Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 1: Eine unerwartete Geburtstagsüberraschung --------------------------------------------------- Die Sonnenstrahlen kitzelten Faiths Gesicht und als sie die Augen aufschlug, spürte sie zeitgleich die sanfte Brise, die durch das geöffnete Fenster in ihr Zimmer strömte. Es war ein wunderschöner Julimorgen und zudem ihr sechzehnter Geburtstag, was für sie bedeutete, dass sie heute ihr erstes Pokémon bekommen würde. Aufgeregt sprang sie aus dem Bett, stürzte dabei fast über ihren halb gepackten Rucksack und fing sich gerade noch mit der Hand an der Tischkante ihres Schreibtisches ab. „Mom, ich bin wach!“ Wie jedes Jahr würde sie unten am Küchentisch ein bezaubernder Geburtstagskuchen erwarten, dazu einige Geschenke und… Moment mal, wieso kam denn keine Antwort? „Mom, bist du da?“ Irritiert trat die blauhaarige Faith auf den Flur vor ihrem Zimmer und runzelte die Stirn. Wahrscheinlich waren ihre Eltern nur kurz im Garten oder hatten etwas mit den Nachbarn zu bereden, dabei verquatschte sich vor allem ihre Mutter viel zu oft. Mit einem lockeren Schulterzucken holte sie die Sachen aus dem Schrank, die sie heute anziehen wollte, und putzte sich anschließend in ihrem kleinen Badezimmer die Zähne. Doch als ihr Blick auf die schwarze Wanduhr fiel, entfloh ihrer Kehle ein hysterischer Quietschlaut. Sie hatte verschlafen! „MOM!“ Aufgebracht riss sie fast die Tür aus den Angeln, stürmte nach unten in die Küche und hatte keinen Blick mehr für den Kuchen auf dem Tisch übrig, lediglich die vier eingepackten Geschenke zogen kurz ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Mom, warum hast du mich nicht geweckt? Mom!“ „Schrei hier bitte nicht so rum, Faith.“ Ihre Mutter kam durch die Seitentür in den Garten herein, auf ihrer Schulter saß ihr Plaudagei, der Starter, den Faiths Mutter damals erhalten hatte. „Du warst gestern Nacht noch so spät wach, da dachte ich mir, dass ich dich besser schlafen lasse. Außerdem war dein Wecker gestellt, er hat heute Morgen fast eine Viertelstunde lang gepiepst. Du solltest langsam mal mehr Verantwortung übernehmen.“ Gut, wunderbar, eine dieser mütterlichen Standpredikten, aber doch bitte nicht heute, an dem wichtigsten Tag ihres bisherigen Lebens! „Mom, das ist unfair, jetzt komme ich zu spät zu Professor Sage!“ „Schatz, ich werde nicht zulassen, dass du gehst, ohne dir wenigstens deine Geschenke angeschaut zu haben.“ Ihre Mutter setzte einen strengen Blick auf und stemmte die Hände in die Hüften, also ließ sich das Geburtstagskind überreden und begann damit, das bunte Geschenkpapier abzuwickeln. „Hat Dad schon angerufen?“ „Ja, aber er musste schon weg zur Arbeit. Er ruft dich heute Abend noch mal an, wenn du dein Pokémon hast. Ich verstehe, dass du sehr aufgeregt bist, aber du bist schon eine Stunde zu spät dran, da kommt es auf die zehn Minuten auch nicht mehr an.“ Mit einem resignierten Seufzer betrachtete Faith die Sammelbox der Orden dieser Region, Finera, die in dem Geschenk gesteckt hatte. „Danke Mom, das werde ich gut gebrauchen können… Wenn ich erstmal mein Pokémon habe.“ Mutter und Tochter warfen sich kurze Blicke zu, dann lächelte ihre Mutter sie an und nickte ihr zu. „Also gut, dann mach dich auf den Weg. Aber sei pünktlich zum Mittagessen zurück, ja?“ „Ist gut, Mom. Hab’ dich lieb.“ Schnell drückte Faith ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, dann stürmte sie aus dem Ferienhaus hinaus auf die Straße und orientierte sich kurz, da sie nur übers Wochenende in Waldhausen war, um ihr Pokémon abzuholen. Ihre Mutter war deswegen extra mit ihr den ganzen Weg von Litusiaville am Meer nach Waldhausen gefahren, wofür sie ihrer Mutter auch dankbar war. Faith hatte schon vorher Trainer sein wollen, doch in Finera entschied jeder selbst, wann er losziehen wollte. Und Faiths Mutter war dagegen gewesen, dass ihre Tochter bereits mit zehn loszog - quasi noch als halbes Kind! Den Weg zum Labor von Professor Sage legte sie im Sprint zurück, es war allerdings auch nicht sonderlich weit und noch dazu gut ausgeschildert. In der Einfahrt kam ihr gerade ein kleiner Junge entgegen, der vergnügt ein Chelast in den Armen hielt. „Hey du, schau mal, Chelast ist ab jetzt mein Partner!“ „Schön für dich, Zwerg, und jetzt lass mich durch“, maulte Faith ungeduldig, drückte sich an dem Jungen vorbei und klingelte zweimal an der Haustür des Professors. „Professor Sage, sind Sie da?“ Gerade wollte sie anklopfen, da wurde die Tür geöffnet und ein Mann mittleren Alters runzelte die Stirn, als er sie sah. „Du bist Faith Loraire, nehme ich an?“ „Ja, und bevor sie irgendwas sagen: Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe heute Geburtstag und total verschlafen, dabei hatte ich gestern Abend extra den Wecker gestellt und ich-“ „Komm erstmal zu Atem, junge Dame. Abgesehen davon kannst du dir deine Erklärungen sparen. Das Pokémon, das ich für dich ausgesucht hatte, ist nun bereits vergeben. Vorhin war ein Mädchen hier, das mir zuverlässiger erschien für die Aufzucht eines Dratinis.“ „Ein Dratini? Sie meinen, ich hätte ein Dratini bekommen?“ Tränen traten in Faiths Augen, das war einfach nur ungerecht! Dabei war Dragonir unumstritten eines ihrer Lieblingspokémon. Es war grazil, elegant, wunderschön und lernte noch dazu starke Drachenattacken. „Oh Professor Sage, das ist nicht fair!“, jammerte sie schluchzend und der Mann seufzte, tätschelte ihr kurz die Schulter und nagte an seiner Unterlippe. Nach einer knappen Minute seufzte er erneut und bat Faith in sein Labor, das eine Tür weiter lag. „Da heute dein Geburtstag ist, will ich mal nicht so sein, meine Liebe. Aber sei dir sicher, dass das nur eine Ausnahme ist! Du warst unpünktlich, was von deiner Inkompetenz und Unzuverlässigkeit zeigt, liebste Faith!“ „Ich weiß…“ Ihre Tränen waren nun getrocknet, aber sie fühlte sich immer noch schlecht. Wenn sie heute kein tolles Pokémon bekam, würde es der schlimmste Tag ihres Lebens sein. Selbst der Zwerg von vorhin war mit seinem Chelast einfach nur glücklich gewesen und sie? Sie hatte sich wahrscheinlich die einzige Chance ihres Lebens, ein seltenes Dratini zu ergattern, verbockt. „Schwester Joy kümmert sich momentan um einige Pokémon aus dem Eichwald, die bei einem schlimmen Sturm letzte Woche verletzt worden waren. Einige dieser Pokémon sind jetzt gefangen und da sie noch kein so hohes Level haben, wäre es theoretisch möglich, sie an junge Trainer zu verteilen.“ „Oh, das ist wunderbar!“ Na endlich mal eine erfreuliche Nachricht! Dann stand ihrem Traum Champ zu werden ja nichts mehr im Wege. „Professor Sage, würden Sie mir ein solches Pokémon anvertrauen?“ Was könnten das nur für Pokémon sein? Vielleicht ein Bisasam oder Chelast, aber ein hübsches Papinella oder Smettbo wäre auch nicht schlecht. Oder sogar ein anmutiges Folipurba, eine Entwicklung des wandelbaren Evolis? „Und du bist dir sicher, dass du so ein Pokémon haben willst, Faith? Du bist unerfahren und dieses Pokémon ist in der Natur aufgewachsen.“ „Kein Problem, das kriege ich schon hin, Professor.“ Zuversichtlich nickte Faith ihm zu und der Mann seufzte schon wieder, griff dann zu einem Pokéball im Regal und drückte ihn Faith in die Hand. „Also gut, Faith. Das hier ist der Pokéball mit deinem neuen Partner. Aber ich möchte dich hier nicht aufkreuzen und jammern sehen, verstanden? Wenn du das Pokémon jetzt nimmst, musst du auch bei dieser Wahl bleiben, um zu lernen, dass man die Konsequenzen seines Handelns selbst auszubaden hat.“ Kurz zögerte sie, da man normalerweise aus drei Pokémon wählen durfte, doch schließlich war sie einverstanden und der Mann ließ sie von dannen ziehen. Draußen klopfte ihr Herz vor Aufregung wie wild und sie atmete dreimal tief durch, ehe sie auf den Knopf drückte und ihren neuen Partner entließ. Der helle Strahl formte allmählich ein kleines Pokémon – Smettbo schied schon mal aus, aber es war auch schon entwickelt – und nahm mehr und mehr Gestalt ein. „Super, mein neues Pokémon ist ein…!“ Hilfe, was sollte das denn? Nein, das durfte doch nicht wahr sein! „Hornliu!“ Kapitel 2: Die Reise beginnt ---------------------------- „Waah!“, stieß Faith erschrocken aus und wich einen guten Meter von dem kleinen Käferpokémon weg. Sie hätte ein Dratini bekommen und jetzt saß ein Hornliu vor ihr? Ein Hornliu?! Das Leben war wirklich ungerecht, aber sie hatte dem Professor versprochen, sich ab jetzt um das Pokémon in dem Ball zu kümmern, egal, was es nun sein würde. „Horn Hornliu!“ Der Käfer- und Gifttyp stellte sich auf und warf Faith einen vernichtenden Blick zu. Na wunderbar, der Kleine konnte sie scheinbar ebenso wenig leiden wie sie ihn. „Okay, Hornliu, ich bin Faith, deine neue Trainerin. Ich denke, wir werden schon irgendwie miteinander auskommen, nicht wahr?“ Doch ihr neuer Pokémonpartner wandte ihr lediglich den Rücken zu und begann, auf einen Baum zuzukriechen, auf dem ein fettes Taubsi in der Sonne döste. Ein kleiner Kämpfer also, aber Faith hatte jetzt keinen Nerv dafür, also zog sie Hornliu kurzerhand zurück in den Pokéball und machte sich niedergeschlagen zurück auf den Weg zu dem Ferienhaus. Ihre Mutter erwartete sie bereits in der Eingangstür und schlang die Arme um die Schultern ihrer Tochter. „Und, wie ist es gelaufen?“ Das war zu viel für Faith und sie brach in Tränen aus, schlang die Arme um die Taille ihrer Mutter und weinte hemmungslos. „Das ist so gemein! Ich hätte ein Dratini bekommen, aber weil ich zu spät war, habe ich nun ein Hornliu am Hals und ich habe dem Professor versprochen, mich nicht darüber zu beschweren! Ein Hornliu! Wie konnte er mir das nur antun? Käferpokémon sind doch schwach, damit werde ich niemals ein Pokémonchampion werden können!“ Die Blauhaarige riss sich los, drückte ihrer Mutter den Pokéball in die Hand und stürmte in die Küche, wo sie sich an den Küchentisch setzte und das Gesicht in ihre Hände stützte. Unter lauten Schluchzern betrachtete sie zwischen den Fingern hindurch die Ordenbox, die ihre Eltern ihr geschenkt hatten, aber es warteten auch noch andere Geschenke auf sie, an denen sie sich schließlich zu schaffen machte. Langsam trat ihre Mutter hinter ihr in den Raum und legte den Pokéball neben Faith auf den Tisch. „Faith, ich kann verstehen, dass du wütend auf dich bist und enttäuscht von deinem Pokémon, aber der Professor wird es dir sicherlich nicht ohne Grund gegeben haben.“ „Ja, er wollte mich schikanieren!“, fauchte sie zurück und betrachtete eine Karte der Region, die nun sauber zusammengefaltet und ganz neu in ihrer Hand lag. „Nein, er weiß, dass du dich gut um Hornliu kümmern wirst. So lange du deinem Pokémon aber diese Abneigung entgegenbringst, werdet ihr niemals ein gutes Team werden. Sieh es doch als eine Herausforderung, Liebes. Wenn du Champion werden möchtest, wirst du noch viele Herausforderungen in deinem Leben haben. Hornliu ist vielleicht nicht der stärkste Starter, den man bekommen kann, aber es entwickelt sich früh weiter zu Kokuna und Bibor und Bibor sind Pokémon, die sich sehr verbissen um ihre Angelegenheiten kümmern können. Sicherlich ist dein Hornliu ein kleiner Kämpfer und würde sein Bestes geben, um an deiner Seite zu stehen und dich stolz zu machen. Du musst ihm nur eine Chance geben.“ Lächelnd drückte die Mutter Faiths Schulter, dann stand sie auf und räumte den Geburtstagskuchen zur Seite, damit Faith mehr Platz für das ganze Geschenkpapier hat. „Komm erstmal zur Ruhe und dann beschäftige dich mit Hornliu. Ich bin sicher, ihr werdet ein gutes Team.“ „Du hast leicht reden, Plaudagei und ihr ward doch von Anfang an auf einer Wellenlänge. Außerdem ist Plaudagei kein schwaches Pokémon.“ „Das ist Hornliu auch nicht, Liebes. Es kommt darauf an, was du aus ihm machst.“ Faith nickte und seufzte leicht, betrachtete dann ihre Geschenke: Eine Ordenbox, die Karte der Region Finera, ein Satz Pokébälle, ein paar neue Sachen zum Anziehen und ein Pokédex, den ihr Vater ihr zugeschickt hatte. „Vielleicht hast du Recht. Danke.“ Sie stand auf, nahm Hornlius Pokéball und verließ das Haus in den Garten, wo sie sich auf eine Hollywoodschaukel setzte und in den Himmel schaute. Über ihr zogen ein paar Schwalbinis hektisch ihre Runden, weiter oben kreiste ein Tauboga majestätisch über Waldhausen. Dann glitt ihr Blick weiter zum Snobilikat des Nachbarn. Ihre Mutter hatte früher auch ein Snobilikat besessen, als sie noch Trainerin war, doch jetzt waren von ihren Pokémon nur noch ihr Starter Plaudagei und Arkani übrig geblieben, das bei ihnen zu Hause wachte. Faith war als kleines Kind immer so fasziniert von den Geschichten ihrer Mutter gewesen, als diese durch Finera gereist war und die Orden erkämpfte, bis sie ihren Vater traf und die beiden sich verliebten und heirateten. Weiter als bis zum 6. Orden war ihre Mutter damals nicht gekommen, aber Faith hatte sich immer vorgenommen, eines Tages Champ zu sein. Wenn sie dieses Ziel erreichen wollte, musste sie sich mit ihrem Hornliu arrangieren. „Also gut.“ Die junge Trainerin atmete tief durch und entließ erneut ihren Starter, der sie mit einem eingeschnappten „Liu!“ begrüßte und sie forsch anstarrte. „Ich weiß, dass das vorhin nicht sehr nett von mir war, Hornliu. Dafür wollte ich mich bei dir entschuldigen, okay? Ich bin hier nach Waldhausen gekommen, um mir zwischen drei Pokémon meinen Starter auszusuchen, doch es war meine Schuld, dass ich diese Chance verbockt habe und dich noch bekommen habe. Aber du sollst nicht unter meinen Fehlern zu leiden haben. Also, was ist, gibst du mir noch eine Chance? Denkst du, wir könnten doch noch ein Team werden?“ Der Wurm schaute sie eindringlich an und man konnte deutlich erkennen, wie Hornliu darüber nachdachte. Doch schließlich kroch es auf Faith zu und an ihrem Bein hoch, stellte sich vor ihr auf und nickte dann leicht. „Hornliu! Liu!“ Es war bereit, ihr noch eine Chance zu geben. „Danke, Hornliu.“ Erleichtert nahm sie ihr Pokémon in den Arm und setzte es sich dann auf die Schulter. Sie war wirklich froh, dass ihre Mutter sie immer so gut verstand und ihr mit dieser Moralpredigt den Kopf gewaschen hatte. „Das heißt, wir sind ab jetzt Partner.“ „Es freut mich, dass ihr euch doch noch gegenseitig eine Chance gebt.“ Ihre Mutter strahlte sie von der Gartentür aus an und brachte den beiden jeweils ein Stück Kuchen auf einem weißen Porzellanteller. „Und ich dachte mir, dass ihr beide hungrig seid. Lasst es euch schmecken. Hornliu, du gehörst ab jetzt zur Familie.“ „Hoo~rn“, meinte das Käferpokémon mit glasigen Augen, krabbelte von Faiths Schulter auf ihren Schoß und begann, den Kuchen zu essen. „Denkst du, dass ich heute noch losziehen sollte, Mom?“, fragte Faith mit vollem Mund und ihre Mutter legte daraufhin die Stirn in Falten. „Ja, ich denke schon. Du freust dich doch schon seit Wochen darauf. Deine Sachen sind gepackt, du bist bereit. Aber sei bitte vorsichtig, wenn du durch den Eichwald gehst, in Ordnung? Ich will nicht hören, dass du gleich zu Anfang deiner Reise schon in Schwierigkeiten gerätst. Und übertreib es nicht mit den Pokémonkämpfen, Hornliu ist noch jung.“ „Ja, Mom, ich weiß.“ Leicht genervt rollte sie die Augen, doch dann umarmten sich Mutter und Tochter. „Nach dem Mittagessen breche ich auf. Ich bin schon richtig aufgeregt. Hornliu, du kommst aus dem Eichwald, nicht wahr?“ „Liu liu.“ Es nickte und Faith lächelte ihren Partner an. Anschließend packte sie ihre Geburtstagsgeschenke noch in ihren Rucksack, aß zu Mittag und machte sich nach einem tränenreichen Abschied auf den Weg aus der Stadt raus in Richtung Eichwald. Kapitel 3: Eine neue Reisebegleitung ------------------------------------ Da stand er vor ihnen, der Eichwald: groß, waldig und… grün. Hornliu und Faith starrten beide einen Moment auf den Weg, dann seufzte die Trainerin und der Wurm rollte sich auf ihrer Schulter ein. „Das wird sicherlich langweilig, der Eichwald ist zwar recht groß, aber ungefährlich und wenn wir auf dem Weg bleiben, dürften wir uns auch nur eine Übernachtung einhandeln. Meinst du, es gibt dort Geistpokémon, die uns nachts erschrecken kommen?“ Hornliu hob kurz den Kopf, dann schüttelte es diesen und döste weiter mit geschlossenen Augen auf der Schulter seiner Trainerin. „Ach stimmt, du kommst ja aus dem Wald, dann musst du es ja wissen. Schade eigentlich, so ein Gengar oder Zwirrklop wäre sicherlich lustig gewesen.“ Doch wenn Faith genauer darüber nachdachte, war es eigentlich nur logisch, dass sie keinem entwickelten Geistpokémon über den Weg lief, da musste sie warten, bis sie eines Tages den Finsterwald durchqueren mussten. Die beiden waren gerade eine gute Stunde gelaufen, da wachte Hornliu von dem genervten Stöhnen seiner Trainerin auf und warf ihr ein Kopfschütteln entgegen. Wie ungeduldig sie doch war… „Oh Mann, ich habe keine Lust mehr. Immer nur ist hier alles grün, grün, grün. An den Bäumen hängen Safcon, Kokuna, Panekon und Schaloko, in den Baumkronen ein paar Samurzel und Webarak und das war es jetzt? Ich hatte mir das etwas aufregender vorgestellt! Hornliu, sollen wir uns nicht einen Gegner für einen kleinen Kampf suchen?“ „Liu~“, machte das Startpokémon von Faith und war auf der einen Seite natürlich gleich Feuer und Flamme, doch auf der anderen Seite war es nicht ganz so vorschnell wie Faith und wollte den Kampf lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. „Auch egal, welche Attacken kannst du eigentlich?“ Eher keine ernst gemeinte Frage, denn die Blauhaarige kramte bereits ihren roten Pokédex hervor und scannte Hornlius Daten, die auch die erlernten Attacken beinhalteten. „Fadenschuss und Giftstachel, das klingt nicht schlecht, aber mehr lernst du auch vor deiner Entwicklung nicht mehr. Trotzdem, ich mag Giftstachel, das kann andere Pokémon im Kampf vergiften und sie dadurch anfälliger für einen Pokéball machen, was meinst du? So ein schmuckes, drahtiges, sportliches Schwalbini würde sich doch gut in unserem Team machen?“ Hornliu warf ihr einen skeptischen Blick zu, doch sie plapperte bereits einfach weiter. „Aber oh, ich vergaß, du bist ja im Typennachteil. Da dürften wir nicht zulassen, dass es dich mit einer Flugattacke trifft, und da du nicht so schnell ausweichen kannst… Ach, lassen wir das. Wir werden schon noch einen Gegner für dich finden.“ Faith plapperte so vergnügt wie ein Wasserfall vor sich hin, dass sie kaum bemerkte, dass nun etwa fünfzig Meter vor ihnen ein anderer Mensch lief und an der Seite des Mädchens ein Pokémon. Überrascht blieb Faith stehen und auch das andere Mädchen drehte sich zu ihnen um und wartete, bis Faith in einen schnellen Schritt verfiel und zu ihr aufschloss. „G-guten Tag“, machte Faiths Gegenüber und blickte sie schüchtern an, aber Faith war so von dem Pokémon des lavendelhaarigen Mädchens fasziniert, dass sie die Begrüßung überging. „Ist das ein Evoli?“ Total begeistert hockte Faith sich vor das braune Pokémon, sodass Hornliu sich nur noch mit dem Maul an seiner Trainerin festhalten konnte. „Wow, es sieht so niedlich aus, hast du schon einmal mit ihm gekämpft?“ „N-nein, habe ich nicht, aber ich-“ „Nicht? Hast du Lust auf einen Pokémonkampf? Dein Evoli gegen mein Hornliu? Übrigens, ich bin Faith Loraire, freut mich, dich kennen zu lernen!“ Freudestrahlend hopste Faith wieder hoch in den Stand. „Was? Eh, ja, hallo, ich bin Mireillia Dawnington, a-aber du kannst mich Mira nennen…“ „Mira? Freut mich. Also, kämpfen wir?“ Evoli schaute verwirrt zwischen Faith und Mira hin und her, stellte sich dann mutig vor seine Trainerin und drückte die Brust raus, doch Mira schüttelte vehement mit dem Kopf und nahm Evoli auf den Arm. „Nein, auf keinen Fall. I-ich möchte nicht, dass Evoli sich verletzt. Ich möchte überhaupt nicht kämpfen, vor allem jetzt noch nicht, wo ich Evoli erst seit ein paar Stunden kenne…“ „Oh, Evoli ist dein Startpokémon, richtig? Dann hast du es auch heute erst bekommen? Wunderbar, dann reisen wir sicherlich in dieselbe Richtung? Nach Eichwald City, um dort in der Arena zu kämpfen?“ Mireillia senkte den Blick und ihre Wangen nahmen einen zartrosé Ton an. „N-nein… Also ja, Eichwald City schon, aber ich will nicht in den Arenen kämpfen, das traue ich mir gar nicht zu, ich bin eine Niete in so etwas, glaube mir. Ich bin nicht für Kämpfe geschaffen, weil ich nicht möchte, dass meine Pokémon sich verletzen…“ „Oh…“ Faith legte den Kopf schief, zuckte dann mit den Schultern und setzte ein viel weicheres Lächeln auf, als sie neben Mira weiterlief. „Das ist doch okay, ich würde auch nicht wollen, dass Hornliu sich ernsthaft verletzt, aber wir sind beide Kämpfertypen und ich freue mich schon auf den ersten Arenakampf. Reist du dann nur so durch Finera?“ „Nein, ich… Ich wollte, also eigentlich, ehm…“ „Hm?“ Erneut lief Mira an, diesmal jedoch puterrot und man spürte fast die Wärme eines Tomatengewächshauses neben sich herlaufen. „Ich dachte mir, dass ich, also ehm, dass ich vielleicht probiere, an den Koordinatorenwettkämpfen teilzunehmen“, brachte sie mit piepsiger Stimme hervor und senkte den Blick soweit, dass er an ihren Schuhspitzen zu kleben schien. „Eine Koordinatorin also, was? Cool, ehrlich. Dann ist Eichwald City also für uns beide die erste Anlaufstelle, was? Dort ist meine erste Arena und für dich geht es dann weiter nach Lapidia, die nächste Stadt danach?“ Mira nickte schüchtern und hatte sich wieder etwas beruhigt, lächelte Faith dann freundlich an. „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe…“ „Ach was.“ Faith klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und blickte zu einem Skaraborn, das an einem Baum kletterte, um Waldhonig der Wadribie aufzuschnappen. „Wenn du vorher mit Evoli trainierst, dann schaffst du das bestimmt. Du bist zwar schüchtern, aber nicht unsympathisch.“ Kurz zwinkerte sie Mira zu, dann redete sie weiter. „Ich denke, du kannst das schaffen.“ „M-meinst du wirklich, Faith?“ Miras Augen glänzten leicht und Evoli sprang von ihrem Arm auf den Boden und nickte zusammen mit Faith bekräftigend. „A-also gut, dann werde ich es wohl versuchen… Danke, Faith, für die aufbauenden Worte.“ „Ach, ist doch selbstverständlich“, erwiderte diese grinsend und tätschelte dabei Hornlius Kopf. „Aber sag mal, wenn wir sowieso schon beide den gleichen Weg vor uns haben, sollen wir dann zusammen reisen? Ich bin dich nämlich echt nett und in Gesellschaft ist es doch gleich viel lustiger.“ Einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden Trainerinnen und ihren Pokémon, nur der verfrühte Ruf eines aufgeschreckten Hoothoots hallte von weiter weg durch den Wald, ehe Mireillia das Schweigen brach und antwortete. „Gut, in Ordnung. Lass uns zusammen reisen, Faith.“ „Super!“, jubelte die Türkishaarige und klatschte einmal vergnügt in die Hände, da entdeckte sie auf einem Ast nahe einer Lichtung ein Taubsi in der Sonne dösen. Sofort hielt sie Mira an und deutete mit einem Finger zu dem Taubsi. „Ich werde versuchen, mir dieses Taubsi zu fangen“, verkündete sie im Flüsterton und Hornliu krabbelte augenblicklich mit einer wilden Entschlossenheit im Blick von ihrer Schulter. „Bist du dir sicher?“ Mira wirkte besorgt. „Taubsi hat den Typenvorteil.“ „Und so lange es noch keine Flugattacken kann, können wir es mit Giftstachel vom Himmel holen“, unterbrach Faith ihre neue Freundin und nickte Hornliu zu, dann traten die beiden auf leisen Sohlen zu dem Baum heran. „Faith!“ Mira sah sie bittend an, seufzte dann und verschränkte die Arme vor dem Körper, während ihr Evoli neben ihr auf dem Boden Platz nahm, um dem Kampf zuzuschauen. „Wenn du das schaffst, hast du mehr Glück als Verstand“, nuschelte sie leise, doch Faith streckte ihr spielerisch die Zunge raus und blickte dann nach oben, wo Taubsi sie bereits bemerkt hatte und die Augen misstrauisch auf Hornliu richtete. „Also gut, Hornliu, fackele nicht lange rum und hau es mit einem Fadenschuss vom Ast!“ Das Käferpokémon gehorchte und schoss eine Ladung der klebrigen Fäden auf das Flugpokémon. Faiths erster Pokémonkampf begann. Kapitel 4: Ankunft in Eichwald City ----------------------------------- Der Fadenschuss verfehlte den Ast um keinen Millimeter, aber Taubsi schwang sich im selben Moment in die Luft, sodass Hornliu nur noch seine Krallen erwischte. Hornliu schnaubte und setzte mit einer zweiten Ladung Fadenschuss hinterher, doch diesmal war Taubsi vorbereitete und tauchte darunter hinweg. „Hornliu, du musst es mit Giftstachel auf Abstand halten!“ Faith wusste, dass Taubsi viel schneller agieren konnte als ihr kleines Startpokémon, und deshalb war es sehr wichtig, dass Taubsi nicht zu nah heran kommen durfte. Das Flugpokémon konterte mit einem Sandwirbel und schlug die Giftstachel auf diese Weise aus der Bahn und nahm Hornliu zudem noch ein wenig der Genauigkeit. Faith biss sich auf die Unterlippe und warf einen kurzen Blick zu Mira und ihrem Evoli, das mit zuckenden Ohren neben seiner Trainerin auf dem Waldboden lag. „Nicht aufgeben, noch mal Fadenschuss! Verkleb seine Flügel!“ Taubsi gurrte, als würde es Faith auslachen wollen, als Hornliu den lächerlichen Versuch startete, die Flügel des Vogelpokémons zu verkleben. Taubsi wich aus, indem es sich wie ein Stein zu Boden fallen ließ, doch Hornliu dachte mit und setzte eine Salve Giftstachel nach, die Taubsi direkt in die Brust trafen. Es wurde vergiftet und begann, diesen Kampf jetzt ernst zu nehmen. Mit einem Tackle rammte es Hornliu und das Käferpokémon schlitterte über den Boden, als würde es auf einer Eisschicht stehen. „Gut so, weiter mit Fadenschuss!“ Hornliu nutzte den Moment aus, in dem Taubsi so nah war, und spuckte es mit Fadenschuss voll. Taubsi krächzte erstickt und empört, schlug mit den verklebten Flügeln und hielt sich mehr wie eine betrunkene Trottellumme in der Luft. „Ich glaube es nicht…“, murmelte Mira kopfschüttelnd. „Los, du kannst es schaffen, Faith!“ Durch die Anfeuerungen ihrer schüchternen Mitreisenden angetrieben zückte Faith schon einmal einen leeren Pokéball und ließ ihn groß werden. „Wenn es gleich wieder angreift, kontere mit Giftstachel!“ Hornliu konnte nur diese beiden Attacken, aber es war ein Kämpfer und überstand auch noch den nächsten Tackle von Taubsi. Kaum war es getroffen, spuckte es Giftstachel auf Taubsi und brachte es zum Absturz. Es litt unter der Vergiftung und Faith warf den Pokéball auf das Vogelpokémon. Die nächsten Sekunden warteten vier Augenpaare wie gebannt, bis das Wackeln und Blinken des Pokéballs verschwand und er ruhig liegen blieb. Nach ein paar weiteren Sekunden sprang Faith jauchzend in die Luft, rannte zu Hornliu und hob den Pokéball auf. „Ich habe ein Taubsi gefangen, Mira!“ Doch das war noch nicht alles, denn im selben Augenblick begann Hornliu zu strahlen. Es wuchs an Faiths Seite, wurde größer, bekam einen Panzer und entwickelte sich zu Kokuna weiter. Mit offenem Mund kam Mira zu den beiden und Evoli stupste Kokuna mit der Schnauze an. „E-es hat sich entwickelt!“ Mira war sichtlich beeindruckt und Faith umarmte erst sie und dann ihr Kokuna. „Kokuna, du hast toll gekämpft.“ „Ko! Kuna!“ Stolz gönnte die Trainerin ihrem Pokémon eine Pause und zog es in den Pokéball zurück, der ganz vorne an ihrem Gürtel vor Taubsis hing. „Das war der Wahnsinn! Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht ist, wilde Pokémon zu fangen.“ „Du hattest vermutlich nur Glück“, erwiderte Mireillia schüchtern, lächelte ihrer neuen Freundin aber zu. Bis zur Abenddämmerung wanderten sie beiden Mädchen weiter, dann schlugen sie ihr Nachtlager auf und übernachteten jede in ihrem Zelt. Faith war wirklich glücklich, dass sie Kokuna hatte, auch wenn sie Hornliu am Anfang nicht gewollt hatte. Bereits am ersten Tag hatte sich ihr Startpokémon entwickelt, was wahrscheinlich daran lag, dass es aus der Wildnis kam und dort schon ein paar Kämpfe hinter sich gebracht hatte. Am nächsten Morgen brachen sie frühzeitig nach einem schnellen Frühstück bestehend aus Pfannkuchen aus der Dose auf, aßen aber, während sie den Eichwald verließen, noch jeder einen Apfel. „Wir müssten jetzt bald nach Eichwald City kommen“, meinte Faith, als die letzten Baumreihen hinter ihnen lagen und der Schrei eines Habitaks im Wald verklang. „Dann kann ich Taubsi und Kokuna zu Schwester Joy bringen, damit sie die beiden durchcheckt.“ „Ja, das ist eine gute Idee. Nicht, dass Taubsi am Ende noch weiter vergiftet ist. Denkst du denn, dass du mit Taubsi klarkommen wirst?“ „Jop, wieso auch nicht?“ Faith nickte ihr zuversichtlich zu. „Am Anfang kam ich mit Hornliu auch nicht klar, aber jetzt habe ich schon ein Kokuna, dabei sind wir nur einen Tag unterwegs. Das wird bestimmt eine tolle Reise. Hast du schon darüber nachgedacht, zu was Evoli sich einmal entwickeln soll?“ „Hmm“, machte Mira und legte die Stirn in Falten. Evoli lief wie immer an ihrer Seite und schaute zu ihr auf, als sie nachdachte. „Noch nicht direkt, aber ich denke, dass das noch Zeit hat. Bis ich weitere Pokémon habe, meine ich. Dann kann ich schauen, welcher Elementtyp meinem Team noch fehlt.“ „Und wenn es sich entwickelt, weil es beispielsweise an einem Moosstein oder vereisten Stein kämpft? Dann kannst du das nicht beeinflussen.“ „Glaziola und Folipurba sind beide sehr schöne Pokémon. Also wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich wohl Glaziola oder Flamara wählen. Aber wie gesagt, das hat ja noch Zeit.“ Miras Wangen liefen rot an und Faith konnte sich in diesem Moment wirklich gut ein Flamara an ihrer Seite vorstellen. „Ja, da hast du wohl Recht.“ Nach etwa zwanzig Minuten erreichten sie das Ortsschild von Eichwald City und die beiden Trainerinnen bogen in eine hübsche Vorstadtstraße mit kleinen, weißen Häusern mit großen Gärten ein. Das Pokémoncenter lag am Ende der Straße, das Wetter war herrlich und so beschlossen sie, nachdem sie sich ein Zimmer im Pokémoncenter genommen hatten, die Stadt zu erkunden. „Ich habe im Reiseführer gelesen, dass Eichwald City eine Pokémonpension hat.“ Faith war sofort Feuer und Flamme. „Vielleicht kann man dort Pokémon kaufen? Oh, ich hätte gerne ein Dratini…“ „Du spinnst.“ Mira lachte auf und knuffte Faith in den Arm. „Aber sie verkaufen dort Pokémoneier. Wäre das etwas für dich? Ein Pokémonei?“ „Nein.“ Faith schüttelte den Kopf und winkte ab. In diesem Moment kam Schwester Joy mit ihren Pokébällen zurück und gab Faith bescheid, dass mit ihren Pokémon alles in Ordnung war. „Ist nicht so mein Ding, kleine Pokémon aufzuziehen.“ „Oh, sprecht ihr beiden gerade von der Pension?“, fragte Schwester Joy nach und lächelte milde. „Dort gibt es heute und morgen eine Tombola. Ihr solltet hingehen, vielleicht gewinnt ihr etwas Schönes.“ „Vielen Dank für den Tipp, Schwester Joy. Also los, Mira, gehen wir!“ „Faith, musst du immer alles überstürzen?“ Mira blickte ihr verzweifelt nach, seufzte dann jedoch ergeben und folgte ihrer Freundin aus dem Pokémoncenter hinaus. „Also gut, gehen wir.“ Die Pension lag nur ein paar Straßenzüge weiter und sie erkannten, dass ganz Eichwald City diesen Vorstadt-Charme hatte. Die Leute achteten darauf, dass ihre Grundstücke sauber und ordentlich aussahen, sie verbrachten viel Zeit im Garten. Zum Geburtstag der Pension veranstaltete der Besitzer dort eine große Tombola für alle Besucher, bei der man viele interessante Dinge gewinnen konnte: Pokémonaccessoires, Merchandising, Pokémoneier und sogar Überraschungspokémon. Faith und Mira zogen jeweils ein Los am Eingang und gaben es dann ab, nachdem sie eine Führung mitgemacht hatten. Faith zog eine enttäuschte Mine, als sie erfuhr, dass ihr Los eine Niete war, doch Mira gewann eines der Überraschungspokémon. „Ich bin so aufgeregt!“, stieß Mira aus und drückte, als sie draußen auf der Straße standen, den Knopf des Pokéballs. Der rötliche Strahl schoss auf die Straße und aus ihm formte sich ein Pokémon, Miras neues Teammitglied, das ihnen zur Begrüßung eine Glutattacke entgegenschleuderte. „Hun! Hunduster!“ Kapitel 5: Begegnung im Regen ----------------------------- Es war mittlerweile Abend geworden und Faith und Mira saßen völlig erschöpft im Foyer des Pokémoncenters. Schwester Joy brachte ihnen eine Porzellankanne mit heißem, dampfendem Kakao, da die beiden Mädchen lange gebraucht hatten, um Miras Hunduster wieder einzufangen. Das Pokémon hatte sich als sehr wild entpuppt und schien seiner neuen Trainerin überhaupt nicht gehorchen zu wollen. Stattdessen war es einfach davongelaufen, bis es am späten Nachmittag doch noch angefangen hatte zu regnen. Seit dem liefen die beiden Jungtrainerinnen klitschnass durch Eichwald City und hatten Hunduster völlig erschöpft und durchnässt am Waldrand gefunden und eingefangen. „Ich bin eine miserable Trainerin!“, begann Mira zu jammern und erntete ein tröstendes Schnurren ihres Starters Evoli. „Ich konnte Hunduster nicht einmal aufhalten. Es hört partout nicht auf mich…“ Unvermittelt traten auch Tränen in Miras Augenwinkel – nicht das erste Mal an diesem Tag. „Mach dir bitte keinen Kopf deswegen. Du kriegst das schon hin, ihr zwei habt einfach einen unglücklichen Start. Sieh dir Kokuna und mich an, wir zwei sind auch ein Team, obwohl wir uns anfangs nicht leiden konnten.“ „Kokuna!“, stimmte das Pokémon zu und lehnte sich ein wenig mehr gegen Faith, auf deren Schoß es thronte. „Sieh es als Herausforderung, Mira. Wenn du Hunduster erst einmal dazu gebracht hast, dass es dich akzeptiert, kann es dir ein sehr starker Partner werden. Damit wärst du bei deinem ersten Wettbewerb in Lapidia super dran!“ Faiths Augen glühten bereits vor Feuereifer, auch sie wollte endlich in der ersten Arena kämpfen und den Orden in der Hand halten. „Ja, wenn!“, entgegnete Mireillia jedoch schluchzend und vergrub sich mit Krokodilstränen in Evolis Fell. „Evo…“ Das Evoli rieb tröstend seinen Kopf an Miras und versuchte sie aufzumuntern. Gerade wollte Faith noch ein paar Worte hinzufügen, da klopfte ihr jemand auf die Schulter und sie fuhr erschrocken herum. Ein Junge in ihrem Alter grinste sie an, auf seiner Schulter hatte ein stattliches Exemplar von einem Smettbo seinen Platz gefunden und schlug sachte mit seinen prachtvollen Flügeln. „Du bist auch am Labor von Professor Sage gewesen, ich habe dich gesehen. Ich bin Joel Light. Das dort hinten ist Trixi, meine Zwillingsschwester.“ Faith folgte dem Blick des Jungen und blieb an einem Mädchen hängen, das ebenso wie Joel braune Haare und braune Augen mit einem anderen Farbeinschlag im Licht hatte. Trixis Augen fixierten sie mit einem purpurnen Schimmer, während Joels Augen wirkten, als würde flüssiges Gold unter der braunen Schicht schwimmen. „Aha.“ Faith musterte die beiden ein wenig argwöhnisch, erinnerte sich dann jedoch an ihre guten Manieren und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Ich bin Faith Loraire. Und ich war im Labor, da hast du Recht. Kokuna hier ist mein Starter, es hat sich bereits bei unserem ersten Kampf entwickelt.“ „So?“ Joels Grinsen wurde schmaler und seine Augen sprühten von demselben Kampfgeist, den auch Faith in sich trug. „Was hältst du dann von einem kleinen Kampf draußen auf dem Außenplatz des Pokémoncenters?“ „Jetzt, im Regen?“ Der Gedanke, noch einmal hinaus zu müssen, missfiel der jungen Trainerin eindeutig, doch wenigstens fand Mira das Gespräch so interessant, dass sie nicht mehr weinte, sondern still dem fremden Jungen lauschte. Joel lachte auf und auch Trixi fuhr sich sichtlich amüsiert durch die Haare. „Der Platz ist überdacht. Wir werden nicht nass. Also, was sagst du? Wenn sich dein Hornliu schon zu Kokuna entwickelt hat, muss es stark sein. Genau die richtige Herausforderung für mich.“ „Weil dein Raupy schon zu einem Smettbo geworden ist?“ „Smettbo?“ Der Schmetterling horchte auf, als Joel seinen Namen nannte, doch dann schüttelte der Junge den Kopf und seine Stimme wirkte eine Spur arroganter. „Smettbo ist nicht mein Starter. Ich habe es heute Vormittag im Eichwald gefangen, nachdem ich mit meinem Starter trainiert habe. Mein Smettbo ist das stärkste Pokémon, das ich finden konnte, deshalb war es gerade gut genug für mein Team. Ich werde der neue Champion werden.“ Diese Arroganz verursachte, dass Faiths Mine sich augenblicklich verfinsterte und auch Kokuna konnte diese Provokation nicht einfach auf sich sitzen lassen. Es wurde unruhig und warf seiner Trainerin kampflustige Blicke zu. „Also schön, Joel.“ Faith spuckte den Namen nahezu aus. „Ich nehme deine Herausforderung an, ganz gleich, was für ein Pokémon dein Starter auch sein wird. Du wirst nicht gegen mich gewinnen!“ „Exzellent.“ Joel schlug in die Hände und drehte sich zu Trixi um. „Dann lass uns sofort anfangen, ich warte nicht gerne sinnlos.“ „Prima, ich auch nicht“, giftete Faith zurück, schnappte sich Kokuna und folgte mit stampfenden Schritten ihrem neu erklärten Rivalen. Mira folgte ihr auf leisen Sohlen, Evoli wie immer an ihrer Seite. „Denkst du, dass das wirklich eine gute Idee ist? Sein Smettbo sieht sehr kräftig aus, dann wird sein Starter bestimmt einen Typenvorteil gehabt haben. Du hast mit Kokuna keine Chance.“ „Ich werde ihn in Grund und Boden stampfen“, presste Faith mit starrem Blick hervor und schwang die Tür zum Außenbereich auf, wo bereits Trixi und Joel auf sie warteten. „Also schön, fangen wir an. Kokuna, mach dich bereit!“ Kokuna stellte sich kampfbereit auf und konzentrierte sich. „Koku kokuna!“ Joel schien amüsiert zu sein und auch Trixi lächelte süffisant in sich hinein, spielte mit einer Haarsträhne und sah zu, wie ihr Bruder ein Sniebel entließ, das sich sofort mit einem scharfen „Snie!“ zum Kampf aufstellte. „Fangen wir an. Sniebel, Kratzer!“ Faith schluckte. Mehrmals. Ihre Aggressivität war verflogen und stattdessen erkannte sie einfach die Situation, wie sie war: Sniebel war stark, flink und Kokuna würde verlieren, was Joels Ego nur noch weiter aufbauschen würde. Sie hasste diesen Jungen bereits jetzt, doch konnte sie Kokuna einfach ins offene Messer laufen lassen? „Zöger nicht lange, benutz Giftstachel! Volle Breitseite!“ Der Regen prasselte auf Eichwald City nieder, als gäbe es kein Morgen. Giftstachel knallten auf scharfe Krallen und Sniebel steckte den Angriff weg wie nichts. Es ließ sich seine eingetretene Vergiftung nicht anmerken und führte den Kratzerangriff zu Ende. Kokuna wurde daraufhin über das Feld geschleudert und auf Joels Befehl hin setzte Sniebel mit einem Ruckzuckhieb nach. Es war ein Volltreffer und ein kurzer Kampf. Beide Trainer starrten auf das Feld. Joels Mine veränderte sich kaum, als er Sniebel zurück in den Pokéball zog und einen abwertenden Kommentar über Kokuna von sich gab. Er hatte mehr von diesem Kampf erwartet, hatte mehr von Faith und ihrem Kokuna erwartet und schlenderte nun mit Trixi an seiner Seite zurück ins Trockene. Mira kam vorsichtig zu Faith, die immer noch auf die Stelle starrte, an der ihr besiegtes Kokuna lag. „Faith…“ Mira legte vorsichtig die Hände auf die Schultern ihrer Freundin, doch Faith schüttelte sie ab und erst jetzt bemerkte Mira, dass Faith stumme Tränen weinte. Die junge Trainerin fühlte sich einfach nur elend. Ihre Wangen brannten ebenso wie ihre Augen, weil sie enttäuscht war – nicht von Kokuna, sondern von sich selbst und ihren Fertigkeiten als Trainerin. Sie hatte astrein versagt und sich noch dazu blamiert. Schweigend zog sie Kokuna zurück. Die Niederlage wog schwer und zog ihr Herz zusammen. „Lass mich“, brachte Faith stotternd hervor, trat einen Schritt zur Seite und begann einfach nur zu rennen, ehe sie merkte, was sie tat. Sie fühlte sich schwach und ihr Kopf glühte von den Kopfschmerzen, die sie bekommen hatte. Schon bald spürte sie keinen Unterschied mehr zwischen den Tränen in ihrem Gesicht und den Regentropfen, die sie bis auf die Knochen durchnässten. Ihr Schluchzen war verstummt, doch ihr Herz brannte noch immer vor Scham, als sie nicht mehr wusste, wohin sie gelaufen war. Plötzlich wurde ihr schwindelig, sie rutschte auf einer nassen Steintreppe aus, stürzte nach vorne und rechnete schon mit einem schlimmen Aufprall, als sie zwei starke Hände von hinten packten. Faith wurde durch die Luft gewirbelt und fand Halt in den starken Armen ihres Retters, der sie mit seinen Augen, die einen Funken Besorgnis offenbarten, zu durchbohren schien. Sie sah direkt in die eisblauen Augen, die sie in ihrem Leben nicht mehr vergessen sollte. Kapitel 6: Fieber ----------------- Mira sah mit geröteten Wangen zu dem großen Jungen mit den hellblonden Haaren, der gerade die Tür zu Miras und Faiths Zimmer schloss. „D-danke, dass du Faith z-zurückgebracht hast. I-ich bin Mira Dawnington, Faiths Reisebegleitung“, stotterte Mira schüchtern, da sie ihn nicht kannte. Ihr Blick senkte sich automatisch nach unten, woraufhin Evoli lediglich seufzte und sich neben Mira auf den Boden setzte. „Mhm“, machte der Fremde, strich sich durch die Haare und legte sich seine nasse Jacke über den Arm. „Itsuki Ito mein Name. Schwester Joy hat ihr Medizin gegeben. Sie hat Fieber.“ „D-das ist meine Schuld“, stammelte Mira weiter und trottete dem Jungen hinterher zurück ins Foyer, wo er sich einen eignen Zimmerschlüssel bei Schwester Joy abholte. „Ich konnte Hunduster nicht aufhalten, als es w-weggelaufen ist, d-deshalb sind wir den ganzen Nachmittag im Regen rumgelaufen und haben es gesucht.“ Itsuki blieb stehen, wandte sich zu Mira um und ließ den Blick seiner eisblauen Augen kühl über sie schweifen. „Warum ist es weggelaufen?“ Mira konnte dem Jungen nicht in die Augen sehen, stattdessen wurden ihre Wangen nur noch fleckiger und sie ließ sich in einen der breiten Clubsessel fallen. „W-weil ich es gewonnen habe. E-es kennt mich noch nicht, wahrscheinlich bin ich einfach keine gute Trainerin.“ „Wahrscheinlich“, entgegnete Itsuki und ließ eine verdatterte Mira, die es gewohnt war, bei solchen Bemerkungen von Faith aufgebaut zu werden, im Foyer zurück. Die Sonnenstrahlen weckten Faith früh am Morgen auf. Sie hatte die ganze Nacht geschlafen, nachdem sie es gerade so bis zum Pokémoncenter zurück geschafft hatte. Die Begegnung mit dem Jungen, der sie hergebracht hatte, hatte jedoch Spuren bei ihr hinterlassen, denn sie wurde rot und wusste nicht, ob es vom Fieber kam oder dem Herzklopfen, das sich augenblicklich einstellte. Sofort mahnte sich die Trainerin zur Ruhe und band sich die offenen, türkisen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen, ehe sie sich wackelig aus dem Bett erhob und zum Spiegel tapste. Noch immer trug sie ihre Kleidung von gestern und sie sah wirklich erschöpft aus. „Faith, du bist wach!“ Mira war ins Zimmer getreten, ohne dass Faith es bemerkt hatte. „Ich bin so froh, dass es dir wieder besser geht. Schwester Joy und ich haben uns schreckliche Sorgen um dich gemacht, weil du draußen im Regen warst. Du hast Fieber bekommen.“ „Ja, schon während des Pokémonkampfes gegen Joel.“ Faith rieb sich die Stirn, als die Erinnerungen an ihre Niederlage schmerzlich zurückkehrten, doch diesmal war sie darauf gefasst und konnte besser mit ihnen umgehen. „Irgendwann werde ich ihn besiegen. Ich werde verhindern, dass er Champ wird, denn ich werde früher oder später Champ sein.“ „Faith…“ Mira seufzte und setzte sich auf das Bett ihrer Freundin, Evoli wie immer an ihrer Seite. „Der Junge, der dich gestern zurückgebracht hat, will heute weiterreisen. Vielleicht solltest du dich noch bei ihm bedanken, dass er dir geholfen hat?“ Die Angesprochene murmelte ein Ja und kontrollierte mit dem Fieberthermometer ihre Temperatur. „Siebenunddreißig Grad, das ist zwar noch leicht erhöht, aber mir geht’s wieder gut.“ „Itsuki Ito, so heißt er.“ „Ich bin mal eben im Badezimmer, wird nicht lange dauern. Danke für die Medizin gestern Abend.“ „Er will wieder abreisen. Faith, hörst du nicht!“ Faith drehte sich um, fixierte Mira kurz mit ihren Augen und lächelte dann leicht. „Doch, ich komme gleich runter. Geh schon einmal vor.“ Ohne auf die Proteste ihrer Freundin zu hören machte sie sich auf den Weg ins Bad und nahm eine schnelle Dusche, ehe sie sich frische Sachen anzog und die von gestern in die Gästewaschmaschine des Pokémoncenters steckte. Als Faith zum Frühstück erschien, saß Mira bereits mit Itsuki an einem Tisch, wobei beide sich anschwiegen und ihren Toast aßen. „Guten Morgen. Du bist Itsuki, nicht wahr?“ Der Blonde nickte stumm und schluckte die letzte Ecke seines Toasts runter. „Falls du mir danken willst – schon in Ordnung.“ Ein wenig irritiert nickte Faith und warf Mira einen verwirrten Blick zu, doch auch sie konnte sich keinen Reim darauf machen und zuckte minimal mit den Schultern. „Okay, gut… Ich habe gehört, du musst weiterreisen?“ „Müssen nicht, aber ich war schon in Eichwald City und möchte einfach weiter. Es hält mich nicht zu lange an einem Ort.“ „Schön…“ Sie schmierte sich ein Croissant mit Himbeermarmelade und überlegte weiter, wie sie ein Gespräch in Gang bringen konnte. „Dann bist du ein Pokémontrainer, wenn du reist?“ „Ja.“ Seine kurz angebundene Art begann sie allmählich zu nerven, unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und kaute verbissen. „Sammelst du Orden?“ „Ja. Ich habe zwei, falls das deine nächste Frage war.“ Itsukis eisblaue Augen fixierten Faith, doch sie wirkten nicht so distanziert, wie sie vermutet hätte. „Dann hast du schon in der Arena hier gekämpft? Cool, kannst du mir einen Tipp geben? Ich wollte den Leiter in den nächsten Tagen herausfordern.“ „Was für Pokémon hast du?“ „Kokuna und Taubsi“, berichtete Faith stolz, freute sich allerdings zu früh über ein laufendes Gespräch, denn Itsuki seufzte gelangweilt und gab ihr eine kurze Antwort, auf die nichts mehr folgte. „Dann hast du mit Taubsi gute Chancen gegen den Leiter, er setzt Käferpokémon ein.“ „Gut, danke… Das wusste ich aber auch schon. Du bist nicht gerade gesprächig oder?“ „Hm…“ Gerade wollte Faith etwas auf seine abweisende Art erwidern, da tauchte Schwester Joys rosa Helfer Chaneira auf und reichte Itsuki drei Pokébälle, die dieser wortlos an seinem Gürtel befestigte, ehe er aufstand. „Wie gesagt, ich muss weiter. Man sieht sich.“ „Warte mal!“ Faith hatte seinen Ärmel gepackt, ehe sie wusste, warum sie das eigentlich tat und wie sie jetzt weiter mit der Situation verfahren sollte. Ihre Wangen wurden eine kleine Nuance roter und sie lächelte entschuldigend, während sie den Ärmel seiner weißen Jacke losließ. „Bitte, warte noch kurz.“ Itsukis Augen ruhten auf Faith und nahmen jede ihrer Bewegungen stärker wahr, als es ihr lieb gewesen wäre. „Du bist schon die ganze Zeit so. Was willst du von mir? Ich sagte dir doch schon, dass du dich nicht mehr bei mir bedanken musst. Es ist okay.“ „Ja, darum geht es mir auch nicht. Also doch, eigentlich schon. Also…“ Faith atmete tief durch und ließ sich beiläufig zurück auf ihren Stuhl fallen. „Du hast den Orden der Arena hier doch bereits. Würdest du vielleicht mit mir trainieren? Ah, warte, du schaust schon so skeptisch. Bevor du mir antwortest, möchte ich, dass du weißt, dass ich stärker werden will. Ich möchte Champ werden, das ist mein Traum. Gestern hatte ich einen Kampf mit einem jungen Trainer, der mich gelinde gesagt in Grund und Boden gekämpft und total vorgeführt hat. Ich möchte stark werden. Stark für mein Team und dafür, dass ich ihn besiegen kann. Es ist mein Traum, Itsuki, und dafür möchte ich kämpfen. Würdest du mir dabei helfen?“ Die Augen des großgewachsenen Jungen hatten die Intensität eines Schneesturms draußen auf offener, salziger See. Man konnte nie wissen, was in ihm vor sich ging, denn er besaß den eiskalten Blick eines scharfen Stücks Kristall. Doch dieses Mal glaubte Faith einen Funken in ihnen zu erkennen, der von wahrer Leidenschaft zeugte. Itsuki fühlte sich an etwas erinnert, was er vor einiger Zeit selbst wollte: Für einen Traum kämpfen. Dieses Mädchen hatte durch ihre wasserfallartigen Worte etwas in ihm bewegt, was er verloren zu haben glaubte. Deshalb seufzte er und nur deshalb. „Also schön.“ „Das heißt, du nimmst an und trainierst mit mir?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Das heißt?“ Faith zog die Augenbrauen hoch, Mira hielt gespannt den Atem an. „Heute Nachmittag, vierzehn Uhr, draußen auf dem Trainingsplatz.“ Noch während Itsuki aus dem Pokémoncenter schlenderte, fragte er sich, warum er diesem vorlauten Mädchen überhaupt helfen wollte. Er würde sie locker besiegen können und sie konnte sicherlich auch mit ihrer Freundin trainieren. Von daher gab es für ihn nur eine Erklärung, die sein rationaler Verstand zuließ: Er wollte sehen, wie sie sich als Trainerin machte. Es interessierte ihn. Nicht mehr und nicht weniger. Faith Loraire… Das könnte interessant werden. Kapitel 7: Der Junge mit den Augen aus Eis ------------------------------------------ Pünktlich um vierzehn Uhr standen sich Faith und Itsuki auf dem Trainingsplatz gegenüber. Der große Blonde war gerade erst von seinem Einkauf zurückgekehrt, die Tüten mit dem Pokémonfutter und den Knurspen und Pokériegeln aus dem Supermarkt standen neben seinem Rucksack, den er an die Wand gestellt hatte. „Du willst also gegen mich kämpfen, ja?“ „Wir haben von Training gesprochen, also ja. Ich bin bereit.“ Itsuki antwortete nicht darauf, denn sein Blick glitt zur Seite, als sich die gläserne Schiebetür öffnete und Joel und Trixi den Trainingsplatz betraten. Joel grinste, als er sah, wie die beiden sich gegenüberstanden. „Faith, du willst trainieren? Tu, was du nicht lassen kannst, aber ich werde dir dabei zusehen, ja? Ich möchte doch sehen, wie du verlierst.“ Faiths Wangen begannen augenblicklich wie Feuer zu brennen, sie ballte die Hände zu Fäusten und funkelte Joel so böse an, wie sie nur konnte. „Halt dich da raus, Joel! Verzieh dich! Mein Training geht dich nichts an!“ Oh ja, sie war richtig sauer auf ihn, weil er sie so vorgeführt hatte. Diese Arroganz sollte man ihm aus dem Gesicht wischen, doch Faith wusste, dass sie zumindest dazu momentan noch nicht in der Lage war. Deshalb brauchte sie das Training mit Itsuki. Da Joel keine Anstalten machte, sich zu bewegen, und Trixi ebenfalls nur die Arme vor dem Körper verschränkte, schaltete sich Itsuki ein. „Du hast gehört, was sie gesagt hat. Ich denke, es hat etwas mit Ehre zu tun, andere Trainer in Ruhe trainieren zu lassen, meinst du nicht auch, Joel?“ Der Braunhaarige starrte Itsukis Eisaugen entgegen, verlor dieses Duell jedoch und schnappte sich Trixi, mit der er sich anstandslos entfernte. „E-er ist richtig stark, selbst Joel kneift vor Itsuki den Schwanz ein“, murmelte Mira ihrer Freundin zu, Faith nickte schwach und entließ Taubsi und Kokuna aus ihren Pokébällen. Kokuna schaute sich sofort nach dem nächsten Gegner um, während Taubsi erst einmal gemächlich ein paar Runden flog und dann auf Faiths Schulter Platz nahm. „Also schön, jetzt haben wir unsere Ruhe und können anfangen.