihr mir auch was davon abgeben sollt?" Beide nickten energisch. "Und wir sollen dir von ihm alles Gute ausrichten", meinte Ron. Ginny zog die Augenbrauen hoch. "Was ist mit Cho? Sollt ihr der auch was abgeben?" Ron schnaubte. "Hast dus immer noch nicht begriffen? Das mit Cho war für Harry nur ein Zeitvertreib. Er hat wirklich mit dir Schluss gemacht, damit du in Sicherheit bist." Ginny blickte ungläubig drein. "Das glaub ich erst, wenn er es mir unter Veritaserum sagt." Hermine hatte inzwischen den Glückstrank in drei Fläschchen umgefüllt. Jetzt hielt sie Ginny eins davon hin. "Bis dahin können wir nicht warten. Dadrin ist Malfoy und plant irgendeine Schweinerei. Nimmst du den Trank?" Ginny griff langsam nach dem Fläschchen und hielt es sich an die Lippen. Ron und Hermine taten es ihr nach. "Nagut", seufzte Ginny. "Aber nur wegen euch." Die drei leerten ihre Fläschchen gleichzeitig. Hermine schnippte mit dem Zauberstab und die Fläschchen verschwanden. Ginny holte tief Luft. Sie wusste plötzlich, dass sie keine Angst vor Malfoy haben musste. Ihr würde nichts geschehen. Dann hörte sie Schritte und im nächsten Moment kamen Neville und Luna angerannt und wollten wissen, was los war. Hermine erklärte ihnen die Lage und sie entschieden, dass Hermine und Luna vor Snapes Büro Wache stehen sollten und aufpassen sollten, dass er Malfoy nicht zur Hilfe kam. Ginny sollte mit Ron und Neville hierbleiben und Malfoy aufhalten, egal, was er vorhatte. Nachdem die beiden Mädchen verschwunden waren, tat sich fast eine Stunde nichts, außer, dass Ron wieder und wieder in den Raum zu gelangen versuchte. Doch es geschah nichts. Draußen war die Sonne schon lange untergegangen. Ginny, durch den Glückstrank nun völlig klar im Kopf, dachte wieder über Snape nach. Jetzt war es so einfach... Snape mochte vielleicht ihr Vater sein, aber er war ein Ex-Todesser. Eine ekelhafte Fledermaus. Und er riss sich nicht darum, ihr Vater zu sein. Molly und Arthur jedoch hatten sie wie eine eigene Tochter behandelt. Sie waren ihre richtige Familie. Sie und niemand sonst. Snape konnte ihr das nicht nehmen. Ein leises Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Und wenn Ron die Wahrheit sagte, gab es vielleicht sogar noch Hoffnung für sie und Harry... Plötzlich erschien eine Tür in der Wand und öffnete sich. Ginny zog ihren Zauberstab. Malfoy kam langsam heraus, in der Hand etwas, das aussah wie eine übergroße, verschrumpelte, schwarze Hand. Ginny schluckte. Was war das für eine Teufelei? Als er sie erblickte, weiteten sich seine Augen, er zog etwas aus dem Umhang und warf es in die Luft. Ohne Vorwarnung wurde es plötzlich stockfinster. Schritte ertönten. Malfoy musste dabei sein, zu entkommen. Und er war nicht alleine. Das waren die Schritte von vielen. Ginny sprang vor - und krachte mit jemandem zusammen. Ron schrie auf. "Ginny?!" Ginny tastete nach seiner Hand. "Ron? Lumos!" Doch es blieb finster. Neville lief jetzt ebenfalls in sie hinein strauchelte. Ginny packte ihn fest am Umhang. "Incendio!", zischte Ron. Wieder geschah nichts. Immer noch waren Schritte zu hören, doch sie konnten nicht einmal die Hand vor Augen sehen. Ron fluchte. "Verdammt! Das müssen viele sein! Und wir bekommen diese Dunkelheit nicht weg! Kommt, lasst uns abhauen, wir können hier sowieso nichts machen!" Ginny und Neville klammerten sich an Rons Umhang fest und folgten ihm stolpernd. Ginny wusste nicht, wie lange sie sich durch die Dunkelheit tasteten, doch als sie endlich wieder etwas sehen konnten, waren die Schritte um sie her verstummt und sie waren alleine. Ginny schnitt eine Grimasse. "Malfoy, wenn ich dich in die Finger bekomm... Wo gehen wir jetzt hin?" Ron zog die Karte des Rumtreibers aus der Tasche, tippte sie an und murmelte: "Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin." Sofort erschienen Linien und beschriftete Punkte, die Karte schien sich in Sekundenschnelle selbst zu malen. Ginny ließ ihren Blick darüber wandern. Doch noch bevor sie Malfoy gefunden hatten, entdeckten sie fünf Punkte, die zwei Korridore weiter gingen. Minerva McGonagall, Filius Flitwick, Remus Lupin, Nymphadora Tonks und Bill Weasley. Ginny stieß überrascht die Luft aus. "Was machen die denn hier?" "Wahrscheinlich hat Dumbledore sie zur Sicherheit hiergelassen. Kommt, wir erzählen ihnen, was passiert ist. Je mehr wir sind, desto besser. Schaut mal, wen Malfoy mitgebracht hat." Ron deutete auf eine Kolonne von Punkten. Ginny schnappte nach Luft. "Greyback ist hier?" Ohne weiter nachzudenken, lief sie den Lehrern und den Ordensmitgliedern entgegen. Sie wusste, dass sie ihnen Bescheid sagen musste. Die beiden Jungen folgten, Neville wimmerte leise vor Angst. Als sie den verblüfften Erwachsenen die Lage erklärt hatten und noch einmal auf der Karte die Leute von Malfoy gesucht hatten, folgten sie ihnen, um sie zu stellen. Es waren ein ganzer Haufen Todesser, die Malfoy mitgebracht hatte. Acht, wenn man Greyback nicht dazuzählte. Ginny schluckte, doch sie hatte keine Angst um sich. Etwas in ihr sagte ihr, dass sie das hier überstehen würde. Nein, sie hatte Angst um die anderen. Vor allem um Neville. Er war leichenblass, blickte jedoch entschlossen. Schon nach Minuten hatten sie sie eingeholt. Alle zogen ihre Zauberstäbe und stürmten dann gleichzeitig um die letzte Ecke. Noch bevor die Todesser wussten, was los war, flogen ihre Schockzauber durch die Luft. Zwei trafen. Zwei der schwarz gekleideten Gestalten kippten um, die anderen bildeten eine Linie quer durch den Korridor und erwiderten die Flüche. Ginny duckte sich und schoss einen Flederwichtfluch ab, da sah sie, wie einer der Todesser plötzlich verschwand und die Treppe zum Astronomieturm hinaufeilte. Sie hatte jedoch keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, denn eine kleine, stämmige Hexe hatte es anscheinend auf sie abgesehen. Um ein Haar wich sie einem Cruciatus aus und hechtete halb blind nach vorne. "Petrificus Totalus!", rief sie und die Hexe kippte um. Nicht weit von ihr entfernt kämpfte Remus mit einem sehr großen, blonden Todesser, der, so wie es aussah, wahllos Flüche in alle Richtungen abfeuerte. Hinter ihm konnte Ginny Malfoy ausmachen, der gerade die zwei geschockten Todesser wiederbelebte. Sie wich einem Todesfluch des großen Todessers aus und eilte Remus zur Hilfe. Es sah im ersten Moment zwar so aus, als würde der Todesser Amok laufen, doch auf den zweiten Blick sah Ginny, dass er genau wusste, was er tat. Sein Fluchhagel zwang Remus und sie, dauernd um ihn herumzuhüpfen, auszuweichen, immer wieder, sodass sie keine Zeit hatten, selbst einen Zauber loszulassen. Immer und immer wieder. Sie kamen nicht vor und nicht zurück. Um sie herum tobte ein erbarmungsloser Kampf. Ginny spürte, wie ihre Beine schmerzten. Sie wusste, nicht mehr lange, und sie würde langsamer werden. Doch sie machte sich keine Sorgen. Das Glück würde ihr schon zur Hilfe eilen. Felix Felicis hatte ihr bisher jeden Schritt gezeigt, den sie zu tun hatte, und sie wusste, dass er das auch weiter tun würde. Gerade, als sie außer Atem nach Luft schnappte, wich Remus einem Todesfluch aus. Der Todesser, der sich hinter ihm gerade mit Bill duelliert hatte, kippt ohne ein Wort zu sagen um. Bill blickte verblüfft auf. Der blonde Todesser hatte einen Moment innegehalten. Ginny nutzte die Gelegenheit und ließ einen Flederwichtfluch auf ihn los. Drei große Flederwichte schlugen ihm plötzlich um die Ohren. Er fluchte laut und rannte blindlings davon. Bill nickte Ginny zu. "Gut gemacht!" Er passte einen Augenblick zu lange nicht auf. Ein großes, knurrendes schwarzes Etwas fiel ihn ohne Vorwarnung von hinten an und grub die Zähne in seinen Hals, während es mit den langen Fingernägeln tiefe, blutende Furchen durch sein Gesicht zog. Er schrie röchelnd auf. Es war Greyback. Ginny brüllte mindestens genauso laut. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, doch sie wusste, was sie zu tun hatte. Wesen der Nacht hassten Licht und Wärme... "Incendio!!", schrie sie. Ein grell leuchtender Feuerstrahl schoss aus ihrem Zauberstab und setzte Greybacks Haar und Umhang in Brand. Greyback ließ jaulend von Bill ab und schlug blind vor Schmerz um sich. Ginny verpasste ihm einen kräftigen Tritt in den Magen, begleitet von einem starken Verscheuche-Zauber. Greyback flog ein paar Schritte rückwärts und krachte gegen die Wand. Ginny schenkte ihm keinen weiteren Blick, sondern kniete sich neben den wimmernden Bill. Bill öffnete mühsam die Augen. "Ginny... Danke. Ahhh... mach dir um mich keine Sorgen... halt sie auf... Kämpf..." Tränen liefen über Ginnys Gesicht, doch sie wusste, dass er Recht hatte. Sie sprach den einzigen Heilzauber über ihn, den sie kannte, und drückte seine Hand. "Halt durch, Bill. Ich komme zurück." Dann sprang sie auf. Gerade noch rechtzeitig. Ein Todesfluch schlug dicht neben Bill in den Boden ein, dort, wo sie gerade gesessen hatte. Ginny sah sich nach dem Übeltäter um - und entdeckte einen brutal dreinblickenden Todesser, der seinen Zauberstab genau auf ihr Herz gerichtet hatte. Ginny sprang beiseite und ein grüner Lichtblitz schoss an ihr vorbei. Plötzlich krachte Neville im vollen Lauf gegen den Todesser und warf ihn um. Der Todesser kämpfte jetzt mit Neville am Boden. Ginny zögerte. Wenn sie versuchte, ihn zu verhexen, könnte sie genauso gut Neville treffen. Nein, lieber nicht. Felix Felicis ließ sie einmal um ihre eigene Achse wirbeln. Malfoy war verschwunden. Gerade schoss der blonde Todesser - die Flederwichte waren verschwunden - wieder Flüche auf alle Gegner in seiner Reichweite ab. Neville fiel getroffen hintenüber und schrie. Flitwick rannte an Ginny vorbei und quiekte dabei: "Ich hole Severus! Wir brauchen Hilfe!" Und er hatte Recht. Neville wimmerte und stand nicht mehr auf. McGonagall und Remus duellierten sich jeder mit zwei Todessern gleichzeitig. Tonks hatte es mit dem großen, blonden Todesser aufgenommen und tänzelte um ihn herum. Ron schoss einen gebellten Fluch nach dem anderen auf die kleine, stämmige Hexe ab, die anscheinend wieder belebt worden war. Der Todesser mit dem brutalen Gesicht kam jetzt zornentbrannt auf Ginny zu. Die sah den Fluch kommen und schrie: "Protego!" Er konnte seinem eigenen Fluch nur um Haaresbreite entkommen, dann drehte er sich zu den anderen um und brüllte einen Befehl, den Ginny nicht verstehen konnte. Greyback, der das Feuer losgeworden war, die stämmige Hexe und ein kleiner, untersetzter Todesser stürmten ihm nach, die Treppe zum Turm hinauf. Neville rief zornig: "Nein!" Er rappelte sich mühsam auf und folgte ihnen. Doch er kam nicht weit. Es sah so aus, als prallte er gegen eine unsichtbare Barriere. Er wurde rücklings durch die Luft geschleudert und krachte mit einem Schrei zu Boden. Ein hässliches Knirschen ertönte. Ginny rannte zu ihm und fiel neben Ihm auf die Knie. "Neville! Was ist passiert?" Neville wimmerte. "Mein Arm", keuchte er. Ginny schluckte. Doch schon raste ein weiterer Fluch auf sie zu und sie sprang wieder auf. Felix zwang sie, weiterzukämpfen. Er gab ihr die Gewissheit, dass Neville es schaffen würde. Es waren immer noch vier Todesser in dem Gang, in dem sie kämpften. McGonagall und Tonks kämpften jetzt zusammen gegen den riesigen blonden Todesser, Remus und Ron kämften zu zweit gegen die drei übrigen. Ginny beeilte sich, ihnen zu Hilfe zu kommen. Sie waren ungefähr gleichstark. Keiner von ihnen konnte einen Vorteil ziehen, keiner entdeckte eine Schwäche beim Gegner. Eine Weile ging der Kampf hin und her, dann erhellte ein Zauberstab das Schlachtfeld. Ein Mann in einer schwarzen Robe rannte auf sie zu. Snape. Ginnys Herz pochte schmerzhaft. Snapes Gesicht war eine weiße, kalte Maske. Er stürmte an ihnen vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, und schlug dann den Weg zum Astronomieturm ein. Remus stürzte ihm nach und ließ Ron und sie mit den drei Todessern alleine. Snape brach durch die Barriere, als wäre sie nicht da, doch Remus wurde zurückgeworfen und landete mit einem wütenden Brüllen zu Ginnys Füßen. Sie half ihm rasch auf und er kämpfte verbissen weiter. Plötzlich schrien hinter ihnen McGanagall und Tonks auf. Ginny wirbelte herum. Die Decke direkt an der Treppe zum Turm bebte. Große Steinbrocken fielen herunter. Staub stob in alle Richtungen. Ginny hustete und schaffte sich einen Luftblasenzauber, dann rannte sie auf die Treppe zu. Plötzlich war Snape wieder da. Er rannte mit Malfoy im Schlepptau geradewegs durch sie alle hindurch. Keiner hielt sie auf. Nur einen Moment später kamen Greyback, die kleine Hexe und der untersetzte Todesser herausgestürmt und stürzten sich wieder in den Kampf. Ginny wurde von dem kleinen, untersetzten Todesser regelrecht mit Flüchen bombardiert. Hinter sich hörte sie Greyback aufgeregt knurren und einen Körper zu Boden fallen, doch sie hatte keine Zeit, sich umzudrehen. Der kleine Todesser stand seinem großen blonden Kollegen um nichts nach. Er schoss seine Flüche so schnell ab, dass Ginny keine Zeit hatte, sie zu erwidern. Wie aus dem Nichts erschien plötzlich Harry neben ihr und brüllte: "Impedimenta!" Der kleine Todesser wurde direkt in die Brust getroffen und krachte quiekend gegen die Wand. "Harry, wo kommst du her?", rief Ginny, doch er antwortete nicht und rannte los, mitten durch das Kampfgetümmel. Ginny hörte Snape jetzt von der anderen Seite der Halle rufen: "Es ist vorbei, Zeit zu gehen!" Dann verschwanden Snape und Malfoy. Ginny schluckte. Snape hatte doch wohl nicht mit Malfoy und seinen Todessern gemeinsame Sache gemacht? Es sah ganz so aus, denn jetzt liefen die kleine Hexe und der untersetzt Todesser hinter den beiden her. Wenig später folgte der große blonde Todesser. Harry setzte ihnen mit großen Schritten nach. Ginny biss sich auf die Lippe und sah sich um. Remus, Ron und McGonagall kämpften jeder mit einem der verbliebenen Todesser, und Greyback hatte sich auf Tonks gestürzt. Greyback schien kurz davor, ihr die Kehle zu zerbeißen. Ginny zögerte nicht lange und jagte ihm einen Schockzauber auf den Hals. Er wurde von Tonks heruntergeschleudert, doch er stand wieder auf und lachte knurrend. "Jaja, versuch nur, mich auszuschalten, Kleine! Du bist die Nächste!" Er schien seine Fingernägel auszufahren und stürmte auf sie zu. Ginnys Augen weiteten sich angstvoll, sie stolperte rückwärts und schrie wieder: "Stupor!" Doch sie war nicht die einzige. Tonks hatte im selben Moment wie sie einen Schocker losgeschickt. Zwei Flüche schafften, was einer alleine nicht vermochte: Greyback fiel zu Boden und regte sich nicht mehr. Tonks nickte Ginny zu. "Danke." Ginny lächelte. "Nichts zu danken." Sie sahen sich um. Die drei anderen Todesser hatten allesamt das Weite gesucht, wahrscheinlich waren sie dem Rest gefolgt. McGonagall fesselte Greyback mit Magie, dann holte sie tief und zittrig Luft. "Gut gemacht, ihr alle." Doch Ginny hörte nicht zu. Sie und Ron waren schon zu Bill gestürzt, der am Boden lag, die Augen geschlossen. Ginny unterdrückte mühsam ihre Tränen und fühlte den Puls. Dann sah sie erleichtert auf. "Er lebt. Wir müssen ihn in den Krankenflügel bringen." "Das mache ich", sagte Remus und schwang seinen Zauberstab. Bills Körper erhob sich im Liegen in die Schwebe. Remus dirigierte ihn mit seinem Zauberstab und machte sich auf den Weg. Ginny atmete tief durch, dann kniete sie sich neben Neville. Er hatte ebenfalls das Bewusstsein verloren. Sein Arm sah ziemlich übel aus. Ginny schnippte jetzt selbst mit dem Zauberstab, murmelte: "Mobilicorpus" und ließ Neville hinter Bill und Remus in den Krankenflügel schweben. Ron und Tonks folgten ihr. Doch draußen auf den Ländereien ging der Kampf ohne sie weiter... Kapitel 9: Snapes Verrat ------------------------ Kapitel 9: Snapes Verrat "Bill wird durchkommen." Madam Pomfreys Worte ließen Ginny einen Stein vom Herzen fallen. Sie sprang sofort auf. "Ich muss nach draußen." Ron runzelte die Stirn. "Hey, wart mal. Was hast du denn vor?" "Harry ist draußen. Und Snape. Und die Todesser. Ich muss sehen, was los ist!" Auf Rons Gesicht erschien der Hauch eines Lächelns. "Du machst dir doch nicht etwa Sorgen um Harry?" Ginny schnaubte und wollte gerade gehen, da kamen Hermine und Luna herein, vor sich den bewusstlosen Professor Flitwick schwebend. Ginny stoppte schlagartig. "Was ist passiert?" Hermine ließ Flitwick auf ein leeres Bett schweben. Sofort wuselte Madam Pomfrey herbei und untersuchte ihn. Hermine schniefte. "Er ist in die Kerker gekommen, um Snape zu holen. Er ist in Snapes Büro zusammengebrochen. Snape ist nach oben gelaufen, um irgendwelche Todesser zu stoppen und wir - Bill!" Sie schrie auf und lief zu Bills Bett. Luna folgte ihr mit blassem Gesicht. "Was ist passiert?" Sie sackte mit schreckensstarrem Gesicht auf Ginnys Stuhl zusammen. "Es war Greyback", meinte Ginny leise. "Er hat ihn gebissen." Hermine runzelte die Stirn. "Aber es ist doch nicht Vollmond!" Ginny zuckte mit den Schultern. "Tja. Greyback will eben mehr als einmal im Monat Menschenfleisch." "Aber... dann wird Bill doch kein Werwolf werden, oder?" Remus, der neben ihr stand, seufzte. "Nein, kein richtiger. Es könnte allerdings sein, dass er ein wenig... wölfisch wird." Ginny schluckte. "Habt ihr Snape und Harry gesehen?" Hermine sah auf. "Nein, aber draußen auf den Ländereien sind irgendwelche Leute gewesen, ich weiß allerdings nicht, wer. Kann sein, dass Harry dabei war." Ginny wurde blass. "Ich muss nach draußen. Ich muss wissen, was los ist. Wir sehen uns später!" Damit stürmte sie aus dem Krankenflügel. Während sie durch die leeren Korridore rannte, wurde ihr eiskalt bei dem Gedanken, was alles geschehen sein könnte. Sie konnte sich nichts mehr vormachen: Sie machte sich Sorgen um Harry. Gleichzeitig hatte sie Angst davor, zu erfahren, was mit Snape war. Sie hatte ihn mit Malfoy davonrennen sehen und Harry hatte die beiden verfolgt. Steckte Snape etwa mit Malfoy unter einer Decke? Aber warum war er dann erst später nach oben gekommen und gleich wieder verschwunden? Was war dort oben auf dem Astronomieturm geschehen? Ginny musste es wissen, sie musste es herausfinden... Als sie die Treppe zur Eingangshalle hinunterrannte, sah sie überall Spuren eines Duells. Immer wieder zogen sich blutige Fußspuren über den Boden, das Glas mit den Hauspunkten der Gryffindors hatte seinen Inhalt über den Boden verteilt, und das Schlossportal schien, als wäre es aufgesprengt worden. Ginnys Mut sackte in den Keller, doch sie rannte trotzdem weiter nach draußen. Der Himmel wurde von einem grünen Totenschädel erhellt, aus dessen Mund eine Schlange quoll. Ginny schluckte. Das also hatten die Todesser auf dem Turm angestellt. In weiter Ferne konnte sie ein paar kleine Gestalten ausmachen, die in Richtung Schlosstor rannten. Eine davon schoss Flüche ab, eine andere blockte sie ab. Als sie näher kam, hörten die Flüche auf. Nur wenig später hörte sie Snape brüllen: "NEIN - NENN MICH NICHT FEIGLING!" Ginny erstarrte, als eine kleinere Gestalt durch die Luft geschleudert wurde. Das war Harry. Ganz sicher. Ihr Herz pochte viel zu schnell. Hoffentlich war ihm nichts passiert... Nein, er regte sich schon wieder. Sie stieß erleichtert die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Und dann kam der dunkle Schatten von Seidenschnabel angeflogen und jagte Snape zum Tor hinaus... Und plötzlich herrschte Stille. Unheimliche Stille. Ginny sah sich um. