Angel's von NexMen (Deine Gebete wurden erhört...) ================================================================================ Kapitel 1: Ich habe gesündigt... -------------------------------- Die großen Zeiger der Turmuhr bewegten sich noch ein kleines Stück und dann schlug die Glocke zur Mittagsstunde. Der Gottesdienst war schon seit fast einer Stunde vorbei, doch Pfarrer Dunken war noch in seiner Kirche und schaute sich um. Er ließ seine Kirche ungern in einem unsauberen Zustand. Er ging durch die Reihen der Bänke um die Kissen der Besucher des Gottesdienstes einzusammeln. Seit langem waren schon nicht mehr so viele Gläubige in die Kirche gekommen, wie an diesem Tag. Ob dies eine Art Vorahnung sein sollte? Pfarrer Dunkens Kirche war nicht sehr groß, weshalb es auch nicht sehr lange dauerte, bis er damit fertig war, die Sitzkissen zusammen zu sammeln. Er brachte die Kissen in einen kleinen Raum neben der großen Eingangstür, welcher nur mit einem Vorhang versteckt wurde. Die dunklen, alten Wände verfinsterten den Teil, in dem die Kissen immer lagen. Das kam wahrscheinlich daher, weil kein einziges Fenster auch nur ein wenig Licht für diesen kleinen Abstellraum spendete. Doch so dunkel wie an diesem Tag wirkte dieser noch nie. Nachdem Pfarrer Dunken mit dem verstauen der Kissen fertig war, versuchte er so schnell wie möglich den Raum zu verlassen. Er erinnerte ihn irgendwie an einen feuchten Sarg unter der Erde, der den Toten die letzte Ruhe schenken sollte. Und dieses Gefühl war beängstigend. Doch bei dem leichten Kerzenschein am Eingang seiner Kirche atmete er wieder auf. Aber ein Stück Finsternis lag immer noch auf ihm. Er schaute aus seiner Kirche und sah den mit grauen Wolken bedeckten Himmel, der den Tag zur Nacht zu machen schien. Es würde jeden Moment anfangen zu regnen. Zum Glück konnte Pfarrer Dunken in seiner Kirche den Regen abwarten. Und während solch eines Wetters durfte er sowieso nicht ohne weiteres gehen, denn seine Kirche war nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch ein Ort der Zuflucht für alle Bedürftigen. Er konnte also nicht einfach gehen. Pfarrer Dunken war noch dabei ein paar Kerzen in seiner Kirche anzuzünden, als bereits eine wahre Sinnflut aus dem Himmel zu kommen schien. Der dunkelgraue Himmel schien einem Weltuntergang gleich zu sein. So stellte sich Pfarrer Dunken manchmal die große Sinnflut aus dem Alten Testament vor. In Gedanken versunken wollte Pfarrer Dunken eine weitere Kerze anzünden, als ein lauter Knall durch die Kirche schallte. Er zuckte vor Schrecken zusammen und blickte durch die offene Tür nach draußen in den finsteren Tag hinaus. Es war zum Glück nur der Schall eines Blitzes gewesen, der scheinbar recht nah zu Boden ging. Das Gewitter war nicht mehr weit weg. Ständig kamen die tiefen Geräusche des Donners an seine noch jungen Ohren. Er hoffte sehr, dass niemand jetzt zu dieser Stunde sein Haus verlassen musste. Doch es kam ihm bei diesem Gedanken noch ein beunruhigendes Gefühl dazu. Als würde an diesem Tag noch irgendetwas passieren, dass er so schnell nicht mehr vergessen könnte. Alle Kerzen brannten nun und deckten die Kirche in einen angenehmen Lichtschein, doch das Gewitter schien immer noch nicht abgeklungen zu sein. Pfarrer Dunken wollte gerade die große Eingangstür schließen, als sich eine Kraft gegen die Tür lehnte. Er schaute noch einmal genau nach und sah eine Frau in einem Regenmantel vor seiner Kirche stehen, die scheinbar eingelassen werden wollte. „Was wünscht du, mein Kind?