“ Itsuki nickte Faith zu, betrachtete ihre beiden Pokémon und ließ seine Hand einen Moment über seinen drei Pokébällen schweben, die nicht leer waren. Nach kurzem Zögern wählte er einen aus und entließ ein Schneppke aus dem Pokéball. „Schnepp schneppke.“ Das Eispokémon verbeugte sich höflich vor Faith und Mira, trat dann an Itsukis Seite und schaute seinen Trainer fragend an. Mira staunte nicht schlecht und Faith konnte ein „Wow, ein Schneppke!“ nicht unterdrücken. „Schneppke ist mein Startpokémon, ich habe es zu Hause in der Wildnis gefangen“, beantwortete Itsuki sachlich die Frage, die Faith so offensichtlich ins Gesicht stand. „Es ist momentan mein stärkstes Pokémon und gegen deine beiden im Vorteil, weshalb ich denke, dass es mit Kokuna und Taubsi trainieren sollte. Wir können ihre Verteidigung schulen, indem sie lernen, möglichst lange Schneppkes Eissturm zu widerstehen. Es wird aber ein sehr anstrengendes Training.“ „Alles klar. Kokuna, Taubsi, ihr habt ihn gehört. Ich möchte, dass ihr mit Schneppke trainiert.“ Es war nicht anders zu erwarten, dass Kokuna sich sofort kampfbereit machte und voller Elan ans Werk ging, während Taubsi zuerst die Lage einschätzte und sich dann doch zum Training bereit erklärte. Faith folgte Itsuki zu der Bank, auf der bereits Mira und Evoli saßen. „Mira, du solltest mit deinen Pokémon ebenfalls trainieren.“ Itsukis Worte kamen schneidend scharf, dabei sah er sie jedoch nicht einmal an, sondern betrachtete Evoli, das erst die Erlaubnis seiner Trainerin wollte. „Evo?“ „I-ich weiß nicht so recht, ich m-möchte nicht, d-dass sie sich verletzen…“ Mira bekam ein rotes Gesicht, als sie bemerkte, dass sich Itsuki neben sie setzte und sie von der Seite her anstarrte. „Du musst keine Angst vor mir haben, Mira. Ich bin jetzt kein Fremder mehr, wir haben sogar zusammen gefrühstückt.“ Sein Fixpunkt galt ganz ihr, dann räusperte er sich und zückte die zwei anderen Pokébälle. „Dein Evoli kann mit meinem trainieren und Hunduster sollte sich einmal richtig austoben, dafür ist Igelavar genau richtig.“ Die zwei Mädchen schauten gebannt zu, wie Itsuki sein Evoli und Igelavar aus den Bällen befreite und den beiden sofort die Anweisungen gab, die er auch Mira zuvor vorgetragen hatte. „Also, was ist? Mira?“ „J-ja…“ Sie nickte Evoli zu, das sofort von ihrem Schoß sprang und zu Itsukis Evoli lief, wenngleich Itsukis eine kleine Diva zu sein schien und augenblicklich den Ton angab. „Aber ich kann Hunduster nicht kontrollieren, ich… Ich weiß nicht, ob das gut geht.“ „Das wird es. Feuerpokémon sind oft temperamentvoll oder müssen sich einfach mal austoben. Du wirst sehen, dass Hunduster dich allmählich akzeptieren wird, wenn du akzeptierst, dass es ein wildes Wesen hat und seine Kämpfe braucht.“ „Na schön…“ Mira drückte aus den Knopf und aus der Ballkapsel formte der rote Strahl ihr Hunduster, das sofort eine Glutsalve auf den Boden spuckte und Igelavar fixierte, als spürte es bereits, wer hier sein Gegner war. Keine Sekunde später verfielen die beiden Feuerpokémon in einen harten Kampf, tobten und rannten über den Platz und schenkten sich nichts. Mira war etwas mulmig zu Mute und sie vergrub sich an Faiths Seite, die ihr beruhigend auf die Schulter tätschelte. „Du musst keine Angst haben. Hunduster und Evoli passiert schon nichts Schlimmes. Und Itsuki ist auch ganz nett, du musst nicht so schüchtern in seiner Gegenwart sein. Bei mir hast du es doch auch geschafft.“ „Mhm.“ Mira nickte und setzte sich wieder gerade hin, nahm ihren ganzen Mut zusammen und schenkte Itsuki ein Lächeln. „Dankeschön.“ Die eisblauen Augen ließen keine Antwort auf sein Seelenleben zu, doch Mira spürte, dass er innerlich ebenfalls lächelte. Sie senkte den Blick und ließ das Pochen ihres kleinen Herzens zu. Vielleicht hatte Faith recht und sie musste sich ihm einfach nur ein wenig mehr öffnen. Das Training hatte genau das gebracht, was Itsuki ihnen prophezeit hatte. Hunduster konnte sich mit Igelavar richtig austoben und ließ sich bereitwillig, wenn auch mit einem dumpfen Knurren, in den Pokéball zurückziehen. Miras Evoli hatte von Itsukis die Attacke Heuler gelernt und Faiths Pokémon hatten jetzt bessere Möglichkeiten, mit Angriffen umzugehen, denn ihre Verteidigung war größer geworden. Zudem beherrschte Taubsi jetzt Windstoß, was ein großer Vorteil im kommenden Arenakampf sein würde. „Ich schätze, ich muss dich zum Abendessen einladen, hm?“ Faith grinste Itsuki an und boxte Mira leicht in die Seite. „Wir haben schon Abend und du bist nur wegen uns länger geblieben, also übernehme ich heute Abend deine Rechnung.“ „Schon okay, musst du nicht.“ Der Blonde gab seine Pokémon bei Schwester Joy ab, Mira und Faith taten es ihm gleich und so setzten die drei sich ins Foyer, um zu warten. „Nein, wirklich, wir könnten in die Pizzeria um die Ecke gehen. Ich möchte irgendwie bei dir revanchieren, Itsuki.“ „Hm…“ Er schwieg, wandte seinen Blick ab und fuhr sich durch die hellblonden Haare. Seine weiße Jacke hing über der Lehne seines Sessels und er dachte darüber nach. Schließlich nickte er jedoch und drehte sich wieder zu den beiden Mädchen um. „Also gut. Einverstanden, wenn du unbedingt willst.“ „Super!“ Faith klatschte in die Hände und sprang voller Tatendrang und knurrendem Magen auf. „Dann lasst uns sofort los. Unsere Pokémon brauchen noch einen Moment und so lange können wir dann eine schöne Pizza essen gehen. Ich denke, ich werde Thunfischpizza nehmen. Oder doch Margherita? Oder Gemüsepizza?“ Sie runzelte die Stirn und zählte noch einige weitere Sorten auf, als sie bereits die Eingangstür des Pokémoncenters aufdrückte. „Sie ist wirklich sehr… energiegeladen“, stellte Itsuki stirnrunzelnd fest, woraufhin Mira vorsichtig nickte. „Das ist sie wirklich.“ Ein flüchtiges, warmes Lächeln setzte sich auf ihren Lippen fest. Mit dem rechten Zeigefinger wickelte sie eine der lavendelfarbenen Haarsträhnen auf und ließ sie wieder fallen. „Du bist immer alleine unterwegs oder?“ „Ja, die meiste Zeit. Wieso fragst du?“ Mira bekam rote Wangen und beschleunigte ihren Schritt, um wieder zu Faith aufzuschließen. „Nur so. Du wirkst so, als würdest du nicht so häufig Gesellschaft haben. Ging mir auch so, bis Faith mich einfach mitgenommen hat.“ Itsuki antwortete darauf nicht, folgte schweigend den beiden Mädchen und dachte an sein Zuhause. So hoch oben auf dem Gipfel des Mount Ni hatte er nur selten Spielgefährten bei sich, meistens war er mit den Pokémon seiner Eltern oder Schwestern unterwegs, bis er Schneppke begegnete und dieses ihn begleiten wollte. Schneppke kannte ihn so gut wie niemand sonst auf dieser Welt, sie mussten nicht einmal miteinander reden, um sich zu verstehen. Aber vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem er neue Leute kennen lernen sollte. Vielleicht… Eine gewaltige Explosion riss die jungen Trainer aus ihren Gedanken. Glassplitter flogen durch die Luft und Mira kauerte sich ängstlich an Faiths Seite. An der Ecke der Pizzeria war ein Auto explodiert und brannte nun lichterloh. „Ein Anschlag!“, rief die Besitzerin der Pizzeria und stürmte hinaus auf die Straße. Ihre Haare flogen wirr hinter ihr her, die Schürze war noch voller Mehl. „Ein Anschlag von Team Dark!“ Kapitel 8: Ein Arenakampf steht bevor ------------------------------------- Hey ihr Lieben :) Willkommen im neuen Jahr 2010, in dem es auch gleich mit einem neuen Kapitel weitergeht. Die Charaktersteckbriefe sind jetzt überarbeitet und es kündigt sich ein Überraschungsgast an, wer das wohl sein könnte? ;) Spekulationen sind gerne gesehen und bald wird auch ein wenig Romantik in der Luft liegen, naa, habt ihr schon eine Idee, wer da auftaucht? Ein wenig müsst ihr euch allerdings noch gedulden. Ich wünsche euch weiterhin viel Spaß und freue mich wie immer über jeden Kommentar ^^ Eure Radieschen ------------------------------------------------------------------ Es dauerte nicht lange, da war Officer Rocky bereits wieder abgezogen und hatte lediglich eine Absperrung rund um die Pizzeria zurückgelassen, die die Passanten daran hindern sollte, das Gelände des Betriebes zu betreten. „Ich fühle mich schrecklich bei dem Gedanken, dass wir nur knapp dem Anschlag entgangen sind“, piepste Mira schon zum wiederholten Male seit ihrer Rückkehr ins Pokémoncenter, rollte sich unter ihrer geblümten Bettdecke in Embryonalstellung zusammen und betrachtete Faith, die im Bett gegenüber auf dem Rücken lag und an die Decke starrte. „Wir hatten wohl Glück. Schade, dass die Pizza deswegen ausfallen musste, aber die Sojasnacks aus dem Imbiss zwei Straßen weiter waren auch sehr lecker.“ „Faith!“ Mira klang empört und rümpfte die Nase, während sie sich die Decke bis unters Kinn zog und ihre Nachttischlampe ausknipste. „Es geht mir nicht um das Essen, ich wäre auch mit dem Curryreis aus dem Pokémoncenter zufrieden gewesen. Ich frage mich eher, was Team Dark hier in Eichwald City suchen könnte. Die arme Frau von der Pizzeria, sie war total verstört und hat doch bestimmt nichts, was Team Dark interessieren könnte. Ich frage mich, wie lange es dauert, bis die Polizei sie endlich aufhalten kann. Sie zerstören so viel, stehlen Pokémon und niemand kann etwas von ihnen finden, außer bereits verlassene Labore…“ „Mira“, Faith seufzte und ihr Seufzer vermischte sich mit einem herzhaften Gähnen, als sie sich auf den Bauch drehte und ebenfalls ihr Nachtlicht ausknipste. „Du machst dir zu viele Gedanken. Zwar war da heute der Anschlag, aber damit haben wir doch nicht das Geringste am Hut.“ „Wenn du meinst…“ Mira grunzte noch einmal leise, dann drückte sie Evoli an sich, das neben ihr auf der Bettdecke lag und schon bald war nur noch die regelmäßige Atmung des Mädchens zu hören, dessen lavendelfarbenen Haare sich leise hoben und senkten. Faith schaute ihr eine Weile zu. Sie musste über Miras Worte nachdenken und wusste, dass sie ihre Freundin nur beruhigen wollte. Insgeheim fürchtete Faith sich davor, jemals mit Team Dark in Kontakt zu kommen, immerhin entführten sie Pokémon und Faith wüsste nicht, was sie ohne Kokuna oder Taubsi machen sollte. Sie waren in der kurzen Zeit bereits zu ihren geliebten Begleitern geworden – ebenso war ihr Mira ans Herz gewachsen. Schlussendlich schlief sie aber doch ein und versank in einem traumlosen Schlaf. Am nächsten Morgen wusste so gut wie jeder in Eichwald City über das Attentat der Untergrundorganisation Bescheid und selbst in der morgendlichen Zeitung war ein Artikel auf der Titelseite zu sehen. Faith ließ sich nach einer ausgiebigen Dusche im Speisezimmer des Pokémoncenters nieder und winkte Mira zu, die kurz nach ihr ans Buffet trat und sich eine kalte Frühlingsrolle vom Vorabend mit etwas Cornflakes besorgte. Faith konnte über diese Essensgewohnheiten nur schmunzeln und widmete sich ihrem Blaubeerpfannkuchen. „Itsuki ist abgereist.“ Faith fiel ein Bissen aus dem Mund, als sie Miras Worte vernahm, und starrte ihre Freundin ungläubig an. „Was? Wieso? Aber… Das verstehe ich nicht. Warum?“ Mira zuckte mit den Schultern, gab Evoli ein Stück der Frühlingsrolle ab und schob sich den Rest mit einem großen Happs in den Mund. Erst, als sie fertig gekaut hatte, antwortete sie wieder. „Ich habe gerade kurz mit Schwester Joy gesprochen und sie meinte, es würde uns vielleicht interessieren, dass Itsuki bereits heute Morgen gegangen ist.“ Entrüstet schob die Türkishaarige ihren Teller von sich weg und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. „Und warum hat er sich noch nicht einmal von uns verabschiedet? Erst trainiert er mit uns und dann verzieht er sich ohne ein Wort. Das ist unhöflich!“ „Schwester Joy meinte, dass er wohl noch einmal in der Umgebung trainieren möchte und die nächste Nacht vielleicht unter freiem Himmel verbringt. Er scheint wirklich kein Typ für große Gesellschaft zu sein. Wahrscheinlich haben wir ihn auch nur genervt…“ „Nein, sag so etwas nicht!“, fuhr Faith ihre Freundin sauer von der Seite an und schluckte den aufkeimenden Zorn mit einem großen Glas Orangensaft runter. „Ich weiß nicht, was sein Problem ist, aber ich dachte, wir könnten Freunde werden. So wie es aussieht, habe ich mich ja ziemlich in Itsuki getäuscht.“ Mira seufzte enttäuscht, trank die Milch ihrer Cornflakes leer und stellte die leere Schüssel zurück auf ihr Tablett. „Faith, ich denke einfach, dass er lieber alleine reisen möchte. Er ist doch immer sehr abweisend und kalt zu uns gewesen, wenn er nicht gerade deinem Training zugestimmt hat, aber davon hatte er im Endeffekt ja auch was. Hat er jemals zu erkennen gegeben, dass er uns mag oder mit uns reisen will?“ Sie zog die Augenbrauen hoch, machte aus ihrer Skepsis keinen Hehl und räumte auch das leere Geschirr von Faith auf ihr Tablett. „Nein, das hat er nicht. Du hast ja recht. Aber ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass er klammheimlich verschwunden ist.“ Missmutig drehte sie den Kopf zur Seite und schaute auf die Nachbartische. Auch von Joel und Trixi war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte Joel bereits den Orden der Stadt gewonnen und war jetzt auf dem Weg nach Lapidia. „Ich gehe heute zur Arena“, beschloss Faith daher spontan und verwickelte sich sofort mit ihrer Sturheit in eine leidenschaftliche Kämpferaura. Sie wollte nicht diejenige sein, die zurückhing mit den Orden. „Du willst kämpfen? Heute? Denkst du wirklich, dass du dafür schon bereit bist?“ „Klar, wieso nicht? Kokuna ist ein Kämpfer, genau wie ich. Und Taubsi ist vom Typ her schon im Vorteil, jetzt mit seiner Windstoß-Attacke erst recht. Ich kann es schaffen und werde damit sowohl Joel als auch Itsuki zeigen, dass ich es auch alleine drauf habe.“ „Oh je, du bist so ein Sturkopf…“ Mira lächelte und hob Evoli auf den Arm, als auch Faith ihre Sachen wegbrachte und die beiden Mädchen den Speisesaal verließen. „Ich traue dir den Arenakampf ja auf jeden Fall zu, nur denke ich, dass du dich mehr an deine Pokémon gewöhnen solltest.“ „Ich habe mich an meine Pokémon gewöhnt“, erwiderte Faith giftig und im nächsten Moment tat ihr der Seitenhieb auf Miras Hunduster bereits unendlich leid. „Halt, warte, Mira, ich habe das nicht so gemeint. Tut mir leid…“ Entschuldigend legte Faith die Arme um ihre neue beste Freundin und drückte sie kurz an sich. Mira hatte die Tränen runtergeschluckt und nickte stumm. „Schon in Ordnung, im Grunde genommen sagst du sogar die Wahrheit. Hunduster und ich haben noch einen sehr langen Weg vor uns.“ „Evoli!“, mischte sich nun auch der Starter von Mira ein, rieb seinen Kopf an ihrem Bauch und schaute sie zuversichtlich an. „Also schön“, wechselte Mira schnell das Thema und lächelte sowohl Evoli als auch Faith an. „Haben wir nicht noch einen Arenakampf für heute auf dem Plan stehen?“ „Richtig, auf geht’s!“ Voller Enthusiasmus stolzierte Faith zuerst aus dem Pokémoncenter, gefolgt von ihrer Freundin, die dem Kampf noch immer skeptisch gegenüberstand. Der Weg führte sie zuerst in die Innenstadt von Eichwald City, vorbei an der Pizzeria und einem kleinen Kiosk. Hier reihten sich die süßen Vorstadthäuser mit den gepflegten Gärten nicht mehr die ganze Zeit aneinander, sondern wurden von alten, mehrstöckigen Fachwerkbauten abgelöst, die schließlich in moderne Bankgebäude und ein Hotel übergingen. Die Arena lag sehr zentral am Rande eines großen Parks, gegenüber von einem kreisrunden Brunnen, der das Muster eines Pokéballs besaß. „Wir sind da.“ Faith spürte, wie sich Vorfreude mit Aufregung mischte und erste Adrenalinstöße ihr Herz schneller schlagen ließen. „Komm, wir gehen rein.“ Ohne auf eine Antwort von Mira zu warten drückte Faith die schwere Eichentür zur Seite und betrat einen Vorraum, der aus jadegrünen Fliesen bestand. Hier und dort stand ein Blumenkübel mit Efeu und Rankengewächsen, ein grünhaariger Junge lehnte gegen einen Schreibtisch und drückte gerade den Telefonhörer zurück auf die Station. Als er Faith sah, glitt sein ziemlich gelangweilter Blick über seine Herausforderin, die er sofort an der Körperhaltung von dem anderen Mädchen unterscheiden konnte. Er seufzte, fuhr sich durch die hellgrünen Haare und stieß sich vom Schreibtisch ab. „Ich bin Max, der Arenaleiter. Du willst gegen mich um den Orden kämpfen?“ „Exakt. Mein Name ist Faith Loraire und ich komme aus Litusiaville.“ „Hm, na schön.“ Erneut seufzte Max, kritzelte etwas auf einen Block und winkte Faith und Mira hinter sich her. Es ging einen breiten, kurzen Gang entlang in das Innere der Arena, wo sie ein großes Kampffeld erwartete. Weiße Markierungen zeigten sowohl eine Mittellinie als auch die Seitenränder des Felds. „Hier wird gekämpft. Jeder darf maximal drei Pokémon einsetzen. Auswechseln innerhalb deiner drei Pokémon ist erlaubt. Wer zuerst zwei Pokémon des Gegners besiegt hat, hat gewonnen. Wenn du mich besiegen kannst, bekommst du den Sichelorden.“ „Okay, alles klar.“ Faith schluckte und griff zu Taubsis Pokéball. Sie hatte nur zwei Pokémon in ihrem Team und musste zwei der drei Pokémon von Max besiegen. Das würde nicht einfach werden, aber sie war zuversichtlich und vertraute darauf, dass sie es schaffen konnte. „Lass uns anfangen!“ Und mit diesen Worten entließen beide ihr erstes Pokémon auf das Kampffeld. Der Arenakampf konnte beginnen! Kapitel 9: Kampf um den Sichelorden ----------------------------------- Huhu ihr Lieben :> Das ist wohl erstmal das letzte Kapitel für die Ferien. Ihr könnt jetzt entscheiden, ob ihr lieber immer gleich ein neues Kapitel haben wollt, wenn ich eins fertig habe, wobei auch mal durch die Schule längere Wartezeiten entstehen können, oder ob ihr lieber einmal die Woche an einem festen Tag ein Upload möchtet. Schreibt es einfach in einem Kommi dazu. LG eure Radieschen :) ------------------------------------------------------ Der rote Blitz aus Faiths Pokéball formte ihr Taubsi, das sich mit einem lauten Krächzen in die Luft schwang und über seiner Seite des Felds in der Luft kreiste. Taubsi war bereit für diesen Kampf und wartete schon gespannt auf seinen ersten Gegner. „Auf geht’s!“, rief Max, als er einen Pokéball zückte, aus dem sich ein Paras befreite. Es stellte sich kampfbereit hin, wirkte aber ebenso gelangweilt wie sein Trainer und Faith bekam schon den Verdacht, dass Max sie gar nicht ernst nahm. „Paras, setz Stachelspore ein!“ Faith lächelte in sich hinein. Sie wusste, dass Paras ein Käfer- und Pflanzentyp war und somit gleich doppelt anfällig gegenüber Taubsis Windstoß. Wenn alles glatt lief, dürfte sie mit Paras keine Schwierigkeiten bekommen. „Taubsi, konter mit Windstoß und halte die Stachelspore von dir fern! Versuch sie auf Paras zu lenken!“ Paras ließ die Stachelspore in die Luft wabern, doch Taubsi gehorchte Faith sofort und rettete sich geschickt durch eine gezielte Windstoß-Attacke, die gleichzeitig Paras umriss und schädigte. Vermutlich war Paras das schwächste Teammitglied von Max, denn bereits nach diesem Angriff stand es nur noch wackelig auf den Beinen. In Max‘ Augen blitzte etwas auf, was mit aufkeimendem Interesse gleichgesetzt werden konnte, dann verzog er die Mundwinkel ein wenig zu einem Lächeln. „Paras, lass dich nicht abwimmeln, setz sofort mit Kratzer nach und hol es vom Himmel runter!“ Paras wartete nicht lange und sprang nach oben, als Taubsi ihm gerade nahe kam, und kratzte es ordentlich über die Brust, woraufhin das Vogelpokémon aufbrüllte, Paras mit den Krallen gen Boden drückte und sich wieder in die Luft erhob. „Gut gemacht, noch einmal Windstoß!“ Das ließ Taubsi sich gewiss nicht zweimal sagen und flugs wirbelte Paras durch die Luft und blieb besiegt auf dem Kampffeld liegen. Taubsi gurrte keck und war ebenso wie seine Trainerin mit dem Werk zufrieden. Doch beide wussten, dass es sicherlich nicht so einfach bleiben würde. „Paras, zurück.“ Max zog sein erstes Pokémon in den Pokéball, musterte Taubsi kurz und entließ nun ein Panekon. „Mach kurzen Prozess mit Giftstachel. Hol es aus der Luft.“ „Taubsi, konter die Angriffe mit Windstoß!“, rief Faith ihrem Pokémon zu und blickte mit leuchtenden Augen auf ihren ersten Arenakampf. Sie war sich sicher, dass sie gegen Max gewinnen würde, da sie fest an Taubsis Typenvorteil hing. Panekon schoss eine Ladung Giftstachel auf Taubsi, die surrend durch die Luft glitten und von dem Vogelpokémon durch einen Windstoß gekontert wurden, doch Panekon gab noch lange nicht auf und setzte nun auf Max‘ Befehl hin schnell mit Fadenschuss nach, der begann, die Flügel von Taubsi zu verkleben. Faith biss sich auf die Lippe, als sie das sah, und murmelte die Attacken von Taubsi vor sich hin. Sie war verwirrt und konnte sich zwischen den einzelnen Möglichkeiten nicht entscheiden, da sie eigentlich abwarten wollte, was Max noch für Tricks auf Lager hatte. Doch der Arenaleiter ließ sich diese Chance nicht entgehen und blickte zu seinem Pokémon. „Panekon, weiter Fadenschuss und sobald es unten ist, Giftstachel!“ „Taubsi, versuch… Versuch auszuweichen!“ Faiths Pokémon taumelte zur Seite, wurde kurz darauf jedoch erneut von einer heftigen Fadenschussattacke erwischt und sank allmählich zu Boden, da es die Flügel nur noch schwerfällig bewegen konnte. „Tau!“, gurrte es aufgebracht und presste sich an den Boden, um möglichst wenig Angriffsfläche zu geben. Doch da es am Boden im Nachteil war, konnte es nur die Augen schließen und krächzen, als es von den Giftstacheln getroffen wurde und vergiftet versuchte, den Fadenschuss von den Flügeln los zu werden. „Taubsi, nein!“, rief Faith panisch und warf Mira, die ängstlich am Rand stand und Evoli wie einen Schraubstock umklammert hielt, einen Blick zu. „Schnell, jetzt flieg doch wieder! Schlag mit den Flügeln, befrei dich irgendwie!“ Der Vogel versuchte dem nachzukommen, verhedderte sich jedoch nur immer stärker und konnte einer erneuten Giftstachelattacke nichts entgegensetzen. Nach einem finalen Tackle sank es besiegt zu Boden und wurde von Faith in den Pokéball zurückgezogen. Faith knirschte nachdenklich mit den Zähnen und entließ Kokuna, eine andere Möglichkeit hatte sie ja nicht. Sie war zu überstürzt in den Kampf gegangen und hatte Taubsi keine große Hilfe sein können, das war ihr nun klar, aber der Kampf stand auf der Kippe. Sie musste Panekon jetzt ein für alle Mal besiegen. „Kokuna, Härtner!“ „Panekon, ebenfalls Härtner“, sprach Max gelassen und wirkte nun schon wieder fast gelangweilt. Seine Aufmerksamkeit galt Faith und wie sie sichtlich immer unruhiger wurde. „Gut, greif es mit Giftstachel an.“ Panekon spuckte eine Ladung Giftstachel auf Kokuna, die dem Pokémon jedoch nicht so viel ausmachten. „Kokuna, ebenfalls Giftstachel!“ „Parieren!“ Panekon wehrte den Angriff mit einem gezielten Giftstachel seinerseits ab und wirkte fast schon so gelangweilt wie sein Trainer, der sich gerade in dem Moment durch die grünen Haare fuhr und Faith musterte. „Faith, du solltest aufgeben. Der Kampf ist für dich verloren. Ich werde Kokuna jetzt besiegen, wenn du dich nicht geschlagen gibst.“ „Niemals“, meinte die junge Trainerin, sprach jedoch mit Zweifel in der Stimme. „Kokuna, du schaffst das.“ Ihr kämpferischer Starter nickte ein wenig und setzte noch einmal Härtner ein, um seine Verteidigung zu stärken. „Na schön, du hast es so gewollt. Panekon, besiege es bitte mit Tackle.“ Max gähnte und zog bereits den Pokéball, um Panekon gleich zurückrufen zu können. „Kokuna!“ Faith starrte zu ihrem Starter, unfähig, es weder zurückzurufen und sich die Niederlage frühzeitig einzugestehen noch ihm eine Attacke zuzurufen. Daher schloss sie die Augen, als Kokuna durch eine zweifache Tackle-Kombination niedergestreckt wurde und das feine Gehör nahm wahr, wie Max den Pokéball betätigte. „Du hast verloren“, sprach der junge Leiter nun neben ihr und winkte Mira heran. „Bring deine Freundin ins Pokémoncenter, sie sollte Taubsi und Kokuna unverzüglich heilen lassen. Faith, tu mir und dir einen Gefallen und fordere erst eine Revanche, wenn du wirklich bereit dazu bist.“ „Ich bin bereit zum Kämpfen“, erwiderte sie nun trotzig und holte Kokuna in den wohl verdienten Pokéball. „Ich kann kämpfen…“ Schmerzlich führte sie sich sowohl die Niederlage gegen Joel als auch diese Farce gerade eben vor Augen und wandte sich zum Gehen um. „Max, ich werde wiederkommen. Verlass dich drauf.“ „Hmm“, machte der Grünhaarige lediglich, zuckte dann mit den Schultern und verließ den Kampfplatz durch einen Nebeneingang nach draußen. „Er hat die Wahrheit gesagt. Komm, Faith, lass uns zurück gehen und wenn du bereit bist, kommen wir wieder.“ Mira lächelte sie zuversichtlich an und drückte ihre Freundin kurz an sich. „Bitte.“ Faith erwiderte nichts, sah Max jedoch noch eine Weile nach und begriff endlich, was es bedeutete, ein Trainer zu sein. Es ging um mehr als das bloße Auswendiglernen von Attacken und Typenvorteilen. Es ging um so viel mehr, das hatten sie alle verstanden. Joel, Max, Itsuki und sogar Mira. Nur Faith begann es erst jetzt zu dämmern, dass sie mehr war, als die Trainerin, die den Pokémon Befehle zuwarf. Sie war ihre Freundin, ihre Partnerin. Und nur als Partner konnten sie erfolgreich kämpfen. Sie lächelte, nickte Mira zu und ließ die Arena hinter sich, von der sie wusste, dass sie sie bald wieder aufsuchen würde. Das war sie ihrem Team schuldig. Kapitel 10: Sieg oder Niederlage -------------------------------- Wir haben jetzt auch zwei Illustrationen zur Fanfic. Sind zwar nicht die Besten, aber ich habe mir Mühe gegeben :P Upload-Tag ist ab jetzt immer Samstag bis Sonntag, damit spätestens am Montag das neue Kapitel online ist. ------------------------------------------------------------- Als Faith und Max sich das zweite Mal gegenüberstanden, waren ganze drei Tage vergangen, in denen Faith viel Theorie gebüffelt hatte und sich diverse Strategien für Kokuna und Taubsi zurechtgelegt hatte. Einer der wichtigsten Punkte war für sie jedoch, dass sie Taubsis Vorteil nicht sofort verspielen wollte und daher Panekon so schnell es ging ausgeschaltet werden musste. Die Vorstufe von Pudox konnte sich zwar nur sehr schlecht bewegt, allenfalls ein wenig hüpfen, aber es hatte Taubsi im Alleingang fertig gemacht und war mit dem klebrigen Fadenschuss ein ernster Gegner. Doch nun war Faith vorbereitet. Dachte sie. Mira wartete am Rand des Kampffelds, Evoli auf ihrem Arm mit vor Anspannung zuckenden Ohren. Sie hatte gesehen, wie sehr sich Faith verändert und weiterentwickelt hatte und glaubte, dass ihre türkishaarige Freundin es sogar schaffen könnte, Max zu besiegen. „Die Regeln kennst du ja noch. Jeder darf bis zu drei Pokémon einsetzen, Auswechseln ist erlaubt und wer zuerst zwei Pokémon des anderen besiegt hat, gewinnt. Ich hoffe, du bist dieses Mal besser vorbereitet.“ Der letzte Kampf hatte Max nur wertvolle Zeit gekostet und den jungen Arenaleiter gelangweilt. Dennoch schwebte sein Blick noch einen Moment auf ihr. „Ich sage es dir nur schon einmal, aber bei deinen weiteren Arenakämpfen musst du drei gegen drei kämpfen. Du hast nur zwei Pokémon, das könnte schwierig werden.“ „Ja, ich weiß bescheid. Ich bin bereit.“ Sie hielt Taubsis Ball parat. Über die weiteren Kämpfe konnte sie sich Gedanken machen, wenn es soweit war. Es gab zwei Arenen, die von der Drei-gegen-Drei-Regel ausgenommen waren. Zum einen war das die erste Arena hier in Eichwald, da die meisten Anfänger bis hier noch keine drei Pokémon besaßen, die andere Arena war die fünfte in Schloss Dunkelstein, dort fand ein Doppelkampf statt. Faith war stolz auf ihr Wissen, musste sich nun aber auf Max konzentrieren. „Schön, dann lass uns anfangen.“ Max nickte ihr zu und gleichzeitig entließen sie Panekon und Taubsi auf das Kampffeld. Das Vogelpokémon schlug kräftig mit den Flügeln und beobachtete Panekon missgünstig aus der Luft. Es hatte den Fadenschuss noch lange nicht vergessen und war auf der Hut vor weiteren klebrigen Fäden, die Max‘ Pokémon abschießen könnte. „Panekon, Giftstachel!“ „Taubsi, abwehren mit Windstoß und dann kontern mit Sandwirbel!“ Die Giftstachel prallten an dem harten Windstoß ab, der zu einem Sandwirbel wurde und Panekons Genauigkeit reduzierte. Daher ging auch der nächste Angriff mit Fadenschuss daneben und Taubsi hatte einen Vorteil ohne viel gekämpft zu haben. „Gut gemacht, Taubsi! Jetzt Windstoß!“ „Panekon, verteidige dich mit Härtner!“ Trotz der verstärkten Verteidigung konnte Panekon seinen Typennachteil nicht einfach ignorieren und nahm erheblichen Schaden durch den Windstoß. Da brachte auch der darauf folgende Tackle seitens Panekon nicht viel, denn es war bereits geschwächt, während Taubsi noch recht fit wirkte. „Nochmal Windstoß!“ Faiths Augen schienen zu glühen vor dem Feuereifer, der ihr Herz ergriffen hatte. Es war nicht verwunderlich, dass Panekon besiegt zu Boden ging und Faith einen Luftsprung machte. „Gut gemacht!“ „Tau!“, gurrte ihr Pokémon zufrieden und wartete auf seinen nächsten Gegner. Doch während Faith schon fest mit Paras gerechnet hatte, entließ Max nun ein stattliches Sichlor auf das Kampffeld. Er meinte es ernst und nahm Faith endlich als eine echte Herausforderin an. „Sichlor, ich vertraue dir. Starte mit Ruckzuckhieb und lass Taubsi nicht mehr entkommen! Anschließend Verfolgung!“ Oh-oh. Das konnte ungemütlich werden. Faith musste schnell reagieren, um ihr Taubsi vor einem frühzeitigen K.O. zu beschützen. „Taubsi, ich möchte, dass du so stark mit deinen Flügeln schlägst, dass der Windstoß Sichlor nicht an dich rankommen lässt!“ Sichlor war selbst ebenfalls ein Flugtyp, besonders Kokuna konnte eventuell noch Schwierigkeiten bekommen. Doch vorerst schien ihr Plan aufzugehen, denn Sichlor konnte den Wind um Taubsi nicht durchbrechen und nahm selbst bei jedem Versuch Schaden, daher änderte Max seine Taktik und ließ Sichlor gleich einem Kamikazekämpfer durch den Windstoß brechen. Taubsi und Sichlor fielen beide zu Boden, nur mit dem Unterschied, dass Sichlor sich trotz einiger Schrammen wieder aufrichtete und Taubsi so gut wie besiegt am Boden lag. Ein weiterer Ruckzuckhieb gab dem Vogelpokémon den Rest und Faith zog es zurück. Nachdenklich kaute sie an ihrer Unterlippe und schickte Kokuna auf das Feld. In Gedanken ging sie die Gegensätze der beiden durch. Sichlor war flink, schnell und wendig, Kokuna konnte sich nur bedingt bewegen und Sichlors Attacken daher mit Sicherheit nicht ausweichen. Sichlor schien noch keine Flugattacke zu beherrschen, war aber ein starker Gegner, denn es stand trotz Taubsis Windstößen noch immer fest auf dem Kampffeld. Das war ein Problem, doch so protzig es auch wirkte, Sichlor war bereits geschwächt und Faith wusste das. Wenn sie es jetzt schneller treffen konnte als Kokuna KO ging, hatte sie eine Chance zu gewinnen. „Sichlor, Ruckzuckhieb!“, rief Max den Befehl an sein Sichlor heraus. Schnell konterte Faith. „Kokuna, Härtner und dann Giftstachel!“ Kokuna erhöhte seine Verteidigung und konnte dem Angriff so recht gut standhalten. Da Sichlor noch sehr nahe war, schoss Kokuna mit Giftstacheln auf seinen Gegner, die Sichlor zur Hälfte mit seinen Sichelklingen abwehren konnte. Schnell brachte das Pokémon von Max wieder eine sichere Distanz zwischen sich und Kokuna. „Versuch es noch einmal mit Giftstachel zu treffen!“ Wenn es nicht gelang, Sichlor so zu schaden, würde Kokuna früher oder später dem anderen Käferpokémon erliegen. Kokuna schoss eine weitere Ladung der giftigen Stacheln auf Sichlor, doch erneut konnte die flinke Heuschrecke einen Großteil parieren. So lange Kokuna unbeweglich war, war es im Nachteil, das wussten beide – Kokuna und Faith. Und Max selbstverständlich auch. Faith schloss für einen Moment ihre Augen und atmete tief durch. Ihr Herz pochte durch das ganze Adrenalin wie wild und sie nahm außer dem Kampffeld nichts mehr wahr. „Kokuna…“ „Sichlor, Ruckzuckhieb!“ Kokuna hatte keine Chance, um zu reagieren, so schnell war Sichlor. Es schleuderte Kokuna in die Luft und setzte einen zweiten Ruckzuckhieb hinterher, mit dem es Kokuna wieder auf den Boden drückte. Der Kampf schien für Faith schon verloren, da passierte etwas Unglaubliches. Kokuna begann zu glühen, wie es das schon im Eichwald getan hatte. Es entwickelte sich weiter! Der Kampfgeist von Trainer und Starter trieben Kokuna zu einer Entwicklung, da sein Stolz keine Niederlage mehr gegen Max zuließ. Der Kokon platzte auf, es bildeten sich lange, grazile Insektenbeine und Flügel. Zwei spitze Nadeln zierten die Enden von Bibors Armen. „Bibor bor!“ Kampflustig schlug es mit den Flügeln und erhob sich in die Luft. Max, Mira und vor allem Faith staunten nicht schlecht, doch Faith war überraschenderweise die Erste, die ihre Sprache wiederfand. „Los, Furienschlag!“ Natürlich kannte sie die Attacken, die ihr Starter noch lernen würde. „Bi!“ Mit tiefer Kampflust in der Stimme stürzte es sich auf Sichlor und konnte fast problemlos mit ihm mithalten. Der Furienschlag kam kräftig und gezielt, das geschwächte Sichlor ging zu Boden und blieb besiegt liegen. Faith hatte gewonnen. „Gratulation“, sprach Max nüchtern, zog Sichlor zurück und reichte Faith einen grasgrünen Orden in der Form von einer gebogenen Sichelklinge über dem grünen, kreisförmigen Grund. „Bibor ist wirklich stark, ihr seid ein gutes Team geworden.“ Sprachlos nickte Faith ihm lediglich zu, spürte die stürmische, freudige Umarmung von Mira in ihrem Rücken und betrachtete ihren Starter. Bibor… Sie war wirklich stolz auf ihren Partner. „Das hast du gut gemacht.“ „Bibor.“ Faiths Starter nickte ihr zu und gemeinsam traten sie aus der Arena heraus, bereit für die Weiterreise zur nächsten Stadt und zu Miras erstem Wettbewerb. Auf nach Lapidia! Kapitel 11: Auf nach Lapidia! ----------------------------- Am nächsten Morgen machte sich das kleine Trüppchen, bestehend aus Faith, Mira und Miras Evoli, auf den Weg. Sie ließen das Pokémoncenter von Eichwald City schnell hinter sich und durchquerten die Stadt, um auf der anderen Seite hinter den schmucken Vorstadthäuschen auf die Route zu gelangen, die sie nach Lapidia, der Höhlenstadt, führte. Dort würde Faith gut trainieren können und Mira hatte ihren ersten Wettbewerb. „Ich bin aufgeregt“, jammerte das schüchterne der beiden Mädchen und seufzte resignierend. „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich schon bereit bin. Hunduster gehorcht mir nicht und Evoli beherrscht keine Attacken, mit denen ich bei einem Wettbewerb punkten könnte.“ „Mira, das Thema hatten wir doch schon. Du kriegst das hin. Und wenn nicht, dann mach dir nichts draus. Erfahrung gewinnst du auf jeden Fall und bei den sieben großen Wettbewerben hier in Finera und den vielen kleinen wirst du deine fünf Qualifikationsbänder für das große Festival schon zusammenbekommen.“ „Mhm. Hier im Reiseführer steht, dass Lapidia auch Höhlenstadt genannt wird. Unzählige unterirdische Höhlensysteme bilden einen einzigartigen Untergrund und Platz für Ausgrabungsstätten aller Art. Das Kraftwerk nahe der Stadt bietet einen hervorragenden Lebensraum für viele Elektropokémon. Da wundert es mich, dass Lapidia keine Elektroarena hat.“ „Lapidia hat gar keine Arena“, erwiderte Faith mit einem mürrischen Unterton, da sie noch immer voller Freude über ihren ersten Arenasieg war. Der Sichelorden lag gut verstaut in ihrer Ordenbox und brachte ihr mehr Selbstvertrauen, als sie ohnehin schon hatte. „Die leichte Bergregion und das Kraftwerk würden sich dafür zwar anbieten, aber na ja. Dafür kann ich in Bad Puvicia dann um den Lavaorden kämpfen.“ „Da wirst du Schwierigkeiten bekommen“, prophezeite ihr Mira und erntete dafür einen Schlag gegen den Oberarm, woraufhin beide Mädchen in Lachen ausbrachen. Als Faith sich wieder eingekriegt hatte, wischte sie sich eine Lachträne aus dem Gesicht und nickte. „Stimmt, aber ich schaffe das schon. Bibor ist stark und flink, es muss nur möglichst viele gegnerische Pokémon vergiften, dann kann Taubsi mit seinem Windstoß richtig reinhauen. Und ein drittes Pokémon für den Kampf muss ich mir noch fangen. Vielleicht ergibt sich in Lapidia ja die Chance auf ein Elektropokémon.“ „Ich finde Pichu süß“, quietschte Mira vergnügt und stellte sich die kleine Elektromaus auf ihrer Schulter vor. Aber bei ihrem Glück würde sie wohl eher ein fettes Magneton finden, das ihr ebenso wenig gehorchte wie Hunduster. „Vielleicht wäre Hunduster bei dir besser aufgehoben“, sprach sie ihren spontanen Gedanken laut aus. „Es gehorcht mir nicht und ist bei mir nicht ausgelastet. Du solltest es trainieren.“ Man konnte Faith ansehen, dass sie angestrengt darüber nachdachte, doch schließlich schüttelte sie nur mit dem Kopf. „Es ist dein Hunduster. Tu mir den Gefallen und rauf dich zusammen wegen ihm. Es braucht nur Zeit, um dich zu akzeptieren.“ „Ich bin keine Trainerin, Faith…“ „Evo!“, widersprach ihr Evoli, sprang vor sie und rieb seinen Kopf an ihren Beinen. „Doch, bist du. Eine sehr gute sogar, denn du hast verstanden, dass Pokémon und Trainer ein gleichberechtigtes Team sein müssen. Das musste ich erst lernen.“ Faith lächelte Mira an, dann gingen sie weiter und ließen nun auch Eichwald City hinter sich. Der Weg führte sie an Wiesen vorbei und stieg langsam an. Es wurde immer hügeliger, ab und an kamen Felsformationen dazu und nach drei Stunden konnten Faith und Mira sich sicher sein, dass sie auf dem richtigen Weg nach Lapidia waren, denn sie waren von Bergen umgeben und sahen immer mehr Gesteins- und Bodenpokémon. Schließlich legten sie nach knapp vier Stunden bereits ziemlich erschöpft ihre erste Rast ein und machten es sich auf einem kleinen Campingplatz am Wegesrand bequem. Eine große Steinwand schützt sie vor Wind und Wetter, eine Feuerstelle lud zum Lagerfeuer ein. Faith schaute sich um und wartete ab, bis Mira die Karte in ihrem Reiseführer studiert hatte. „Und?“ „Soweit ich das sehe, ist das die einzige eingezeichnete Raststelle. Hiernach wird der Weg nur noch beschwerlicher und steiniger. Wenn du mich fragst, sollten wir unser Lager hier aufschlagen und morgen früh aufbrechen. Falls es heute Nacht regnet, können die ganzen Steilhänge gefährlich werden durch den Matsch.“ Obwohl Faith viel lieber weiter gereist wäre, sagte sie zu und die zwei stellten ihre Zelte auf. „Wahrscheinlich hast du recht. Dann könnten wir uns jetzt aber die Umgebung anschauen und vielleicht ein wenig trainieren?“ „Faith…“ „Komm schon, das wird Evoli gut tun.“ „Ich will aber nicht gegen wilde Gesteins- und Bodenpokémon kämpfen, da hat Evoli doch keine Chance.“ „Dann kämpfst du eben gegen Bibor oder Taubsi.“ Faith blieb hartnäckig, schlug den letzten Hering in die Erde und streckte sich, während sie ihre zwei Pokémon aus ihren Bällen entließ. „Los, Mira, auf geht’s!“ Widerwillig folgte Mira ihr zurück auf den Weg, damit sie ihr Lager auch immer noch im Auge haben konnten, und schickte Evoli ins Rennen. Nach einigen Runden entschloss sie sich sogar dazu, Hunduster frei zu lassen. Die Glut, mit der Hunduster sie begrüßte, verschreckte Mira gehörig, aber dann jagte Taubsi schon über Hundusters Kopf und die beiden Pokémon begannen ein wahrlich hitziges Gefecht. „Siehst du, Hunduster rennt dir nicht mehr davon.“ „Aber es attackiert mich mit Glut!“, rief Mira empört mit Tränen in den Augen und knotete das angesengte Band ihrer Jacke ab. Enttäuscht ließ sie es in ihrer Jackentasche verschwinden und seufzte. „Das hat doch keinen Sinn. Hunduster akzeptiert mich nicht und ich bin eine grauenvolle Trainerin!“ Bibor und Evoli unterbrachen ihren Kampf und selbst Hunduster und Taubsi schauten kurz auf, als Mira zu weinen begann und auf ihr Zelt zustürmte. „Mira!“ „Nein, Faith, lass mich bitte alleine!“ „Evoli? Voli!“ Evoli nickte Bibor dankbar zu für den Kampf, dann sprintete es seiner Trainer hinterher, um sie zu trösten. Faith sah nur noch, wie Mira den Reißverschluss ihres Zeltes zuzog und kein Mucks mehr von ihr zu hören war. „Oh je…“ Die Jungtrainerin fragte sich, ob sie wohl zu weit gegangen war, drängte diesen Gedanken dann jedoch schnell wieder zurück. Nein, sie hatte nur die Wahrheit gesagt und war fest davon überzeugt, dass Mira selbst lernen musste, mit Hunduster klar zu kommen. Faith selbst hatte auch ihre Probleme mit Hornliu gehabt und nun waren Bibor und sie ein richtiges Team. „Schluss für heute, ihr könnt euch ausruhen.“ Erstaunlicherweise gehorchte sogar Hunduster. Vielleicht, weil es schon ausgepowert war, vielleicht, weil Faith eine größere Trainerausstrahlung hatte als Mira. Jedenfalls entzündete Hunduster das Lagerfeuer und legte sich daneben, lauschte dem Prasseln der Flammen. Taubsi machte es sich ebenfalls am Feuer gemütlich, während Bibor einigen Abstand wahrte und sich stattdessen vor Faiths Zelt niederließ. „Ich hole noch ein wenig Feuerholz, bin gleich wieder da.“ Seufzend ließ die Türkishaarige das Lager hinter sich und betrat ein winziges Waldstück unweit des Weges. Ohne ihre Pokémon an ihrer Seite war ihr zwar schon ein wenig mulmig zu Mute, aber sie bezweifelte, dass sie hier von wilden Pokémon angegriffen wurde. Gerade hatte sie einige dickere Äste aufgehoben, da sah sie durch die Bäume hindurch auf dem Wanderweg einen blonden Haarschopf aufblitzen. Eilig rannte sie zum Waldrand und sie presste die Holzscheite an ihren Körper, als das Herzklopfen einsetzte. „Itsuki…“ Kapitel 12: Unerwartete Hilfe ----------------------------- Das konnte doch nicht sein? Hatte Schwester Joy nicht gesagt, Itsuki wäre schon längst weiter gereist? Dann musste er lange im Eichwald trainiert haben… Faith presste die Holzscheite gegen ihren Körper. „Itsuki…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein vorsichtiges Flüstern, während sich ihre Beine schließlich in Bewegung setzten und sie zum Waldrand rannte, wobei sie immer schneller wurde. „Itsuki?“ Der Junge horchte kurz auf, blieb stehen und drehte sich zu der Quelle seines Namens um. „Faith?“, fragte er etwas irritiert und breitete die Arme aus, als das Mädchen das Holz fallen ließ und zu ihm rannte, sich in seine Arme stürzte. „Itsuki! Du bist es wirklich!“ „Faith, was ist los?“ Er schob sie ein Stück von sich weg und musterte sie mit seinen eisblauen Augen, in denen eine Spur von Besorgnis lag, wie es schon der Fall gewesen war, als er Faith mit Fieber an der Treppe aufgefangen hatte. „Du bist so… anders“, stellte der Junge recht schnell sachlich fest und hob eine Augenbraue, während er sie prüfend musterte. „Es geht um Mira“, stammelte Faith und ihr fehlten das erste Mal wirklich die Worte, um das ausdrücken zu können, was sie sagen wollte. Ob es einfach daran lag, dass Itsuki ihr nun zuhörte und sie sich bei ihm ausheulen konnte, oder daran, dass es tatsächlich der kühle Itsuki war, der hier vor ihr stand, wusste sie nicht. „Was ist mit ihr?“ Faith seufzte, kehrte Itsuki kurz den Rücken und sammelte ihre Holzscheite wieder auf, die sie in dem Ansturm von Emotionen fallen gelassen hatte. Noch während sie das tat, antwortete sie ihm. „Sie ist völlig fertig und ich habe Angst, dass es meine Schuld ist.“ Mit voll beladenen Armen kehrte sie zu ihm zurück und hatte sich schnell wieder gefangen. „Sie sitzt in ihrem Zelt und weint, Evoli ist bei ihr.“ „Willst du mir nicht erzählen, was genau passiert ist? Komm, ich helfe dir tragen.“ Er schnappte sich gut die Hälfte der Äste, ehe Faith protestieren konnte, dann machten sie sich gemeinsam auf dem Weg zu Faiths und Miras Lager. „Ich wollte mit ihr trainieren, aber du weißt ja, wie sie da ist. Sie wollte nicht und traut sich nichts zu. Evoli hat sich gut geschlagen, aber als sie auf mein Drängen Hunduster rausgelassen hat, hat es ihr eine Salve Glut verpasst und nicht auf sie gehört. Als ich die Kämpfe allerdings beenden wollte, kam Hunduster sofort und hat sich neben das Lagerfeuer gelegt.“ „Dann hat Hunduster ein Autoritätsproblem mit Mira. Es kann sie nicht als Trainerin akzeptieren, weil Mira sich selbst nicht als Trainerin sieht und sich dementsprechend nicht durchsetzen kann. Man muss auch mal zeigen, wo es lang geht, wenn man ein guter Trainer sein möchte. Natürlich ist es gut, seine Pokémon als Partner zu sehen, aber dennoch muss Hunduster wissen, wer die Grenzen angibt. Das ist in seinem Fall Mira.“ „Also kommt sie nicht drum rum, sich mit Hunduster auseinander zu setzen?“ Itsuki schüttelte den blonden Haarschopf, da erreichten sie auch schon das Lager und beide legten das Holz neben die Feuerstelle. „Hunduster und Mira haben noch einen weiten Weg vor sich, aber wenn Mira jetzt sich selbst aufgibt, kann sie niemals mit Hunduster klar kommen.“ Er seufzte. „Kennst du die Geschichte des Trainers Ash Ketchum und seinem Glurak?“ „Natürlich“, erwiderte Faith nickend und setzte sich auf den Boden. Jeder kannte Ash Ketchum, den berühmten Pokémonchampion aus Alabastia. Erst kürzlich war seine Ehrenteilnahme an der Silberkonferenz landesweit im Fernsehen ausgestrahlt worden, darauf folgten Interviews und Berichte. „Er hat Glurak als Glumanda erhalten, aber irgendwann hat es sich erst zu Glutexo und dann zu Glurak entwickelt. Es hat Ash nicht mehr gehorcht, weil es sich für zu stark für Ash gehalten hat. Irgendwann konnte er aber Gluraks Vertrauen gewinnen und seit diesem Zeitpunkt sind die zwei ein starkes Team.“ „Genau.“ Itsukis Blick streifte die Zelte der beiden Mädchen, dann den Stand der Sonne und kurz darauf ließ er sich neben Faith am Feuer nieder. „Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn ich mit euch raste? Der Weg bis nach Lapidia ist zu weit. Wir haben schon Mittag und eine Übernachtung an den Steilhängen ist mir zu gefährlich.“ „Klar, wieso nicht“, meinte Faith lächelnd und spürte, dass sie sich wirklich darüber freute, dass Itsuki wieder bei ihnen war. „Ich wollte heute Abend einen Bohneneintopf kochen.“ „In Ordnung. Ich habe frisches Baguette, das kann ich sponsern.“ Lächelnd tätschelte Faith den Kopf von Taubsi, das sich gurrend an ihre Seite gestellt hatte. Der sonst so distanzierte Itsuki schien auf einmal nicht mehr so kühl zu sein. Er blieb freiwillig bei ihnen und erzählte mehr als einen gezwungenen Satz. Währenddessen entließ Itsuki Schneppke, Igelavar und Evoli aus ihren Pokébällen und baute sein Zelt gegenüber denen von Faith und Mira auf der anderen Seite des Lagerfeuers auf. „Vielleicht kann ich Mira helfen, indem ich mit ihr rede? Beim letzten Mal schien sie auch auf mich gehört zu haben.“ „Klar, gerne. Versuchen kannst du es.“ Er nickte daraufhin und klopfte an Miras Zelteingang. „Faith, lass mich in Ruhe“, erklang Miras Schluchzen und im Zelt bewegte sich etwas. „Ich will alleine sein.“ „Ich wüsste nicht, dass mir schon türkisene Haare gewachsen sind“, entgegnete Itsuki kühl und wartete, bis Mira hektisch den Reißverschluss runtergezogen hatte. „Hallo, Mira.“ „Itsuki?“ Ihr verwirrter Blick glitt zu Faith, die nur grinste, während Miras Wangen einen zartrosa Ton annahmen. „Was machst du denn hier? Ich- Oh, es tut mir so leid. Ich bin gerade nicht in bester Verfassung.“ Miras trauriger Blick fiel auf Hunduster, das am Feuer zu dösen schien. „Ich weiß, Faith hat mir alles erzählt. Wir haben uns zufällig am Weg getroffen, als sie Holz geholt hat. Ich werde die Nacht mit euch rasten, falls du nichts dagegen hast.“ „Nein, n-natürlich nicht.“ Beschämt senkte Mira ihren Kopf, fuhr sich durch die Haare und kletterte aus ihrem Zelt. „Ihr habt euch beide Sorgen gemacht?“ „Mira, setz dich einfach zu uns und wir vergessen das. Du brauchst Zeit und ich möchte dich nicht länger drängen. Aber wenn du dich traust, mit Hunduster zu arbeiten, kriegst du bestimmt einen so tollen Partner wie Ash Ketchum sein Glurak hat.“ „Hm…“ Mira krabbelte ans Lagerfeuer und setzte sich neben Faith auf den Boden. „Meinst du?“ „Klar“, sprachen Faith und Itsuki aus einem Mund und alle drei Trainer blickten daraufhin zu Hunduster, das den Kopf gehoben hatte. „Hunduster, denkst du, wir zwei werden ein Team?“ Abwartend betrachtete Mira ihr Pokémon, das nur kurz seine Lefzen hochzog und sich ansonsten nicht weiter rührte. Keine Zustimmung, aber keine grundsätzliche Ablehnung. Außerdem war es auch nicht wieder abgehauen, das wertete Mira als Fortschritt und seufzte. „Gut, ihr habt mich überredet. Ich versuche es – aber noch nicht jetzt.“ Schweigend nahm sie ihr Evoli auf ihren Schoß und strich durch das braune Fell ihres Starters. Den Rest des Tages verbrachten sie damit, den Bohneneintopf zu kochen und ein einfaches, aber leckeres Abendessen zu zaubern. Itsuki erwies sich dabei als kein schlechter Koch, aber Mira schien einfach mit dem Kochlöffel zaubern zu können und daher überließen Faith und Itsuki ihr den Kochtopf mit dem Bohneneintopf. Obwohl Itsuki sich erst dagegen sträubte, stimmte er später am Abend sogar zu, am nächsten Tag mit den beiden Mädchen gemeinsam weiterzureisen, was sowohl Faith als auch Mira insgeheim sehr freute. Die Nacht kam und alle legten sich zur Ruhe, das Lagerfeuer knisterte vor sich hin und jeder hing beim Einschlafen seinen Gedanken hinterher. Faith stellte sich vor, wie gut sie sich noch mit Itsuki anfreunden könnten, wenn der kühle Blonde etwas mehr auftaute, wovon sie aber fest ausging. Außerdem war sie froh, dass es Mira wieder besser ging und sie versprochen hatte, in Zukunft mit Faith und Itsuki zu trainieren, um sich für ihren ersten Wettbewerb zu rüsten. Mira hatte neuen Mut geschöpft und wollte sogar in der bergigen Region hier um Lapidia nach einem Pokémon Ausschau halten, das sie fangen könnte, denn bis jetzt hatte sie noch kein einziges Pokémon selbst gefangen. Ein Teil von ihr zweifelte natürlich sofort an ihrem Können, doch der größere Teil war der Meinung, dass Itsuki und Faith ihr Kraft gaben. Und wenn es in der Wildnis nicht mit dem Pokémon klappte, wollte sie auf jeden Fall in Lapidia am Kraftwerk ihr Glück bei den Elektropokémon versuchen. Itsuki hingegen dachte nicht viel nach, drehte sich lediglich auf die Seite und betrachtete die drei Pokébälle von Schneppke, Igelavar und Evoli, die am Kopfende seines Schlafsacks lagen. Er hatte nie ein Problem damit gehabt, alleine zu reisen, doch irgendwie freute er sich auch, dass Faith und Mira ihn bei sich haben wollten. Zugegeben hätte er das jedoch nie, nur Schneppke wusste wie immer als einziges seiner Pokémon, was Itsuki dachte und fühlte. Und so ging ein weiterer Tag im Leben von Faith zu Ende. Alle schliefen seelenruhig ein und ahnten nicht, dass der kommende Tag gefährlicher werden würde, als sie jemals gedacht hätten… Kapitel 13: Gefährliche Bekanntschaft ------------------------------------- Am nächsten Morgen gönnten die drei Jungtrainer sich kein ausgelassenes Frühstück, sondern waren schon beim Sonnenaufgang aufgestanden, um ihre Zelte zusammen zu packen und den Rest des Bohneneintopfs vom Vortag aufzuwärmen. Die Pokémon ruhten alle in ihren Bällen, sogar Evoli hatte Mira zurückgezogen, weil sie die Steilhänge Evoli nicht zumuten wollte. Schließlich hatten sie alles gepackt, sie waren startklar und konnten um kurz nach sieben Uhr am Morgen aufbrechen. „Es ist wunderschönes Wetter, wir kommen bestimmt ohne Zwischenfälle nach Lapidia.