Tränen verbinden von Kiajira (... und Tränen können Geheimnisse aufdecken ...) ================================================================================ Kapitel 13: Die ganze Wahrheit ------------------------------ Kapitel 13: Die ganze Wahrheit Als die Welt um Ginny herum wieder Formen annahm, war sie verblüfft. Sie stand mitten auf einem Spielplatz. Er war leer, bis auf zwei kleine Mädchen, die schaukelten. Ginny schätzte sie auf ungefähr neun oder zehn Jahre. Eins der Mädchen, das offensichtlich jüngere, hatte flammend rote Haare. Sie schaukelte höher, immer höher, als das andere Mädchen, die einen recht langen Hals besaß und ein wenig zu große Schneidezähne. Das zweite Mädchen schrie plötzlich: "Lily, nein, mach das nicht!" Einen Moment später ließ die rothaarige am höchsten Punkt des Bogens die Schaukel los und flog regelrecht durch die Luft, lachend und kreischend. Sie blieb ungewöhnlich lange in der Luft und landete so leichtfüßig, dass sich Ginny sicher war, dass Lily eine Hexe war. Sie musste lächeln. Lily erinnerte sie ein wenig an sich selbst in dem Alter... Eine gewisse Ähnlichkeit war durchaus zu erkennen, wenn Ginny an ihre alten Kinderfotos dachte. "Mummy hat dir gesagt, dass du das nicht tun sollst!", rief das andere Mädchen, stoppte die Schaukel, sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. "Mummy hat gesagt, dass du das nicht darfst, Lily!" "Aber mir geht's gut", gab Lily kichernd zurück. "Guck mal, Tunia. Schau, was ich machen kann." Ginny schnappte überrascht nach Luft, doch die beiden Mädchen nahmen keine Notiz von ihr. Lily. Tunia - sicher die Kurzform von Petunia. Das hier waren Harrys Mutter und Tante! Doch... das war die Erinnerung ihres Vaters. Also musste er auch hier irgendwo sein... Rasch sah sie sich um. Und tatsächlich, dort, hinter einem Busch, war er. Nicht älter als Lily, in abgetragene und nicht passende Klamotten gekleidet, und die beiden Mädchen beobachtend. Genauer gesagt, sein Blick folgte nur Lily. Und er war mehr als neugierig - er sah eindeutig verlangend aus. Mit einer seltsamen Faszination beobachtete Ginny das Gespräch zwischen den dreien, das sich jetzt abspielte, sah, wie Snape knallrot anlief, und sah seine Enttäuschung, als die beiden Schwestern wütend abzogen. Sie konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben. Er schien Lily sehr gerne zu haben... Die Szene löste sich auf. Szene um Szene erschien, und Ginny verfolgte fasziniert, wie Lily und Severus sich zuerst anfreundeten, jedoch immer wieder stritten, wie sie auf James Potter und Sirius trafen, wie Lily nach Gryffindor und Severus nach Slytherin kam, wie sie sich, offensichtlich Jahre später, wieder stritten, diesmal über Schwarze Magie, und erkannte ganz deutlich, wie eifersüchtig Severus auf James Potter war. Bei der nächsten Erinnerung stockte Ginny der Atem. Die Rumtreiber hatten es sich am See bequem gemacht, und Severus ging in der Näher spazieren. Als James Severus verhexte, ihn demütigte und verhöhnte, wurde Ginny ganz kalt. Davon hatte sie nichts gewusst... Sirius, Remus und Pettigrew schien es auch noch Spaß zu machen, dabei zuzusehen... Etwas in ihr schien zu Bruch zu gehen, das Bild von Sirius und Remus, beides immer nette und hilfsbereite Männer, die sie sehr gerne gehabt hatte. Bei dem Gedanken, dass Harry das hier gesehen hatte, was sein Vater getan hatte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Armer Harry... Lily kam Severus zur Hilfe, doch er nahm sie nicht an, stattdessen schrie er sie an: "Schlammblüterin!" Ginny schnappte unwillkürlich nach Luft und biss sich auf die Lippe. Sie konnte Lilys Zorn nachempfinden, als diese wütend wieder zu ihren Freundinnen lief. Wieder löste sich die Szene auf. Jetzt stand Ginny neben dem Portraitloch der Gryffindors. Es war Nacht. Snape stand davor und unterhielt sich mit Lily, die einen Morgenmantel trug. "Es tut mir Leid." "Das interessiert mich nicht." "Es tut mir Leid!" "Spar dir deine Worte. Ich bin nur rausgekommen, weil Mary gesagt hat, du hättest gedroht, hier zu schlafen." "Das stimmt. Das hätte ich getan. Ich wollte dich nie ein Schlammblut nennen, es ist einfach - " "Rausgerutscht? Es ist zu spät. Seit Jahren entschuldige ich mich für dich. Keiner von meinen Freunden kann verstehen, warum ich überhaupt mit dir rede. Du und deine netten kleinen Todesserfreunde - siehst du, du streitest es nicht einmal ab! Du streitest nicht einmal ab, dass ihr das alle gerne wärt! Du kannst es kaum erwarten, bei Du-weißt-schon-wem mitzumachen, oder?" Severus öffnete den Mund, blieb jedoch stumm und schloss ihn wieder. "Ich kann mich nicht mehr verstellen. Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen." "Nein - hör zu, ich wollte dich nicht - " " - Schlammblut nennen? Aber du nennst jeden, der meine Herkunft hat, Schlammblut, Severus. Warum sollte es bei mir anders sein?" Wieder öffnete Severus den Mund, doch kein Laut drang heraus. Ginny jedoch wusste es. Sie hatte genug von den beiden gesehen. "Weil er dich liebt, Lily", flüsterte sie. Sie wusste, dass Lily sie nicht sehen oder hören konnte, und musste hilflos mit ansehen, wie sie in den Gryffindorturm zurückkehrte. Severus blieb wie ein Häufchen Elend zurück. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu trösten, ihn festzuhalten, irgendetwas - und ließ sie dann wieder sinken, als bewusst wurde, dass sie das nicht konnte. Egal, was Severus für ein Ekel war, in diesem Moment konnte sie nicht anders, als mit ihm zu fühlen. Wieder löste sich die Szene auf. Diesmal dauerte es etwas länger, bis sich aus dem bunten Wirbel um sie herum wieder feste Formen bildeten. Sie stand neben dem inzwischen erwachsenen Severus auf einem Hügel. Es war dunkel, und eiskalter Wind pfiff um sie herum. Severus keuchte, drehte sich auf der Stelle, den Zauberstab fest umkalmmert. Er schien auf irgendetwas zu warten. Nach einem Moment quälender Ungewissheit schoss ein blendend weißer Blitz an Ginny vorbei, und sie sah seinen Zauberstab durch die Luft fliegen. Er ging in die Knie. "Töten Sie mich nicht!", rief er. "Das hatte ich nicht vor." Ginny schnappte nach Luft. Vor Severus stand Albus Dumbledore. Er sah regelrecht zum Fürchten aus, mit seinem in der Dunkelheit wehendem Umhang und seinem durch seinen leuchtenden Zauberstab von unten erleuchtetem Gesicht. "Nun, Severus? Welche Botschaft hat Lord Voldemort für mich?" "Keine - keine Botschaft - ich bin auf eigene Verantwortung hier!", stieß er heraus. "Ich - ich komme mit einer Warnung - nein, einem Wunsch - bitte - " Dumbledore schwang seinen Zauberstab, und mit einem Mal herrschte Stille auf der Hügelkuppe. Der Wind blies immer noch, doch er war nicht mehr zu hören. "Was könnte ein Todesser von mir erbitten?" "Die - die Prophezeihung ... die Vorhersage ... Trelawney ..." "Ah ja. Wie viel haben Sie Lord Voldemort mitgeteilt?" "Alles - alles, was ich gehört habe! Deshalb - aus diesem Grund - er glaubt, es geht um Lily Evans!" Ginny schauderte. Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, wie Severus sich im Moment fühlen musste. "Die Prophezeihung bezog sich nicht auf eine Frau. Sie erwähnte ein Kind, das Ende Juli geboren wird - " "Sie wissen, was ich meine! Er glaubt, es geht um ihr Kind, er wird sie jagen - sie alle töten - " "Wenn sie Ihnen so viel bedeutet, dann wird Lord Voldemort sie doch gewiss verschonen? Könnten Sie nicht um Gnade für die Mutter bitten, im Austausch gegen ihr Kind?" "Darum - darum habe ich ihm gebeten - " Ginny biss sich auf die Lippe. Ja, sie hatte gewusst, dass Severus herzlos sein konnte, aber es so zu sehen - wenn es um Leben und Tod eines Kindes ging... "Sie widern mich an", gab Dumbledore verächtlich zurück. "Dann ist Ihnen der Tod des Mannes und des Kindes also gleichgültig? Die können sterben, solange Sie haben, was Sie wollen?" Einen Moment lang erwiderte Severus nichts, dann krächzte er: "Dann verstecken Sie doch alle. Passen Sie auf, dass ihr - ihnen - nichts passiert. Bitte." "Und was werden Sie mir dafür geben, Severus?" "Dafür - geben?" Severus' Mund stand offen. "Alles", meinte er nach einem langen Moment. Ginny schluckte. Die Szene verblasste. Sie stand nun in Dumbledores Büro. Dumbledore saß an seinem Schreibtisch, und auf einem Stuhl ihm gegenüber saß eine junge Frau, die Ginny bis aufs Haar glich. Ginny schnappte nach Luft. In genau diesem Moment klopfte es. Dumbledore winkte mit einer Hand, und die Tür schwang auf. Severus trat ein. Er machte ein paar Schritte in den Raum, blieb jedoch aprupt stehen, als er die Frau erblickte. "Ich - wusste nicht, dass Sie Besuch haben, Sir", meinte er und wandte sich schon wieder zum Gehen, doch Dumbledore erwiderte munter: "Nicht doch. Setzen Sie sich. Sie beide werden sich ohnehin kennen lernen, warum dann nicht jetzt?" Er beschwor mit einem zweiten Winken noch einen Stuhl herauf. Severus kam langsam, fast misstrauisch, näher und setzte sich ebenso langsam. "Darf ich vorstellen: Ginevra Weasley - Severus Snape." Ginevra schien einen Hauch blasser zu werden. "Sie - sie sind ein Todesser!" Severus senkte bloß den Blick. Dumbledore jedoch winkte ab. "Das ist, was er einmal war. Jetzt ist er ein Spion für unsere Seite. Er ist kurz nach Ihnen in den Orden eingetreten." Ginny beobachtete gebannt das Gesicht ihrer Mutter. Sie sah,wie dort für einen Moment Erleichterung mit Zweifeln und Misstrauen rangen, die Erleichterung jedoch gewann. "Tee?", wollte Dumbledore fröhlich wissen. Ginevra nickte. Severus stieß ein Brummen aus. "Sie geben ja doch keine Ruhe, bis ich einen trinke, also ja." Ginevra blickte ihn einen Moment lang verblüfft an, dann lachte sie herzhaft. Severus schickte einen Todesblick in ihre Richtung. "Was ist daran so komisch?" Sie lächelte ihn breit an. "Sie sind der einzige, den ich bis jetzt getroffen habe, der Dumbledore so offen seine Meinung über seine ... nun ja..." Sie verstummte und blickte zu Dumbledore hoch, der sie mit einem amüsierten Funkeln in den Augen beobachtete. Severus schnaubte. "Ich bin der einzige, der unhöflich genug ist, das zu tun." "Ach was", gab sie zurück. "Sie sind nicht unhöflich zu Dumbledore, er ist nur ZU höflich zu Ihnen." "Ginevra, ich schätze es gar nicht, wenn über mich geredet wird, als sei ich nicht anwesend", meinte Dumbledore, doch er lächelte. "Verzeihung, Sir", meinte sie mit einem leichten Grinsen. Drei Tassen Tee erschienen vor ihnen auf Dumbledores Schreibtisch, ebenso wie ein Kännchen Milch und eine Dose mit braunem Kandiszucker. Ginevra blickte Dumbledore verwundert an. "Woher wussten Sie, dass ich braunen Kandis mag?" Dumbledore zwinkerte. "Reiner Zufall." Ginevra lachte. "Jaja... warum glaube ich das bloß nicht?" Severus schnaubte. "Weil Dumbledore niemals etwas dem Zufall