“, fragte Pfarrer Dunken so, wie er es gelernt hatte. Die Frau sah ihn nun direkt an. Ihr Gesicht war fast genauso nass, wie ihre Kleidung, doch Pfarrer Dunken glaubte nicht, dass es vom Regen so nass geworden war. Ihr Gesicht war jung und schön. Sehr alt konnte sie noch nicht sein. „Ich möchte eine Beichte ablegen“, sagte sie in einem angenehmen und doch traurigen Ton zu ihm. „Dann komm herein“, sagte Pfarrer Dunken und wies ihr den Weg in seine Kirche. „Leg erst einmal deine Regenjacke ab. Und dann sage mir, was dich bedrückt“, meinte Pfarrer Dunken zu ihr und zeigte auf eine Bank im hinteren Teil seiner Kirche. Sie setzte sich hin und schwieg erst einige lange Sekunden, bevor sie sich etwas aufrichtete und zu reden begann, immer noch mit Tränen in den Augen. „Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt...“, fing sie an zu erzählen. „Was hast du denn getan, mein Kind?“, fragte Pfarrer Dunken, als sie begann zu stocken und die Tränen scheinbar immer stärker wurden. „Ich... Ich habe... Ich habe meinen... Ich habe meinen... Stiefvater... umgebracht!“ Das letzte Wort kam so kraftvoll heraus, als könnte sie so den gesamten Schmerz heraus lassen. Sie hatte ihre Stiefvater umgebracht? Pfarrer Dunken glaubte seinen eigenen Ohren nicht, obwohl er immer seinen Kirchengängern lauschte und versuchte genau zuzuhören. Doch diese Worte ließen ihn innerlich hoch schrecken. Aber er blieb sitzen und rührte sich nicht. „Was ist passiert?“, fragte er sachlich und sanft nach, denn er glaubte nicht wirklich, was sie sagte. „Ich habe... ihn umgebracht. Ich weiß, es war falsch den Herrn zu bitten, mich von meinem Leid zu erlösen, aber ich wollte ihn doch nicht umbringen...“ Die Tränen rangen über ihre Wangen wie ein leichter Bach in der Natur. Doch es schmerzte sie sehr, dass spürte Pfarrer Dunken. „Erzähl mir, was passiert ist“, bat er sie ein weiteres Mal, immer noch mit einer beruhigenden Stimme. „Es begann... gestern Abend... Ich habe wie immer... an meinem Bett... gebetet. Ich habe gebetet... dass der Herr mich... endlich von meinem... Leid erlöst...“ Kapitel 2: Vergebung... ----------------------- Die Sonne schien an diesem Tag am wolkenlosen Himmel, als gäbe es nur sie und nichts anderes, Licht spendendes auf dieser Welt. Die junge Riana blickte aus ihrem Fenster in den Himmel hinaus und träumte vor sich hin. Sie fragte sich die ganze Zeit, warum man eigentlich Gott auch nicht sehen konnte, wenn doch die Wolken alle nichts am Himmel verdecken konnten. Riana war, wie auch ihre Mutter, streng gläubig. Sie betete jeden Abend zum Herrn und hoffte drauf, dass niemandem aus ihrer Familie etwas passieren würde. Allen, ihrer Mutter nicht, nicht ihren Großeltern. Niemandem wünschte sie es und deswegen betete sie auch jeden Abend für sie. Nur für einen betete sie nicht: ihren grausamen Stiefvater. Sie verwünschte ihn nicht, doch meist erhoffte sie sich nur Hilfe von ihrem Herrn. Eine Zeit lang war sie damals sauer, als ihr richtiger Vater viel zu früh bei einem Unfall ums Leben kam. Doch nach und nach wurde ihr bewusst, dass Gott wohl mehr mit ihm vorhatte, als ihn an diese Erde zu binden. Und irgendwie war er ja immer noch auf eine unbeschreibliche Art und Weise bei ihr. Sie hatte das Gefühl, dass ihr ihr Stiefvater nichts anhaben konnte, so lange ihr Vater selbst noch irgendwie bei ihr war. Doch spätestens am nächsten Morgen sollte sich alles noch ändern... „Riana? Kommst du bitte runter? Abendbrot ist fertig!“, rief Rianas Mutter zu ihr ins Zimmer hinauf. „Ich komme gleich!