“ Faith gähnte herzhaft und hielt sich die Hand vor den Mund, während sie vor dem schweigsamen Itsuki und der schüchternen Mira vorauslief. „Itsuki, willst du mir einen Tipp geben für die Arena in Bad Puvicia?“ „Bis dahin ist es doch noch Zeit“, brummte er zurück und fuhr sich durch die Haare. „Lerne selbst, deine Gegner richtig einzuschätzen. Und wenn du den Typ der Arena kennst, sollte das nicht schwer sein.“ „Tja, auch gut.“ Sie glaubte nicht, dass sie auf seine Hilfe angewiesen war, daher machte sie sich keine weiteren Gedanken. Wie der Reiseführer es vorausgesagt hatte, gelangten sie nach einer knappen Stunde Fußmarsch an steilere Passagen und engere Pfade, sodass sie bald nur noch hintereinander laufen konnten. Faith vorne weg, gefolgt von Mira und Itsuki. Vorsicht war geboten, denn ein einziger, falscher Tritt konnte dafür sorgen, dass die Füße auf den winzigen Steinen wegrutschten und man geradewegs die Strecke herunterrutschte, die man gerade eben erklommen hatte. „Boah, das ist so anstrengend“, jammerte Faith immer wieder und sehnte sich einen Hut herbei, der sie vor der Sommersonne schützen würde. Sehnlichst beneidete sie Mira um ihre Baskenmütze. „Wie lange ist es denn noch?“ „Wir sind gerade erst zwei Stunden unterwegs.“ „Aber Itsuki, das ist so heiß und steil hier!“ „Faith…“ Itsuki schüttelte den Kopf, wohlwissend, dass die Angesprochene das nicht sehen konnte. Plötzlich jedoch blieb Faith an einer kleinen Kuppe stehen, sodass Mira fast in sie hineingelaufen wäre. „Was ist denn los?“ „Seht mal dort.“ Faiths Stimme hatte sich verändert, sie klang auf einmal ernst und die Plackerei des mühseligen Aufstiegs schien verblasst. „Ich habe kein gutes Gefühl.“ Endlich erreichte auf Itsuki seine beiden Begleiterinnen und lehnte sich gegen einen Felsen, während er in das Tal unterhalb der Steilhänge schaute. In Schwarz gekleidete Männer stapelten Kisten auf einen Transporter, begleitet wurden sie von zwei ziemlich wild aussehenden Magnayen, bei denen Itsuki sich sofort sicher war, dass sie es nicht ohne Weiteres mit ihnen aufnehmen könnten. „Stimmt, da ist etwas nicht in Ordnung.“ „Glaubt ihr…“, stammelte Mira ängstlich und rückte näher an Faith heran. „Glaubt ihr, dass das Team Dark sein könnte?“ „Team Dark?“ Ungläubig riss Faith die Augen auf und begutachtete die fünf Gestalten aus der Ferne nun genauer. „Meinst du wirklich?“ Das war gar nicht gut. Sie durften auf keinen Fall entdeckt werden. „Womöglich hat Mira recht“, schaltete Itsuki sich ein und sein Blick wurde eiskalt und starr. „Sie waren in Eichwald City nach dem Anschlag doch so schnell verschwunden, dass man sie nicht verfolgen konnte. Mit dem Wagen könnten sie einfach hier in die Berge geflohen sein. Die Steilhänge machen die Talregion unübersichtlich, ein perfektes Versteck. Wir sollten unseren Weg ändern und von der anderen Seite des Berges das Tal betreten. Sicher ist sicher.“ Faith, Mira und Itsuki wendeten sich von der Kuppe ab und gingen in Deckung, als einer der Männer plötzlich in ihre Richtung starrte. Vorsichtig kauerten sie sich hinter dem Felsen zusammen. „Haben sie uns bemerkt?“, wisperte Mira ängstlich. „Und habt ihr die Pokémon gesehen? Die beiden Magnayen sahen brandgefährlich aus!“ „Shht!“, fuhr Itsuki ihr dazwischen und legte ihr eine Hand auf die Schulter, was bei Mira nur eine Röte im Gesicht auslöste. Sekunden verstrichen und wurden zu gefühlten Minuten. Weder die Stimmen der Männer noch die Geräusche eines fahrenden Transporters waren zu vernehmen. Ruhig warteten sie ab und waren sich gerade sicher, dass sie in Sicherheit waren, als ein Mann schräg hinter ihnen am Steilhang stand und sie entdeckte. „Hier sind die Kinder!“, plärrte er seinen Kollegen zu, die sofort den Motor starteten. Der Mann trug eine schwarze Hose, schwarze Schuhe und ein leichtes, lila Seidenhemd, das ihn von seinen Handlangern unterschied und perfekt zu seinen Haaren passte. Seine rotbraunen Augen fixierten die Trainer. „Denkt ihr, ich hätte euch nicht bemerkt?“ Itsuki stieß Mira, die zur Salzsäule erstarrt war, nach oben. „Lauft weg, ich halte ihn auf!“ „Du kannst hier nicht den Helden spielen, Itsuki!“, rief Faith energisch zu ihm und stellte sich schützend vor Mira, den Pokéball von Bibor in der Hand. Der Mann lachte hohl auf, er schien nicht viel älter zu sein als Itsuki. Nur ein kurzer Druck auf seinen Pokéball genügte, dann trat ein Magnayen an seine Seite und knurrte bedrohlich. „Magnayen wird euch kriegen, euer Angstgeruch hängt für mein Magnayen in der Luft wie ein ekliges Parfum. Ich werde euch einfach ausschalten.“ „Bibor, halt es auf! Giftstachel!“, rief Faith ohne noch länger zu warten, als sie Bibor ebenfalls entließ und ihr Starter sich mit surrenden Flügeln in die Luft erhob. Sofort feuerte es eine Ladung Giftstachel auf Magnayen, das jedoch zur Seite auswich und in die Luft sprang, direkt auf Bibor zu. Ein gezielter Feuerzahn riss Bibor zu Boden und erwischte es schwer. „Es kann Feuerzahn!“, stieß Faith erschrocken aus und blickte verwirrt zu Mira. „Eine Zuchtattacke, du musst aufpassen“, klagte Mira ängstlich und hielt sich hinter Itsuki und Faith bedeckt. Der schmale Weg bot keinen Platz mehr für ein weiteres Pokémon von Itsuki, weswegen er wohl oder übel Faith den Vortritt lassen musste. „Bibor, wehr dich mit Furienschlag!“ Stolz sah sie zu, wie ihr Starter Magnayen zwei Schläge in die Seiten verpasste, doch Magnayens Zähne blitzten wieder in Flammen auf und es biss Bibor in die Taille. Besiegt blieb es liegen, noch dazu hatte es Verbrennungen und sah nicht gut aus. Mit einem Ausdruck von Wut in den Augen zog Faith ihr Bibor zurück und fauchte den Mann an. „Was erlauben Sie sich eigentlich! Team Dark richtet nur Unheil an, damit werden Sie nicht durchkommen!“ „Nicht?“ Der Mann lachte und strich sich durch die Haare. „Ich bin Caleb Frost, Vorstandsmitglied von Team Dark. Ich komme immer durch, Süße. Und jetzt mach sie fertig, Magnayen!“ Erschrocken stoben die drei Trainer auseinander, als Mira stürzte und nur noch sah, wie Magnayen auf sie zusprang. Ein entsetzter Schrei entkam ihrer Kehle, als sie ins Rutschen kam und über die Klippe stürzte, ein Schatten direkt über ihr. Plötzlich vernahm sie das Aufheulen von Magnayen, als es von irgendetwas getroffen wurde und Caleb verärgert einen Rückzug antrat. Starke Ranken wickelten sich um Miras Taille und sicherten sie so vor dem Abstürzen. Vor Angst standen ihr die Tränen in den Augen. „W-was…?“ „Bisaflor, du kannst sie runterlassen.“ Ein Bisaflor hatte Mira gerettet und setzte sie nun behutsam auf dem Boden ab. Mira konnte ihr Glück kaum begreifen und wischte sich erst die Tränen aus den Augen, als Caleb verschwunden war und Itsuki und Faith sie kurz umarmten. „Mira, geht es dir gut?“ Besorgt blickte Faith sie an. „Das war so knapp. Ich hatte Angst, du würdest den Hang hinabstürzen, als Magnayen auf sich zugesprungen ist.“ „Dann bin ich wohl gerade im richtigen Moment vorbeigekommen“, sprach Miras Retterin gut gelaunt und zog ihr Bisaflor in einen Pokéball zurück. „Als ich diesen schmierigen Typen gesehen habe, dachte ich mir schon, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.“ „Vielen Dank für deine Hilfe“, stammelte Mira noch immer etwas unbeholfen und atmete tief durch, damit sich ihr geschocktes Herz erholen konnte. „Ich bin Mira und das sind meine Freunde Itsuki und Faith. Wir sind gerade auf dem Weg nach Lapidia.“ „Genau, Mira möchte dort nämlich als Koordinatorin am Wettbewerb teilnehmen“, verriet Faith grinsend und bedankte sich – ebenso wie Itsuki – bei Miras Retterin. „Oh, das trifft sich aber gut. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich euch bis nach Lapidia begleite? Ich möchte auch zu dem Wettbewerb dort und sitze in der Jury.“ Die dunkelblauen Augen des Mädchens leuchteten, als sie sich lachend die braunen Haare zurückstrich. In diesem Moment erkannten die drei, wer sie war, da stellte sie sich auch schon selbst vor. „Ich bin Maike, Koordinatorin aus Hoenn, und werde Jurymitglied sein.“ Kapitel 14: Beziehungsstress ---------------------------- „Maike!“ Mira piepste den Namen der berühmten Koordinatorin heraus, immerhin hatte Mira sogar ein Poster von Maike und ihrem Starter Lohgock über ihrem Schreibtisch hängen. Mit einem ehrfürchtigen Blick starrte sie zwischen der braunhaarigen Koordinatorin, Faith und Itsuki hin und her, unfähig, auch nur einen Satz herauszupressen. Faith erbarmte sich schließlich und erlöste Mira, indem sie Maike freundlich anlächelte und sie in ein lockeres Gespräch verwickelte, während sie wieder den Weg nach Lapidia aufnahmen. „Du bist also Ehrenjurymitglied? Wow, das ist total cool. Ich bin zwar keine Koordinatorin, aber das letzte große Festival von Sinnoh habe ich mir im Fernsehen angesehen, da wurdest du zweite, nicht wahr?“ Maike nickte und lachte leise in sich hinein. „Ja, nur Lucia war besser als ich. Aber ich habe die aktiven Kämpfe jetzt aufgegeben und konzentriere mich lieber auf meinen Bruder Max. Ständig muss ich hinter ihm her sein, aber seine Ausbildung bei Professor Birk bereitet ihm Freude und er wird sicherlich einmal ein sehr guter Pokémonforscher werden.“ „Du hast gegen Lucia gekämpft?“ Diesmal hatte Mira ihre Sprache wiedergefunden und bestaunte die Koordinatorin, als wäre sie eine Heilige oder ein Superstar. Mira fand es faszinierend, dass Ash Ketchum sowohl mit Maike als auch mit Lucia, beides berühmte Koordinatorinnen, in seiner Jugendzeit gereist war. Auch Misty, die Arenaleiterin aus Azuria City, und Rocko, Arenaleiter aus Marmoria City und mittlerweile Top-Züchter, waren Reisegefährten von ihm. Und sie alle waren nun bekannt und berühmt, nicht nur, weil sie Team Rocket zerschlagen hatten. „Ja, Lucia und ich treffen uns ab und an bei den Wettbewerben, aber wir haben uns dazu entschlossen, unsere Karrieren aufzugeben, damit neue Koordinatoren mehr Chancen haben, wenn sie nicht gegen uns alte Hasen antreten müssen.“ Grinsend fuhr sich Maike durchs Haar und befestigte eine lose Strähne mit einer Klammer. „Und du bist eine von den jungen Koordinatoren der neuen Generation, ja, Mira?“ Die Angesprochene lief puterrot an und presste ein schwaches Gemurmel hervor, das niemand verstehen konnte. „Ja, ist sie“, übernahm Faith daher mit einem breiten Grinsen und legte Mira einen Arm um die Schultern. „Aber sie braucht noch ein bisschen Training und Tipps.“ „Vielleicht kann ich mit dir trainieren, bevor der Wettbewerb startet?“, bot Maike sofort an und sah, wie Mira sie mit leuchtenden Augen anstarrte. „Wirklich?“ „Klar, wieso nicht. Lohgock kann ein wenig Bewegung gebrauchen und dir schadet es bestimmt nicht.“ „Danke, Maike. I-ich bin ein großer Fan von Lucia und dir…“ Mira senkte den Blick auf ihre Fußspitzen und verfiel in ein peinlich berührtes Schweigen, während ihre Wangen noch immer rötlich aufflammten. „Dein Bruder wird also ein Forscher?“ Itsuki wollte sich eigentlich gar nicht einmischen, aber er konnte nicht einfach zusehen, wie Mira im Boden verschwinden wollte und Faith nicht das nötige Feingefühl besaß, ihrer Freundin auf dem richtigen Weg zur Seite zu stehen. „Wie alt ist er denn jetzt, wenn er sich ausbilden lässt?“ „Siebzehn.“ Maike kicherte in sich hinein. „Wenn er weiter so stur seiner Ausbildung nacheifert, kriegt er nie eine Freundin ab.“ Schweigen breitete sich unter den Anwesenden aus. Mira traute sich nicht, Maike einfach anzusprechen, während Faith einfach kein Gesprächsthema einfallen wollte und Itsuki zu dem Thema Freundin nichts sagte. Schließlich entkam Faiths Mund jedoch ein ergreifendes „Ah“ und sie schoss gleich eine Frage auf Maike ab. „Du bist mit Ash Ketchum gereist, nicht wahr? Ich habe ihn im Fernsehen bei der Silberkonferenz gesehen, sein Glurak ist richtig stark geworden! Ich möchte auch alle Orden in Finera gewinnen und dann die Top 4 besiegen, um Champion zu werden. Eines Tages werde ich Ash Ketchum besiegen!“ „Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Leider wird er die nächste Zeit, soweit ich weiß, nicht nach Finera kommen. Er hat Professor Eich bei einigen Feldzügen seine Unterstützung zugesagt und tourt momentan durch Kanto“, erklärte Maike ihr in einem ruhigen Ton. „Kanto, wow. Ich will auch mal nach Kanto. Und Johto. Ach, eigentlich würde ich die ganze Welt sehen wollen!“ „Dann fang mit Lapidia an, das ist unser nächstes Ziel, Faith.“ Itsuki schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf über so viel Träumerei. Die Sonne zog weiter ihre Bahnen und am frühen Nachmittag erreichten die vier Trainer dann auch endlich die lang ersehnte Stadt, die sich zwischen Felsen und Bergen in die Landschaft gebettet hatte. Der Weg wurde gleichmäßiger und schließlich traten sie auf glatten Stein anstatt auf den unebenen Weg der Route. „Dort drüben ist das Pokémoncenter.“ Itsuki nickte in Richtung des Hauses und steuerte bereits darauf zu, während Mira und Faith staunend die kleinen Fachwerkhäuser betrachteten, deren Fassaden teilweise mit Steinen direkt aus den Felsen der Umgebung verklinkert waren. „Kommt ihr?“ Ungeduldig verschränkte Itsuki die Arme vor der Brust. „Bin schon dabei“, pampte Faith gespielt beleidigt zurück und schloss mit Mira an der Seite zu Itsuki und Maike auf. Gemeinsam betraten sie das Pokémoncenter und kamen sofort in den angenehm temperierten Raum. Schwester Joy winkte ihnen freundlich zu, an ihrer Seite trug Chaneira gerade Handtücher in ein Behandlungszimmer. „Guten Tag, wie kann ich euch helfen?“ „Wir brauchen Zimmer für die nächsten Tage. Wann findet der nächste Wettbewerb statt?“ Schwester Joy hörte Itsuki aufmerksam zu und holte drei Schlüssel hervor, doch Maike winkte ab und erklärte, dass sie bereits ein Zimmer reserviert hatte, woraufhin sie einen anderen Schlüssel erhielt. „Der Wettbewerb findet am Wochenende statt, ihr habt also noch vier Tage, um euch vorzubereiten. Wenn ihr mich entschuldigt, ein Karpador wartet auf seine Behandlung.“ „Natürlich.“ Itsuki griff die Schlüssel und reichte Faith und Mira den für das Doppelzimmer der beiden Mädchen. „Wenn ihr mich auch entschuldigt, ich würde gerne eine Dusche nehmen.“ Mira wartete, bis Faith Chaneira den Pokéball mit Bibor abgegeben hatte, dann setzten sie sich gemeinsam mit Maike in die angrenzende Lounge und zogen sich einen kühlen Orangensaft aus dem Automaten. Gerade setzte Maike sich hin, da erstarrte ihr Gesicht und sie ballte die Hände zu Fäusten, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Ihr Blick wurde finster und starr, als sie sich bei Mira und Faith verabschiedete und aufstand. „Was ist denn mit der los“, fragte Faith überrascht, als sie auch schon sahen, wie Maike auf der Hälfte des Weges stehen blieb und sich zu einem jungen Mann umdrehte, der sie scheinbar angesprochen hatte. „Was willst du denn hier, Drew.” Ihre Stimme klang ruhig, doch die Worte schnitten durch die Luft wie rasiermesserscharfe Glassplitter, was auf einen unterdrückten Konflikt schließen ließ. „Ich wüsste nicht, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin, Maike.“ Der gutaussehende, junge Mann strich sich durch die kinnlangen, grünen Haare und setzte einen arroganten Blick auf. „Ich kann gehen, wohin ich will. Und jetzt bin ich eben hier.“ „Ich habe dich nicht gebeten, mir zu folgen. Als ich sagte, dass ich eine Auszeit brauche, habe ich das auch genau so gemeint.“ Maike drehte sich zum Gehen um, doch Drew packte ihr Handgelenk und hielt sie zurück. Sein Griff war locker, doch Maike zog den Arm nicht weg. „Maike, ich kann nicht glauben, dass du immer noch diesen Quatsch von dir gibst.“ Er schnaubte verächtlich und ließ sie los. „Wird vernünftig und komm mit mir zurück nach Blütenburg City.“ „Sah bloß, du bist den ganzen Weg gekommen, nur um mich wie ein verwirrtes, kleines Mädchen zurück nach Hause zu schleppen.“ Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, während ihr braunes Haar in langen Wellen auf ihre Schultern fiel. „Ich brauche keinen Babysitter, Drew. Ich bin verdammt noch mal zwanzig Jahre alt und kann auf mich selbst aufpassen!“ Chaneira zuckte zusammen angesichts von Maikes Wutausbruch und blickte fragend zu Schwester Joy, die das Taktgefühl besaß, den Blick zu senken und im Behandlungszimmer zu Karpador zu verschwinden. „Das sehe ich“, spottete Drew und lachte leise auf. „Nach dem Wettbewerb reisen wir ab und klären das zu Hause.“ „Nein, das werden wir nicht tun. Ich habe es langsam satt, dass du glaubst, mir Vorschriften machen zu müssen.“ Maike stampfte wütend mit dem Fuß auf dem Boden auf. „Wenn ich der Meinung bin, dass ich zu Max nach Wurzelheim reise, ohne dir vorher bescheid zu geben, musst du das akzeptieren. Ich muss mich nun wirklich nicht vor dir verantworten.“ „Ich mache mir aber Sorgen um dich“, presste Drew tief getroffen hervor und in seinem Blick lag wirklicher Kummer. „Jedes Mal, wenn du einfach verschwindest, muss ich an den Tag denken, an dem du von Team Rocket entführt wurdest.“ „Wir haben Team Rocket zerschlagen. Ash hat mich gerettet, wir haben Giovanni besiegt und Team Rocket gibt es nicht mehr.“ Die Stimme der Koordinatorin war plötzlich trocken, sie blinzelte Tränen weg und trat einen Schritt zur Seite. „Ich bin mir einfach nicht sicher, ob das mit uns beiden wirklich das Richtige ist.“ Drew atmete tief ein und stand starr an seinem Platz. „Weil du Ash liebst, so oft wie du bei ihm bist?“ Stille trat ein und die beiden starrten sich in die Augen, bis Maike einen tiefen Schluchzer los ließ. „Wie kannst du das behaupten!“ „Du bist in den letzten Wochen öfter bei ihm gewesen als bei mir, Maike, deshalb kann ich das sagen! Also, was ist, betrügst du mich mit ihm, diesem Meistertrainer?“ „Idiot!“ Das Klatschen der Ohrfeige auf Drews Wange schien ohrenbetäubend laut zu sein und noch zwei Minuten später, als Maike schon längst fortgerannt war, stand Drew noch immer unbewegt an der gleichen Stelle. Sein Herz brannte. Kapitel 15: Das Band von Lapidia - Teil 1 ----------------------------------------- Die letzten vier Tage vergingen wie im Flug. Mira bereitete sich gründlich auf ihren ersten Wettbewerb vor und trainierte völlig im Geheimen mit Maike. Selbst Faith und Itsuki wollte sie nicht bei ihrem Training dabeihaben, aus Angst, sich total vor ihren Freunden zu blamieren. Die Stimmung bei Faith wurde am zweiten Tag ziemlich getrübt, als sie mitbekam, dass auch Trixi und Joel in der Stadt waren und Trixi sich ebenfalls für den Wettbewerb angemeldet hatte. Jeder Versuch, ihr Team herauszufinden, schlug fehl. Trixi war zu klug, als dass sie sich von Faith in die Karten schauen ließ, was Faiths Stimmung auf einen neuen Tiefpunkt brachte. Meistens saß sie einfach in der Lobby des Pokémoncenters und schmollte vor sich hin, während Itsuki draußen in der Umgebung der Stadt trainierte. Am letzten Tag vor dem Wettbewerb leistete sie ihm Gesellschaft und gemeinsam holten sie Mira von ihrem Training bei Maike ab. Maike war schon gegangen, als sie eintrafen, denn sie wollte keine Möglichkeit entstehen lassen, dass sie nach ihrem Streit mit Drew diesem noch einmal begegnete. „Hallo ihr beiden“, grüßte Mira sie strahlend und umarmte Faith überschwänglich. „Das Training heute war toll, Evoli hat jetzt ein paar gute Tricks drauf. Maike meint, dass ich die ersten Runden bestehen werde, wenn ich mit Evoli alles so mache, wie wir es geübt haben. Ist das nicht toll?“ Grinsend nickte Faith und knuffte ihre Freundin in die Seite. „Dein Training ist heute schon erstaunlich früh rum. Itsuki und ich kommen gerade auch von unserem Training, aber er wollte sich noch einmal am Kraftwerk umsehen. Willst du mitkommen?“ „Zum Kraftwerk?“ Mira überlegte und runzelte die Stirn, sodass feine Falten entstanden. „Ich wollte mich zwar nach einem Elektropokémon umsehen, aber…“ Schließlich schüttelte sie ihren Kopf. „Nein, nicht heute, tut mir leid. Evoli muss sich ausruhen und ich wollte auch noch ein Entspannungsbad nehmen. Immerhin muss ich morgen früh fit sein.“ „Na schön, dann gehe ich mit dir zum Kraftwerk, wenn der Wettbewerb zu Ende ist. Solange du Trixi nur einen metaphorischen Arschtritt verpasst, bin ich zufrieden.“ Mira gluckste leise und schlenderte gemütlich zusammen mit Faith zum Pokémoncenter zurück. Dort angekommen, wurde sie ernster und lehnte sich an einen Tisch. „Ich mache mir Sorgen um Maike.“ Sofort spitzte Faith die Ohren und gesellte sich zu Mira. Man merkte sofort, dass Mira mehr Selbstvertrauen in sich bekommen hatte, weil sie mit ihrem großen Idol gemeinsam trainiert hatte. „Wegen der Sache mit Drew?“ „Mhm.“ „Ich denke, wir sollten uns da raushalten. Wir wissen doch gar nicht, was für eine Beziehung die beiden eigentlich zueinander haben. Sie sind alt genug, um das alleine zu regeln. Lass Maike einfach Jurymitglied sein, den Rest klärt sie selbst mit Drew.“ „Meinst du? Die beiden wirken eher so, als hätten sie eine ziemliche Beziehungskrise.“ „Nicht unser Bier, Mira“, mahnte Faith sie, streckte dann den Rücken gerade durch und ließ verlauten, dass sie Mira zur Therme begleiten würde. „Wow, sonst muss ich dich doch immer auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.“ Grinsend gab Mira Faith einen leichten Klaps auf die Schulter. „Aber schön, dann lass uns gemeinsam zur Therme gehen.“ Am nächsten Morgen standen Itsuki und Faith im riesigen Vorraum der Wettbewerbshalle, in der allerlei Teilnehmer, Pokémon und Zuschauer geschäftig und nervös umherwuselten. Mira hatte heute Morgen bereits fünf Tassen Beruhigungstee getrunken und fühlte sich mit der riesigen Menge an Baldrian und sonstigen Kräutern, die sie intus hatte, wie auf Droge. „Mir ist schlecht“, jammerte sie gerade zum x-ten Mal, woraufhin Itsuki sich nur seufzend zu ihr umdrehte. „Du bist aufgeregt, das ist alles.“ „Ich hätte nicht Faiths Tee trinken sollen…“ Mira quetschte Evoli nur noch enger an sich und der Anmeldebogen in ihrer Hand wurde an den Kanten bereits wellig von ihren schweißnassen Fingern. „Ich will nicht antreten, gegen Trixi kann ich nicht gewinnen…“ „Mira.“ „Sie ist viel zu gut, also kann ich mich auch einfach ins Publikum setzen.“ „Mira.“ „Ich kann das nicht!“ „Mira!“, tönten Faith und Itsuki nun aus einem Mund und blickten ihre Freundin mit einer Mischung aus Ungeduld und Fürsorge an. „Du hast mit Maike trainiert, Evoli kennt gute Techniken. Du wirst da jetzt rausgehen und denen zeigen, dass Mireillia Dawnington eine supergute Koordinatorin werden wird, verstanden?“ „Faith, bitte… Okay, na gut. Ich kann das. Ich schaffe das.“ Tief durchatmend ging Mira mit zittrigen Knien zum Anmeldetresen und reichte der freundlichen Dame ihre Anmeldung. Anschließend wurde sie in einen Raum gelotst, in dem alle Teilnehmer saßen und ihre Nummern zugeteilt bekamen. Es verging eine knappe Stunde, bis alle Teilnehmer eingetroffen waren und Mira von einer Geräuschkulisse aus lockeren, plappernden Gesprächen umgeben war. Nur sie saß alleine an einem Tisch und strich geistesabwesend über Evolis Fell. Gerade eben waren die Nummern vergeben worden, sie war als eine der ersten dran, zum Glück jedoch erst an vierter Stelle. Trixi Light würde als dritte ihre Performance zum Besten geben, jedoch hatte sie ihr Pokémon noch nicht aus dem Pokéball gelassen. Es schien, als würde sie bis zum letzten Augenblick die Spannung um ihr Team aufrecht erhalten. Zwei große Monitore zeigten den Teilnehmern, was in der Halle ablief. Einmal waren sogar Itsuki und Faith auf dem Bildschirm zu sehen. Sie schienen sich zu unterhalten und saßen in einer der ersten Reihen, um Miras Auftritt auch gut sehen zu können. „Evoli, ich bin mir nicht sicher, ob wir das schaffen können.“ „Evoli li!“, machte es zuversichtlich und rieb mit geschlossenen Augen seinen Kopf an Miras Hand. Es spendete ihr Trost und Mut in diesen Minuten, bis die erste Teilnehmerin angesagt wurde und der Wettkampf losging. Applaus aus der Halle ertönte und drang bis hier hinten in Miras Ohren, ihr Herz begann wild zu schlagen und pumpte bereits große Mengen Adrenalin durch ihren Körper, was einen krassen Gegensatz zur Wirkung der Beruhigungstees darstellte. „Ihr Voltilamm ist schwach“, urteilten einige andere Teilnehmer über ihre erste Konkurrentin in der Halle und Mira schlussfolgerte daraus, dass das Mädchen, das gerade dort draußen stand, auch eine Anfängerin sein musste. Schließlich war der Auftritt vorbei und die zweite Teilnehmerin ging nach draußen, auf ihrer Schulter saß ein Schwalbini und flatterte bereits ungeduldig mit den Flügeln. „Oh je, gleich bin ich an der Reihe…“ Seufzend stand Mira auf und presste sich an die Wand, Evoli hatte sie auf dem Boden abgesetzt. „Trixi Light, mach dich bitte bereit, du bist als nächstes dran.“ Eine Frau erschien und rief Trixi auf, die sich durch die kurzen, braunen Haare strich und ein siegesgewisses Lächeln aufsetzte. „Smettbo, komm raus.“ Ihre schlanken Finger betätigten den Knopf eines Pokéballs und ein Smettbo ließ sich auf Trixis Schulter nieder. Augenblick hatte Trixi die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen, denn ihr Smettbo schimmerte in zarten Rosatönen und besaß grüne Augen. Trixi Light besaß ein Shiny Smettbo. „Oh nein!“, entfloh es Miras Mund, als sie das Smettbo mit riesigen Augen anstarrte. Nicht nur, dass Trixi ohne Zweifel eine ebenso gute Trainerin war wie ihr Bruder Joel, nein, noch dazu hatte sie ein Smettbo in ihrem Team, das die Jury alleine durch sein Auftreten begeistern würde. „Ich werde verlieren, Evoli“, wisperte die eingeschüchterte Koordinatorin und Tränen traten ihr in die Augen. „Ich werde gegen Trixi verlieren, ich kann nicht gegen sie antreten. Ich kann es nicht…“ Kapitel 16: Das Band von Lapidia - Teil 2 ----------------------------------------- In diesem Kapitel wird eine junge Koordinatorin aus Johto auftauchen. Sie ist ein Charakter aus s Fanfiction "Journey to Evolution". Wer mehr über Lily erfahren möchte, kann sich gerne die FF anschauen ^__^ -------------------------------------------------- „Hey, du schaffst das schon.“ Leichter Druck wurde auf Miras Schultern ausgeübt und die junge Koordinatorin drehte sich verwirrt um. Ein junges Mädchen schaute sie mit freundlichen, braunen Augen an und grinste selbstsicher. „Wer bist du?“, fragte Mira unsicher und drückte Evoli an sich, das ein wenig mit dem Schwanz peitschte und sich aus dem Griff seiner Trainerin befreite. Mira blickte irritiert zu ihrem Starter, dann entdeckte sie ein zweites Evoli, das neugierig zwischen den Beinen des unbekannten Mädchens hervorblickte. „Du hast ein Evoli?“ „Ja, ich bin Lily und das ist mein Partner Evoli. Ich habe gesehen, wie unsicher du geworden bist, als diese schnöselige Tussi ihr Shiny Smettbo entlassen hat. Dementsprechend musst du Mireillia Dawnington sein, ja? Du stehst auf der Tafel direkt hinter ihr.“ Mira nickte und setzte Evoli auf dem Boden ab, damit es ein wenig mit dem anderen Normalpokémon spielen konnte. „Nenn mich bitte Mira, das machen alle so.“ Lily nickte. „Alles klar, dann eben Mira. Lass dich bloß nicht von ihr einschüchtern.“ „Aber sie ist mit Sicherheit eine super Trainerin, ich werde niemals besser sein können als sie. Mit Sicherheit kann das Publikum mich gar nicht richtig beachten, weil sie vorher alle von sich überzeugt hat.“ „Glaube ich nicht“, meinte Lily sofort bestimmt und fuhr sich durch die braunen Haare. „Und wenn du so unsicher wegen ihrer Performance bist, dann schau sie dir doch einfach gar nicht an. Wir müssen doch nicht an den Bildschirmen kleben wir die anderen hier im Raum. Wenn du nicht weißt, was Trixi macht, kannst du dich deswegen auch nicht bedroht fühlen, richtig?“ „Ich weiß nicht…“ Einen kurzen Augenblick kaute Lily auf ihrer Unterlippe, dann zog sie Mira bei Seite und nahm ihr somit die Sicht auf die Bildschirme, die Trixis Show zeigten. „Woher kommst du, Mira?“ „Eh, aus Waldhausen, wieso fragst du?“ „Ich komme aus Dukatia City, das ist in Johto.“ „Johto?“, fragte Mira sofort interessiert und spürte, wie ihr Herzschlag wieder langsamer wurde und das Ohnmachtsgefühl abnahm. „Wow, ich war noch nie in Johto, obwohl es eigentlich von Waldhausen gar nicht weit weg ist. Man müsste sich nur ein Zugticket für über das Gebirge im Süden von Finera kaufen, dann kommt man ganz bequem nach Kanto und von dort aus nach Johto. Was machst du denn hier in Finera?“ „Um an den Wettbewerben teilzunehmen“, lautete die kichernde Antwort von Lily. „Meine Schwester ist auch Koordinatorin und ich möchte in ihre Fußstapfen treten. Sie war nie in Finera, soweit ich weiß, deshalb bin ich hergekommen. Aber ich habe vor, bald wieder abzureisen. Das hier ist mein letzter Wettbewerb, bevor meine Rückfahrt ansteht.“ „Wow. Du bist so… selbstständig.“ Mira warf der anderen Koordinatorin einen bewundernden Blick zu und zuckte kurz zusammen, als Applaus aus der Halle ertönte. Trixi musste wohl bald fertig sein. „Ich glaube, du bist an der Reihe, Mira.“ „Mhm…“ „Du schaffst das. Ich drücke dir die Daumen. Evolis sind super Partner, da können wir doch gar nicht verlieren, was?“ Mira holte tief Luft, nickte ihrem Evoli zu und schenkte Lily ein mehr als dankbares Lächeln. „Vielen Dank. Ich glaube, ich hätte mich gedrückt, wenn du mich nicht angesprochen hättest. Lass uns nach dem Wettbewerb weiterreden, okay?“ „Alles klar. Wir sehen uns nach deiner Show, ich warte genau hier.“ In diesem Augenblick trat Trixi wieder in den Raum, ihr Smettbo ruhte im Pokéball und Trixis Lippen zierte ein extrem selbstgefälliges und überhebliches Lächeln, als sie sich auf die gepolsterte Bank fallen ließ. Mira kniff die Augen zusammen und öffnete die Tür zum Gang, der sie direkt in die Halle brachte. Sie hatte Trixis Performance nicht gesehen, aber der Applaus war auch nicht besser gewesen als bei den Teilnehmern dafür. Ein Shiny Smettbo musste kein Garant für den Sieg sein. Sie konnte das schaffen! „Teilnehmerin Nummer Vier, Mireillia Dawnington aus Waldhausen“, ertönte es aus den Lautsprechern und hunderte Augenpaare schauten gespannt auf die junge Koordinatorin mit den lavendelfarbenen Haaren hinab. Miras Handflächen fühlten sich von dem Schweiß kühl und feucht an, als sie zur Jury blickte und Maike entdeckte, die zwischen Schwester Joy und einem unbekannten Mann saß und sie anlächelte. Ja, sie konnte es schaffen. „Evoli, stell dich auf und mach dich bereit.“ „Evo!“, erwiderte das braune Normalpokémon guten Mutes und trottete einige Schritte zurück. Mira griff in ihre Jackentasche und holte drei bunte, kleine Bälle hervor. Noch einmal atmete sie tief durch, konzentrierte sich auf ihre ruhige Atmung und blendete erfolgreich das ganze Publikum aus. Jetzt gab es nur noch sie, Evoli und die drei Bälle. Als sie ihre Augen wieder öffnete, lag eine ungewohnte Entschlossenheit in ihnen. „Evoli, Rutenschlag!“ In einer flüssigen Bewegung warf Mira die drei Bälle zu ihrem Starter. Evoli parierte sofort und vollführte eine elegante Drehung, an deren Ende es den ersten Ball mit einem lautlosen Rutenschlag erwischte und senkrecht in die Luft schleuderte. Dem folgten sofort die beiden anderen Bälle und man konnte sofort sehen, dass Evoli erfolgreich mit seinem Rutenschlag jonglierte. Erst der tosende Applaus des Publikums brachte Mira in die Wirklichkeit zurück. Sie blinzelte kurz und sah, wie Itsuki und Faith begeistert aufgesprungen waren und sie lautstark anfeuerten. Auch Maike klatschte mit einem freudigen Ausdruck im Gesicht. Mira konnte ihr Glück kaum fassen. Sie ging zu Evoli und ließ es mit einem Sandwirbel alle drei Bälle gleichzeitig ausbremsen, sodass sie parallel zueinander in die Hände der Koordinatorin fielen. Die Show war beendet. Das Publikum applaudierte ihr und sie war weiter. Und wenn sie sich nicht irrte, hörte sie sogar ein wenig mehr Lautstärke aus dem Applaus des Publikums heraus, als es bei Trixi Light der Fall gewesen war. Eine Stunde später waren die Vorrunden beendet und Mira war tatsächlich eine der acht glücklichen Finalisten – neben Trixi Light natürlich, der sie, falls sie wirklich weiterkommen sollte, im Finale gegenüberstehen würde. Lily war ebenfalls weitergekommen, hatte dabei Evoli und ein Girafarig zusammen auftreten lassen, und trank gerade gemeinsam mit Mira einen Freundschaftskakao. „Ich wusste, dass du es schaffen würdest, als ich deinen entschlossenen Gesichtsausdruck gesehen habe.“ Peinlich berührt senkte Mira den Blick und trank den Rest ihres Kakaos aus. „Sag so etwas doch nicht.“ „Wenn es aber stimmt?“ „Lily…“ Schüchtern lächelte Mira, dann rief man sie auf, sich bereit zu machen. „Ich muss jetzt los, mein erster Kampf wartet. Wobei mein Gegner ein Machollo hat.“ Lily zuckte leicht mit den Schultern, warf die leere Kakaopackung in den Mülleimer und ging zusammen mit dem Jungen, gegen den sie antreten würde, aus dem Raum. „Viel Glück“, murmelte Mira ihr hinterher und schmiss ihre Packung ebenfalls fort. Evoli ruhte im Pokéball und sollte sich noch ein wenig ausruhen. Gespannt verfolgte Mira den Kampf von Lily, die in dieser Runde Girafarig einsetzte und Machollo somit schnell besiegen konnte. Das Glück hatte sie dabei nicht gebraucht. Als Lily zurück in den Raum kam, grinste sie zufrieden und tätschelte Girafarigs Flanke. „Dein Girafarig ist wirklich stark.“ „Ich habe es von meiner Schwester“, meinte Lily mit Stolz in der Stimme. „Hast du auch zwei Pokémon angemeldet?“ „Müssen, wir ja“, brummte Mira und seufzte. „Ja, ich habe noch mein Hunduster angegeben, aber da es mir sowieso nicht gehorcht, habe ich es nicht in die Performance von Evoli mit eingebunden. Evoli und ich schaffen es auch so.“ Schweigend nickte Lily und strich dabei immer wieder durch das kurze Fell ihres Pokémon. „Du bist dran, Mira.“ „Ja.“ Langsam erhob Mira sich und entließ Evoli aus dem Pokéball. Ihr Gegner war ein rothaariges Mädchen mit einem Dodu an ihrer Seite, somit hatte Evoli tatsächlich eine Chance. „Wir sehen uns dann, wenn ich den Kampf hier gewonnen habe und im Halbfinale stehe.“ Zuversichtlich grinste Mira, dann trat sie gemeinsam mit ihrer Gegnerin hinaus in die Halle. Kapitel 17: Das Band von Lapidia - Teil 3 ----------------------------------------- Es war soweit. Mira hatte ihren ersten Pokémonkampf in diesem Wettbewerb und war deswegen mehr als nur sehr nervös. Es war die eine Sache, wenn sie eine gute Show ablieferte und mit Evolis Hilfe und Geschickt die nächste Runde erreichte. Das hier war jedoch ein Pokémonkampf. Ein richtiger Kampf. Natürlich hatte sie mit Maike, die ihr zuwinkte, auch für diese Situation trainiert, aber das Dodu ihrer Gegnerin sah so bedrohlich aus und Mira wollte auf gar keinen Fall, dass ihr geliebtes Evoli auch nur einen Kratzer von dieser Sache hier davontragen könnte. „Dodu, Furienschlag!“ Mira zuckte zusammen und wurde aus den Gedanken gerissen, als Evoli von den beiden Schnäbeln erwischt und durch die Luft geschleudert wurde wie ein brauner Lumpensack. „Evoli!“, rief Mira panisch, tippelte auf der Stelle und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Es ging schon los und sie hatte es gar nicht mitbekommen. Hastig ging sie alle Attacken ihres braunen Fellknäuels durch, dann blickte sie zu Dodu und biss sich auf die Unterlippe. „Setz Heuler ein, um seinen Angriff zu schwächen!“ Evoli riss sofort sein Maul auf und gab einen hohen Schrei von sich, bei dem Dodu sich einen Moment sträubte und dann auf seinen Gegner zusprang. „Dodu, Ruckzuckhieb!“ Ehe Mira sich versah, lag ihr Starter am Boden und rappelte sich mit einem hängenden Ohr wieder auf. Das sah gar nicht gut aus. Wenn sie wirklich noch gewinnen wollte, musste sie jetzt in die Offensive gehen. Sie kniff die Augen enger zusammen und krallte ihre Finger ineinander. „Los, Evoli, Tackle!“ „Evo!“, machte Evoli kampflustig und stürmte auf Dodu zu. Es machte einen Haken zur Seite und traf Dodu mit einem Volltreffer direkt am Bauch, sodass der große Vogel zur Seite kippte. „Nutz die Situation, nochmal Tackle und dann Sandwirbel!“ Evoli parierte sofort, verursache mehr Schaden bei Dodu und scharrte ihm dann eine ordentliche Ladung Sand vom Hallenboden in die Augen. „Dodu, nochmal Furienschlag!“ Die rothaarige Trainerin tänzelte umher, doch ihr Pokémon konnte nicht mehr genau zielen und verfehlte Evoli deshalb. Mira keuchte vor Aufregung auf, machte einen Schritt zurück und nahm die Hände an den Saum ihres Oberteils. „Wieder Tackle!“ Evoli zielte, sprang und brachte Dodu zu Boden. Dodu wehrte sich noch einen kurzen Augenblick, dann blieb es liegen und die Trainerin zog es zerknirscht zurück, woraufhin Applaus einsetzte und Mira zu ihrem Evoli lief. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ „Evo“, gab es schnurrend von sich, rieb seinen Kopf an Miras Hand und sprang dann auf ihren Arm. Mira drückte Evoli an sich, schaute dann einmal kurz zu Maike und eilte mit roten Wangen zurück in den Warteraum, wo sie bereits von Lily empfangen wurde. „Du warst super!“ Grinsend klopfte Lily ihr auf die Schulter. „Der Kampf war wirklich spannend. Ich dachte erst, dass Evoli verlieren würde, aber dann hast du die Situation noch einmal rumreißen können. Wirklich toll.“ „Danke“, nuschelte Mira betreten, setzte sich auf einen Sitz und atmete erst einmal tief durch, damit sich ihr Herzschlag wieder normalisieren konnte. „Ich dachte auch, ich würde verlieren. Eigentlich kann ich es kaum fassen, dass ich jetzt im Halbfinale stehe.“ Sie rieb sich die Augen und seufzte. Eine kleine Weile später standen sich Mira und Lily gegenüber. Lily hatte ihren Halbfinalkampf verloren und schrieb ihre Adresse gerade auf einen Zettel, den sie Mira, die ziemlich traurig guckte, in die Hand drückte. „Ich muss nach dem Wettbewerb sofort zu meinem Zug, also werden wir uns wohl nicht mehr sehen.“ Lily lächelte schmal und umarmte Mira, welche daraufhin ein leises Schluchzen von sich gab. „Ich schreibe dir, versprochen.“ Mira rieb sich die Tränen aus den Augen und rang sich zu einem schiefen Lächeln durch. Evoli hatte auch den zweiten Kampf gewinnen können, was Mira total überrascht hatte. Doch jetzt stand sie im Finale und in wenigen Sekunden würde man sie zum Kampf gegen Trixi aufrufen. „Ich werde dir zujubeln“, meinte Lily grinsend, knuffte Mira in die Seite und verließ dann den Warteraum, um auf die Tribüne in der Halle zu gehen. „Viel Glück, Mira.“ „Danke, Lily. Für alles.“ Mira schaute ihrer neuen Freundin wehmütig hinterher und ließ Evolis Pokéball immer wieder in ihrer Hand rollen. Sie bezweifelte, dass sie gegen Trixi eine Chance hatte, vor allem, da Evoli schon ziemlich fertig war und Trixis Smettbo wie aus dem Ei gepellt wirkte. „Mira, komm.“ Es war Trixi, die sie mit einem hochmütigen Lächeln umrundete und sich zur Halle begab. Mira hatte keine Wahl, sie folgte ihrer größten Rivalin und zitterte bereits vor Anspannung. Immer wieder murmelte sie sich beruhigende Phrasen zu, doch es half alles nichts. Ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an und ihr war schlecht. Der Ansager kündigte den Finalkampf an und Trixis Smettbo erhob sich von ihrer Schulter. Es sah so elegant und grazil aus, wie es schimmernd durch die Halle flog und dem Publikum „Ohs“ und „Ahs“ entlockte. Einen Moment überlegte Mira, ob sie einfach weglaufen sollte, doch Itsuki, Maike, Faith und Lily jubelten ihr alle zu – wobei Maike sich als Jurorin natürlich zurückhalten musste. „Also schön“, begann Mira und zögerte. Evolis Ball wirkte so schwer in ihrer Hand. Sollte sie ihren Starter wirklich ins offene Messer laufen lassen? Sie schloss die Augen, hob den Arm, doch im nächsten Moment vernahm sie ein Raunen, das durch die Halle ging. Als sie die Augen öffnete, sah sie ihr Hunduster vor sich stehen. „Hun!“, knurrte es kampflustig das Smettbo an und sein Icon erschien auf der Anzeigetafel. „Halt, nein! Ich will Hunduster doch gar nicht einsetzen!“ Miras Stimme war so brüchig, dass die Worte nicht bei der Jury ankamen. Stattdessen verengte Trixi ihre Augen, ihre Lippen wurden schmal und sie funkelte Mira herausfordernd an. „Smettbo, feg es mit Windstoß durch die Halle!“ Doch soweit kam es gar nicht, denn Hunduster setzte sofort ohne Miras Zutun Glut ein. Die Feuerkugeln trafen Smettbos Windstoß, woraufhin ein Feuersäule entstand und Smettbos Flügel versengte. Anschließend jagte Hunduster auf Smettbo zu und verpasste ihm einen Smog. Das brennende Käferpokémon wirkte auf einmal unkoordiniert, Trixi bellte Befehle, doch gegen Hundusters Kraft und Kampfgeist konnte es nicht einmal eine Minute bestehen. Smettbo ging zu Boden, flatterte noch ein letztes Mal mit den Flügeln, dann musste Trixi es zurückrufen und stapfte sofort aus der Halle. „Mira!“ Faiths lautstarke Jubelrufe drangen bis zu Mira vor und die Siegerin konnte noch gar nicht begreifen, was so eben geschehen war. „Ich habe… gewonnen?“ Vollkommen verdattert holte sie Hunduster in den Ball zurück und sah Maike auf sich zukommen. „Ich habe gewonnen? Wirklich?“ „Ja, Hunduster war super! Eine richtige Überraschung, dass du es doch eingesetzt hast.“ Maike lächelte sie glücklich an und überreichte ihr mit einem feierlichen Blick das Band von Lapidia. „Hier, das Band von Lapidia gehört jetzt dir. Herzlichen Glückwunsch.“ Faith und Itsuki stürmten ebenfalls zu Mira, Faith umarmte sie sofort und Itsuki klopfte ihr anerkennend auf sie Schulter. Mira hatte es geschafft. Sie hatte ihren ersten Wettbewerb gewonnen. Lächelnd ließ sie sich von ihren Freunden tätscheln und blickte zu Lily, die gerade die Tribünen Richtung Ausgang verließ. Die Siegerin ließ ihren Blick durch die Zuschauerreihen treiben, doch hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie für einen kurzen Moment gedacht, dass Caleb Frost in den Schatten verschwand. Sie musste es sich eingebildet haben. Kapitel 18: Eeveelution ----------------------- Der nächste Morgen nach Miras Sieg beim Wettbewerb brach mit einem wunderschönen Sonnenaufgang an. Zarte Rosa- und Orangetöne schwebten über den Bergen um Lapidia und tauchten die Stadt in eine romantische Stimmung, die viel zu schnell wieder verflog. Faith, Mira und Itsuki bereiteten sich auf ihren letzten Tag in Lapidia vor, morgen wollten sie weiterreisen und die Route nach Bad Puvicia nehmen. Bad Puvicia war eine Stadt am Fuße eines Vulkans und bekannt für die vielen heißen Quellen im Erholungsgebiet der Stadt. Zudem wartete dort die zweite Arena auf Faith, die ihren Kampf um den Lavaorden kaum noch erwarten konnte. „Wie lange wird es wohl nach Bad Puvicia dauern?“, fragte Faith aufgeregt nach dem Frühstück, als sie gerade ihre leere Müslischale mit dem Tablett auf den Tablettwagen stellte. „Laut Karte dürfte es nicht weiter als von Eichwald City nach Lapidia sein oder?“ „Wir werden einmal übernachten müssen, dann kommen wir am nächsten Tag im Laufe des Mittags an“, erklärte Itsuki sachlich und stellte sein Tablett über das von Faith und Mira. „Und heute gehen wir zum Kraftwerk, hm?“ „Unbedingt“, entgegnete Mira strahlend und betrachtete stolz das Band von Lapidia in ihren Fingern. „Es ist bekannt, dass in der Nähe von Kraftwerken stets Elektropokémon leben, deshalb möchte ich dort hin.“ „Ich muss drei Pokémon im Team haben, wenn ich in der nächsten Arena antreten möchte.“ Faith seufzte grinsend, dann machten die drei sich auf den Weg ins Foyer des gastfreundlichen Pokémoncenters, wo sie Maike und Drew über den Weg liefen, die gerade Maikes Gepäck in ein Taxi luden. „Du reist ab?“ Wehmut lag in Miras Stimme, als sie ihr Idol ansah und zu Maike trat. „Ich muss zurück nach Hause.“ Maike lächelte schmal und deutete ein Kopfnicken in Drews Richtung an. „Viel Glück für deine weiteren Wettbewerbe. Wenn du es bis zum großen Finale schaffst, wovon ich ausgehe, dann sehen wir uns auf jeden Fall wieder.“ Mira nickte und legte den Kopf ein wenig schief, als Maike sich zu Drew beugte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. „Ich warte im Wagen auf dich“, sprach Drew trocken und ging an Maike vorbei hinaus zum Taxi. „Auf Wiedersehen, Maike. Und vielen lieben Dank für deine Hilfe bei Miras Training.“ Faith grinste und klopfte Maike dankbar auf die Schulter, doch die Koordinatorin grinste nur schwach. „Das hat Mira ganz alleine geschafft. Also dann, ich muss los, sonst verpasste ich meinen Zug. Auf Wiedersehen ihr drei.“ „Auf Wiedersehen“, ertönte es einstimmig aus Miras, Faiths und Itsukis Mund, dann war Maike auch schon bei Drew im Taxi verschwunden und das Auto brauste davon. „Weg ist sie.“ „Wir sehen sie bestimmt wieder, Mira. Aber jetzt ab zum Kraftwerk. Lasst uns keine Zeit verlieren, ich bin schon ganz kribbelig und hibbelig. Elektrisiert so zu sagen.“ Gut gelaunt schlug Faith in die Hände und verließ als Erste das Pokémoncenter, gefolgt von Itsuki und Mira. Somit hatte doch der normale, alltägliche Wahnsinn die Oberhand gewonnen und die drei Jungtrainer wieder fest im Griff. „Es ist zum Glück nicht weit“, entgegnete Mira lächelnd und fügte sofort noch etwas hinzu. „Aber Lapidia ist auch keine so große Stadt. Seht ihr, dort hinten ist es schon.“ „Ich habe gehört, dass es in der Nähe des Kraftwerks auch einige Giftpokémon geben soll.“ Itsuki blätterte derweil in Miras Reiseführer und reichte ihn den Mädchen. „Das Kraftwerk ist durch Abwasserkanäle versorgt, in denen sich wegen des warmen Abwassers gerne Sleima und Sleimok tummeln. Die Müllreste, die sie zurücklassen, werden wiederum von den Rattfratz und Rattikarl verwertet, was auch andere Giftpokémon anlockt, denen die giftigen Stoffe nichts ausmachen.“ „Ja… Ist klar.“ Faith hob eine Augenbraue und schmollte. „Ich bin aber nicht hier, um mir ein Giftpokémon zu fangen. Ich habe Bibor und außerdem soll mein Team ausgeglichen sein. Eigentlich brauche ich erstmal ein Feuerpokémon, aber dafür muss ich doch so oder so noch warten, bis wir in Bad Puvicia sind. Der Vulkan dort in der Nähe muss ein Paradies für Feuerpokémon sein.“ „Hunduster wird es sicher gefallen. Warme Höhlen, heiße Quellen und lauter hitzige Feuerpokémon, mit denen es sich messen kann. Wirklich wunderbar.“ Mira verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass nach ihrem Wettbewerbssieg schon wieder Kämpfe auf sie zukommen würden, doch sie sah auch ein, dass es sinnlos war, Hunduster stets an der kurzen Leine halten zu wollen. Hunduster brauchte Bewegung und den Kampf, um seine Energie abzubauen – und es hatte eine Menge davon. Schließlich erreichten die drei Trainer nach nur zehn Minuten Fußweg das Kraftwerk, das von kurzem, tiefgrünem Rasen umgeben war und sehr gepflegt wirkte. Ein kleiner Parkplatz war von zwei verlassenen Autos geschmückt, ansonsten konnte man hier draußen erstmal nichts Technisches erkennen. Antennen und riesige Solarplatten auf dem Dach des Kraftwerks waren die einzigen Indizien, dass es sich hierbei um ein modernes Kraftwerk mit erneuerbaren Energien handelte. Ein kleiner Gehweg führte etwa um die Hälfte des hellgrauen Gebäudes herum, dann ging es eine seichte Böschung hinunter auf eine etwas verwilderte Wiese, in der mit Sicherheit wilde Pokémon leben würden. „Sollen wir uns aufteilen? Wir kommen mit unterschiedlichen Zielen hier her.“ Itsuki fuhr sich durch die Haare und warf Faith einen Blick seiner eisblauen Augen zu. „Du willst dir die Pokémon anschauen, ich suche einen Trainingspartner für mein Evoli und Mira sucht nach einem Elektropokémon für ihr Team. Also wenn ihr mich sucht, ich bin dort hinten.“ Ohne auf eine Antwort zu warten drehte er sich um und marschierte in die Richtung, die er Mira und Faith angegeben hatte. „Ich schaue mich auch einmal dort vorne um.“ Faith grinste und lief bereits einem Plusle hinterher, um es sich genauer anzusehen. Einen Moment lang stand Mira schweigend an ein und derselben Stelle, dann seufzte sie ergeben und wandte sich der Wiese vor sich zu. Mit zwei großen Schritten befand sie sich bereits mitten im Gras, dann ließ sie ihren Blick über die Pokémon hier draußen gleiten. Es gab fast nur Plusle und Minun hier, doch wenn man genauer guckte, sah man ein Sleima durch das Gras kriechen und nach Nahrung suchen. Hier und dort huschte ein Schwalbini durch die Luft oder man konnte ein Pichu mit einem Sheinux spielen sehen. Ein Frizelbliz döste zudem in der Sonne und ein Raichu trug stolz einen Donnerstein im Maul vor sich her. „Wow, so viele Pokémon…“, murmelte Mira ehrfurchtsvoll, dann wollte sie schon zu Hundusters Pokéball greifen, doch der Kampf zwischen Itsukis Evoli und einem Pikachu lenkte sie ab. Vorsichtig spähte sie zu Itsuki herüber. Itsukis Evoli war stark und vor allem ein Starrkopf, deshalb wollte es sich dem wilden Pikachu auf gar keinen Fall geschlagen geben. Der Kampf war hart und unerbittlich, doch schließlich ging Itsukis Evoli als Sieger hervor und trottete geschwächt, aber dennoch mit erhobenem Haupt zu dem Jungen mit den Eisaugen. „Das hast du gut gemacht, du bist stark geworden.“ Itsukis Lob fiel knapp aus, aber er tätschelte zufrieden Evolis Kopf, dann hob er einen Stein vom Boden aus und drehte ihn ein paar Mal in der Hand. Mira musste genauer hinsehen, damit sie erkannte, dass es sich um einen grüngelben Donnerstein handelte, der hier ab und an auf dem Boden lag. Scheinbar trugen die Elektropokémon die Donnersteine aus der Gegend hier her, weil sie hier lebten und sich wohl fühlten. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass du eine neue Stufe erreichst.“ Itsukis Hand stoppte und der Donnerstein lag ruhig in seiner Hand, dann hockte er sich vor Evoli hin und strich ihm noch einmal durch das weiche, flauschige, braune Fell. „Ich denke, das hier wird am besten zu dir passen, nicht wahr?“ „Evo!“, meinte sein Evolimädchen stolz, setzte sich hin und legte mit leuchtenden Augen den Kopf schief. Itsuki zögerte nicht lange und drückte den Stein gegen Evolis Rumpf, bis das Normalpokémon weiß zu leuchten begann und mit dem Stein zu verschmelzen schien. Es entwickelte sich zu Blitza und das gelbe Elektropokémon sträubte sofort bewundernd das stachelige Fell. „Du siehst hübsch aus.“ Itsuki grinste, dann strich er über Blitzas Kopf und zog es zurück in den Pokéball. Sein Blick fiel zu Mira, deren neugieriges Auftreten ihm nicht entgangen war. „Hast du ein Pokémon gefunden?“ „Was? Oh, eh, nein. Noch nicht, ich gucke gleich.“ „Ist gut. Ich bin drüben bei Faith.“ „Mhm.