überlässt. Wenn er das täte, hätten wir den Krieg bereits verloren." Ginevra blickte ihn verwundert an. Dumbledore winkte ab. "Ach was. Seien Sie nicht so pessimistisch, Severus. Erzählen Sie mir lieber, was Voldemort auf seiner letzten Versammlung besprochen hat." Severus seufzte. "Sie sollten lieber fragen, welche Todesser er nicht auf irgendeine Weise bestraft hat. Er hatte verdammt schlechte Laune." Er hielt inne und beobachtete, wie Ginevra einen Zuckerwürfel nach dem anderen in ihren Tee warf. "Das Zeug wird Sie umbringen. Und selbst wenn nicht, werden Ihre Zähne und Ihre Waage es Ihnen nicht danken." Sie zuckte bloß die Schultern und lächelte. "Ach was. Man lebt nur einmal." Er brummte. "Wenn Sie meinen... Wie gesagt, er hat die meisten Todesser auf irgendeine Weise bestraft. Die Einzelheiten - " Er warf einen Blick auf Ginevra, die an seinen Lippen hing, " - sind für Sie nicht von Belang. Wichtiger ist, dass er einen Angriff auf Dover plant. Seiner Meinung nach haben sich dort zu viele Muggelstämmige angesiedelt und die Zauberer mit den Muggeln vermischt." Dumbledore nickte. "Gute Arbeit. Ich werde dem Orden Bescheid geben. Versuchen Sie, wenn Sie an dem Angriff teilnehmen, möglichst niemandem von uns bleibenden Schaden zuzufügen." Severus nickte knapp. Ginevra fragte: "Wie, Sie kämpfen mit auf der Seite der Todesser?" Ginny sah, welche Mühe es Severus bereiten musste, nicht die Augen zu verdrehen, und grinste. Ihre Mutter war wirklich naiv. "Es lässt sich nicht vermeiden, um meine Tarnung aufrecht zu erhalten." Ginevra nickte langsam. Ginny konnte sehen, dass sie immer noch an Severus' Lippen hing. Ihr Blick war eindeutig bewundernd. Sie musste kichern. Irgendwo tat ihr Vater ihr Leid. Wenn ihre Mutter so war wie sie, wenn sie ernsthaft verliebt war, dann würde er ihr nicht entkommen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann räusperte sich Dumbledore. "Ginevra, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie hinauswerfe? Ich muss noch etwas... delikateres mit Severus besprechen." Ginevra nickte schnell. "Aber natürlich nicht. Obwohl ich schon neugierig bin." Sie zwinkerte Severus zu und erhob sich. "Auf Wiedersehen, Sie beide." Sie verließ das Büro. Dumbledore sah ihr hinterher. "Was halten Sie von ihr, Severus?" Severus runzelte die Stirn. "Sie ist eindeutig zu naiv. Das könnte gefährlich für sie und uns alle werden. Wir sollten sie fürs erste aus Kämpfen heraushalten." "Das habe ich nicht gemeint. Sie haben ihre Blicke mit Sicherheit bemerkt. Wie sieht es mit Ihnen aus?" Severus schnaubte und warf Dumbledore einen verärgerten Blick zu. "Neugierig sind Sie gar nicht, was? Sie wissen ohnehin schon zu viel über mich - reicht Ihnen das nicht?" Dumbledore gluckste. "Also gibt es etwas zu wissen, was Sie mir nicht sagen wollen. Das war genauso eine Antwort, wie wenn Sie es mir gleich gesagt hätten." Severus fluchte leise. "Oh, das ist doch noch lange kein Grund zum Fluchen. Sie sollten sich freuen, dass Ihnen diesmal kein James Potter dazwischen kommt." Dumbledore zwinkerte. Severus explodierte. "Sie haben doch keine Ahnung! Denken Sie ernsthaft, dass ich Lily so lange geliebt habe, obwohl es aussichtslos war, und jetzt auf einmal nichts mehr für sie empfinde, bloß weil diese Weasley sich einbildet, in mich verliebt zu sein?! Niemals, hören Sie? Ich liebe nur Lily, und das wird sich niemals ändern!" Damit rauschte er aus Dumbledores Büro. Dumbledore schickte ihm einen bekümmerten Blick hinterher. "Ich hätte ihm etwas Glück gegönnt", murmelte er. Die Szene verschwamm. Als die Formen um Ginny herum wieder fest wurden, stand sie an der selben Stelle in Dumbledores Büro. Severus saß Dumbledore gegenüber auf der anderen Seite von dessen Schreibtisch, das Gesicht in den Händen vergraben. "Ich... ich hätte es verhindern müssen", krächzte er. Ginny erschrak angesichts des Zitterns in seiner Stimme. "Aber, aber, Severus. Freuen Sie sich denn gar nicht?" Severus fuhr auf und schrie Dumbledore an: "Wie könnte ich?! Ich liebe sie nicht! Das hätte niemals passieren dürfen!" Dumbledore seufzte leise. "Und warum ist es dann passiert?" Severus blickte auf seine Hände in seinem Schoß. "Ich - ich habe nicht daran gedacht. Ich war... wie in Trance. Ich... Gott, das ist so erbärmlich!" "Was ist so erbärmlich?" "Ich habe nur mit ihr geschlafen, weil sie mich an Lily erinnert hat!", rief Severus aus und vergrub wieder das Gesicht in den Händen. "Das ist durchaus verständlich und absolut nicht erbärmlich", gab Dumbledore zurück. "Sie müssen sich nicht deswegen schämen." "Das wäre so, wenn nichts passiert wäre", gab Severus aggressiv zurück. "Aber ich Trottel musste sie natürlich schwängern! Warum bin am Ende immer ich der Depp, Dumbledore? Warum habe immer ich das ganze Pech?!" Er schrie schon wieder. Ginnys Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust. Ohne, dass sie es wollte, kullerten Tränen aus ihren Augen. Jetzt verstand sie. Sie verstand, warum Severus sie nicht selbst aufgezogen hatte. Sie verstand, warum er ihr nie gesagt hatte, dass er ihr Vater war. Er schämte sich. Mitgefühl für ihn stieg in ihr auf. Es stimmte schon - er bekam immer das ganze Pech ab. Es war nicht fair. "Wissen Sie, was Ginevra gesagt hat, als sie es erfahren hat?" Severus begann, vor Dumbledores Schreibtisch hin und her zu laufen. "Sie will mich heiraten und das