“, antwortet sie ihrer Mutter mit lauter Stimme, damit sie es auch hören konnte. Langsam aber sicher bäumte sich Riana auf und streckte sich noch einmal, denn sie lag schon mehrere Minuten reglos da und beobachtete den Himmel draußen. Es war ein so schöner Anblick. Riana schritt die Treppen hinunter und ging geradewegs in die Küche. Der Tisch war reichlich gedeckt mit Wurst, Käse, dunklen und hellen Brötchen, Aufstrich, sogar gekochte Eier standen dort abgedeckt mit einem Küchentuch, damit sie warm blieben. Riana setzte sich an den Tisch, genauso wie ihre Mutter. Ihr Stiefvater war noch nicht da. Das war allerdings häufiger so. Beide legten sich ihre Hände vor ihrem Gesicht zusammen und beteten vor dem Essen. „Lieber Gott! Danke für diese Speisen und Getränke, die du uns gegeben hast. Und schütze bei dir dort oben bitte meinen lieben Ehemann. Amen!“, sagte Rianas Mutter beim beten. Sie wollte immer, dass Gott Rianas Vater auch im Himmel beschützte. Selbst, wenn sie bereits wieder verheiratet war, so dachte sie doch immer noch an Rianas Vater. Aber es wunderte sie auch nicht. Rianas Stiefvater war mitunter nicht wirklich der netteste. Manchmal kam sich Riana in seiner Gegenwart auch irgendwie wie ein überflüssiges Bleigewicht an seinem Bein vor. Egal, was sie ihn einmal fragte, er erlaubte ihr am liebsten nichts und schrie sie fast immer danach an. Aber Gott sagte immer, man solle sein Eltern lieben und ehren. Nur deswegen hielt sie das noch aus. Meinte Gott damit aber auch einen Stiefvater? Sie wusste es nicht, aber sie versuchte trotz allem immer seinen Leitsätzen zu folgen. In letzter Zeit kam ihr Stiefvater immer später nach Hause. Meist war er betrunken und sehr übel gelaunt. Rianas Mutter meinte immer, dass er das Geld, was sie verdiente, in die Spielhalle mitnehmen und verspielen würde. Sie nagten mitunter schon fast am Hungertuch, wie man es manchmal nannte. An diesem Abend kam einmal etwas mehr auf den Tisch als sonst, doch das war mittlerweile die Seltenheit. „Ich werde morgen wieder ein paar Überstunden schieben müssen. Kommst du den Tag über klar?“, fragte Rianas Mutter ihre Tochter. „Natürlich. Aber bitte überarbeite dich nicht, ja!?“, antwortete Riana besorgt. „Mach ich schon nicht, meine Kleine!“ Riana machte sich schon lange um ihre Mutter Sorgen. Das Geld, was ihr Stiefvater verspielte, arbeitete sie mit Überstunden wieder heraus, damit sie doch noch Lebensmittel im Haus haben konnten. Vielleicht wären sie schon längst arm, wenn sie das nicht machen würde. „Mama, ich weiß, dass Gott Ehebruch nicht duldet, doch warum bleibst du bei diesem Mann? Er ist für mich nicht wie ein richtiger Vater und zu dir ist er auch nicht sehr nett“, fragte Riana ihre Mutter und hatte dabei fast Tränen in den Augen bei dem Gedanken an diesen Mann, der ihr Stiefvater war. „Es ist schwer, dir das zu erklären, denn ich weiß die Antwort auch nicht. Vielleicht kann ich nur nicht alleine sein.“ Die Antwort schien wahrlich nur eine Ausrede zu sein. Rianas Mutter blickte sie nicht einmal an, während sie es aussprach. „Aber Mama, du bist doch nicht allein. Ich bin doch noch da, und Papa passt auch auf uns auf. Das weißt du doch!“ Riana war bei ihrer Aussage so voller Begeisterung, dass ihre Mutter mit erstauntem Gesicht auf sah. „Du hast ja Recht, Kleines! Aber vielleicht ändert sich noch einiges. Du weißt das nie vorher!“, versuchte Rianas Mutter diese zu besänftigen. Riana selbst glaubte nicht wirklich daran, doch sie versuchte trotzdem es sich nicht anmerken zu lassen. Was hätte sie auch anderes machen sollen? Die Tür ging mit einem lauten Knall auf und sowohl Riana als auch ihre Mutter blickten zu der großen Person, die dort hinein kam. „Hallo, Schatz! Wie war dein Tag?