“ Mira nickte und sah ihm mit stechendem Herzen nach, dann drückte sie ihre Handflächen gegen ihre geröteten Wangen und zog einen leeren Pokéball von ihrem Gürtel. Sie wollte unbedingt auch so ein starkes, anmutiges Elektropokémon haben wie Itsuki nun sein Blitza hatte. Vor ihr im Gras würden mit Sicherheit einige Pokémon in der Sonne dösen oder schlafen. Sie atmete tief durch, dann warf sie ihren Pokéball einfach ins Gras und sah zu, wie der Strahl irgendein Pokémon einsaugte. Der Pokéball wackelte einige quälende Momente lang, doch Mira hatte Glück und schlussendlich blieb der Ball seelenruhig liegen. „Ich habe eins gefangen.“ Sie schluckte, hatte eigentlich nur einen halbherzigen Versuch gestartet, doch hob den Ball nun auf und drückte auf den Knopf, der das gefangene Pokémon offenbarte. „Sheinux!“ Das kleine Elektropokémon sah sie mit großen Augen an, schüttelte dann sein Fell und rieb schnurrend seinen Kopf an ihrem Bein. „Du bist aber niedlich.“ Mira hob Sheinux grinsend auf den Arm und hielt es in die Richtung von Faith und Itsuki, die ihr beide anerkennend zuwinkten. Dann holte Mira ihr neues Teammitglied zurück in den Pokéball und gesellte sich zu ihren beiden Freunden. „Ich denke, wir sind nun bereit für die Weiterreise, nicht wahr?“ „Oh ja!“ Faith grinste breit und sprang einmal jauchzend in die Luft. „Ich kann es kaum noch erwarten, mein nächster Arenakampf wartet schon auf mich!“ Kapitel 19: Verschlungene Pfade ------------------------------- Regentropfen hingen noch immer wie Spinnennetze aus Wasser an den Fenstern des Pokémoncenters, als Faith und ihre beiden Begleiter sich am nächsten Morgen den Proviant für die Weiterreise nach Bad Puvicia einpackten. Schwester Joy hatte ihnen erlaubt, dass sie sich Lunchpakete für die nächsten beiden Tage machten, sodass sie nicht so viel Frischware mitnehmen mussten. Bei der Hitze draußen würden die Tomaten und das Obst zu schnell ihre Frische verlieren. „Das Wetter ist scheiße“, murrte Faith zum wiederholten Male, strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und zog den Reißverschluss ihres Rucksacks zu. „Es ist Sommer, warum regnet es außerdem genau heute, wenn wir weiterreisen wollen? Das ist doch zum Verrücktwerden!“ „Lass dich nicht verrückt machen, es regnet doch gar nicht mehr, außerdem haben wir Regencapes.“ Mira strahlte wie eh und je, selbst wenn man die grauen, schweren Regenwolken draußen bedachte. „Hört endlich auf zu diskutieren, sonst kommen wir hier nie weg.“ Itsuki hatte bereits seinen Rucksack geschultert, seine Pokémon ruhten nach dem ausgiebigen Frühstück in ihren Pokébällen und seine Augenbrauen waren zu einem genervten Strich verzogen. Faith äffte Itsuki nach, schulterte jedoch ebenfalls ihren Rucksack und verließ mit Mira und Itsuki das Pokémoncenter. Sie selbst hatte ihrem Taubsi Freiflug versprochen, wusste aber, dass sie ihr Pokémon zurückholen musste, sobald es zu regnen anfangen würde – was quasi jeden Moment wieder eintreten konnte. Mira, die ihr Evoli nicht mehr wie anfangs auf dem Arm trug, sondern es neben sich laufen ließ, schloss schnell zu Itsuki und Faith auf und warf ein stolzes Lächeln in Richtung der Wettbewerbshalle, an der sie gerade vorbeiliefen. „Bad Puvicia hat auch einen Wettbewerb. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich zweimal in so kurzer Zeit an einem Wettbewerb teilnehmen soll. Wahrscheinlich hatte ich dieses Mal nur Anfängerglück…“ „Du hast das Glück gepachtet“, erwiderte Faith trocken und auch ein wenig neidisch, wenn sie daran dachte, dass sie in ihrem ersten Arenakampf in Eichwald City nicht gerade eine Glanzleistung vollbracht hatte. „Selbst Sheinux hast du ohne Kampf gefangen.“ Sie schloss diese kleine Tatsachenfeststellung mit einem gedehnten Seufzer ab. Die Route, die sie aus Lapidia hinausführte, war um einiges leichter zu passieren als die von Eichwald City nach Lapidia. Der Weg war selbst für Fuhrwerke breit genug im Fels angelegt und immer wieder sah man kleine Blüten und Grünflächen die Berghänge entlangwachsen. „Es ist so schön idyllisch hier, findet ihr nicht auch? Itsuki, wie sieht es bei dir Zuhause auf dem Mount Ni aus?“, fragte Mira, damit die leicht bedrückte Schlechtwetterstimmung verschwand. „Kalt. Eisig. Immer Schnee.“ „Ah…“ Die junge Koordinatorin rümpfte die Nase und schwieg, trottete einfach zwischen Faith und Itsuki, die beide ihren eigenen Gedanken nachhingen. Auf diese Weise ging die erste volle Stunde ihres Fußmarsches vorbei, bis der Regen wieder einsetzte und die drei hektisch ihre Regencapes überstreiften. Taubsi, das bis dahin freudig große Bahnen durch das Gebirge geflogen war, kehrte klitschnass und mit einem genervten Gurren zu Faith zurück, die es ohne Zögern zurück in den Pokéball zog. Auch Miras Evoli, dessen Fell dunkelbraun und triefendnass an dem kleinen Körper herunterhing, kam zurück in den Pokéball. „So ein Mistwetter“, machte Faith ihrer Laune sofort Luft und zog die Kapuze tiefer in ihr Gesicht. „Es reicht, wir können bei diesem starken Regenschauer sowieso nicht die Tagesroute schaffen. Gibt es hier nicht irgendwo eine Berghütte? Zurück nach Lapidia will ich nicht.“ „Wir müssten bald an eine Kreuzung kommen, aber wenn wir zur Berghütte gehen, dann entfernen wir uns ganz schön von unserer normalen Route. Das kann uns morgen, wenn das Wetter besser ist, einige Stunden Zeit kosten.“ „Mir macht der Regen nichts aus“, sprach Itsuki leise, doch sein grimmiger Blick ließ eher das genaue Gegenteil vermuten. „Ich würde jetzt auch lieber ein Dach über dem Kopf haben“, klagte Mira jammernd und blickte auf den völlig durchgeweichten Boden. „Das hier hat keinen Sinn bei dem Regen. Seht ihr, dort hinten ist die Kreuzung.“ „Wir gehen zur Berghütte.“ Itsuki rieb unter dem Regencape seine Hände an den Oberarmen und blickte gen Himmel. „Es sieht nicht so aus, als würde der Regen in den nächsten Stunden abbrechen. Schaut, die grauen Wolken sind wie eine Wand bis zum Horizont.“ „Beeilen wir uns besser.“ Faith legte einen Schritt zu, dicht gefolgt von Mira und Itsuki. Nach einer knappen Stunde erreichten sie eine abgelegene Waldhütte auf einem Plateau, von dem aus man deutlich sehen konnte, dass sich ein Sommergewitter vom allerfeinsten zusammengebraut hatte. In der Ferne zuckten bereits die ganze Zeit Blitze durch den Himmel, während der Regen nun nicht mehr abzureißen schien und schwer gegen die drei Jungtrainer knallte. Faith ließ sich völlig erschöpft gegen die Tür fallen, drückte die Klinke, riss sie auf und konnte kaum fassen, wen sie dort erblickte. „Na sieh mal einer an, Eismann, Arenaverliererin und Hundustertrainerin sind hier. Joel, wir haben Gäste, wie es aussieht.“ Trixi Light erhob sich grazil wie eine Gazelle und mit dem Todesblick eines Killers aus einem weichen Sessel und verschränkte die Arme vor dem Körper, während ihr Zwillingsbruder frisch geduscht und mit einem dunkelblauen Trainingsanzug bekleidet aus dem Badezimmer kam. Seine Haare hingen ihm in kupferroten Strähnen noch nass ins Gesicht und er rubbelte seinen Kopf mit einem Handtuch ab. „Kommt rein oder bleibt draußen, ist mir egal, aber schließt die Tür, sonst können wir hier gleich ein Indoorschwimmbad eröffnen.“ „Du… Du!“ Faith fehlten schlichtweg die Worte, doch Itsuki schob sie einfach in die Hütte hinein und schloss dann hinter Mira die Tür. „Wir wussten nicht, dass ihr hier seid“, piepste Mira und blickte verlegen von Trixi weg. Sie konnte sich bestens vorstellen, was Trixi – eindeutig die begabtere Koordinatorin von ihnen – von ihr halten musste. Trixi gab ein schnippisches „Tse“ von sich und strich einem edlen Vulpix über den Rücken. Ihr Starter? „Du hast ein Vulpix.“ Faith zog ihr Regencape aus und hängte es über den Garderobenständer an der Heizung. „Ich nehme nicht an, dass du es hier in den Bergen gefangen hast?“ „Vulpix ist mein Starter.“ Trixi lächelte schmal und blickte zu ihrem Bruder, der Itsuki und schließlich kurz darauf einen bohrenden Blick zuwarf. „Es gibt hier zwei Schlafzimmer und eine Schlafcouch. Mir egal, wie ihr euch das einteilt, aber Trixi und ich waren zuerst hier. Wir nehmen das größere Schlafzimmer mit den getrennten Betten.“ „Ich schlafe sicher nicht mit dem da in einem Doppelbett.“ Faith deutete mit der Hand auf Itsuki und bekam Herzklopfen bei dem Gedanken daran, wie es wohl sein würde, tatsächlich neben Itsuki zu schlafen. Schnell verdrängte sie den Gedanken, weil ihr sofort heiß wurde. „Schon okay, ich nehme mir einfach die Couch, dann teilt ihr euch das Bett.“ Itsuki, der sein Cape genau wie Mira nun auch über die Heizung hängte, stellte seinen Rucksack neben der Couch ab und ließ sich auf dieser nieder. „Das Unwetter wird bald auch hier sein, wir hatten Glück.“ „Die Hütte hat keinen Strom, aber es gibt Kerzen. Wir werden nicht im Dunkeln sitzen.“ Gerade, als Trixi dies sagte, brach ein ohrenbetäubendes Donnern über der Berghütte herein, das Mira und Faith zusammenzucken ließ. „Das heißt, wir haben so oder so keine andere Möglichkeit, als den ganzen restlichen Tag mit euch beiden hier zu hocken?“ „Du kannst jederzeit gehen, Faith. Ich werde dich sicherlich nicht aufhalten.“ Joel grinste und lehnte sich lässig neben dem Kamin, in dem Holzscheite im Feuer prasselten, an die Wand. „Na toll“, murmelte Faith Mira zu und kniff die Augen leicht zusammen. Der Tag wurde wirklich immer schlimmer. Kapitel 20: Donnerwetter ------------------------ Tick tock tick tock tick tock tick tock… Die Wanduhr ging unaufhörlich ihrem Takt nach, während Joel und Trixi auf der einen Seite und Itsuki, Mira und Faith auf der anderen Seite des Wohnzimmers saßen und sich anstarrten. Das Kaminfeuer prasselte angenehm und das Unwetter über ihnen tobte unerbittert und schlug den Regen gegen die Fenster der kleinen Berghütte. Schließlich erhob Itsuki sich und räusperte sich kurz, ehe er aus seinem Rucksack ein Handtuch hervorzog und sich an Joel wandte. „Du sagtest, der Boiler läuft die ganze Zeit, nicht wahr?“ „Ja.“ „Schön, dann werde ich jetzt ein Bad nehmen.“ Faith funkelte Itsuki an, als dieser sich aus dem Raum stahl, doch dadurch wurde ihr nur wieder bewusst, dass sie diejenige war, die das größte Problem mit Joel hatte. Mittlerweile war es Mittag und sie hatten kaum mehr als zwei Sätze gewechselt, dafür wuchs die Spannung zwischen ihnen mit jeder erbitterten, verdammten Sekunde, die sie hier festsaßen. „E-es ist schon längst Zeit für das Mittagessen gewesen…“ Mira nestelte nervös an ihren langen, lavendelfarbenen Haaren herum und warf einen Blick zu der kleinen Essküche, die an das Wohnzimmer angrenzte. „V-vielleicht soll ich einfach eine Kleinigkeit kochen?“ „Es sind Tütensuppen im Schrank und Nudeln.“ Trixi fuhr sich durch die Haare und hatte die Beine elegant übereinander geschlagen. Sie sah, obwohl sie grimmig und hochnäsig schaute, einfach umwerfend aus und man würde keine Sekunde daran zweifeln, dass sie viele Fans hatte, obwohl sie noch am Anfang ihrer Karriere als Koordinatorin stand. „D-dann mache ich Nudeln mit Soße…“ Mira zögerte noch einen Moment, doch schließlich erhob sie sich und marschierte in die Küche, aus der man bald schon das Klappern von Töpfen und Geschirr hören konnte. Faith blickte zwischen Trixi und Joel hin und her, konnte aber bald das Schweigen zwischen ihnen nicht mehr ertragen und verschränkte die Arme vor dem Körper, während sie sich tiefer in das Sofa fallen ließ. „Die Niederlage gegen Mira muss hart für dich gewesen sein, Trixi.“ „Deine Sticheleien sind hier vollkommen fehl am Platz, Faith Loraire. Du bist nicht meine Gegnerin, ich werde nicht mit dir streiten. Das ist unter meiner Würde.“ Um dem gerade Gesagten noch mehr Stärke zu geben, erhob Trixi sich und trat mit einem schmalen Lächeln im Gesicht an die Küchentür. „Brauchst du noch Hilfe?“ „M-meinetwegen“, hörte man Miras gemurmelte Antwort, woraufhin Trixi ebenfalls aus dem Wohnzimmer ging und Joel und Faith sich nun gegenübersaßen. Sie mit verschränkten Armen und er mit einer offenen Körpersprache und einem leichten Grinsen. „Du hast also den Sichelorden gewonnen.“ Es war Joel, der zuerst sprach und die Stille zwischen ihnen brach. „Natürlich, hast du daran gezweifelt?“ Faith klang ziemlich giftig und zickig. „Ich werde alle acht Orden und die Liga meistern, daran kannst du glauben.“ „Sicher, wieso auch nicht. Nur wirst du es frühestens zehn Jahre nach mir schaffen, weil meine Pokémon einfach mehr Klasse haben als dein verkorkster Käferstarter.“ „Was?!“ Faiths Stimme geriet zwei Oktaven höher und sie war aufgesprungen ohne es zu merken. „Bibor könnte dein blödes Sniebel jederzeit fertig machen! Ich habe trainiert, Joel, noch einmal werde ich nicht gegen dich verlieren!“ Joels Grinsen wurde nur noch breiter, als er Faiths Reaktion beobachtete. „Dir scheint deine Niederlage ja ziemlich an die Nieren gegangen zu sein, wenn du noch immer so wahnsinnig angegriffen darauf reagierst. Wie ein getroffener Hund.“ „Du…!“ Empört plusterte Faith sich auf und fuchtelte wild mit den Armen vor ihm herum. „Wir werden ja sehen, wer von uns zuerst den Lavaorden gewinnt!“ „Soll das eine Herausforderung sein?“ Provozierend hob Joel eine Augenbraue an und stand auf. „Sollen wir darum wetten, Faith?“ Faith, die nun vollkommen in Rage war und ihm am liebsten den nächstbesten Fluch gegen den Kopf geknallt hätte, lachte trocken auf. „Bitte, wenn du unbedingt verlieren willst!“ „Schön, dann brauchen wir einen Wetteinsatz.“ Joels Grinsen nahm nun eine diabolische Nuance an und er deutete nach draußen. „Lass uns draußen die Wette besiegeln, wo wir ungestört sind.“ Faith schnaubte und strich sich eine türkisene Haarsträhne zurück hinter das Ohr, als Mira besorgt und Trixi interessiert aus der Küche zu ihnen schauten. „Du. Ich. Vor die Tür.“ Joel folgte ihr leichtfüßig nach draußen, wo ihnen der Regen entgegen peitschte und sie innerhalb weniger Sekunden vollkommen durchnässt hatte. „Also schön, wenn du vor mir den Lavaorden gewinnst, dann bekommst du mein Smettbo.“ Er legte eine kurze Pause ein und betrachtete Faith, deren Augen sich überrascht weiteten, so wie er es geplant hatte, denn er wusste, wie sehr sie ihn um sein starkes Smettbo beneidete. „Und falls ich vor dir den Lavaorden haben, dann gibst du mir dein Taubsi. Einverstanden?“ Er hielt ihr die Hand hin. Faith zögerte. Sie fand sein Smettbo faszinierend, doch hing sie auch an ihrem Taubsi, das sie mit viel Mühe im Eichwald gefangen hatte. Aber Joels Auftreten hatte sie wie so oft stark in Rage gebracht und so war sie felsenfest davon überzeugt, dass sie gewinnen würde. „Einverstanden. Smettbo und Taubsi, der Gewinner bekommt beide.“ Sie schlug ein und erwiderte seinen festen Händedruck. Im nächsten Moment schien sich die Regenwolke über ihren Köpfen für einen kurzen Augenblick zu teilen und irritiert blickten die beiden Trainer nach oben in den Regen, wo ein rotweißer Schatten über sie hinweg huschte. „Laa!“ „Oh mein Gott, das ist…“ Es verschlug Faith den Atem und sie krallte sich an Joels Arm fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor, weil sie ihren Kopf so weit nach oben neigte. „Latias.“ Auch Joel sprach leise und ehrfurchtsvoll, doch nur wenige Sekunden später war das Legendäre wieder in den Regenwolken verschwunden. Joel blinzelte und schmunzelte Faith an, als er ihre Hand auf seinem Oberarm bemerkte. Faith riss sofort ihre Hand von ihm fort, schnitt eine Grimasse und riss die Tür der Hütte auf. „Faith“, ertönte Miras Stimme sofort anklagend, als sie die beiden wieder reinkommen sah. Sie hatte sich eine blaue Kochschürze umgebunden und hielt einen Löffel mit brauner Pilzsoße, die sie aus einer Pilzsuppe gemacht hatte. „Sag mir nicht, dass du gewettet hast.“ Diesmal sprach sie leiser, sodass nur Faith sie hören konnte. „Ich werde nicht verlieren.“ „Faith, du weißt, dass Joels Pokémon stärker sind als deine. Worum habt ihr gewettet?“ „Ich werde schon nicht verlieren“, wiederholte Faith aufgebracht, noch immer völlig durch den Wind. Einmal, weil ihr gerade bewusst wurde, dass es doch durchaus möglich war, dass sie verlor. Und dann auch, weil sie gerade Latias, ein legendäres Pokémon, gesehen hatte. „Was ist dort draußen geschehen?“ Nun war Miras Blick besorgt und auch Trixi erschien im Wohnzimmer, um ihren Bruder zu mustern. „Dort draußen war Latias. Wir haben es in den Regenwolken verschwinden sehen.“ „Latias?“ Trixi zog überrascht die Augenbrauen hoch und blickte aus dem Fenster, wo schon lange nichts mehr von dem Pokémon zu sehen war. „Das ist interessant. Du hast wirklich Glück, Bruderherz.“ „Stimmt das?“ „Ja, wir haben es kurz gesehen“, meinte nun auch Faith auf Miras Nachfrage hin und lehnte sich gegen die Wand. Aber das war nicht der Hauptgrund, warum sie so durch den Wind war. Vielmehr beunruhigte es sie, dass sie in dem winzigen Moment, als sie Joels Arm berührt hatte, ein angenehmer Schauer durch ihren Körper gewandert war. Sollte es tatsächlich passieren, dass dieser arrogante Kerl etwas an sich hatte, was sie anziehend fand? Kapitel 21: Die heißen Quellen ------------------------------ „Bad Puvicia ist wirklich ein einziger Traum!“ Faith lehnte sich weit über den Balkon ihres Zimmers im Pokémoncenter und konnte von hier aus sogar die Spitze des Vulkans sehen, der von einer Schneeschicht bedeckt zu sein schien, doch Schwester Joy hatte ihnen erklärt, dass dort oben die Felsen zum großen Teil aus Kreide bestanden und sich mit der Asche des Vulkans gemischt hatten. „Pass auf, dass du nicht runterfällst.“ Faith drehte sich zu Itsuki um und schnitt eine Grimasse, während sie Bibor und Taubsi aus ihren Pokébällen befreite und die beiden vom Balkon aus fliegen ließ. „Sieh dir nur die ganzen Häuser an, sind sie nicht niedlich?“ „Wie können Häuser bitte niedlich sein?“ Itsuki runzelte die Stirn. „Das ist kein passendes Adjektiv für Häuser.“ Dennoch trat er zu Faith auf den Balkon und lehnte sich gegen das Geländer, über das Faith sich immer noch wie ein kleines Kind beugte. Er war froh, dass sie die Berghütte am nächsten Morgen früh verlassen hatten, Joel und Faith wären sich seiner Meinung nach noch an die Gurgel gegangen, wenn sie nach dem schnellen Frühstück auch nur eine Minute länger zusammengesessen hätten. Faith schüttelte den Kopf wegen Itsukis Antwort und deutete auf die Straße unter ihnen, die aus einem aufwändigen Kopfsteinpflaster bestand und immer wieder Bilder des Vulkans zeigte. „Die Straße erzählt die Geschichte des Ausbruchs, hat jedenfalls Schwester Joy gesagt. Es heißt, dass die Pokémon und Menschen hier am Vulkan immer in Frieden gelebt haben, doch eines Tages wollten die Menschen die Ruhe des Berggeistes stören, um ihre Stadt auszubauen und die Hänge des Vulkans zu bebauen. Der Berggeist war darüber so erzürnt, dass er den Vulkan zum Beben gebracht hat. Als die Lava auf die Stadt zukam, gerieten die Menschen in Panik. Sie flüchteten sich zum Schrein des Berggeistes, doch statt des Wächters des Vulkans tauchten die wilden Pokémon der Gegend auf. Sie haben gesehen, dass die Menschen ihr egoistisches Verhalten bereuen und standen ihnen zur Seite. Als der Berggeist das gesehen hat, hat er die Lava in Erdspalten verschwinden lassen und das Dorf geschützt.“ „Ich kenne die Legende“, warf Itsuki ein und ließ seinen Blick zum Horizont gleiten. „Es heißt, dass Finera von drei Wächtern beschützt wird. Dem Vulkanwächter, dem Waldwächter und dem Bergwächter. Meine Familie hütet den Nebeltempel, der dem Bergwächter geweiht ist.“ Schweigend blickte Faith den Blonden an und nickte dann knapp. „Bibor, Taubsi, wir treffen uns unten.“ Die beiden Pokémon nickten und flogen um das Pokémoncenter herum, während Itsuki und Faith nach unten gingen und dort auf Mira trafen. „Seid ihr fertig?“, erkundigte Mira sich lächelnd und hielt drei Karten in die Höhe. „Das sind die Eintrittskarten für die heißen Quellen, die Schwester Joy uns versprochen hat. Wir können den ganzen Tag dort bleiben, wenn wir wollen, nur Essen und Trinken müssen wir dann selbst bezahlen. Unsere Pokémon haben freien Eintritt, da die heißen Quellen vom Vulkan geheizt werden.“ „Das ist gut, Bibor und Taubsi werden sich bestimmt freuen.“ „Ich weiß nicht, ob das etwas für Schneppke ist, als Eispokémon mag es die Hitze nicht so“, meinte Itsuki stirnrunzelnd und entließ seinen Starter aus dem Pokéball. „Willst du auch zu den heißen Quellen?“ „Schnepp, ke.“ Schneppke machte ein fröhliches Gesicht und gesellte sich zu Bibor und Taubsi, die draußen vor der Tür schon warteten. „Na schön, dann können wir jetzt gehen.“ Itsuki steckte Schneppkes Pokéball zurück an seinen Gürtel und gab nun auch Blitza und Igelavar Freigang. Zur gleichen Zeit holte auch Mira ihre drei Pokémon aus den Bällen und erzählte ihnen auf den Weg zu den Quellen gut gelaunt, wo ihr Tagesausflug hingehen würde. Schließlich wandte sie sich aber an Faith, als sie das Backsteingebäude der Arena von Bad Puvicia am Straßenrand stehen sahen. „Du musstest dich auch unbedingt auf diese Wette mit Joel einlassen, nicht wahr? Die Arena hier hat Feuertypen, du besitzt aber kein Pokémon, was dagegen einen Vorteil hat. Wie willst du das anstellen?“ „Keine Ahnung“, murrte Faith und zuckte mit den Schultern. „Bibor kann vergiften und Taubsi ist ein cleveres Kerlchen, ich kann ihm bis zum Arenakampf bestimmt noch eine neue Attacke beibringen. Ansonsten schaue ich mich einfach bei den Quellen nach einem wilden Pokémon um oder mache einen Spaziergang zum Vulkan. Es gibt hier sehr viele Feuerpokémon in der Gegend, aber alle Pokémon mögen die Quellen. Vielleicht finde ich sogar ein gutes Pokémon, das ich fangen kann.“ „Du gehst diese Sache zu lasch an.“ Itsuki schüttelte den Kopf und erinnerte sich an seinen Kampf in der Arena hier. „Wie du weißt, besitze ich den Lavaorden schon. Anja ist eine erfahrene Trainerin mit einem starken Willen. Sie trainiert ihre Pokémon gut, du wirst es nicht einfach gegen sie haben. Außerdem ist sie die Cousine von Flavia, der Arenaleiterin aus Bad Lavastadt in Hoenn. Sie kommt aus einer Familie mit Feuerpokémontradition.“ „Joel besitzt nur Smettbo und Sniebel, beide sind gegen Anjas Pokémon aufgeschmissen. Ich kann die Wette gewinnen. Beziehungsweise was heißt können, ich werde die Wette gewinnen!“ Sie schnitt eine Grimasse und bog auf den Weg zu dem Wellnesshotel ab, das auch die heißen Quellen verwaltete. Faith, Mira und Itsuki gaben ihre Sachen am Schalter im Eingangsbereich ab und erhielten im Gegenzug weite Bademäntel und traditionelle Holzschuhe, mit denen sie in den hinteren Bereich gehen konnten, der vollständig mit Holz ausgekleidet war. Zur Begrüßung erhielt jeder von ihnen zudem eine Fruchtschorle, die sie auf den Weg zu den Umkleidekabinen tranken. Mira und Faith zogen sich ihre Badeanzüge über, Itsuki verschwand in der Jungenumkleide. Draußen im Flur trafen sie sich wieder, wieder mit Schlappen und Bademänteln bekleidet, und gingen gemeinsam zu dem Bereich hinter dem Hotel. Idyllisch schlängelten sich mehrere kleine Thermalquellen zwischen einem kunstvollen Gartenteich und Sonnenliegen, die Quellen waren allesamt überdacht und so im Winter vor Schnee und sonst vor Regen und zu starker Sonneneinstrahlung geschützt. „Ah, das sieht wunderbar aus!“ Grinsend legte Faith ihren Bademantel auf einen Steintisch neben der Quelle, auf dem bereits Handtücher bereit standen. Ihre Holzschuhe fanden unter dem Tisch Platz, dann winkte sie Taubsi und Bibor zu sich heran. Bibor stieg sofort mit ihr ins Wasser und machte es sich auf einer Stufe im Wasser bequem, während Taubsi eine seichtere Stelle suchte und dort gurrend und zufrieden saß. „Evo!“ Begeistert sprang Miras Evoli in die Quelle und wartete dort auf Mira, die sich neben ihr Pokémon setzte. Sheinux und Hunduster nahmen etwas abseits im Wasser Platz, ebenso Itsukis Blitza. Itsuki selbst setzte sich den beiden Mädchen gegenüber und lehnte den Kopf in den Nacken, als er das warme Wasser genoss. Schneppke saß gemeinsam mit Taubsi eher am Rand, hatte aber auch seinen sichtlichen Spaß, und Igelavar streckte sich neben Itsuki lang. Ein Mädchen mit langen, roten Haaren trat kurz darauf zu ihnen an die Quelle, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und musterte die bunte Truppe. „Ist bei euch vielleicht noch ein Platz frei? Die Saisongäste haben die anderen Quellen alle in Beschlag genommen. Uh, sag mal, kennen wir uns nicht? Ah, doch, Itsuki, nicht wahr? Ich erinnere mich an dich.“ Itsuki öffnete die Augen, als er angesprochen wurde, und drehte sich unter wachsamen und interessierten Blicken seitens Mira und Faith zu dem Mädchen um. Seine Augen weiteten sich ein wenig überrascht, dann lächelte er und rückte zur Seite. „Natürlich, komm rein. Darf ich vorstellen? Das ist Anja, die Arenaleiterin hier in Bad Puvicia.“ Faith blieb beinahe der Mund offen stehen, als sie sah, wie sich die gut aussehende Arenaleiterin lächelnd neben Itsuki setzte und im nächsten Moment ein Arkani ihr treu ins Wasser folgte. Das konnte doch nicht wahr sein! Niemand hatte ihr gesagt, dass ihre Gegnerin eine Femme fatale sein würde! Kapitel 22: Schock fürs Leben ----------------------------- „Heute werde ich mir die Arena ansehen gehen.“ Faith streckte sich am nächsten Morgen genüsslich im Bett und warf dann die Bettdecke auf den Boden. „Ein drittes Pokémon brauche ich allerdings auf jeden Fall, damit ich überhaupt gegen Anja kämpfen darf. Mira, würdest du mir Sheinux leihen? Mira? Miraaaa!“ „Hn“, machte die Reisebegleitung müde, rieb sich über die Augen und öffnete diese anschließend blinzelnd. „Faith, ich schlafe noch…“ „Los, komm, steh auf. Itsuki trainiert sicherlich auch schon, seine Zimmertür ging vor zehn Minuten.“ Mira stöhnte und wollte sich die Bettdecke über das Gesicht ziehen, doch Faith war schneller und hatte sie ihr aus den Händen gerissen, ehe Mira etwas dagegen tun konnte. Brummelnd stieg sie aus dem Bett und warf einen Blick zu der Uhr an der Wand. „Halb neun? Ist das dein ernst?“ „Ich bin hier doch diejenige, die nicht zum relaxen in Bad Puvicia ist. Also los, husch, husch! Ich bin nur eben schnell im Badezimmer.“ Gut gelaunt sammelte Faith ihre Sachen zusammen und trottete ins Badezimmer, wo sie in Rekordgeschwindigkeit unter die Dusche sprang, sich anschließend wieder abtrocknete und anzog. Auch das Zähneputzen ging schnell und so war die energiegeladene Jungtrainerin innerhalb von zehn Minuten im Bad fertig. Mira stand bereits mit ihren Sachen vor der Badezimmertür und schlenderte noch immer mehr schlafend als wach hinein, als Faith putzmunter herausstürmte. „Beeil dich, ja? Ich bin schon unten beim Frühstück“, gab Faith ihre heutige Portion Anweisung durch, schnappte sich die Pokébälle von Bibor und Taubsi und eilte zwei Treppenstufen auf einmal nehmend nach unten. Itsuki war gerade fertig mit seinem Frühstück und stellte die leere Müslischale auf den Geschirrwagen, als er Faith kommen sah und sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. „Schon so agil am frühen Morgen?“ „Sonst bin ich um die Zeit auch schon wach.“ Faith streckte ihm neckend die Zunge heraus und holte sich eine Portion frischen Obstsalat mit Banane, Apfel, Mango und Trauben, den sie zu dem Tisch brachte, an dem bis gerade eben auch Itsuki gesessen hatte. „Setz dich doch noch zu mir.“ Er zuckte teilnahmslos mit den Schultern, nahm aber wieder Platz und lehnte sich langsam in seinem Stuhl zurück. „Klar bist du sonst auch schon wach, aber gestern ist es doch ziemlich spät geworden, hm?“ „Ein Uhr“, kicherte Faith und dachte daran, dass sie gestern nach den heißen Quellen noch bei der Massage waren und dann später in einem traditionellen Restaurant mit Sushi und Ramen wieder Anja getroffen hatten, mit der sie bis ein Uhr nachts noch Mensch ärgere dich nicht spielten. „Und Anja wollte partout nicht einsehen, dass sie am Verlieren war. Dreimal hintereinander.“ „Sie kann eben nicht gut verlieren, das macht sie zu einer starken Gegnerin für dich, denk daran.“ „Morgen“, brummelte Mira mit einem Teller in der Hand, auf dem sich eine kleine Schale Schokoladencreme und zwei Brötchen befanden. Scheppernd ließ sie den Teller auf dem Tisch nieder und setzte sich neben Itsuki. „Hast du eine Ahnung, wie sie mich geweckt hat? Einfach die Bettdecke weggezogen…“ Tadelnd schüttelte sie den Kopf und begann ihre Brötchen mit der Creme zu bestreichen. „Ach, jetzt fällt mir auch wieder ein, was ich von dir wollte. Kannst du mir dein Sheinux für den Arenakampf leihen, wenn ich bis dahin kein neues Pokémon gefangen habe?“ Mira brummte etwas Unverständliches und biss in ihr Brötchen, nickte aber schließlich und legte den Kopf dabei schief. „Kann ich machen.“ „Nein, von mir bekommst du kein Pokémon“, fuhr Itsuki Faith sofort von der Seite an, als diese sich mit einem Hundeblick zu ihm drehte. Stattdessen verengte Itsuki lediglich seine Augen und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Ich meine es so, wie ich es gerade gesagt habe. Du bist selbst Trainerin, tu mal was für deine Siege. Immerhin willst du irgendwann gegen die Top Vier kämpfen.“ „Bitte…“ „Nein.“ Er schüttelte stur seinen Blondschopf und stand auf, um weiteren Charmeoffensiven seitens Faith zu entgehen. „Ich bin jetzt bei Anja.“ „Anja?“ Fragend runzelte Mira die Stirn. „Wieso?“ Er lächelte schmal und steckte sich die Pokébälle am Gürtel fest. „Sie hat mich heute zu sich eingeladen, immerhin kennen wir uns noch von meinem Kampf gegen sie. Sie möchte ein wenig plaudern und dann essen wir zusammen Mittag. Unser Training müssen wir also auf heute Nachmittag verschieben, Faith.“ „Ihr esst zusammen“, presste diese durch fast geschlossene Lippen hervor und hatte plötzlich gar nicht mehr so gute Laune. „Na dann, bis später.“ Schweigend sah sie ihm nach, wie er aus dem Pokémoncenter ging, dann stopfte sie wortlos den Rest ihres Obstsalats in sich rein und brachte die leere Schale weg. „Bist du jetzt sauer?“, erkundigte Mira sich und band sich die lavendelfarbenen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz. „Die beiden verstehen sich gut, da kannst du nichts gegen machen.“ „Will ich auch nicht, ist mir doch egal. Er kann rumhängen mit wem er will.“ Faith drehte sich schnippisch weg und wartete, bis auch Mira fertig war, dann verließen auch sie das Pokémoncenter und traten hinaus in die Hitze des Hochsommers. Suchend blickte Mira such um und entdeckte bald schon die Arena wieder, deutete in die Richtung und ging voran, Faith noch immer sauer direkt hinter ihr. „Du magst Itsuki, nicht wahr?“, tastete Mira sich schließlich an das Gefühlsleben ihrer Freundin heran und verspürte dabei selbst ein leichtes Ziehen in ihrer Brust. „Klar, er reist mit uns. Er ist ein Freund.“ „Nicht mehr?“ „Warum sollte er denn mehr für mich sein? Er ist gefühlskalt, arrogant und macht sich gerne über mich lustig. Er kann froh sein, dass ich überhaupt mit ihm rede.“ Faith schmollte vor sich hin und betrat das Grundstück der nicht sonderlich weit entfernten Arena. „Das beruhigt mich.“ Mit einem Anflug von Erleichterung schloss Mira zu ihr auf und setzte sich auf die Veranda der Arena. „Wieso?“ Argwöhnisch trat Faith an sie heran und runzelte die Stirn, als Miras Wangen einen leichten Rotstich annahmen. „Na ja, weißt du, ich-“ „Faith, sieh einer an!“ Joel stieß just in diesem Moment die Eingangstür der Arena auf, ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. „Du bist auch hier, wunderbar. Nein ehrlich, das freut mich.“ „Ach nein, wie schön für dich. Back dir ‘nen Keks.“ Faith lehnte sich sofort trotzig gegen die Wand und betrachtete ihren Erzrivalen. „Du erinnerst dich noch an unsere kleine Wette, die wir bei der Berghütte ausgemacht hatten, nicht wahr?“ Joels Grinsen wurde nur noch breiter, als er das Kopfnicken von Faith vernahm. „Gut, ich habe nämlich gestern ein starkes Glutexo gefangen, während ihr euch beim Planschen in den heißen Quellen amüsiert habt. Und das hier ist das Ergebnis meines Fleißes.“ Stolz streckte er Faith den Lavaorden entgegen. „Das… Nein!“ Faiths Gesichtszüge entglitten ihr vollständig, als sie den Orden in seiner Hand sah und hinter ihm nun Anja aus der Arena kam. „Nein!“, stieß Faith noch einmal aus, ihre Hand ging wie ferngesteuert zu Taubsis Pokéball und umklammerte ihn. Sie hatte ihre Wette verloren. Kapitel 23: Du spielst mit mir ------------------------------ Herzlichen Glückwunsch an zum dritten Platz beim Wettbewerb. Es wird in diesem Kapitel ihr gewähltes Pokémon für einen Wunschchara offenbart, also freut euch auf ein neues Teammitglied für einen Chara :) -------------------------------------------------------- „Nein“, stammelte Faith noch einmal und begann zu zittern, weil sich ihre Finger so stark um den Pokéball ihres ersten selbstgefangenen Pokémon ballten. Ihr Herz stolperte immer wieder und Adrenalin beschleunigte es nur noch weiter. Erst, als die Wand ihr gegen den Rücken knallte, merkte sie, dass sie rückwärts gestolpert war. „So war es abgemacht.“ Seelenruhig steckte Joel den Lavaorden in eine Metallbox. Beim Öffnen konnte man bereits den Sichelorden aufblitzen sehen. Anschließend fuhr der Braunhaarige sich durch die Haare, grinste schmal und legte den Kopf schief. „Komm schon, Faith, du benimmst dich kindisch. Eine Wette ist eine Wette und wenn du gewonnen hättest, würdest du Smettbo doch auch haben wollen. Also? Ich warte. Und ich habe ganz sicher nicht ewig Zeit.“ Sie schnaubte, verschluckte sich dabei und blinzelte die Tränen in ihren Augen weg. „Faith…“ Besorgt blickte Mira zu ihr und wollte gerade auf sie zugehen, da hob Faith die freie Hand und schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut, Mira. Er hat recht, es war so abgemacht.“ Anja blinzelte neugierig zwischen den versammelten Jungtrainern hin und her, zuckte schließlich mit den Schultern und ging wortlos zurück in die Arena, wo sie immerhin noch Itsuki sitzen hatte, weil sie sich mit ihm treffen wollte. Joels Kopf kam wieder in die Senkrechte, dann ließ er seine Mundwinkel wieder nach unten gleiten und blickte Faith einfach nur noch ausdruckslos an. „Du gibst mir Taubsi?“ Faith schluchzte, setzte sich in Bewegung, rammte ihm den Pokéball in die Hand und stolperte die Treppen der Veranda runter. Tränen liefen ihr die Wangen runter. Sie kam sich wie ein totaler Idiot vor, wie hatte sie sich nur auf diese bescheuerte Wette einlassen können? Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich zu ihm um und ballte die Fäuste. „Und wenn du Taubsi nicht gut behandelst, dann komme ich persönlich zu dir und sorge dafür, dass dein Arsch auf Grundeis geht und du nie wieder auch nur einen Pokéball anrühren wirst, verstanden?“ Joel lachte auf, drehte den Pokéball geschickt in den Fingern und schlenderte die Treppe runter, bis er direkt vor Faith stand. „Das willst du also tun?“ „Das schwöre ich dir!“, zischte sie zurück, verengte die Augen und begann im nächsten Moment wieder zu weinen, sodass sie die Hände vor ihr Gesicht hob und ihr ein paar türkisene Haarsträhnen über diese fielen. Belustigt schaute Joel auf sie herab und legte im nächsten Moment die Arme um sie, was sie zusammenzucken ließ. „Das ist ja wirklich nett von dir, aber warum hast du diese heroische Ader nicht schon bei der Berghütte raushängen lassen? Kein Trainer, der wirklich erfolgreich sein will, würde sein Pokémon bei so einer bescheuerten Wette verhökern. Du bist naiv, temperamentvoll und dumm, Faith Loraire. Betrachte deine Lektion als gelernt, hm?“ Sie hatte aufgehört zu schluchzen, starrte einfach geradeaus zwischen ihren Fingern hindurch auf sein Shirt, das frisch gewaschen roch. Irritiert blickte sie zu ihm hoch und wusste nicht, was sie auf einmal von ihm halten sollte, da schob er sie auch schon von sich und klopfte sich die Hände ab, als würde er es bereuen sie auch nur angefasst zu haben. „Außerdem kann ich mit so einem schwachen Pokémon, wie es deine sind, sowieso nichts anfangen.“ Er warf ihr den Pokéball von Taubsi zu, drehte sich um und winkte beim Gehen. „Man sieht sich.“ Noch immer war Faith sprachlos, drückte jedoch den Pokéball an sich und sah noch einige Minuten lang zu der Stelle, an der sie ihren Rivalen aus den Augen verloren hatte. „Da hattest du ja noch einmal richtiges Glück“, bemerkte Mira ebenfalls erstaunt von der Veranda aus und ging dann zu ihrer Freundin. „Ich denke, du solltest jetzt nicht gegen Anja kämpfen.“ „Er ist ein Idiot…“ „Was?“ Mira hob die Augenbrauen und musterte Faith lange. „Meinst du Joel?“ „Er ist so ein Idiot, wie konnte er mir das antun! Er spielt mit mir, dieses Arschloch!“ Wütend stampfte sie auf den Boden, schüttelte vehement den Kopf, steckte den Pokéball zurück an ihren Gürtel und ignorierte das Brennen ihrer Augen, als sie wie eine Naturgewalt durch die Straßen von Bad Puvicia rannte. Sie wollte einfach nur noch raus aus der Stadt. Weg von Mira, weg von Itsuki, weg von der Arena – und vor allem weg von Joel, der so gut gerochen hatte und einen so beruhigenden Herzschlag gehabt hatte. Irgendwo außerhalb der Stadt auf dem Weg zum Vulkan blieb sie stehen, guckte in den Himmel und stellte sich vor, dass eine der Wolken Joels Gesicht war. „Ich hasse dich!“ Von Zorn und undefinierbaren Gefühlen übermannt schloss sie die Augen. „Ich hasse dich…“ „Vol?“ Erschrocken drehte Faith sich zu dem Geräusch um und blickte direkt zu einem Voltilamm, das in ihrer Nähe graste und ihren kleinen Gefühlsausbruch mit regem Interesse verfolg zu haben schien. „Was glotzt du so?“ „Voltilamm!“ Das Elektropokémon sprang pikiert auf und begann kleine Stromstöße in seinem flauschigen Fell aufzuladen. „Lamm!“ „Ach sei doch still.“ Faith betätigte Bibors Pokéball und entließ ihren Starter, der sich sofort kampfbereit in die Luft erhob und auf Faiths Befehl hin eine Ladung Giftstachel auf das Schaf abschoss. Voltilamm wurde hart getroffen, purzelte vergiftet zurück und konterte mit einem Donnerschock, der Bibor ziemlich zusammenzucken ließ. Daraufhin setzte Bibor mit einer schnellen Kombination aus Tackle und einem weiteren Giftstachel nach, bis Voltilamm besiegt liegen blieb und Faith ihren Starter zurück in den Pokéball holte. Einen Moment zögerte Faith, schüttelte dann den Kopf und angelte nach einem leeren Pokéball, den sie auf Voltilamm schmiss. Sie sah zu, wie der Ball das Schaf einsog, wackelte und schlussendlich ruhig liegen blieb. Wie ferngesteuert hob sie den Ball auf, hängte ihn zurück an ihren Gürtel und spürte, dass die Wut und der Zorn auf Joel durch den schnellen Kampf gerade eben verpufft waren. Mit dem Fuß kickte sie einen Stein vor sich her, schlug jedoch weiterhin den Weg zum Vulkan ein und suchte sich eine freie Stelle etwas abseits des Weges, wo sie sich hinsetzte und einfach nur das Sommerwetter genoss, bis ihr die Idee nach einem Training kam. Sie würde sich nicht noch einmal so von Joel vorführen lassen, denn immerhin war sie Faith Loraire, der zukünftige Pokémonchampion! Kapitel 24: Wer A sagt, muss auch B sagen ----------------------------------------- Liebe , ich gratuliere dir zum 2. Platz bei meinem Wettbewerb und in diesem Kapitel wird deshalb dein Charakter Anzu auftauchen. :) http://animexx.onlinewelten.com/fanart/1667177/ Ich möchte mich zudem herzlich für 14 Abonnenten und 80 Kommentare bedanken Momentan überlege ich mir eine kleine Überraschung für den Tag, an dem die 100 Kommis voll werden. ------------------------------------------------------------ Es wurde Abend und die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, wodurch bereits ein leichter Orangeschimmer über die Berge ragte und den Vulkan von Bad Lapidia in ein romantisches Licht tauchte. Nur schade, dass Faith so eine romantische Szenerie momentan gar nicht sehen wollte und deshalb mürrisch auf einem breiten Stein saß. Taubsi hatte auf ihrer Schulter Platz genommen und zupfte sich die vom Training zerzausten Federn zurecht, weshalb immer wieder einzelne Federn gegen Faiths Wange knallten, was die Trainerin jedoch nicht zu stören schien. Bibor lag auf dem Rücken im schaute hinauf in den Himmel, wo es den vorbeiziehen Wolken Formen gab und sie allesamt mit Pokémonfutter assoziierte, weil es mittlerweile doch recht hungrig war. Und Voltilamm, der Neuzugang in Faiths Team, schmiegte sich an die Beine der Trainerin, mähte leise vor sich hin und kaute auf einem Grashalm herum. Plötzlich vernahm Faith Schritte und dachte schon, dass Mira oder Itsuki – womöglich sogar Joel – nach ihr suchten, doch bereits im nächsten Moment machte sich Enttäuschung in ihr breit, als eine ihr unbekannte Trainerin den Weg entlangging und anhielt, als sie Faith sah. „Huch, wieso sitzt du denn hier? Es wird bald dunkel.“ Das Mädchen schien nur ein wenig jünger zu sein als Faith und auf ihrer Schulter saß ebenfalls ein Taubsi, das neugierig gurrte, als es Faiths Taubsi sah. Sogleich erhoben sich beide Vogelpokémon in die Luft und flogen einige Runden zusammen, ehe sie zu ihrer jeweiligen Trainerin zurückkehrten. „Ich habe hier trainiert“, meinte Faith schließlich gedehnt, stand auf und klopfte sich den Schmutz von der Hose. „Aber eigentlich wollte ich jetzt auch langsam zurück nach Bad Lapidia.“ „Das trifft sich gut, da muss ich auch hin.“ Die Kleine mit den hüftlangen, rosa Haaren und ebenso rosa Augen lächelte freundlich und wartete, bis Faith ihre drei Pokémon zurück in die Pokébälle geholt hatte. „Ich muss zur Arena, Anya heißt die Leiterin, glaube ich.“ „Ja. Anya.“ Faith nickte und schlenderte neben der Unbekannten den steinigen Pfad entlang, den sie früher am Tag erst hinauf gestampft war. „Willst du gegen sie antreten und den Lavaorden gewinnen?“ „Ich und in der Arena kämpfen? Nee, sicher nicht.“ Die Rosahaarige kicherte und schien über den Gedanken sichtlich amüsiert zu sein, zupfte dann aber an ihrem Fischernetzärmel und grinste breit. „Ich bin Janinas Schülerin – ein Ninja. Kennst du Janina?“ Faith schüttelte den Kopf, dachte dann erst nach und bemerkte bald, dass es ihr doch ein wenig dämmerte. „Warte mal, gibt es in Kanto nicht eine Arenaleiterin, die so heißt? Janina, meine ich?“ „Ganz genau. Janina musste hier in Bad Lapidia etwas erledigen und hat das mit einem Treffen mit Anya verbunden. Ich bin nur mitgekommen, weil Janina darauf bestanden hat. Den Tag über habe ich oben am Vulkan trainiert – schon komisch, dass ich mittlerweile so viel Spaß am Pokémontraining habe.“ „Pokémon zu trainieren macht doch auch Spaß“, entgegnete Faith irritiert und konnte sich nicht vorstellen, wie jemand das nicht mögen könnte, wenn sie Mira wegen ihrer Schüchternheit einmal außen vor ließ. „Erklär mir das mal.“ „Also gut. Aber bevor ich es vergesse, ich bin Anzu.“ Freundlich lächelnd streckte Anzu ihr die Hand hin und erwiderte gut gelaunt Faiths festen Händedruck. „Ich wollte nie eine Pokémontrainerin sein, nie. Ich mochte Pokémon nicht wirklich, aber Janina hat mich nach Alabastia zu Professor Eich geschleppt und er hat mir ein Taubsi gegeben.“ An der passenden Stelle gurrte ihr Taubsi und plusterte stolz sein Gefieder auf. „Du kannst dir sicher denken, dass ich am Boden zerstört war, aber es kam noch schlimmer.“ Faith hob abwartend eine Augenbraue in die Höhe. „Als ich im Labor war, ist ein männliches Nidoran aus einem Ei geschlüpft und es sah mich. Irgendwie muss es mich für seine Mama gehalten haben, jedenfalls ist es mir hinterhergelaufen und dann hat der Professor es mir einfach so anvertraut. Das war der schlimmste Tag in meinem Leben – jedenfalls habe ich das damals gedacht.“ Grinsend zuckte Anzu mit den Schultern. „Heute bin ich richtig froh, dass ich mein Team habe. Taubsi ist immer für mich da und Nidoran ist mittlerweile ein stattliches Nidoking geworden. Dann wären da auch noch mein Arkani, Lapras und ein Shiny Knofensa, das ich mehr durch Zufall gefunden habe.“ „Wow, das klingt ziemlich beeindruckend. Dagegen ist meine Vita kurz und schmerzlos. Das bedeutet dann, dass du niemals aufgegeben hast und immer trainiert hast, bis du mit deinen Pokémon so ein gutes geworden bist, nicht wahr?“ Anzu nickte und streichelte Taubsi am Kopf. „Genau. Janina hat immer gesagt, dass sie nichts Anderes von mir erwartet hätte. Oh, da vorne ist auch schon die Stadt. Wir müssen heute Abend noch abreisen, viel Zeit bleibt mir gar nicht mehr. Schade eigentlich, dabei wollte ich noch die heißen Quellen ausprobieren. Wie heißt du eigentlich?“ „Faith. Entschuldige meine schlechten Manieren, ich bin heute ein wenig durch den Wind. Faith Loraire ist mein Name, ich bin auch Pokémontrainerin. Mein Team hast du vorhin ja schon gesehen.“ „Du wirkst etwas niedergeschlagen, Faith. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?“ Faith lachte in sich hinein und schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Ich habe einen Rivalen und der setzt mir irgendwie immer dann zu, wenn ich am verletzlichsten bin.“ Die Wut über Joel kehrte in einer tosenden Welle zurück und brach über Faith zusammen. „Ich hasse ihn, er macht sich ständig über mich lustig und meint mich aufziehen zu müssen. Er hält sich für den nächsten Pokémonchampion und erkennt mich nicht einmal als Konkurrenz an, womit er momentan sogar recht haben könnte, weil ich mich total blöd anstelle und auf der Stelle trete!“ „Es geht mich zwar nichts an, aber ich bin immer so neugierig. Erzähl mir mehr, bitte!“ In Anzus Augen blitzte reges Interesse auf, was Faiths machtlos seufzen ließ. „Na schön. Wir haben einmal gegeneinander gekämpft und da hat er meine Pokémon regelrecht in den Boden gestampft. Er ist ein wahnsinnig guter Trainer, das muss ich zugeben, aber das darf er natürlich nie aus meinem Mund hören. Mein Traum ist es schon immer Pokémonchampion zu werden, aber auf einmal ist jemand wie Joel da und bedroht diesen Traum.“ „Und davon lässt du dich unterkriegen? Ich sage dir jetzt mal was, Faith. Ein Ninja gibt niemals auf, ein Ninja weiß jedoch, wann es strategisch besser ist sich zurückzuziehen. Du darfst dich niemals von ihm unterbuttern lassen, niemals unterkriegen lassen, verstanden? Wenn es dein Traum ist, dann halte an ihm fest. Wer A sagt, muss auch B sagen. Gib niemals auf und sei wie ein Fluss, verstanden? Immer in Bewegung sein, niemals still stehen und mit der Zeit können selbst riesige Felsen gebrochen werden.“ „Anzu, da bist du ja! Wir wollen fahren, kommst du?“ Anzu blickte Faith energisch in die Augen, drehte sich dann zu der Stimme um und winkte einer jungen Frau. „Ich bin gleich da, Janina!“ Schnell wandte sie sich wieder Faith zu. „Verstanden?“ „Niemals aufgeben, wie ein Fluss sein. Ja, ich glaube, das habe ich verstanden. Danke, Anzu.“ Sie nickte dem Mädchen zu und lächelte es freundlich an. „Vielen Dank.“ „Keine Ursache.“ Anzu zuckte kurz mit den Schultern, dann drehte sie sich um und lief wie ein kleiner Wirbelwind zu Janina, mit der sie hinter der nächsten Straßenbiegung verschwand. „Wie ein Fluss“, murmelte Faith leise vor sich hin, ballte die Hände zu Fäusten und entspannte sie kurz darauf wieder. „Ich bin wie ein Fluss und ich werde Joel brechen.“ Aber zuerst musste sie sich bei Mira entschuldigen, dass sie einfach fortgerannt war und sie stehen gelassen hatte. Mit neuem Mut und neuem Tatendrang kehrte Faith ins Pokémoncenter zurück und wusste, dass ein Teil von ihr sich verändert hatte. Sie war auf dem besten Weg, eine ganz neue Faith zu werden. Kapitel 25: Familienbande ------------------------- „Faith!“ Mira und Itsuki sprangen gleichzeitig aus den breiten Clubsesseln des Pokémoncenters auf und stürmten auf ihre Begleiterin zu, die soeben den Raum betrat und zusammenzuckte, als sie schräg neben sich ihren Namen so lautstark hörte. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Wo warst du?“ Mira schob Itsuki zur Seite und fiel Faith erleichtert um den Hals, drückte sie an sich und ließ nur widerwillig von der Freundin ab. „Wie konntest du mir das antun? Itsuki und ich haben die ganze Stadt nach dir abgesucht!“ „Tut mir leid“, murmelte Faith entschuldigend und schaute zu Itsuki, in dessen Augen eine Mischung aus Erleichterung und Neugierde aufblitzte. „Ich denke, ich habe einfach die Nerven verloren. Joel ist ein Arschloch.“ „Joel und Trixi sind übrigens schon abgereist. Sag beim nächsten Mal wenigstens kurz bescheid, wenn du dich zurückziehst.“ Itsuki schnaubte und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Und so wie ich dich einschätze, hast du am Vulkan trainiert, nicht wahr?“ Faith staunte nicht schlecht über die messerscharfe Auffassungsgabe ihres kühlen Begleiters, nickte jedoch und reichte dann Schwester Joy ihre drei Pokébälle. Natürlich bemerkte sie augenblicklich die fragenden Blicke ihrer Begleiter und mit Stolz in der Stimme berichtete Faith ihnen von ihrem neuen Teammitglied Voltilamm. „Ich habe jetzt allerdings einen tierischen Hunger und werde die halbe Kantine leeren. Ein Relaxo ist nichts dagegen.“ Nach dem Abendessen saßen die drei Jungtrainer im Foyer des Pokémoncenters und unterhielten sich über dies und das. Mira hatte ihr Evoli auf dem Schoß und das kleine, braune Pokémon döste dort vor sich hin, nur ab und an zuckten seine Ohren, wenn es einen interessanten Gesprächsfetzen aufschnappte. Itsuki hatte seinen Schneppke aus dem Pokéball gelassen und sein Starter spielte mit Faiths Voltilamm, das sich als richtiges Energiebündel erwies und sich auf Anhieb blendend mit Schneppke verstand. Faith, die kurz mit ihren Eltern in Litusiaville telefoniert hatte, kam lächelnd zu Itsuki und Mira zurück und setzte sich in ihren Sessel. „Meine Eltern lassen euch schön grüßen. Sie freuen sich schon darauf, wenn wir in Litusiaville sind und bei mir zu Hause vorbeischauen. Sie möchten euch wirklich gerne kennen lernen.“ „Deine Eltern haben dort ein Restaurant, wenn ich mich richtig erinnere?“ Itsuki legte seine Stirn in Falten und lächelte schließlich. „Dann müsstest du eigentlich besser kochen können.“ Faith schnitt ihm eine Grimasse, bestätigte jedoch den Beruf ihrer Eltern. „Ja, wir wohnen direkt am Strand, das ist wunderbar. Ich bin immer mit dem Rauschen der Wellen eingeschlafen und am nächsten Morgen wieder aufgewacht. Ihr werdet es lieben, da bin ich mir sicher.“ „Was machen deine Eltern, Mira?“ Das schüchterne Mädchen wandte Itsuki mit einem schmalen Lächeln den Kopf zu und strich liebevoll über Evolis Kopf. „Mein Vater ist ein Pokémonforscher und ständig unterwegs. Wir sind oft umgezogen, aber meine Mutter ist sehr bodenständig und hat seine windige Art immer gemeistert. Meine kleine Schwester kommt total nach meinem Vater, sie ist ein richtiger Wirbelwind. Und was ist mit deiner Familie, Itsuki?