Tränen verbinden von Kiajira (... und Tränen können Geheimnisse aufdecken ...) ================================================================================ Kapitel 10: Ende und Neuanfang ------------------------------ Kapitel 10: Ende und Neuanfang Die nächsten paar Tage war es still auf Hogwarts. Zu still, selbst für die normalerweise anstehende Prüfungszeit. Doch die Prüfungen waren abgesagt worden, genauso wie der gesamte Unterricht. Tag für Tag wurde die Schule leerer und die Unterkünfte in Hogsmeade voller. In dem Maß, wie die Eltern alle möglichst schnell ihre Kinder nach Hause holten, strömten aus dem ganzen Land Menschen nach Hogsmeade, um Dumbledore die letzte Ehre zu erweisen. Ginny stand am Waldrand und beobachtete mit starrer Miene, wie sich in der Ferne an den Schlosstoren Jeanna gegen ihre Mutter sträubte, die ihre Tochter keine Sekunde länger in der Schule lassen wollte. Ginny konnte einfach nicht zu ihr gehen und ihr gegen ihre Mutter beistehen. Sie konnte nicht. Sie wusste genau, dass sie das nicht ohne einen Nervenzusammenbruch schaffen würde. Ron, der sie in den letzten Tagen immer wieder als verrückt bezeichnet hatte, war schlimm genug gewesen. Da brauchte sie nicht auch noch eine wütende Mutter, die nicht ihre eigene war. Ginny musste plötzlich schlucken. Eine eiserne Faust hatte sich um ihr Herz geklammert. Sie hatte keine Mutter mehr. Jedenfalls keine leibliche. Doch Molly war immer eine Mutter für sie gewesen. Sie hatte keinen Unterschied gemacht zwischen ihr und den Jungs. Sie liebte sie. War das denn nicht genug? Fast. Es schmerzte, zu wissen, dass Molly ihr ihr ganzes Leben die Wahrheit vorenthalten hatte. Doch es war nur zu ihrem Besten gewesen. Das sah Ginny mittlerweile ein. Es tat weh, doch es war so. Molly und Arthur hatten sich um sie gekümmert, obwohl sie nicht ihr Kind war. Sie hatten sie geliebt und liebten sie immer noch. Was wollte sie mehr? Ginny seufzte. Zwei Dinge wollte sie. Sie wünschte sich, dass sie niemals von einer Fledermaus gezeugt worden war. Von einer Fledermaus und einem Mörder. Doch das konnte sie niemals haben. Nie. Sie war sich dessen in den letzten Tagen bewusst geworden. Ron wollte es noch nicht glauben. Ginny war gerade dabei, es zu akzeptieren. Jetzt musste sie nur noch damit leben. Ginny verschränkte die Arme, als Jeanna von ihrer Mutter durch das Portal geschleift wurde und beide im nächsten Moment verschwanden. Jetzt war sie weg. Und Ginny hatte nicht einmal den Mut besessen, sich zu verabschieden. Sie biss sich auf die Zunge, um sich zu beherrschen. Jetzt war es sowieso zu spät. °°**°°**°°**°°**°°**°° Zwei Tage später wurde Dumbledore beerdigt. Ginny ging das erste Mal seit der Nacht seines Todes wieder unter die Leute. Die letzte Woche über hatte sie sich komplett zurückgezogen, um alles zu verarbeiten. Im Moment fühlte sie sich, als wäre das nur halbwegs gelungen. Solange sie alleine war, kam sie ganz gut klar, doch sobald sie jemand auf Snape oder ihre Eltern ansprach, konnte es passieren, dass sie tieftraurig in Tränen ausbrach oder hysterisch wurde. Harry und Cho waren ein eben so heikles Thema für ihre Gesprächspartner. Harry hatte Cho offensichtlich ein paar Mal abblitzen lassen, bis sie von ihrem Vater abgeholt worden war, doch Ginny konnte immer noch nicht völlig ungezwungen mit ihm reden. Ja, sie hatte ihm verziehen, doch es war nicht mehr so wie früher. Sie wusste es und er wusste es. Sie würden schon bald wieder auseinander gehen. Und nichts und niemand konnte Harry aufhalten, sie zu verlassen, um sie zu schützen. Ginny lief langsam durch den Menschenstrom in der Eingangshalle nach draußen auf die Ländereien. Sie nahm die vielen Leute um sie herum gar nicht richtig wahr. Wie alle folgte sie Professor McGonagall schweigend zum See hinunter zu einer ebenen Fläche, auf der hunderte von Stühlen standen, alle ausgerichtet auf einen weißen Marmortisch. Nur am Rand nahm sie wahr, wie Harry, Ron und Hermine sie zu einer Stuhlreihe am Seeufer führten und sie auf einen Stuhl bugsierten. Die Sonne stach ihr in die