“, fragte Rianas Mutter mit freudiger Stimme, als sie denjenigen erkannte, der von draußen in die Küche geschritten kam. Es war Rianas Stiefvater, der wieder betrunken durch die Tür stolzierte wie ein kranker Emu. Es schien manchmal, als hätte er das Laufen gerade erst erlernt, dabei lag das nur an dem vielen Alkohol, den er jeden Abend trank. Nur am Tage selbst war er manchmal nüchtern, doch auch nicht wirklich besser gelaunt. „Ach, lll...lass mich in ... Ruhe! Der Tag war schon besch...schissen genug“, lallte Rianas Stiefvater ihre Mutter aggressiv an. Riana hätte am liebsten etwas gesagt, doch ihre Mutter bedeutete ihr so viel, dass sie es nur ihretwegen nicht tat. Ihr Stiefvater trank immer zu viel und am Ende schlug er sie vielleicht sogar noch wegen irgendwelchen Kleinigkeiten. Und Riana selbst stand auch manchmal im Schussfeld seiner Aggression. So konnte es doch nicht weiter gehen. Hoffentlich würde es morgen früh besser gehen. Immerhin hatte sie Schulfrei... Riana erwachte mit Tränen im Gesicht am nächsten Morgen. Sie wusste, dass ihre Mutter wieder mit einigen blauen Flecken zur Arbeit gegangen war. Doch leider war das schon nichts Neues mehr, aber es schmerzte Riana doch jedes Mal auf’s neue. Wie konnte ein Mensch nur so grausam sein, vor allem zu jemandem, der ihn liebte? Sie würde sich wieder um die Hausarbeit kümmern, während ihr Vater einfach vor dem Fernseher sitzen würde und irgendwelche unwichtigen Sendungen durch schalten würde. Der Tagesablauf ähnelte sich immer wieder, wenn Riana selbst zu Hause war. Ob es genauso war, wenn ihre Mutter zu Hause mit ihm war? Riana wollte die Antwort gar nicht wirklich wissen. Sie zog während dieser Gedanken ihre einfachen Sachen an und sprach noch einmal ein kleines Morgengebet, als sie fertig war. Auf das Gott ihre schlimme Zeit doch endlich beenden würde. Waren die Zeiten nicht schon oft schlimm genug? Sie hoffte doch nur auf ein Zeichen... Riana ging aus ihrem Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Ihre Mutter war schon bei ihrer Arbeit und sie würde heute nicht so früh wieder kommen, wie meist an den anderen Tagen. Aber irgendwie musste sie auch über die Runden kommen, und das geschah sicherlich nicht mit der Hilfe ihres Stiefvaters, der nicht einmal arbeiten gehen wollte sondern immer nur spielen ging. Doch weder Riana noch ihre Mutter konnten wirklich etwas machen. Wäre doch ihr Vater noch bei ihnen gewesen. Die Zeiten wären besser und schöner gewesen. Während Riana die dreckige Wäsche sortierte und sich dabei sogar mit dem schlimmen Geruch von den Sachen ihres Stiefvaters auseinandersetzen musste, dachte sie immer wieder an ihren Vater. Mit ihm wäre alles anders gewesen. Ausgerechnet an diesem Tag dachte sie mehr an ihn, als jemals zuvor. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Kapitel 3: Kein Entkommen ... ----------------------------- Riana spülte das dreckige Geschirr ab, das sich schon zu stapeln begann. Einige Essensreste ließen sich nicht mal mehr richtig abwischen, sondern eher noch abkratzen. Es war nicht gerade Rianas Lieblingsaufgabe, doch um ihrer Mutter zu helfen nahm sie sich schon einmal auch solche unannehmlichen Sachen vor. Und ihr Stiefvater war im Haushalt so oder so keine große Hilfe. Er lag wie immer eigentlich vor dem Fernseher und trank dabei genüsslich seinen Alkohol zum an heitern. „Papa, bitte hilf uns doch ein wenig“, flehte Riana in ihrem Kopf immer und immer wieder. „Hey, bring mir mal noch ein Bier! Und räum' das Zeug hier weg!