“ Gespannt schauten sowohl Mira als auch Faith ihn an, merkten jedoch beide sofort die Veränderung in seinen Augen, weshalb Mira ihre Nachfrage im nächsten Moment schon wieder leid tat. Itsuki spürte Wut in sich aufkeimen, kalte Wut, die er mit ebensolcher Kälte unterdrücken konnte. Sein Blick wurde hart, er schaute zu Schneppke, das sein Spiel mit Voltilamm unterbrochen hatte und ihn starr musterte. „Meine Eltern leben getrennt“, meinte Itsuki schließlich und räusperte sich. „Ich lebe mit meinen beiden älteren Schwestern bei meiner Großmutter, der Mutter meines Vaters. Mehr gibt es darüber nicht zu erzählen.“ Faith hatte bei der Verteilung des Taktgefühls weitaus weniger abbekommen als Mira und öffnete bereits zur Nachfrage den Mund, doch Miras saftiger Tritt gegen ihr Schienenbein ließ ihre Lippen in einem stummen Schmerzenslaut verziehen. „Das tat weh“, zischte sie Mira zu, die lediglich eine deutliche Rosafärbung auf den Wangen bekam und den Blick senkte. Im nächsten Moment erschien Schwester Joy neben ihnen, den Mund zu einem freundlichen Lächeln verzogen. „Mireillia, es ist jemand für dich am Telefon. Deine Schwester.“ „Kohana?“ Ungläubig hob Mira die Augenbrauen, zog diese jedoch schnell zu einem Strich zusammen und presste die Lippen aufeinander. „Na schön, ich komme.“ Sie erhob sich, doch lag Unsicherheit in jeder Bewegung, als sie Schwester Joy folgte. „Wirst du bald gegen Anja kämpfen?“ Itsukis Themenwechsel kam prompt auf Miras Abwesenheit und Schneppke entspannte sich zeitgleich mit seinem Trainer wieder. „Ich werde mir Zeit beim Training lassen. Bibor braucht dringend ein paar neue Moves und mit Voltilamm muss ich erst üben. Danach aber schon, ja. Was mich allerdings schon die ganze Zeit über“, sie pausierte kurz, „interessiert, ist die Frage, ob Mira und du in meiner Abwesenheit wirklich die ganze Stadt nach mir abgesucht habt.“ „Sicher“, antwortete Itsuki mit schneidender Sachlichkeit in der Stimme, als wäre Faiths Frage vollkommen abstrus. „Mira ist beinahe verrückt geworden, ich habe sie beruhigt und dann haben wir gesucht. Als du allerdings nach ein paar Stunden noch nicht wieder aufgetaucht warst, dachte ich mir schon, dass du trainieren wirst. Beim letzten Mal warst du auch so kopflos, als Joel dich aus der Fassung gebracht hat.“ „Damals haben wir und kennen gelernt, ja. Ich hatte Fieber bekommen. Dumme Sache.“ Ihr Mund wurde plötzlich ein wenig trockener, als sie sich ausmalte, wie genau Itsuki Mira beruhigt hatte. Ob er sie in den Arm genommen hatte? Ein leichtes Stechen in ihrer Brust, das eindeutig den Namen Eifersucht trug, ließ sie aufschrecken. Nein, an so etwas würde sie nicht denken. Da Itsuki nichts weiter dazu sagte, schwieg auch Faith und schaute dem Spiel von Schneppe und Voltilamm zu. Das Elektroschaf mähte immer wieder vergnügt und trabte nach einer Weile zu Faith, um ihre Hand anzustupsen. „Willst du zurück in den Pokéball?“ Auf das Nicken ihres Pokémon hin zückte Faith den Pokéball und ließ Voltilamm in dem rötlichen Strahl verschwinden. Kurz darauf trat Mira zu ihnen, war jedoch sehr blass um die Nase und wirkte vollkommen neben der Kappe. „Was ist los?“ „Schlechte Nachrichten?“, erkundigte sich nun auch Itsuki besorgt und beugte sich nach vorne. Mira schüttelte den Kopf, hielt dann aber inne und nickte doch. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf ihren Platz sinken und kuschelte Evoli an sich. „Meine kleine Schwester, sie will unbedingt in die Fußstapfen unseres Vaters treten. Das war schon immer ihr Wunsch, aber jetzt ist sie auch zu ihrer Reise aufgebrochen und sie will mich besuchen kommen! Ihr Anruf kam aus Lapidia, sie nimmt schon morgen früh den Bus hier her!“ „Das ist doch nett, dann lernen wir Kohana kennen. Sie ist bestimmt genau so nett wie du, da musst du doch jetzt nicht so panisch werden“, sprach Faith vollkommen überzeugt und knuffte Mira in die Seite, doch diese blickte Faith einfach nur entgeistert an. „Das ist eine Katastrophe! Kohana und ich sind grundverschieden. Sie ist immer sofort bei allen beliebt und sie ist so offen. Ich dagegen… Nein, das ist schrecklich! Könnt ihr euch nicht vorstellen, wie es ist, immer im Schatten der kleinen Schwester zu stehen?“ Mira seufzte erneut und vergrub ihr Gesicht in Evolis weichem Fell. Das würde eine unruhige Nacht für sie werden. Kapitel 26: Lava und Schnee --------------------------- Es war der nächste Morgen und der Himmel war von einer hellgrauen Wolkendecke getrübt, die nur hin und wieder die wärmenden Strahlen der Julisonne hindurch ließen. In Bad Puvicia war um diese Uhrzeit schon viel los, Kinder gingen zusammen zum Kindergarten und eine Schulklasse machte sich schnatternd auf den Weg zu den heißen Quellen. Die drei Jungtrainer standen jedoch an der einzigen Bushaltestelle des Ortes nahe der Arena und schauten auf den gelben Bus, der immer näher kam. Mira nestelte nervös an ihrem Shirt und seufzte immer wieder, ihr Evoli rieb schnurrend seinen Kopf an ihrem Knöchel. „Ich finde, dass es keine gute Idee ist, wenn Kohana hier bleibt. Sie sollte weiterfahren und gar nicht erst aussteigen.“ „Sie ist deine Schwester und ich möchte sie kennen lernen“, mischte Faith sich sofort ein und schnaubte entrüstet. Sie war Einzelkind, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie man seine eigene Schwester nicht mögen konnte. „Du übertreibst bestimmt total, das wird lustig werden mit Kohana.“ „Als ob du sie kennen würdest“, murmelte Mira und entging Faiths aufgebrachtem Räuspern nur, weil der Bus quietschend vor ihnen hielt und die Türen öffnete. Zuerst trat eine alte Dame mit einem Pantimos aus, wobei das Clownpokémon zwei schwere Einkaufstaschen für die Dame trug. Dann huschte ein rosa Haarschopf nach draußen und im nächsten Moment hatte Mira ihre kleine Schwester am Hals hängen. „Mira, Schwesterherz, hast du mich vermisst?“ Kohanas goldene Augen strahlten wie flüssiges Messing und die taillenlangen, rosa Haare hingen ihr glatt über den Rücken. „Mami hat mir eine Schachtel von deinen Lieblingspralinen für dich mitgegeben, aber ich hatte unterwegs im Bus solchen Hunger und du weißt ja, wie ich diese Vanillecremepralinen liebe. Das macht dir doch nichts aus oder? Nein, natürlich nicht. Ach, Mira, ich freue mich ja so dich wiederzusehen.“ Kohana ließ ihre ältere Schwester, die stocksteif stand und sich nicht rührte, wieder los. „Und ihr seid?“ „Ich bin Faith Loraire und das ist Itsuki Ito, wir reisen gemeinsam mit Mira.“ Faith legte sofort ihr freundlichstes Lächeln auf und schüttelte Kohana die Hand. „War die Fahrt lang?“ „Nein, nein. Alles bestens. Ich wollte nur unbedingt mal zu euch kommen. Das ist ja alles so aufregend, wenn man reist. Entschuldigt meine Neugierde, aber was für Pokémon habt ihr? Sammelt ihr Orden? Mira ja nicht, die würde eh keine gute Trainerin abgeben.“ Mira starrte ihre kleine Schwester ausdruckslos an, klemmte sich ihr Evoli unter den Arm und sprach dann mit einem schnippischen Unterton. „Wenn ihr mich entschuldigt, ich gehe schon vor. Wir treffen uns dann im Pokémoncenter.“ Itsuki wollte gerade etwas sagen, da nickte Faith Mira schon zu und wandte sich wieder an Kohana. „Ich kämpfe um die Orden und stehe kurz vor meinem Arenakampf hier. Mein Team besteht aus Bibor, meinem Starter, Taubsi und Voltilamm. Und Itsuki hat ein Schneppke, Blitza und Igelavar. Er hat auch schon zwei Orden, möchte aber nicht weiter in den Arenen kämpfen. Und was ist mit dir? Sammelst du die Orden?“ „Nein, ich reise einfach nur und möchte, dass meine Pokémon stärker werden. Mein Starter ist Snubbull und dann habe ich noch Miltank, Eneco und Flurmel im Team. Oh ich liebe die Farbe Rosa.“ Kohana kicherte und stemmte dann die Hände in die Hüften. „Aber jetzt mal ganz im Ernst, gebt nichts auf das, was Mira über mich erzählt hat. Sie kommt nicht mit meiner offenen Art klar, was meiner Meinung nach wirklich tragisch ist, aber gut. Wir sind wie Lava und Schnee, wisst ihr? Sie ist der Schnee und ich bin die Lava. Ich bin stur, zäh und habe ein heißes Temperament, doch Mira ist leise, sanft und ruhig. Schnee und Lava, zwei Gegensätze, versteht ihr? Den Vergleich habe ich selbst gemacht, ist toll geworden, nicht wahr? Oh und ich habe heute noch nichts gefrühstückt und muss das erst einmal nachholen, kommt ihr? Nicht rumtrödeln da hinten.“ Gut gelaunt schulterte Kohana ihre rosa Tasche und marschierte zum Pokémoncenter. „Ich mag sie, sie ist locker drauf“, flötete Faith und grinste Itsuki an, doch ihr Grinsen verschwand wieder, als sie seine hochgezogenen Augenbrauen und sein Kopfschütteln sah. „Was?“ Als er ihr nicht sofort antwortete, verengte Faith die Augen und stocherte gegen seine Rippen. „Was.“ „Du hast es nicht bemerkt oder?“ „Was denn?“ Itsuki seufzte, zog Faith an sich und wuschelte ihr durch die Haare. „Du bist echt ein Unikat. Lass uns gehen.“ „Was denn!“ Faith stemmte sich von Itsuki weg und fuhr sich durch die ungeordneten Haare. „Jetzt sag schon, verdammt noch mal!“ Itsuki setzte ein wissendes Lächeln auf, schüttelte den Kopf und folgte Kohana zum Pokémoncenter, wo sie sie zusammen mit Mira im Eingangsbereich der Kantine fanden. „Ach, Mira, es ist schön hier mit dir zu sein. Was hältst du davon, wenn wir heute Mittag gemeinsam zu den heißen Quellen gehen? Nur wir zwei Schwestern, das wird großartig! Wir haben uns ja so viel zu erzählen!“ Mira sah recht unglücklich aus, doch nickte sie und ließ es auch zu, dass Kohana sich bei ihr einhakte und sie in die Kantine zu einem freien Tisch schleifte. „Ich habe auch Hunger, obwohl wir schon gefrühstückt haben.“ Faith setzte sich in Bewegung, wurde aber von Itsuki am Ärmel gepackt und zurückgehalten. „Huch, was hast du denn?“ „Lassen wir die beiden eine Weile alleine, vielleicht können sie sich ein wenig aussprechen.“ Itsuki ließ Faith wieder los und ging zu einem Kühlschrank mit frischen Bentoboxen, aus der er eine nahm und sie Faith reichte. „Hier, fang. Für unterwegs.“ „Wieso für unterwegs, das kapiere ich jetzt nicht.“ Faith betrachtete die Bentobox, bei deren Anblick ihr bereits das Wasser im Mund zusammenlief. „Gehen wir irgendwo hin?“ „Wohin du willst. Hauptsache, wir lassen Mira und Kohana alleine, die zwei können das sicher vertragen. Es wäre nämlich gut, wenn Mira sich endlich wieder mit Kohana vertragen würde, was auch immer da zwischen ihnen vorgefallen ist.“ „Oh“, machte Faith und runzelte die Stirn. „Oh“, kam es erneut aus ihrem Mund und sie blickte Itsuki überrascht an. „Meinst du etwa, die beiden vertragen sich nicht so gut? Das ist mir gar nicht aufgefallen.“ „Natürlich nicht, deshalb sage ich es dir ja jetzt. Also, was sollen wir unternehmen? Egal was, ich lade dich ein.“ Er verschränkte die Arme vor dem Körper, löste das sofort wieder, schnappte sich Faiths Ärmel und zog sie aus dem Pokémoncenter raus. „Das heißt, du willst den ganzen Tag mit mir verbringen? Nur du und ich, alleine?“ Bei dem Gedanken schlugen Faiths Gefühle sofort um und ihr Herz schlug schneller. Sie würde den ganzen Tag mit Itsuki verbringen können, nur sie zwei. Ein warmes Gefühl in ihrer Brust ließ sie lächeln, dann schnappte sie sich seine Hand und grinste ihn an. „Weißt du was? Ich habe sogar eine Idee, wohin wir gehen werden.“ Itsuki ließ geschehen, dass Faith seine Hand umfasste und folgte dem Wirbelwind einfach, wobei weder er noch Faith bemerkten, dass Mira ihnen aus dem Fenster der Kantine hinterher sah. Kapitel 27: Jetzt oder nie -------------------------- Andächtig verneigte Faith sich vor dem Altar aus Holz und Stein, vor dem zwei Kristallphiolen mit Räucherstäbchen standen. In der Mitte befand sich eine Marmorplatte, in deren Mitte der Stein voller Ruß war, da dort Kräuter zu Ehren des Berggeists, dem Vulkanwächter, verbrannt wurden. Itsuki stand am Eingang des kleinen Schreins, der direkt in den Stein gehauen war, und unterhielt sich leise mit Anja, die mit einem Reisigbesen in der Hand bis zu Itsukis und Faiths Ankunft den Schrein gefegt hatte. Lächelnd holte Faith eine der schneeweißen Papierrauten hervor, die am Eingang des Schreins auslagen, und schrieb mit dem Kohlestift vom Altar ihre Botschaft an den Vulkanwächter darauf. Es hieß, dass der Wächter durch das Verbrennen der Botschaft diese erhielt und einem Menschen den Wunsch erfüllen konnte, wenn er die Absichten eines reinen Herzens dahinter erkannte. ‚Lieber Vulkanwächter, meine Pokémon, meine Familie und meine Freunde sollen immer glücklich und gesund sein. Ich möchte tun, was ich kann, um dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Und ich möchte Pokémonchampion werden. Faith‘ Sie drückte den Zettel an sich, faltete ihn dann zusammen und legte den Kohlestift zurück. Mit der rechten Hand griff sie nach einer der Kerzen und zündete mit ihr das Papier auf der Marmorplatte an. Schweigend sah sie zu, wie die glühenden Linien sich durch das gefaltete Papier fraßen und erst schwarze Flecken und dann nichts als Ruß hinterließen. „Fertig.“ Lächelnd drehte Faith sich um und kehrte zu Itsuki und Anja zurück. „Hoffentlich erfüllt der Vulkanwächter meinen Wunsch.“ „So wie ich dich kenne, hast du dir doch irgendetwas Egoistisches gewünscht. Vielleicht dass du besser als Joel bist?“ Itsuki verzog die Lippen zu einem schmalen Grinsen und kassierte dafür einen Klaps gegen die Schulter. „Hör auf, ich bin nicht so oberflächlich, wie du gerade denkst. Echt mal.“ Faith schnaubte und fuhr sich durch die Haare, dabei bemerkte sie den Ruß an ihren Fingern und wischte ihn an ihrer Hose ab. „Anja, ich würde auch gerne mal kurz mit dir reden.“ Die hübsche Arenaleiterin warf Itsuki einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und blickte zu seiner Begleiterin. „Dann sprich“, meinte Anja kurz angebunden und wirkte schon wieder so, als wäre ihr alles hier viel zu lästig. „Ich möchte dich herausfordern. Nein, warte, lass mich kurz ausreden. Ich habe mit meinen Pokémon trainiert und ich habe auch die drei Pokémon, die ich laut Regeln brauche. Ich möchte dich herausfordern und mit dir um den Lavaorden kämpfen. Versteh es bitte nicht falsch, Bad Puvicia ist eine schöne Stadt, aber mich hält es nicht lange an einem Ort und es gibt noch so viel für mich zu sehen, da möchte ich endlich weiterreisen können. Also nimmst du meine Herausforderung an?“ Anja zog die Mundwinkel nach unten und strich sich eine rote Haarsträhne hinter das Ohr. Sie lehnte den Reisigbesen gegen die Schreinmauer und zog die Augenbrauen skeptisch in die Höhe. „Nein.“ „Nein?“, wiederholte Faith ungläubig, wurde aber von Anja schnell zur Ruhe gebracht. „Ich werde morgen nach Hoenn aufbrechen, um meine Cousine Flavia zu besuchen. Ich werde eine ganze Woche weg sein und in der Zeit ist die Arena geschlossen. Du kannst mich also nicht herausfordern, wenn du unbedingt weiter willst. Du wirst dich wohl noch eine Woche gedulden müssen.“ „Itsuki“, zischte Faith sofort und boxte ihm erneut gegen die Schulter. „Du wusstest das doch bestimmt, du hättest mir auch etwas sagen können!“ Sie setzte einen beleidigten Schmollmund auf, benahm sich aber sofort wieder, als sie sah, dass Anja ein schmales Lächeln auf den Lippen hatte. „Anja, ich möchte so gerne gegen dich antreten, bitte!“ Sie seufzte und warf ihre Haare über die Schulter, dabei seufzte sie theatralisch. „Na schön, dann kämpfen wir jetzt gleich. Jetzt oder nie, eine gute Arenaleiterin muss immer bereit für einen Herausforderer sein. Wir werden hier vor dem Schrein auf der Straße kämpfen, alles klar? Also? Deine Antwort?“ Das ging ja schnell. Faith hatte kaum ihren Unmut herunterschlucken können, da war Anja schon auf ihre Herausforderung eingegangen und führte sich dabei wie ein vom Schicksal geschundenes Kind auf. Faith rieb ihre Zahnreihen aufeinander, dann erwachte der Kampfgeist wie ein zündender Funke in ihr und sie nickte. „Alles klar, ich werde nicht ablehnen. Jetzt gleich? Ich bin dabei.“ Anja lachte zufrieden und wandte sich mit einem Lächeln zu Itsuki um. „Das wird ein Spaß. Du hattest wirklich Recht, sie ist eine Kämpfernatur, das gefällt mir.“ Mit Entzücken im Blick trat Anja neben Faith und ging dann vom Schreib weg zum Kopfsteinpflaster der Straße, die ins Zentrum von Bad Puvicia führte. „Ich nehme an, dass du die Regeln kennst? Jeder hat drei Pokémon zur Verfügung und wer zuerst alle drei Pokémon des Gegners besiegt, hat gewonnen. Wenn du gewinnst, verleihe ich dir den Lavaorden und damit auch den zweiten Orden der Finera-Region. Wenn ich allerdings gewinne, wirst du dich eine Woche lang gedulden müssen bis zu unserem zweiten Kampf. Alles klar soweit?“ „Alles klar, es kann losgehen.“ Faith griff bereits zu ihrem ersten Pokéball, da lachte Anja amüsiert und schüttelte den Kopf, was Faith mitten in der Bewegung innehalten ließ. „Was ist?“ „Ich sagte zwar, dass wir hier kämpfen, aber jetzt doch nicht. Ich bitte dich, denkst du, ich will mit meinen schmutzigen Sachen antreten?“ Anja stieß einen kehligen Laut aus, als wäre Faiths Verhalten vollkommen unverständlich. „Ich werde jetzt nach Hause gehen, ein heißes Bad nehmen und mich umziehen. Wir treffen uns in drei Stunden wieder hier. Also wirklich.“ Faith konnte nichts tun außer zu nicken und Anja verwundert anzuschauen. Schließlich schüttelte Faith jedoch den Kopf und trat neben Itsuki. „Ist die immer so?“ „So ziemlich“, entgegnete dieser kühl und schaute auf die Uhr. „Wir sind schon ein paar Stunden weg, Mira und Kohana müssten sich langsam ausgesprochen haben. Sollen wir zurück gehen?“ Faith schaute zu Anja, die bereits die Straße in Richtung ihres Hauses ging, und zuckte mit den Schultern. „Nein, ich werde mir auch nochmal einen Besuch bei den heißen Quellen gönnen. Wenn ich den Orden gewinne, reisen wir ja bald weiter und dann komme ich nicht mehr dazu.“ Itsuki nickte und verschränkte die Arme vor dem Körper. Faith würde also noch heute gegen Anja kämpfen. In t minus drei Stunden. Kapitel 28: Abschied für immer? ------------------------------- Faith hatte die drei Stunden bis zum Kampf gut hinter sich gebracht. Eigentlich war die Zeit sogar sehr schnell vorangeschritten, denn sie saß auf der Terrasse des Pokémoncenters, in der einen Hand einen köstlichen Eisbecher mit Vanilleeis, frischen Erdbeeren und Sahne und in der anderen Hand ein Buch über Trainingsmethoden, das sie sich von Schwester Joy geliehen hatte. Mira und Kohana waren, so hatte Schwester Joy gesagt, gemeinsam ein wenig spazieren gegangen, Faith hatte sie gerade verpasst, dachte aber auch nicht weiter darüber nach. Itsuki saß ebenfalls auf der Terrasse, im Gegensatz zu Faith zog er jedoch einen schattigen Platz unter dem großen Sonnenschirm vor. Neben ihm stand auf einem weißen Gartentisch ein Banana-Split-Eisbecher mit viel Schokosoße. Hätte er Faith nicht auf den Termin aufmerksam gemacht, wäre sie wohl glatt zu ihrem eigenen Arenakampf zu spät gekommen. Nun stand Faith jedoch kampfbereit auf dem Kopfsteinpflaster, ihr Starter Bibor schwebte vor ihr in der Luft und fixierte Anjas erstes Pokémon, ein Fukano. „Bist du bereit?“ Anja hatte ihre langen, roten Haare zu einem Zopf gebunden, aus dem nicht ein einziges Haar herausstach. Faith nickte ihr zu und spürte, wie ihr Herz durch das Adrenalin schneller zu schlagen begann. „Bibor, bist du startklar?“ Als ihr Starter mit einem Kopfnicken antwortete, begann Anja zu lächeln. „Dann lass uns beginnen. Fukano, Glut!“ „Bibor, ausweichen und dann Giftstachel!“ Die beiden Pokémon setzten sich blitzschnell in Bewegung. Fukano sauste nur so über den Boden auf Bibor zu und sprang vor dem Käferpokémon, das gegen Feuerattacken im Nachteil war, in die Luft. „Fuka!“ Es öffnete sein Maul und spuckte eine Salve Glut auf Bibor, doch Faiths Starter war geschickt und wendig, solange es sich in der Luft befand. Mit einer Schraube nach rechts wich Bibor aus und schoss gleichzeitig Giftstachel aus seinem linken Speer. Fukano wurde noch im Flug getroffen und war vergiftet, als es auf dem Boden aufkam. „Fukano, bleib am Boden, da bist du im Vorteil!“ Anja schaute etwas zerknirscht drein, war jedoch hochkonzentriert und ging im Kopf einige Strategien durch. „Denk daran, du bist im Vorteil gegen Bibor! Nochmal Glut!“ Dieses Mal hatte Bibor nicht so viel Glück, es wurde frontal an der Brust von den Glutkugeln getroffen und strauchelte etwas in der Luft. „Bibor“, zischte es dennoch kampflustig und in seinen Augen blitzte Zuversicht auf. Es würde sicherlich nicht aufgeben, solange es noch nicht Anjas Arkani gegenüber gestanden hatte. Faith wusste, dass ihr Starter sich verausgaben würde, doch ihr war auch klar, dass Bibor auf schnelle Treffe angewiesen war. Je länger der Kampf dauerte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass Fukano kritische Treffer landen konnte. Sie knirschte mit den Zähnen und analysierte Fukanos Bewegungen. Als ich auffiel, dass Fukano noch ein junges Pokémon war, kam ihr eine Idee. „Bibor, Fukano ist kein guter Kämpfer, dafür ist es noch zu jung!“ Anja blickte überrascht zu Faith und ein Glitzern legte sich in ihre Augen. „Du bist gar nicht so schlecht, wie ich dich eingeschätzt habe.“ Sie kicherte leise. „Fukano, nochmal Glut!“ „Bibor, geh aufs Ganze! Halt drauf! Setz Duonadel ein!“ Fukano flitzte erneut über das Kopfsteinpflaster auf Bibor zu, doch Bibor flog ihm bereits mit voller Wucht entgegen und rammte dem Feuerpokémon beide Speere in die Seiten, noch bevor Fukano zum Angriff kam. Anjas Pokémon jaulte auf, blieb jedoch auf dem Boden liegen und war besiegt. „Fukano, komm zurück. Jetzt wird es nicht mehr so einfach für dich sein, Faith. Ich weiß jetzt, dass ich dich nicht länger unterschätzen werde.“ Anja grinste und entließ ein zweites Fukano auf das Kampffeld. „Fukano, Flammenblitz!“ Ihr zweites Fukano bellte und im nächsten Moment war sein Körper von Flammen umgeben. Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit sprang es auf Bibor zu und rammte es zu Boden, wurde jedoch auch vom Rückstoß erwischt. Bibor hatte keine Chance, die Attacke war zu stark und es zuckte noch einige Male mit den Flügeln, konnte sich jedoch nicht mehr aufraffen. Faith verengte für einen Moment die Augen, dann holte sie ihr Bibor in den Pokéball zurück. Es stand 1 zu 1, noch war nichts entschieden. „Taubsi, ich verlasse mich jetzt auf dich!“ Ihr Taubsi befreite sich aus seinem Pokéball, gurrte freundlich und drehte eine Runde über dem Kampffeld. Mit geschlossenen Augen genoss es die warme Sommersonne auf seinem Gefieder und schien keine Anstalten zu machen sich seinem Gegner zuzuwenden. „Taubsi!“ Faith fuhr sich durch die Haare und warf ihrem Pokémon einen ärgerlichen Blick zu. „Da unten ist dein Gegner, jetzt mach schon!“ „Tau tau tau“, gurrte Taubsi und bewegte dabei den Kopf hin und her, als würde es Faith nachäffen. Dennoch schlug es nun mit den Flügeln und positionierte sich schräg über Fukano, auf einen Befehl von Faith wartend. „Fukano, Glut-Attacke! Hol das Federvieh vom Himmel!“ „Taubsi, Sandwirbel!“ Fukano schoss augenblicklich die Glut ab, es konnte viel schneller reagieren als sein Vorgänger, doch Taubsi ignorierte den Treffer einfach und schlug heftig mit den Flügeln, sodass der Sand und kleine Erdkrümel aufgewirbelt und gegen Fukano geschleudert wurden. Das Hundepokémon winselte leise und trat ein paar Schritte zurück, als der Sand in seine Augen flog und es nicht mehr so genau sehen konnte. „Sehr schön, Taubsi!“ Sie hatte doch gewusst, dass sie sich auf ihr Taubsi verlassen konnte. „Und jetzt…“ Sie konnte den Satz gar nicht zu Ende sprechen, dann Taubsi stürzte sich bereits schnell auf Fukano, es hatte die Attacke Ruckzuckhieb gelernt. Taubsi erwischte Fukano an der Flanke, das Feuerpokémon konterte jedoch augenblicklich mit Biss und konnte einen Volltreffer bei Taubsi landen. Faiths Vogelpokémon gab einen erstickten Pieplaut von sich, als sich Fukanos Kiefer um den zierlichen Körper schlossen. „Nein, Taubsi!“ „Sehr gut, Fukano. Gib ihm jetzt mit einem zweiten Biss den Rest!“ „Taubsi, befrei dich mit Ruckzuckhieb!“ Faiths Herz machte vor Schreck einen Sprung. Es war sehr knapp, haarscharf konnte Taubsi einen Ruckzuckhieb starten und einem zweiten Biss entkommen. Dennoch war Taubsi schon recht geschwächt, einen weiteren Treffer würde es kaum mehr aushalten können. Faith atmete erleichtert auf und berührte mit der Hand ihre Stirn, während sie ihr Taubsi musterte. „Setz Windstoß ein!“ Taubsi besaß nicht Bibors Kampfgeist, aber aufgeben wollte es trotzdem nicht, weshalb es mit den Flügeln zu schlagen begann und die Luft in Bewegung setzt. Fukano wurde von dem Windstoß erwischt und zu Boden geschleudert, doch die starken Hundebeine konnten den Sturz noch abfangen um schlimmeren Schaden zu vermeiden. Dann setzte Fukano Glut ein und schoss Taubsi regelrecht vom Himmel ab, der Vogel stürzte mit Verbrennungen zu Boden und Faith zog es noch im Sturz in den Pokéball zurück. Sie überlegte. Als Jungtrainerin besaß sie noch nicht die Erfahrung, die sie gerade gebrauchen könnte, aber sie besaß ja noch ihr drittes Pokémon. Zudem stand Anjas Fukano auch nur noch wackelig auf den Beinen, sie musste sich also mehr Sorgen um das Arkani machen, was noch kommen würde. Faith atmete tief durch, dann entließ sie Voltilamm, ihr neustes Teammitglied, auf das Feld. „Voltilamm, schnell einen Donnerschock!“ Das blaue Schaf mit der gelben Wolle mähte und schüttelte sich, dann zuckten jedoch schon die Elektrokräfte des Elektropokémons durch die Luft und Fukano sank gegrillt in sich zusammen. „Zwei zu zwei“, meinte Anja missmutig und verengte den Blick. Sie zog Fukano zurück und entließ, wie erwartet, ihr Arkani, Fukanos Weiterentwicklung. „Jetzt sehen wir, wer die besseren Karten hat.“ Sie schnaubte verächtlich und Arkani stellte bereits knurrend sein Fell auf. Was Voltilamm dann tat, verblüffte jedoch sowohl Anja als auch Faith. Das Elektroschaf trottete in aller Seelenruhe zu einem Fleckchen Gras und begann genüsslich zu weiden. „Voltilamm…?“ Faith konnte nicht glauben, was sie sah, doch Anja nutzte die Gunst der Stunde und ließ ihr Arkani mit der Attacke Flammenrad angreifen. Voltilamm wurde von der Wucht des Angriffs umgehauen, es blökte erbost und blickte zwischen dem verbrannten Gras und Arkani hin und her. Dann verengte es seine Augen zu angriffslustigen, zornigen Schlitzen und es fixierte Arkani. „VOLTI!“ Sein Schrei war voller Wut über das verkohlte Essen und es malträtierte Arkani mit einem Donnerschock nach dem anderen. Das Feuerpokémon jaulte und konnte sich kaum vor dem Zorn Voltilamms retten. Immer wieder trafen die Elektroschocks das Hundepokémon und nach einer knappen Minute sank Arkani vollkommen geschafft auf den Boden. „Was…?“ Faith musste erst ihre Sprache wiederfinden und betrachtete Voltilamm, das mit hocherhobenem Haupt zu ihr zurückstolzierte und Arkani keines Blickes mehr würdigte. „Habe ich… gewonnen?“ Anja war ebenso verblüfft wie Faith und hob nur langsam dem Arm, um ihr Arkani zurückzuziehen. „Scheint so, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Du hast alle drei Pokémon von mir besiegt, nach den Regeln bekommst du den Orden. Hier, bitte, der Lavaorden.“ Anja ging zu Faith und schüttelte noch immer über Voltilamms Verhalten den Kopf, drückte der Jungtrainerin jedoch den Orden in die Hand und verabschiedete sich sogleich. Sie wollte nicht mehr Zeit als nötig mit Faith verbringen. Faith starrte auf den Orden in ihrer Hand und brauchte erst eine Weile, ehe sie sich aus ihrer Starre löste und Glücksgefühle ihren Körper überfluteten. „Ich habe gewonnen… Ich habe gewonnen!“ Vor Freude hüpfte sie in die Luft, steckte den Orden zu dem Sichelorden in ihre Ordenbox und knuddelte Voltilamm, das vergnügt seinen Kopf an ihr rieb. „Itsuki, ich habe gewonnen!“ „Ich sehe es, ich stehe doch die ganze Zeit hier.“ Er musste schmunzeln und wartete, bis Faith ihr Pokémon zurückgezogen hatte, dann machten die beiden sich gemeinsam auf den Weg zum Pokémoncenter, vor dem sie Mira und Kohana stehen sahen. Faiths Glücksgefühl verflog, als sie Miras gepackten Rucksack neben ihrer Freundin stehen sah. Verwirrt blickte sie zu Kohana, die sich bei ihrer älteren Schwester eingehakt hatte, Kohanas Snubbull stand wie ein Bodyguard breitbeinig neben seiner Trainerin. „Ich habe gegen Anja gewonnen, ich habe den Orden“, murmelte Faith und kam vor Mira zum Stehen, die ihrem Blick auswich. „Was ist los, Mira?“ „Es freut mich, dass du den Orden gewonnen hast“, sagte Mira und nestelte nervös an ihrem Shirt herum. „Was ist los, Mira? Was hat der Rucksack zu bedeuten?“ Nun mischte sich auch Itsuki ein und betrachtete Mira, die noch immer Faiths Blick auswich. „Ich werde abreisen“, meinte Mira schließlich und ließ ihre Hände sinken. „Kohana und ich haben noch einige Dinge zu klären.“ „Ist etwas passiert?“ Besorgt berührte Faith Miras Arm, woraufhin ihre Freundin sie anschaute und den Kopf schüttelte. „Nein, es ist nichts, es ist nur…“ „Wir haben uns schon seit Miras Abreise nicht mehr gesehen, ich vermisse meine große Schwester und möchte etwas Zeit mit ihr verbringen, das ist alles.“ Gut gelaunt setzte Kohana ein zuckersüßes Lächeln auf, das bei Itsuki und Faith jedoch keine Wirkung zeigte. Einen Moment erhielt es Kohana noch aufrecht, dann ließ sie ihr Lächeln fallen und zog den Tragegurt ihrer Tasche über die Schulter. „Mira, wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir den Bus.“ „Mira, warte, du kannst doch nicht so einfach abreisen!“ Faith hielt sie am Arm fest, ließ sie jedoch wieder los, als sie Miras bedrücktes Gesicht sah. „Mira!“ „Lass sie gehen, Faith.“ Itsukis Stimme war sanft wie Samt und er hielt Faith zurück, die den beiden sonst noch hinterhergelaufen wäre. „Es ist nicht für lange“, sprach Mira leise und schulterte auch ihren Rucksack, während Kohana schon vorging. „Sie ist meine Schwester, ich muss auch für sie da sein, versteht das bitte nicht falsch.“ Mira atmete tief durch und seufzte. „Wir werden uns bestimmt bald wiedersehen, ich werde immer an euch denken. Schau mich bitte nicht so traurig an, Faith…“ „Mira, der Bus kommt gleich!“ Mira wandte den Kopf zu Kohana, die ihr von der Straßenecke aus zugerufen hatte. „Entschuldigt, dass ich euch auf diese Weise vor vollendete Tatsachen stelle. Auf Wiedersehen.“ Sie drückte Faith und Itsuki kurz, dann drehte sie sich um und rannte ihrer Schwester hinterher. Faith sah dem Bus noch eine ganze Weile hinterher, auch wenn er bereits die Stadt verlassen hatte. Sie dachte, dass sie für einen kurzen Moment Tränen in Miras Augen gesehen hatte, doch das musste sie sich eingebildet haben. Ohne Mira fühlte sie sich irgendwie einsam. „Faith, komm rein, es ist schon spät.“ Itsuki hielt ihr die Tür des Pokémoncenters auf und sie folgte ihm ins Innere. Lautlos fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Kapitel 29: Alleinsein ---------------------- Ohne Mira war es einfach nicht mehr dasselbe. Faith hatte in den letzten beiden Tagen nur Trübsal geblasen und jetzt stand sie gemeinsam mit Itsuki vor einer Weggabelung der Route, die von Bad Puvicia wegführte. Wo Mira gerade steckte, wusste sie nicht, und durch ihren ständigen Tatendrang musste Faith einfach weitermachen, auch wenn es ihr im Moment sehr schwer fiel. Sie musste Itsuki nicht sagen, dass sie Miras freundliches Wesen vermisste, denn dem kühlen Blonden erging es scheinbar nicht anders, er war noch schweigsamer als sonst. „Was machen wir jetzt?“ Itsuki fuhr mit der Hand über die beiden Holzschilder und seufzte. „Wenn wir den linken Weg nehmen, könnten wir uns den Puvicia Naturschutzpark anschauen, dort gibt es auch zwei kleine Dörfer.“ Er warf ihr einen abschätzenden Seitenblick zu und ließ wieder seine Hand sinken. „Faith, eine Antwort bitte.“ Sie murmelte etwas Undeutliches vor sich hin, legte dann den Kopf schief und las die beiden Schilder durch. Das linke Schild trug die Aufschrift Puvicia Naturschutzpark und das rechte Schild Nautica City, die Stadt der nächsten Arena unterhalb des Gebirges. „Ich will zur nächsten Arena“, meinte Faith bestimmt und drehte sich zu Itsuki um. „Der Naturschutzpark ist mir egal, ich bin keine Koordinatorin und muss die beiden Dörfer Feuerstadt und Glutexia nicht sehen, die Wettbewerbe dort interessieren mich nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern und wartete auf seine Antwort. Itsuki musterte sie eingehend, dann schüttelte er den Kopf und seufzte. „Ich finde es auch nicht schön, dass Mira nicht mehr bei uns ist, aber deswegen musst du nicht deine schlechte Laune an mir auslassen.“ „Ich bin nicht schlecht gelaunt“, fuhr ihn die Türkishaarige sofort von der Seite an und knirschte mit den Zähnen. „Na schön, ich bin schlecht gelaunt, aber in diesen blöden Naturschutzpark will ich trotzdem nicht gehen.“ „Ich schon.“ Itsukis eisblaue Augen schienen Faith zu durchbohren, doch sie wich keinen Millimeter von ihrem Standpunkt ab und erwiderte seinen eindringlichen Blick, bis Itsuki sich über die Augen fuhr und wieder seufzte. „Hör mal, Faith, vielleicht ist es besser, wenn wir hier getrennte Wege gehen.“ „Was?“ Mit einer Mischung aus Überraschung und Verwirrtheit blinzelte sie ihm entgegen. „Willst du Mira jetzt suchen gehen oder was. Sie ist freiwillig mit Kohana mitgegangen, da können wir nichts machen.“ „Faith“, sprach Itsuki gedehnt. „Ich bin nicht auf meine Reise gegangen, um von einer Stadt in die nächste zu hetzen und die Orden zu gewinnen. Ich habe zwei Orden und das reicht mir, die Erfahrungen auf diesem Gebiet sind mir nicht mehr wichtig. Der Naturschutzpark ist für seine einzigartige Vegetation bekannt, durch die Vulkanasche ist der ganze Boden äußerst fruchtbar und viele seltene Pokémon leben dort. Der Abstecher in den Park dauert vielleicht eine Woche und diese Zeit werde ich mir jetzt nehmen. Wenn du unbedingt von Bad Puvicia weg willst, weil du Mira hinter dir lassen willst, dann tu das – alleine. Ich werde mir den Park ansehen.“ Faith schaute ihn an und ihr Gesicht wandelte sich zu einer neutralen Miene, bis sie mit den Schultern zuckte und den Gurt ihres Rucksacks enger schnallte. „Mach doch, was du willst. Du hast Recht, du sammelst keine Orden, ich aber. Ich möchte nicht länger hier beim Vulkan bleiben, es gibt auch anderorts schöne Gegenden. Ich bin zu abenteuerlustig, als dass ich die nächste Arena lange warten lassen möchte.“ „Deshalb denke ich, dass es ganz gut ist, wenn sich unsere Wege hier trennen.“ Sie schmollte ein wenig, zog sich ein braunes Haargummi vom Handgelenk und band sich ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz. „In Ordnung. Aber wir sehen uns wieder, ja?“ „Ich werde in einer Woche nachkommen, wir treffen uns vermutlich irgendwann in Nautica City.“ Faith zögerte einen Moment, dann nickte sie und stimmte zu. Sie hatte kein Problem damit gehabt alleine zu ihrer Reise aufzubrechen, sie würde auch kein Problem haben sie alleine weiter zu führen. „Dann sehen wir uns dort.“ Erleichterung machte sich auf Itsukis Gesicht breit und er lächelte sie an. „Auf Wiedersehen.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und Faith konnte nur erahnen, ob er wirklich so abgebrüht und kühl war, wie er sich immer gab. Sie schaute ihm noch ein paar Sekunden nach, dann schlug sie den entgegengesetzten Weg ein und holte ihren Reiseführer heraus, um sich den Artikel über Nautica City durchzulesen. Damit sie nicht so alleine war, entließ sie jedoch noch ihre drei Pokémon, die ihr Gesellschaft leisten sollten. Taubsi drehte augenblicklich mit einem erfreuten Gurren seine Runden über ihr in der Luft, Bibor flog surrend gemütlich neben ihr her und Voltilamm trottete in einigem Abstand vor ihr, um hier und dort von ein paar Beeren oder Gras zu naschen. Schließlich nickte Faith zufrieden und widmete sich dem Artikel. Nautica City – Die Stadt der tausend Seen Früher als kleine Handelsstadt im strategisch günstigen Drehkreuz zwischen Bad Puvicia, Litusiaville, Lapidia, Moorbach und Schloss Dunkelstein gelegen, hat sich Nautica City heute zu einer der größten Städte des Landes entwickelt. Nicht nur das größte Kaufhaus in Finera bietet hier alles, was das Kundenherz begehrt, sondern auch eine Reihe von Casinos und Spielhallen formt die berühmte Vergnügungsmeile Nauticas. Sehenswert ist zudem die einzigartige Seenlandschaft in der Stadt und im Umland, die eine atemberaubende Flora und Fauna zu bieten hat. Die dritte Arena der Region mit dem Typ Normal befindet sich ebenfalls in der Stadt der tausend Seen und der Arenaleiter Daniel freut sich über neue Herausforderer. Faith klappte den Reiseführer zu und steckte ihn mit einem zufriedenen Grinsen weg. Normalpokémon hatten keinen Vorteil gegen ihr Team, allerdings auch keinen Nachteil. Mit einem Kampfpokémon hätte sie gute Chancen, aber Faith wollte sich eigentlich keins fangen, ein Geistpokémon wäre hingegen im Nachteil. Doch da das alles mit ihrem Team nicht zutraf, sah sie gute Chancen, dass sie mit etwas Training gleich im ersten Anlauf den Orden gewinnen konnte. „Bibor bor“, kam es surrend von ihrem Starter und sie wandte den Kopf zu der Wespe an ihrer Seite um. Bibor warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und schaute dann wieder geradeaus. „Sag nichts, ich weiß selbst noch nicht, was ich davon halten soll, dass Mira und Itsuki weg sind.“ Faith schwieg eine Weile und kickte dabei einen kleinen erstarrten Lavabrocken vor sich her. „Aber Itsuki könnte Recht haben, vielleicht tut uns allen etwas Abstand gut. Wir haben schon einige Sachen zusammen erlebt, beispielsweise den Angriff von Team Dark, aber wir brauchen auch jeder unseren Freiraum. Itsuki und ich zum Beispiel mehr als Mira, wenn ich sie richtig eingeschätzt habe.“ „Bor.“ Bibor blickte sie aus den Augenwinkeln mit seinen großen, roten Augen an, sagte zu dem Thema aber nichts mehr und verfiel auf Taubsis Initiative in ein lockeres Fangspiel. Faith schaute ihren drei Pokémon beim Laufen zu, verfiel aber schnell wieder in Gedanken. Sie wollte unbedingt in der nächsten Arena kämpfen, aber was, wenn Mira tatsächlich nach Feuerstadt oder Glutexia gereist war, um dort an den Wettbewerben teilzunehmen? Nein, das ging sie nichts an, immerhin war Mira freiwillig gegangen. Faith schüttelte den Kopf und legte einen Schritt zu, was ihre Pokémon natürlich sofort bemerkten und sich ihrem Tempo anpassten. „Kommt, beeilen wir uns. Ich möchte vor Einbruch der Dämmerung den Fuß des Berges erreicht haben, dort gibt es eine Unterkunft.“ Und so machte Faith sich alleine auf den Weg nach Nautica City, alle drei Jungtrainer gingen getrennte Wege. Kapitel 30: In Gefahr --------------------- Das Kaminfeuer prasselte einfach der Atmosphäre wegen, als Faith und einige andere Reisende im Aufenthaltsraum des kleinen Hotels saßen und jeder seinem eigenen Kram nachging. Faith hatte wieder ihren Reiseführer ausgepackt und studierte die Route, die sie direkt nach Nautica führen würde. Es gab einen großen Wald zwischen dem Vulkangebirge und der Stadt, doch die Route führte durch die schmalste Stelle des Waldes und zu Fuß würde sie ihn in einigen wenigen Stunden durchquert haben. Zufrieden gähnte sie und packte ihre Sachen zusammen, dann ging sie in ihr Zimmer und öffnete das Fenster, um die kühle Nachtluft rein zu lassen, solange sie sich im Badezimmer auf dem Flur die Zähne putzte. Müde streckte sie sich und gähnte noch einmal ausgiebig, da klopfte es auch schon an der Badezimmertür und sie machte einer Frau Platz, die ebenfalls das Bad benutzen wollte. Ihr war langweilig, zumindest ein kleines bisschen. Als sie den Flur zu ihrem Zimmer entlang schlenderte, wurde ihr wieder bewusst, dass sie auch das Frühstück am nächsten Morgen alleine einnehmen würde, so wie sie auch schon an diesem Abend alleine an einem Tisch gesessen und die Nudeln mit Pilzsoße gegessen hatte. Faith seufzte, ging in ihr Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Das Hotel war klein, hatte vielleicht fünfzehn Einzelzimmer, aber die Küche war hervorragend, dafür zahlte Faith auch gerne den Preis der Übernachtung, die Pokémoncenter waren ja kostenlos. Bibor, Voltilamm und Taubsi durften im Speiseraum nicht frei herumlaufen, Faith hatte sie vorher auf der Terrasse gefüttert. Als sie im Bett lag, konnte sie nicht sofort einschlafen. Eine gute halbe Stunde lag sie noch wach, drehte und wälzte sich von einer Seite zur anderen, bis ihr irgendwann gegen halb elf die Augen zufielen und sie in einen traumlosen Schlaf glitt. Stimmen weckten Faith am nächsten Morgen. Sie hatte vergessen ihr Fenster wieder zu schließen, deshalb konnte sie die zwei Männer unter ihrem Fenster hören. Sie verstand zwar nicht ihre Worte, aber alleine die Tatsache, dass sie redeten, raubte ihr den Schlaf. Mit einem Murren zog sie die Bettdecke über ihren Kopf, wagte dann aber dennoch einen Blick auf die Uhr. Kurz nach sieben. Sie fluchte, stand aber trotzdem auf, weil sie wusste, dass sie jetzt nicht mehr einschlafen konnte. Nach einer schnellen Dusche packte sie ihre Sachen zusammen und setzt sich in den Gemeinschaftsraum, ihr Rucksack reisefertig neben ihr. Es dauerte noch eine Weile, bis die Besitzerin des Hotels gegen acht Uhr das Büffet eröffnete und Faith sich ein ausgedehntes Frühstück gönnen konnte, auch wenn es ohne Gesprächspartner langweilig war. Ihre Pokémon fraßen wieder auf der Terrasse und sie holte sie nach ihrem Frühstück dort ab. „Vielen Dank für die Unterkunft, das Essen war wirklich ausgezeichnet.“ Sie bezahlte ihr Zimmer und das Lunchpaket vorne an der Rezeption und erntete dafür das höfliche Lächeln der Besitzerin. „Nein, ich habe zu danken. Gute Weiterreise.“ Faith nickte und schulterte den Rucksack. Schließlich trat sie kurz nach neun gut gesättigt aus dem Hotel und streckte sich. Die Sommersonne schien bereits kräftig und nur wenige Schönwetterwolken hingen am Himmel. Sie wollte gerade ihren heutigen Reiseweg einschlagen, als sie wieder die beiden Männerstimmen hörte, die in der Nähe des Hotels unter einer Baumgruppe ertönten. Eigentlich war Faith das egal, aber eine Alarmglocke in ihrem Kopf sprang an und meldete ihr, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Ein wenig nervös näherte sie sich den Buchen und erblickte die beiden Männer, die beide in Schwarz gekleidet waren. „Verdammt“, entfuhr es ihr, das waren Mitglieder von Team Dark! Im gleichen Augenblick hob Caleb den Kopf und seine rotbraunen Augen verengten sich zu feindseligen Schlitzen wie bei einer Kobra kurz vor dem Angriff. „Faith Loraire, na sieh mal einer an. So sieht man sich wieder.“ Faiths Herz setzte vor Schreck einen Moment aus, dann drehte sie sich auch schon um und rannte in Richtung des Hotels zurück. Als Calebs Magnayen knurrend aus einem Gebüsch sprang, konnte Faith nicht mehr rechtzeitig bremsen und stolperte, wobei sie der Länge nach auf den Boden schlug. Schnell rappelte sie sich wieder auf, doch da hatte Caleb sie auch schon eingeholt und Magnayen drängte sie zähnefletschend vom Hotel weg, wo die anderen Gäste noch beim Frühstück saßen und sie nicht sehen konnten. „Wieso läuft du denn weg, Faith?“ Caleb grinste amüsiert und fuhr sich durch die lila Haare. „Du musst doch keine Angst vor mir haben. Beim letzten Mal hatten wir doch auch so viel Spaß zusammen. Oh, ich vergaß, diese nervige Koordinatorin hat uns ja dazwischengefunkt. Aber wie ich sehe, bist du heute alleine unterwegs. Haben dein Beschützer und der kleine Angsthase dich im Stich gelassen?“ Faith funkelte ihn wütend an und legte ihre Hand auf Bibors Pokéball. „Verzieh dich, Caleb! Dass du hier bist, kann nichts Gutes bedeuten! Was führen du und Team Dark wieder im Schilde?“ Er lachte auf, schüttelte noch immer grinsend den Kopf und nickte dann seinem Magnayen zu. „Ich glaube kaum, dass dich das etwas angeht.“ Caleb umfasste ihren Arm und da er stärker als Faith war, konnte sie sich schlecht wehren. Sie versuchte sich seinem Griff zu entziehen, doch er hatte einen eisernen Griff. Als sie um Hilfe schreien wollte, drückte er ihr die zweite Hand auf den Mund und schleifte sie zu seinem Helfer in den Schatten der Bäume. „Was machen wir jetzt mit ihr?“, fragte dieser und zog seine schwarze Mütze tiefer ins Gesicht. Caleb würdigte ihn keines Blickes, dachte aber dennoch über seine Frage nach und ließ Faiths Arm los, damit er ihren Kopf an den türkisen Haaren nach hinten ziehen konnte. „Nimm ihr die Pokémon ab, vielleicht können wir sie für gutes Geld verkaufen. Dann sorgen wir dafür, dass sie schweigen wird.“ Sein Grinsen nahm diabolische Züge an, als er die Panik in Faiths Augen sah. Sie versuchte zu schreien, aber seine Hand erstickte den Schall im Keim und Faith konnte nur versuchen um sich zu schlagen, was aber auch nur mäßigen Erfolg hatte. Es war ihr egal, wenn sie verletzt wurde, nur durfte ihren Pokémon nichts passieren. Nicht ihren Pokémon, ihren Freunden! Tränen traten in ihre Augen und sie warf sich gegen Caleb, doch dieser hielt sie einfach weiter fest und zog ihren Kopf nach hinten, sodass sie sich kaum noch wehren konnte. Der Handlanger griff nach ihrer Hüfte und entfernte dort die Pokébälle. Faiths Widerstand wurde noch heftiger, aber Caleb und Magnayen konnten sie festhalten. Dann gelang es ihr in Calebs Finger zu beißen und sie schnappte nach Luft. „Du mieses Schwein! Gib mir sofort meine Pokébälle wied-“ Der Schlag auf ihren Hinterkopf raubte ihr die Luft zum Atmen. Faith sah die Dunkelheit, die sich um sie legte, nicht kommen. Alles wurde schwarz und sie spürte nicht einmal mehr den Aufprall auf dem Boden. Bewusstlos sank sie zusammen. Kapitel 31: 100 Kommentare Special: Itsuki ------------------------------------------ Lautlos fiel der Schnee auf die ohnehin schon kniehohe, weiße Decke, die den Berg wie in Watte hüllte. Die Augen des kleinen Jungen folgten einzelnen Schneeflocken, konnten sie aber nie länger als ein paar Sekunden halten. Er war traurig, schloss seine Trauer jedoch in seinem Herzen weg und betrachtete einfach die vom Vollmond angeleuchteten Flocken und Eiskristalle. Als sechsjähriges Kind verstand man nicht, warum sich die eigenen Eltern ständig streiten mussten, obwohl sie sich doch immer ihre gegenseitige Liebe beteuerten. Es war wie ein Fluch, der auf der Familie der Tempelwächter lastete. Irgendwann fraß die Einsamkeit des stets von Schnee bedeckten Berges auch den letzten Funken warmen Gefühls aus den Herzen. Itsuki seufzte und stemmte sein Kinn auf die Handflächen, die Ellbogen hatte er auf dem Fensterbrett zwischen zwei kleinen Veilchen aufgesetzt. Noch immer folgten seine eisblauen Augen den Flocken. Er brauchte nicht auf die Uhr sehen, um zu wissen, dass es schon spät in der Nacht war. Er musste nicht sehen, wo der Neuschnee die Fußspuren seiner Mutter überdeckte, um zu wissen, wo jeder einzelner ihrer Schritte beim Verlassen des Nebeltempels gewesen war. Ihr roter Mantel war hektisch zugeknöpft und der schwarze Schal wehte ihr um den Körper. „Bitte, dann gehe ich eben!“ Ihre Stimme klang erbost und zitterte, als sie ihre schwarze Reisetasche nahm und durch den Schnee stapfte. „Schatz, jetzt warte doch!“ Itsukis Vater rannte hinter ihr her, nur mit Hausschuhen an den Füßen und einem einfachen Pullover und Jeans bekleidet. In seinem Gesicht stand Verzweiflung und er raufte sich durch die hellblonden Haare. „Lass mich dich wenigstens nach Eisbergen fahren, es ist ein Schneesturm angesagt!“ „Itsuki…“ Mit einem leisen Knirschen öffnete seine neunjährige Schwester seine Zimmertüre und ihre hellblonden Haare fielen ihr in einem geschmeidigen, geflochtenen Zopf über die Schulter. Minami zögerte kurz, dann trat sie ganz ein und stellte sich hinter ihren kleinen Bruder. „Ich vermisse sie auch.“ Selbst Minami, die sonst der kleine Wirbelwind der drei Ito-Geschwister war, litt unter der Trennung ihrer Eltern und konnte keine Fröhlichkeit mehr zeigen. „Denkst du, dass Mama wiederkommen wird?“ Itsuki löste sich von dem Fensterbrett, drehte sich um und schlang die Arme um seine große Schwester, wobei seine kleinen Kinderfinger sich tief in ihren grünen Schlafanzug bohrten. Beruhigend tätschelte Minami seinen Rücken, als er zu weinen begann und schluchzend an ihr hing. „Mama und Papa haben sich doch noch immer lieb. Ich kann auch nicht verstehen, warum Großmutter immer so böse Sachen zu ihr sagen muss.“ „Natürlich wird alles wieder gut werden.“ Nun trat auch Minako, die älteste von ihnen, in Itsukis Kinderzimmer und hatte ein aufmunterndes Lächeln für ihre beiden jüngeren Geschwister auf den Lippen. Mit elf Jahren war sie zwar immer noch ein Kind, besaß aber schon den klaren Verstand einer Erwachsenen. Sie seufzte und legte ihre Arme um die beiden jüngeren. „Auch wenn Mama gegangen ist, hat sie uns doch noch immer lieb und wird immer für uns da sein. Sie kann nicht bei uns wohnen, aber das bedeutet doch nicht, dass sie einfach weg ist.“ Minako gelang es ihre Geschwister ein wenig zu trösten und ließ sie nach einer Weile wieder los. Ihre smaragdgrünen Augen leuchteten liebevoll, als sie Itsuki eine Träne aus dem Gesicht strich. „Ich kann nicht verstehen, warum sie immer streiten müssen…“ Noch immer jammerte Itsuki, aber er war schon sein Leben lang jemand gewesen, der seine Schwäche nicht zeigen wollte, weshalb er auch jetzt die Tränen herunterschluckte und die Unterlippe vorschob. „Das machen Erwachsene manchmal“, mischte sich schnell Minami ein und seufzte. „Erwachsene sind manchmal echt dämlich.“ „Es ist schon spät, wir sollten jetzt schlafen gehen. Morgen früh haben sie sich bestimmt wieder alle beruhigt, ihr werdet schon sehen. Es wird alles in Ordnung kommen.“ Lächelnd tätschelte Minako Itsukis Kopf und zog eine der silberblonden Haarsträhnen aus ihrem Schlafanzugkragen heraus. Sie wandte sich noch einmal kurz zu den beiden um, dann knipste sie das Licht auf dem Flur aus und ging mit leisen Schritten zurück in ihr Zimmer. „Du hast sie gehört“, flüsterte Minami und knuffte ihren kleinen Bruder in die Seite. „Minako hat doch immer Recht, sie kann die Erwachsenen viel besser einschätzen als wir. Wenn sie sagt, dass Mama und Papa sich wieder vertragen, dann ist das auch so. Sei nicht traurig, kleiner Bruder.“ „Mhm, gut.“ Itsuki nickte und rang sich ein tapferes Lächeln ab, dann sah er auch seiner zweiten Schwester hinterher und drehte sich wieder zum Fenster um, als seine Zimmertür ins Schloss gefallen war. „Seit wann kümmert es dich, ob es mir gut geht oder nicht?“ Seine Mutter fuhr sich mit dem Handrücken über die Wangen, über die heiße Tränen liefen. „Und hör auf mich anzusehen, als wüsstest du nicht ganz genau, wovon ich spreche. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann du das letzte Mal wirklich für mich Partei ergriffen hast. Ich bin deine Ehefrau verdammt, ist dir das denn gar nichts wert!