Augen und zwang sie, sie zu schließen. Ginny atmete tief durch. Sie war ihren Freunden dankbar dafür, dass sie sie nicht ansprachen. Sie wusste nicht, wie lange sie die Fassung behalten würde. Plötzlich füllte Musik die Luft. Eine seltsame Musik, in einer unverständlichen Sprache, doch Ginny war es, als könnte sie jedes Wort verstehen. Sie sprach so deutlich von Trauer, Schmerz und Verzweiflung, dass es fast schon weh tat. Langsam öffnete Ginny die Augen und sah sich um. "Da drin", flüsterte Harry neben ihr und deutete auf den See. Ginny zuckte nicht einmal mehr zusammen. Direkt unter der Oberfläche schwammen die Wassermenschen. Ihre blaugrünen Haare schwebten um ihre Köpfe herum im Wasser und verliehen ihnen einen geheimnisvollen und wilden Ausdruck. Sie sangen. Doch noch ehe Ginny sie lange mustern konnte, stieß Harry sie leicht an. Sie blickte auf. Hagrid schritt langsam durch die langen Stuhlreihen zu dem marmornen Tisch nach vorne, in seinen Armen trug er, in einem Umhang aus lilanem Samt, den toten Dumbledore. Tränen liefen stumm seine Wangen hinunter. Als Ginny ihren ehemaligen Schulleiter erblickte, konnte sie nicht mehr. Er würde nie wieder aufstehen, nie wieder lächeln, nie wieder am Frühstückstisch sitzen und jedem der vier Haustische vor dem Essen zuprosten... Und alles nur wegen ihrem Vater. Ginny schluckte, doch es war vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung. Sie brach in Tränen aus. Verschwommen erkannte sie, wie Hagrid den Leichnam auf den weißen Tisch bettete und den langen Gang zwischen den Stuhlreihen wieder nach hinten ging. Kurz darauf verstummte der Gesang der Wassermenschen. Ginny schniefte und sah auf. Vor dem Tisch stand nun ein kleiner Mann und hielt anscheinend eine Rede, doch Ginny verstand nichts davon. Einen Moment lang ruhte ihr Blick auf Dumbledores weißem Gesicht mit der goldenen Brille, die im Sonnenlicht funkelte, dann kamen ihr wieder die Tränen. Ihr Vater. Snape. Er war dafür verantwortlich. Er hatte Dumbledore getötet. Ginny schluchzte auf. Die Wahrheit hämmerte im Angesicht von Dumbledores Körper stärker gegen ihrem Kopf als die ganze Woche zuvor. Sie wusste nicht, wie lange der kleine Mann vorne redete. Sie hörte erst auf zu weinen, als er verstummte und sich setzte. Einen Moment herrschte Stille - dann ging der weiße Tisch in Flammen auf und Dumbledores Körper mit ihm. Ginny stockte der Atem. Die Flammen loderten weiß, wurden höher und höher und rauchten hell. Der Rauch bildete allerhand seltsame Formen - Spiralen, Kreise, Kringel... Einen Augenblick lang erblickte Ginny den Schatten eines fliegenden Phönix, dann verschwand das Feuer. Ginny blinzelte überrascht. Der Tisch und der Leichnam waren verschwunden, an ihrer Stelle stand nun ein großer, weißer Grabstein aus Marmor. Plötzlich hörte sie Schreie. Sie blickte sich um und erschrak. Ein Pfeilhagel war im Rasen neben dem Grab niedergegangen. Ginny verfolgte die Pfeile zurück und erkannte gerade noch ein paar Zentauren, die im Wald verschwanden. Ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht, als auch die Meermenschen wieder in den Tiefen des Sees verschwanden. Die Geschöpfe von Hogwarts hatten Dumbledore die letzte Ehre erwiesen. Dann spürte Ginny plötzlich, wie Harrys Blick auf ihr ruhte. Ihr eigener Blick wurde hart, als sie sich umwandte und ihn erwiderte. Sie wusste, was kommen würde. Einen Moment wollte ihr Herz schneller schlagen, doch sie holte tief Luft und drängte es mit purer Willenskraft wieder zurück in seinen normalen Rhythmus. Es hatte keinen Sinn, sich falsche Hoffnungen zu machen. "Ginny, hör zu...", meinte Harry leise. Ginny wappnete sich für das, was kommen musste und wovor sie beide am liebsten weggelaufen wären. "Ich darf nichts mehr mit dir zu tun haben. Wir müssen aufhören, uns zu treffen. Wir können nicht zusammen sein." Ginny schluckte. Sie versuchte ein Lächeln, doch sie hatte den Eindruck, dass es zu einer Grimasse wurde. "Es gibt irgendeinen dummen, edlen Grund dafür, nicht wahr? Oder ist es wieder Cho?" Die Worte waren ihrem Mund