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Hagrids Hütte brannte. Sie konnte Harrys Schatten sehen, der sich wieder aufrappelte und darauf zu lief. Ginny folgte ihm mit einigem Abstand. Sie war zwar froh, dass ihm nichts passiert war, doch sie wollte jetzt nicht mit ihm reden. Harry ging vor Hagrids Hütte auf die Knie und schrie auf, als er Hagrids große schwarze Umrisse aus der Hütte kommen sah. Ginny blieb stehen. Hagrid und Harry unterhielten sich. Gleich darauf löschten sie die Hütte. Ginny biss sich auf die Lippe. Warum brachte sie es nicht fertig, zu ihnen zu gehen? Warum konnte sie Harry immer noch nicht verzeihen? Ron hatte ihr schließlich gesagt, dass Cho für Harry nichts weiter war als eine kurze Affäre. Doch sie konnte es nicht glauben. Wenn Harry mit ihr Schluss gemacht hatte, damit sie in Sicherheit war, brachte er dann Cho absichtlich in Gefahr? Das konnte Ginny sich irgendwie nicht vorstellen. Harry war immer um seine sämtlichen Mitmenschen besorgt gewesen. Warum sollte er Cho womöglich ihr Leben für ein wenig Spaß riskieren lassen? So war Harry doch sonst nicht! Was war nur los mit ihm? Nur am Rande nahm sie wahr, dass Harry und Hagrid immer noch in der Dunkelheit standen und sich unterhielten. Doch plötzlich wehte Hagrids tiefe, brummende Stimme zu ihr herüber. "Sag so was nich. Snape soll Dumbledore getötet ham - nu hör aber auf, Harry. Was soll das?" "Ich hab es gesehen", erwiderte Harry. Ginnys Herz schien zu Eis zu gefrieren. Dumbledore? Tot? Von Snape umgebracht? Das konnte doch nicht sein, oder? Wie konnte Dumbledore tot sein? Das war nicht möglich - oder etwa doch? Warum sollte Harry Hagrid anlügen? Und vor allem, ihm etwas so unglaubwürdiges erzählen, wenn es nicht die Wahrheit war? Jetzt gingen Hagrid und Harry langsam zum Schloss zurück. Ginny folgte ihnen langsam. Sie weinte nicht. Sie konnte es noch nicht begreifen. Dumbledore tot, das war so unvorstellbar. Es war, als wäre sie in Trance. Sie spürte nicht, wie ihre Beine sie Harry und Hagrid hinterhertrugen, die jetzt den Weg zum Fuß des Astronomieturms eingeschlagen hatten. Erst, als sie einige erleuchtete Zauberstäbe erblickte, deren Besitzer alle schweigend an einem Punkt versammelt waren, schien sie wieder aufzuwachen - und zu fallen. Dort, in der Mitte, lag eine regungslose Gestalt auf dem Boden. Eine Gestalt mit langem Reiseumhang und silbernem Bart. Es kam ihr so vor, als würde sie urplötzlich von eisiger Dunkelheit ertränkt werden, die um sie herum aufstieg. Harry hatte Recht. Und Snape hatte es getan. Ihr Vater hatte Dumbledore umgebracht. Harry kniete sich jetzt neben Dumbledores Körper, rückte ihm die Brille gerade und wischte Blut von seinem Mund. Ginny blieb in dem Kreis aus Schaulustigen stehen, unfähig, sich zu rühren. Sie konnte nicht denken. Die Dunkelheit war überall und wischte jeden Gedanken aus ihrem Kopf. Das einzige, war übrig blieb, war Dumbledores leichenblasses Gesicht und die Worte, die immer wieder in ihrem Kopf widerhallten... Snape hat ihn umgebracht. Mein Vater hat Dumbledore umgebracht. Immer noch wollten keine Tränen kommen. Es war, als würde Ginny nicht mehr weinen können. Es war grausam, ihn hier liegen zu sehen, gefallen von der Hand ihres verhassten Vaters, doch es war zu grausam für Tränen. Tränen waren für Dinge, bei denen man sich die Seele aus dem Leib weinen konnte, bei denen man kurzzeitig vergessen konnte - doch das hier konnte und wollte sie nie vergessen. Nicht für eine einzige Sekunde des Weinens. Hagrid trat auf Harry zu und wollte ihn zum Gehen bewegen, doch Harry rührte sich nicht. Ginny nahm sich ein Herz. Als Harry Hagrid ansah, liefen echte Tränen über seine Wangen. Da konnte sie nicht mehr anders, als ihm zu verzeihen. Sie holte tief Luft, trat vor und griff nach seiner Hand. Sie zog ihn hoch und sagte fester, als sie sich fühlte: "Harry, komm mit." Harry gehorchte ihr stumm. Die beiden gingen ohne ein Wort an den anderen Leuten vorbei und über das dunkle Schlossgelände. Überall waren verwirrte Stimmen zu hören, doch Ginny nahm sie nicht wahr. Erst in der Eingangshalle durchbrach sie das Schweigen zwischen ihr und Harry. "Wir gehen in den Krankenflügel zu den anderen. Komm mit." Harry folgte dem Druck ihrer Hand, doch nach einer kurzen Stille fragte er: "Ginny, wer ist sonst noch tot?" "Niemand von uns." Ihre Stimme klang immer noch fest, fester, als sie sich fühlte. "Aber Malfoy sagte, er wäre über eine Leiche gestiegen." Ginny musste schlucken. "Er muss über Bill gestiegen sein, aber er ist am Leben." "Sicher?" "Natürlich. Er... er sieht schlimm aus, aber er ist in Ordnung. Greyback hat ihn angegriffen, aber er war zu dem Zeitpunkt nicht verwandelt. Wir wissen nicht, was das für Nebenwirkungen hat..." Erstmals zitterte ihre Stimme. Harry drückte ihre Hand ein wenig fester und erwiderte: "Aber was ist mit ... den anderen, die am Boden lagen?" Ginny holte tief Luft. Der Druck von Harrys Hand flößte ihr ein wenig ihres alten Selbstvertrauens ein. "Neville ist im Krankenflügel, aber Madam Pomfrey sagt, dass er wieder ganz gesund wird, und Professor Flitwick wurde ausgeschaltet, aber es geht ihm gut. Und ein Todesser ist tot, einer von den Todesflüchen hat ihn getroffen, die dieser riesige Blonde durch die Gegend geschossen hat. Harry..." Sie zögerte. Doch dann entschied sie sich, Ron zu glauben, was Cho anging. Das war jetzt das einfachste. "Danke für den Felix-Trank. Ohne den wären wir jetzt bestimmt alle tot. Alles ging haarscharf daneben..." Ihre Stimme erstarb zitternd. Sie waren am Krankenflügel angekommen und traten ein. Kaum waren sie eingetreten, fiel Hermine Harry um den Hals und Remus stand auf. "Alles in Ordnung mit dir, Harry?" Harry ließ Ginnys Hand nicht los, als er antwortete: "Mir geht's gut ... Was ist mit Bill?" Ginny zog ihn vorsichtig zu Bills Bett. Harry sog scharf die Luft ein, als er Bills zerschnittenes und aufgerissenes Gesicht sah, welches Madam Pomfrey gerade mit einer grünen Salbe betupfte. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre, doch sie ließ nicht los. "Können Sie ihn nicht mit einem Zauber oder sowas heilen?" Doch Madam Pomfrey antwortete: "Bei denen hier hilft kein Zauber. Ich habe alles ausprobiert, was ich kenne, aber für Werwolfbisse gibt es keine Heilung." Ron, der ebenfalls an Bills Bett saß, blickte verzweifelt auf. "Vielleicht weiß Dumbledore ja etwas, das wirkt. Er hat Bill befohlen, heute Nacht zu kämpfen, er ist es ihm schuldig!" Ginny und Harry sahen sich an. Es war das erste Mal seit dem Tag, an dem er mit ihr Schluss gemacht hatte, dass sie ihm direkt in die Augen sah. Und sie verstand. Er konnte es nicht sagen. Sie schluckte, holte tief Luft und meinte leise: "Ron, Dumbledore ist tot." "Nein!", rief Lupin und blickte zwischen ihr und Harry hin und her. Als sie beide nichts sagten, brach er auf einem Stuhl zusammen und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Diesmal war es Ginny, die Harrys Hand fast zerquetschte, doch auch er zog sie nicht weg. Es half ihnen beiden, dass sie jemanden hatten, an dem sie sich festhalten konnten. "Wie ist er gestorben?", flüsterte Tonks. Harry umklammerte Ginnys Hand noch ein wenig fester und begann zu sprechen. "Snape hat ihn getötet, ich war dabei. Als wir zurückkamen, sind wir auf dem Astronomieturm gelandet, weil dort das Dunkle Mal war. Dumbledore war krank, er war schwach, aber ich glaube, er merkte, dass es eine Falle war, als wir Schritte auf der Treppe hörten. Er hat mich gelähmt, ich konnte nichts tun, ich war unter dem Tarnumhang - und dann kam Malfoy durch die Tür und hat ihn mit einem Zauber entwaffnet - dann kamen noch mehr Todesser - und dann Snape - und Snape hat es getan. Mit dem Avada Kedavra." Er verstummte und Ginny konnte spüren, dass er zitterte. Sie umklammerte seine Hand nur noch fester. Madam Pomfrey brach in Tränen aus. Hermine, Ron, Luna und Tonks schienen wie vom Donner gerührt. Stille kehrte ein. Und dann begann irgendwo draußen in der Dunkelheit ein Phönix zu singen. Sein Lied war schrecklich schön und traurig zugleich, voller entsetzlichem Schmerz. Und Ginny spürte, dass sie sich genauso fühlte. Die Trauer, die Leere, die Enttäuschung... all das fand sie in diesem Lied wieder. Sie wusste nicht, wie lange sie alle still dort gestanden hatten, doch es schien eine Weile vergangen zu sein, als die Türen zum Krankenflügel aufschlugen und eine ziemlich mitgenommene Professor McGonagall mit zerrissenem Umhang hereinkam. "Molly und Arthur sind unterwegs." Sie stellte sich ebenfalls an Bills Bett und musterte Harry. "Harry, was ist passiert? Hagrid zufolge waren Sie bei Professor Dumbledore, als er - als es geschah. Er sagt, Professor Snape sei irgendwie darin verwickelt gewesen -" Harrys Hand zuckte kurz in Ginnys. "Snape hat Dumbledore getötet." McGonagalls Augen weiteten sich und sie schwankte. Rasch schob Madam Pomfrey ihr einen Stuhl hin, auf den sie sich langsam sinken ließ. Ihr Gesicht war schneeweiß. "Snape", flüsterte sie. "Wir haben uns alle gewundert ... aber er hat ... Snape ... immer vertraut ... ich kann es nicht glauben ..." "Snape war ein hervorrangender Okklumentiker", sagte Lupin langsam. "Das haben wir immer gewusst." "Aber Dumbledore hat geschworen, dass er auf unserer Seite ist!", flüsterte Tonks. "Ich dachte immer, Dumbledore muss etwas über Snape wissen, was wir nicht wissen..." "Er hat immer angedeutet, dass er einen stichhaltigen Grund dafür habe, Snape zu vertrauen." McGonagall tupfte sich mit einem Taschentuch die feuchten Augen ab. "Ich meine ... bei Snapes Geschichte ... die Leute mussten sich unweigerlich fragen ... aber Dumbledore hat mir ausdrücklich gesagt, Snapes Reue sei absolut aufrichtig ... wollte kein kritisches Wort gegen ihn hören!" "Ich würde wirklich gerne wissen, was Snape zu ihm gesagt hat, dass ihn dermaßen überzeugt hat", meinte Tonks. Ginny schmeckte plötzlich etwas bitteres auf der Zunge. Mit einem Mal war ihr alles klar. Harry hatte ihr von der Prophezeihung erzählt... das war es. "Ich glaube, ich weiß es. Es ist zwar nur eine Vermutung, aber es würde zu Dumbledore passen." Alle starrten Ginny an. Sie grub ihre Fingernägel in Harrys Handfläche, doch er blieb still und rührte sich nicht. "Snape ist mein Vater. " Ihre Stimme zitterte. Alle starrten sie fassungslos an. Ron rief ungläubig: "Was? Sag mal, spinnst du jetzt?" Nein, nicht alle. McGonagall seufzte leise. "Wie lange wissen Sie es schon?", wollte sie wissen. "Seit gestern", flüsterte Ginny. Dann atmete sie tief durch. "Ich habe am ersten August Geburtstag. Die Prophezeihung über Harry und V-Voldemort hätte, um ein Jahr versetzt, fast auch auf mich zutreffen können. Ich denke mal, Snape hatte Angst, dass es mich treffen könnte, und ist deshalb zu Dumbledore zurückgekehrt." Kapitel 10: Ende und Neuanfang ------------------------------ Kapitel 10: Ende und Neuanfang Die nächsten paar Tage war es still auf Hogwarts. Zu still, selbst für die normalerweise anstehende Prüfungszeit. Doch die Prüfungen waren abgesagt worden, genauso wie der gesamte Unterricht. Tag für Tag wurde die Schule leerer und die Unterkünfte in Hogsmeade voller. In dem Maß, wie die Eltern alle möglichst schnell ihre Kinder nach Hause holten, strömten aus dem ganzen Land Menschen nach Hogsmeade, um Dumbledore die letzte Ehre zu erweisen. Ginny stand am Waldrand und beobachtete mit starrer Miene, wie sich in der Ferne an den Schlosstoren Jeanna gegen ihre Mutter sträubte, die ihre Tochter keine Sekunde länger in der Schule lassen wollte. Ginny konnte einfach nicht zu ihr gehen und ihr gegen ihre Mutter beistehen. Sie konnte nicht. Sie wusste genau, dass sie das nicht ohne einen Nervenzusammenbruch schaffen würde. Ron, der sie in den letzten Tagen immer wieder als verrückt bezeichnet hatte, war schlimm genug gewesen. Da brauchte sie nicht auch noch eine wütende Mutter, die nicht ihre eigene war. Ginny musste plötzlich schlucken. Eine eiserne Faust hatte sich um ihr Herz geklammert. Sie hatte keine Mutter mehr. Jedenfalls keine leibliche. Doch Molly war immer eine Mutter für sie gewesen. Sie hatte keinen Unterschied gemacht zwischen ihr und den Jungs. Sie liebte sie. War das denn nicht genug? Fast. Es schmerzte, zu wissen, dass Molly ihr ihr ganzes Leben die Wahrheit vorenthalten hatte. Doch es war nur zu ihrem Besten gewesen. Das sah Ginny mittlerweile ein. Es tat weh, doch es war so. Molly und Arthur hatten sich um sie gekümmert, obwohl sie nicht ihr Kind war. Sie hatten sie geliebt und liebten sie immer noch. Was wollte sie mehr? Ginny seufzte. Zwei Dinge wollte sie. Sie wünschte sich, dass sie niemals von einer Fledermaus gezeugt worden war. Von einer Fledermaus und einem Mörder. Doch das konnte sie niemals haben. Nie. Sie war sich dessen in den letzten Tagen bewusst geworden. Ron wollte es noch nicht glauben. Ginny war gerade dabei, es zu akzeptieren. Jetzt musste sie nur noch damit leben. Ginny verschränkte die Arme, als Jeanna von ihrer Mutter durch das Portal geschleift wurde und beide im nächsten Moment verschwanden. Jetzt war sie weg. Und Ginny hatte nicht einmal den Mut besessen, sich zu verabschieden. Sie biss sich auf die Zunge, um sich zu beherrschen. Jetzt war es sowieso zu spät. °°**°°**°°**°°**°°**°° Zwei Tage später wurde Dumbledore beerdigt. Ginny ging das erste Mal seit der Nacht seines Todes wieder unter die Leute. Die letzte Woche über hatte sie sich komplett zurückgezogen, um alles zu verarbeiten. Im Moment fühlte sie sich, als wäre das nur halbwegs gelungen. Solange sie alleine war, kam sie ganz gut klar, doch sobald sie jemand auf Snape oder ihre Eltern ansprach, konnte es passieren, dass sie tieftraurig in Tränen ausbrach oder hysterisch wurde. Harry und Cho waren ein eben so heikles Thema für ihre Gesprächspartner. Harry hatte Cho offensichtlich ein paar Mal abblitzen lassen, bis sie von ihrem Vater abgeholt worden war, doch Ginny konnte immer noch nicht völlig ungezwungen mit ihm reden. Ja, sie hatte ihm verziehen, doch es war nicht mehr so wie früher. Sie wusste es und er wusste es. Sie würden schon bald wieder auseinander gehen. Und nichts und niemand konnte Harry aufhalten, sie zu verlassen, um sie zu schützen. Ginny lief langsam durch den Menschenstrom in der Eingangshalle nach draußen auf die Ländereien. Sie nahm die vielen Leute um sie herum gar nicht richtig wahr. Wie alle folgte sie Professor McGonagall schweigend zum See hinunter zu einer ebenen Fläche, auf der hunderte von Stühlen standen, alle ausgerichtet auf einen weißen Marmortisch. Nur am Rand nahm sie wahr, wie Harry, Ron und Hermine sie zu einer Stuhlreihe am Seeufer führten und sie auf einen Stuhl bugsierten. Die Sonne stach ihr in die Augen und zwang sie, sie zu schließen. Ginny atmete tief durch. Sie war ihren Freunden dankbar dafür, dass sie sie nicht ansprachen. Sie wusste nicht, wie lange sie die Fassung behalten würde. Plötzlich füllte Musik die Luft. Eine seltsame Musik, in einer unverständlichen Sprache, doch Ginny war es, als könnte sie jedes Wort verstehen. Sie sprach so deutlich von Trauer, Schmerz und Verzweiflung, dass es fast schon weh tat. Langsam öffnete Ginny die Augen und sah sich um. "Da drin", flüsterte Harry neben ihr und deutete auf den See. Ginny zuckte nicht einmal mehr zusammen. Direkt unter der Oberfläche schwammen die Wassermenschen. Ihre blaugrünen Haare schwebten um ihre Köpfe herum im Wasser und verliehen ihnen einen geheimnisvollen und wilden Ausdruck. Sie sangen. Doch noch ehe Ginny sie lange mustern konnte, stieß Harry sie leicht an. Sie blickte auf. Hagrid schritt langsam durch die langen Stuhlreihen zu dem marmornen Tisch nach vorne, in seinen Armen trug er, in einem Umhang aus lilanem Samt, den toten Dumbledore. Tränen liefen stumm seine Wangen hinunter. Als Ginny ihren ehemaligen Schulleiter erblickte, konnte sie nicht mehr. Er würde nie wieder aufstehen, nie wieder lächeln, nie wieder am Frühstückstisch sitzen und jedem der vier Haustische vor dem Essen zuprosten... Und alles nur wegen ihrem Vater. Ginny schluckte, doch es war vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung. Sie brach in Tränen aus. Verschwommen erkannte sie, wie Hagrid den Leichnam auf den weißen Tisch bettete und den langen Gang zwischen den Stuhlreihen wieder nach hinten ging. Kurz darauf verstummte der Gesang der Wassermenschen. Ginny schniefte und sah auf. Vor dem Tisch stand nun ein kleiner Mann und hielt anscheinend eine Rede, doch Ginny verstand nichts davon. Einen Moment lang ruhte ihr Blick auf Dumbledores weißem Gesicht mit der goldenen Brille, die im Sonnenlicht funkelte, dann kamen ihr wieder die Tränen. Ihr Vater. Snape. Er war dafür verantwortlich. Er hatte Dumbledore getötet. Ginny schluchzte auf. Die Wahrheit hämmerte im Angesicht von Dumbledores Körper stärker gegen ihrem Kopf als die ganze Woche zuvor. Sie wusste nicht, wie lange der kleine Mann vorne redete. Sie hörte erst auf zu weinen, als er verstummte und sich setzte. Einen Moment herrschte Stille - dann ging der weiße Tisch in Flammen auf und Dumbledores Körper mit ihm. Ginny stockte der Atem. Die Flammen loderten weiß, wurden höher und höher und rauchten hell. Der Rauch bildete allerhand seltsame Formen - Spiralen, Kreise, Kringel... Einen Augenblick lang erblickte Ginny den Schatten eines fliegenden Phönix, dann verschwand das Feuer. Ginny blinzelte überrascht. Der Tisch und der Leichnam waren verschwunden, an ihrer Stelle stand nun ein großer, weißer Grabstein aus Marmor. Plötzlich hörte sie Schreie. Sie blickte sich um und erschrak. Ein Pfeilhagel war im Rasen neben dem Grab niedergegangen. Ginny verfolgte die Pfeile zurück und erkannte gerade noch ein paar Zentauren, die im Wald verschwanden. Ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht, als auch die Meermenschen wieder in den Tiefen des Sees verschwanden. Die Geschöpfe von Hogwarts hatten Dumbledore die letzte Ehre erwiesen. Dann spürte Ginny plötzlich, wie Harrys Blick auf ihr ruhte. Ihr eigener Blick wurde hart, als sie sich umwandte und ihn erwiderte. Sie wusste, was kommen würde. Einen Moment wollte ihr Herz schneller schlagen, doch sie holte tief Luft und drängte es mit purer Willenskraft wieder zurück in seinen normalen Rhythmus. Es hatte keinen Sinn, sich falsche Hoffnungen zu machen. "Ginny, hör zu...", meinte Harry leise. Ginny wappnete sich für das, was kommen musste und wovor sie beide am liebsten weggelaufen wären. "Ich darf nichts mehr mit dir zu tun haben. Wir müssen aufhören, uns zu treffen. Wir können nicht zusammen sein." Ginny schluckte. Sie versuchte ein Lächeln, doch sie hatte den Eindruck, dass es zu einer Grimasse wurde. "Es gibt irgendeinen dummen, edlen Grund dafür, nicht wahr? Oder ist es wieder Cho?" Die Worte waren ihrem Mund entschlüpft, bevor sie sie aufhalten konnte. Harrys Miene verzerrte sich. "Ginny, ich war so dumm. Ich hätte mich niemals mit ihr einlassen sollen. Ich... ich habe erst jetzt gemerkt, wie sehr... ich dich verletzt habe... aber ich... ich muss dich nochmal verletzen... ich kann nicht... ich muss jetzt einige Dinge alleine erledigen." Ginny blieb stumm. Meinte Harry damit, dass er Cho ebenfalls verließ? "Voldemort benutzt Leute, die seinen Feinden nahe stehen. Er hat dich schon einmal als Köder benutzt, und das nur, weil du die Schwester meines besten Freundes bist. Überleg mal, in welche Gefahr du geraten wirst, wenn wir zusammen bleiben. Er wird es erfahren, er wird es herausfinden. Er wird versuchen, durch dich an mich heranzukommen." Ginny schluckte. Plötzlich hatte sie einen furchtbaren Kloß im Hals. Doch sie würde nicht weinen. Langsam nickte sie. "Ich verstehe. Aber versprich mir, dass du Cho nie wieder anrührst." Harry schien zugleich traurig und erleichtert. "Natürlich. Ich werde mich hüten", erwiderte er schnell. Ginny nickte wieder und wandte sich ab. Sie würde nicht weinen. Sie war stark. Als sie sich wieder umdrehte, war Harry aufgestanden und verschwunden. Sie war alleine. Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange. °°**°°**°°**°°**°°**°° Der Hogwarts-Express kam langsam zum Stillstand und der übliche Tumult brach los. Irgendwo hörte Ginny einen Knall - wahrscheinlich war ein Koffer aus dem Gepäcknetz gefallen. Sie hievte mit Hilfe von Neville ihren eigenen Koffer zu Boden, darauf bedacht, Harry nicht anzusehen. Sie bückte sich noch einmal, um sich die Schuhe zu binden, und hörte Schritte hinausgehen. Vorsichtig blickte sie auf. Harry war weg. Sie atmete erleichtert aus und richtete sich wieder auf. Die Fahrt war die Hölle gewesen. Harry hatte versucht, mit ihr so normal wie möglich umzugehen, doch das hatte geschmerzt. Es war fast, als wäre nichts geschehen. Sie hatte der Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, nur mühsam widerstanden, als er über Cho gelästert hatte. Anscheinend konnte sie zwar gut küssen, war aber ansonsten eine ziemliche Nervensäge. Ginny schulterte ihren Rucksack, packte den Koffer und schleifte ihn auf den Gang hinaus. Irgendwie schaffte sie es auch dieses Jahr wieder, auf dem Weg zur Waggontür nicht zertrampelt zu werden. Als sie aus dem Zug purzelte und nur mit Mühe auf den Füßen blieb, bot sich ihr ein vertrauter Anblick. Warmes Sonnenlicht strahlte in die hohe Bahnhofshalle. Dampf stieg in dichten Wolken rund um die scharlachrote Dampflok auf. Der Bahnsteig war wieder einmal überfüllt mit Eltern, die ihre Kinder vom Zug abholen wollten. Ein leises Lächeln schlich sich auf Ginnys Gesicht. Es war wie immer. Sie ließ den Blick suchend über die Menge wandern und entdeckte schließlich ein paar Köpfe mit roten Haaren. Sie machte sich auf den Weg. Als sie schließlich angekommen war, wurde sie von Molly so heftig umarmt, dass sie fast umgefallen wäre. "Mum!", rief sie glücklich, dann holte sie die Wahrheit ein. Das war nicht ihre Mutter. Plötzlich war ihr wieder zum Heulen zu Mute und sie stieß Molly weg. Die blickte ziemlich verdattert. Auch Arthur sah verwirrt aus. "Was ist denn, meine Kleine?", wollte Molly besorgt wissen, als Ginnys Augen zu glänzen begannen. Ginnys Gesicht brannte. Sie machte den Mund auf, doch es schnürte ihr die Kehle zu. es kam nur ein Krächzen heraus. "Ich... ich weiß Bescheid. Über... meine Eltern." Arthur wurde blass. Molly jedoch schluchzte auf und schloss Ginny wieder in die Arme. Sie wehrte sich nicht, doch sie erwiderte die Umarmung auch nicht. Nach einer Weile ließ Molly sie wieder los und blickte ihr in die Augen. "Du bist unsere Tochter, und du wirst es auch immer bleiben, Ginny. Uns ist es egal, wer dich auf die Welt gebracht hat. Wir lieben dich." Arthur nickte eifrig. Ginny fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie fiel Molly um den Hals. "Danke, Mum, Dad." Jetzt weinte Ginny doch. Aber diesmal vor Freude und Erleichterung. Kapitel 11: Eine Nacht des Schreckens ------------------------------------- Kapitel 11 - Eine Nacht des Schreckens Ginny saß missmutig auf einem Stuhl, die Füße angezogen und die Arme um die Knie geschlungen. Das war so ungerecht! Alle waren dort draußen und bereiteten sich auf die Schlacht vor, nur sie saß hier und durfte nicht weg. Nicht einmal Harry hatte ihr erlaubt, mitzuhelfen. Sie seufzte. Hatte sie allen Ernstes etwas anderes erwartet? Er hatte sich jetzt ein Jahr lang von ihr ferngehalten, unter anderem, um sie zu schützen. Wieso sollte er dann ausgerechnet jetzt, wo die Todesser die Schule umzingelten, seine Meinung ändern? Sie presste ihr Gesicht gegen die Knie und schloss die Augen. Wo Snape wohl jetzt war? Eine heiße Wut stieg in ihrer Brust auf. Harry hatte gesagt, dass er geflohen wäre. Vermutlich war er bereits bei Voldemort. Ginny biss sich auf die Lippe. Jetzt war sie doch froh, hier zu sein und nicht kämpfen zu müssen. Sie hatte wirklich keine Lust, ausgerechnet von ihrem Vater umgebracht zu werden. Im Kampf sterben, das hätte sie in Kauf genommen, aber nicht im Kampf gegen Snape. Niemals. Es raschelte im Loch in der Wand, und im nächsten Moment kam Tonks herausgeklettert, zusammen mit einer älteren Frau, die Ginny als Nevilles Großmutter erkannte. Sie blickte auf und versuchte ein Lächeln, das aber eher zu einer Grimasse geriet. "Hi Tonks. Tag, Mrs. Longbottom." Tonks nickte ihr zu, und Mrs. Longbottom eilte auf sie zu. "Tag, Kindchen! Du bist doch die Tochter von Arthur! Ginevra, nicht wahr?" Ginny konnte gerade noch verhindern, dass sie vom Stuhl fiel. Tochter von Arthur. Schön wärs, dachte sie verbittert, riss sich jedoch zusammen und schüttelte die ausgestreckte Hand von Mrs. Longbottom. "Ja. Was tun Sie denn hier?", wollte sie wissen. Die Dame richtete sich stolz auf. "Ich werde meinen Teil dazu beitragen, diese Schule vor Du-weißt-schon-wem zu verteidigen! Wo ist Neville?" Ginny zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich unten in der Großen Halle. Alle sind da unten." "Was ist mit dir?" "Ich bin minderjährig. Ich darf nicht." In diesem Moment dröhnte ein hohe, kalte Stimmer aus jedem Winkel des Raumes, von überall und nirgendwo her. "Ich weiß, dass ihr euch bereitmacht zum Kampf." Tonks keuchte, Augusta Longbottom griff sich mit schreckgeweiteten Augen an die Brust, und Ginny zuckte zusammen und purzelte nun doch vom Stuhl. "Eure Bemühungen sind zwecklos. Ihr könnt mich nicht besiegen. Ich will euch nicht töten. Ich habe Hochachtung vor den Lehrern von Hogwarts. Ich will kein magisches Blut vergießen." Ginny, Tonks und Augusta schienen gleichzeitig den Atem angehalten zu haben. "Gebt mir Harry Potter und keinem soll ein Leid geschehen. Gebt mir Harry Potter und ich werde die Schule unversehrt lassen. Gebt mir Harry Potter und ihr sollt belohnt werden. - Ihr habt Zeit bis Mitternacht." Die drei sahen sich einen Moment entsetzt an, dann zischte Augusta: "Da kann er lange warten." Tonks nickte blass, aber entschlossen. "Wir kämpfen." Ginny rappelte sich auf. "Du auch? Was ist eigentlich mit Teddy?" "Der ist bei meinen Eltern." Ginny nickte nachdenklich. Eine lange Zeit lang sagte keiner etwas, dann ging die Tür plötzlich auf und Filch kam herein, gefolgt von Pansy Parkinson und einer Horde Slytherins. Filch blickte sich missmutig um. "Von diesem Raum hab ich noch nie etwas bemerkt", brummelte er, während die Slytherins der Reihe nach durch das Loch in der Wand verschwanden. Pansy sah aus, als würde sie schmollen, und hatte für Ginny nicht mehr als einen verächtlichen Blick übrig. "Du meine Güte", meinte Augusta fassungslos. "Mr. Filch, was geht hier vor?" Der Hausmeister wandte sich missgelaunt um. "Wir evakuieren die Schule. Sie sollten auch gehen, Ma'am." Augusta verschränkte entrüstet die Arme vor der Brust. "Kommt nicht in Frage! Ich werde kämpfen!" Filch blinzelte überrascht, zuckte dann jedoch mit den Schultern und verschwand auf den Gang hinaus. Kurz darauf riss die Schlange aus Slytherins ab und eine neue aus Ravenclaws kam herein. Tonks schüttelte den Kopf. "Aberforth wird nicht glücklich sein..." Und tatsächlich, als die Ravenclaws komplett verschwunden waren, kletterte Aberforth durch das Loch in der Wand. Er blickte sich um, die Stirn in grimmige Falten gelegt. Schließlich beschloss er, Augusta anzusprechen. "Was geht hier vor? Mein Pup ist voller Kinder, die nach irgendwelchen Gegenständen fragen, sie in Portschlüssel verwandeln und damit verschwinden!" Augusta richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, reichte dennoch nicht ganz bis zu Aberforth hinauf. Er war ebenso groß, wie sein Bruder es gewesen war. "Wir werden gegen Voldemort kämpfen und bringen die minderjährigen Schüler in Sicherheit. Werden Sie und helfen?" Aberforth brummte missmutig. "Wo ist Potter? Er ist schuld an dem ganzen Schlamassel." Augusta deutete auf die Treppe, die zur Schule hinaufführte. "Irgendwo in der Schule." Er verschwand ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf. Mittlerweile waren auch die Hufflepuffs vorbeimarschiert, jetzt zog eine Reihe von Gryffindors an ihnen vorbei. Viele begrüßten Ginny im Vorbeigehen. Sie ignorierte die meisten, nur Jeanna schenkte sie ein Lächeln. Die beiden hatten sich ein wenig auseinander gelebt im letzten Jahr. Jeanna hatte zuviel Angst vor Snape und den Carrows gehabt, um wie Ginny Neville dabei zu helfen, Dumbledores Armee wieder aufleben zu lassen. Dennoch, etwas hatte sie immer verbunden: Das Wissen um Ginnys Herkunft. Jetzt blieb Jeanna kurz bei Ginny stehen. "Kommst du nicht mit?", wollte sie mit einem besorgten Blick wissen. Ginny schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht. Am liebsten würde ich mitkämpfen, aber auch, wenn ich es nicht darf, muss ich einfach hier sein. Ich muss wissen, was los ist. Meine Familie ist hier, Harry ist hier - und Snape." Jeanna nickte, in ihren Augen blitzte Verständnis auf. Sie umarmte Ginny und flüsterte ihr ins Ohr: "Viel Glück und leb wohl." Ginny klammerte sich an Jeanna fest. "Sag sowas nicht", flüsterte sie nun ihrerseits. "Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich dir." Jeanna nickte und drückte Ginny noch fester an sich. Die beiden lösten sich erst wieder voneinander, als Tonks jede mit einer Hand am Kragen packte und voneinander wegzog. "Du musst gehen", befahl sie Jeanna sanft, "Sonst bekommst du keinen Portschlüssel mehr. Die Gryffindors sind schon fast alle weg." Jeanna nickte stumm, warf Ginny noch einen langen Blick zu, dann kletterte sie als einer der letzten in den langen Gang. Ginny hatte mit einem Mal einen großen Kloß im Hals und musste sich zwingen, nicht zu weinen. Hoffentlich ging wirklich alles gut... In diesem Moment bebte der Boden. Ginny schwankte erschrocken. Augusta sah sich entsetzt um, doch Tonks warf nur einen ungerührten Blick auf ihre Armbanduhr. "Es ist Mitternacht", meinte sie trocken. "Dann mal los, Leute." Sie machte schon einen Schritt auf die Tür zu, dann jedoch sah sie sich nach Ginny um und blieb stehen. "Nein. Ich gehe nicht raus. Ich lasse dich nicht auch noch sitzen, Ginny." Ginny lächelte sie traurig an. "Danke." Augusta seufzte und beschwor sich einen Stuhl herauf. "Sie haben Recht, Tonks. Das wäre mehr als unfair Ginevra gegenüber." Sie ließ sich nieder, blickte sich allerdings noch einmal stirnrunzelnd zu dem Tunneleingang um, zog ihren Zauberstab und verschloss ihn mit einem stummen Zauber. Dann warteten sie zu dritt - auf das nächste Beben der Wände, den nächsten Knall irgendwo auf den Gängen, irgendetwas... Bis endlich Schritte die Treppe herunter kamen und Harry, Ron und Hermine eintraten. Augusta stand sofort wieder auf und musterte Harry mit einem forschen Blick. "Ah, Potter. Du kannst uns berichten, was gerade los ist." Ginny fragte: "Alles in Ordnung mit den anderen?", gleichzeitig mit Tonks. Die beiden warfen sich einen verblüfften Blick zu, und Ginny grinste kurz, bevor ihr Gesicht wieder ernst wurde. Harry schein sich etwas gerader hinzustellen unter ihrer dreier Blick. "Soweit wir wissen. Sind noch Leute im Tunnel zum Eberkopf?" "Mal abegesehen von den Schülern, die mittlerweile alle durch sein müssten, war ich die letzte, die vor Aberforth hier durch kam. Ich habe den Durchgang hinter den Schülern versiegelt. Ich halte es für unklug, ihn offen zu lassen, jetzt, wo Aberforth seinen Pub verlassen hat. Hast du meinen Enkel gesehen?" "Er kämpft", gab Harry zurück, und Ginny sackte das Herz in die Hose. Natürlich, sie hatte es gewusst, doch mit einem Mal hatte sie Angst um Neville. Vielleicht würde er im Kampf mit einem geschickten Todesser durch seine Tollpatschigkeit gerade einige entscheidende Sekunden verlieren... Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Neville war gut. Er würde es schaffen. Augusta lächelte und sah ausgesprochen stolz aus. "Natürlich", meinte sie. "Entschuldigt mcih, ich muss gehen und ihm beistehen." Damit machte sie sich auf den Weg in die Schule hinauf. Harry wandte sich an Tonks. "Ich dachte, du wärst mit Teddy bei deiner Mutter?" "Ich hab es nicht ausgehalten, nichts zu wissen - Sie kümmert sich um ihn - hast du Remus gesehen?" Sie wirkte hin und hergerissen und blickte Ginny kurz gequält an. Und Ginny begriff. Tonks hatte nach Remus suchen wollen, sie jedoch auch nicht alleine lassen können... Sie nickte dankbar, aber gab Tonks auch mit einem BLick zu verstehen, dass sie durchaus auch ohne sie zurechtkam. Tonks schien erleichtert zu sein. "Er wollte eine Gruppe von Kämpfern ins Gelände führen - ", meinte Harry. Tonks wurde einen Hauch blasser und stürmte ebenfalls die Treppe zur Schule hinauf. Nun wandte sich Harry an Ginny. "Ginny, es tut mir Leid, aber du musst auch raus. Nur für eine Weile. Dann kannst du wieder reinkommen." Ginnys Augen weiteten sich, und ihr Herz tat einen Hüpfer. Sie konnte nach draußen! Sie konnte sehen, was vor sich ging! Sie konnte mithelfen! Sie sprang auf und rannte Tonks ohne ein weiteres Wort hinterher. Harrys Rufe, dass sie wieder zurückkommen müsste, ignorierte sie. Er würde sie schon zwingen müssen - freiwillig würde sie sich nicht mehr einsperren lassen, während um sie herum die Schlacht tobte. Kaum war sie oben, schwankte sie unter dem bebenden Boden. Staub nahm ihr die Sicht, und auf den dunklen Schlossgründen sah sie rote und grüne Flüche umherfliegen. Tonks stand an einem zerbrochenen Fenster und schickte Flüche hinaus in die Nacht. Rasch lief Ginny zu ihr, zückte ihren Zauberstab und begann, es ihr gleichzutun. Tonks blickte nur kurz zu ihr, bevor sie den nächsten Fluch abfeuerte, doch sie fragte: "Warum bist du hier?" "Harry braucht den Raum der Wünsche", gab Ginny kurz zurück und jagte einen Flederwichtfluch hinaus in die Nacht. Ein erstickter Schrei war vom Schlachtfeld zu hören. Sie grinste kurz und jagte den nächsten hinterher. Und noch einen. Irgendwann hörte sie auf zu zählen, doch noch immer erfüllte sie kalte Befriedigung, wann immer auf einen ihrer Flüche ein Schrei folgte. Gerade, als sie wieder einen Flederwichtfluch in ein Pulk von Todessers schoss, rief eine Stimme hinter ihr: "Prima, Mädchen!" Ginny wandte sich um und sah Aberforth an der Spitze einer Reihe Schüler durch den Korridor rennen. Auch Harry, Ron und Hermine waren aus dem Raum der Wünsche gekommen und schienen sich gerade zu orientieren. Aberforth brüllte durch den Staub: "Die brechen anscheinend am nördlichen Wehrgang durch, sie haben ihre eigenen Riesen mitgebracht!" "Hast du Remus gesehen?", rief Tonks ihm hinterher, als er schon in die andere Richtung davonstürmte. "Der hat sich gerade mit Dolohow duelliert, hab ihn seither nicht mehr gesehen!", schrie Aberforth über die Schulter. Ginny konnte selbst durch den Staub hindurch sehen, wie kreidebleich Tonks geworden war. "Tonks", meinte sie besänftigend. "Tonks, ich bin sicher, ihm geht's gut - " Doch Tonks war schon losgerannt, Aberforth hinterher. Ginny wandte sich, nun etwas ziellos, zu Harry um. Harry schenkte ihr ein gekünsteltes Lächeln. "Die werden es schon schaffen. Ginny, wir sind gleich zurück, geh einfach in Deckung und pass auf dich auf." Er forderte Ron und Hermine auf, ihm zu folgen, und die drei verschwanden wieder im Raum der Wünsche. Ginny sah sich planlos um. Bevor sie wusste, was sie tun sollte, explodierte die Fensterfront nur wenige Meter von ihr entfernt. Ginny warf sich zu Boden. Steine prasselten über sie hinweg, doch die größeren Trümmer verfehlten sie zum Glück. Als die Explosion verklungen war, wartete sie noch einige Sekunden, dann rappelte sie sich auf und fasste einen Entschluss. Hier würde sie nicht bleiben. Es war zu gefährlich. Wenn das hieß, dass Harry sie nicht zurück in den Raum der Wünsche sperren konnte, um so besser. Sie sprang über ein paar Trümmer und rannte dann in die Richtung, in die auch Aberforth und Tonks verschwunden waren. Sie konnte ihnen vielleicht helfen. Doch sie war noch nicht weit gekommen - gleich hinter der nächsten Ecke duellierten sich bereits Leute. Angst kroch in ihre Eingeweide, als sie vier Todesser erblickte - eiskalt und gefühllos durch ihre Masken. Ihr Herz machte einen Hüpfer, als sie in den Gegnern der vier Todesser ihre Brüder Percy und Fred, sowie ihren Klassenkameraden Colin Creevy erkannte. Rasch zückte sie den Zauberstab, verbannte sämtliche Zweifel aus ihren Gedanken und eilte ihnen zur Hilfe. Schon nach den ersten paar Flüchen ging sie komplett in dem Duell auf - Sie schickte Flüche los, wich Flüchen aus, wehrte Flüche ab, schickte wieder Flüche los... Die Welt schien nur noch aus einem bunten Strahlen von leuchtenden Blitzen zu bestehen. Sie nahm Percy gar nicht wahr, der sie anbrüllte, doch gefälligst aus der Schussbahn zu bleiben. Sie sah nur noch den bunten Flüchehagel, sah wie einer ihrer Schockflüche traf, einer der Todesser mit einem Schrei zusammenbrach - und dann traf ein giftgrüner Blitz Colin mitten in die Brust. Sie starrte ihn entsetzt an, konnte sehen, wie das Leben in seinen Augen verlosch - für einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen - dann sah sie ihn zu Boden fallen und hörte sich selbst schreien, als stünde sie neben sich. Colin konnte nicht einfach tot sein... Er konnte nicht einfach weg sein - er gehörte doch hierher - er war ein Teil ihres Lebens! Mit einem Mal fühlte Ginny sich unglaublich leer. Sie starrte weiter auf die Stelle, an der Colins Gesicht vor einem Moment noch gewesen war, bis - "Ginny!", schrie Fred neben ihr. Sie sprang erschrocken ein Stück zur Seite, und ein ebenso grüner Fluch verfehlte sie nur um Haaresbreite. Mit einem Mal war die Schlacht wieder allgegenwärtig. Ginny hatte sie für einen Moment lang fast vergessen gehabt. Doch nun sah sie wieder die vermummten Gestalten, sah den Hagel an Flüchen, sah ihre beiden Brüder unter dem Ansturm zurückweichen... Rasch folgte sie ihnen, doch auch sie ließ immer schneller hintereinander Flüche los - einen jeden mit dem Wunsch nach Vergeltung für Colin. Dennoch war es nur ein schwacher Triumph, als sie einen der drei verbleibenden Todesser mit einem Flederwichtfluch dazu brachte, seinen Zauberstab fallen zu lassen, sodass Percy ihn schocken konnte - zu tief saß der Schmerz. Die beiden verbleibenden Todesser steigerten noch einmal das Tempo ihrer Flüche. Ginny hatte keine Zeit, sich zu wundern, wie das möglich war, da sie nur noch mit Abwehren und Ausweichen beschäftigt war. Langsam wurden die drei Geschwister immer weiter zurückgedrängt, um die Ecke, zurück in den Korridor, in dem der Raum der Wünsche lag. Mit einem Mal war Harry neben ihr, auf ihrer anderen Seite tauchten Ron und Hermine auf - und zusammen mit ihnen gelang es den drei Weasleys, die verbliebenen zwei Todesser ein Stück in die Defensive zu drängen. Einem von ihnen rutschte die Maske vom Gesicht. Ginny erkannte das Gesicht, konnte jedoch nicht sagen, wem es gehörte. Doch Percy wusste es. "Hallo, Minister!", brüllte er und jagte ihm einen Fluch direkt in die Brust. Dieser ließ den Zauberstab fallen und griff sie an die Brust. Thicknesse. Er schrie nicht. Ginny nahm an, dass er es unter Imperius nicht konnte. "Hab ich schon erwähnt, dass ich kündige?", rief Percy. Im nächsten Moment wurde der zweite Todesser von drei Schockern gleichzeitig getroffen und brach zusammen. Fred blickte Percy fassungslos an. "Du machst Witze, Perce!" Ginny jagte Thicknesse, der sich gerade wieder aufrichten wollte, einen Verwandlungszauber auf den Hals, den sie erst vor wenigen Wochen bei Professor McGonagall gelernt hatte. Eigentlich war er nicht für die Verwandlung von Menschen gedacht gewesen, doch er schien seinen Zweck zu erfüllen. Thicknesse krümmte sich am Boden, überall wuchsen ihm Stacheln. Ein ganzer Seeigel schien er wohl nicht zu werden, aber es reichte, um ihn kampfunfähig zu machen. Mit einem Mal herrschte, abgesehen von dem beben der Wände, Ruhe. Ginny blickte sich nach den anderen um. Fred grinste Percy breit an. "Du machst tatsächlich Witze, Perce... Ich glaub, ich hab keinen Witz mehr von dir gehört, seit du - " Ein ohrenbetäubender Knall unterbrach ihn. Die Wand direkt neben ihnen explodierte, die Decke stürzte ein, sie wurden von der Druckwelle alle auseinander geschleudert... Ginny schrie, kniff die Augen zusammen und umklammerte fest ihren Zauberstab. Sie flog einen endlosen Moment lang durch die Luft, dann krachte sie gegen massives Gestein. Der Aufprall presste die Luft aus ihren Lungen und jagte eine Welle unerträglicher Schmerzen durch ihren Körper. Gedämpft nahm sie die Schreie der anderen wahr, das Beben in den Wänden, der Lärm der Schlacht. Sie schüttelte den Kopf, doch ihre Ohren schienen ihr immer noch nicht recht zu gehorchen. Doch dann hörte sie einen Schrei, der so laut war, so herzzerreißend - Mit einem Mal wurde es eiskalt um sie herum. Am liebsten wäre sie hier liegen geblieben, bis zum Ende der Schlacht, für immer - nur um nicht sehen zu müssen, wer geschrien hatte, was geschehen war - doch sie musste es wissen. Die Angst kroch in ihre Eingeweide und schien ihren Magen zu verknoten, als sie sich langsam aufrappelte und sich umsah. Sie musste würgen, als sie Harry, Ron, Hermine und Percy um Fred herumknien sah, der reglos auf dem Boden lag. Wie in Trance tappte sie über die Trümmer und fiel ebenfalls vor ihrem Bruder auf die Knie. Freds Augen waren leer. So leer, wie die Colins es gewesen waren, bevor er in sich zusammengesackt war. Die Spur eines Lächelns lag noch auf seinem Gesicht, das bereits so aussah, als wäre es aus Wachs... "Nein - nein - nein!" Ginny merkte nicht einmal, wie sie schrie. "Nein! Fred! Nein!" Sie packte Fred und schüttelte ihn, Percy ebenfalls... doch Fred regte sich nicht mehr. Mit einem Mal schien die Welt stillzustehen. Alles um sie herum verschwand, der Lärm der Schlacht, die Trümmer, die anderen - übrig blieb nur Freds lebloses Gesicht und seine leeren Augen... Tränen quollen aus ihren Augen, noch bevor der Schmerz in ihrem Herzen angekommen war. Fred konnte nicht tot sein, Fred durfte nicht tot sein! "Fred!", schluchzte sie. Er würde nie wieder aufstehen, nie wieder lachen, nie wieder Georges Sätze beenden, nie wieder Streiche spielen... Ginny sackte auf seinem bereits kalt werdenden Körper zusammen und umklammerte ihn, so fest sie konnte. Eine eiserne Faust schien einen Teil ihres Herzens gepackt und gnadenlos herausgerissen zu haben... den Teil, in dem Fred wohnte. Und sie wusste, dass sie ihn niemals wieder zurückbekommen würde... Sie wusste später nicht mehr genau, was dann geschah. Sie erinnerte sich nur noch an Harrys Hände, die sie von Fred losrissen und sie wieder auf die Beine stellten, an Freds Körper, den die Jungs in eine Nische getragen hatten... Das nächste, an das sie sich erinnerte, war ein großer, gefährlich aussehender Todesser, der Flüche auf einige Schüler abfeuerte. Wut erwachte in Ginnys Herzen. Die Todesser hatten Fred umgebracht - sie würden bezahlen! Als Percy "ROOKWOOD!" brüllte und sich in den Kampf stürzte, riss Ginny sich von Harry los, der sie immer noch gepackt hatte, und stürmte ihm hinterher, den Zauberstab gezückt. Der Gedanke an Rache, der Wunsch nach Vergeltung, die beißende Wut... Ginny ließ zusammen mit ihrem Bruder einen wahren Flüchehagel auf den Todesser niedersausen. Dieser krachte mit einem hässlichen Knirschen gegen die nächsten Wand, schlidderte zu Boden und sackte dort in sich zusammen. "Gut gemacht!", rief Percy ihr zu, dann stürmte er die nächstbeste Treppe hinunter, immer den Schreien und dem Knallen der Flüche nach. Ginny folgte ihm auf den Fuß. Rookwood zu erledigen hatte ein wenig geholfen, den beißenden Schmerz zu besänftigen, doch bei weitem nicht genug. Es liefen noch genug Todesser ungestraft durch die Gegend, die kurz und klein gehext gehörten... Sie liefen fast in Professor McGonagall, die durch den Korridor wetzte, eine Horde galloppierender Pulte im Schlepptau. Bei diesem Anblick musste Ginny einen wunderbaren Moment lang lachen, doch schon einen Lidschlag später sauste nur knapp an ihrem Ohr ein Fluch vorbei. Percy und sie rannten McGonagall hinterher und rannten hinter der nächsten Ecke in einen Pulk Todesser. Ginny stürzte sich brüllend in den Kampf. Die Wut in ihr loderte immer noch so hoch... Sie wollte den Todessern Schmerz zufügen, sie leiden lassen, wie sie litt - sie achtete kaum mehr auf die Flüche, die auf sie zugeflogen kamen, sie war wie in einem Rausch. Wenn nicht eins der lebendigen Pulte um sie herumgehüpft wäre und viele Flüche geblockt hätte, sie wäre nach weniger als einer Minute tot gewesen. So jedoch lieferte sie sich mit Percy und ihrer Lehrerin einen erbitterten Kampf gegen die Todesser. Sie drängten die vermummten Gestalten immer weiter zurück, die Pulte setzten bereits zwei von ihnen außer Gefecht, und Percy und Ginny verhexten jeweils zwei weiter so heftig, dass sie zuckend oder ohnmächtig zusammenbrachen und nicht wieder aufstanden. Das Kämpfen tat Ginny gut. Es war wohl das einzige, was sie davon abhielt, zusammen zu brechen. Als die restlichen Todesser die Flucht ergriffen und eine weitere Treppe hinunter stürzten, rannten Ginny und Percy ihnen wie von Sinnen hinterher. Eins der Pulte begleitete sie. In Rennen warf Ginny einen kurzen Blick auf Percy - er schien genauso in Rage zu sein wie sie. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so sehr wie in diesem Moment mit ihm einer Meinung gewesen zu sein, und das verstärkte den Wunsch, an seiner Seite Todessern Schmerzen zuzufügen, noch um ein vielfaches. Doch im nächsten Korridor herrsche gähnende Leere. Es lagen zwar Trümmer herum, die Wand war halb eingestürzt, doch keine Menschenseele regte sich. Sie blieben keuchend stehen, dann packte Percy Ginnys Arm und meinte außer Atem: "Der Lärm kommt aus der Eingangshalle - Komm mit." Wieder begannen sie zu rennen, den Korridor entlang, über die Trümmer stolpernd, um die Ecke, auf die große Marmortreppe zu, die in die Eingangshalle hinunter führte - und mitten hinein ins Chaos. Das Pult, das ihnen gefolgt war, sprang mit einem großen Satz vor sie und blockte einen giftgrünen Blitz, der es jedoch in Flammen aufgehen ließ. Ginny machte einen Satz rückwärts, doch sie dachte gar nicht daran, in Deckung zu gehen. Auf der Treppe und in der Halle waren Todesser, viele Todesser - sie sollten leiden, allesamt! Im nächsten Moment splitterte das Punkteglas der Slytherins und kleine Smaragde flogen in alle Richtungen davon. Einen Moment lang hatte Ginny ein ähnliches Bild vor sich. Letztes Jahr war es das Glas der Gryffindors gewesen, das zu Bruch gegangen war... doch dort war sie zu spät für den Kampf gewesen. Hier jedoch konnte sie noch etwas ausrichten. Mit einem Schrei sprang sie hinter den verkohlten Resten des Pultes hervor und begann, wie wild Flüche in die Menge abzufeuern, während sie die Treppe hinunterlief, Percy an ihrer Seite. Sie sprang über einige reglose Körper und begann, sich zusammen mit Percy mit drei Todessern zu duellieren, die sich einen Moment zu lange in der Halle umgesehen hatten. Ginny jagte ihnen die schmerzhaftesten Flüche um die Ohren, die sie kannte, und auch Percy schien sich nicht im geringsten zurück zu halten. Irgendwo hörte Ginny Professor Trewlawney schreien, hörte den Ruf von Hermine - Und dann brach der Riegel, der das Schlossportal geschlossen hielt, und es drängten sich eine Horde Riesenspinnen in die Halle. Ginny schrie auf und jagte ihnen einen Schockzauber nach dem anderen entgegen. Zu ihrem Entsetzen fielen die Spinnen daraufhin nicht um, sondern schüttelten sich bloß und liefen dann weiter. Zum ersten Mal, seit sie in Freds regloses Gesicht gesehen hatte, wachte sie wieder aus ihrem Rausch auf. Angst kroch in ihre Eingeweide, und sie wich ein Stück zurück. Hagrid tauchte wie aus dem Nichts auf und wedelte mit einem rosanen Schirm in der Luft herum... "Tut ihnen nicht weh!", hörte sie ihn schreien, doch er schien nicht zu wissen, was er tat... Die schwarze Masse aus Spinnen schien ihn in ihrer Mitte zu begraben und zogen sich wieder zurück auf die Schlossgründe. Und dann stürmte von irgendwo her Harry an ihr vorbei und schrie wie von Sinnen: "HAGRID! NEIN!" Ginny sank das Herz in die Hose, als sie sah, wie Harry der Spinnenmeute hinterher aus dem Schloss hetzte. Sie biss sich auf die Lippe, zögerte einen Moment - dann rannte sie ihm hinterher. "Harry! Bleib stehen!", rief sie. Doch er hörte sie nicht. Genau in diesem Moment traf Ginny fast der Schlag. Aus dem Dunkel der Nacht war ein Riese aufgetaucht, über sechs Meter hoch, und sein Fuß hatte Harry um ein Haar zertrampelt. Ginny blieb abrupt stehen. Jetzt liefen Ron und Hermine an ihr vorbei, sie scheinen sie nicht zu sehen, und versuchten Harry zu helfen. Doch sie schienen angesichts des Riesen genauso unschlüssig zu sein wie Ginny. Einen Moment lang beobachteten alle den Riesen, dann ertönte ein tiefer, kehliger Ruf aus der Finsternis. "HAGGER?" Ginny schrie auf, als ein zweiter Riese in ihr Sichtfeld geriet. Die beiden Riesen stapften mit Schritten, die den Boden erbeben ließen, aufeinander zu und stürzten sich aufeinander. "LAUFT!", hörte sie Harry brüllen, und sie sah die drei Freunde in die Nacht hinausrennen. Einmal holte sie noch tief Luft, dann folgte sie ihnen, rannte durch das Portal, die Vortreppe hinunter und über den vom Tau feuchten Rasen... oder war er feucht vor Blut? Ginny wollte es nicht wissen. Vor sich sah sie die drei innehalten, und einen Moment später kroch eisige Kälte in ihr Herz. Sie schnappte nach Luft, doch die schien auf halbem Weg in ihre Lunge zu gefrieren... Und dann sah Ginny die Dementoren. Es waren ungeheuer viele... Hoffnungslosigkeit umklammerte ihr Herz. Fred war nicht mehr... Colin ebenfalls... Hagrid starb wahrscheinlich gerade... an ihre Eltern wollte sie erst gar nicht denken. Allein die Vorstellung war zu schrecklich... Zwei schwache, silberne Schatten flammten vor ihr auf und erloschen gleich wieder... Sie zückte den Zauberstab und flüsterte: "Expecto... Patronum... Expecto..." Doch kein Patronus brach daraus hervor. Sie