“ Er schluckte und blieb stehen, es war als wäre eine eisige Wand zwischen ihnen, die beiden die Brust zuschnürte. „Du übertreibst.“ Seine Stimme war trocken von der Lüge, sie beide wussten es besser. Sie lachte auf, verzweifelt, resigniert, hoffnungslos. „Deine Mutter hat mich doch noch nie akzeptieren wollen. Ich bin ein Schandfleck im Familienstammbaum, schon vergessen? Nimm es wenigstens einmal in deinem Leben wie ein Mann und steh zu mir. Nur dieses eine verdammte Mal.“ Der Schnee wurde wieder stärker, dicke Flocken wurden vom Wind umhergetragen und tanzten in wilden Reigen. Dicke Wolken verdunkelten den Mond und schon bald konnte man nur noch eine weiße Masse vor dem Fenster sehen. Itsukis Augen fielen fast zu, so müde war er, aber die Hoffnung, dass Minako Recht hatte und seine Mutter zurückkehren würde, brannte wie ein letzter, verzweifelter Funke in ihm. „Mama, komm zurück…“ Seine rechte Hand drückte erschöpft gegen das kühle Glas, der sonst so strahlende Blick seiner eisblauen Augen wurde dumpfer und kälter. Er konnte nicht verstehen, warum sie gegangen war. Liebte sie ihn etwa nicht mehr? Warum ließ sie ihn zurück? Ihr Blick war starr auf ihn gerichtet, dann schlug sie voller Schmerz die Augenlider nieder. „Ich wusste, dass du es nicht kannst. Ich dachte immer, dass du der Mann bist, den ich liebe und der der Vater meiner drei Kinder ist, aber jetzt muss ich wohl erkennen, dass du im Grunde genommen auch nur wie sie bist – wie deine Mutter.“ „Sag sowas doch nicht…“ Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und machte einige Schritte auf sie zu, erste Schneeflocken fielen auf seinen Pullover und begannen seine Haare zu befeuchten. „Wir wussten beide, dass es nicht einfach sein wird. Ich liebe dich und ich werde nie eine andere Frau wollen als dich. Bitte bleib hier.“ Wut zuckte über ihre feinen Gesichtszüge und sie blickte zu ihm empor, krallte noch stärker die Finger um die Trageschlaufe der Reisetasche. „Um mir weiterhin anzuhören, dass ich nicht gut genug für den Sohn der Tempelwächterin bin? Verstehst du es denn nicht? Ich kann einfach nicht mehr! Ich habe keine Kraft mehr dazu, um mich jeden Tag vor ihr für meine Existenz rechtfertigen zu müssen!“ „Und stattdessen willst du einfach so verschwinden?“ Sie zuckte zusammen, schloss die Augen und machte einen Schritt nach hinten. „Wage es nicht mir nach all den Jahren, die ich immer an deiner Seite war, jetzt vorzuwerfen, dass ich mich nicht um meine Kinder kümmern würde. Sie sind das Wichtigste auf der Welt für mich.“ Eine einzelne Träne lief ihre Wange herunter, ihr Atem gefror vor ihr zu einer nebligen Wolke in der Luft. „Das hier ist ihr Zuhause und sie sind auch deine Kinder. Lass nicht zu, dass deine Mutter auch noch ihr Leben zerstört.“ „Schatz…“ Er griff nach ihrem Arm, doch sie entzog sich ihm und lief mit schnellen Schritten den Weg vom Nebeltempel fort. Ihre Silhouette verschwand im Schnee und immer mehr der feinen Eiskristalle fielen zur Erde nieder wie tausende winzige Nadeln, die sich mit der Zeit in die Herzen der Familie der Tempelwächter bohrten. Wie ein Fluch. Es würde alles wieder in Ordnung kommen, am nächsten Morgen würde wieder alles beim Alten sein. Minako hatte immer Recht. Aber heute hatte sie sich geirrt. Der Schnee hatte nicht nur die Liebe erstarren lassen, er hatte auch die Silhouette der Mutter geschluckt wie einen winzigen Eiskristall unter Millionen. Es war das letzte Mal, dass Itsuki sie gesehen hatte. Kapitel 32: Kind des Waldes --------------------------- Liebe , ich gratuliere dir zum 1. Platz bei meinem Wettbewerb und in diesem und weiteren Kapiteln wird deshalb dein Charakter Moriko mit ihrem Folipurba Shoha auftauchen. :) http://animexx.onlinewelten.com/fanart/zeichner/324561/1681663/ ------------------------------------------------------------ Sanftes, grünliches Licht fiel auf Faiths Gesicht, als sie die Augen blinzelnd öffnete. Über ihr zogen weiche, weiße Wolken am blauen Himmel hinweg, zumindest soweit sie das durch die hohen Baumkronen sehen konnte. Erschöpft ließ sie ihre Augen wieder zufallen und tastete mit den Händen über den Boden, auf dem sie lag. Gras. In diesem Moment kehrte ihre Erinnerung zurück und sie schlug panisch die Augen auf, setzte sich kerzengerade hin und schnappte nach Luft. „Nein, meine Pokébälle, sie sind weg!“ Hektisch drehte sie sich um und stieß einen spitzen, überraschten Schrei aus, als nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt ein braunes Augenpaar sie anstarrte. Das Mädchen erwiderte ihren Schrei ebenso überrascht und im nächsten Moment hatte Faith ein Bündel Blätter ins Gesicht geschlagen, die sie hustend von ihrem Körper entfernte. „Hey, was soll das!“, rief Faith aufgebracht, doch als sie sich umsah, war das Mädchen verschwunden. Faith rümpfte die Nase und stand auf, ließ ihren Blick über den Waldboden wandern. Tatsache, ihre Pokébälle waren alle weg – und ihr Rucksack zu allem Überfluss auch noch. Voller Wut, Zorn und Verzweiflung kamen ihr die Tränen und sie stampfte auf dem Boden auf. „Verdammt!“ Wie sie diesen Caleb dafür hasste, dass er ihr das angetan hatte. Noch dazu hatte sie keine Ahnung, wo sie sich genau befand, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass es der riesige Wald zwischen dem Vulkan und Nautica City sein musste. Sie konnte überall und nirgendwo sein. Faith atmete tief durch und richtete ihre Frisur, dann schlug sie einfach einen Weg ein und brummte missmutig Flüche vor sich hin, die allesamt Caleb Frost und Team Dark galten. Wenn sie diesen Kerl in die Finger bekam, würde sie Kleinholz aus ihm machen. Wieder stieg die Wut in ihr hoch und ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, als sie gegen einen Baum trat und ein wenig Rinde abblätterte. Ein Rascheln über ihr ertönte und im nächsten Moment landete etwas hinter Faith, ihre Arme wurden verdreht und ehe sie sich versah, lag sie schon mit dem Rücken auf dem Boden und einem Farn im Gesicht. „Folipurba!“ Das Mädchen von gerade eben starrte sie aufgebracht an, drehte ihr den Rücken zu und streichelte behutsam die Baumrinde. Faiths Erstaunen wuchs nur noch weiter, während sie sich langsam aufrichtete und den Farn aus ihren Haaren zupfte. „Was sollte das denn? Du hast mich tierisch erschreckt. Hallo? Hörst du mir zu? Hallo! Ich rede mit dir!“ Sie tippte das etwas seltsame Mädchen an und dieses schreckte sofort zwei Sprünge zurück. Die rehbraunen Augen fixierten Faith prüfend und mit einer Spur von Neugierde. Schließlich legte die Unbekannte mit der sonnengebräunten Haut und den weißgrünen Haaren den Kopf schief. Sie schien eine Art Lederkleid zu tragen und lief barfuß durch die Gegend. „Purba.“ Entschieden ging sie auf Faith zu und stocherte ihr mit dem Zeigefinger gegen den Arm, so wie Faith es gerade bei ihr getan hatte. „Folipurba!“ Die Erinnerung an eine Geschichte, die sie mal gelesen hatte, wurde in Faith geweckt. Ab und an berichteten Wanderer, dass ein seltsames Pokémonmädchen im Wald leben sollte. Angeblich würde sie die Sprache der Pokémon sprechen und die Zeitschrift hatte diesem Gerücht den Namen Moriko gegeben, was so viel wie Kind des Waldes bedeutete. Kind des Waldes… Faith runzelte die Stirn. „Bist du Moriko?“ „Folipurba?“ Vorsichtig stand Faith auf und schüttelte die Erde von sich ab, dann stemmte sie die Hände in die Hüften und deutete auf das Mädchen. „Moriko?“ Als sie keine Antwort erhielt, deutete Faith mit dem Finger auf sich und lächelte freundlich. „Faith. Ich bin Faith.“ Einen Moment dauerte es noch, dann begann Moriko zu strahlen und nickte. „Tangela.“ „Was?“ Überrascht schaute Faith sie an und schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin doch kein Tangela! Ich bin Faith. Hast du das verstanden? Ich bin Faith und du bist Moriko.“ „Tangela.“ Faith seufzte und rieb sich über das Gesicht. „Okay, ich gebe es auf.“ Schweigend starrte sie das Mädchen an, das sie neugierig umkreiste und immer wieder an ihren Anziehsachen zupfte, als hätte sie noch nie ein T-Shirt gesehen. Vielleicht hatte sie das auch nicht. „Moriko, weißt du, wer mich hergebracht hat?“ Als sie angesprochen wurde, hielt Moriko in ihrer Bewegung inne und hockte sich vor Faith auf den Waldboden. Sie schien nicht zu verstehen, was Faith von ihr wollte. „Okay, warte kurz.“ Faith schaute sich um und sammelte einen kleinen Ast vom Waldboden auf, dabei ignorierte sie Morikos eingehendes Interesse an allem, was sie tat. „Jemand hat mich entführt und hier her gebracht. Er heißt Caleb. Wenn ich gut zeichnen könnte, würde ich dir ein Bild auf den Boden zeichnen, aber leider kann ich das nicht. Hmm… Es wäre einfacher, wenn du mich verstehen könntest, weißt du das?“ Faith schüttelte den Kopf und ein Grinsen stahl sich in ihr Gesicht, als Moriko ebenfalls den Kopf schüttelte und dabei einen äußerst amüsierten Gesichtsausdruck machte. „Schau mal, das hier ist ein Pokéball. Ich muss meine Pokébälle wiederfinden, das ist sehr wichtig für mich. Kannst du mir helfen?“ Vorsichtig zeichnete Faith erst einen Kreis in die Erde, dann einen kleineren Kreis in die Mitte und schließlich einen Strich durch den kleineren Kreis hindurch. Im nächsten Moment brüllte Moriko auf, verwischte das Bild und zischte Faith etwas zu, was diese nicht verstehen konnte. Moriko gestikulierte wild, starrte böse auf die Jungtrainerin und rannte fort. „Warte!“ Auch wenn Faith diese Reaktion nicht verstehen konnte, rannte sie Moriko hinterher, musste aber nach gut zweihundert Metern aufgeben. Sie kannte sich hier kein bisschen aus und Moriko schien in diesem Wald zu leben. Sie hatte sie verloren. Völlig außer Atem lehnte Faith sich gegen einen Baum und sah ihre einzige Chance, schnell aus dem Wald zu kommen, verblassen. Dieser Wald war riesig, sie konnte Tage oder gar Wochen umherirren und an Hunger und Durst sterben. Was sollte sie nur tun? Nach einiger Zeit stieß Faith sich wieder von dem Baum ab und lief weiter durch den Wald. Es brachte nichts, wenn sie einfach nur an einer Stelle verharrte. Sie musste einen Bach finden und etwas Trinken, dann konnte sie weiter nachdenken. Sie wusste nicht, wie lange sie unterwegs war, als sie endlich das Plätschern von Wasser vernahm, aber es mussten schon ein paar Stunden vergangen sein. Ihre Schritte wurden schneller und sie stieß einen Freudenschrei aus, als sie einen schmalen Bach entdeckte, an dessen Rand wilde Beeren wuchsen. Gerade wollte sie sich hinknien und etwas trinken, als es im Unterholz knackte und Moriko etwa fünf Meter entfernt stand, in der Hand ein zerkratzter, alter Pokéball, der bestimmt schon ein paar Jahre vor sich hin gerostet hatte. „Moriko, was ist los?“ Ihr Blick war noch immer finster, als sie den Ball in der Mitte zerbrach und vor Faith ins Wasser warf, sodass es leicht spritzte. An Morikos Seite stand ein Folipurba, das den Kopf leicht gesenkt hatte, Faith aber ebenfalls Misstrauen entgegen brachte. „Pokéball“, sprach Moriko und deutete auf den Ball im Wasser. Sofort nickte Faith und hob den Ball auf. „Genau, das ist ein Pokéball. Ich suche meine Pokébälle. Verstehst du?“ Sie drückte den Ball an sich und legte ihn dann vor sich auf den Boden. Moriko schüttelte den Kopf. „Pokéball…“ Dabei verzog sie ihr Gesicht zu einer bösen, wütenden Miene. Erstaunen und Entsetzen legte sich auf Faiths Gesicht, als sie das Waldmädchen anstarrte. „Nein, das stimmt nicht, er ist nicht schlecht.“ „Pokéball…“ Moriko nickte bestimmt mit ihrem finsteren Blick und deutete auf ihren misstrauischen Begleiter. „Shoha. Shoha Wald.“ Ihr Wortschatz war sehr begrenzt und sie schien nicht zu wissen, wie sie sich ausdrücken sollte, aber ihr Blick zeigte deutlich, dass sie nichts von den Pokébällen zu halten schien. „Nein, warte Moriko, bitte geh jetzt nicht weg.“ Faith seufzte und nahm den Pokéball in ihre Hand, setzte ihn zusammen. Sie begriff, dass Moriko ihr sagen wollte, dass ihr Begleiter – das Folipurba schien Shoha zu heißen – als wildes Pokémon in den Wald gehörte. Dann schaute sie zu Moriko und seufzte erneut. Sie deutete erst auf Folipurba und dann auf Moriko. „Freunde.“ Anschließend deutete sie auf sich selbst und öffnete dann den Pokéball. „Freunde. Verstehst du? In meinen Pokébällen sind meine Freunde und ich muss sie finden. Moriko bitte, du musst mir helfen.“ Der Ausdruck in Morikos Gesicht wandelte sich zu Mitleid, sie schien zu verstehen. Mit schnellen Worten, die für Faiths Ohren nichts weiter als „Folipurba“ waren, unterhielt sie sich mit ihrem Begleiter und schaute wieder etwas zögerlich zu Faith. Sie ging mit langsamen Schritten auf Faith zu und blieb kurz vor ihr stehen, hielt ihr eine Hand hin. „Purba?“ „Ich verstehe nicht, was du meinst, aber ich werde mit dir kommen.“ Faith ließ den kaputten Ball auf den Boden fallen und nahm Morikos Hand. Eine andere Wahl hatte sie nicht. Kapitel 33: Ein Tangela unter lauter Folipurbas ----------------------------------------------- Als Faith gähnend die Augen öffnete, herrschte bereits buntes Treiben in dem Folipurba-Rudel von Moriko und Shoha. Sie gähnte noch einmal und rieb sich blinzelnd den Schlaf aus den Augen, während sie ein paar Blätter aus ihren Haaren zog, die die Folipurbas ihr ständig in die Haare steckten. Auch hatte sie sich daran gewöhnt, dass sie von Moriko „Tangela“ genannt wurde und Shoha ihr immer noch sehr misstrauisch gegenüber stand. „Guten Morgen“, murmelte Faith in alter Gewohnheit, woraufhin ein paar jüngere Folipurbas ihr interessiert den Kopf zudrehten, die Mehrheit jedoch verspielt über die Lichtung tollte oder an Beeren knabberte. Ein junges Folipurba, das einen Narren an Faith gefressen hatte, gesellte sich jedoch zu ihr und schaute sie mit leuchtenden Augen an. Faith seufzte und stand auf, klopfte sich die Erde aus den Kleidern und schaute sich um. Zwei Nächte hatte sie nun schon hier beim Rudel geschlafen, das sie nach kurzem Zögern bei sich aufgenommen hatte. Faith wusste nicht, was Moriko mit dem ältesten Folipurba besprochen hatte, weil für ihre Ohren alles nur noch „Folipurba“ klang, aber als der Anführer sie duldete, wurden auch die anderen Rudelmitglieder freundlicher. Die Lichtung schien mitten im Wald zu liegen, man konnte kilometerweit laufen ohne etwas Anderes als Bäume um sich herum zu haben. Weiches Moos, Gräser, Farn und große Blätter waren überall in kleinen Erdkuhlen zu recht bequemen Nestern gedrückt. Der Bach war direkt in der Nähe und auch um ihr Essen musste Faith sich keine Sorgen machen, da die Folipurbas oder Moriko ihr mehrmals am Tag leckere Beeren brachten, von denen sie satt werden konnte. Dennoch wurde Faith von Tag zu Tag unglücklicher, weil sie die Hoffnung verlor, dass sie Caleb oder ihre Pokébälle und ihren Rucksack noch finden würde. „Tangela?“ Moriko lief auf sie zu und zog an Faiths Haaren, woraufhin diese sich die schmerzende Stelle der Kopfhaut rieb und Moriko ein Lächeln schenkte, welches Moriko etwas verkrampft erwiderte, sodass es mehr wie eine Grimasse wirkte. Sie griff nach Faiths Hand und legte eine Portion roter Beeren in ihre Hand, schnappte sich anschließend selbst eine und verspeiste sie in einem Stück. „Danke, das ist sehr lieb von dir.“ Faith seufzte, setzte sich auf einen umgeknickten Baumstamm und begann schweigend zu essen, während sie ihren Gedanken nachhing. „Tangela? Purba purba?“ Moriko legte den Kopf schief, setzte sich vor Faith auf den Boden und streichelte ein kleines Evoli, das erst gestern geschlüpft war, am Kopf. Faith blickte auf und sah das Evoli, woraufhin sie sofort an Mira und ihren Starter und schließlich an Bibor, Voltilamm und Taubsi denken musste. Sie biss sich auf die Unterlippe, dennoch kamen ihr die Tränen und die restlichen Beeren fielen auf den Waldboden, weil sie ihr Gesicht in ihren Armen vergrub und leise vor sich hin schluchzte. „Tangela!“ Erschrocken sprang Moriko auf, schaute sich hektisch um und schnappte sich einen Farn vom Boden, mit dem sie Faith kitzelte, doch diese schlug den Farn nur weg und weinte weiter. Etwas ratlos stand Moriko vor ihr und warf Shoha, der immer in ihrer Nähe war, einen fragenden Blick zu. Shoha legte den Kopf schief, es konnte mit dem Menschenmädchen nicht viel anfangen und traute ihr nicht so ganz, weil es Angst hatte, dass seiner Moriko etwas passieren könnte. Schließlich deutete Shoha aber mit dem Kopf zu dem Anführer der Folipurbas, der auf einem runden Stein in der Sonne döste. Moriko nickte und kniete sich neben dem Anführer nieder, während sie Faith immer wieder besorgte Blicke zuwarf. Faith schaute auf, als sie bemerkte, dass Moriko weg war, dennoch wollten ihre Tränen noch nicht versiegen. Sie fand es zwar wahnsinnig lieb von Moriko und dem Rudel, dass sie sie bei sich aufgenommen hatten, aber das änderte nichts an ihrer Situation. Sie wollte nicht im Wald leben, sie wollte ihre Freunde wiederfinden und endlich ein richtiges Bett zum Schlafen haben. „Purba.“ Der Anführer überquerte die Lichtung und ließ sich direkt vor Faith nieder, sodass er das Mädchen gut beäugen konnte. Er musterte die Jungtrainerin eingehend, dann stupste er ihr Bein an und deutete mit dem Kopf zu einem schmalen Weg. „Soll ich dir folgen?“ Etwas irritiert stand Faith auf und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, dann nickte sie. „Ich folge dir einfach mal.“ Dann schaute sie zu Moriko, die recht gut gelaunt wirkte und Faith auf Schritt und Tritt verfolgte, während Shoha wiederum ihr folgte. Auch das junge Folipurbamädchen, das Faith äußerst interessant zu finden schien, schloss sich ihnen an. Der alte Anführer der Folipurbas führte die kleine Gruppe von der Lichtung fort und schon nach wenigen Minuten waren keine Geräusche des Rudels mehr zu hören. Nur das Knacken des Unterholzes, das Rauschen des Windes in den Baumkronen und das Singen einiger Vogelpokémon drang noch bis zu den Ohren. Faith folgte dem Anführer schweigend, sie musste sich viel mehr auf den Weg konzentrieren als die anderen. Ständig waren ihren Füßen Wurzeln und Äste im Weg, weshalb der Marsch ziemlich anstrengend für sie wurde. Es dauerte wohl gute drei Stunden, bis die Gruppe dank Faith als Hauptverzögerungspunkt eine breite Lichtung erreicht hatte. Bäume waren hier gefällt und die Baumstümpfe ragten wie ausdruckslose Augen aus dem Boden heraus. Es war eine künstlich geschaffene Lichtung, von Baggern gegrabene Kuhlen waren noch gut zu erkennen. Stille legte sich über die Gruppe, bis Faith sich räusperte und einen Schritt nach vorne trat. „Ist es das, was ihr mir zeigen wolltet? Eine von Menschen geschlagene Schneise im Wald?“ Moriko senkte betreten den Kopf, ihr schien der Ort Unbehagen zu bereiten und auch Shoha stellte sein Fell kampflustig auf, wobei es leise knurrte. Der Anführer schien Faith jedoch zu verstehen und nickte voller Trauer in den Augen. Es war der einzige Ort, den er in diesem Wald kannte, an dem sich regelmäßig Menschen versammelten. Es waren Forscher, die den Wald erkunden wollten, manchmal auch Ausflugsgruppen. Ihnen allen war jedoch gemeinsam, dass sie diese Lichtung als ihren Ausgangspunkt benutzten. „Foli“, sprach der Anführer gedehnt, dann hob er wieder den Kopf und trottete zurück in den Wald, ließ Faith, Shoha und Moriko alleine zurück. „Das sieht so… traurig aus.“ Faiths Stimme war belegt und sie seufzte. „Ich wusste nicht, dass es so schlimm für euch ist, wenn Menschen hier im Wald sind. Sie zerstören euren Lebensraum, stimmt’s? Aber warum bin ich hier?“ Faith verstand nicht, warum Moriko und der Anführer sie erst jetzt hergebracht hatten, wenn sie diesen Ort doch kannten. Genauso gut hätten sie sie auch einfach an den Waldrand führen können. „Moriko, jetzt sag doch was.“ „Pokéball.“ Moriko hob ihren Kopf an und trat mit aufmerksamen, vorsichtigen Schritten auf die Schneise, wo sie zu einer Kuhle ging und mit einem angerosteten Pokéball zurückkehrte. Die Augen der Jungtrainerin weiteten sich, als sie sah, was Moriko in den Händen hielt. „Hast du hier den Pokéball hergehabt, den du mir gezeigt hast? Gibt es noch mehr davon?“ Shoha knurrte leise vor sich hin und tingelte unruhig auf und ab, woraufhin auch Moriko ihren Kopf hob und den verrosteten Pokéball auf den Boden fallen ließ. Einen Moment war es still um sie herum, nicht einmal die Vögel gaben mehr einen Ton von sich. Es schien, als hätte der ganze Wald den Atem angehalten. Und dann brach ein ohrenbetäubendes, metallisches Surren durch die Stille. Kapitel 34: Hoffnung -------------------- Überraschte Aufschreie mischten sich unter umher wirbelndes Laub und das laute Summen der Rotorblätter, als der Helikopter auf die Lichtung zu brechen schien. Unter ihm teilten sich die Bäume zur Seite, so groß war der Druck der aufgewirbelten Luftmassen. „Moriko!“, rief Faith in einem ersten Anflug von Panik. Die ganze Zeit war sie von der technisierten Außenwelt abgeschnitten gewesen und das Auftauchen des Helikopters versetzte ihr einen unerwarteten Schreck. Shoha fauchte und feuerte eine Ladung Rasierblätter auf das metallische Monster der Lüfte ab – wirkungslos. „Tangela, Shoha!“, rief Moriko mindestens eine Oktave zu hoch. Ängstlich blickte sie zu Faith, wartete aber nicht länger und rannte in den Wald hinein, wo ihre Ängste durch die vertraute und sichere Umgebung gemildert werden konnten. Shoha wartete keine Sekunde, es achtete nicht auf Faith und folgte seiner Freundin ins schützende Dickicht, während das junge Folipurbamädchen sich ängstlich an Faiths Beine drückte. Der Hubschrauber drehte bei und kehrte zurück, wieder peitschte der Wind durch die Gegend und wirbelte Laub wie schneidende Klingen auf. Dennoch drosselte er das Tempo und schien zur Landung anzusetzen. Faith war hin und her gerissen. Einerseits wünschte sie sich in die Zivilisation zurück und ohnehin hatte der Hubschrauber sie bemerkt, aber andererseits konnte sie Moriko doch nicht ohne ein einziges Abschiedswort zurücklassen. Konnte es das gewesen sein? Ein Abschied, bei dem Moriko Faith für immer mit einer Maschine, die ihr wahnsinnige Angst machte, in Erinnerung haben würde? Faith biss sich auf die Unterlippe und schaute zu dem jungen Pokémon zu ihren Füßen. „Du musst verschwinden!“, brüllte sie gegen die lauten Motoren an. „Purba!“ Das junge Pokémon schüttelte den Kopf und schmiegte sich nur noch stärker an Faiths Beine, weil es sie lieb gewonnen hatte und zu seiner Familie zählte. Es wollte Faith nicht alleine lassen. „Los, geh!“ Hektisch blickte Faith zu dem Helikopter, der bereits auf dem Boden der Lichtung aufsetzte. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis Menschen dort ausstiegen und das Folipurba entdeckten. Dann konnte Faith es nicht beschützen und garantieren, dass es nicht gefangen wurde. „Verschwinde!“ Dieses Mal war ihre Stimme schärfer und endlich schien das Folipurba zu reagieren. Es schaute zu ihr auf, die Augen schimmerten feucht, aber es machte einige nervöse Schritte Richtung Waldrand. „Na los, verschwinde jetzt! Geh zu deiner Familie, du hast hier dein Leben, nicht bei mir!“ Noch einen kurzen Moment harrte das Folipurbamädchen aus, dann gab es einen Klagelaut von sich, kehrte um und rannte in den Wald hinein. Faith schaute ihm einen Moment hinterher, dann wandte sie sich zu der Frau, die die Seitentür öffnete. Die Rotoren kamen zum Stillstand. „Hallo, hier bin ich!“ Zögerlich ging Faith auf sie zu, atmete dabei tief durch und beschleunigte daraufhin ihren Schritt. „Hey!“ Sie hob den Arm zum Winken und kam einige Meter vor der Frau zum Stehen. Ein Paar dunkellila Augen fixierte Faith, die Mundwinkel waren ausdruckslos und die porzellanweiße Haut wirkte fast schon kränklich. Dann zuckten die Mundwinkel nach oben und die junge Frau fuhr sich durch die kinnlangen, lila Haare. „Ich wusste, dass ich mich nicht geirrt habe, als ich ein junges Mädchen am Waldrand stehen sah. Was machst du hier, Mädchen? Es ist gefährlich alleine im Wald zu sein, du könntest dich verlaufen.“ „Ich schätze, genau das ist mir auch passiert.“ Ein wenig betroffen wich Faith dem Blick aus und räusperte sich. „Ich war auf dem Weg vom Hotel zum Wald, als ich mit Team Dark aneinander geraten bin.“ „Team Dark?“ Die Frau hob interessiert eine Augenbraue und legte den Kopf dabei schief. Faith nickte. „Der Mann heißt Caleb Frost, ich bin ihm schon einmal in der Nähe von Lapidia begegnet. Er hat… meinen Rucksack und meine Pokémon gestohlen, nachdem er mich niedergeschlagen hat.“ Dabei biss Faith sich auf die Unterlippe. Sie wollte nicht daran denken, das machte sie nur wieder zu wütend. „Ich bin hier im Wald aufgewacht, das war vorgestern Mittag.“ „Dann hast du die ganzen Tage alleine im Wald verbracht? Du Ärmste hast wirklich Glück gehabt, dass du noch so gesund bist. Man findet hier nicht überall Beeren, der Wald ist riesig.“ Ein reges Interesse blitzte in den melancholischen Augen auf, als die Frau einen Schritt zur Seite machte. „Du hast Glück, dass ich hier vorbeigekommen bin. Ich werde dich in die nächste Stadt bringen.“ „Vielen Dank.“ Faith lächelte schüchtern und warf einen Blick zurück zum Waldrand, wo sie für einen kurzen Moment das junge Folipurba zu sehen dachte, aber ihre Augen hatten sie wohl getäuscht. „Ich bin Faith Loraire.“ Die Frau nickte höflich und ließ Faith in den Hubschrauber steigen. „Mein Name ist Milena Mai und das dort ist meine Assistentin Joanna Joy.“ „Hallöchen.“ Eine gut gelaunte, junge Frau mit rosa Haaren winkte Faith zu und nahm einen Aktenstapel von dem Platz neben sich, damit Faith sich setzen konnte. „Wir sind rein zufällig in der Gegend.“ „So zufällig nun auch wieder nicht“, entgegnete Milena mit einem milden Lächeln und gab dem Piloten das Zeichen, dass er wieder starten konnte. „Ich bin Pokémonforscherin, wie schon mein Vater vor mir. Auf dieser Schneise stand im letzten Jahr unser Camp, in dem wir die Flora und Fauna des Waldes erforscht haben. Leider gab es nicht die Ergebnisse, die ich gerne gesehen hätte. Deshalb haben wir die Forschung hier abgebrochen und sind heute zurückgekommen, um zu kontrollieren, wie weit die Natur das Gebiet schon zurückerobert hat.“ „Milena ist eine großartige Forscherin und Expertin auf dem Gebiet der Genetik der Pokémon. Professor Mai war früher eine Koryphäe, wenn es um die DNA und DNS der Pokémon ging und wie sich Pokémon unter verschiedenen Einflüssen entwickeln.“ Joannas Augen glänzten, als sie Faith davon berichtete. Sie schien für ihre Arbeit zu leben. „Das klingt wirklich ziemlich interessant.“ Faith lächelte und schaute aus dem Fenster, während sie abhoben und die Schneise immer kleiner wurde. Sie hatte sich nicht einmal von Moriko, Shoha und den ganzen Folipurbas verabschieden können, aber sie würde das Geheimnis ihres Lebens im Wald für sich behalten, das schwor sie sich. Nach einer Weile schaute Milena von ihren Unterlagen auf, sie war in ein Buch über Genetik vertieft gewesen. „Du sagtest, dass du deinen Rucksack und die Pokébälle nicht mehr hast, nicht wahr?“ Als sie angesprochen wurde, schreckte auch Faith aus ihren Tagträumen auf und erkannte, dass sie bereits am Waldrand angekommen waren. Aus der Luft wirkte die Distanz so winzig. „Ja, Caleb Frost hat sie mir gestohlen. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, wo meine Pokémon jetzt sind…“ „Vielleicht hast du Glück, Faith Loraire.“ „Wie meinen Sie das?“ Verwirrt schaute die Jungtrainerin auf und runzelte die Stirn. „Joanna?“ Joanna grinste und übernahm gerne für Milena das Wort, damit ihre Mentorin sich weiter auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. „Wir haben vorgestern zufällig bei unseren Planungen für die heutige Flugroute am Waldrand eine Kiste mit verschiedenen Dingen gefunden, die wohl dort vergessen worden sind. Es waren auch ein Rucksack und einige Pokébälle dabei. Vielleicht sind es deine.“ Augenblicklich erstrahlten Faiths Augen in einem Anflug von Hoffnung. Ihr Herz klopfte aufgeregt. „Wirklich? Das… das wäre fantastisch, ich kann es kaum glauben! Sie müssen die Kiste von Caleb gefunden haben, als er mich in den Wald getragen hat. Oh mein Gott, das wäre… ich glaube, ich fange an zu weinen!“ Sie blinzelte die Freudentränen aus den Augenwinkeln und lächelte glücklich. „Wie gesagt, vielleicht ist es von dir. Wir sehen einfach nach, wenn wir gelandet sind. Die Kiste ist hinten im Frachtraum.“ „Vielen Dank!“ Die Gedanken, die sie sich gerade eben noch über Moriko gemacht hatte, waren wie weggeblasen. Sollte sie wirklich so viel Glück haben und ihre geliebten Pokémon wiedersehen? Kapitel 35: Wieder vereint -------------------------- Nautica City war wirklich so atemberaubend, wie die Bilder in dem Reiseführer gewirkt hatten. Überall um die Stadt herum sah man bereits die kleinen Seen, die die Landschaft wie ein Flickenteppich übersäten. Doch Faith konnte sich kaum auf das Panorama konzentrieren, als sie auf dem Dach eines Hochhauses zur Landung auf dem gemalten ‚H‘ ansetzten und die Rotorblätter langsamer und leiser wurden. „Du bist wohl ziemlich aufgeregt, hm?“, fragte Joanna gut gelaunt und räumte Bücher und Notizen von Milena in einen großen Rucksack, den sie sich anschließend über die Schulter zog. „Das hier ist ein Gebäude, das Professor Mai, Milenas Vater, vor gut zwanzig Jahren erbauen ließ. Er hat mit seinen Forschungen schon viel erreicht und viele Medikamente speziell für Pokémon entwickelt. Seit einigen Jahren läuft die Produktion hier selbstständig ab, Milena schaut nur von Zeit zu Zeit nach dem Rechten.“ Abwesend nickte Faith und wartete, bis sie aus dem Hubschrauber aussteigen konnten. Mittlerweile stand der Helikopter still und auch der Pilot stieg aus. „Ich habe schon von Professor Mai gehört, er ist vor fünf Jahren auf einer Forschungsreise spurlos verschwunden, nicht wahr?“ Joanna warf Milena einen prüfenden Blick zu und seufzte, als ihre Mentorin mit einem trüben Schimmer im Blick zu Faith schaute. „Mein Vater hat seine Arbeit schon immer sehr geliebt. Seit seinem Verschwinden setze ich sein Werk fort.“ Einen Moment lang schwieg Milena, dann fuhr sie sich durch die kurzen, lila Haare und setzte ein Lächeln auf. „Lass dir von Joanna die Kiste zeigen, ich muss jetzt einen Vortrag vorbereiten. Es war schön dich kennen zu lernen, Faith Loraire.“ „Hat mich auch gefreut.“ Faith nickte ihr zu und drehte sich zwei Sekunden später sofort mit leuchtenden Augen zu Joanna um. „Bitte, können Sie mir die Kiste zeigen? Ich kann nicht noch länger warten.“ „Natürlich, warte kurz.“ Joanna stellte lächelnd den Rucksack ab und öffnete die Ladetür zum Frachtraum, dann zog sie eine Holzkiste hervor und zuckte zusammen, als Faith neben ihr glücklich aufschrie. „Oh mein Gott, das ist mein Rucksack!“ Faith drückte sich an Joanna vorbei, nahm ihren Rucksack raus und quietschte, als im nächsten Moment drei weiße Blitze aus den Pokébällen kamen und Bibor, Taubsi und Voltilamm sich um sie versammelten. Ihr kamen sofort die Tränen in die Augen und sie fiel ihren drei Freunden um den Hals. „Ich habe euch so vermisst!“ „Bibor!“ Ihr Starter legte mit glänzenden Augen die Arme um seine Trainerin, während Taubsi sich gurrend auf ihrer Schulter niederließ und seinen Kopf an ihrem rieb und Voltilamm freudig um sie herum sprang. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie einsam ich mich ohne euch gefühlt habe, obwohl ich in dem Wald ja…“ Faith brach ab, wischte sich über die Augen und ermahnte sich innerlich, dass sie nicht über Moriko und die Folipurbas hatte sprechen wollen. So nett Joanna auch war, sie wollte das Versprechen halten. Lächelnd drehte sie sich zu dieser um und schulterte ihren Rucksack. „Vielen Dank. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel besser es mir jetzt geht.“ „Oh, gern geschehen.“ Joanna grinste, klappte die Tür zum Frachtraum wieder zu und begleitete Faith und die drei Pokémon zu einer Metalltür, die zu einem Aufzug führte. „Leider kann ich dir keine Führung durch Milenas Unternehmen anbieten, wir sind wegen anstehender Vorträge alle sehr beschäftigt.“ Sie drückte auf zwei verschiedene Knöpfe, einer davon war das Erdgeschoss. „Du kommst unten am Eingangsbereich aus, von dort gehst du nach links die Straße bis ans Ende durch, dann kommt schon bald das Pokémoncenter.“ „Danke.“ Faith lächelte überglücklich in sich hinein, zog ihre drei Pokémon jedoch in die Pokébälle zurück, weil sie sich hier immerhin in einem pharmazeutischen Unternehmen befand und es mit Sicherheit irgendwelche Vorschriften gab. Als Joanna kurz darauf in ihrer Etage ausstieg, winkte Faith ihr zum Abschied zu und verließ im Erdgeschoss den Aufzug. Der Eingangsbereich war schlicht gehalten und erinnerte kaum an ein großes Unternehmen, das auf dem Markt führend war. Ein heller Marmorboden bedeckte die gesamte Halle, die Wände waren mit hellem Holz vertäfelt und an der Decke hingen winzige Kronleuchter, in denen sich das elektrische Licht brach. Eine Rezeptionistin schaute im ersten Moment etwas irritiert, lächelte Faith dann jedoch freundlich zu und wünschte ihr noch einen schönen Tag, was Faith freundlich erwiderte. Draußen angekommen seufzte Faith und riskierte einen Blick auf ihre Pokébälle. Ja, sie waren alle da. Freudig hüpfte ihr Herz und sie folgte Joannas Wegbeschreibung bis zum Pokémoncenter der Stadt. Nautica hatte viel zu bieten, aber Faith wollte jetzt vor allem eins: Duschen. „Oh, ich bin papp satt. Nichts gegen die leckeren Waldbeeren, aber gegen Lasagne und Schnitzel kann man doch nichts sagen.“ Zufrieden lehnte Faith sich zurück und strich sich über den Bauch. Voltilamm stand neben ihr und hatte anhänglich seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt, während Bibor ihr kaum eine Sekunde von der Seite wich und auch Taubsi auffällig zuneigungsbedürftig war. Es freute Faith, dass sie ihren Freunden ebenfalls gefehlt hatte. „Wie ich sehe, hat es dir geschmeckt.“ Sie hob den Kopf, als sie angesprochen wurde, und lächelte zufrieden. „Vielen Dank, Schwester Joy, dass sie so viel Geduld mit mir hatten.“ Schwester Joy lachte leise und klopfte Faith auf die Schulter. „Oh das ist doch kein Problem, immerhin ist es mein Job für das Wohl meiner Gäste zu sorgen, nicht wahr?“ Sie zwinkerte und räumte Faiths Teller und Besteck auf einen Geschirrwagen. „Als du heute Mittag in das Pokémoncenter kamst, konnte man dir ansehen, dass du dringend eine Dusche und ein weiches Bett nötig hattest. Es ist wirklich Glück gewesen, dass Milena Mai dich im Wald aufgegabelt hat.“ „Ja.“ Auch Schwester Joy hatte Faith nichts von Moriko erzählt. Sie hatte das Waldmädchen so glücklich dort erlebt und hatte Angst, dass ihr Leben gefährdet werden könnte, wenn zu viele Leute von ihrer Existenz wussten. Dass sie die letzten Tage im Wald verbracht hatte, konnte sie jedoch guten Gewissens erzählen, immerhin konnte sie Caleb damit eins auswischen und hoffen, dass man ihn irgendwann aufhalten würde. „Oh, da wäre noch etwas, Faith.“ Schwester Joys Augen blitzten verschwörerisch auf. „Du hast Besuch.“ Verwirrt blickte Faith auf und erhob sich. „Besuch?“ Sie runzelte nachdenklich die Stirn, dann weiteten sich ihre Augen und mit schnellen Schritten lief sie aus der Kantine in den Eingangsbereich des Pokémoncenter. Augenblick sprang sie vor Freude in die Luft. „Hallo, Faith. Es freut mich auch dich zu sehen.“ Kapitel 36: Freundschaft ------------------------ „Itsuki!“ Faith fiel dem Jungen mit den eisblauen Haaren stürmisch um den Hals und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, woraufhin Itsuki etwas irritiert die Arme um ihre Schultern legte und sie beruhigend tätschelte. „Itsuki, ich bin so froh, dass du hier bist.“ „Das merke ich“, entgegnete er mit einem Schmunzeln und schob Faith von sich. Kurz räusperte er sich, dann wandelte sich das Schmunzeln zu einem schiefen Lächeln. „Ich bin übrigens nicht alleine hier. Warte kurz, sie müsste gleich kom-“ „Mira!“ Faiths spitzer Aufschrei war durch die ganze Lounge des Pokémoncenters zu hören, als sie die junge Koordinatorin mit den lavendelfarbenen Haaren durch die Eingangstür kommen sah. „Mira!“, stieß sie erneut aus, dann ließ sie Itsuki los und umarmte ihre Freundin ebenso stürmisch wie zuvor Itsuki. „Hey, Faith. Aua, du erdrückst mich ja.“ Mira lächelte und hatte Tränen in den Augen, als sie die Arme um die Mitte ihrer Freundin schlang und sie ebenfalls drückte. „Ich bin so glücklich, dass wir drei wieder zusammen sind.“ Faith strahlte und ließ Mira nickend los, dann wischte sie sich einmal über die Augen und lief neben Mira zu Itsuki. „Was macht ihr hier?“ Itsuki hob prüfend eine Augenbraue nach oben, dann lachte er leise und tätschelte Faiths Schulter. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich in etwa einer Woche nachkomme, erinnerst du dich?“ „Ja, aber…“ Faith seufzte. „Die letzten Tage waren das reinste Chaos für mich. Ich erkläre es euch nachher, ihr wollt jetzt bestimmt erst einmal Abendessen, habe ich recht?“ Auf das Nicken ihrer beiden Mitreisenden hin lächelte Faith und führte sie in die Kantine des Pokémoncenters, wo Schwester Joy den beiden Neuankömmlingen sofort eine köstliche Suppe auftischte, die sie frisch gekocht hatte und die es morgen Mittag geben würde. „Und du bist jetzt wieder ohne Kohana unterwegs, ja?“ Mira hob den Blick und nickte, während sie den Löffel aus ihrem Mund zog und in ihren Teller legte. „Kohana und ich haben uns ausgesprochen, wir kommen jetzt besser klar als früher. Bei einem Kampf gegen einen Trainer hat sich ihr Snubbull dann zu Granbull entwickelt. Sie war so aus dem Häuschen, dass sie noch an diesem Tag ihre Sachen gepackt und aus Feuerstadt abgehauen ist.“ „Mhm, verstehe. Sie ist aber ein wirklich sehr windiger Mensch, noch schlimmer als ich.“ Dabei zog Faith eine Grimasse und beobachtete ihre beiden Freunde beim Essen. „Ich bin so froh, dass ihr hier seid. Wirklich.“ Mira strich sich peinlich berührt eine Haarsträhne aus dem Gesicht und bekam rote Wangen. „Ich bin auch froh, dass ich wieder bei euch beiden bin. Wir sind doch Freunde, hm? Und Freunde bleiben zusammen, egal was geschehen ist.“ Ein zufriedenes, glückliches Lächeln legte sich auf die Gesichter aller drei Jungtrainer. „Das sieht wirklich klasse aus. Richtig scharlachrot.“ Behutsam legte Faith das Band von Glutexia, das Mira in dem Dorf bei einem Wettbewerb gewonnen hatte, zurück. Mira grinste und ließ den Deckel ihrer Bänderbox zuschnappen, dann legte sie sie zurück in ihren Rucksack. „Ich konnte kaum glauben, dass ich gewonnen habe. Trixi ist schon in der ersten Runde rausgeflogen, ihr Gegner hat mit seinem Feurigel einfach ihr Smettbo aus dem Wettbewerb gefegt. Das war umso bitterer für sie, weil sie zuvor in Feuerstadt ein Band gewonnen hatte.“ Itsuki nickte bestätigend und lehnte sich zurück. „Stimmt, da war ich auch überrascht. Sie sah aus als würde sie dem armen Kerl jeden Knochen einzeln brechen wollen, ihr Blick war voller Zorn. Joel musste sie nahezu aus der Wettbewerbshalle schleifen.“ Faith musste bei der Beschreibung von Trixi lachen. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Joels Zwillingsschwester dem Trainer, der sie besiegt hatte, die Hölle heiß machen wollte. „Sie kann einfach nicht gut verlieren. Ich bin trotzdem glücklich, dass du in Glutexia das Band gewonnen hast.“ „Hunduster hat sogar die Biss-Attacke gelernt. Ich wollte erst mit Evoli starten, aber Hunduster hat darauf bestanden, dass ich es einsetze. Es hat sich bei der Registrierung einfach aus seinem Pokéball befreit und der Frau hinter dem Schalter mit seinem Knurren klar gemacht, dass es für mich starten will. Da konnte ich ja auch schlecht ablehnen.“ Itsuki stand derweil auf und holte eine neue Flasche Orangenlimonade aus dem Automaten im Flur, mit der er zurück in das Zimmer kam, das Mira und Faith sich teilen würden. Er reichte wortlos die Flasche rum und goss sich zuletzt sein Glas voll. „Mira und ich haben uns auch ein paar Gedanken über ihr Evoli gemacht.“ „Wieso, willst du es entwickeln?“ Überrascht schaut Faith auf und nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. Sie hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Mira zu einer frühen Entwicklung neigte. Bei Itsuki und seinem Evoli hatte sie es hingegen verstehen können. Sein Evoli war stur und stark, es hatte sich entwickeln wollen und er konnte es auch als Blitza bändigen. „Ich habe nur darüber nachgedacht.“ Mira stellte ihr Glas ab und gähnte einmal kurz. „Allerdings bin ich mit Itsuki zu dem Entschluss gekommen, dass ich es erst einmal nicht entwickeln möchte. Natürlich kann ich nichts machen, falls es zu Psiana oder Nachtara wird, bei Folipurba müsste ich es in einem großen Wald kämpfen lassen und bei einer Entwicklung zu Glaziola im Eis. Ich denke, dass Evoli selbst entscheiden soll, wenn es soweit ist. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, ich werde sie akzeptieren.“ „Das ist eine vernünftige Einstellung“, lobte Faith ihre Freundin und gähnte ebenfalls einmal kurz. „Möchtest du uns jetzt von deiner Woche erzählen?“ Itsukis wacher Blick ruhte auf Faith, als er sprach. „Du sagtest, dass du viel erlebt hättest. Erzähl uns davon.“ „Ja, ich bin auch schon ganz gespannt.“ Faith schaute zwischen Itsuki und Mira umher, dann nahm sie noch einen großen Schluck Orangenlimonade und begann zu erzählen. Sie berichtete den beiden von ihrer Begegnung mit Caleb Frost, ihrer Verschleppung in den riesigen Wald und auch von der Begegnung mit Moriko und den Folipurbas, weil sie sich sicher war, dass Itsuki und Mira das Geheimnis teilen würden. Schließlich endete sie mit Milena Mai und ihrer Assistentin Joanna, die sie nach Nautica City gebracht hatten. Schweigen machte sich in dem Zimmer breit und Itsuki ergriff zuerst wieder das Wort, wobei sein Blick finster war. „Ich hätte dich nicht alleine lassen sollen, dann wäre dir das alles nicht passiert.“ „Du kannst dir doch nicht die Schuld daran geben, Itsuki, das ist wahnsinnig. Es ist einfach passiert, dafür kann nur Caleb etwas.“ „Ich sehe das genauso wie Faith, du solltest dir keine Vorwürfe machen.“ Zögerlich legte Mira ihre Hand auf Itsukis, woraufhin der kühle Blonde aufschaute und seine Gesichtszüge sich ein wenig entspannten. „Danke.“ Er schenkte Mira ein ehrliches Lächeln. Mira lief knallrot an und zog ihre Hand wieder zu sich. Faith hatte die beiden mit gemischten Gefühlen beobachtet, stand schließlich auf und streckte sich. „Ich bin todmüde und werde jetzt schlafen gehen.“ „Ich glaube, ich falle auch sofort ins Bett.“ Mira stand auch auf, ging zu ihrem Rucksack und holte den dünnen Schlafanzug hervor. „Wir sehen uns dann morgen früh beim Frühstück.“ „Alles klar, das ist dann mein Zeichen zu gehen.“ Itsuki lächelte leicht, verließ das Zimmer und ließ die beiden Mädchen schlafen gehen. Als er selbst in seinem Einzelzimmer im Bett lag, wollte ihn jedoch nicht die Müdigkeit überkommen. Er musste an Faith und Mira denken und daran, wie brenzlig die Situation zwischen Caleb und Faith gewesen war. Sofort verhärtete sich Itsukis Blick, er presste die Zähne aufeinander und kramte eine schwarze Visitenkarte hervor, auf der sein Blick ruhte. Schließlich knipste er die Nachttischlampe aus, drehte sich zur Seite und fiel in einen unruhigen Schlaf. Kapitel 37: Sei glücklich ------------------------- „Nautica City ist wirklich eine atemberaubende Stadt.“ Mira schaute sich glücklich um und entdeckte einen kleinen Laden mit Modeschmuck und Accessoires. Sie hüpfte vor das Schaufenster und drückte sich beinahe die Nase platt, während sie die bunten Armbänder und Silberkettchen musterte. Lachend gesellte Itsuki sich zu ihr, unterhielt sich mit ihr und deutete auf ein dünnes Silberarmband, das er ihr scheinbar schenken wollte. Faith schwieg und blieb auf einer Bank sitzen, während sie die beiden beobachtete. Seit zwei Tagen waren sie nun wieder vereint, aber Faith wurde das Gefühl nicht los, dass Mira und Itsuki sich seit ihrer Zeit zu zweit in Feuerstadt und Glutexia besser verstanden als vorher. Sie hingen ständig zusammen, erzählten sich Witze oder alberten miteinander herum. Itsuki alberte herum! Faith gab ein entrüstetes Schnauben von sich. „Na, ist da etwa jemand eifersüchtig?“ Die Stimme kannte sie doch! Sofort wirbelte Faith herum und verzog das Gesicht, als sie in die goldbraunen Augen ihres Rivalen blickte. „Joel, verzieh dich.“ Auf ihn und seine Kommentare konnte sie im Moment wirklich verzichten. Joel ließ sich von Faiths Art jedoch nicht im Geringsten beeindrucken und ließ sich mit einem Vanilleeis in der Hand neben ihr auf der Bank nieder. „Die beiden verstehen sich wirklich gut, aber das war vorher schon genau so.“ „Vorher hat Itsuki aber nicht mit Mira herumgealbert und ihr ein Geschenk gemacht“, erwiderte Faith störrisch und schielte zu dem Vanilleeis in Joels Hand. Er grinste, als er ihren Seitenblick bemerkte, und schleckte genüsslich an seinem Eis. „Mira ist offener geworden, das ist alles.“ Nach einem Moment des Schweigens seufzte Faith und gab ihre Anti-Haltung Joel gegenüber für den Moment auf. Was war schon dabei, wenn sie zusammen auf einer Bank saßen? Nichts, eben. „Meinst du?“ „Klar.“ Er biss in die Waffel, sodass ein paar Krümel auf seinem blauen Hemd landeten. „Die zwei hockten eine ganze Woche zusammen, als Mira Stress wegen der beiden Wettkämpfe hatte. Er war für sie da, hat mit ihr trainiert, sie beruhigt und ihr Mut gemacht. Da hat sie sich ihm einfach geöffnet, das ist alles.“ „Woher… Ach, stimmt ja, Trixi war wegen der Wettkämpfe auch da – und du dann natürlich auch. Dann war ich wohl scheinbar die Einzige, die sich nicht mit Wettkämpfen vergnügt hat.“ „Du musst nicht beleidigt sein, nur weil die zwei jetzt offener zueinander sind. Du bist genauso ihre Freundin wie vorher. Oder bist du etwa eingeschnappt, weil Itsuki Mira ein Armband schenkt und dir nicht? Hat er dich überhaupt gefragt?“ „Nein“, presste sie hervor, stand auf und schnaubte. „Und überhaupt, mir ist das total egal. Soll er doch machen, ich trage sowieso keine Armbänder.“ Joel schwieg einen Moment, verspeiste dabei den Rest der Eiswaffel und erhob sich anschließend ebenfalls. „Und wenn ich dir ein Armband schenke, trägst du es dann und bist glücklich?“ Faiths Augen weiteten sich und sie schaute ihren Kontrahenten überrascht an. „Was?“ Hatte sie sich verhört? „Seit wann bist du so nett zu mir?“ Joel lachte auf, klopfte Faith auf die Schulter und nickte in Richtung des Geschäfts, in dem Itsuki und Mira noch immer verschwunden waren. „Ich bin kein Unmensch. Außerdem macht es keinen Spaß dich zu ärgern, wenn du ohnehin schon schlechte Laune wegen etwas Anderem hast. Also, was sagst du? Ich schenke dir ein Armband und als Gegenleistung bist du wieder glücklich?“ Sie trat nachdenklich von einem Bein auf das andere, dann stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie nickte. „Wenn du nichts im Schilde führst, dann ja.“ „Du siehst aus, als würde ich dir Gift andrehen wollen.“ Lachend setzte Joel sich in Bewegung und fuhr sich durch die braunen Haare, die in unordentlichen Strähnen in sein Gesicht hingen. „Dort hinten ist auch noch ein Schmuckladen, in dem Trixi gerade ihr Portemonnaie erleichtert. Komm mit.“ Sie schaute kurz zu dem Geschäft, dann schloss sie zu Joel auf und lächelte in sich hinein. Sollten Mira und Itsuki doch ihre Freizeit in dem Schmuckgeschäft verbringen, sie würde nur kurz mit Joel weggehen und dann wiederkommen. Die zwei würden vermutlich nicht einmal merken, dass sie weg gewesen war. Mit einem leichten Gefühl von Genugtuung und Stolz bemerkte sie zudem, dass einige Mädchen ihr eifersüchtige Blicke zuwarfen, als sie mit Joel an ihrer Seite durch die Einkaufspassage lief. Trixi kam gerade aus dem Geschäft raus, in der Hand hielt sie zwei kleine Tüten und rosa Perlenohrringe glänzten an ihren Ohrläppchen. Sie war sichtlich überrascht, als sie die Begleitung ihres Zwillingsbruders erkannte. „Oh bitte.“ Sie ließ einen abschätzenden Blick über Faith gleiten. „Joel, das kann doch nicht dein Ernst sein. Bei Faith sind Hopfen und Malz verloren, da kann sie selbst Haute Couture und Diamantketten tragen.“ Joel schnitt eine Grimasse und führte Faith an Trixi vorbei in das Innere des Geschäfts. „Wie soll ich meine Rivalin denn ärgern, wenn sie wegen diesem Idioten Itsuki den Kopf hängen lässt.“ Gerade wollte Joel hinter Faith zu einer Vitrine gehen, da hielt Trixi ihn am Ärmel zurück und schaute ihrem Bruder tief in die Augen. Ihr Blick schien ihn bis auf die Seele zu analysieren, dann schnaubte sie, setzte ihre Sonnenbrille auf und drehte sich zum Ausgang um. „Du magst sie.“ Da sie keine Antwort erwartete, sondern nur etwas festgestellt hatte, ging sie auch ohne weiteres aus dem Laden raus und wartete draußen. „Jetzt habt ihr euch gestritten?“ „Nein.“ Joel grinste schief und zog ein dünnes Silberkettchen von einem Warenständer. Er drehte es in der Hand und hängte es zurück, dann ging er zum nächsten Armband über. „Trixi ist nur manchmal etwas schwierig. Sie hat die Angewohnheit ihre Umwelt bis ins Detail zu analysieren, aber sie bewertet es nicht. Sie ist nicht so unhöflich, wie sie auf dich vielleicht wirkt. Eigentlich findet sie Mira, Itsuki und dich sogar ganz nett, das ist seit der Zeit in der Berghütte so.“ Faith nickte leicht und erinnerte sich an die Berghütte zurück. Damals hatte sie mit Joel diese völlig bescheuerte Wette abgeschlossen und… sie hatten Latias gesehen, ein legendäres Pokémon. „Wie wäre es hiermit?“ „Hm?“ „Träum nicht vor dich hin.“ Joel versetzte ihr einen Stoß in die Rippen und reichte ihr danach ein dünnes, kupferrotes Armband, an dem ein kleiner, goldener Anhänger in Form eines Herzens befestigt war. Ein Herz? Faith schnappte nach Luft und schaute Joel erschrocken an, doch dieser verdrehte auf ihre Reaktion hin nur die Augen. „Mädchen stehen doch auf so Kram oder nicht? Jedenfalls findet Trixi das ganz toll. Denk jetzt bloß nichts Falsches, du Dummkopf.“ „Dummkopf?“ Faith boxte ihm gespielt empört in die Seite, drückte dann jedoch das Armband an sich. „Du hast recht, ich mag es.“ Joel rieb sich die schmerzende Stelle an der Seite, dann nahm er das Armband und bezahlte es bei dem Verkäufer, der sie gut gelaunt beobachtet hatte. Draußen angekommen legte Joel ihr noch das Armband an, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und schaute zu Trixi, die bereits ungeduldig mit dem Fuß wippte. „Ich schätze, ich sollte mein geliebtes Schwesterherz nicht weiter warten lassen. Man sieht sich, spätestens wohl wieder im Pokémoncenter.“ „Joel?“ „Ja?“ Auf ihr Rufen hin drehte er sich noch einmal zu Faith um. „Danke.