“, brüllte ihr Stiefvater aus dem Wohnzimmer heraus. „Ich komme“, antwortete Riana zwar laut, aber trotzdem eingeschüchtert. Der Ton gefiel ihr schon gar nicht. Sie hatte Angst, Angst vor Schlägen, Angst vor allem schlimmen, was er ihr hätte antun können. Riana holte aus der Speisekammer eine Flasche von dem Bier ihres Stiefvaters heraus. Wie konnte einem so etwas nur schmecken? Als sie das Wohnzimmer betrat, gab Riana ihrem Stiefvater die Flasche in die zitternde Hand und begann sofort das Chaos zu beseitigen, das auf dem Tisch herrschte. Er war so voll gestellt, dass es ein Wunder war, dass noch Platz darauf zu finden war. Riana wischte zwischen den Gläsern und Flaschen schon einmal ein wenig weg, doch leider war das einfacher gedacht als gemacht. Sie eckte an eine Flasche an, die nahe dem Tischrand stand und diese fiel unweigerlich zu Boden, ohne das Riana etwas hätte machen können. Die Flasche zersprang und ließ die großen Splitter, scharf und gefährlich, auf dem Teppich liegen. „Kannst du überhaupt was richtig machen?“, brüllte Rianas Stiefvater sie an. „Es tut mir Leid“, weinte ihr trauriges Herz nach außen hin und wieder kam die Angst in ihr hoch. Krampfhaft versuchte sie den Großteil der Splitter bereits einzusammeln, als sie den starken Druck auf ihrer linken Hand bemerkte und dann nur einen beißenden Schmerz empfand. Sie schrie auf und weinte noch mehr als zuvor. „Du dummes Ding. Mit dir hat man auch nur seinen Ärger!“, schrie er ihr demonstrativ ins Gesicht. „Dich kann man echt nicht gebrauchen!“, beschwerte er sich weiter und ging von ihrer Hand herunter, nur um sie dann grob am Arm zu packen und mit sich zu zerren. „Wo bringst du mich hin?“, fragte Riana, immer noch weinend vor Schmerz. „Dahin, wo du keinen Ärger mehr machen kannst“, deutete er ihr nur an, bevor er sie in Richtung der Kellertür zerrte. Man merkte, dass er wieder sehr betrunken war. Vielleicht bekam er nicht einmal mit, wie sehr er Riana verletzt hatte. Oder er wusste es und machte es gerne. Wie grausam konnte ein Mensch nur sein? Herr, bitte hilf mir, flehte sie in ihrem Kopf, während sie weiter versuchte ihren Schmerz zu verstecken, genauso wie ihre Tränen. „Und hier bleibst du erstmal, bis ich dich hole, VERSTANDEN!?“, brüllte Rianas Stiefvater sie an. Er stieß sie die Treppe zum Keller hinunter und Riana konnte sich gerade mit Not und ihrer rechten Hand am Geländer fest halten, um nicht noch die Stufen hinunter zu fallen. Sie blickte nach oben in das finstere Gesicht ihres Stiefvaters, bevor dieser dann die Tür zu machte. Man hörte das Klicken des Schlosses und Riana bewegte sich schnellen Schrittes wieder die Treppe hinauf. Sie versuchte die Tür zu öffnen, mehrmals sogar, doch die Tür war fest geschlossen und bewegte sich nur einige Millimeter, bevor es nicht mehr weiter ging. „Lass mich raus“, schrie sie ihrem Vater durch die Tür hinterher, doch sie bekam keine Antwort. Nun war sie alleine. Alleine mit sich selbst, alleine mit dem Schmerz, der mehr ihr Herz als ihre Hand durchzog. Warum tat er ihr so etwas an? Was hatte sie nur falsch gemacht? Wieso passierte ihr so etwas? Hatte sie nicht oft genug gebetet? Doch nun betete Riana mehr als je zuvor zu ihrem Herrn, auf das er sie retten würde. Sie stieg die Treppen langsam rückwärts hinunter, während sie die Augen geschlossen hielt und auf ein Zeichen wartete. Sie spürte die Wand hinter sich, als sie bereits ganz unten angekommen war. Aber sie erschrak nicht, sondern betete weiter. Sie hoffte so sehr, dass ihr richtiger Vater kommen würde, um sie zu beschützen. „Ich helfe dir“, schien ihr eine leise, engelsgleiche Stimme zu flüstern. Riana öffnete die Augen und schaute sich in dem schlecht beleuchteten Keller um. Niemand war hier. Hatte wirklich jemand etwas geflüstert? Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Egal, was es war: es machte ihr irgendwie Hoffnung. Die Minuten der Stille durchstreiften den Keller und Riana betete immer weiter und hoffte auf ein weiteres Zeichen. Doch es kam nichts, aber trotzdem gab sie nicht auf. Ein lautes Knallen war bis in den Keller zu hören. Eine Tür von oben wurde scheinbar regelrecht aufgetreten. Riana zuckte zusammen, denn dieses laute Geräusch kam völlig unerwartet. Hatte ihr Stiefvater wieder einen Wutanfall? Nein, warum sollte er deswegen gleich eine Tür eintreten? Das hatte er jedenfalls nie vorher gemacht. „Hey, was wollen sie hier?“, hörte Riana ihren Stiefvater entsetzt brüllen. „Das holen, was uns gehört!“, sagte eine andere, männliche Stimme etwas leiser und doch deutlich. Ein gedämpfter Knall, fast schon wie etwas sehr schnelles, war noch kurz zu hören, bis Stille eintrat. Vor Schreck traute Riana sich nicht einmal ein einziges Geräusch von sich zu geben. Es war eigentlich schon viel zu ruhig. Was war nur geschehen? „Hier ist nichts weiter, jedenfalls nichts wertvolles“, hörte Riana eine weitere Person leise sagen, während sie am Fuß der Treppe stand und etwas leicht klimpern hörte. „Dann lass uns verschwinden! Der kann bei uns keine Schulden mehr machen“, antwortete wieder die erste, unbekannte Männerstimme. Schritte kamen näher, näher an die Kellertür. Sie wurden immer lauter und Riana stockte vor Angst der Atem. Was sollte sie tun, wenn die Männer sie hier unten finden würden? Die Angst stieg ihr in jede Faser ihres Körpers hoch. Was sollte sie nur tun? Die unbekannten Männer waren wohl gerade kurz vor der Kellertür, doch dann wurden die Schritte wieder etwas leiser und entfernten sich weiter. Sie hörte eine andere Tür zugehen und plötzlich war wieder alles still. Was war da passiert? Von ihrem Stiefvater hörte sie auch nichts mehr. Und raus konnte sie auch nicht, weil die Tür von außen abgeschlossen war. Riana konnte nur noch warten. Und sie spürte neben der Angst auch Müdigkeit. Wie lange war sie schon hier unten? Ihre Armbanduhr lag noch in der Küche. Nun hatte sie vollkommen die Zeit vergessen. Ein schriller Schrei ließ Riana wieder erwachen. Es war ihre Mutter, die da voll Entsetzen aufschrie. Riana brauchte ein paar Minuten, um sich in der fast vollkommenen Dunkelheit zu Recht zu finden. Sie stieg die Stufen langsam hinauf und klopfte laut gegen die immer noch verschlossene Kellertür, als sie das Holz vor sich spürte. „Mama? Mama, ich bin hier!“, rief sie durch die Dunkelheit und hoffte, dass ihre Mutter sie hören konnte. Und tatsächlich: Schritte näherten sich dem Keller, schnell und scheinbar nervös und verängstigt. „Riana?“, fragte die weiche Stimme ihrer Mutter in Richtung der Tür, hinter der Riana bestimmt schon seit Stunden eingeschlossen war. „Ja, Mama. Mach bitte die Tür auf!“, antwortete Riana mit Erleichterung in der Stimme. Das Klicken des sich öffnenden Türschlosses klang in Rianas Ohren wie der Ton der Kirchglocke am Sonntag vor dem Gebet. So befreiend ... Das Holz war nicht mehr wie eine Mauer zwischen Riana und dem Licht, dass ihr nun etwas in den Augen stach, auch wenn es nur von der Lampe im Flur kam. Wenige Sekunden vergingen, bevor sie ihrer Mutter in die Augen sehen konnte. Sie weinte vor Schmerz und auch vor Freude, als sie ihre Tochter sah und kurz darauf fest in den Arm schloss. „Mama, was ist los?