Kind mit mir zusammen großziehen! Und sie versteht absolut nicht, dass das nicht möglich ist, selbst wenn ich wollte! Ich frage mich echt, wie ich ihre Naivität auch nur für einen Abend verdrängen konnte!" Dumbledore seufzte. "Haben Sie ihr erklärt, warum eine Heirat nicht möglich ist?" "Natürlich! Aber sie hört nicht auf mich, sie denkt, ich habe bloß Angst, auch einmal in meinem Leben glücklich zu sein!" Er schüttelte den Kopf. "Wenn es nur das wäre..." "Ich werde mit ihr reden", erbot sich Dumbledore. "Aber was das Kind angeht - darum müssen Sie sich selbst kümmern, Severus. Es ist immerhin Ihr Kind." "Natürlich. Ich werde versuchen, das Beste aus der Situation zu machen." "Tun Sie das." Wieder verschwamm das Bild. Als Die Welt um Ginny herum wieder Formen annahm, war das erste, was sie hörte, Babygeschrei. Sie stand in einem kleinen Raum, der ganz von einem großen Bett eingenommen wurde. In diesem Bett lag, blass und reglos, ihre Mutter, Ginevra. Die untere Hälfte des Bettes war voller Blut, und Ginny konnte unter der dünnen Decke sehen, dass sie die Beine weit gespreizt hatte. Anscheinend war sie gerade erst geboren worden. Links von dem Bett stand Molly, ein in ein Tuch eingewickeltes Baby im Arm wiegend. Ginny beobachtete fasziniert, wie ihr gerade geborenes Ich die winzigen Hände zu Fäustchen ballte und mit großen, dunklen Augen zu Molly aufsah. Ein dünner, roter Haarflaum war bereits auf ihrem Kopf zu sehen. Sie musste lächeln. Dann folgte sie Mollys Blick und blickte auf die andere Seite des Bettes. Dort standen Severus und Dumbledore. Severus faltete nervös die Hände, während Dumbledore sich über Ginevra gebeugt hatte. Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Selbst die kleine Ginny gab keinen Ton von sich. Dann richtete sich Dumbledore auf, und es kam Ginny vor, als sei er um Jahre gealtert, nicht nur um die neun Monate, die seit der letzten Erinnerung vergangen waren. "Es tut mir Leid. Ich konnte nichts mehr machen. Sie ist tot." Molly brach in Tränen aus, wuselte um das Bett herum, drückte Severus Ginny in die Arme und fiel neben ihrer Schwester auf die Knie. Sie legte ihren Kopf auf Ginevras Brust und weinte sich die Seele aus dem Leib. Severus war leichenblass geworden, sein Gesichtsausdruck änderte sich jedoch nicht. Etwas unbeholfen schaukelte er seine Tochter hin und her. Eine Weile standen sie alle trauernd um Ginevra herum, dann sog Severus plötzlich die Luft ein und sein Gesicht verzerrte sich. "Der Dunkle Lord will mich sehen", sagte er tonlos. "Molly, pass auf Ginny auf, solange ich fort bin." Molly blickte mit verquollenen Augen zu ihm auf. "Ginny? Wie ihre Mutter?" Er nickte knapp und drückte ihr das Baby in die Arme. "Ginevra Molly." Er lächelte schmal, nickte Dumbledore zu und disapparierte. Die Szene verschwand in der Dunkelheit. Ginny stieß die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte. Wieder kamen Tränen. Es war seltsam berührend, die Momente nach der eigenen Geburt noch einmal zu durchleben. Und es tat verdammt weh, ihre Mutter tot dort liegen zu sehen. Als die Umgebung wieder Farbe bekam, stand Ginny in der Küche im Fuchsbau. Severus stand dort, mit ihr im Arm, Molly gegenüber, die ihn bekümmert musterte. "Und es gibt wirklich keine Möglichkeit, wie du sie selbst großziehen kannst?" "Nein, es sei denn, ich lasse sie von den Hauselfen im Schloss aufziehen. Aber das kann und will ich ihr nicht antun. Hier wird sie glücklich sein, hier hat sie eine eigene Familie." "DU bist ihre Familie! Willst du sie wirklich in dem Wissen aufwachsen lassen, dass Arthur und ich ihre Eltern sind?" Severus zuckte die Schultern. "Was bleibt mir anderes übrig? Sie wird glücklicher sein, wenn sie die Wahrheit nicht kennt." Molly seufzte schwer. "Na gut. Aber du musst mir versprechen, es ihr zu sagen, wenn sie alt genug ist, um es zu verstehen." Severus nickte knapp. "Ich verspreche es." Er hob Ginny dicht vor sein Gesicht. "Wenn du es erfährst - denk nicht allzu schlecht von mir, Kleine." Sie begann zu weinen. Severus drückte sie fest an sich und streichelte ihr über ihren kleinen Kopf. "Scht, nicht weinen. Alles wird gut", murmelte er. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah er sie noch einmal lange an, dann drückte er sie Molly in den Arm. "Grüße Arthur von mir", meinte er noch zu Molly, dann disapparierte er. Ginny begann wieder zu schreien. Die ältere Ginny musste ebenfalls weinen, als das Bild vor ihren Augen verschwamm. Nach einem erneuten Wirbel aus Farben und Formen stand sie wieder in Dumbledores Büro. Severus saß auf dem Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch, vornübergesunken, und gab schreckliche Laute von sich, wie ein verletztes Tier. Dumbledore stand mit grimmigem Blick neben ihm. Als Severus nach einer Weile endlich den Kopf hob, sog Ginny scharf die Luft zwischen die Zähne. Er sah furchtbar aus. Er schien um Jahre gealtert zu sein und sah aus, als hätte er alles Elend der Welt durchlebt. "Ich dachte ... Sie würden ... auf sie ... aufpassen ... " "Lily und James haben ihr Vertrauen in die falsche Person gesetzt. Ganz ähnlich wie Sie, Severus. Hatten Sie nicht die Hoffnung, dass Lord Voldemort sie verschonen würde?" Ginny keuchte. Das musste die Nacht sein, in der Lily und James gestorben waren. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich vorstellte, was Severus jetzt fühlen musste. "Ihr Junge hat überlebt", fügte Dumbledore hinzu. "Ihr Sohn lebt. Er hat ihre Augen, genau ihre Augen. Sie erinnern sich doch gewiss an die Form und die Farbe von Lily Evans' Augen?" Severus brüllte auf. "NICHT! - Fort ... tot ... " "Ist das Reue, Severus?" "Ich wünschte ... ich wünschte, ICH wäre tot ... " "Und was würde das irgendwem nützen? Wenn Sie Lily Evans geliebt haben, wenn Sie sie wahrhaftig geliebt haben, dann ist Ihr weiterer Weg offensichtlich." Severus schien eine Weile zu brauchen, um zu verarbeiten, was Dumbledore gesagt hatte. "Was - was meinen Sie damit?" "Sie wissen, wie und warum sie gestorben ist. Sorgen Sie dafür, dass es nicht umsonst war. Helfen Sie mir, Lilys Sohn zu beschützen." "Er braucht keinen Schutz. Der Dunkle Lord ist nicht mehr - " " - Der Dunkle Lord wird zurückkehren, und Harry Potter wird in schrecklicher Gefahr sein, wenn es so weit ist." Stille trat ein, und Severus schien langsam zu sich zurück zu finden, sein Atem normalisierte sich. Schließlich holte er tief Luft und sagte: "Nun gut. Nun gut. Aber verraten Sie es niemals - niemals, Dumbledore! Das muss unter uns bleiben! Schwören Sie! Ich kann es nicht ertragen ... vor allem Potters Sohn ... ich will Ihr Wort haben!" "Mein Wort, Severus, dass ich niemals das Beste an ihnen offenbaren werde?" Dumbledore seufzte schwer. "Wenn Sie darauf bestehen..." Und das Büro löste sich auf. Es folgten noch einige Erinnerungen mehr, und Ginny verstand - verstand, dass Severus immer auf ihrer Seite gewesen war, dass er Dumbledores Leben gerettet hatte, als diesem seine Hand abgestorben war, dass Dumbledores Tod geplant war - und dass Harry im Moment auf dem Weg in den Verbotenen Wald war, um sich von Voldemort töten zu lassen. Als Ginny das realisierte, brach sie erneut in Tränen aus. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder soweit zu fassen, dass sie das weitere Gespräch zwischen Severus und Dumbledore verfolgen konnte. " - Alles angeblich zu dem Zweck, Lily Potters Sohn zu beschützen. Nun erzählen Sie mir, dass Sie ihn wie ein Schwein zum Schlachten aufgezogen haben - " "Aber das ist rührend, Severus. Sind Sie nun doch soweit, dass Sie sich um den Jungen sorgen?" "Um ihn?", rief Severus. "Expecto Patronum!" Er hatte blitzschnell seinen Zauberstab gezogen, und sein Patronus brach daraus hervor: Eine große, wunderschöne Hirschkuh. Und Ginny begriff: Harrys Patronus war ein Hirsch, wie der seines Vaters, wie er einmal erzählt hatte. Und Lily hatte James geliebt, demnach stand die Hirschkuh für sie... Severus liebte sie noch immer, über ihren Tod hinaus. Dumbledore war zu Tränen gerührt. "Nach all dieser Zeit?" "Immer", gab Severus zurück. Ginny schluchzte auf. Severus hatte all dieses Leid nicht verdient... Die Szene löste sich auf, und Ginny durchlebte noch ein paar mehr Szenen, doch keine davon drang wirklich an ihr Bewusstsein. Sie bekam nur soviel mit, dass Severus Harry auch nach Dumbledores Tod weiter half. Schließlich wurde sie wieder aus dem Denkarium geschleudert und fand sich selbst auf dem Boden von Dumbledores Büro wieder. Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu sammeln. Doch es wollte nicht so recht gelingen. Severus' Stimme drang an ihre Ohren. "Alles in Ordnung?" Seine Hände zogen sie hoch, so dass sie vor ihm kniete. Er war in die Hocke gegangen und musterte sie besorgt. Ginny brach in Tränen aus, sie konnte nicht anders. "Nein, es ist nichts in Ordnung", fauchte sie ihn an. "Harry ist gerade dabei, sich selbst umzubringen, und du fragst mich ernsthaft, ob alles in Ordnung ist?!" Sie sprang auf. "Ich muss zu ihm", brachte sie hervor und wollte schon loslaufen, doch Severus hielt sie fest. "Lass mich!", schrie sie und schlug um sich, doch er hielt sie weiter fest. "Du kannst nichts machen!", rief er, während sie sich weiter gegen ihn sträubte. "Selbst wenn du ihn einholen würdest, er würde weitergehen! Du kennst ihn doch! Er würde niemals andere für sich sterben lassen, wenn er die Macht hat, es zu beenden!" Als die Worte ihren Weg zu Ginny fanden, erschlaffte sie. Er hatte recht. Harry hatte niemals Leute für sich sterben lassen, wenn er es verhindern konnte. Er hatte nie gerne Leute für ihn leiden lassen. Sie wand sich aus Severus' Armen, die lockerer geworden waren, als sie aufgehört hatte zu kämpfen, und lief zu dem großen, mannshohen Fenster des Büros, von dem aus man den Waldrand sehen konnte. Er trat hinter sie. Sie seufzte schwer und lehnte sich gegen ihn. "Wir können nichts tun, nicht wahr, Vater?" "Nein", murmelte er. Ginny spürte, wie er sich anspannte, kaum, dass sie ihn berührt hatte. Sie holte tief Luft und drehte sich zu ihm um. "Und was Ginevra angeht: Ich verbiete dir, dich deswegen zu schämen! Dumbledore hat schon gesagt, dass das verständlich war, und ich stimme ihm zu. Freu dich lieber, dass ich hier bin." Severus seufzte schwer und schien ein wenig in sich zusammen zu sacken. "Ich war ein schlechter Vater." "Nicht schlechter als jeder andere in deiner Lage. Du wolltest, dass es mir gut geht, also warst du kein schlechter Vater." Severus blickte sie zweifelnd an, doch er kam nicht mehr dazu, zu antworten. Voldemorts hohe, kalte Stimme dröhnte erneut von überall her, und jedes Wort schien Ginnys Herz ein wenig mehr entzwei zu reißen. "Harry Potter ist tot. Er wurde getötet, als er wegrannte, als er