“ Er nickte und schlenderte dann mit Trixi die Straße entlang. Faith seufzte, betrachtete das Armband und lächelte glücklich. Joel war gar nicht so fies, wie sie anfangs gedacht hatte, dennoch zweifelte sie keine Sekunde daran, dass er auch in Zukunft ihr erbittertster Gegner sein würde. Ein Blick nach vorne verriet ihr, dass Itsuki und Mira noch immer in dem Schmuckladen sein mussten, weshalb sie seufzend zurück zu ihrer Bank schlenderte, die am Rande eines Parks auf der anderen Straßenseite gelegen war. Gerade wollte sie die Augen schließen, als ein Pokémon gegen ihre Beine rumste. „Folipurba! Purba!“ Erschrocken blickte sie nach unten zu einem jungen, kleinen Folipurba, das sich anhänglich an sie schmiegte und Tränen in den Augen hatte. Dann ging Faith ein Licht auf und sie hob das Pokémon auf ihren Schoß. „Du bist jetzt nicht diejenige, die ich denke, dass du es bist?“ „Fo!“ Das kleine Folipurbamädchen aus dem Wald schmiegte überglücklich seinen Kopf an Faiths Bauch, schnurrte leise und kuschelte sich an sie. „Du bist den ganzen Weg zu mir gekommen?“ Das trieb selbst Faith die Tränen in die Augen und sie knuddelte das wilde Pokémon. Dann zog sie einen leeren Pokéball hervor und hielt ihn Folipurba vor die Nase. Itsuki und Mira kamen gerade aus dem Laden, als sie sahen, wie Folipurba sich widerstandslos von einer glücklichen Faith fangen ließ. Kapitel 38: Matt ---------------- „Und du willst mir partout nicht sagen, von wem das Armband ist?“ „Das kann dir doch egal sein“, murrte Faith zum wiederholten Male an diesem Morgen und fuhr sich genervt durch die vom Duschen noch nassen Haare. „Ich mische mich doch auch nicht ein, wenn du Mira ein Silberkettchen schenkst.“ Itsukis eisblaue Augen ruhten starr auf Faith, als wären sie nicht in der Lage irgendeine emotionale Regung zu zeigen, doch wenn man ihn genauer kannte, wusste man, dass dem nicht so war. Plötzlich huschte Itsukis Blick zur Seite und seine Augen verengten sich minimal. „Was will der denn hier.“ „Guten Morgen ihr drei.“ Joel klopfte Faith im Vorbeigehen auf die Schulter, hielt jedoch inne, als er das kupferfarbene Armband an Faiths Handgelenk erkannte. Ein siegreiches Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Wie ich sehe, trägst du es. Das ist schön, es steht dir.“ „Danke, Joel.“ Faith ließ Itsuki keine Sekunde aus den Augen und verspürte wohlige Genugtuung, als sie seine schlechte Laune registrierte, die mit Joels Eintreten auf einen neuen Tiefpunkt gesunken war. „Es war wirklich sehr nett von dir es mir zu schenken.“ „Wie kommst du dazu ihr Schmuck zu schenken?“, zischte Itsuki und umfasste das Brötchenmesser so stark, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Joel bemerkte dies, runzelte die Stirn und ließ sein Grinsen allmählich verschwinden. Er legte es nicht auf einen Streit mit Itsuki an, nur weil Faith ihm offensichtlich eins auswischen wollte. „Ich wüsste nicht, dass das verboten ist. Und jetzt entschuldigt mich, Trixi wartet schon.“ Er löste sich von Faith und ging gemächlich zu seiner Schwester ans Büffet, wo er sich Brötchen und Obstsalat auf sein Tablett lud. „Wieso nimmst du es an, wenn es von Joel stammt?“ „Er war nur nett zu mir, Itsuki, also führ dich bitte nicht so auf.“ „Wenn ich auch mal etwas dazu sagen darf…“ „Nein“, kam es gleichzeitig von Itsuki und Faith, weshalb Mira kurz zusammenzuckte und schweigend die Reste ihres Müslis löffelte. Nach fünf Minuten des Schweigens stand Faith auf, brachte ihren leeren Teller und das Besteck zum Geschirrwagen und kehrte zurück an den Tisch. „Mira, es ist wirklich okay für mich, wenn er dir das Armband schenkt. Es freut mich, dass ihr zwei euch so gut versteht, aber bitte kritisiert mich nicht länger dafür, dass ich Joel nicht länger an die Gurgel gehen will.“ „Ich habe doch gar nichts gesagt, was Joel und dich angeht.“ Mira verzog beleidigt das Gesicht und brachte ebenfalls ihr Geschirr weg, Itsuki folgte ihr. „Warum können wir nicht einfach so wie immer zueinander sein, hm? Itsuki, du hörst auf Joel mit deinen Blicken foltern zu wollen. Und du Faith, lässt das Thema auch gut sein. Wolltest du heute nicht ohnehin der Arena einen Besuch abstatten?“ „Ja, wollte ich“, bemerkte Faith sofort und war mit ihren Gedanken wieder ganz im Training. Gestern Abend hatte sie Folipurba ihren drei anderen Pokémon vorgestellt und wie erwartet war die offene, lustige Art des Pflanzenpokémon sofort bei allen gut angekommen. „Kommt ihr mit?“ „Ich begleite dich gerne“, sagte Mira sofort, setzte ihr übliches Lächeln auf und versetzte Itsuki einen leichten Stoß in die Seite, woraufhin auch dieser zustimmte. „Schön. Gehen wir gleich los?“ Faith nickte. „Meinetwegen. Je eher ich mir die Arena mal angeschaut habe, desto schneller können wir trainieren. Unser Training heute Nachmittag steht doch noch, Itsuki?“ Etwas unsicher war sie da schon. Seit sie mit Itsuki reiste, war die Stimmung zwischen ihnen nie so schlecht gewesen wie an diesem Morgen. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, dass er sie dafür strafen wollte, dass sie sich zurzeit gut mit Joel verstand. War das etwa so eine Jungen-Sache, die sie nicht verstand? Womöglich. „Sicher, aber erwarte nicht, dass ich dich verschone. Deine Pokémon müssen stärker werden, wenn du den Arenaleiter Daniel besiegen willst. Er setzt Normalpokémon ein.“ „Ja das weiß ich doch“, erwiderte Faith und schnitt eine Grimasse, während sie das Pokémoncenter verließen und sich auf den Weg zur Arena machten. Misstrauisch starrte Faith das kleine Messingschild an der Hauswand an. Das sollte die Arena von Nautica City sein? Sie sah nicht aus wie eine Arena, eher wie ein Bürogebäude oder etwas in der Art. Die Glaswände waren verspiegelt, sodass man nicht ins Innere sehen konnte, doch auf dem Schild stand eindeutig ihr Zielort. „Kann ich euch helfen?“ Faith drehte sich um und schaute direkt in das Gesicht eines Mannes, der sie durch seine Brille hindurch aus schwarzen Augen musterte. „Ja, ich bin Faith Loraire und würde mir gerne die Arena anschauen. Ich möchte Daniel, den Leiter, herausfordern. Ist er da?“ „Nein.“ Der Mann schob seine Brille den Nasenrücken ein Stück hinauf und musterte Faith, als wäre sie eine ansteckende Krankheit. „Er flittert.“ „Er macht was?“ Verständnislos schaute Faith ihr Gegenüber an, woraufhin der Mann schnaubte. „Du bist wohl nicht mit sonderlich viel Auffassungsgabe gesegnet. Er hat geheiratet und ist jetzt in den Flitterwochen auf den Orange Inseln. Ich bin David, sein Bruder, und vertrete ihn. Wenn du um den Klauenorden kämpfen willst, musst du mich herausfordern.“ Die Jungtrainerin legte den Kopf schief. „Gut… Dann möchte ich mir trotzdem gerne die Arena anschauen.“ „Das hier ist kein Kinderkarussell, das man sich einfach mal anschauen kann.“ Erneut schnaubte der Mann genervt. „Wenn du kämpfen willst, komm her. Ansonsten lass dich hier nicht blicken, ich bin Arzt und habe noch zu tun.“ Ohne auf weitere Worte zu warten, drehte David sich um und ging fort. Das Trio schaute David etwas vor den Kopf gestoßen nach, dann zuckte Faith mit den Schultern und streckte sich. „Da kann man wohl nichts machen. Lasst uns zum Pokémoncenter gehen, dann können wir trainieren und heute Mittag eine Pizza essen gehen.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zum Pokémoncenter, wo Mira nach wenigen Metern im Foyer wie angewurzelt stehen blieb. Ihre Augen weiteten sich ein wenig und sie starrte einen jungen Mann an, der sich gerade einen Zimmerschlüssel von Schwester Joy geben ließ. Auf seiner Schulter thronte ein Kramurx, das die Umgebung kritisch beäugte. „Mira, alles okay?“ Besorgt berührte Faith ihre beste Freundin am Arm, aber Mira reagierte gar nicht auf die Frage. Der Junge drehte sich zu ihnen um, seine bronzefarbenen Haare fielen in unordentlichen Strähnen über ein Stirnband in sein Gesicht. „Mira!“ Ein breites, offenes Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Er kam in großen Schritten auf sie zu, das Kramurx auf seiner Schulter krächzte und flatterte zu einer Stuhllehne. „Das ist ja ewig her, seit wir uns gesehen haben.“ Mira schluckte und nickte ihm zu, dann bildete sich ein rosa Schimmer auf ihren Wangen. „Hallo, Matt.“ Nervös nestelte sie an einer ihrer langen Haarsträhnen herum. „Wie geht es dir, Prinzessin?“ Matt beugte sich zu ihr runter und küsste sie auf die Stirn, was dafür sorgte, dass Mira knallrot anlief. Faith klappte derweil der Unterkiefer herunter und Itsukis Gesichtszüge wurden ausdruckslos. Was hatte das zu bedeuten? Kapitel 39: Der Drachenjäger ---------------------------- Mira war zu einer Salzsäule erstarrt und schien nicht einmal zu atmen, dann sog sie umso heftiger die Luft ein, fuchtelte wild mit den Armen und löste sich von Matt, den sie mit riesigen Augen anstarrte. „Matt“, stieß sie atemlos aus, schnappte wieder nach Luft und legte dann die Hände an ihre heißen Wangen, die gefühlte eintausend Grad hatten und als Leuchtreklame dienen konnten. „W-was m-machst du d-denn hier?“ Der Junge verzog die Mundwinkel, kratzte sich etwas unwohl am Hinterkopf und seufzte schließlich. „Ich habe dich verschreckt, nicht wahr?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, Mira.“ „N-nein, i-ist schon okay…“ Sie schluckte den riesigen, überdimensionalen Kloß in ihrem Hals runter, dann rang sie sich ein schüchternes Lächeln ab und drehte sich zu Itsuki und Faith um. „Das ist Matt Sorrow, ein alter Bekannter von mir aus Hoenn.“ „Hallo, Matt.“ Zu einer überschwänglicheren Begrüßung war Faith gerade nicht in der Lage, denn sie verarbeitete noch immer den Kuss, den er Mira gegeben hatte – wenn auch auf die Stirn. „Hey“, fügte nun auch Itsuki hinzu und reichte Matt die Hand, wirkte aber so kühl wie immer. Mira atmete tief durch, rieb sich über die Wangen und schien sich allmählich wieder zu fangen. „Matt, das sind Itsuki Ito und Faith Loraire, wir reisen zusammen. Wie ihr wisst, ist mein Vater Pokémonforscher. Wir haben Matts Familie in Laubwechselfeld kennen gelernt, als wir meinen Vater dort bei seiner Arbeit besucht haben.“ Matt nickte, wobei er leicht grinste. „Das ist jetzt aber auch schon wieder einige Jahre her. Ich habe in der Nachbarschaft von den Dawningtons gewohnt und auf Kohana und Mireillia aufgepasst, wenn ihre Eltern abends ausgegangen sind oder unterwegs waren.“ „Du warst Miras Babysitter?“, platzte Faith heraus und ihre Gesichtszüge glätteten sich wieder etwas. „So würde ich das nicht nennen“, erwiderte Matt lachend und hielt still, als sein Kramurx wieder auf seiner Schulter landete und dort den Kopf ins Gefieder steckte. „Ich bin ja auch nur drei Jahre älter als Mira, aber ich kannte mich in Laubwechselfeld aus und konnte dann mit den beiden Mädels was unternehmen, ohne dass ihre Eltern sich Sorgen machen mussten.“ „Matt war damals so etwas wie unser großer Bruder“, mischte sich nun auch Mira ein und zu ihrer eigenen Erleichterung hatten ihre Wangen wieder eine normale Farbe angenommen. „Was machst du überhaupt hier in Finera? Es ist so ein Zufall, dass wir uns hier treffen.“ „Das ist eine längere Geschichte.“ „Oh, dann erzähl sie uns doch“, meinte Faith begeistert und deutete auf die Clubsessel in der Lounge. „Ich bin sicher, Mira und du haben viel zu erzählen.“ „Na schön. Ich schätze, ich kann deiner reizenden Begleiterin den Wunsch nicht ausschlagen.“ Matt wartete, bis Mira sich gesetzt hatte, dann nahm er neben ihr und gegenüber von Itsuki und Faith einen der Sessel in Beschlag. „Ich war gemeinsam mit meinen Pokémon etwas außerhalb der Stadt unterwegs, als sich ein Unwetter angekündigt hat. An dem Tag war ich in den Bergen rund um Laubwechselfeld unterwegs, weil ich einem Nachbarn von mir meine Hilfe angeboten hatte. Er pflegt die Wanderwege rund um die Stadt, hatte allerdings den Fuß gebrochen, weshalb ich einen Wegabschnitt fertig machen wollte. Ich hatte mich natürlich beeilt, weil ich keine Lust hatte im Regen weiter zu arbeiten, da ist Ari, mein Reptain, plötzlich sehr nervös geworden. Unweit von uns schien etwas vor sich zu gehen. Ich habe die Sachen stehen und liegen gelassen und bin zusammen mit Ari zu einer Bergkuppe gelaufen, wo ich Latios und Latias gesehen habe.“ Matt legte eine Pause ein und sein Blick verfinsterte sich ein wenig. „Allerdings waren die beiden Legendären in Gefahr. Ein Junge hat sie mit seinem Brutalanda angegriffen. Ari und ich wollten den beiden Legendären helfen und wir konnten den Jungen einen Moment ablenken, sodass Latias entkommen konnte. Leider hat uns das Brutalanda dann ziemlich übel zugesetzt, Ari ist sofort besiegt worden und ich habe das Bewusstsein verloren. Als ich aufgewacht bin, war der Junge verschwunden und Latios hat sich neben mir in die Luft erhoben.“ „Oh mein Gott, das ist grauenvoll“, stieß Faith sofort aus. „Wieso sollte jemand Latias und Latios so etwas Schreckliches antun wollen? Wer war der Junge?“ „So etwas gehört bestraft“, stimmte auch Itsuki zu und verschränkte die Arme vor dem Körper. Matt nickte leicht und kraulte derweil das Gefieder von Kramurx. „Sein Name ist Damian Draco, er kommt aus Finera und ist dorthin zurückgekehrt. Er jagt Latias und Latios und ich jage ihn, damit ich ihn aufhalten kann. Damals war ich zu schwach, aber Ari und ich haben trainiert. Außerdem sind wir auch nicht mehr alleine. Lou, mein Quapsel, und Heather, mein Kramurx, sind bei uns. Es ist mein Schicksal, diesen Jungen aufzuhalten. Latios hat mir an jenem Tag das Leben gerettet, Brutalanda hätte mich fast einen Berghang runter gestürzt.“ Der Junge pausierte erneut, dann stand er auf und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. „Ich glaube, dass jeder Trainer sein Schicksal hat. Und es ist mein Schicksal, dass ich diesen Jungen aufhalte. Ich werde alles dafür tun, dass er seine Strafe bekommt und Latias und Latios wieder in Frieden leben können.“ „Das ist wirklich ehrbar von dir, Matt.“ Mira stand ebenfalls auf und drückte für einen kurzen Moment seine Hand. „Wenn ich dir helfen kann, dann sag es mir bitte.“ Faith tauschte einen schnellen Blick mit Itsuki aus, dann erhoben auch sie sich. „Wir helfen dir auch. Wenn wir diesem Damian über den Weg laufen, werden wir ihm gehörig die Löffel lang ziehen.“ „Du sagtest, dass er Damian Draco heißt?“ „Ja, wieso?“ Matt drehte sich zu Itsuki um, der nachdenklich die Augenbrauen zusammenzog. „Ich glaube, ich kenne ihn.“ „Was?“, kam es von Mira, Matt und Faith überrascht aus einem Mund. Itsuki schwieg noch einen Augenblick, dann nickte er langsam. „Ja, doch, ich habe schon von ihm gehört. In Eisbergen gab es mal einen Damian Draco. Alle haben ihn ‚Wunderkind‘ genannt, weil er eine besondere Begabung im Umgang mit Pokémon hat. Selbst die wildesten Pokémon waren an seiner Seite wie zahme Kätzchen, er konnte sich in sie einfühlen und sie irgendwie verstehen. Irgendwann ist er dann in einem Schneesturm fast ums Leben gekommen, ich glaube, Latias und Latios haben ihn damals gerettet. Danach hat man nie wieder etwas von ihm gehört.“ „Dann jagt er die beiden, obwohl sie ihm das Leben gerettet haben?“ Mira senkte betrübt den Blick. „Wie kann man nur so grausam sein.“ Schweigen legte sich über die Truppe, bis Matts lautes Magenknurren alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Er lächelte verlegen und schaute zu der Kantine. „Lasst uns nicht länger über diesen Kerl reden. Ich habe Hunger, was haltet ihr von Pizza und Pasta? Ich habe an der Straßenecke ein Restaurant gesehen und lade euch ein.“ „Oh, super!“, stieß Faith erfreut aus. „Es ist zwar noch etwas früh für ein Mittagessen, aber wenn wir uns Zeit lassen, geht das schon.“ Und so machten sich die vier Trainer auf den Weg ihren Hunger zu stillen, nichtsahnend, dass zur gleichen Zeit ein junger, talentierter Trainer das Pokémoncenter betrat. Er hatte eisblaue Haare und giftgrüne Augen, die auf dem Pokéball lagen, den er Schwester Joy gab. „Guten Tag, kümmern Sie sich bitte um mein Brutalanda. Ich bin nur auf der Durchreise und habe nicht viel Zeit.“ Schwester Joy nahm den Pokéball entgegen und reichte ihn weiter an ihr Chaneira, dann drehte sie sich wieder zu dem Trainer. „Kein Problem, es wird nur ein paar Minuten dauern, dann geht es deinem Pokémon wieder gut. Bist du wegen der Arena in der Stadt? Momentan sind viele Trainer hier, die unseren Arenaleiter herausfordern wollen.“ „Nein“, antwortete der Junge gedehnt und ein schmales Lächeln entstand auf seinen Lippen. „Sagen wir, ich bin geschäftlich in der Gegend.“ „Geschäftlich?“ Schwester Joy lachte gut gelaunt und schaute auf, als Chaneira den Pokéball zurückbrachte. „Wie ein Geschäftsmann siehst du aber nicht aus. Hier, bitte, deinem Brutalanda geht es gut.“ „Danke.“ Er steckte den Pokéball zurück an seinen Gürtel und schulterte wieder seinen Rucksack. „Ich bin Jäger.“ „Jäger?“ Nun stutzte Schwester Joy ein wenig, dachte sich aber nichts weiter dabei. „Was jagst du denn?“ Der Junge schmunzelte, doch in seinen Augen blitzte etwas Gefährliches auf. „Drachen.“ Mit dieser Antwort drehte er sich um und verließ das Pokémoncenter wieder, die giftgrünen Augen auf den Horizont gerichtet. Kapitel 40: Die dritte Arena - Teil 1 ------------------------------------- Das Training mit Itsuki war, wie nicht anders zu erwarten, sehr anstrengend und ergiebig gewesen. Faith hatte ihren vier Pokémon die Möglichkeit gegeben wie in einem richtigen Kampf gegen Itsuki anzutreten. Früher hatten sie noch verloren, aber dieses Mal hatte Taubsi sogar Igelavar ausschalten können, nur gegen Blitza und Schneppke hatte es wegen des Typennachteils keine Chance gehabt. Faith war dennoch zufrieden mit den Ergebnissen. Jetzt saßen die drei Jungtrainer gemütlich in einer Eisdiele und hatten jeder einen riesigen Eisbecher vor sich stehen, Matt war alleine in der Stadt unterwegs. Faith wollte nachher David herausfordern, aber Mira hatte Itsuki und sie spontan von der Idee überzeugen können, dass sie den schönen Augusttag auch mit einem leckeren Eis genießen sollten. Wer konnte schon sagen, wann die ersten Tiefdruckgebiete kamen und es wieder kühler wurde, immerhin ging es langsam aber sicher auf den September und dann auf den Herbst zu. „Ich liebe meinen Eisbecher“, quietschte Faith vergnügt, als sie die Sahnehaube von ihrem Joghurt-Bananenbecher mit Schokoladensoße aß. „Das ist sogar noch besser als Bananasplit.“ „Du isst doch sowieso jeden Eisbecher“, sprach Itsuki mit einem leichten Grinsen und rührte in seinem Spaghettieis herum, während Mira ihm ein zustimmendes Nicken schenkte und genüsslich die Augen schloss, als sie ihren Kiwi-Becher probierte. „Köstlich“, schwärmte sie, nahm gleich einen zweiten Bissen und pflückte dann die Fruchtstücke heraus. „Mit so einem köstlichen Eis kann die Laune zum Arenakampf doch nur super sein, nicht wahr, Faith?“ „Sicher, aber das ist sie auch so.“ Faith zwinkerte ihrer Freundin zu. „Taubsi ist wirklich stark geworden und Bibor ist ohnehin ein guter Kämpfer. Ich bin da positiver Dinge, dass ich David besiegen kann und den Klauenorden gewinne. Außerdem bin ich dann besser als Joel, weil ich den Orden vor ihm habe.“ Mira seufzte, als sie das hörte. „Geht das schon wieder los. Das hat doch nichts mit Tempo zu tun. Joel ist ein guter Trainer und du bist auch gut. Wo ist da das Problem?“ „Es gibt keins“, murrte Faith sofort, da sie die Stimmung nicht riskieren wollte. Sie hatte gerade erst wieder die gute Stimmung herstellen können. Itsuki wollte sie endlich nicht mehr mit seinen Blicken erdolchen. Sie wollte nicht, dass Itsuki sauer auf sie war, denn dann fühlte sie sich schlecht. Wieder standen sie vor dem Bürogebäude mit den verspiegelten Wänden und wieder fragte Faith sich, ob sie wirklich richtig waren. Doch hier hatten sie David getroffen und deshalb musste es stimmen. „Also dann.“ Faith ging zur Eingangstür und drückte die Klingel. Eine Weile tat sich nichts und sie wurde schon ungeduldig, dann öffnete David tatsächlich die Tür und starrte sie aus seinen schwarzen Augen heraus an. „Ja bitte?“ „Eh, ich war schon mal hier. Ich wollte Sie herausfordern und um den Klauenorden kämpfen.“ Der Arzt musterte Faith, dann gab er einen theatralischen Seufzer von sich und bat sie rein ins Innere des Gebäudes. „Gut, ich muss noch schnell ein Telefonat tätigen, geht doch alle drei schon einmal vor in die Arena. Das hier ist das Haus meines Bruders, er lebt hier und hat auch sein Geschäft hier, die Arena ist den Gang runter auf der rechten Seite. Ich bin in fünf Minuten bei euch.“ Faith nickte und ging mit Itsuki und Mira im Schlepptau den Gang runter. Überall sah man Büroräume, dann kam eine breite Tür mit der Aufschrift ‚Arena‘ und sie trat ins Innere des Raums. Im nächsten Moment staunte sie nicht schlecht. Der Raum war gut sieben Meter hoch und umfasste zwei Etagen. Eine ganze Front war mit den verspiegelten Scheiben verkleidet, nur dass man von dieser Seite aus nach draußen schauen konnte ohne geblendet zu werden. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet“, gestand Mira und nahm an der Seite auf einem Stuhl Platz, Itsuki direkt neben ihr. „Dann hat der Arenaleiter seine Wohnräume in den oberen Etagen, die Büroräume hier im Erdgeschoss und die Arena ist auch integriert.“ „Das ist eine Großstadt“, meinte Itsuki daraufhin stirnrunzelnd. „Grundstücke sind teuer, da nutzt man die Fläche gut aus.“ „So, da wäre ich dann.“ David betrat den Raum, er hatte seinen weißen Kittel abgelegt und trug darunter ein graues Hemd und eine schwarze Hose. „Du setzt drei Pokémon ein und ich auch. Wer zuerst die drei Pokémon des Gegners besiegt hat, hat gewonnen. Lass uns sofort anfangen, ich habe einen vollen Terminkalender.“ „Öh, ist gut.“ Faith nahm ihren Platz ein und zückte bereits Bibors Pokéball. Ihr Starter sollte den Anfang machen, da es den größten Kampfgeist besaß. „Ich bin bereit.“ David nickte. „Dann fangen wir an. Du bist dran, Mauzi. Setz Kratzfurie ein.“ Davids Stimme drückte nur zu deutlich aus, wie wenig Lust er auf diesen Kampf hatte. Er schien ihm fast schon vollkommen egal zu sein und eher eine lästige Pflichtübung. Faith knirschte leise mit den Zähnen und nickte Bibor zu, als Mauzi fauchend auf es zusprang. „Flieg hoch und weich der Attacke aus!“ „Mauzi, Finte!“ Das Katzenpokémon verfehlte Bibor, kehrte auf dem Boden jedoch sofort um und verschwand, nur um in der Luft direkt hinter Bibor aufzutauchen und die Attacke zu Ende zu bringen. Bibor stieß einen warnenden Laut aus, strauchelte ein wenig, konnte sich dann jedoch wieder fangen und wandte sich Mauzi zu, das lautlos auf dem Boden landete und erneut fauchte. Faith war hochkonzentriert, nagte aber dennoch an ihrer Unterlippe und warf David einen Blick zu. „Bibor, Giftstachel! Lass es nicht entkommen!“ Mauzi sprang elegant zur Seite, als die ersten Giftstachel den Boden trafen, doch dann konnte es nicht mehr schnell genug ausweichen und erhielt eine volle Breitseite von Bibor. Das Normalpokémon gab einen Klagelaut von sich, als die Vergiftung zu wirken begann. David verengte kurz die Augen, schnaubte und schob die Brille gerade. „Noch einmal Finte!“ Das ließ sich Mauzi nicht zweimal sagen, es sprang in die Luft, verschwand und tauchte wieder hinter Bibor auf. Faiths Startpokémon wurde erneut getroffen, doch dieses Mal schien es ein Volltreffer zu sein, denn Bibor wurde von der Wucht des Angriffs auf den Hallenboden geschleudert. „Bibor!“ Faiths Stimme klang besorgt, so hatte sie sich den Kampf nicht vorgestellt. „Schnell, Verfolgung!“ Die Wespe nickte knapp, erhob sich wieder in die Luft und erwischte Mauzi noch bevor dieses wieder auf dem Boden gelandet war. Beide Pokémon schenkten sich nichts, aber auf einen weiteren Befehl von David hin nutzt Mauzi den Moment und verpasste Bibor einen kräftigen Biss in die empfindliche Taille. Das war zu viel für Bibor, es wollte weiterkämpfen, sank aber zu Boden und krümmte sich besiegt, während Mauzi einen arroganten Blick zu Faith warf und sich die Pfoten leckte. „Bibor, du warst toll“, murmelte Faith, als sie ihr geliebtes Bibor zurück in den Pokéball holte. Zwar war sie etwas besorgt, dass sie verlieren könnte, doch wenigstens wusste sie, dass sie schnelle Attacken brauchte. Mauzi war flink und mit Sicherheit würden Davids andere Pokémon auch schnell sein. Dementsprechend zögerte sie nicht lange und entließ Taubsi auf das Feld. Als das Vogelpokémon sich aus dem roten Strahl formte und in die Luft erhob, konnte die nächste Runde beginnen. „Mauzi, spring es an und dann Kratzfurie!“ Davids Befehl hallte durch die Halle. „Taubsi, halte es mit einem kräftigen Windstoß auf Abstand!“ Taubsi erwischte Mauzi mitten in der Luft, die Flug-Attacke wirbelte Mauzi herum und schleuderte es direkt gegen eine Wand, wo die Katze bewegungslos liegen blieb. Zufrieden gurrte Taubsi und plusterte stolz sein Gefieder auf. „Tau!“ David schien immer noch die Ruhe selbst zu sein. Er zog Mauzi kommentarlos zurück und entließ nun sein zweites Pokémon, ein Chaneira. In diesem Moment wusste Faith, dass es noch ein sehr harter Kampf werden würde. Kapitel 41: 150 Kommentare Special: Faith ----------------------------------------- „Faith, Schatz, sei aber bitte zum Abendessen zurück.“ Faith schaute auf und ihre Kinderaugen hefteten sich an das Gesicht ihrer Mutter, die gerade im Türrahmen erschien und die Hände an einem bunten Handtuch sauber machte. „Ja, Mom“, entgegnete Faith mit einer kindlichen Stimme und zog sich die gelben Gummistiefel an, die sie so sehr liebte. „Wohin geht ihr beiden überhaupt?“ Ihre Mutter backte gerade Zitronenplätzchen und im ganzen Haus roch es bereits nach Zimtrollen und Schokoladencreme. Faith zuckte mit den Schultern, stand von der Treppe auf und griff nach ihrem Haustürschlüssel. „Lauri hat gesagt, dass sie mir ihre Pokémon zeigen möchte. Danach gehen wir zum Strand.“ Ihre Mutter nickte und schaute auf, als die Küchenuhr klingelte und die Kekse fertig waren. „Achtzehn Uhr, vergiss es nicht.“ „Werde ich nicht. Bis später, Mom.“ Lächelnd drückte Faith die Türklinke und trat hinaus an die herbstliche Luft, die sie gierig aufsog. Hinter ihr verhallte irgendwo das amüsierte Lachen ihrer Mutter, doch Faith stürmte bereits die Strandpromenade entlang und musste aufpassen, dass sie keine Touristen umrannte. Es dauerte vielleicht zwei oder drei Minuten, bis sie in eine Seitenstraße bog und vor dem Café der Familie Miyahara landete. „Lauri!“, stieß Faith vergnügt aus, als sie das ältere Mädchen sah. Lauri, eine Trainerin aus Faiths Nachbarschaft, blickte von dem Buch auf, das sie in der Hand hielt. Als sie Faith erkannte, klappte sie grinsend das Buch zu, ließ es in ihrer Umhängetasche verschwinden und ging auf Faith zu, die sie mit großen Augen anschaute. „Hallo, Faith.“ Lauri beugte sich zu dem Mädchen runter und wuschelte ihr durch die Haare, was Faith ein vergnügtes Quietschen entlockte. „Ich möchte deine Pokémon sehen“, sprach Faith sofort und nahm Lauris Hand, um sie zum Strand zu zerren. „Bist du jetzt eine starke Pokémontrainerin? Hast du schon alle Orden gesammelt?“ „Hey, hey, nicht so schnell, Faith.“ Lachend verringerte Lauri das Tempo und band sich im Gehen ihre orangeroten Haare zu einem lockeren Zopf. „Wenn du mal stehen bleiben würdest, kann ich dir die Orden zeigen.“ Sofort hielt Faith an und sprang neugierig um Lauri herum, die ihre Ordenbox aus Metall auskramte und öffnete. Im Inneren befanden sich die acht glänzenden Orden der Finera-Region an ihren Plätzen. Staunend betrachtete Faith die Orden und warf Lauri einen anerkennenden Blick zu. „Du bist toll, Lauri. Wenn ich so groß bin wie du und mein erstes Pokémon bekomme, dann möchte ich auch so eine starke Trainerin werden.“ „Ob ich so stark bin, werde ich nächste Woche sehen, wenn ich nach Eisbergen zur Liga reise.“ Lauri zwinkerte ihrer kleinen Bewunderin zu und steckte die Box wieder zurück in ihre Tasche. „Ich bin gerade einmal vierzehn Jahre alt. Wenn ich die Top Vier jetzt nicht besiegen kann, dann werde ich einfach ein paar Jahre trainieren und es zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen.“ „Ich bin acht, kann ich auch gegen die Top Vier kämpfen, wenn ich mir jetzt ein Pokémon fange?“ Lauri lachte und ging mit Faith zum nahegelegenen Strand. „Warte ab, bis du deinen Starter bekommst, dann wirst du bestimmt eine supertolle Trainerin und Pokémonchampion.“ „Ja, genau, ich werde Champion!“ Faiths Gesichtsausdruck war sehr ernst, was eigentlich eher lustig wirkte, da es nicht zu ihrem kindlichen Gesicht passte. „Und jetzt zeigst du mir dein Pokémonteam, mit dem du antreten wirst?“ Nickend entließ Lauri ihr Startpokémon, welches mittlerweile ein stattliches Galagladi war und Faith höflich zunickte. „Das ist Jonathan, mein Starter.“ Faith bestaunte das stattliche Pokémon und berührte sein Bein. „Wow! Zeig mir auch die anderen!“ Nach der Reihe zog Lauri nun auch die anderen fünf Pokébälle und entließ die Pokémon daraus: Psiana, Knakrack, Dragoran, Austos und Lohgock. „Ich habe noch andere Pokémon, aber Flamara, Sleimok, Magnayen und Glurak bleiben hier in Litusiaville bei meinen Eltern.“ Abwesend nickte Faith, sie hörte zwar Lauris Worte, hatte aber nur Augen für Dragoran. „Dragonir ist mein Lieblingspokémon“, plapperte das junge Mädchen vergnügt und sah zu, wie Lauri ihre Pokémon wieder zurück in die Bälle zog. „Wenn ich Trainerin bin, möchte ich ein Dratini als Starter haben!“ „Sicher.“ Lächelnd tätschelte Lauri Faiths Kopf. „Das wirst du. Oh, es ist schon spät, ich muss zurück ins Café, meine Eltern brauchen meine Hilfe. Ich schaue noch einmal bei dir zu Hause vorbei, bevor ich nach Eisbergen aufbreche.“ „Ist gut, Lauri.“ Faith winkte der Trainerin nach, drehte sich dann zum Meer um und warf einen sehnsüchtigen Blick zum Horizont. Ob sie irgendwann auch so eine talentierte Trainerin wie Lauri werden würde? Bestimmt, daran glaubte sie fest, immerhin war sie Faith Loraire! Sie hatte den ersten Platz im Pokémon-Malwettbewerb der zweiten Klasse gewonnen! Mittlerweile dämmerte es, aber Faith träumte von ihrer Karriere als Trainerin und schlenderte in Gedanken versunken am Meer entlang, bis sie bemerkte, dass keine Menschenseele mehr in ihrer Nähe war. Nachdenklich drehte sie sich im Kreis und erkannte, dass die Lichter der Stadt weit hinter ihr lagen. Sie musste sich bestimmt zwei Kilometer von Litusiaville entfernt befinden. Nun stieg etwas Panik in ihr hoch und Faith begann im Sand zu rennen. Allmählich wurde der Sand unter ihren Füßen immer matschiger, bis sie mit ihren Gummistiefeln ins Wasser trat und erkannte, dass sie zu spät war. Die Flut kam und hatte sie vom Strand abgeschnitten, weil sie nicht bemerkt hatte, dass sie ins Watt gelaufen war. Faith stieß einen erstickten Schluchzer aus und drehte sich ängstlich Richtung Strand. Überall um sie herum war Wasser und es schien von Minute zu Minute mehr zu werden. „Mom!“, rief sie so laut sie konnte. Die Lichter der Stadt schienen zum Greifen nah und waren doch zu weit weg, als dass man sie hören könnte. „Mom!“ Heiße Tränen liefen ihre Wangen entlang, während Faith wieder zurückrannte, doch auch dort hatte sich Wasser breit gemacht und Faith wusste, dass sie nicht bis zum Ufer schwimmen konnte, wenn das Wasser so kalt war und die Strömung einsetzte. Schluchzend kauerte sie sich an einer trockenen Stelle im Sand auf den Boden und vergrub weinend das Gesicht in den Händen, bis sie irgendwann hörte, wie die ersten Wellen auch hier gegen ihre sonnengelben Gummistiefel schlugen. Sie sprang auf, die Augen vom Weinen gerötet. Mittlerweile konnte sie nicht einmal mehr sehen, wo das Wasser noch flach genug zum Laufen war, weshalb sie einfach still stand und zusah, wie ihre Füße langsam durch das Meer bedeckt wurden. „Ich will nach Hause…“, jammerte sie und begann wieder zu weinen, als plötzlich ein Schatten am Himmel erschien und zeitgleich eine freundliche Stimme zu hören war. „Laaa…“ Faith wischte sich die Tränen von den Wangen und schaute hoch, wo ein weißrotes Pokémon direkt vor ihr schwebte und sie freundlich anlächelte. „Wer bist du denn?“ „Latias“, machte das fremde Pokémon und stupste Faith an der Schulter an, dann warf es einen Blick zur Stadt. „Kannst du mich bitte nach Hause bringen? Ich kann hier nicht schwimmen und die Flut kommt… Ich habe solche Angst.“ Latias stupste Faith erneut an und flog einmal um sie herum. „Wie heißt du?“ Die Stimme, die Faith in ihrem Kopf hörte, irritierte sie im ersten Moment, doch dann wurde ihr klar, dass das fremde Pokémon mit ihr sprach. „Ich bin Faith“, antwortete Faith lächelnd und streckte ihre Kinderhand aus, damit sie die Schnauze des Pokémon berühren konnte, was dieses auch zuließ. „Und wer bist du?“ „Latias.“ „Kannst du mich nach Hause bringen, Latias?“ Latias schien zu lächeln, als es den Körper senkte, sodass Faith auf seinen Rücken klettern konnte und vor dem Wasser in Sicherheit war. „Halt dich fest, wir fliegen.“ Gemeinsam erhoben sie sich in die Luft, immer höher und höher, bis Faith die Straßenlaternen und beleuchteten Fenster unter sich als kleine, helle Punkte wahrnehmen konnte. Die Sterne über ihr leuchteten und glitzerten wie winzige Diamanten auf der Wasseroberfläche. „Das ist toll!“, stieß sie aus, doch der Flugwind verschlug ihr fast die Sprache. Latias lächelte, wurde langsamer und steuerte wieder auf Litusiaville zu, wo es am Stadtrand landete und Faith absteigen ließ. „Jetzt bist du in Sicherheit.“ „Danke, Latias.“ Glücklich schloss Faith die Arme um den Hals des Legendären und drückte es. Latias drückte Faith ebenfalls, allerdings rieb es dabei seinen Kopf an ihrer Schulter und schaute schließlich zum Sternenhimmel empor. „Ich habe etwas für dich.“ Aus seinem Gefieder zupfte Latias einen runden Stein, der so glatt war, als wäre er geschliffen. Ein lilablaues Licht schimmerte in ihm, als würde es ein Eigenleben haben. „Das ist Seelentau, pass gut darauf auf.“ Faith nahm den kühlen Stein entgegen und schaute ihn interessiert an, doch als sie wieder zu Latias schaute, war dieses bereits verschwunden. „Faith!“ Die Stimme ihrer Mutter klang viel zu schrill, als ihre hektischen Schritte auf dem Sand knirschten und sie Faith in ihre Arme schloss. „Oh Gott, was hast du dir dabei gedacht? Geht es dir gut, Faith?“ Besorgt legte sie die Hände an Faiths Wangen und drückte sie. „Ich hatte solche Angst, dass du in Gefahr sein könntest. Ich habe dir doch gesagt, dass du rechtzeitig zu Hause sein sollst! Tu mir das bloß nie wieder an! Dein Vater war schon kurz davor Officer Rocky anzurufen!“ Faith gähnte erschöpft und schlang die Arme um den Hals ihrer Mutter, als sie von ihr hochgehoben und nach Hause getragen wurde. „Tut mir leid, Mom“, murmelte sie schläfrig und kuschelte sich an sie. „Ich war in Gedanken versunken und bin ins Watt gelaufen.“ „Oh Gott! Und dir ist nichts passiert, mein Schatz?“ „Nein, ich wurde von Latias gerettet. Es hat mich aus dem Meer geflogen, ich habe die ganze Stadt von oben gesehen.“ Ihre Mutter klingelte und ihr Vater öffnete sofort die Tür. Die beiden unterhielten sich, aber Faith bekam davon kaum noch etwas mit, sie war schon am Einschlafen. Lediglich die letzten Worte ihrer Mutter drangen noch zu ihrem Bewusstsein. „Sie muss am Strand eingeschlafen sein und hat von Latias geträumt.“ Ja, Latias… Das war wirklich wie ein Traum gewesen. Ihre Eltern brachten die schlafende Faith ins Bett und ihre Mutter entdeckte einen wunderschönen Stein, den sie über Faiths Bett auf ein Regal legte. Anschließend knipste sie das Licht aus und verließ das Zimmer, das von dem Licht der Sterne und einem lila Schimmern erleuchtet wurde, das der Seelentau ausstrahlte. Lächelnd erhob sich ein Schatten vor Faiths Fenster in die Luft und Latias flog in die Nacht hinaus. Kapitel 42: Die dritte Arena - Teil 2 ------------------------------------- Taubsi und Chaneira waren beide konzentriert und starrten sich an. Keiner blinzelte, beide warteten nur auf den ersten Befehl ihres jeweiligen Trainers. Die Spannung war fast greifbar. Faith hatte mit allen Pokémon gerechnet, aber nicht mit einem Chaneira. Ein Chaneira! Dieses Pokémon passte zu Schwester Joy, aber doch nicht zu einem Arenaleiter. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass David eigentlich Arzt war, kein Arenaleiter, und sie nahm ihre Gedanken zurück. „Taubsi, Windstoß!“ „Chaneira, Spukball!“ Spukball? Faith blinzelte verwirrt, als Chaneira eine dunkle Kugel aus Energie formte und diesen direkt in den Windstoß von Taubsi schoss. Spukball war eine Geist-Attacke, sie hatte nicht einmal Wirkung auf Taubsi. Was sollte das? Im nächsten Moment erkannte Faith jedoch, warum David diese Attacke veranlasst hatte. Der Spukball schaffte es, dass Taubsi für einen Moment aus dem Konzept gebracht wurde und der Windstoß verebbte. Chaneira nutzte dies sofort aus und schoss eine Aquawelle hinterher, die Taubsi wie eine Tontaube aus der Luft holte und vollkommen durchnässt auf dem Boden aufschlagen ließ. Noch dazu schien Taubsi verwirrt zu sein, denn es krächzte in die falsche Richtung und erhob sich mit einem taumelnden Flug in die Luft. Faith schlug die Augenlider nieder, als sie sah, in welches Desaster sie steuerte. Chaneira beherrschte TM-Attacken – und sie wollte sich schon über es lustig machen. „Taubsi, konzentrier dich und setz Ruckzuckhieb ein!“ Taubsi gurrte schwerfällig und beschleunigte zu einem Ruckzuckhieb, der jedoch gut drei Meter neben Chaneira an einer Wand endete. David grinste leicht und fuhr sich durch die schwarzen Haare. „Gute Arbeit, Chaneira.“ „Cha!“, antwortete dieses gut gelaunt und rannte auf Taubsi zu, das benommen am Boden kauerte. „Chaneira!“ Mit voller Wucht verpasste es dem Vogel einen Duplexhieb. Es schien, als würde es mit dem nassen Taubsi den Boden wischen wollen. „Taubsi, bitte, befrei dich irgendwie und flieg in die Luft!“ Faith hoffte inständig, dass ihr Vogelpokémon die Verwirrung bald ablegen würde, denn es war schon geschwächt und Chaneira war noch immer unverletzt. Zu ihrem Glück schien Taubsi sich wieder zu fangen, es rappelte sich auf und entkam nur um Haaresbreite einem weiteren Duplexhieb. Gurrend drehte es eine Runde über dem Kampffeld und setzte einen ernsten Blick auf. Konzentriert analysierte es die Lage, dann steuerte es über Chaneira und setzte einen weiteren Ruckzuckhieb ein, der genau traf und Chaneira nach hinten taumeln ließ. „Weichei!“ Davids Ruf klang im ersten Moment wie eine Beleidigung, doch dann begann Chaneira sich selbst zu heilen. Faith blieb der Mund offen stehen, doch sie zögerte nicht lange. „Taubsi, du darfst nicht zulassen, dass es sich heilen kann! Du musst es immer wieder mit deinen Attacken treffen!“ Dann erinnerte sie sich an die Attacke, die es im Training mit Itsukis Igelavar erlernt hatte. „Los, Windhose!“ Hoffentlich würde die Drachenattacke etwas bringen. Chaneira hob den Blick, konnte aber nicht verhindern, dass Taubsi seine ganze Kraft in diese Attacke legte. Staub wurde aufgewirbelt, doch Chaneira blieb standhaft, wenngleich es immer mehr Schaden erlitt. „Gleich einen Windstoß hinterher!“ Taubsi gurrte und attackierte sogleich Chaneira, das zu schwerfällig zum Ausweichen war. Plötzlich begann Taubsi jedoch aufzuglühen. Sein Körper wurde größer, die Schwanzfedern und Flügel länger. „Es entwickelt sich!“ Miras Stimme war gut zu hören, während der Rest den Atem anhielt und zuschaute. „Tauboga! Tau!“ Durch die Entwicklung schien es neue Kraft getankt zu haben, sein Gurren war tiefer und melodischer. Faith sprang vor Freude und Enthusiasmus in die Luft. „Chaneira ist geschwächt, du kannst es mit einem Ruckzuckhieb besiegen!“ Seelenruhig sah David zu, wie sein Pokémon besiegt umkippte. Er zog Chaneira in den Pokéball, seufzte und warf einen Blick auf seine Uhr. Anschließend entließ er ein Kangama auf das Feld. „Kangama, dieses Tauboga ist geschwächt. Du kannst es besiegen. Megahieb!“ „Tauboga, Ruckzuckhieb!“ Beide Pokémon knallten gegeneinander. Taubogas Körper rammte Kangamas Brust, während das große Normalpokémon einen kräftigen Faustschlag in Taubogas Bauch platzierte. Es war Tauboga, das sofort zu Boden fiel und sich keinen Millimeter mehr rührte. Faith musste es zurückziehen. Die Jungtrainerin fixierte Kangama. Es schien stark zu sein, doch gleichzeitig konnte es Attacken durch seine Größe nicht gut ausweichen. Voltilamm war stark, aber es kämpfte nicht mit vollem Einsatz, wenn es nicht gereizt wurde. Schweigend verharrte Faiths Hand über Voltilamms Ball, doch dann entschied sie sich für Folipurba und entließ es auf das Feld. Ihr war klar, dass Folipurba noch jung war, aber es war in der Wildnis aufgewachsen und ein kleiner Kämpfer. „Kangama, wieder Megahieb!“ „Folipurba, Rasierblatt!“ Kangama spurtete mit einem Kampfschrei nach vorne und schleuderte Folipurba hoch in die Luft, doch dort drehte das Pflanzenpokémon sich und konterte mit einem Schwall aus scharfkantigen Blättern. „Das hast du gut gemacht, schwäche jetzt die Verteidigung mit Rutenschlag!“ Aufgeregt hibbelte Faith umher und sah zu, wie Folipurba geschickt den Rutenschlag einsetzte. David kniff die Augen zusammen, doch er sagte nichts dazu. Stattdessen gab er den nächsten Befehl und Kangama setzte wie schon Chaneira Spukball ein. Dieses Mal hatte die Attacke keinen Typennachteil und Folipurba musste sie einstecken. Das Pflanzenpokémon rappelte sich schwankend wieder auf. Es hatte einen starken Willen und wollte für seine geliebte Faith weiterkämpfen. Faith atmete tief durch, ihr Puls war bereits in die Höhe geschnellt und das Adrenalin wurde durch ihren ganzen Körper gepumpt. „Noch einmal Rasierblatt!“ „Megahieb!“ Wieder stießen beide Gegner gegeneinander. Danach noch einmal. Und noch einmal. Die zwei schwankten bereits, keiner konnte sich mehr richtig auf den Beinen halten und dennoch wollte keiner von beiden aufgeben. Kangamas Ruf glich einem erstickten Röcheln, als es schließlich kurz vor Folipurba auf den Boden kippte. Beide Pokémon waren besiegt. Schweigend starrte Faith den Arenaleiter an, der sein Kangama zurück in den Pokéball holte. Sie tat es ihm mit Folipurba gleich. „Und?“, fragte sie mit trockenem Mund und ging auf David zu. Dieser runzelte die Stirn und zog einen Klauenorden aus seiner Hosentasche. Einen Moment schien er zu zögern, dann legte er ihn in Faiths Hand. „Du hast gewonnen. Kangama ist vor deinem Folipurba zu Boden gegangen, also gehört der Orden dir. Ich habe noch etwas für dich.“ Wieder glitt seine Hand in die Hosentasche. Er zog eine dünne Scheibe hervor, die einer CD ähnelte. „Das ist die TM Spukball. Ich schenke sie dir. Mein Bruder hat ein Faible für TM-Attacken, insofern hattest du Glück. Sein Snobilikat beherrscht Donnerblitz, es hätte mit dieser starken Attacke kurzen Prozess mit deinen Pokémon gemacht.“ Davids Blick ruhte noch einen Moment auf Faith, dann scheuchte er sie, Itsuki und Mira mit den Worten, dass er noch zu tun habe, aus der Arena hinaus. „Du hast gewonnen!“ Mira umarmte Faith und ließ sie lächelnd wieder los. „Ich freue mich so für dich.“ „Vielen Dank.“ Grinsend steckte Faith die TM in ihre Tasche und den Orden in ihre Orden-Box. „Guter Kampf.“ Itsuki nickte ihr anerkennend zu, schien aber wieder so kühl und distanziert zu sein wie damals, als sie sich kennen gelernt hatten. Es war, als ob seine fast schon unbeschwerliche Art der letzten Zeit nie existiert hätte. Gemeinsam gingen sie zurück zum Pokémoncenter, wo Faith ihre Pokémon heilen ließ und ihnen anschließend den neuen Orden präsentierte. Währenddessen saß Itsuki in einem der Lounge-Sessel und blätterte in einer Zeitschrift. Mira saß ebenfalls in der Lounge und trank eine Apfelschorle. Ihr Blick glitt zur Eingangstür und im nächsten Moment verschluckte sie sich, als sie eine blauhaarige Frau und ein weiteres, bekanntes Gesicht erkannte. „Mira, hallo!“ Maike grinste sie an und entdeckte dann auch Faith und Itsuki, die bei dem Klang ihrer Stimme aufgeschaut hatten. „So eine Überraschung!“ Lachend tippte Maike ihre Begleiterin an, die den Kopf in Miras Richtung drehte. „Ist das die junge Koordinatorin, über die wir vorhin noch gesprochen haben?“ „Ja, das ist Mireillia Dawnington. Das hier sind Itsuki und Faith, ihre Begleiter.“ Maike stellte sie vor und ihr Lächeln wurde nur noch breiter, als sie zu ihrer Begleiterin schaute. „Und das hier ist Lucia, eine gute Freundin von mir, aber ihr werdet sie wohl aus dem Fernsehen kennen.“ Lucia lachte und boxte Maike in die Seite. „Freut mich euch kennen zu lernen.“ Kapitel 43: Trainerlegenden --------------------------- Mira wusste noch immer nicht, was sie davon halten sollte, dass Maike sich mit der berühmten Koordinatorin Lucia über sie unterhalten hatte. Maike und Lucia waren immer ihre Vorbilder gewesen, sie bewunderte besonders Lucia für ihre überaus eleganten Showeinlagen und nun saß sie gemeinsam mit Maike, Lucia, Faith, Matt und Itsuki beim Italiener und stocherte in ihren Fusilli herum. Matt hatte gerade einen Witz erzählt, die Stimmung war locker und eigentlich verstanden sie sich auch alle gut. Faith erzählte lang und breit von ihrem heutigen Arenakampf, Maike hörte ihr zu und auch Lucia brachte sich immer wieder in das Gespräch ein. Itsuki schwieg die meiste Zeit, hörte aber aufmerksam zu und gab hin und wieder einen Kommentar ab. „Was machst du eigentlich hier in Nautica City? Ich dachte, du wolltest mit Drew zurück nach Blütenburg City?“ Faiths Frage zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich und auch Mira schaute wieder zu ihren beiden Vorbildern. „Ja, du warst doch mit Drew in Blütenburg City in eurem süßen, kleinen Häuschen.“ Lucia stichelte sofort ihre Freundin und grinste, als Maikes Wangen eine leichte Rosafärbung bekamen. Maike räusperte sich und nickte dann. „Wir haben uns wieder vertragen. Eigentlich wollte er jetzt auch mitkommen, aber seine Sendung wird zurzeit aufgezeichnet und er konnte dort nicht weg. Lucia und ich haben am Wochenende einen Anruf von Ash bekommen, Misty und er sind von einer Reise zurück gekommen und müssen hier in Nautica City umsteigen.“ Lucia schien die ganze Erklärung abkürzen zu wollen und stützte die Arme auf dem Tischrand ab. „Kurz gesagt, wir treffen uns morgen hier mit ihnen, gehen schön essen und fahren dann gemeinsam weiter nach Hoenn, wo wir uns mit dem Professor treffen. Rocko und Maikes Bruder Max wollen morgen auch vorbeikommen. Es ist schon Ewigkeiten her, seit wir uns alle das letzte Mal getroffen haben.“ „Seit wir Team Rocket endgültig zerschlagen haben und Giovanni hinter Gittern sitzt, sind wir alle irgendwie immer unsere eigenen Wege gegangen“, erklärte Maike schnell und strich sich eine braune Haarsträhne hinter das Ohr. „Wir treffen uns vielleicht einmal im Jahr, aber morgen ist eine gute Gelegenheit. Möchtet ihr nicht mitkommen?“ „M-mitkommen?“ Ängstlich warf Mira einen Blick in die Runde, sie war schüchtern und das alles wurde ihr irgendwie zu viel, doch Faith stimmte natürlich überschwänglich zu. Mira seufzte und lächelte Matt schüchtern an, als dieser unter dem Tisch kurz ihre Hand drückte. Faith strahlte bereits und war vollkommen begeistert. „Ash Ketchum ist eine Trainerlegende, ihr seid alle Berühmtheiten! Es wäre total klasse, wenn ich Ash persönlich treffen könnte! Oh, und Rocko ist ein bekannter Züchter, seine Pokémon sind für ihre tollen Zuchtattacken selbst hier in Finera bekannt! Das wäre fantastisch!“ Maike und Lucia lachten und nickten sich zu. „Einverstanden, dann kommt ihr morgen früh einfach mit, wenn wir sie am Bahnhof abholen.“ Ash Ketchum war ganz anders, als Faith ihn sich vorgestellt hatte. In ihrem Kopf existierte fast schon ein Heiligenbildnis von dem Trainer, der Giovanni besiegt hatte, doch der junge Mann, der nun lächelnd neben Maike und Lucia stand, war einfach ein ganz normaler Mensch. Sein berühmtes Pikachu saß gähnend auf seiner Schulter und seine Verlobte Misty hatte locker einen Arm um seine Taille gelegt. Ihr Treffen war nur kurz gewesen, Faith hatte ein Autogramm von Ash bekommen und sie hatten ein gemeinsames Foto gemacht. Ein paar Tipps von Trainer zu Trainer waren auch dabei gewesen, aber nun verabschiedeten sich Ash und Misty bereits. Sie waren müde von der langen Fahrt, wollten schon zum Restaurant im Hotel gehen und dort auf ihre Freunde warten. Max, Maikes kleiner Bruder, der sich gerade bei Professor Birk ausbilden ließ, war ein knappes Jahr älter als Faith. Sein Kirlia stand ruhig an seiner Seite und beobachtete seinen Trainer, während Max immer wieder seine ältere Schwester ärgerte, die darauf aber nur bedingt einging. Rocko, der Züchter unter den Trainerlegenden, war in ein Gespräch mit Matt und Gary Eich vertieft. Gary schien Ashs Rivale und doch ein enger Freund zu sein, er war spontan am Bahnhof aufgekreuzt und winkte Faith und den anderen kurz zu, als auch er sich auf den Weg ins Hotel machte. Faith hatte sich unter dem Treffen mehr vorgestellt, aber sie freute sich, dass sie überhaupt solch berühmte Trainer getroffen hatte. Lucia und Maike gaben Mira noch einige Tipps für ihren weiteren Werdegang, dann schnappte Maike sich ihren Bruder und die drei schlossen zu Gary auf, sodass nur noch Rocko bei ihnen stand und seinen Freunden hinterher schaute. „Ich schätze, dass ich jetzt gehen sollte.“ Er hatte sich mit Matt unterhalten, die beiden hatten sich auf Anhieb super verstanden und sogar ihre Telefonnummern ausgetauscht, damit Matt sich immer Ratschläge bei Rocko holen konnte. Langsam drehte er sich zu Faith um und holte einen Pokéball hervor, den er in der Hand drehte. „Du bist eine ehrgeizige Trainerin, das hat mich an Ash erinnert. In diesem Ball befindet sich ein Pokémon aus meiner Zucht. Es ist sehr stur und braucht eine starke Hand, die es führt. Wenn du dir das zutraust, dann würde ich es dir zum Training überlassen. Du scheinst mir sehr zuverlässig zu sein, Faith.“ Die Angesprochene machte große Augen, als sie den Pokéball entgegen nahm und ihn in der Hand hielt. „Natürlich bin ich ehrgeizig“, meinte sie sofort und versprach dem Züchter, dass sie sich gut um das Pokémon kümmern würde. Rocko nickte und lächelte. „Falls es dennoch Probleme geben sollte, dann kann Matt mich jederzeit erreichen. Ich muss jetzt gehen, die anderen sollen nicht lange auf mich warten müssen.“ Alle verabschiedeten sich von Rocko und als er außer Sichtweite war, hüpfte Faith vor Aufregung umher. „Rocko hat mir ein Pokémon geschenkt!“ „Ein Riolu“, fügte Matt grinsend hinzu. „Wir haben darüber gesprochen.“ „Ich werde es im Pokémoncenter aus dem Ball lassen. Oh Gott, ich bin so aufgeregt!“ „Das sehen wir“, entgegnete Itsuki kühl und fuhr sich durch die hellblonden Haare. Er drehte sich zum Ausgang und ging darauf zu, sodass die anderen ihm auch schnell folgten. Den ganzen Weg zurück zum Pokémoncenter ging Faith laut das durch, was sie über Riolu und dessen Weiterentwicklung Lucario wusste. Sie nervte damit Itsuki, doch das war ihr egal. Kaum hatten sie das Foyer betreten, ließ sie Riolu aus dem Pokéball. Das kleine, blaue Kampfpokémon blinzelte und starrte Faith an. „Rio“, knurrte es und verengte die Augen. „Nanu, was hat es denn?