“ Riana konnte sich diese Reaktion nicht wirklich erklären, doch sie konnte ihre Mutter in diesem Moment auch nicht wirklich von sich stoßen. „Dein Stiefvater ...“, brachte ihre Mutter schluchzend hervor. Riana merkte, wie sich graue Wolken vor die Sonne schoben. Sollte das ein Zeichen sein? Nun drängte sie sich aber vorbei in das Wohnzimmer. Was war denn nur los? Rianas Mutter versuchte sie noch zurück zu halten, doch niemand hätte sie nun aufhalten können. Und nur noch ein heftiger Schreck glitt ihr durch den ganzen Körper, als sie den Blick durch die geöffnete Wohnzimmertür und das dahinter liegende Sofa warf. Der helle, angenehme Bezug war nun mit dunkelrotem Blut getränkt. Und darin zusammengesackt lag ihr Stiefvater mit blutender Brust. Sein verängstigter Blick und allein seine Hand, die er auf die Wunde gelegt hatte, würden Riana vermutlich auf Ewig in Erinnerung bleiben. Doch wer hatte das getan? Hatte sie das zu verantworten? Kein Entkommen für einen Mann, der seine Familie nicht mehr zu schätzen wusste. Und Riana hatte dafür scheinbar gebetet. Der Schmerz, den sie zuvor noch immer in ihrer linken Hand verspürte, war nun fast schon wieder vergessen. Denn für diesen Augenblick saß der Schrecken ganz woanders. Was konnte sie nun noch tun? Die ersten Regentropfen prasselten gegen die Fenster im Haus und nach und nach wurde der Regen stärker. Als würde jemand weinen. Riana selbst und auch ihre Mutter, und der Himmel teilte die Tränen mit ihnen. Doch warum weinte Riana? Er war so grausam, doch auch jemand wie ihr Stiefvater hatte einen solchen Tod nicht verdient. Rianas Mutter weinte so stark in der Küche. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie dann endlich für kurze Zeit die Kraft hatte die Polizei zu rufen. Doch was sollten diese jetzt schon noch machen können? Riana selbst gab sich Schuld an diesem Ende. Und es gab nur noch einen Weg, es auch nur wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Die Beichte in der Kirche! Kapitel 4: Funkelnder Engel ... ------------------------------- Pfarrer Dunken hörte dem Mädchen bis zur letzten Minute aufmerksam zu. Riana war also ihr Name ... Doch wenn wirklich alles so geschehen war, wie sie sagte, hatte sie doch nichts verbrochen. Warum also gab sie sich die Schuld? „Mein Kind, wenn alles so geschehen ist, wie du sagst, brauchst du dir doch keinerlei Vorwürfe machen!“ Pfarrer Dunken legte beruhigend seine Hand auf Rianas Schulter, die immer noch weinend und tropfnass vom Regen vor ihm saß. „Aber ... Ich habe dafür gebetet, und das ist nicht zu verantworten!“, heulte sie weiter und bekam nur schwer Luft dabei. „Du hast für Erlösung gebetet, wohl wahr, aber nicht für diese Art der Erlösung. Das kam von ganz alleine. Du bist nicht schuld daran!“ Pfarrer Dunken blickte Riana tief in die vertränten Augen. Ihr Blick schien keine Vergebung für sich selbst zu kennen. „Aber ich bin daran schuld, weil ich es mir gewünscht hatte!“ „Nein, Kind, nein! Du dachtest an dich und deine Mutter. Du wolltest nur, dass sich dieser grausame Mann ändert. Und du konntest nicht wissen, was passieren würde. Du brauchst dir keinerlei Schuld geben. Du weißt doch, dass Gottes Wege unergründlich sind. Dies ist nur ein Pfad von vielen, die er nehmen kann um das Schicksal zu ändern.