schaffte es einfach nicht. Kein Glück war mehr in ihr übrig geblieben. Langsam fiel sie auf die Knie und schloss die Augen. Die Aussicht darauf, nichts mehr fühlen zu müssen, all die Trauer einfach vergessen zu können, schien ihr zu köstlich... Und dann war es vorbei. Die wärme einer Sommernacht umfloss Ginny erneut, die Hoffnungslosigkeit wich. Sie schlug sie Augen auf und sah sich um. Vor ihr standen nicht mehr drei Schatten in der Dunkelheit, sondern sechs, und ein silberner Hirsch drängte die Dementoren immer weiter zurück zum Wald. Harrys Patronus. Der Anblick gab Ginny wieder ein wenig Hoffnung. Ich bin immer noch hier, dachte sie. Ich kämpfe immer noch. Wir haben noch nicht verloren. Und Harry wird sicher einen Weg finden, um Voldemort persönlich zu töten. Sie holte tief Luft und stand auf. Im nächsten Augenblick erzitterte der Boden, und sie hörte Harry erneut schreien: "LAUFT!" Ein weiterer Riese kam herangetrampelt und wäre fast auf die sechs Schatten vor Ginny getreten. Ihr Atem stockte einen Moment lang, als sie die riesige Keule erblickte, die er schwang. Mit einem Kreischen rannte auch sie vor ihm weg, dabei den Blick auf Harry gerichtet, der mit Ron und Hermine nicht zurück zur Schlacht rannte, sondern weiter ins Gelände. Egal, was die drei im Schilde führten, sie würde mitkommen. Sie musste wissen, was sie vorhatten. Vielleicht konnte sie ja helfen? Sie rannte scheinbar eine Ewigkeit hinter den dreien her, während der Lärm der Schlacht in immer weitere Ferne rückte. Jetzt drangen andere Geräusche an ihre Ohren. Der Verbotene Wald ächzte, der See schlug Wellen und toste... Und dann sah sie, wo Harry hinwollte. Zur Peitschenden Weide. Überrascht blieb sie stehen. Sofort wollte sie wieder loslaufen, doch dann befielen sie Zweifel. Was, wenn Harry es nicht verstand? Was, wenn er darauf bestand, sie in Sicherheit zu bringen, statt mit ihr an seiner Seite zu kämpfen? Das sähe ihm ähnlich... Sie schluckte und fasste einen Entschluss. Sie würde den dreien folgen - aber mit Abstand. So könnte sie immer noch eingreifen, aber Harry würde sie erst sehen, wenn es schon zu spät war, um sie aus der Schussbahn zu bringen. Sie marschierte los, zur Peitschenden Weide, die in dem Moment aufhörte, um sich zu schlagen, und wie ein normaler Baum erstarrte. Einen Moment später gingen Harry, Ron und Hermine zum Stamm des dicken Baums und verschwanden, offensichtlich in einem Loch im Boden. Ginny beschleunigte ihre Schritte. Sie durfte die drei nicht verlieren... Am Baum angekommen, sah sie das Loch zwischen den Wurzeln. Ohne weiter nachzudenken, kletterte sie hinein und landete in einem Tunnel, so niedrig, dass sie auf allen vieren kriechen musste. Ein Stück weiter vorne im Gang sah sie ein wackelndes Licht - wahrscheinlich ein entzündeter Zauberstab. Ihr Herz begann schneller zu pochen. Was hatten die drei vor? Rasch krabbelte sie hinter ihnen her, sorgsam darauf bedacht, nicht zu nah an sie heranzukommen, um ihnen nicht zu verraten, dass sie da war. Der Tunnel schien endlos. Sie wusste nicht, wie lange sie ihn entlang gekrochen war, als er endlich zu steigen begann. Weiter vorne wechselte Harry ein paar Worte mit Hermine, dann sah sie im Licht seines Zauberstabs, wie er verschwand - er musste den Tarnumhang übergezogen haben - und einen Moment später erlosch das Licht. Ginny biss sich auf die Lippe und tastete nach den Wänden um ihn herum. Langsam kroch sie weiter, doch schon bald hörte sie Stimmen und hielt inne. Von irgendwo vor ihr fiel Licht in den Tunnel, und sie konnte sehen, dass auch Ron und Hermine nicht weiterkrochen. Sie versuchte, so leise wie möglich zu atmen, und lauschte. Viel verstand sie nicht, doch sie hörte mit einem Schaudern zwei Stimmen heraus: Die eiskalte, hohe Stimme Voldemorts, die ihr eine Gänsehaut verursachte, und eine dunklere, melodische, aber ebenfalls kalte Stimme, die sie überall wieder erkennen würde: Die Stimme ihres Vaters. Snape. Ihr Herz begann, schmerzhaft gegen ihre Rippen zu hämmern. Sie konnte nicht hören, worüber die beiden sprachen, doch an Voldemorts Tonfall hörte sie heraus, dass, was immer Snape auch sagte, ihm nicht gefiel. Das ging so eine Weile hin und her, beide Stimmen wurden zunehmend unruhiger, dann herrschte einen Moment lang dröhnende Stimme, ein kaltes Zischen - und dann schrie Snape. Er schrie so laut, wie er nicht einmal ein Jahr zuvor geschrien hatte, als Harry ihn offensichtlich einen Feigling genannt hatte. Dieser Schrei ging Ginny durch Mark und Bein. Sie zuckte so heftig zusammen, dass sie mit dem Kopf gegen die Tunneldecke knallte. Zum Glück hörten die drei vor ihr das nicht... Sie biss sich auf die Lippe, diesmal so heftig, dass sie Blut schmeckte. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihr Hass auf ihren Vater mit jedem Augenblick, in dem er schrie, schrumpfte und der Sorge um ihn Platz machte. Sie wollte das nicht. Er hatte Dumbledore umgebracht, verdammt! Wieso zur Hölle machte sie sich dann Sorgen um ihn? Als der Schrei verstummte, kam Bewegung in Harry, Ron und Hermine. Anscheinend war Voldemort gegangen, denn die drei öffneten einen Durchgang am Ende des Tunnels und kletterten hinaus. Ginny krabbelte hinterher, immer noch mit wild schlagendem Herzen, und lugte durch das Loch. Harry hatte den Tarnumhang abgenommen und kniete vor Snape, der sich am Boden wälzte. Ginny hätte beinahe geschrien, als sie ihn sah. Große Löcher - anders konnte man es nicht ausdrücken - waren in seinem Hals, aus denen dunkles Blut sprudelte. Er hatte die Hände darauf gepresst und versuchte anscheinend, das Blut zurückzuhalten, doch es lief zwischen seinen Fingern hindurch und tropfte auf den Boden. Er war kreidebleich und sein Blick irrte wild umher. Mit einem Mal fand er den Ginnys - und Ginny wusste eins: Sie würde diesen Mann nicht mehr alleine lassen. So viel Verzweiflung und Todesangst sprang aus diesen dunklen Augen - sie konnte ihn nicht einfach sich selbst überlassen. Rasch sah sie sich um. Sie befanden sich in einem Raum, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren. Die heulende Hütte! Doch die heulende Hütte dürfte keinen offenen Ausgang haben... das hieß, Harry, Ron und Hermine würden auf dem Rückweg zur Schule wieder den Tunnel nehmen. Sie musste hier weg. Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb an einem großen, mottenzerfressenen Sofa hängen, das ein Stück von der Wand weggerückt war. Sie warf einen Blick auf ihre drei Freunde - die starrten allesamt auf Snape - und krabbelte dann so schnell wie möglich aus dem Tunneleingang hinter das Sofa. Von dort aus beobachtete sie, wie etwas silbriges aus Snape heraussickerte, keine Flüssigkeit, aber auch kein Gas, wie Harry es in einem von Hermine beschworenen Fläschchen auffing und wie die beiden sich einen langen Moment lang in die Augen blickten, bevor Snape zusammenbrach. Ginny schluckte. Die Sorge schien ihr die Kehle zusammenzuschnüren. Bitte, lass ihn nicht auch noch sterben, flehte sie stumm. Gut, er ist ein Arschloch und ein Mörder, aber bitte lass ihn leben... Es sind schon genug Leute gestorben... und er ist mein Vater... Bitte, bitte lass ihn nicht sterben... Und dann ertönte Voldemorts Stimme, wie schon vor dem Beginn der Schlacht, von überall her und nirgendwo. "Ihr habt gekämpft, heldenhaft gekämpft. Lord Voldemort weiß Tapferkeit zu schätzen. Doch ihr habt schwere Verluste erlitten. Wenn ihr mir weiterhin Widerstand leistet, werdet ihr alle sterben, einer nach dem anderen. Ich will nicht, dass dies geschieht. Jeder Tropfen magisches Blut, der vergossen wird, ist ein Verlust und eine Verschwendung. Lord Voldemort ist gnädig. Ich befehle meinen Streitkräften, sich sofort zurückzuziehen. Ihr habt eine Stunde. Schafft eure Toten mit Würde fort. Versorgt eure Verletzten. Harry Potter, ich spreche nun direkt zu dir. Du hast deine Freunde für dich sterben lassen, anstatt mir selbst entgegenzutreten. Ich werde eine Stunde lang im Verbotenen Wald warten. Wenn du nach Ablauf dieser Stunde nicht zu mir gekommen bist, dich nicht ergeben hast, dann beginnt die Schlacht von neuem. Diesmal werde ich selbst in den Kampf ziehen, Harry Potter, und ich werde dich finden, und ich werde jeden Einzelnen, ob Mann, Frau oder Kind, bestrafen, der versucht hat, dich vor mir zu verstecken. Eine Stunde." Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann sprach Ron. "Hör nicht auf ihn." "Es wird alles gut werden", pflichtete Hermine ihm bei. "Lass uns - lass uns zum Schloss zurückkehren; wenn er in den Wald gegangen ist, müssen wir uns einen neuen Plan ausdenken - " Ginny beobachtete die drei, wie sie Snape einfach liegen ließen und in den Tunnel zurückkehrten. Wie konnten sie nur! Wie konnten sie Snape einfach da liegen lassen? Es sei denn, er war schon - Ginnys Kehle schnürte sich zu, sie musste würgen. Nicht er auch noch! Sie sprang auf, lief zu ihrem Vater hin und fiel neben ihm auf die Knie. Sein Gesicht war schneeweiß und eingefallen, und er rührte sich nicht. Ohne dass sie es bemerkte, quollen Tränen aus ihren Augen. Sie packte Snapes Schulter und schüttelte ihn, wie sie vor noch nicht einmal einer Stunde Fred geschüttelt hatte. "Professor Snape!", rief sie, doch schon im selben Moment bemerkte sie, wie - bescheuert - das klang. "Vater!" Ja, das war besser. Hatte sie es sich nur eingebildet, oder hatten seine Augenlider ganz kurz gezuckt? "Vater! Schau mich an!" Und tatsächlich, seine Augen öffneten sich langsam, und er röchelte. Sie hielt ihn weiter fest an den Schultern gepackt. "Du darfst nicht sterben, Vater, hörst du? Du darfst nicht sterben!", schluchzte sie. "Nicht du auch noch! Ich - ich werde dir helfen. Sag mir einfach, wie ich dir helfen kann!" In diesem Moment war es ihr egal, dass er ein Todesser war, es war ihr egal, dass er Dumbledore umgebracht hatte, es war alles egal. Er war ihr Vater, und nur das zählte. Er schien lautlos zu seufzen. Dann brachte er tatsächlich zwei Worte heraus. "Lass... mich..." Ginny schluchzte nur noch mehr und schüttelte ihn wieder. "NEIN!", schrie sie. "Ich ertrage es nicht, dich auch noch zu verlieren, hörst du? Fred ist schon tot - nicht du auch noch!" Seine Augen weiteten sich kurz. "Fred... Weasley... tot?" Sie nickte. "Du darfst nicht auch noch sterben! Ich brauche dich!" Einen Moment lang blickten die beiden sich stumm in die Augen, Snape schien einen stummen Kampf auszufechten, dann seufzte er. "Gut... Ruf Fawkes... 'Ades mihi, ... Fawkes, ... avis ignis'..." Er röchelte erneut und sackte in sich zusammen. Ginny erstarrte. Nur langsam lösten sich ihre Finger von seinen Schultern. Dann holte sie tief und zittrig Luft, zückte ihren Zauberstab und flüsterte: "Ades mihi, Fawkes, avis ignis." °°**°°**°°**°°**°°**°° Ades mihi, Fawkes, avis ignis: Steh mir bei, Fawkes, Vogel des Feuers. Kapitel 12: Zweifel ------------------- Kapitel 12: Zweifel Die Sekunden zogen sich in die Länge. Jeder Herzschlag schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, verglichen mit den Herzschlägen, die ihr Vater noch hatte. Ihr war übel. Sie kniete mitten in seinem noch warmen Blut und atmete dessen metallischen Geruch ein, während sie eine zitternde Hand auf seine Brust gepresst hatte und mit zum Zerreißen gespannten Nerven seinen schwächer werdenden Herzschlag fühlte. Ihre Tränen trockneten auf ihren Wangen. Sie weinte nicht mehr. Es lag nicht mehr bei ihr. Jetzt konnte sie nur noch auf Fawkes hoffen. Sie würde weinen, wenn diese Warterei vorbei war. Egal, wie es ausging. Wind strich um die heulende Hütte und brachte die morschen Holzbalken zum Knarzen. Durch undichte Ritzen wehte er herein und wirbelte Staub auf. Die Staubkörner vermischten sich mit dem dunklen Blut, als sie wieder zu Boden sanken, legten sich auf Ginnys und Snapes Haare und Umhänge. Es sah aus wie feinster Pulverschnee. Ginny würgte. Was, wenn Fawkes nicht kommen würde? Snapes Herzschläge kamen jetzt nur noch unregelmäßig, sie konnte nicht einmal mehr sagen, ob er noch atmete. Mit einem Mal schluchzte sie auf. Er würde nicht kommen. Es würde zu spät sein. Gleich wäre ihr Vater tot, und dagegen konnte nicht einmal ein Phönix noch etwas ausrichten. Dicke Tränen kullerten ihre Wangen hinab, tropften auf den Boden und vermischten sich mit Snapes Blut und dem Staub. Doch kurz bevor Ginny endgültig zusammenbrach, durchbrach ein heller Schrei die Nacht. Flammen erschienen direkt unter der Decke. Ein herrlicher Vogelgesang verdrängte die Stille und die Melodie hatte sich bereits in Ginnys Herz geschlichen, bevor Fawkes in der Flamme erschien. Sie erzählte von Liebe, Zusammenhalt und Hoffnung, von Freude, von Sieg, von Glück. Ginny weinte nur noch mehr, als der Vogel sich singend vor Snape niederließ und seinen schönen Kopf über dessen zerfetzten und durchlöcherten Hals hielt. Ginny hielt die Luft an, als eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel des Phönix zischend in die offene Wunde tropfte. Und dann noch eine Träne. Und noch eine. Ginny tastete unsicher nach dem Herzschlag ihres Vaters. Und stieß erleichtert die Luft aus. Er war wieder regelmäßig und nicht mehr so schwach. Mit großen Augen sah sie zu, wie die Wunde in Sekundenschnelle heilte. Vor ihren Augen fügten sich Adern, Sehnen und Muskeln wieder zusammen, wuchs neue Haut über das rosane Fleisch. Sie holte tief und zittrig Luft. Es würde alles gut werden... Er würde es schaffen... Als Fawkes den Kopf hob und Ginny zublinzelte, war Snapes Hals wieder wie vorher und sein Atem ging ruhig und tief. Ginny gab ein erleichtertes Geräusch von sich, irgendetwas zwischen Lachen und Schluchzen. Sie schenkte Fawkes einen warmen Blick und strich ihm über das weiche Gefieder. "Danke, Fawkes", meinte sie leise. "Danke, dass du zurückgekommen bist." Der Vogel tappte durch das Blut auf sie zu und rieb seinen Kopf an ihrem Bauch. Sie umarmte ihn und streichelte ihm erneut über die rot und golden leuchtenden Federn. Ihr Blick wanderte langsam über Snapes Körper, während sie Fawkes weiter festhielt und abwesend streichelte. Er sah ausnahmsweise einmal fast zufrieden aus, wie er auf dem harten Boden lag und schlief. Keine der üblichen Falten zierte seine Stirn, und der Mund schien beinahe zu lächeln. Doch die ungesunde Blässe, die sie bereits von ihm kannte, blieb. Sie musste schlucken, als sie begriff, wie sehr er jahrelang, Tag für Tag, unter Anspannung gestanden haben musste. Es musste für ihn einer Erlösung gleichkommen, einfach schlafen zu können und alles zu vergessen. Sie beschloss, ihn schlafen zu lassen. Er musste sicherlich erst einmal seine Kraftreserven wieder auffüllen, Phönixtränen hin oder her. Mit einem gemurmelten Zauberspruch ließ sie das Blut verschwinden, wirkte einen Wärmezauber über ihn, kuschelte sich an Fawkes' warmen, weichen Vogelkörper und wartete. Es war gespenstisch still. Ginny warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig Minuten waren bereits vergangen seit Voldemorts Versprechen, eine Stunde auf Harry zu warten. Ginny schluckte. Was Harry jetzt wohl machte? Dieses silbrige Zeug mussten Erinnerungen sein. Harry hatte ihr einmal beschrieben, wie sie aussahen. Er würde sich wahrscheinlich als erstes diese Erinnerungen ansehen. Ginnys Blick wanderte wieder zu Snapes Gesicht. Was waren das für Erinnerungen, dass Snape sie ausgerechnet Harry anvertraute? Es musste etwas wichtiges sein, etwas, das für Harry von größter Bedeutung im Kampf gegen Voldemort sein musste. Alles andere hätte Snape Harry niemals anvertraut, da war sich Ginny sicher. Doch - wenn das wirklich Erinnerungen waren, die Harry dabei halfen, Voldemort zu besiegen, warum hatte Snape sie Harry dann gegeben? Vor etwas mehr als einem Jahr, ja, da hätte sie sich nicht gewundert. Doch Snape hatte schließlich Dumbledore... getötet. Wieso sollte er Harry dann helfen wollen, Voldemort zu besiegen? Oder waren diese Erinnerungen vielleicht etwas ganz anderes, etwas, von dem Ginny keine Ahnung hatte? Sie schüttelte den Kopf und versuchte, an etwas anderes zu denken. Es hatte sowieso keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Ihr Blick wanderte durch die Hütte, bis sie wieder einen Blick auf die Uhr warf. Eine halbe Stunde hatte Harry noch. Sie schluckte erneut. Würde er es tun? Würde er sich Voldemort ganz allein im Verbotenen Wald stellen? Oder würde er eine erneute Schlacht riskieren? Nein. Er würde nicht zulassen, dass noch mehr Leute seinetwegen sterben, da war sich Ginny sicher. Aber wenn er alleine in den Wald ging, in dem Voldemort, seine Todesser und zweifellos auch die Riesen und Dementoren auf ihn warteten... Ginny mochte gar nicht daran denken. Plötzlich durchbrach eine Geräusch die Stille. Ginny zuckte zusammen und blickte wieder zu ihrem Vater. Snape begann, sich zu regen. Ein Stöhnen, ein Zucken der Arme - dann blinzelte er. Rasch kniete Ginny sich neben ihn und sprach ihn leise und ein wenig unsicher an. "Vater?" Sie fühlte sich mit einem Mal ein wenig beklommen. Hatte er nicht Dumbledore getötet und ein Jahr lang Hogwarts nach den Prinzipien der Todesser geleitet? War es richtig gewesen, ihn zu retten? Konnte sie ihm trauen? Doch es war zu spät, jetzt noch zu zweifeln. Er hatte die Augen geöffnet und setzte sich langsam und ächzend auf. Sobald er saß, wanderten seine Hände zu seinem Hals, und als er ihn