versuchte, sich selbst zu retten, während ihr euer Leben für ihn gegeben habt. Wir bringen euch seine Leiche zum Beweis dafür, dass euer Held gestorben ist. Die Schlacht ist gewonnen. Ihr habt die Hälfte eurer Kämpfer verloren. Meine Todesser sind in der Überzahl gegen euch, und der Junge, der überlebt hat, ist erledigt. Der Krieg darf nicht länger währen. Jeder, der weiterhin Widerstand leistet, ob Mann, Frau oder Kind, wird niedergemetzelt werden, wie jedes Mitglied seiner Familie. Kommt aus dem Schloss, unverzüglich, und kniet vor mir nieder, und ihr werdet verschont werden. Eure Eltern und Kinder, eure Brüder und Schwestern werden leben, und es wird ihnen verziehen, und ihr werdet euch mir anschließen in der neuen Welt, die wir gemeinsam errichten werden." Seit Voldemorts ersten Worten rannen unaufhörlich Tränen über Ginnys Wangen. Sie konnte sie sehen, dort unten am Waldrand. Zwar nur klein, von hier aus, doch sie konnte Harry in Hagrids Armen erkennen. Sie schluchzte auf. Warum hatte die Welt nicht aufgehört, sich zu drehen? Sie sollte es. Für Ginny war sie stehen geblieben. Nichts konnte das ändern. Der Junge, den sie jahrelang geliebt hatte, den sie immer noch liebte, war nicht mehr. Ihr Herz war mit einem Mal leer, eiskalt und leer. Was für einen Sinn hatte es noch, dass es weiter schlug? Es würde vergeblich schlagen, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Es hatte seit Jahren nur noch für ihn geschlagen. Wie in Trance beobachtete sie, wie die Prozession aus Todessern hinter Voldemort aus dem Wald kam und sie in richtung Schlossportal zogen. Sie konnte sich nicht rühren. Mit einem Mal spürte sie, wie warme Arme sich um sie schlossen, und sie lehnte sich zurück, an ihren Vater. Es war ein seltsames Gefühl, sich an ihn zu lehnen, doch es tat gleichzeitig auch verdammt gut. Er wusste, wie ihr zu Mute war. Er war wohl der einzige, der ihren Schmerz nachvollziehen konnte. "Ich bleibe hier", flüsterte sie, als sie ihrer Stimme wieder traute. "Vor dem knie ich nicht, und wenn er mich dafür Stück für Stück auseinander nimmt!" Severus brummte. "Das könnte er durchaus tun, beschwöre es nicht herauf." Ginny gab ein Geräusch von sich, irgendwo zwischen lachen und schluchzen. "Weißt du, das ist mir mittlerweile sowas von egal... Soll er doch." Seine Arme schlossen sich fester um sie. "Nein. Jetzt, wo wir uns gerade gefunden haben... wenn er hier raufkommt, fliehen wir. Ich lasse nicht zu, dass er dich umbringt." Sie lächelte unter Tränen. "Nett von dir. Ich fürchte nur, ich weiß es im Moment nicht zu schätzen." Er erwiderte nichts. Und dann hörte Ginny einen Schrei. Es dauert einen Moment, bis sie begriff, dass er von Professor McGonagall kam. Und dann schrien Ron und Hermine. Ginny umklammerte Severus Arm, mit dem er sie festhielt, so fest, dass es ihm mit Sicherheit wehtun musste, doch er rührte sich nicht. Wie in einem bösen Traum verfolgte sie, was dann geschah, wie Neville sich gegen Voldemort stellte, wie die Menge der Überlebenden sich Voldemort nicht beugen wollte - plötzlich flog etwas an ihnen beiden vorbei und brach einfach durch die Fensterscheibe. "Der Sprechende Hut", meinte Severus leise. "Ich hatte so etwas vermutet. Schau nicht hin." Doch Ginny konnte nicht wegsehen. Als Neville lichterloh brannte, schrie sie auf. Severus umklammerte sie noch fester. Und dann war auf einmal die Hölle los. Von irgendwo her war Verstärkung gekommen - Ginny konnte sie rennen und brüllen hören, viele Menschen; Hagrids Riese kam um die Ecke des Schlosses getrampelt und Voldemorts Riesen griffen ihn an - von irgendwo her kamen Pfeile geflogen und Ginny glaubte, Hufgetrappel zu hören - sicher die Zentauren. Mit einem Mal gingen die beiden Seiten wieder aufeinander los, doch Ginny hatte nur Augen für Neville. Er warf den brennenden Hut ebenso ab wie den Zauber, der auf ihm gelegen hatte, und zog aus dem Hut etwas langes und silbernes hervor. Ginny stockte der Atem, als sie es erkannte: Gryffindors Schwert. Er schwang es hoch über seinem Kopf - und traf genau den Hals von Voldemorts Schlange. Der Kopf wurde mit einem Schlag sauber abgetrennt und wirbelte durch die Luft. Ginny konnte Voldemort sehen, den Mund zu einem Wutschrei verzerrt, den sie nicht hören konnte. Sie spürte den Boden in Dumbledores Büro erzittern, so stark stapften die Riesen unten auf dem Gelände auf. Alles an Menschen, egal ob Phönixorden, Hogwartsschüler oder Todesser, wurde zurück ins Schloss gedrängt, und Ginny konnte nur noch den Kampf der Kreaturen des Schlosses gegen die Riesen Voldemorts beobachten. Sie erkannte die Zentauren, Hagrids Riesen Grawp, den Hippogreif Seidenschnabel - und seltsame, geflügelte Pferde, ohne Fleisch, fast wie Skelette. Ihr stockte der Atem. "Sind - sind das Thestrale?", wollte sie leise wissen. "Ja", murmelte Severus. "Du kannst sie sehen?" "Natürlich. Ich habe Fred gesehen - " sie schluckte schwer und klammerte sich noch fester an Severus. " - und Colin Creevey." Wieder kam der Schmerz für einen Augenblick hoch, den sie verdrängt hatte, doch er wurde sofort wieder von ihrem Schmerz und ihrer Trauer um Harry zurückgedrängt. "Creevey hätte nicht kämpfen dürfen", murmelte Severus. "Minerva hat doch alle Minderjährigen in Sicherheit gebracht." Ginny seufzte schwer. "Er wollte wahrscheinlich nicht in Sicherheit gebracht werden." Severus schnaubte, blieb jedoch stumm. Ginny wurde unruhig. "Ich sollte nach unten gehen und mitkämpfen." Severus packte sie noch fester. "Untersteh dich. Auch du hättest in Sicherheit gebracht werden sollen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich wieder in Lebensgefahr begibst." Ginny seufzte schwer. "Ich nehme an, ich kann deine Meinung nicht ändern, egal, was ich tue?" "Korrekt." "Dann warten wir hier. Irgendwann werden die Portraits schon wieder kommen und uns sagen, wie es ausgegangen ist." Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, während langsam, aber sicher die Geschöpfe des Schlosses die Riesen zurück drängten, und als nach einer Ewigkeit endlich die Sonne aufging, ergriffen die Riesen, verwundet und geschlagen, die Flucht. Ginny seufzte schwer. "Ich wüsste zu gerne, was im Schloss los ist. Es gibt keine Explosionen mehr wie - wie vorher..." In diesem Moment ertönte lauter Jubel hinter ihnen in Dumbledores Büro. Ginny riss sich von Severus los und wirbelte herum. Die Schulleiter in den Portraits waren zurückgekehrt - und sie feierten. Ginny lief quer durch das Büro und blieb dicht vor dem Abbild Dumbledores stehen. "Was ist passiert? Wie geht es meiner Familie und den anderen?" Severus folgte ihr gemächlich und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Kein Grund zur Sorge. Wenn wir verloren hätten, dann würden sie anders aussehen." Ginny wirbelte herum. "Das heißt aber nicht, dass es alle heil überstanden haben!", fauchte sie. "Es sind schon genug gestorben!" "Keine Sorge, Miss Weasley", ertönte Dumbledores Stimme. Sie drehte sich wieder zu ihm um. Er lächelte verschmitzt. "Es ist niemand mehr von unserer Seite gestorben. Harry hat Lord Voldemort getötet." Ginny schnappte nach Luft. "Harry? Aber ich dachte - " "Harry hat sich nur tot gestellt. Ironischer Weise hat er es Lord Voldemort zu verdanken, dass er überlebt hat - aber das soll er dir selbst sagen. Ich bin sicher, er wird bald hier auftauchen." "Hey, Weasley-Göre!", ertönte eine andere Stimme von der Seite. Ginny wirbelte herum und erkannte Phineas Nigellus. "Deine Mutter hat Bellatrix umgebracht. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut." "Dann haben Sie eindeutig noch keinen Wutanfall von ihr miterlebt", gab Ginny trocken zurück. Sie wandte sich zu Severus um und strahlte ihn an. "Harry lebt, hast du gehört?", rief sie. "Er lebt!" Sie umarmte ihn stürmisch. "Erwarte nicht, dass ich in Begeisterungsstürme ausbreche", gab er zurück. "Ach was", meinte Ginny bloß, ließ ihn los und hopste durch das sonnendurchflutete Büro. "Er lebt! Er lebt tatsächlich! Ich kann es nicht fassen!" Dumbledore räusperte sich. "Severus? Darf ich fragen, wie Sie überlebt haben? Voldemort hat sicherlich versucht, Sie umzubringen, nicht wahr?" Severus blickte ihn milde überrascht an. "Ich werde nicht erklärt bekommen, warum er mich töten wollte, nicht wahr?" Dumbledore schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir Leid. Da müssen Sie schon selbst drauf kommen." Er zwinkerte. Severus brummte. "Ginny hat mich gefunden, als ich mich schon mit dem Tod abgefunden hatte. Sie wollte mich nicht gehen lassen - und ich habe ihr schließlich den Spruch gesagt, mit dem sie Fawkes herbeirufen konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass er es noch rechtzeitig schafft, ich wollte ihr eigentlich nur noch die Genugtuung verschaffen, dass sie alles versucht hat, um mich zu retten." "Du bist eindeutig zu pessimistisch, Vater", meinte Ginny. "Hoffnung ist trügerisch", gab er zurück. "Sie hat mich schon zu oft enttäuscht." Ginny erwiderte nichts, griff jedoch nach seiner Hand und drückte sie. Dumbledore räusperte sich erneut. "Eine Sache wäre da noch, Severus. Es wird Ihnen nicht gefallen." Severus' Gesicht wurde grimmig. "Was?", fragte er knapp. "Harry hat, in dem Wissen, dass Sie tot sind vermutlich, einen Großteil dessen, was Sie ihm anvertraut haben, Lord Voldemort erzählt - und damit auch allen anderen Leuten in der Großen Halle. Das dürfte so ziemlich halb Hogwarts samt Familien und ganz Hogsmeade sein." Mit Schrecken sah Ginny, wie Severus immer blasser wurde. "Vater?", fragte sie unsicher. Er zerquetschte ihre Hand fast, so fest hielt er sie. "Ich werde ihn umbringen. Nein, ich werde ihn auseinander nehmen, Stück für Stück." "Nein!", rief sie. "Lass ihn in Ruhe! Er wusste doch nicht, dass du noch lebst!" "Das tut nichts zur Sache!", fauchte er sie an. "Er hätte wissen müssen, dass ich es auch nicht gebilligt hätte, wenn ich gestorben wäre!" "Du wirst Harry in Ruhe lassen!", fauchte sie, nicht minder zornig, zurück. "Oder ich gehe zu Mum und Dad zurück und lebe mein altes Leben weiter!" Er zuckte zurück. "Das ist Erpressung!" Ginny zuckte nur mit den Schultern. "Na und?" Sein Mund klappte auf, doch kein Ton drang heraus, und er schloss ihn schließlich wieder. "Du schaffst mich", meinte er nur und ließ sich auf den Stuhl des Schulleiters fallen. In diesem Moment ging die Bürotür auf, und Harry, Ron und Hermine traten ein. Ginny lief ein paar Schritte auf Harry zu, doch sie blieb stehen, als sie bemerkte, dass er sie gar nicht wahrnahm. Sie folgte seinem Blick - und sah einen zu Tränen gerührten Albus Dumbledore. Sie hatte Dumbledore schon in vielen Launen erlebt - nicht selten war er besorgt, traurig oder wütend im Hauptquartier herumgelaufen - doch sie hatte ihn noch nie weinen