“ Langsam schien sich Riana beruhigen zu können. Die Tränen wurden etwas weniger, ihr Schluchzen verklang in den heiligen Hallen des Herrn und es schien sogar, als lächelte sie wenigstens für einen Moment. Und auch Pfarrer Dunken lächelte bei diesem Anblick. „Meinen Sie wirklich, dass Gott mir nicht die Schuld dafür geben wird?“ Für diesen Moment, für diese eine Frage, schien Riana wieder sehr ernst zu sein. „Gott gibt seinen geliebten Kindern für nichts Schuld, was sie nicht mit ihren eigenen Händen falsch gemacht haben.“ Pfarrer Dunken strich leicht über Rianas Arm, um sie weiter zu beruhigen. Bei ihrer Handfläche dann bemerkte er den dicken Verband. Das war vermutlich die verletzte Hand, von der sie schon gesprochen hatte. „Nun geh lieber und helfe deiner Mutter in dieser schweren Zeit. Sie wird dich nun mehr brauchen, als zuvor!“ Diese ruhigen Worte ließen Riana die Tränen aus den Augen wischen und sie nickte nur leise. Sie wusste nun, dass sie keine Schuld traf. Und diese Gewissheit schien sie noch mehr zu beruhigen. „Vielen Dank, Pfarrer Dunken!“, sagte sie zum Abschluss und verbeugte sich leicht im Sitzen vor ihrem Gegenüber. „Nichts zu danken, mein Kind!“, lächelte Pfarrer Dunken, bevor Riana sich erhob zum gehen. Auf ihrem Weg nach draußen drehte sie sich noch einmal lächelnd um und sah Pfarrer Dunken dankend in die Augen. Er hatte noch gar nicht bemerkt, dass es aufgehört hatte zu regnen und die Sonne sich langsam wieder ihren Weg nach draußen bahnte. Durch einige der bunten Fenster drang sogar recht viel Licht und erhellte so die ganze Kirche. Was sollte man davon nur halten? Auch Pfarrer Dunken erhob sich, nachdem Riana die Kirche langsam verlassen hatte. Es tat ihm immer gut, wenn er helfen konnte. Auch wenn dies schon fast ein zu besonderer Fall war. Ein Glück lebten sie nicht mehr im Mittelalter, wo man mit viel Geld die Schuld „verkaufen“ konnte. Hier lag es doch eindeutig auf der Hand, dass sie keine Schuld hatte. Zu mindestens für Pfarrer Dunken selbst. Er wendete sich ab von der Tür, die ihn gerade für einen Moment zu fesseln schien, und bewegte sich auf den, man hätte ihn so nennen können, „Altar“ zu. Er wollte die letzten Kerzen ausblasen, die dort noch brannten. Doch er fand etwas, dass er seinen Lebtag nicht mehr vergessen würde: einen Brief. Ein Brief selbst wäre nichts Ungewöhnliches gewesen, doch was dort stand, war nicht von dieser Welt. „Vielen Dank, Pfarrer Dunken! Ich hätte nicht einmal im Tode damit leben können, wenn meine Tochter sich ihren Lebtag hätte Vorwürfe machen müssen für etwas, wobei ich ihr nur helfen wollte. Das es nun so endete war wohl Schicksal, dass ich nicht in die Hände genommen hatte. Nochmals, vielen Dank!“ Mehr stand dort nicht. Es war kein Name zu sehen und niemand hatte zuvor die Kirche betreten. Wie konnte der Brief also dort hin gelangen? Mit Sicherheit lag er vor dem Besuch des Mädchens noch nicht dort, und sie kam gar nicht bis hierher. Pfarrer Dunken ließ das Schreiben sinken und entdeckte noch etwas, dass ihm eben noch nicht aufgefallen war: eine Feder. Eine strahlend weiße Feder, fast schon zu groß für die eines Vogels. Doch woher kam sie? Pfarrer Dunken blickte, fast wie im Affekt, nach oben. Das Licht schien strahlend durch die bunten Fensterscheiben auf den Brief hinab. Konnte das sein? Die Antwort würde Pfarrer Dunken selbst erst im Tode bekommen können, doch bis dahin war noch Zeit. Die Engel würden ihn nur weiter beobachten, die funkelnden Engel über den Sternen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)