unverletzt vorfand, weiteten sich seine Augen. Dann erst schien er Ginny und Fawkes, den sie immer noch im Arm hielt, richtig wahrzunehmen. "Ginny? ... Fawkes?" Seine Stimme krächzte. "Ich... hätte nicht gedacht, dass du noch rechtzeitig kommen würdest, um mich... zu retten", murmelte er dem Vogel zu und kraulte mit zaghaft vorgestreckten Fingern dessen Gefieder am Hals. Dann wandte er sich an Ginny. "Und ich hätte nicht gedacht, dass du mich wirklich retten willst. Warum hast du es getan?" Ginny schluckte und senkte den Blick. Seine pechschwarzen Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren. "Frag mich was leichteres", gab sie leise zurück. Snape seufzte. "Wie du willst. Was passiert draußen? Wo ist der Dunkle Lord?" Ginny schwieg einen langen Moment, bevor sie antwortete. "Du hast es nicht mitbekommen? Er hat seine Stimme wieder von überall her kommen lassen. Er gibt Harry eine Stunde, um sich ihm im Verbotenen Wald zu stellen, danach beginnt die Schlacht von neuem und diesmal wird er mitkämpfen." Noch immer hielt sie ihren Blick gesenkt. Warum erzählte sie ihm das eigentlich? Er war ein Todesser! Snape knurrte. "So wie ich Potter kenne, wird ihn nichts davon abhalten, in den Wald zu rennen und sich für seine geliebten Freunde zu opfern. Wunderbar." Ginny schluckte, hob ihren Kopf und blickte ihm direkt ins Gesicht. "Ich muss es wissen, Vater. Auf welcher Seite stehst du? Und was sind das für Erinnerungen, die du Harry gegeben hast?" Mit leichtem Erstaunen sah sie, wie Snape den Blickkontakt unterbrach und an ihr vorbei ins Leere blickte. "Ich... stehe auf eurer Seite. Die Erinnerungen enthalten alles an Wissen, was Potter braucht, um den Dunklen Lord zu besiegen." Ein kleiner Stich durchzuckte Ginnys Herz. "Wieso sollte ich dir glauben?" Jetzt blickte Snape ihr wieder direkt in die Augen. "Dumbledore hat mir vertraut. Frag sein Portrait." Ginny zog die Augenbrauen hoch. Es tat weh, das aus seinem Mund zu hören. "Du hast ihn umgebracht", stellte sie ruhig fest. "Frag sein Portrait", gab er bloß zurück. Ginny seufzte, schwieg einen Moment und traf eine Entscheidung. Sie schnappte sich blitzschnell Snapes Zauberstab, der seit seinem Schrei nutzlos auf dem Boden gelegen hatte, und richtete ihren eigenen auf ihn. "Das werde ich. Und du wirst mitkommen. Solange ich nicht weiß, woran ich bei dir bin, werde ich dich nicht einfach durch die Gegend rennen lassen." Einen Moment lang glaubte Ginny, Kampfeslust in Snapes schwarzen Augen funkeln zu sehen, doch schon im nächsten Augenblick war das Funkeln wieder erloschen und er nickte. "Das verstehe ich." "Gut, dann gehst du voraus. Wir gehen durch den Tunnel zurück zur Peitschenden Weide und direkt ins Schloss. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch vor Ablauf der Stunde." Wieder nickte Snape, ging wortlos auf die Knie und kroch durch das Loch in der Wand in den Tunnel. Ginny folgte mit erleuchtetem Zauberstab. Der Rückweg schien noch länger zu dauern als der Hinweg. Ginny war ungeduldig, verdammt ungeduldig. Sie krabbelte wie auf glühenden Kohlen hinter ihrem Vater her. Hatte sie das Richtige getan? Sie würde es bald wissen... Als der Tunnel zu steigen begann, hielt Snape vor ihr an. Er ächzte leise, streckte seinen Oberkörper aus dem Ausgang und tastete anscheinend draußen nach etwas. Ginny hörte die um sich schlagende Weide und fragte sich ein wenig ängstlich, ob ihre Zweige Snape wohl erwischen würden. Doch schon einen Augenblick später verstummten die Geräusche, die der Baum von sich gab. Snape kletterte ohne zu zögern aus dem Tunnel, Ginny folgte rasch. Die Peitschende Weide rührte sich nicht. Die Ländereien waren dunkel und verlassen. Nichts deutete drauf hin, dass hier vor einer halben Stunde noch gekämpft worden war. Vor einer halben Stunde? Ginny warf einen Blick auf die Uhr. Es waren bereits vierzig Minuten vergangen. Sie begann zu rennen und rief Snape zu: "Wir haben nicht mehr viel Zeit! Beeil dich!" Sie war ein wenig erstaunt, dass er sich ihrem Tempo ohne ein Wort anpasste, doch sie dachte nicht weiter darüber nach. Die beiden liefen die Vortreppe hinauf, betraten die Eingangshalle und Ginny zwang sich, keinen Blick durch die offenen Flügeltüren der Großen Halle zu werfen, als sie die Marmortreppe empor lief. Doch oben angekommen, stutzte sie. Snapes Schritte waren verstummt. Sie blickte sich um. Er stand vor den offenen Flügeltüren und starrte unverwandt in die Große Halle. "Komm schon!", rief sie leise. Er rührte sich nicht. Ginny seufzte und lief die Treppe wieder hinunter zu ihm. Sie wollte ihn gerade anfahren, dass er sich gefälligst nicht so anstellen sollte, da fiel ihr Blick in die Große Halle. Sie schnappte entsetzt nach Luft. Dort, in einer fein säuberlichen Reihe, waren die Toten der Schlacht aufgebahrt. Fred und Colin lagen nebeneinander, und auf Freds anderer Seite lagen - Remus und Tonks. Ginny fühlte sich, als wäre ihr erneut ein Stück aus ihrem Herz gerissen worden, das doch sowieso schon tiefe, schwarze Löcher hatte, da wo Fred und Colin gewesen waren. Das konnte nicht sein. Remus und Tonks... Sie konnten nicht einfach weg sein! Nicht auch noch sie! Ginny schwankte, kreidebleich im Gesicht. Sie konnte den Blick nicht von den weißen, eingefallenen Gesichtern der beiden wenden. Eine einzelne Träne lief ihre Wange hinunter, doch sie bemerkte es nicht. Sie musste an den kleinen Teddy denken. Wie alt war er jetzt? Ein halbes Jahr? Er würde sich nicht mehr an seine Eltern erinnern... Er würde nie wissen, wie liebenswert und tollpatschig seine Mutter gewesen war. Er würde nie wissen, wie sehr sein Vater sein ganzes Leben unter seinem Werwolfdasein gelitten hatte und es trotzdem geschafft hatte, sich ein halbwegs normales Leben aufzubauen. Er würde nie wissen, wie mutig sich seine Eltern gegen Voldemort gestellt hatten... Ginny war wie erstarrt. Wie lange sie dort stand, wusste sie nicht. Sie wusste bloß, dass Snape sie irgendwann am Arm packte und hinter einen der ausladenden Türflügel zog. Sie erwachte aus ihrer Starre, schüttelte seinen Arm ab und zischte: "Was sollte das?" Er nickte zur Marmortreppe hinüber. Professor Flitwick hopste die Treppenstufen hinunter und eilte nur wenige Meter von ihnen entfernt in die Große Halle. Ginny warf einen Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten. Sie holte tief Luft. "Komm. Wir haben nicht mehr viel Zeit." Sie versuchte, die Trauer um Remus und Tonks zu verdrängen und nahm sich vor, sich später damit zu befassen. Zeit würde sie genug haben... Sie schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals herunter und lief die Marmortreppe hinauf, Snape im Schlepptau. Die beiden liefen rasch durch das verlassene Schloss, stiegen immer wieder über Trümmer und Blutflecken, doch Ginny nahm es gar nicht wahr. Sie hatte sich auf ein einziges Ziel konzentriert: Dumbledores Portrait. Sie fürchtete, wenn sie sich auch nur von einer Kleinigkeiten würde ablenken lassen, dann würde sie zusammenbrechen. Die beiden stiegen eine Treppe nach der anderen hinauf, eilten einen Korridor nach dem anderen entlang, mit hallenden Schritten, bis sie schließlich vor dem Eingang zum Schulleiterbüro standen. Der Wasserspeier lag, anscheinend von einem Querschläger getroffen, halb zerschlagen am Boden. Ginny blieb ein wenig unschlüssig stehen, doch Snape würdigte die sich schwach regende Statue keines Blickes, stieg mit einem großen Schritt über sie hinweg und betrat die Wendeltreppe zum Schulleiterbüro. Ginny folgte ihm auf dem Fuß. Oben angekommen, fanden sie das Büro verlassen vor. Kein einziger der ehemaligen Schulleiter gab sich die Ehre, sämtliche Portraits waren leer. Ginny sackte entmutigt in sich zusammen. "Und was jetzt?", flüsterte sie. Die Hoffnungslosigkeit und Trauer der letzten Minuten kroch wieder auf sie zu. Nicht mehr lange, und sie würde weinend zusammenbrechen. Sie schluckte. Snape hatte den Raum mit ein paar großen Schritten durchquert und saß nun wieder auf dem Stuhl des Schulleiters hinter dem großen, wuchtigen Schreibtisch. "Komm her", forderte er sie viel sanfter auf, als sie es von ihm gewohnt war. Zögernd trat sie vor den Schreibtisch. Jetzt, wo er wieder auf seinem Platz als Schulleiter dort saß, kam sie sich so klein vor... Er deutete auf eine flache Schale auf dem Schreibtisch, in dem eine silbern schillernde Masse wirbelte, keine Flüssigkeit, aber auch kein Gas. Erinnerungen. "Das sind die Erinnerungen, die ich Potter gegeben habe. Sieh sie dir an, sie werden deine Fragen genauso beantworten." Ginny schluckte erneut. "Wie?", fragte sie kleinlaut. Snape schimpfte sie nicht, wie er es im Unterricht getan hätte. Er blickte sie nicht einmal verärgert. Seit Fawkes ihm das Leben gerettet hatte, schien er viel umgänglicher geworden zu sein. "Beug dich über die Schale, bis du mit dem Gesicht die Erinnerungen berührst. Dann lehn dich zurück und schau dir alles genau an." Ginny nickte und gehorchte. Kaum hatte ihr Nasenspitze das silbrige Etwas berührt, da wurde sie in die Schale gezogen, in einen verwirrenden Wirbel aus Farben und Formen. Kapitel 13: Die ganze Wahrheit ------------------------------ Kapitel 13: Die ganze Wahrheit Als die Welt um Ginny herum wieder Formen annahm, war sie verblüfft. Sie stand mitten auf einem Spielplatz. Er war leer, bis auf zwei kleine Mädchen, die schaukelten. Ginny schätzte sie auf ungefähr neun oder zehn Jahre. Eins der Mädchen, das offensichtlich jüngere, hatte flammend rote Haare. Sie schaukelte höher, immer höher, als das andere Mädchen, die einen recht langen Hals besaß und ein wenig zu große Schneidezähne. Das zweite Mädchen schrie plötzlich: "Lily, nein, mach das nicht!" Einen Moment später ließ die rothaarige am höchsten Punkt des Bogens die Schaukel los und flog regelrecht durch die Luft, lachend und kreischend. Sie blieb ungewöhnlich lange in der Luft und landete so leichtfüßig, dass sich Ginny sicher war, dass Lily eine Hexe war. Sie musste lächeln. Lily erinnerte sie ein wenig an sich selbst in dem Alter... Eine gewisse Ähnlichkeit war durchaus zu erkennen, wenn Ginny an ihre alten Kinderfotos dachte. "Mummy hat dir gesagt, dass du das nicht tun sollst!", rief das andere Mädchen, stoppte die Schaukel, sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. "Mummy hat gesagt, dass du das nicht darfst, Lily!" "Aber mir geht's gut", gab Lily kichernd zurück. "Guck mal, Tunia. Schau, was ich machen kann." Ginny schnappte überrascht nach Luft, doch die beiden Mädchen nahmen keine Notiz von ihr. Lily. Tunia - sicher die Kurzform von Petunia. Das hier waren Harrys Mutter und Tante! Doch... das war die Erinnerung ihres Vaters. Also musste er auch hier irgendwo sein... Rasch sah sie sich um. Und tatsächlich, dort, hinter einem Busch, war er. Nicht älter als Lily, in abgetragene und nicht passende Klamotten gekleidet, und die beiden Mädchen beobachtend. Genauer gesagt, sein Blick folgte nur Lily. Und er war mehr als neugierig - er sah eindeutig verlangend aus. Mit einer seltsamen Faszination beobachtete Ginny das Gespräch zwischen den dreien, das sich jetzt abspielte, sah, wie Snape knallrot anlief, und sah seine Enttäuschung, als die beiden Schwestern wütend abzogen. Sie konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben. Er schien Lily sehr gerne zu haben... Die Szene löste sich auf. Szene um Szene erschien, und Ginny verfolgte fasziniert, wie Lily und Severus sich zuerst anfreundeten, jedoch immer wieder stritten, wie sie auf James Potter und Sirius trafen, wie Lily nach Gryffindor und Severus nach Slytherin kam, wie sie sich, offensichtlich Jahre später, wieder stritten, diesmal über Schwarze Magie, und erkannte ganz deutlich, wie eifersüchtig Severus auf James Potter war. Bei der nächsten Erinnerung stockte Ginny der Atem. Die Rumtreiber hatten es sich am See bequem gemacht, und Severus ging in der Näher spazieren. Als James Severus verhexte, ihn demütigte und verhöhnte, wurde Ginny ganz kalt. Davon hatte sie nichts gewusst... Sirius, Remus und Pettigrew schien es auch noch Spaß zu machen, dabei zuzusehen... Etwas in ihr schien zu Bruch zu gehen, das Bild von Sirius und Remus, beides immer nette und hilfsbereite Männer, die sie sehr gerne gehabt hatte. Bei dem Gedanken, dass Harry das hier gesehen hatte, was sein Vater getan hatte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Armer Harry... Lily kam Severus zur Hilfe, doch er nahm sie nicht an, stattdessen schrie er sie an: "Schlammblüterin!" Ginny schnappte unwillkürlich nach Luft und biss sich auf die Lippe. Sie konnte Lilys Zorn nachempfinden, als diese wütend wieder zu ihren Freundinnen lief. Wieder löste sich die Szene auf. Jetzt stand Ginny neben dem Portraitloch der Gryffindors. Es war Nacht. Snape stand davor und unterhielt sich mit Lily, die einen Morgenmantel trug. "Es tut mir Leid." "Das interessiert mich nicht." "Es tut mir Leid!" "Spar dir deine Worte. Ich bin nur rausgekommen, weil Mary gesagt hat, du hättest gedroht, hier zu schlafen." "Das stimmt. Das hätte ich getan. Ich wollte dich nie ein Schlammblut nennen, es ist einfach - " "Rausgerutscht? Es ist zu spät. Seit Jahren entschuldige ich mich für dich. Keiner von meinen Freunden kann verstehen, warum ich überhaupt mit dir rede. Du und deine netten kleinen Todesserfreunde - siehst du, du streitest es nicht einmal ab! Du streitest nicht einmal ab, dass ihr das alle gerne wärt! Du kannst es kaum erwarten, bei Du-weißt-schon-wem mitzumachen, oder?" Severus öffnete den Mund, blieb jedoch stumm und schloss ihn wieder. "Ich kann mich nicht mehr verstellen. Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen." "Nein - hör zu, ich wollte dich nicht - " " - Schlammblut nennen? Aber du nennst jeden, der meine Herkunft hat, Schlammblut, Severus. Warum sollte es bei mir anders sein?" Wieder öffnete Severus den Mund, doch kein Laut drang heraus. Ginny jedoch wusste es. Sie hatte genug von den beiden gesehen. "Weil er dich liebt, Lily", flüsterte sie. Sie wusste, dass Lily sie nicht sehen oder hören konnte, und musste hilflos mit ansehen, wie sie in den Gryffindorturm zurückkehrte. Severus blieb wie ein Häufchen Elend zurück. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu trösten, ihn festzuhalten, irgendetwas - und ließ sie dann wieder sinken, als bewusst wurde, dass sie das nicht konnte. Egal, was Severus für ein Ekel war, in diesem Moment konnte sie nicht anders, als mit ihm zu fühlen. Wieder löste sich die Szene auf. Diesmal dauerte es etwas länger, bis sich aus dem bunten Wirbel um sie herum wieder feste Formen bildeten. Sie stand neben dem inzwischen erwachsenen Severus auf einem Hügel. Es war dunkel, und eiskalter Wind pfiff um sie herum. Severus keuchte, drehte sich auf der Stelle, den Zauberstab fest umkalmmert. Er schien auf irgendetwas zu warten. Nach einem Moment quälender Ungewissheit schoss ein blendend weißer Blitz an Ginny vorbei, und sie sah seinen Zauberstab durch die Luft fliegen. Er ging in die Knie. "Töten Sie mich nicht!", rief er. "Das hatte ich nicht vor." Ginny schnappte nach Luft. Vor Severus stand Albus Dumbledore. Er sah regelrecht zum Fürchten aus, mit seinem in der Dunkelheit wehendem Umhang und seinem durch seinen leuchtenden Zauberstab von unten erleuchtetem Gesicht. "Nun, Severus? Welche Botschaft hat Lord Voldemort für mich?" "Keine - keine Botschaft - ich bin auf eigene Verantwortung hier!", stieß er heraus. "Ich - ich komme mit einer Warnung - nein, einem Wunsch - bitte - " Dumbledore schwang seinen Zauberstab, und mit einem Mal herrschte Stille auf der Hügelkuppe. Der Wind blies immer noch, doch er war nicht mehr zu hören. "Was könnte ein Todesser von mir erbitten?" "Die - die Prophezeihung ... die Vorhersage ... Trelawney ..." "Ah ja. Wie viel haben Sie Lord Voldemort mitgeteilt?" "Alles - alles, was ich gehört habe! Deshalb - aus diesem Grund - er glaubt, es geht um Lily Evans!" Ginny schauderte. Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, wie Severus sich im Moment fühlen musste. "Die Prophezeihung bezog sich nicht auf eine Frau. Sie erwähnte ein Kind, das Ende Juli geboren wird - " "Sie wissen, was ich meine! Er glaubt, es geht um ihr Kind, er wird sie jagen - sie alle töten - " "Wenn sie Ihnen so viel bedeutet, dann wird Lord Voldemort sie doch gewiss verschonen? Könnten Sie nicht um Gnade für die Mutter bitten, im Austausch gegen ihr Kind?" "Darum - darum habe ich ihm gebeten - " Ginny biss sich auf die Lippe. Ja, sie hatte gewusst, dass Severus herzlos sein konnte, aber es so zu sehen - wenn es um Leben und Tod eines Kindes ging... "Sie widern mich an", gab Dumbledore verächtlich zurück. "Dann ist Ihnen der Tod des Mannes und des Kindes also gleichgültig? Die können sterben, solange Sie haben, was Sie wollen?" Einen Moment lang erwiderte Severus nichts, dann krächzte er: "Dann verstecken Sie doch alle. Passen Sie auf, dass ihr - ihnen - nichts passiert. Bitte." "Und was werden Sie mir dafür geben, Severus?" "Dafür - geben?" Severus' Mund stand offen. "Alles", meinte er nach einem langen Moment. Ginny schluckte. Die Szene verblasste. Sie stand nun in Dumbledores Büro. Dumbledore saß an seinem Schreibtisch, und auf einem Stuhl ihm gegenüber saß eine junge Frau, die Ginny bis aufs Haar glich. Ginny schnappte nach Luft. In genau diesem Moment klopfte es. Dumbledore winkte mit einer Hand, und die Tür schwang auf. Severus trat ein. Er machte ein paar Schritte in den Raum, blieb jedoch aprupt stehen, als er die Frau erblickte. "Ich - wusste nicht, dass Sie Besuch haben, Sir", meinte er und wandte sich schon wieder zum Gehen, doch Dumbledore erwiderte munter: "Nicht doch. Setzen Sie sich. Sie beide werden sich ohnehin kennen lernen, warum dann nicht jetzt?" Er beschwor mit einem zweiten Winken noch einen Stuhl herauf. Severus kam langsam, fast misstrauisch, näher und setzte sich ebenso langsam. "Darf ich vorstellen: Ginevra Weasley - Severus Snape." Ginevra schien einen Hauch blasser zu werden. "Sie - sie sind ein Todesser!" Severus senkte bloß den Blick. Dumbledore jedoch winkte ab. "Das ist, was er einmal war. Jetzt ist er ein Spion für unsere Seite. Er ist kurz nach Ihnen in den Orden eingetreten." Ginny beobachtete gebannt das Gesicht ihrer Mutter. Sie sah,wie dort für einen Moment Erleichterung mit Zweifeln und Misstrauen rangen, die Erleichterung jedoch gewann. "Tee?", wollte Dumbledore fröhlich wissen. Ginevra nickte. Severus stieß ein Brummen aus. "Sie geben ja doch keine Ruhe, bis ich einen trinke, also ja." Ginevra blickte ihn einen Moment lang verblüfft an, dann lachte sie herzhaft. Severus schickte einen Todesblick in ihre Richtung. "Was ist daran so komisch?" Sie lächelte ihn breit an. "Sie sind der einzige, den ich bis jetzt getroffen habe, der Dumbledore so offen seine Meinung über seine ... nun ja..." Sie verstummte und blickte zu Dumbledore hoch, der sie mit einem amüsierten Funkeln in den Augen beobachtete. Severus schnaubte. "Ich bin der einzige, der unhöflich genug ist, das zu tun." "Ach was", gab sie zurück. "Sie sind nicht unhöflich zu Dumbledore, er ist nur ZU höflich zu Ihnen." "Ginevra, ich schätze es gar nicht, wenn über mich geredet wird, als sei ich nicht anwesend", meinte Dumbledore, doch er lächelte. "Verzeihung, Sir", meinte sie mit einem leichten Grinsen. Drei Tassen Tee erschienen vor ihnen auf Dumbledores Schreibtisch, ebenso wie ein Kännchen Milch und eine Dose mit braunem Kandiszucker. Ginevra blickte Dumbledore verwundert an. "Woher wussten Sie, dass ich braunen Kandis mag?" Dumbledore zwinkerte. "Reiner Zufall." Ginevra lachte. "Jaja... warum glaube ich das bloß nicht?" Severus schnaubte. "Weil Dumbledore niemals etwas dem Zufall überlässt. Wenn er das täte, hätten wir den Krieg bereits verloren." Ginevra blickte ihn verwundert an. Dumbledore winkte ab. "Ach was. Seien Sie nicht so pessimistisch, Severus. Erzählen Sie mir lieber, was Voldemort auf seiner letzten Versammlung besprochen hat." Severus seufzte. "Sie sollten lieber fragen, welche Todesser er nicht auf irgendeine Weise bestraft hat. Er hatte verdammt schlechte Laune." Er hielt inne und beobachtete, wie Ginevra einen Zuckerwürfel nach dem anderen in ihren Tee warf. "Das Zeug wird Sie umbringen. Und selbst wenn nicht, werden Ihre Zähne und Ihre Waage es Ihnen nicht danken." Sie zuckte bloß die Schultern und lächelte. "Ach was. Man lebt nur einmal." Er brummte. "Wenn Sie meinen... Wie gesagt, er hat die meisten Todesser auf irgendeine Weise bestraft. Die Einzelheiten - " Er warf einen Blick auf Ginevra, die an seinen Lippen hing, " - sind für Sie nicht von Belang. Wichtiger ist, dass er einen Angriff auf Dover plant. Seiner Meinung nach haben sich dort zu viele Muggelstämmige angesiedelt und die Zauberer mit den Muggeln vermischt." Dumbledore nickte. "Gute Arbeit. Ich werde dem Orden Bescheid geben. Versuchen Sie, wenn Sie an dem Angriff teilnehmen, möglichst niemandem von uns bleibenden Schaden zuzufügen." Severus nickte knapp. Ginevra fragte: "Wie, Sie kämpfen mit auf der Seite der Todesser?" Ginny sah, welche Mühe es Severus bereiten musste, nicht die Augen zu verdrehen, und grinste. Ihre Mutter war wirklich naiv. "Es lässt sich nicht vermeiden, um meine Tarnung aufrecht zu erhalten." Ginevra nickte langsam. Ginny konnte sehen, dass sie immer noch an Severus' Lippen hing. Ihr Blick war eindeutig bewundernd. Sie musste kichern. Irgendwo tat ihr Vater ihr Leid. Wenn ihre Mutter so war wie sie, wenn sie ernsthaft verliebt war, dann würde er ihr nicht entkommen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann räusperte sich Dumbledore. "Ginevra, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie hinauswerfe? Ich muss noch etwas... delikateres mit Severus besprechen." Ginevra nickte schnell. "Aber natürlich nicht. Obwohl ich schon neugierig bin." Sie zwinkerte Severus zu und erhob sich. "Auf Wiedersehen, Sie beide." Sie verließ das Büro. Dumbledore sah ihr hinterher. "Was halten Sie von ihr, Severus?" Severus runzelte die Stirn. "Sie ist eindeutig zu naiv. Das könnte gefährlich für sie und uns alle werden. Wir sollten sie fürs erste aus Kämpfen heraushalten." "Das habe ich nicht gemeint. Sie haben ihre Blicke mit Sicherheit bemerkt. Wie sieht es mit Ihnen aus?" Severus schnaubte und warf Dumbledore einen verärgerten Blick zu. "Neugierig sind Sie gar nicht, was? Sie wissen ohnehin schon zu viel über mich - reicht Ihnen das nicht?" Dumbledore gluckste. "Also gibt es etwas zu wissen, was Sie mir nicht sagen wollen. Das war genauso eine Antwort, wie wenn Sie es mir gleich gesagt hätten." Severus fluchte leise. "Oh, das ist doch noch lange kein Grund zum Fluchen. Sie sollten sich freuen, dass Ihnen diesmal kein James Potter dazwischen kommt." Dumbledore zwinkerte. Severus explodierte. "Sie haben doch keine Ahnung! Denken Sie ernsthaft, dass ich Lily so lange geliebt habe, obwohl es aussichtslos war, und jetzt auf einmal nichts mehr für sie empfinde, bloß weil diese Weasley sich einbildet, in mich verliebt zu sein?! Niemals, hören Sie? Ich liebe nur Lily, und das wird sich niemals ändern!" Damit rauschte er aus Dumbledores Büro. Dumbledore schickte ihm einen bekümmerten Blick hinterher. "Ich hätte ihm etwas Glück gegönnt", murmelte er. Die Szene verschwamm. Als die Formen um Ginny herum wieder fest wurden, stand sie an der selben Stelle in Dumbledores Büro. Severus saß Dumbledore gegenüber auf der anderen Seite von dessen Schreibtisch, das Gesicht in den Händen vergraben. "Ich... ich hätte es verhindern müssen", krächzte er. Ginny erschrak angesichts des Zitterns in seiner Stimme. "Aber, aber, Severus. Freuen Sie sich denn gar nicht?" Severus fuhr auf und schrie Dumbledore an: "Wie könnte ich?! Ich liebe sie nicht! Das hätte niemals passieren dürfen!" Dumbledore seufzte leise. "Und warum ist es dann passiert?" Severus blickte auf seine Hände in seinem Schoß. "Ich - ich habe nicht daran gedacht. Ich war... wie in Trance. Ich... Gott, das ist so erbärmlich!" "Was ist so erbärmlich?" "Ich habe nur mit ihr geschlafen, weil sie mich an Lily erinnert hat!", rief Severus aus und vergrub wieder das Gesicht in den Händen. "Das ist durchaus verständlich und absolut nicht erbärmlich", gab Dumbledore zurück. "Sie müssen sich nicht deswegen schämen." "Das wäre so, wenn nichts passiert wäre", gab Severus aggressiv zurück. "Aber ich Trottel musste sie natürlich schwängern! Warum bin am Ende immer ich der Depp, Dumbledore? Warum habe immer ich das ganze Pech?!" Er schrie schon wieder. Ginnys Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust. Ohne, dass sie es wollte, kullerten Tränen aus ihren Augen. Jetzt verstand sie. Sie verstand, warum Severus sie nicht selbst aufgezogen hatte. Sie verstand, warum er ihr nie gesagt hatte, dass er ihr Vater war. Er schämte sich. Mitgefühl für ihn stieg in ihr auf. Es stimmte schon - er bekam immer das ganze Pech ab. Es war nicht fair. "Wissen Sie, was Ginevra gesagt hat, als sie es erfahren hat?" Severus begann, vor Dumbledores Schreibtisch hin und her zu laufen. "Sie will mich heiraten und das Kind mit mir zusammen großziehen! Und sie versteht absolut nicht, dass das nicht möglich ist, selbst wenn ich wollte! Ich frage mich echt, wie ich ihre Naivität auch nur für einen Abend verdrängen konnte!" Dumbledore seufzte. "Haben Sie ihr erklärt, warum eine Heirat nicht möglich ist?" "Natürlich! Aber sie hört nicht auf mich, sie denkt, ich habe bloß Angst, auch einmal in meinem Leben glücklich zu sein!" Er schüttelte den Kopf. "Wenn es nur das wäre..." "Ich werde mit ihr reden", erbot sich Dumbledore. "Aber was das Kind angeht - darum müssen Sie sich selbst kümmern, Severus. Es ist immerhin Ihr Kind." "Natürlich. Ich werde versuchen, das Beste aus der Situation zu machen." "Tun Sie das." Wieder verschwamm das Bild. Als Die Welt um Ginny herum wieder Formen annahm, war das erste, was sie hörte, Babygeschrei. Sie stand in einem kleinen Raum, der ganz von einem großen Bett eingenommen wurde. In diesem Bett lag, blass und reglos, ihre Mutter, Ginevra. Die untere Hälfte des Bettes war voller Blut, und Ginny konnte unter der dünnen Decke sehen, dass sie die Beine weit gespreizt hatte. Anscheinend war sie gerade erst geboren worden. Links von dem Bett stand Molly, ein in ein Tuch eingewickeltes Baby im Arm wiegend. Ginny beobachtete fasziniert, wie ihr gerade geborenes Ich die winzigen Hände zu Fäustchen ballte und mit großen, dunklen Augen zu Molly aufsah. Ein dünner, roter Haarflaum war bereits auf ihrem Kopf zu sehen. Sie musste lächeln. Dann folgte sie Mollys Blick und blickte auf die andere Seite des Bettes. Dort standen Severus und Dumbledore. Severus faltete nervös die Hände, während Dumbledore sich über Ginevra gebeugt hatte. Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Selbst die kleine Ginny gab keinen Ton von sich. Dann richtete sich Dumbledore auf, und es kam Ginny vor, als sei er um Jahre gealtert, nicht nur um die neun Monate, die seit der letzten Erinnerung vergangen waren. "Es tut mir Leid. Ich konnte nichts mehr machen. Sie ist tot." Molly brach in Tränen aus, wuselte um das Bett herum, drückte Severus Ginny in die Arme und fiel neben ihrer Schwester auf die Knie. Sie legte ihren Kopf auf Ginevras Brust und weinte sich die Seele aus dem Leib. Severus war leichenblass geworden, sein Gesichtsausdruck änderte sich jedoch nicht. Etwas unbeholfen schaukelte er seine Tochter hin und her. Eine Weile standen sie alle trauernd um Ginevra herum, dann sog Severus plötzlich die Luft ein und sein Gesicht verzerrte sich. "Der Dunkle Lord will mich sehen", sagte er tonlos. "Molly, pass auf Ginny auf, solange ich fort bin." Molly blickte mit verquollenen Augen zu ihm auf. "Ginny? Wie ihre Mutter?" Er nickte knapp und drückte ihr das Baby in die Arme. "Ginevra Molly." Er lächelte schmal, nickte Dumbledore zu und disapparierte. Die Szene verschwand in der Dunkelheit. Ginny stieß die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte. Wieder kamen Tränen. Es war seltsam berührend, die Momente nach der eigenen Geburt noch einmal zu durchleben. Und es tat verdammt weh, ihre Mutter tot dort liegen zu sehen. Als die Umgebung wieder Farbe bekam, stand Ginny in der Küche im Fuchsbau. Severus stand dort, mit ihr im Arm, Molly gegenüber, die ihn bekümmert musterte. "Und es gibt wirklich keine Möglichkeit, wie du sie selbst großziehen kannst?" "Nein, es sei denn, ich lasse sie von den Hauselfen im Schloss aufziehen. Aber das kann und will ich ihr nicht antun. Hier wird sie glücklich sein, hier hat sie eine eigene Familie." "DU bist ihre Familie! Willst du sie wirklich in dem Wissen aufwachsen lassen, dass Arthur und ich ihre Eltern sind?" Severus zuckte die Schultern. "Was bleibt mir anderes übrig? Sie wird glücklicher sein, wenn sie die Wahrheit nicht kennt." Molly seufzte schwer. "Na gut. Aber du musst mir versprechen, es ihr zu sagen, wenn sie alt genug ist, um es zu verstehen." Severus nickte knapp. "Ich verspreche es." Er hob Ginny dicht vor sein Gesicht. "Wenn du es erfährst - denk nicht allzu schlecht von mir, Kleine." Sie begann zu weinen. Severus drückte sie fest an sich und streichelte ihr über ihren kleinen Kopf. "Scht, nicht weinen. Alles wird gut", murmelte er. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah er sie noch einmal lange an, dann drückte er sie Molly in den Arm. "Grüße Arthur von mir", meinte er noch zu Molly, dann disapparierte er. Ginny begann wieder zu schreien. Die ältere Ginny musste ebenfalls weinen, als das Bild vor ihren Augen verschwamm. Nach einem erneuten Wirbel aus Farben und Formen stand sie wieder in Dumbledores Büro. Severus saß auf dem Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch, vornübergesunken, und gab schreckliche Laute von sich, wie ein verletztes Tier. Dumbledore stand mit grimmigem Blick neben ihm. Als Severus nach einer Weile endlich den Kopf hob, sog Ginny scharf die Luft zwischen die Zähne. Er sah furchtbar aus. Er schien um Jahre gealtert zu sein und sah aus, als hätte er alles Elend der Welt durchlebt. "Ich dachte ... Sie würden ... auf sie ... aufpassen ... " "Lily und James haben ihr Vertrauen in die falsche Person gesetzt. Ganz ähnlich wie Sie, Severus. Hatten Sie nicht die Hoffnung, dass Lord Voldemort sie verschonen würde?" Ginny keuchte. Das musste die Nacht sein, in der Lily und James gestorben waren. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich vorstellte, was Severus jetzt fühlen musste. "Ihr Junge hat überlebt", fügte Dumbledore hinzu. "Ihr Sohn lebt. Er hat ihre Augen, genau ihre Augen. Sie erinnern sich doch gewiss an die Form und die Farbe von Lily Evans' Augen?" Severus brüllte auf. "NICHT! - Fort ... tot ... " "Ist das Reue, Severus?" "Ich wünschte ... ich wünschte, ICH wäre tot ... " "Und was würde das irgendwem nützen? Wenn Sie Lily Evans geliebt haben, wenn Sie sie wahrhaftig geliebt haben, dann ist Ihr weiterer Weg offensichtlich." Severus schien eine Weile zu brauchen, um zu verarbeiten, was Dumbledore gesagt hatte. "Was - was meinen Sie damit?" "Sie wissen, wie und warum sie gestorben ist. Sorgen Sie dafür, dass es nicht umsonst war. Helfen Sie mir, Lilys Sohn zu beschützen." "Er braucht keinen Schutz. Der Dunkle Lord ist nicht mehr - " " - Der Dunkle Lord wird zurückkehren, und Harry Potter wird in schrecklicher Gefahr sein, wenn es so weit ist." Stille trat ein, und Severus schien langsam zu sich zurück zu finden, sein Atem normalisierte sich. Schließlich holte er tief Luft und sagte: "Nun gut. Nun gut. Aber verraten Sie es niemals - niemals, Dumbledore! Das muss unter uns bleiben! Schwören Sie! Ich kann es nicht ertragen ... vor allem Potters Sohn ... ich will Ihr Wort haben!" "Mein Wort, Severus, dass ich niemals das Beste an ihnen offenbaren werde?" Dumbledore seufzte schwer. "Wenn Sie darauf bestehen..." Und das Büro löste sich auf. Es folgten noch einige Erinnerungen mehr, und Ginny verstand - verstand, dass Severus immer auf ihrer Seite gewesen war, dass er Dumbledores Leben gerettet hatte, als diesem seine Hand abgestorben war, dass Dumbledores Tod geplant war - und dass Harry im Moment auf dem Weg in den Verbotenen Wald war, um sich von Voldemort töten zu lassen. Als Ginny das realisierte, brach sie erneut in Tränen aus. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder soweit zu fassen, dass sie das weitere Gespräch zwischen Severus und Dumbledore verfolgen konnte. " - Alles angeblich zu dem Zweck, Lily Potters Sohn zu beschützen. Nun erzählen Sie mir, dass Sie ihn wie ein Schwein zum Schlachten aufgezogen haben - " "Aber das ist rührend, Severus. Sind Sie nun doch soweit, dass Sie sich um den Jungen sorgen?" "Um ihn?", rief Severus. "Expecto Patronum!" Er hatte blitzschnell seinen Zauberstab gezogen, und sein Patronus brach daraus hervor: Eine große, wunderschöne Hirschkuh. Und Ginny begriff: Harrys Patronus war ein Hirsch, wie der seines Vaters, wie er einmal erzählt hatte. Und Lily hatte James geliebt, demnach stand die Hirschkuh für sie... Severus liebte sie noch immer, über ihren Tod hinaus. Dumbledore war zu Tränen gerührt. "Nach all dieser Zeit?" "Immer", gab Severus zurück. Ginny schluchzte auf. Severus hatte all dieses Leid nicht verdient... Die Szene löste sich auf, und Ginny durchlebte noch ein paar mehr Szenen, doch keine davon drang wirklich an ihr Bewusstsein. Sie bekam nur soviel mit, dass Severus Harry auch nach Dumbledores Tod weiter half. Schließlich wurde sie wieder aus dem Denkarium geschleudert und fand sich selbst auf dem Boden von Dumbledores Büro wieder. Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu sammeln. Doch es wollte nicht so recht gelingen. Severus' Stimme drang an ihre Ohren. "Alles in Ordnung?" Seine Hände zogen sie hoch, so dass sie vor ihm kniete. Er war in die Hocke gegangen und musterte sie besorgt. Ginny brach in Tränen aus, sie konnte nicht anders. "Nein, es ist nichts in Ordnung", fauchte sie ihn an. "Harry ist gerade dabei, sich selbst umzubringen, und du fragst mich ernsthaft, ob alles in Ordnung ist?!" Sie sprang auf. "Ich muss zu ihm", brachte sie hervor und wollte schon loslaufen, doch Severus hielt sie fest. "Lass mich!", schrie sie und schlug um sich, doch er hielt sie weiter fest. "Du kannst nichts machen!", rief er, während sie sich weiter gegen ihn sträubte. "Selbst wenn du ihn einholen würdest, er würde weitergehen! Du kennst ihn doch! Er würde niemals andere für sich sterben lassen, wenn er die Macht hat, es zu beenden!" Als die Worte ihren Weg zu Ginny fanden, erschlaffte sie. Er hatte recht. Harry hatte niemals Leute für sich sterben lassen, wenn er es verhindern konnte. Er hatte nie gerne Leute für ihn leiden lassen. Sie wand sich aus Severus' Armen, die lockerer geworden waren, als sie aufgehört hatte zu kämpfen, und lief zu dem großen, mannshohen Fenster des Büros, von dem aus man den Waldrand sehen konnte. Er trat hinter sie. Sie seufzte schwer und lehnte sich gegen ihn. "Wir können nichts tun, nicht wahr, Vater?" "Nein", murmelte er. Ginny spürte, wie er sich anspannte, kaum, dass sie ihn berührt hatte. Sie holte tief Luft und drehte sich zu ihm um. "Und was Ginevra angeht: Ich verbiete dir, dich deswegen zu schämen! Dumbledore hat schon gesagt, dass das verständlich war, und ich stimme ihm zu. Freu dich lieber, dass ich hier bin." Severus seufzte schwer und schien ein wenig in sich zusammen zu sacken. "Ich war ein schlechter Vater." "Nicht schlechter als jeder andere in deiner Lage. Du wolltest, dass es mir gut geht, also warst du kein schlechter Vater." Severus blickte sie zweifelnd an, doch er kam nicht mehr dazu, zu antworten. Voldemorts hohe, kalte Stimme dröhnte erneut von überall her, und jedes Wort schien Ginnys Herz ein wenig mehr entzwei zu reißen. "Harry Potter ist tot. Er wurde getötet, als er wegrannte, als er versuchte, sich selbst zu retten, während ihr euer Leben für ihn gegeben habt. Wir bringen euch seine Leiche zum Beweis dafür, dass euer Held gestorben ist. Die Schlacht ist gewonnen. Ihr habt die Hälfte eurer Kämpfer verloren. Meine Todesser sind in der Überzahl gegen euch, und der Junge, der überlebt hat, ist erledigt. Der Krieg darf nicht länger währen. Jeder, der weiterhin Widerstand leistet, ob Mann, Frau oder Kind, wird niedergemetzelt werden, wie jedes Mitglied seiner Familie. Kommt aus dem Schloss, unverzüglich, und kniet vor mir nieder, und ihr werdet verschont werden. Eure Eltern und Kinder, eure Brüder und Schwestern werden leben, und es wird ihnen verziehen, und ihr werdet euch mir anschließen in der neuen Welt, die wir gemeinsam errichten werden." Seit Voldemorts ersten Worten rannen unaufhörlich Tränen über Ginnys Wangen. Sie konnte sie sehen, dort unten am Waldrand. Zwar nur klein, von hier aus, doch sie konnte Harry in Hagrids Armen erkennen. Sie schluchzte auf. Warum hatte die Welt nicht aufgehört, sich zu drehen? Sie sollte es. Für Ginny war sie stehen geblieben. Nichts konnte das ändern. Der Junge, den sie jahrelang geliebt hatte, den sie immer noch liebte, war nicht mehr. Ihr Herz war mit einem Mal leer, eiskalt und leer. Was für einen Sinn hatte es noch, dass es weiter schlug? Es würde vergeblich schlagen, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Es hatte seit Jahren nur noch für ihn geschlagen. Wie in Trance beobachtete sie, wie die Prozession aus Todessern hinter Voldemort aus dem Wald kam und sie in richtung Schlossportal zogen. Sie konnte sich nicht rühren. Mit einem Mal spürte sie, wie warme Arme sich um sie schlossen, und sie lehnte sich zurück, an ihren Vater. Es war ein seltsames Gefühl, sich an ihn zu lehnen, doch es tat gleichzeitig auch verdammt gut. Er wusste, wie ihr zu Mute war. Er war wohl der einzige, der ihren Schmerz nachvollziehen konnte. "Ich bleibe hier", flüsterte sie, als sie ihrer Stimme wieder traute. "Vor dem knie ich nicht, und wenn er mich dafür Stück für Stück auseinander nimmt!" Severus brummte. "Das könnte er durchaus tun, beschwöre es nicht herauf." Ginny gab ein Geräusch von sich, irgendwo zwischen lachen und schluchzen. "Weißt du, das ist mir mittlerweile sowas von egal... Soll er doch." Seine Arme schlossen sich fester um sie. "Nein. Jetzt, wo wir uns gerade gefunden haben... wenn er hier raufkommt, fliehen wir. Ich lasse nicht zu, dass er dich umbringt." Sie lächelte unter Tränen. "Nett von dir. Ich fürchte nur, ich weiß es im Moment nicht zu schätzen." Er erwiderte nichts. Und dann hörte Ginny einen Schrei. Es dauert einen Moment, bis sie begriff, dass er von Professor McGonagall kam. Und dann schrien Ron und Hermine. Ginny umklammerte Severus Arm, mit dem er sie festhielt, so fest, dass es ihm mit Sicherheit wehtun musste, doch er rührte sich nicht. Wie in einem bösen Traum verfolgte sie, was dann geschah, wie Neville sich gegen Voldemort stellte, wie die Menge der Überlebenden sich Voldemort nicht beugen wollte - plötzlich flog etwas an ihnen beiden vorbei und brach einfach durch die Fensterscheibe. "Der Sprechende Hut", meinte Severus leise. "Ich hatte so etwas vermutet. Schau nicht hin." Doch Ginny konnte nicht wegsehen. Als Neville lichterloh brannte, schrie sie auf. Severus umklammerte sie noch fester. Und dann war auf einmal die Hölle los. Von irgendwo her war Verstärkung gekommen - Ginny konnte sie rennen und brüllen hören, viele Menschen; Hagrids Riese kam um die Ecke des Schlosses getrampelt und Voldemorts Riesen griffen ihn an - von irgendwo her kamen Pfeile geflogen und Ginny glaubte, Hufgetrappel zu hören - sicher die Zentauren. Mit einem Mal gingen die beiden Seiten wieder aufeinander los, doch Ginny hatte nur Augen für Neville. Er warf den brennenden Hut ebenso ab wie den Zauber, der auf ihm gelegen hatte, und zog aus dem Hut etwas langes und silbernes hervor. Ginny stockte der Atem, als sie es erkannte: Gryffindors Schwert. Er schwang es hoch über seinem Kopf - und traf genau den Hals von Voldemorts Schlange. Der Kopf wurde mit einem Schlag sauber abgetrennt und wirbelte durch die Luft. Ginny konnte Voldemort sehen, den Mund zu einem Wutschrei verzerrt, den sie nicht hören konnte. Sie spürte den Boden in Dumbledores Büro erzittern, so stark stapften die Riesen unten auf dem Gelände auf. Alles an Menschen, egal ob Phönixorden, Hogwartsschüler oder Todesser, wurde zurück ins Schloss gedrängt, und Ginny konnte nur noch den Kampf der Kreaturen des Schlosses gegen die Riesen Voldemorts beobachten. Sie erkannte die Zentauren, Hagrids Riesen Grawp, den Hippogreif Seidenschnabel - und seltsame, geflügelte Pferde, ohne Fleisch, fast wie Skelette. Ihr stockte der Atem. "Sind - sind das Thestrale?", wollte sie leise wissen. "Ja", murmelte Severus. "Du kannst sie sehen?" "Natürlich. Ich habe Fred gesehen - " sie schluckte schwer und klammerte sich noch fester an Severus. " - und Colin Creevey." Wieder kam der Schmerz für einen Augenblick hoch, den sie verdrängt hatte, doch er wurde sofort wieder von ihrem Schmerz und ihrer Trauer um Harry zurückgedrängt. "Creevey hätte nicht kämpfen dürfen", murmelte Severus. "Minerva hat doch alle Minderjährigen in Sicherheit gebracht." Ginny seufzte schwer. "Er wollte wahrscheinlich nicht in Sicherheit gebracht werden." Severus schnaubte, blieb jedoch stumm. Ginny wurde unruhig. "Ich sollte nach unten gehen und mitkämpfen." Severus packte sie noch fester. "Untersteh dich. Auch du hättest in Sicherheit gebracht werden sollen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich wieder in Lebensgefahr begibst." Ginny seufzte schwer. "Ich nehme an, ich kann deine Meinung nicht ändern, egal, was ich tue?" "Korrekt." "Dann warten wir hier. Irgendwann werden die Portraits schon wieder kommen und uns sagen, wie es ausgegangen ist." Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, während langsam, aber sicher die Geschöpfe des Schlosses die Riesen zurück drängten, und als nach einer Ewigkeit endlich die Sonne aufging, ergriffen die Riesen, verwundet und geschlagen, die Flucht. Ginny seufzte schwer. "Ich wüsste zu gerne, was im Schloss los ist. Es gibt keine Explosionen mehr wie - wie vorher..." In diesem Moment ertönte lauter Jubel hinter ihnen in Dumbledores Büro. Ginny riss sich von Severus los und wirbelte herum. Die Schulleiter in den Portraits waren zurückgekehrt - und sie feierten. Ginny lief quer durch das Büro und blieb dicht vor dem Abbild Dumbledores stehen. "Was ist passiert? Wie geht es meiner Familie und den anderen?" Severus folgte ihr gemächlich und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Kein Grund zur Sorge. Wenn wir verloren hätten, dann würden sie anders aussehen." Ginny wirbelte herum. "Das heißt aber nicht, dass es alle heil überstanden haben!", fauchte sie. "Es sind schon genug gestorben!" "Keine Sorge, Miss Weasley", ertönte Dumbledores Stimme. Sie drehte sich wieder zu ihm um. Er lächelte verschmitzt. "Es ist niemand mehr von unserer Seite gestorben. Harry hat Lord Voldemort getötet." Ginny schnappte nach Luft. "Harry? Aber ich dachte - " "Harry hat sich nur tot gestellt. Ironischer Weise hat er es Lord Voldemort zu verdanken, dass er überlebt hat - aber das soll er dir selbst sagen. Ich bin sicher, er wird bald hier auftauchen." "Hey, Weasley-Göre!", ertönte eine andere Stimme von der Seite. Ginny wirbelte herum und erkannte Phineas Nigellus. "Deine Mutter hat Bellatrix umgebracht. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut." "Dann haben Sie eindeutig noch keinen Wutanfall von ihr miterlebt", gab Ginny trocken zurück. Sie wandte sich zu Severus um und strahlte ihn an. "Harry lebt, hast du gehört?", rief sie. "Er lebt!" Sie umarmte ihn stürmisch. "Erwarte nicht, dass ich in Begeisterungsstürme ausbreche", gab er zurück. "Ach was", meinte Ginny bloß, ließ ihn los und hopste durch das sonnendurchflutete Büro. "Er lebt! Er lebt tatsächlich! Ich kann es nicht fassen!" Dumbledore räusperte sich. "Severus? Darf ich fragen, wie Sie überlebt haben? Voldemort hat sicherlich versucht, Sie umzubringen, nicht wahr?" Severus blickte ihn milde überrascht an. "Ich werde nicht erklärt bekommen, warum er mich töten wollte, nicht wahr?" Dumbledore schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir Leid. Da müssen Sie schon selbst drauf kommen." Er zwinkerte. Severus brummte. "Ginny hat mich gefunden, als ich mich schon mit dem Tod abgefunden hatte. Sie wollte mich nicht gehen lassen - und ich habe ihr schließlich den Spruch gesagt, mit dem sie Fawkes herbeirufen konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass er es noch rechtzeitig schafft, ich wollte ihr eigentlich nur noch die Genugtuung verschaffen, dass sie alles versucht hat, um mich zu retten." "Du bist eindeutig zu pessimistisch, Vater", meinte Ginny. "Hoffnung ist trügerisch", gab er zurück. "Sie hat mich schon zu oft enttäuscht." Ginny erwiderte nichts, griff jedoch nach seiner Hand und drückte sie. Dumbledore räusperte sich erneut. "Eine Sache wäre da noch, Severus. Es wird Ihnen nicht gefallen." Severus' Gesicht wurde grimmig. "Was?", fragte er knapp. "Harry hat, in dem Wissen, dass Sie tot sind vermutlich, einen Großteil dessen, was Sie ihm anvertraut haben, Lord Voldemort erzählt - und damit auch allen anderen Leuten in der Großen Halle. Das dürfte so ziemlich halb Hogwarts samt Familien und ganz Hogsmeade sein." Mit Schrecken sah Ginny, wie Severus immer blasser wurde. "Vater?", fragte sie unsicher. Er zerquetschte ihre Hand fast, so fest hielt er sie. "Ich werde ihn umbringen. Nein, ich werde ihn auseinander nehmen, Stück für Stück." "Nein!", rief sie. "Lass ihn in Ruhe! Er wusste doch nicht, dass du noch lebst!" "Das tut nichts zur Sache!", fauchte er sie an. "Er hätte wissen müssen, dass ich es auch nicht gebilligt hätte, wenn ich gestorben wäre!" "Du wirst Harry in Ruhe lassen!", fauchte sie, nicht minder zornig, zurück. "Oder ich gehe zu Mum und Dad zurück und lebe mein altes Leben weiter!" Er zuckte zurück. "Das ist Erpressung!" Ginny zuckte nur mit den Schultern. "Na und?" Sein Mund klappte auf, doch kein Ton drang heraus, und er schloss ihn schließlich wieder. "Du schaffst mich", meinte er nur und ließ sich auf den Stuhl des Schulleiters fallen. In diesem Moment ging die Bürotür auf, und Harry, Ron und Hermine traten ein. Ginny lief ein paar Schritte auf Harry zu, doch sie blieb stehen, als sie bemerkte, dass er sie gar nicht wahrnahm. Sie folgte seinem Blick - und sah einen zu Tränen gerührten Albus Dumbledore. Sie hatte Dumbledore schon in vielen Launen erlebt - nicht selten war er besorgt, traurig oder wütend im Hauptquartier herumgelaufen - doch sie hatte ihn noch nie weinen sehen. Sie hörte gar nicht, welchen Lärm die anderen Portraits machten, der Anblick fesselte sie. Der Moment, in dem Harry und Dumbledore sich ansahen, schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann hob Harry die Hände, und die Portraits schwiegen. Er sprach Dumbledore an. "Das Ding, das in dem Schnatz verborgen war, das habe ich im Wald fallen lassen. Ich weiß nicht genau, wo, aber ich werde nicht mehr danach suchen. Sind Sie einverstanden?" Ginny blickte Harry stirnrunzelnd an, doch er nahm immer noch keine Notiz von ihr. Severus trat still hinter sie. "Versuch gar nicht erst, es zu verstehen. Wir werden es nicht erklärt bekommen." Ginny seufzte und lehnte sich gegen seine Brust. "Aber ich bin neugierig." Dumbledore antwortete: "Mein lieber Junge, ja. Eine weise und mutige Entscheidung, aber nicht weniger, als ich von dir erwartet hätte. Weiß sonst jemand, wo er hingefallen ist?" "Niemand." Dumbledore nickte zufrieden. Ginny stieß frustriert die Luft aus. "Scheint wirklich so, als würde er es mir nicht erzählen, wenn ich frage", murmelte sie. "Das Geschenk von Ignotus werde ich allerdings behalten", fuhr Harry fort. "Aber natürlich, Harry, es gehört für immer dir, bis du es weitergibst!", strahlte Dumbledore. "Und dann ist da noch der hier." Harry zog einen Zauberstab aus seiner Tasche, den Ron und Hermine ehrfürchtig ansahen. Ginny war jetzt wirklich neugierig. Was war an diesem Zauberstab so besonders? Sie hatte wohl bei dem Kampf zwischen Harry und Voldemort mehr verpasst als nur den Kampf... "Ich will ihn nicht haben", meinte Harry. "Was?", fragte Ron laut. "Bist du verrückt?" "Ich weiß, er ist mächtig", gab Harry zurück. "Aber mit meinem eigenen war ich glücklicher. Also..." Er griff in einen Beutel, der um seinen Hals hing, und zog einen zerbrochenen Zauberstab heraus, der nur noch von einer Faser einer Phönixfeder zusammengehalten wurde. Ginny sog scharf die Luft ein. "Wann ist das denn passiert?", flüsterte sie, erwartete jedoch nicht wirklich eine Antwort. Harry war mit etwas anderem beschäftigt. Sie würde ihn später noch einmal fragen. Harry legte den kaputten Zauberstab auf Dumbledores Schreibtisch, tippte mit der Spitze des anderen Zauberstabes dagegen und sagte: "Reparo." Die beiden Hälften des Stabes fügten sich wieder zu einem Ganzen zusammen, und Funken stoben aus seiner Spitze hervor. Harry griff seinen Zauberstab und lächelte leicht, als er ihn wieder in der Hand hielt. Dann wandte er sich wieder zu Dumbledore. "Den Elderstab bringe ich wieder dorthin, wo er herkam. Dort kann er bleiben. Wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, wie Ignotus, wird seine Macht gebrochen sein, nicht wahr? Der letzte Herr ist dann nie besiegt worden. Das wird sein Ende sein." Dumbledore nickte, und die beiden lächelten sich an. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann räusperte sich Ginny. "Harry?" Harry wandte sich um, und seine Augen weiteten sich, als er sie sah. "Ginny! Ich habe mich schon gewundert - " Sein Blick fiel auf Severus. "SIE? Ich dachte, Sie wären tot?" Ginny verschränkte die Arme. "Er war noch nicht ganz tot, als ihr ihn da liegen gelassen habt. Wenn ich euch nicht hinterhergeschlichen wäre, dann wäre er jetzt tot." Harry machte den Mund auf und wieder zu. "Stimmt es, Potter, dass Sie mein ganzes Gefühlsleben in der Öffentlichkeit breitgetreten haben, wie Dumbledore mir vorhin mitgeteilt hat?" Severus' Stimme klang schneidend süß und gefährlich ruhig. "Harry, wenn ich du wäre, würde ich jetzt rennen. Und zwar schnell", meinte Ron mit nervösem Blick auf Severus. Harry winkte ab und gähnte herzhaft. "Ach was. Ich würde im Moment sowieso nicht weit kommen. Wenn es Sie beruhigt, ich habe kein Wort über Ginevra gesagt." Severus wirkte keinesfalls beruhigt. "Das macht es nicht besser", zischte er. "Sie haben mich mit Sicherheit wie einen gefühlsduseligen Trottel dastehen lassen, was?" "Reg dich nicht auf", meinte Ginny beschwichtigend und legte ihm die Hand auf den Arm. "Dadurch ändert sich auch nichts." Severus schnaubte, schwieg jedoch. Ginny wandte sich wieder zu Harry um. "Harry... ich war hier oben, seit du im Wald warst. Ich konnte mich gar nicht mit dir freuen." Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und breitete die Arme aus. "Darf ich-?" Auf Harrys müdem Gesicht erschien ein Lächeln. "Natürlich. Du immer." Er überbrückte mit ein paar großen Schritten die Distanz zwischen ihnen und schloss sie in die Arme. Ginny schloss glücklich die Augen. "Ich liebe Dich", flüsterte sie ihm ins Ohr. Bis zu dem Moment, als sie gedacht hatte, dass er tot war, war sie sich dessen nicht sicher gewesen. Doch jetzt wusste sie es, wie sie wusste, dass sie atmete. Harry schob sie ein wenig von sich weg, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. "Ich dich auch", murmelte er, dann küsste er sie. Ginny war überglücklich. Sie vergaß alles um sich herum. Nichts zählte mehr, nur dieser Kuss, der immer länger und leidenschaftlicher wurde, bis - "Ersticken Sie sie mir bloß nicht, Potter", schnarrte Severus. Ginny und Harry lösten sich langsam voneinander, und Ginny warf Severus einen empörten Blick zu, doch in ihren Augen funkelte der Schalk. "Sei nicht so ein Spielverderber, Dad." Sie küsste Harry erneut. Severus schnaubte. "Immer wieder gerne." ~*~ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)