entschlüpft, bevor sie sie aufhalten konnte. Harrys Miene verzerrte sich. "Ginny, ich war so dumm. Ich hätte mich niemals mit ihr einlassen sollen. Ich... ich habe erst jetzt gemerkt, wie sehr... ich dich verletzt habe... aber ich... ich muss dich nochmal verletzen... ich kann nicht... ich muss jetzt einige Dinge alleine erledigen." Ginny blieb stumm. Meinte Harry damit, dass er Cho ebenfalls verließ? "Voldemort benutzt Leute, die seinen Feinden nahe stehen. Er hat dich schon einmal als Köder benutzt, und das nur, weil du die Schwester meines besten Freundes bist. Überleg mal, in welche Gefahr du geraten wirst, wenn wir zusammen bleiben. Er wird es erfahren, er wird es herausfinden. Er wird versuchen, durch dich an mich heranzukommen." Ginny schluckte. Plötzlich hatte sie einen furchtbaren Kloß im Hals. Doch sie würde nicht weinen. Langsam nickte sie. "Ich verstehe. Aber versprich mir, dass du Cho nie wieder anrührst." Harry schien zugleich traurig und erleichtert. "Natürlich. Ich werde mich hüten", erwiderte er schnell. Ginny nickte wieder und wandte sich ab. Sie würde nicht weinen. Sie war stark. Als sie sich wieder umdrehte, war Harry aufgestanden und verschwunden. Sie war alleine. Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange. °°**°°**°°**°°**°°**°° Der Hogwarts-Express kam langsam zum Stillstand und der übliche Tumult brach los. Irgendwo hörte Ginny einen Knall - wahrscheinlich war ein Koffer aus dem Gepäcknetz gefallen. Sie hievte mit Hilfe von Neville ihren eigenen Koffer zu Boden, darauf bedacht, Harry nicht anzusehen. Sie bückte sich noch einmal, um sich die Schuhe zu binden, und hörte Schritte hinausgehen. Vorsichtig blickte sie auf. Harry war weg. Sie atmete erleichtert aus und richtete sich wieder auf. Die Fahrt war die Hölle gewesen. Harry hatte versucht, mit ihr so normal wie möglich umzugehen, doch das hatte geschmerzt. Es war fast, als wäre nichts geschehen. Sie hatte der Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, nur mühsam widerstanden, als er über Cho gelästert hatte. Anscheinend konnte sie zwar gut küssen, war aber ansonsten eine ziemliche Nervensäge. Ginny schulterte ihren Rucksack, packte den Koffer und schleifte ihn auf den Gang hinaus. Irgendwie schaffte sie es auch dieses Jahr wieder, auf dem Weg zur Waggontür nicht zertrampelt zu werden. Als sie aus dem Zug purzelte und nur mit Mühe auf den Füßen blieb, bot sich ihr ein vertrauter Anblick. Warmes Sonnenlicht strahlte in die hohe Bahnhofshalle. Dampf stieg in dichten Wolken rund um die scharlachrote Dampflok auf. Der Bahnsteig war wieder einmal überfüllt mit Eltern, die ihre Kinder vom Zug abholen wollten. Ein leises Lächeln schlich sich auf Ginnys Gesicht. Es war wie immer. Sie ließ den Blick suchend über die Menge wandern und entdeckte schließlich ein paar Köpfe mit roten Haaren. Sie machte sich auf den Weg. Als sie schließlich angekommen war, wurde sie von Molly so heftig umarmt, dass sie fast umgefallen wäre. "Mum!", rief sie glücklich, dann holte sie die Wahrheit ein. Das war nicht ihre Mutter. Plötzlich war ihr wieder zum Heulen zu Mute und sie stieß Molly weg. Die blickte ziemlich verdattert. Auch Arthur sah verwirrt aus. "Was ist denn, meine Kleine?", wollte Molly besorgt wissen, als Ginnys Augen zu glänzen begannen. Ginnys Gesicht brannte. Sie machte den Mund auf, doch es schnürte ihr die Kehle zu. es kam nur ein Krächzen heraus. "Ich... ich weiß Bescheid. Über... meine Eltern." Arthur wurde blass. Molly jedoch schluchzte auf und schloss Ginny wieder in die Arme. Sie wehrte sich nicht, doch sie erwiderte die Umarmung auch nicht. Nach einer Weile ließ Molly sie wieder los und blickte ihr in die Augen. "Du bist unsere Tochter, und du wirst es auch immer bleiben, Ginny. Uns ist es egal, wer dich auf die Welt gebracht hat. Wir lieben dich." Arthur nickte eifrig. Ginny fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie fiel Molly um den Hals. "Danke, Mum, Dad." Jetzt weinte Ginny doch. Aber diesmal vor Freude und Erleichterung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)