sehen. Sie hörte gar nicht, welchen Lärm die anderen Portraits machten, der Anblick fesselte sie. Der Moment, in dem Harry und Dumbledore sich ansahen, schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann hob Harry die Hände, und die Portraits schwiegen. Er sprach Dumbledore an. "Das Ding, das in dem Schnatz verborgen war, das habe ich im Wald fallen lassen. Ich weiß nicht genau, wo, aber ich werde nicht mehr danach suchen. Sind Sie einverstanden?" Ginny blickte Harry stirnrunzelnd an, doch er nahm immer noch keine Notiz von ihr. Severus trat still hinter sie. "Versuch gar nicht erst, es zu verstehen. Wir werden es nicht erklärt bekommen." Ginny seufzte und lehnte sich gegen seine Brust. "Aber ich bin neugierig." Dumbledore antwortete: "Mein lieber Junge, ja. Eine weise und mutige Entscheidung, aber nicht weniger, als ich von dir erwartet hätte. Weiß sonst jemand, wo er hingefallen ist?" "Niemand." Dumbledore nickte zufrieden. Ginny stieß frustriert die Luft aus. "Scheint wirklich so, als würde er es mir nicht erzählen, wenn ich frage", murmelte sie. "Das Geschenk von Ignotus werde ich allerdings behalten", fuhr Harry fort. "Aber natürlich, Harry, es gehört für immer dir, bis du es weitergibst!", strahlte Dumbledore. "Und dann ist da noch der hier." Harry zog einen Zauberstab aus seiner Tasche, den Ron und Hermine ehrfürchtig ansahen. Ginny war jetzt wirklich neugierig. Was war an diesem Zauberstab so besonders? Sie hatte wohl bei dem Kampf zwischen Harry und Voldemort mehr verpasst als nur den Kampf... "Ich will ihn nicht haben", meinte Harry. "Was?", fragte Ron laut. "Bist du verrückt?" "Ich weiß, er ist mächtig", gab Harry zurück. "Aber mit meinem eigenen war ich glücklicher. Also..." Er griff in einen Beutel, der um seinen Hals hing, und zog einen zerbrochenen Zauberstab heraus, der nur noch von einer Faser einer Phönixfeder zusammengehalten wurde. Ginny sog scharf die Luft ein. "Wann ist das denn passiert?", flüsterte sie, erwartete jedoch nicht wirklich eine Antwort. Harry war mit etwas anderem beschäftigt. Sie würde ihn später noch einmal fragen. Harry legte den kaputten Zauberstab auf Dumbledores Schreibtisch, tippte mit der Spitze des anderen Zauberstabes dagegen und sagte: "Reparo." Die beiden Hälften des Stabes fügten sich wieder zu einem Ganzen zusammen, und Funken stoben aus seiner Spitze hervor. Harry griff seinen Zauberstab und lächelte leicht, als er ihn wieder in der Hand hielt. Dann wandte er sich wieder zu Dumbledore. "Den Elderstab bringe ich wieder dorthin, wo er herkam. Dort kann er bleiben. Wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, wie Ignotus, wird seine Macht gebrochen sein, nicht wahr? Der letzte Herr ist dann nie besiegt worden. Das wird sein Ende sein." Dumbledore nickte, und die beiden lächelten sich an. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann räusperte sich Ginny. "Harry?" Harry wandte sich um, und seine Augen weiteten sich, als er sie sah. "Ginny! Ich habe mich schon gewundert - " Sein Blick fiel auf Severus. "SIE? Ich dachte, Sie wären tot?" Ginny verschränkte die Arme. "Er war noch nicht ganz tot, als ihr ihn da liegen gelassen habt. Wenn ich euch nicht hinterhergeschlichen wäre, dann wäre er jetzt tot." Harry machte den Mund auf und wieder zu. "Stimmt es, Potter, dass Sie mein ganzes Gefühlsleben in der Öffentlichkeit breitgetreten haben, wie Dumbledore mir vorhin mitgeteilt hat?" Severus' Stimme klang schneidend süß und gefährlich ruhig. "Harry, wenn ich du wäre, würde ich jetzt rennen. Und zwar schnell", meinte Ron mit nervösem Blick auf Severus. Harry winkte ab und gähnte herzhaft. "Ach was. Ich würde im Moment sowieso nicht weit kommen. Wenn es Sie beruhigt, ich habe kein Wort über Ginevra gesagt." Severus wirkte keinesfalls beruhigt. "Das macht es nicht besser", zischte er. "Sie haben mich mit Sicherheit wie einen gefühlsduseligen Trottel dastehen lassen, was?" "Reg dich nicht auf", meinte Ginny beschwichtigend und legte ihm die Hand auf den Arm. "Dadurch ändert sich auch nichts." Severus schnaubte, schwieg jedoch. Ginny wandte sich wieder zu Harry um. "Harry... ich war hier oben, seit du im Wald warst. Ich konnte mich gar nicht mit dir freuen." Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und breitete die Arme aus. "Darf ich-?" Auf Harrys müdem Gesicht erschien ein Lächeln. "Natürlich. Du immer." Er überbrückte mit ein paar großen Schritten die Distanz zwischen ihnen und schloss sie in die Arme. Ginny schloss glücklich die Augen. "Ich liebe Dich", flüsterte sie ihm ins Ohr. Bis zu dem Moment, als sie gedacht hatte, dass er tot war, war sie sich dessen nicht sicher gewesen. Doch jetzt wusste sie es, wie sie wusste, dass sie atmete. Harry schob sie ein wenig von sich weg, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. "Ich dich auch", murmelte er, dann küsste er sie. Ginny war überglücklich. Sie vergaß alles um sich herum. Nichts zählte mehr, nur dieser Kuss, der immer länger und leidenschaftlicher wurde, bis - "Ersticken Sie sie mir bloß nicht, Potter", schnarrte Severus. Ginny und Harry lösten sich langsam voneinander, und Ginny warf Severus einen empörten Blick zu, doch in ihren Augen funkelte der Schalk. "Sei nicht so ein Spielverderber, Dad." Sie küsste Harry erneut. Severus schnaubte. "Immer wieder gerne." ~*~ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)