“ Überrascht schaute Faith auf, doch Matt und Itsuki zuckten beide mit den Schultern, weshalb sie sich wieder zu Riolu drehte. „Ich bin Faith, deine neue Trainerin. Rocko hat dich mir zum Trainieren geschenkt.“ Riolu dachte über ihre Worte nach, drehte ihr den Rücken zu und verschränkte die Arme vor dem Körper. Scheinbar schien es die Ansicht seines Züchters nicht zu teilen. Anstatt weiter auf Faiths Worte zu achten, stapfte es direkt auf Joel zu, der gerade sein Sniebel von Schwester Joy in Empfang nahm. „Lu! Riolu!“, rief es kampflustig und deutete auf Sniebel, welches sofort drohend die Klauen hob. „Riolu, was machst du denn da?“ Besorgt trottete Faith ihrem Pokémon hinterher und baute sich vor Riolu auf. „Du kannst mich nicht einfach ignorieren, wenn ich mit dir rede!“ „Rio!“, stieß Riolu erneut aus und schob Faith einfach zur Seite. Erneut forderte es Sniebel heraus. Joels Grinsen rutschte ins Überhebliche ab, als er eine Augenbraue in die Höhe zog. „Dein neues Pokémon fordert mein Sniebel heraus.“ „Das sehe ich auch“, blaffte Faith sofort und hob Riolu hoch, doch das Kampfpokémon boxte ihr gegen den Arm, sprang zurück auf den Boden und lieferte sich ein Blickduell mit Sniebel. „Es will kämpfen“, erklärte Joel ihr überflüssigerweis. Derweil sprang Sniebel vom Tresen und fauchte Riolu ebenfalls kampflustig an. Beide Pokémon schauten sich einen Moment an, dann marschierten sie durch eine Glastür nach draußen auf den Trainingsplatz. „Riolu, bleib hier!“ Faith folgte ihrem Pokémon nach draußen, doch es hörte nicht auf sie. Das konnte noch ein ganzes Stück Arbeit werden. Kapitel 44: Niemals ------------------- „Rio!“ „Snie!“ Riolu und Sniebel starrten sich gegenseitig in Grund und Boden, während Joel und Faith das Kampffeld betraten und sofort die Aufmerksamkeit der beiden Pokémon auf sich gezogen hatten. „Riolu, du kommst sofort zurück!“ Faith streckte die Schultern durch, damit sie möglichst imposant auf das kleine Kampfpokémon wirkte, aber es brachte nichts. Riolu schnaubte verächtlich und ignorierte sie, es hatte nur Augen für seinen Gegner. „Sniebel, bringen wir dem kleinen Hund ein paar Manieren bei.“ Joel grinste und nickte seinem Startpokémon zu. „Finte.“ Sniebel fauchte angriffslustig, sprang auf Riolu zu, verschwand und tauchte hinter dem Kampfpokémon wieder auf, doch Riolu reagierte blitzschnell und sein Fuß begann Feuer zu fangen, als es einen Feuerfeger nach hinten einsetzte und Sniebel mitten aus der Attacke riss. „Hey, ich habe gar nicht gesagt, dass du angreifen sollst!“, rief Faith empört, war jedoch auch beeindruckt von der Reaktionsfähigkeit des jungen Pokémon. Zudem schien Riolu Zuchtattacken zu beherrschen, was sie im nächsten Moment aber nicht weiter verwunderte, denn immerhin hatte Rocko es ihr ja gegeben. „Setz jetzt Kraftwelle ein, die Attacke ist gegen Unlichtpokémon effektiv!“ Riolu schien allerdings nichts von dem Mädchen mit den türkisfarbenen Haaren zu halten und sprang auf Sniebel zu, um seinem Gegner einen Patronenhieb, noch eine Zuchtattacke, zu verpassen. Sniebel wurde erneut getroffen, taumelte nach hinten und konterte auf Joels Befehl hin blitzschnell mit einer Kratzfurie, die Riolu bis auf den Boden drückte. Beide Pokémon waren Kämpfer und wollten als Sieger aus diesem Kampf gehen. „Riolu, dann jetzt wieder Feuerfeger!“ Faiths neues Pokémon knurrte mit einem verächtlichen Blick in ihre Richtung, täuschte einen Angriff an und erwischte Sniebel dann mit Himmelhieb, der dritten Zuchtattacke, die es beherrschte. Die Kampfattacke war sehr effektiv, schleuderte Sniebel in die Luft und ließ es bei der Landung gequält keuchen. Mittlerweile hatte auch Joel begriffen, dass Riolu ein starkes Pokémon war. Er verengte minimal die Augen und warf seinem Sniebel einen abschätzenden Blick zu. „Sniebel, Ruckzuckhieb!“ „Riolu, weich aus!“ Auch diesen Befehl von Faith ignorierte Riolu gekonnt und es zuckte nicht einmal zusammen, als Sniebel es mit einem Volltreffer erwischte. Stattdessen fing erneut der Fuß des Kampfpokémon Feuer und es verpasste Sniebel einen Tritt, der es zu Boden streckte und besiegt liegen ließ. „Rio!“, blaffte Riolu und stolzierte vor dem besiegten Sniebel auf und ab. Joel zog ruhig sein Sniebel zurück in den Pokéball und ging auf Riolu und Faith zu. „Glückwunsch, Riolu. Du bist ein starker Kämpfer.“ Die Augen des Kampfpokémon glänzten bei diesem Kompliment und es ließ sich dazu herab Joel die Hand zu reichen, was Faith fast platzen ließ. „Riolu, du kannst mich nicht einfach ignorieren! Ich bin deine Trainerin, du musst auf mich hören, sonst sind wir kein Team!“ Riolu drehte sich in aller Seelenruhe zu Faith um und bedachte sie mit einem abfälligen Knurren, als würde es ihr klarmachen wollen, dass sie unter seiner Würde war. Joel grinste amüsiert, als er diese Szene sah. „Scheinbar kann mich dein Pokémon besser leiden als dich.“ „Ach halt die Klappe, Joel. Riolu und ich sind ein prima Team, wir haben nur ein paar Startschwierigkeiten, nicht wahr, Riolu?“ „Lu?“ Riolu zog skeptisch eine Augenbraue nach oben, verschränkte in Abwehrhaltung die Arme vor dem Körper und trat vor Joel. „Riolu.“ „Oh, es mag mich wirklich mehr als dich. Es akzeptiert dich nicht als Trainerin, Faith.“ „Joel!“ Nun war Faiths Stimme mindestens eine ganze Oktave nach oben geschnellt und sie funkelte ihn an. Er war auf ihrer Sympathieliste mit seinen Kommentaren so eben gehörig abgestürzt und in das Rivalen-Fach gefallen. „Riolu, geh von ihm weg, du bist mein Pokémon!“ Nun begann Riolu sie feindselig anzuknurren und sich mit gesträubtem Fell schützend vor Joel aufzubauen. Es schien seinen Trainer selbst gewählt zu haben, was allen Anwesenden klar war, nur Faith schien es aus Sturheit zu übersehen. „Faith…“ Es war Mira, die mit zarter Stimme auf ihre Freundin einreden wollte. „Riolu möchte bei Joel bleiben, es sieht in ihm einen passenderen Trainer als in dir, vielleicht solltest du…“ „Ich werde gar nichts!“, giftete Faith sofort zurück und holte im Zuge ihrer Hilflosigkeit Riolus Pokéball hervor. Dafür wurde sie nur noch lauter angeknurrt, der Wildhund zeigte ihr sogar drohend die Zähne, doch sie zog es in den Ball zurück und steckte ihn an ihren Gürtel, damit jeder der Anwesenden sehen konnte, dass es ihr Pokémon war. Mira verstummte und blickte betreten zu Boden, woraufhin Matt ihr tröstend die Schulter tätschelte und nun das Wort erhob. „Faith, Mira hat aber recht. Du kannst Riolu nicht dazu zwingen, dass es bei dir bleibt. Du musst im Interesse des Pokémon denken.“ „Joel kann es besser trainieren als du, dieses Riolu braucht eine starke Hand. Du bist ungeeignet für das Training eines solch sturen Pokémon.“ Trixi strich sich elegant eine der braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht und trat an die Seite ihres Zwillingsbruders, der ihr ein schmales Lächeln schenkte. Hilflos schaute Faith sich um, alle schienen gegen sie zu sein. Selbst in Itsukis eisblauen Augen und durch seine distanzierte Art hindurch konnte sie erkennen, dass er ebenfalls Riolu lieber an Joels Seite sehen würde. Sie schnaubte und warf Joel einen wütenden Blick zu. „Ich lasse mir von dir nicht weißmachen, dass ich eine schlechte Trainerin bin!“ „Das habe ich auch nicht gesagt.“ „Du… Du…“ Ihr fehlten die Worte. „Du bist mein Rivale, Joel, ich werde dir niemals mein Pokémon überlassen!“ „Niemals ist ein starkes Wort. Sag niemals nie, vor allem nicht, wenn sich Riolu bereits entschieden hat. Kampfpokémon kämpfen mit dem Herzen, du kannst es nicht dazu zwingen, dass es dich als Trainerin akzeptiert. Lass es bei mir bleiben, ich werde mich gut um Riolu kümmern, das verspreche ich dir.“ „Weißt du was, Joel?“ Eingeschnappt legte Faith den Kopf schief und hielt noch einen Moment die Tränen zurück, die sich anbahnten. „Du kannst mich mal.“ Wütend drehte sie sich um und stapfte zurück ins Innere des Pokémoncenters, ungeachtet der Rufe, die von Matt und Mira bis an ihre Ohren drangen. Immer schneller wurden ihre Schritte, bis sie fast durch das Foyer rannte und auf der anderen Seite des Centers nach draußen stürmte. Wieso nur hatte Riolu sie nicht akzeptieren können? Tränen quollen aus ihren Augen, sie schluchzte erstickt vor Enttäuschung und ließ sich gegen eine Hauswand sinken, die von einer Hecke geschützt wurde. Faith wusste nicht, wie lange sie dort saß, aber als sie sich wieder eingekriegt hatte, spürte sie Hunger, Durst und den Drang einfach nur in ihr Bett zu fallen. Mühselig kramte sie ihre Uhr heraus und erkannte, dass sie seit über einer Stunde dort saß – und niemand war zu ihr gekommen, um sie zu trösten oder sie zurück zu holen. Keiner ihrer Freunde war jetzt an ihrer Seite, was sie nur noch enttäuschter werden ließ. War ihre Entscheidung in Bezug auf Riolu etwa wirklich so falsch gewesen? Konnte es sein, dass ihr eigener Starrsinn bereits ihr Urteilsvermögen beeinträchtigte? Sie schaute auf Riolus Pokéball an ihrem Gürtel, dann seufzte sie und machte sich auf den Rückweg ins Pokémoncenter. Dort erwartete sie jedoch niemand. Faith seufzte erneut und erkundigte sich bei Schwester Joy über den Verbleib der anderen. Joel und Trixi waren in der Stadt und Mira, Matt und Itsuki saßen im Garten des Pokémoncenters. Faith bedankte sich für die Auskunft und ging in den Garten, wo sie sich schweigend zu den anderen setzte und in den blauen Himmel schaute. Keiner sagte etwas, aber das war ganz angenehm für Faith. Sie wollte nicht für ihr Verhalten kritisiert werden. „Und du denkst wirklich, dass du dich richtig entschieden hast?“ Nun sagte Matt doch etwas und Faith hätte ihm am liebsten einen Schlag dafür verpasst, doch sie nickte lediglich eingeschnappt mit dem Kopf. „Sicher. Riolu und ich kommen miteinander klar, ich werde es euch beweisen.“ Trotzig zog sie den Pokéball hervor und entließ Riolu vor sich auf die Wiese. „Hallo, Riolu.“ „Rrrrr!“ Das Kampfpokémon knurrte erbost, schaute sich um und rannte auf den Gartenzaun zu, über den es beherzt hinwegsprang. „Ihr kommt also klar, mhm.“ Matt schaute dem Pokémon hinterher und blickte dann zu Faith, die ebenfalls aufgesprungen war und Riolu verfolgte. Faith sprang über den Zaun und stolperte in die Einkaufspassage, in der sie gerade noch Riolus blauen Körper in einer Menschenmasse verschwinden sah. „Riolu!“ Sie setzte sich sofort in Bewegung und rannte ihrem neuen Teammitglied hinterher, in der Hoffnung, dass sie es wiederfinden würde. Kapitel 45: Riolus Wille ------------------------ Faith hatte aufgehört auf ihre Umgebung zu achten. Sie war zu sehr damit beschäftigt den Menschen auf den Straßen auszuweichen und dabei Riolus blaue Silhouette im Auge zu behalten. Dennoch wurde der Abstand zu dem kleinen Kampfpokémon immer größer, bis sie ihr Riolu aus den Augen verlor und sich mit rasendem Herzen keuchend gegen eine Hauswand lehnte. Einer der Pokébälle an ihrem Gürtel wackelte und Bibor befreite sich, sodass es direkt vor ihr Gestalt annahm und sie anblickte. In seinen roten Insektenaugen konnte man Sorge lesen, was Faiths Herz ein wenig erwärmte. „Du hast gespürt, dass ich verzweifelt bin und Hilfe gebrauchen könnte, hm?“ „Bibor“, entgegnete ihr Startpokémon und tätschelte mit einer der dicken Lanzen vorsichtig die Schulter seiner Trainerin. Anschließend erhob es sich mit surrenden Flügeln in die Luft und schwebte einen knappen Meter über dem Boden. „Bor?“ „Du hast recht, wir sollten weitersuchen. Riolu kann zwar weglaufen, aber ich habe Rocko versprochen, dass ich… Rocko! Genau, das ist es! Vielleicht ist Riolu zu ihm ins Hotel gelaufen.“ Bibor schien nicht wirklich nachvollziehen zu können, was Faith von sich gab, aber es flog treu an ihrer Seite, als sie im Schritttempo zurück zu der großen Einkaufspassage ging und den Weg zum Hotel einschlug. Einige Passanten starrten Faith missmutig an, als sie die Wespe an ihrer Seite erkannten. Bibor schien kein Pokémon zu sein, das sich einer breiten Fanbasis bedienen konnte, doch das war Faith im Moment wirklich vollkommen egal. Sie musste Riolu finden und irgendwie dafür sorgen, dass die Dinge zwischen ihnen geklärt wurden. „Bi.“ „Hm? Hast du was gesagt?“ „Bibor.“ Bibor deutete an einer Kreuzung in die Seitenstraße, in der gerade ein brauner Haarschopf von drei Jungen umlagert wurde. Trixi. Faith verzog die Mundwinkel zu einem schmalen Strich, doch ihre Beine setzten sich bereits in Bewegung und sie überquerte den Zebrastreifen, um direkt auf Trixi und ihre Verehrer zugehen zu können. Damit sie nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, holte sie zudem Bibor wieder zurück in den Pokéball, bedankte sich aber für die Hilfe bei der Suche. Trixi machte einen sichtlich gelangweilten Eindruck, als ein blondhaariger, junger Mann ihr schüchtern eine rote Rose in die Hand drückte und nervös ein Kompliment für ihre Schönheit stammelte. Sie winkte ab, steckte die Rose ein und entdeckte in diesem Moment Faith, weshalb sie die drei Männer einfach stehen ließ und auf sie zukam. „Faith.“ Ein kurzes Nicken musste ihrer Meinung wohl als Begrüßung ausreichen. „Trixi, hallo.“ Als Faith vor ihr stehen blieb, atmete sie tief durch und warf den drei Verehrern einen genervten Blick zu, woraufhin diese fortgingen. „Wo du bist, ist dein Bruder doch nicht weit.“ „Du suchst nach Joel?“ Interessiert hob Trixi eine Augenbraue an, doch ihr Gesicht zeigte ansonsten keine Reaktion. „Genauer gesagt suche ich Riolu, es ist mir entwischt und wenn Joel und du hier in der Gegend sind, könnte es ja sein, dass er Riolu gesehen hat. Also, wo ist Joel?“ Trixi ließ ihre Augenbraue wieder sinken, warf die Rose in einen Mülleimer am Straßenrand und klimperte dabei mit ihren goldenen Armreifen. „Er ist, wie du sehen kannst, nicht bei mir.“ Mittlerweile war Faith richtig genervt von Trixis ausweichenden Antworten und packte die Koordinatorin grob am Arm. „Ich will wissen, wo dein Bruder ist. Es geht hier um mein Pokémon.“ Augenblicklich verhärtete sich Trixis Blick und sie pflückte Faiths Finger mit einem Schraubstockgriff von ihrem Arm. „Wage es nicht, so mit mir zu reden, Faith. Du hältst dich vielleicht für eine gute Trainerin, aber du bist ein Nichts. Wer kennt bitteschön deinen Namen? Ich hingegen bin Trixi Light, Tochter der berühmten Koordinatorin Susan Light, meinen Namen wird man im ganzen Land kennen.“ „Ladies, bitte.“ Joel war ein wenig mulmig gewesen, als er den Zwist der beiden Mädchen gesehen hatte. „Wo ist hier das Problem, ich bin doch da.“ Faith drehte sich sofort zu Joel um und erstarrte mitten in der Bewegung, als sie ihr Riolu mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck dicht an Joels Bein stehen sah. „Riolu…“, murmelte sie und begriff bei diesem Anblick, dass der Wildhund seine Entscheidung tatsächlich selbst getroffen hatte. „Scheinbar will es mich wirklich nicht als Trainerin haben…“ „Es ist mir gerade eben zugelaufen und da dachte ich mir, dass du nicht weit weg bist. Also, was wirst du jetzt wegen Riolu unternehmen?“ Auf Joels Frage hin umklammerte Riolu augenblicklich Joels Bein und mit seiner ganzen Körperhaltung flehte es Faith an, dass es bei ihm bleiben durfte. Faith wusste, dass es falsch war, wenn sie Riolu jetzt mitnehmen würde, daher seufzte sie traurig und reichte Joel den Pokéball von Riolu. „Ich sehe ein, dass es dich als Trainer will. Pass bitte gut auf Riolu auf. Ich werde Matt sagen, dass er Rocko wegen Riolu Bescheid gibt, er wird es sicher verstehen.“ Joel wirkte überrascht, nahm den Pokéball jedoch ohne zu zögern an und steckte ihn an seinen Gürtel. Im Gegenzug reichte er Faith einen leeren Ball. „Riolu und ich werden harte Gegner für dich sein.“ „Du bist doch jetzt schon mein härtester Gegner.“ Noch immer traurig zwang Faith sich zu einem Lächeln und trat einen Schritt zurück, als Riolu hell zu leuchten begann und wuchs. Es entwickelte sich, also schien es Joel wirklich zu akzeptieren, was Faith endlich Beweis genug war. „Lucario!“, stieß das Pokémon aus und klopfte sich auf die Brust. „Luca!“ Stolz blickte es seinen neuen Trainer an und nickte anschließend Faith dankbar zu. Mehr Dank würde sie jedoch nicht von dem stolzen Wesen erwarten können. „Man sieht sich.“ Nach einer zügigen Verabschiedung, bei der sie es vermied Lucario anzusehen, schlenderte Faith zurück ins Pokémoncenter und hing dabei ihren Gedanken nach. „Faith, ist alles in Ordnung?“ Mira kam aus dem Garten ins Foyer und lächelte Faith an. „Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Itsuki auch, glaube ich, er spricht ja nicht viel über solche Dinge.“ „Ja, alles bestens. Riolu hat sich zu Lucario entwickelt, ich habe es Joel überlassen. Es ist bei ihm besser aufgehoben als bei mir.“ „Eine weise Entscheidung.“ Kurz drückte Mira ihre Freundin, dann machte sie Platz für Itsuki, der ebenfalls ins Foyer kam, in der Hand ein leeres Cocktail-Glas. „Du hast es ihm also gegeben?“ „Ja.“ Itsuki nickte, sagte aber nichts weiter, sondern schaute aus dem Fenster nach draußen. Da sie bald wieder aufbrechen würden, wollte Faith trotz ihrer momentanen Erschöpfung das Stadtflair genießen. „Ich muss jetzt auf andere Gedanken kommen. Hat jemand Lust auf Kino? Ich bezahle auch die Karten für euch.“ „Kino?“ Mira lächelte fröhlich. „Das klingt gut, ich bin dabei.“ „Wenn es denn sein muss“, erwiderte Itsuki kühl wie immer. Am Himmel staute sich eine große, dunkle Gewitterfront an, die ihren dunklen Schatten auf Nautica City warf. Sie würde mehr bringen als nur ein normales Gewitter. Regentropfen begannen wie dicke Tränen auf die Erde zu fallen. Kapitel 46: Team Darks Rückkehr - Teil 1 ---------------------------------------- Unmittelbar nach dem Frühstück hatte Faith ihrem anhänglichen Folipurba die TM Spukball beigebracht, da sie der Ansicht war, dass das Pflanzenpokémon diese Attacke gut gebrauchen könnte. Nun stand sie jedoch abreisefertig mit dem Rucksack auf dem Rücken im Foyer des Pokémoncenters und wartete geduldig, bis Matt und Itsuki sich von Schwester Joy die nächste Route erklären ließen. Als sich die vier Trainer in Bewegung setzten und Nautica City bald hinter ihnen lag, hingen graue Regenwolken wie schwere, bemalte Wattekugeln am Himmel. Eine leichte Brise wehte und zerzauste Faith und Mira regelmäßig die Frisur, doch davon ließen sich die beiden Mädchen nicht weiter stören. „Nautica City ist eine tolle Stadt“, schwärmte Mira und warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Skyline hinter sich. „Sie ist sehr geschäftig und lebendig, aber irgendwie mag ich das.“ „Ich hätte ja gedacht, dass du die Ruhe und Natur in Waldhausen vorziehst.“ Matt grinste und zwinkerte in Miras Richtung, woraufhin sein Kramurx Heather, das wie immer auf seiner Schulter thronte, einen missbilligenden Laut von sich gab. Das schwarze Vogelpokémon führte sich oft wie eine kleine Diva auf und so war es auch jetzt eifersüchtig auf alle weiblichen Wesen, die Matt nahestanden. Das Trio und Matt – er wollte sie vorerst begleiten, bis er eine neue Spur von Damian Draco fand – hatten schon bald die Route zum Finstermoor erreicht. Laut Reiseführer würden sie einige Tage unterwegs sein, wobei Übernachtungen im Moor nur in einem ausgewiesenen Pokémoncenter ratsam waren. Moorbach, die nächste Stadt, in der es die vierte Arena für Faith und den nächsten Wettbewerb für Mira gab, lag mitten im Moor und war bekannt für die vielen seltenen Pokémon, die rund um die Stadt im Moor zu finden waren. Seufzend betrachtete Faith den Himmel, es sah eindeutig nach Regen aus. „Wir hätten morgen abreisen sollen, dann würde uns heute Nachmittag der Regenschauer erspart bleiben, der im Radio angesagt wurde.“ Matt zuckte lediglich mit den Schultern, er war ein Mensch, der bei Wind und Wetter draußen war, ihm machte es nichts aus. Mira hingegen stimmte Faith sofort zu. Sie hatte sich angesichts des Moores extra ein Paar geblümter Gummistiefel in Nautica City gekauft, liebäugelte jetzt jedoch damit, sie sofort anzuziehen. „Ich will keine nassen Füße kriegen, meine Schuhe sind zwar wasserdicht, aber wenn es wirklich so stark regnet, bringt das auch nichts.“ Itsuki und Matt verfielen bald in ein lockeres Gespräch über das Training ihrer Pokémon, während Mira und Faith sich ein paar Meter zurückfallen und die Zeit in Nautica City revuepassieren ließen. Beide Trainerinnen waren froh, dass die Stimmung innerhalb ihrer kleinen Gruppe wieder entspannt und fröhlich war. Nach zwei Stunden legten sie ihre erst kleine Pause ein, beobachteten Schwalbini und Taubsi am Himmel und gönnten auch ihren Pokémon einen kleinen Snack. Da ihr Tagespensum der Route jedoch noch lange nicht erfüllt war, brachen sie die Pause nach zwanzig Minuten an, zogen die Pokémon zurück in die Pokébälle und marschieren weiter. Gegend Abend erreichten sie eine kleine Holzhütte am Straßenrand, die von Trainerin auf der Durchreise für eine Übernachtung genutzt werden konnte. Die Hütte war sehr einfach eingerichtet, ein kleiner Aufenthaltsraum diente zeitgleich als Wohn- und Schlafzimmer mit einem Campingkocher in einer Ecke. Ein Badezimmer mit einer vorsintflutlichen Dusche, einem kleinen Waschbecken und einer neuen Toilette war als Nebenraum angebaut. Die vier Trainer schoben die braune Couch an die Wand, rollten ihre Schlafsäcke auf dem Boden aus und gingen auch kurz darauf schlafen. Die letzten Stunden ihrer Wanderung hatte sich der Regenschauer immer deutlicher angekündigt, nun prasselte er leicht gegen die einzige Fensterscheibe des Raums und wiegte die Jungtrainer in einen unruhigen Schlaf. Faith riss die Augen auf. Es war mitten in der Nacht und das Geräusch eines kleinen LKWs hatte sie geweckt. Zumindest war sie sich sicher, dass sie sich das nicht eingebildet oder geträumt hatte. Vorsichtig krabbelte sie aus ihrem Schlafsack und schwankte zum Fenster, wobei sie aufpassen musste, dass sie auf keine Gliedmaßen der drei anderen trat. Neugierig spähte sie hinaus und konnte tatsächlich die roten Rücklichter eines nachtschwarzen Transporters entdecken. Faith kniff die Augen zusammen, schaute genauer hin… und sog scharf die Luft ein. Oh Gott! Sie stolperte zurück, trat auf Itsukis Hand und entschuldigte sich bei ihm, während dieser mit einem mürrischen Blick die Augen öffnete und sich aufsetzte. „Faith, was ist los… Leg dich wieder hin.“ Der Blonde rieb sich gähnend über die Augen, war jedoch schlagartig hellwach, als Faith ihm vollkommen aufgelöst von ihrer Entdeckung draußen berichtete. Itsuki verzog skeptisch das Gesicht, stand jedoch auf und folgte Faith zurück zum Fenster. „Verdammt“, murmelte er schnell und drehte sich zu Matt und Mira um, die beide noch tief und fest schliefen. „Wir müssen sie wecken.“ „Ich mache das Licht an.“ „Nein!“ Sofort hielt Itsuki sie zurück, packte ihr Handgelenk und zog sie vom Lichtschalter weg. „Wenn wir jetzt das Licht anmachen, werden wir sofort entdeckt und kriegen ein riesiges Problem. Das scheint nur ein LKW mit Lieferungen zu sein, wenn wir Glück haben, sind die beiden Männer dort draußen keine Intelligenzbestien und wir können uns aus dem Staub machen, ohne dass sie uns bemerken.“ „Du willst davonlaufen?“, zischte Faith ihm zu und rieb sich leicht fröstelnd über die nackten Unterarme. „Sollten wir nicht irgendetwas unternehmen?“ „Hn… Was ist los? Wieso seid ihr wach?“ Miras zarte Stimme erklang im Raum. Die Koordinatorin gähnte herzhaft und stupste Matt in die Seite, woraufhin auch dieser aufwachte und zu Itsuki starrte, der ihnen kurz die Lage erklärte. „Team Dark ist gefährlich, das haben wir ja schon erlebt. Ich bin der Meinung, dass es vernünftig ist, wenn wir uns anziehen, unsere Sachen packen und verschwinden, bevor uns jemand entdeckt. Wir könnten ein paar Kilometer weiter ein neues Nachtlager errichten und morgen früh eine Nachricht an Officer Rocky schicken.“ „Ich bin auch dafür“, murmelte Mira sofort und schlüpfte bereits in ihre Hose und Schuhe. „Wir sollten uns nicht unnötig in Gefahr begeben.“ „Das ist Team Dark“, sprach Matt eindringlich, rollte seinen Schlafsack währenddessen zusammen und streifte ein Hemd über seinen nackten Oberkörper. „Sie sind vielleicht gefährlich, aber wir sind zu viert und die nur zu zweit. Wir könnten ihnen ein Stück folgen und schauen, wohin sie fahren. Wenn es brenzlig wird, hauen wir einfach ab. Außerdem sind da ja noch unsere Pokémon.“ Nervös kaute Faith auf ihrer Unterlippe und schaute in der Dunkelheit zwischen Matt, der sie eindringlich anschaute, und Mira und Itsuki, die beide eher besorgt wirkten, hin und her. „Ich schätze, es spricht nichts gegen Matts Vorschlag, nicht wahr? Wir packen alles zusammen, halten uns bedeckt und folgen dem LKW ein Stück. Dann verschwinden wir sofort.“ „Faith.“ Itsuki machte einen Schritt auf sie zu, seine eisblauen Augen wirkten unergründlich, doch für einen kurzen Moment schien Sorge durch sie zu blitzten. „Mit Team Dark ist nicht zu spaßen. Sie verüben Anschläge, sie sind gefährlich und niemand weiß, was sie eigentlich planen oder wollen. Wir sollten uns da nicht einmischen.“ „Ich kann nicht einfach gar nichts tun, versteh das bitte.“ Einen Moment zögerte sie, dann legte sie ihre Hand auf seine Schulter. „Itsuki, denk nur an die Pokémon, denen sie schaden. Was, wenn wir welchen helfen könnten? Wir müssen es wenigstens versuchen und schauen, wohin der LKW fährt.“ Einen Moment herrschte Stille im Raum, dann drehte Itsuki sich wortlos zu seinen Sachen und räumte alles in seinen Rucksack. Faith lächelte dankbar, dann waren auch schon bald darauf alle vier fertig angezogen und streiften sich ihre Rucksäcke über. Vorsichtig öffneten sie die Tür und schlichen sich jeder mit klopfendem Herzen in die Nacht hinaus, wo sie an Bäumen vorbei den roten Rücklichtern des LKWs folgten, der sie langsam zu einer Seitenstraße führte. Es dauerte nicht lange, dann tauchte der Eingang zu einem alten Bunker vor ihnen auf, vor dem der LKW gehalten hatte. „Die Männer sind dort reingegangen“, murmelte Mira nervös, ihre Stimme klang gepresst und von der Angst verzerrt. „Lasst uns jetzt verschwinden.“ Beruhigend legte Matt einen Arm um Miras Taille, bewegte sich jedoch selbst keinen Millimeter fort. „Wir sind schon so weit gekommen.“ Faith zögerte nicht und schaute auch nicht in die Gesichter von Mira, Matt oder Itsuki. „Ich will mich nur ein wenig umsehen.“ Mit diesen Worten setzte sie sich in Bewegung und ging direkt auf den Eingang des Bunkers zu, dessen Steintreppe sie unter die Erde führen konnte. „Faith!“ Das nervöse Zischen von Mira war kaum mehr als ein Wispern, als sie sich ängstlich zu einer kleinen Baumgruppe zurückzog. „Ich bin nicht lebensmüde, ich gehe da nicht rein!“ „Ich werde Mira nicht alleine lassen.“ Wie ein großer Beschützer stellte Matt sich neben sie und zog sie an sich, was Mira auch geschehen ließ. Itsuki und Faith tauschten einen kurzen Blick miteinander aus, dann zückten beide einen Pokéball und traten die ersten Stufen nach unten. Keinen Augenblick später wurden beide von der Finsternis des Bunkers geschluckt. Kapitel 47: Team Darks Rückkehr - Teil 2 ---------------------------------------- Die Stufen aus grauem Beton führten Faith und Itsuki Schritt für Schritt tiefer in das dunkle Erdreich hinein. Dumpf hallten ihre Schritte von den Steinwänden wieder und irgendwo vor ihnen begann sich ein Lichtschein auszubreiten. „Wir sollten wieder verschwinden“, murmelte Itsuki, drosselte sein Tempo jedoch nicht, sondern ließ sich ebenso wie Faith von dem Lichtschein fast magisch anziehen. „Faith…“ Vorsichtig zog er an ihrem Arm, dann presste er sich an eine Wand und machte den letzten Schritt auf der Treppe, sodass sie wieder ebenen Boden unter den Füßen hatten. „Los, da lang“, zischte Faith aufgeregt. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ein wenig mulmig war ihr schon, doch ihre Abenteuerlust und ihre Neugierde siegten über ihren Verstand und so setzte sie sich einfach in Bewegung. Itsuki fluchte leise und sah sich hektisch um, doch zu ihrem Glück war der breite Raum, in dem sie sich nun befanden, leer, wenn man einmal von den großen Kistenstapeln und der nackten Glühbirne in der Deckenmitte absah. „Du kannst hier nicht einfach rumspazieren!“ „Wir lassen uns einfach nicht erwischen“, erwiderte Faith zuversichtlich und stieß mit dem Fuß gegen einen Karton, sodass der Inhalt leise schepperte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und sie hörte, wie Itsuki vollkommen angespannt neben ihr die Luft einsog, doch es tat sich nichts. Sie hatten Glück gehabt. „Los, weiter.“ „Faith!“ Itsuki sprach zwar mit gedämpfter Stimme, doch er hielt sie zurück und schaute ihr fest in die Augen. „Das hier ist sehr gefährlich.“ „Es ist mitten in der Nacht, bestimmt schlafen hier alle. Itsuki, wir könnten hier vielleicht etwas finden, was wir gegen Team Dark einsetzen können. Also los, weiter.“ Er rollte mit den Augen, widersprach ihr jedoch nicht noch einmal, sondern folgte ihr in einen schmalen Gang, von dem ein paar Metalltüren mit kleinen Sichtfenstern abgingen. Die erste Tür führte in eine Art Schlafsaal. Überall standen ordentlich aufgestellt Metallkojen, doch sie schienen schon seit Ewigkeiten unbenutzt. Die Staubschicht war selbst durch das Guckfenster zu erkennen. Die nächste Tür verbarg ebenfalls einen Lagerraum wie schon der Raum am Ende der Treppe, dann kamen die beiden letzten Türen. Itsuki spähte durch eine Tür und zog sofort den Kopf ein. Er tippte Faith auf die Schulter und nickte in Richtung der Tür. „Der Raum da ist ziemlich groß, die beiden Männer von vorhin sind dort mit noch ein paar anderen, schätze ich.“ „Hier die Tür hat kein Sichtfenster.“ Vorsichtig drückte Faith gegen die Türklinke und zögerte nur kurz, als sie sich herunterdrücken ließ. „Lass uns sehen, was sie hier verstecken, dann können wir gehen.“ „Du bist verrückt.“ Itsukis Worte waren lediglich ein schwaches Murmeln, doch er folgte ihr und hielt die Hand bereit über Schneppkes Pokéball, falls sie sich schnell verteidigen und abhauen mussten. Die Tür gab keinen Laut von sich, als Faith sie öffnete, doch sie schnappte nach Luft, kaum dass sie den nächsten Raum betreten hatte. „Oh mein Gott…“ Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie die vielen Gerätschaften und chemischen Versuchsaufbauten auf den Metalltischen sah. Ein paar Mikroskope standen herum und in kleinen Fläschchen schillerten Flüssigkeiten in allen nur erdenklichen Farben. Doch es waren die Käfige mit Pokémon und Eiern, die ihr die Sprache verschlagen hatten. „Das ist ein Forschungslabor, Itsuki…“ Auch der sonst so kühle Itsuki, den scheinbar nichts aus der Ruhe bringen konnte, wirkte durch den Wind. Er fuhr sich durch die hellblonden Haare, seufzte und trat zu einem leeren Käfig, an dem ein Zettel befestigt war. Vorsichtig rupfte er ihn ab und starrte ihn an. Nummer: Larvitar 0016 Vater-DNA: Pupitar 0003 Mutter-DNA: Pupitar 0010 Geschlüpft: 27. Juli DNA-Eigenschaften: Ungenügend Liquidiert: 29. Juli Faith starrte ausdruckslos auf einen weiteren Zettel und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. „Itsuki…“, jammerte sie mit Tränen in den Augen und zerknüllte den Zettel, den sie in der Hand hielt. „Die klonen Pokémon und experimentieren mit der DNA der Pokémon herum!“ „Ich weiß, Faith. Ich weiß…“ Tröstend legte er ihr eine Hand auf die Schulter, hängte den Zettel zurück an den leeren Käfig und ging tiefer in das schreckliche Labor hinein. Faith wischte sich mit dem Handrücken Tränen von den Wangen und folgte Itsuki. Der Schrecken, der sich ihr hier offenbarte, war kaum fassbar für die Jungtrainerin. „Sieh nur, dort…“ Angewidert starrte sie zu einem beigen Pokémon-Ei, das von irgendwelchen Schläuchen und Nadeln durchbohrt wurde, während auf einem Gerät der Herzschlag des kleinen Wesens dort drinnen angezeigt wurde. Er zog sie weiter und blieb vor einer Käfigfront stehen, die abgesondert von den anderen stand. Ein kleines Glumanda nähert sich vorsichtig dem Gitter und schaute sie aus großen, todtraurigen Augen an. In seinem Ärmchen steckte eine Infusionsnadel, die eine rosa Flüssigkeit in seinen Körper führte. Nummer: Glumanda 0131 Vater-DNA: Stolloss 0012 Mutter-DNA: Glutexo 0049 Geschlüpft: 25. Juni DNA-Eigenschaften: Ausreichend DNA-Lieferant: Entei Faith musste schlucken, als sie in die Augen des Glumanda schaute. Die anderen Pokémon hier sahen aus, als würden sie vor sich hinvegetieren, als hätten sie ihren Lebenswillen bereits verloren und aufgegeben. „Itsuki, dieses Glumanda ist das einzige Pokémon hier, das noch eine Chance auf ein richtiges Leben hat. Sieh dir das Rattfratz dort drüben an, es kann nicht einmal mehr stehen, weil sein Schwanz viel zu groß ist. Ich muss diesem Glumanda helfen, ich kann es nicht hier lassen.“ „Faith, bist du verrückt geworden!“ Itsuki eilte zu ihr, konnte aber nur noch sehen, wie sie Voltilamm aus dem Pokéball entließ. „Tu das nicht!“ „Voltilamm, setz Donnerschock auf das Schloss ein. Wir müssen Glumanda und die anderen befreien.“ „Vol!“ Voltilamm startete eine kräftige Donnerschock-Attacke, die Lichtblitze von dem Metall abprallen ließ. „Hey, was ist hier los!“ Die beiden Männer von Team Dark, beide ganz in Schwarz gekleidet, stürmten in das Labor und fauchten die beiden Eindringlinge wütend an. „Na wartet! Los, Angriff!“ Sie entließen ein Arbok und ein Vipitis. Itsuki reagierte sofort, zischte einen Fluch und entließ Igelavar und Schneppke aus den Pokébällen. „Haltet sie uns vom Leib!“ Schnell drehte er den Kopf zu Faith, die gerade das zerstörte Schloss auf den Boden warf und die Nadel aus Glumandas Körper zog. „Wir haben keine Zeit mehr, lass uns abhauen!“ In dem Tumult, der gerade entstand, hob Faith das entkräftete Glumanda aus dem Käfig und registrierte, wie das hilflose Feuerpokémon sich an sie klammerte und ein leises „Glu…“ hören ließ. Dann ging alles sehr schnell. Durch den Kampf von Igelavar, Schneppke, Voltilamm, Vipitis und Arbok entstand eine Explosion, die auf die leicht entzündlichen chemischen Flüssigkeiten übergriff und diese entzündete. Innerhalb weniger Sekunden breitete sich ein Feuerball in dem Labor aus, der Gläser zerspringen ließ, Geräte versenkte und Faith mit der Druckwelle gegen die nächste Wand schleuderte, Irgendwo in ihrem Bewusstsein bekam Faith noch mit, wie es in ihrem Nacken knackte. Ein hohes Pfeifen ertönte in ihren Ohren. Sie sank auf den Boden, Glumanda noch immer fest im Arm gehalten. Die giftigen Dämpfe stiegen ihr in die Nase, umnebelten ihre Sinne. Alles um sie herum begann zu verschwimmen und sie sah, dass Itsuki sie anschrie, weil er den Mund bewegte, doch sie hörte ihn nicht. Die Männer von Team Dark flohen, als die Flammen sich immer weiter ausbreiteten. Neue Explosionen ließen Glassplitter wie gefährliche Geschosse durch die Luft fliegen. Irgendetwas traf Faiths Arme, doch sie umklammerte einfach weiter das Glumanda und legte schützend ihre Arme um den kleinen, roten Körper. Ihr wurde schwindelig, alles drehte sich. Als sie die Augen schloss, kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, in der es um sie herum immer heißer wurde. Mühsam blinzelte sie. Itsuki war verschwunden, überall waren Feuer und Pokémon, die in ihren Käfigen einen aussichtslosen Kampf gegen den Rauch und die Flammen führten. Sie hatte sie ins Verderben geschickt, weil sie so dumm sein musste in diesen Bunker zu gehen. Es war ihre Schuld… Faith öffnete ein zweites Mal die Augen, sie hatte kurz das Bewusstsein verloren und hustete, als ein dunkler Schatten sich über sie beugte. „Es wird alles gut.“ Die Worte verhallten in ihrem Bewusstsein. Faith starrte in ein rotbraunes Augenpaar. Caleb… Sie stöhnte von der Wirkung der giftigen Dämpfe und vor Erschöpfung, dann senkte sich schwarzer Nebel über sie, der ihr alle Schmerzen nahm. Sie wollte schlafen, einfach nur noch schlafen… Kapitel 48: Schuld ------------------ Regen schlug gleichmäßig gegen eine Fensterscheibe, als Faith spürte, wie dumpfe Schmerzen durch ihre Arme und Beine drangen. Ihr Hals fühlte sich staubtrocken an, das Atmen fiel ihr schwer und ihr Kopf schmerzte, als hätte ein Vorschlaghammer stundenlang darauf eingeprügelt. Stöhnend öffnete sie die Augen, ein Kraftakt, so fühlte es sich an. Im nächsten Moment berührten zwei warme, weiche Hände Faiths Wangen. Ein erstickter Schluchzer war zu hören, dann streichelte jemand ihre Wangen. Dazu kam das Geräusch von leisem Flügelrascheln. Faith lenkte ihren Blick von der sterilen, weißen Decke zu der Frau mit den blauen Locken, die sie voller Liebe und Sorge anschaute. „Mom…?“ „Ja. Faith, Liebes, wie geht es dir?“ Ihre Mutter küsste sie auf die Stirn, ließ die Wangen ihrer Tochter los und zog einen Stuhl näher an das Bett heran. „Oh Gott, ich bin so froh, dass du wach bist.“ Erneut schluchzte Faiths Mutter auf und auch ihr altes Startpokémon, das Plaudagei auf der Stuhllehne, stimmte auf seine Weise in das erleichterte Schluchzen mit ein. „Mom…“ Für einen Moment musste Faith die Augen schließen, dann begann sie sich zu erinnern. Die Holzhütte, Team Dark, der Bunker, das Labor, der Kampf, das Feuer… Ihre Augenbrauen verzogen sich zu einem Strich, als sie die Augen wieder öffnete. „Ich bin in einem Krankenhaus?“ „Ja“, sprach ihre Mutter sofort und griff nach Faiths Hand. „Ich werde jetzt den behandelnden Arzt holen, damit er mit dir reden kann. Faith, Liebes, ruh dich etwas aus.“ „Ich gehe davon aus, dass ich mich schon lange genug ausgeruht habe“, entgegnete Faith mit einem Anflug von Trotz in der Stimme. Ohne auf die Warnung ihrer Mutter zu hören setzte sie sich in ihrem Krankenbett auf und schob das große Kopfkissen hinter ihren Rücken. „Wie bin ich hier her gekommen? Was ist passiert, nachdem das Labor Feuer gefangen hat?“ „Du bist schon immer ein abenteuerlustiges Kind gewesen.“ Tränen sammelten sich in den Augen ihrer Mutter. „Du musst mir aber versprechen, dass du nie wieder so eine riesige Dummheit machst! Faith, Schatz, du hättest dort unten sterben können!“ „Mom…“ „Nein, nichts da! Tu mir sowas nie wieder an!“ Ihre Mutter rang sich ein tapferes Lächeln ab und wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus dem Gesicht, während ihr Plaudagei auf ihre Schulter flog und es sich dort bequem machte. „Deine kleine Freundin, Mireillia, und ihr Bekannter, Matt, haben sofort eine Nachricht an Officer Rocky geschickt, als sie den Rauch aus dem Bunker kommen sahen. Das Labor von Team Dark ist vollkommen ausgebrannt, du hattest wahnsinniges Glück. Wenn du bei dem Feuer noch dort unten gewesen wärst, hättest du vermutlich nicht überlebt.“ Irritiert kniff Faith die Augen zusammen. Was hatte ihre Mutter da gerade eben gesagt? Wenn sie noch dort unten gewesen wäre? Aber sie war doch dort! „Ich war in dem Labor“, meinte Faith vorsichtig und zweifelte nicht an ihren Erinnerungen. „Ja, sicher, Schatz.“ Beruhigend drückte ihre Mutter Faiths Hand. „Itsuki konnte sich bis zu der Treppe retten, aber durch den Rauch konnte er schon nicht mehr sehen, was hinter ihm war. Er dachte, du wärst direkt hinter ihm. Als Officer Rocky dich gefunden hat, hast du in einem kleinen Lagerraum gelegen, der durch eine Feuerschutztür gesichert war. Du hast dich dort hineingeschleppt mit deinen Verletzungen oder dann dort das Bewusstsein verloren.“ „Nein“, protestierte Faith und ihre Stimme wurde etwas lauter als beabsichtigt. „So war das nicht! Ich habe schon im Labor das Bewusstsein verloren, ich habe das Glumanda doch dort beschützt!“ „Vermutlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Oh Liebling, du musst solche Angst gehabt haben!“ Wieder kamen ihrer Mutter die Tränen und sie legte sich die Hände an die geröteten Wangen. „Dem Glumanda geht es übrigens gut, es ist wie deine anderen Pokémon im Pokémoncenter und wartet dort auf dich. Ruh dich aus, ich werde jetzt den Arzt holen.“ Ihre Mutter ließ keine Zeit mehr verstreichen und eilte aus dem Krankenzimmer, ließ Faith mit verwirrtem Gesichtsausdruck zurück. Das konnte nicht sein, sie wusste doch ganz genau, dass sie in dem Labor das Bewusstsein verloren hatte. Im nächsten Augenblick fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Caleb! Er hatte sie also wirklich gerettet und in dem Lagerraum abgelegt, weil sie dort sicher war, bis Officer Rocky mit Hilfe kam. Caleb hatte ihr das Leben gerettet. Und nicht nur das, er hatte ihr auch das Glumanda überlassen, das sie aus dem Labor befreit hatte. Wieso zum Henker hatte er das getan? „Faith, guten Abend, wie geht es dir?“ Die Stimme von David, dem Arenaleiter, erklang im Raum, als er mit ihrer Mutter im Schlepptau eintrat. „Hast du Schmerzen?“ Faith starrte den Arenaleiter an, dann fiel ihr wieder ein, dass er Arzt war und vermutlich hier im Krankenhaus arbeitete. „Mir geht es gut soweit, allerdings tun mir die Schnittwunden an Armen, Beinen und mein Kopf noch ein wenig weh.“ David nickte und schaute in Faiths Patientenakte. „Du hattest eine mittelschwere Rauchgasvergiftung, Schnittwunden an Armen und Oberschenkeln sowie eine Überreizung der Lungen und Nasenschleimhäute durch Gase im Labor. Alles in allem hattest du noch Glück, es hätte schlimmer kommen können. Die ersten beiden Tage sah es etwas kritisch aus, aber dann warst du über den Berg.“ „Moment mal“, unterbrach Faith den Arzt und schaute unsicher zwischen ihm und ihrer Mutter hin und her. „Die ersten zwei Tage? Wie lange war ich ohnmächtig?“ „Wir haben dich für sechs Tage in ein künstliches Koma versetzt, um sicherzugehen, dass wir in Ruhe die Schäden durch die Giftgase kurieren konnten. Die Laborexplosion liegt eine Woche zurück.“ „Ich war eine ganze Woche ohne Bewusstsein?“ Erschrocken legte Faith sich eine Hand auf den Mund und schaute zur Seite. „Das ist… Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Deinen Freunden geht es übrigens gut. Der Junge, Itsuki, hatte nur eine leichte Rauchvergiftung, wir konnten ihn schon am nächsten Morgen wieder entlassen. Ich muss jetzt weiter zu einer Visite, aber ich werde Kangama sagen, dass es dir ein Schmerzmittel und Essen bringen soll. Wir sprechen uns dann später wieder.“ „Ich werde dich dann jetzt auch alleine lassen.“ Fürsorglich tätschelte Faiths Mutter ihre Hand und nahm ihre Handtasche vom Boden hoch. „Wenn etwas sein sollte, dann ruf mich bitte sofort an. Der Herr Doktor hat meine Nummer, aber du kannst mich jederzeit im Pokémoncenter erreichen. Mach’s gut, Liebes, und schlaf viel, das tut deinem Körper gut.“ Es war ja nicht so, dass sie die letzten sieben Tage geschlafen hatte, dachte Faith gequält, erwiderte jedoch nichts, sondern drückte nur kurz die Hand ihrer Mutter. „Ist gut. Kommst du morgen wieder?“ Ihre Mutter nickte sofort. „Morgen früh nach dem Frühstück. Ich bin mir sicher, dass deine Freunde dich auch besuchen kommen werden. Also dann, bis morgen mein Schatz.“ „Bis morgen.“ Faith wartete, bis ihre Mutter und der Arzt gegangen waren, dann ließ sie sich tief in das Kissen sinken und hing ihren Gedanken nach. Warum Caleb sie gerettet hatte, war ihr schleierhaft. Er war Vorstandsmitglied von Team Dark, die geheime Forschungen mit der DNA von Pokémon und scheinbar auch Legendären anstellten, wenn sie sich an die Notiz bei Glumanda erinnerte. Es war einfach alles so verwirrend… Kurz darauf kam Kangama mit einem Tablett, auf dem sich eine Schmerztablette, eine Flasche Mineralwasser und eine Schale mit Apfelmus, Zimtzucker und Vanillepudding befand. Das Pokémon klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und verschwand schnell wieder. Faith beäugte das leckere Essen, verspürte jedoch keinen Appetit. Der Kloß in ihrem Magen wog zu schwer, als dass sie auch nur einen Bissen hätte schlucken können. Die Erinnerung an das Labor war zu sehr in ihr Gedächtnis eingebrannt, als dass sie nicht daran denken konnte. All die Pokémon und Eier, die in dem Feuer umgekommen waren… und es war ihre Schuld. Faith fühlte sich schuldig für das, was geschehen war. Wenn sie nicht unbedingt in den Bunker gewollt hätte, dann würden all diese Pokémon noch am Leben sein. So schlimm es ihnen dort auch gegangen war, sie würden noch leben. Sie hatte mit ihrer eigenen unvorsichtigen, dummen und naiven Art ihr Todesurteil unterzeichnet. Sie war eine Mörderin. Mit einem Aufschrei warf Faith das Tablett zu Boden, sah zu, wie sich Apfelmus und Pudding über den Boden verteilten und brach verzweifelt in Tränen aus. Sie schrie, schlug in das Kissen und weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte. Kapitel 49: Angst, Verlust und Einsamkeit ----------------------------------------- Eine weitere Woche verging, in der sich die Dinge um Faith veränderten. Ihre Eltern, die beide nach der Nachricht, dass ihr einziges Kind in Nautica City im Krankenhaus lag, sofort das Restaurant geschlossen und zu ihr gekommen waren, mussten vor drei Tagen wieder abreisen, da sie auf die Einnahmen in der Urlaubssaison angewiesen waren. Mira und Matt kamen sie jeden Tag im Krankenhaus besuchen, spielten Schach oder Mensch-ärgere-dich-nicht mit ihr und versuchten Faith irgendwie aufzumuntern. Folipurba hatte bei dem Wiedersehen mit der geliebten Trainerin fürchterlich geweint und Bibor, Tauboga und Voltilamm hatten Faith minutenlang gedrückt und geherzt. Selbst das kleine Glumanda aus dem Labor schien Vertrauen zu Faith gefasst zu haben und kam sie besuchen, ließ allerdings außer Faith und Schwester Joy niemanden an sich heran. All das konnte Faith jedoch nicht wirklich aufmuntern, zumal Itsuki nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ohne ein Wort zu ihr die Gruppe verlassen hatte und alleine zur Weiterreise angetreten war. Er fühlte sich verantwortlich für das, was ihr passiert war, weil er nicht richtig auf sie geachtet und sie zurückgelassen hatte. Sie konnte ihn sogar verstehen, immerhin hätte ihre eigene Dummheit ihn fast das Leben gekostet. Dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, war für Faith absolut nachvollziehbar, wenngleich sie natürlich nicht den Grund für seine Abreise kannte. Im Laufe der Woche hatte Team Dark die Öffentlichkeit über einen Fernsehsender kontaktiert und mittlerweile wusste ganz Finera von der Videobotschaft, die drei Gestalten im Schatten zeigte und über die verzerrte Stimme vom Team Dark Boss verlauten ließ, dass Team Dark zurückgekehrt war und nun alle ausschalten wollte, die sich dem Streben nach einer besseren Welt, was wohl das Ziel der Untergrundorganisation war, in den Weg stellten. Angst griff um sich und die Tonaufzeichnung verriet nicht einmal das Geschlecht vom Team Dark Boss, so sehr war die Stimme verzerrt. Faith zweifelte jedoch nicht daran, an den ganz groben Umrissen einer der drei Figuren Caleb, den Team Dark Vorstand, erkannt zu haben. Der Tag der Entlassung aus dem Krankenhaus war da, Faith war schmerzfrei und gesund, aber sie fühlte sich noch immer innerlich einsam und schuldig, auch wenn man ihr immer sagte, dass sie nichts dafür konnte. Sie hatte Officer Rockys anklagenden Blick, Schwester Joys überschwängliches Mitgefühl und Davids Schweigen zu dem Thema doch miterlebt. Mira und Matt schnitten das Thema so gut sie konnten nicht an, aber Faith erinnerte sich selbst immer wieder daran, dass sie andere dafür gar nicht brauchte. Als Mira und Matt sie vom Krankenhaus abholten, schien die Sonne, doch die heißen Temperaturen schienen vorbei, immerhin war es fast September und ganz langsam schlich sich der Herbst an. In gut zwei Monaten hatte Itsuki Geburtstag und so wie es aussah, würde der kühle Einzelgänger ihn alleine feiern. „Du siehst erholt aus, hast du letzte Nacht gut geschlafen?“ Mira lächelte sie an und umarmte ihre Freundin kurz. Evoli trottete wie so oft neben Mira her und Matts Kramurx thronte auf seiner Schulter, um alles überwachen zu können. „Es geht.“ Faith zuckte mit den Schultern. Sie würde den beiden nicht sagen, dass sie, seitdem sie aufgewacht war, jede Nacht von dem Feuer im Labor träumte und schweißgebadet mit rasendem Herzen aus dem Alptraum aufwachte. „Das Wetter ist heute ganz gut.“ „Ja.“ Mira warf Matt einen gequälten Blick zu. Wenn es nach der sensiblen Koordinatorin ging, dann würde sie alles dafür tun, dass Faith wieder so ausgelassen und fröhlich wie früher war, doch Matt mahnte sie immer wieder dazu, dass Faith Zeit brauchte, um alles zu verarbeiten. „Wir werden den Bus in einer Stunde nehmen und bis in die nächste kleine Ortschaft auf unserer Route fahren.“ Faith nickte abwesend. „Ist gut.“ Sie nahm ihren Rucksack, schulterte ihn und ließ die Finger über die Pokébälle an ihrem Gürtel wandern. Natürlich war ihr bewusst, dass Mira und Matt sie schonen wollten und deshalb dafür sorgten, dass sie nicht erneut in der kleinen Holzhütte nahe des Bunkers übernachteten. Der Bus würde ihnen zwei ganze Tagesstrecken abnehmen und sie in einem Dorf namens Rosenheim abliefern, das an der Grenze zum Finstermoor lag. „Brauchst du noch irgendetwas, Faith? Wir könnten beispielsweise in einem Souvenirshop vorbeischauen“, schlug Matt gut gelaunt vor. Die Angesprochene schüttelte jedoch den Kopf und verzog das Gesicht. „Beim letzten Mal, als wir Nautica City verlassen haben, habe ich doch auch keine Souvenirs gekauft. Leute, bitte, behandelt mich nicht als wäre ich aus Zucker und Glas und könnte zerbrechen.“ Matt und Mira warfen sich eindeutige Blicke zu, räusperten sich und schlenderten mit Faith zu der Bushaltestelle des Fernlinienverkehrs. Als ihr Bus kam, suchten sie sich einen Vierersitz und verstauten ihre Rucksäcke auf dem vierten Sitz, der nun, da Itsuki ja nicht mehr bei ihnen war, frei war. Schon kurz darauf startete der Motor und der Bus rollte los. Nautica City war schnell hinter ihnen und auch die kleinen Vororte verschwanden, dann kamen große Felder und Wiesen zum Vorschein. Diverse Pokémon waren dort draußen zu sehen, beispielsweise Schmerbe und Welsar in den Flüssen oder Taubsi und Habitak am Himmel. In der Nähe eines kleinen Walds hingen hunderte Webarak in den Bäumen und teilten sich den Platz mit Safcon, Schaloko und Panekon. Nach einer vierstündigen Busfahrt über die verschlungenen Straßen, die eindeutig einen Umweg darstellten, passierten sie große Blumenwiesen und erreichten schließlich Rosenheim mit seinen zierlichen Fachwerkhäusern und majestätischen Kalksteinbrunnen. Die drei Jungtrainer nahmen ihr Gepäck und stiegen aus. Es war Mittagszeit und in dem schmucken Dorf mit knapp fünfhundert Einwohnern herrschte reges Treiben. Die einzige Bushaltestelle des Dorfs befand sich mitten auf dem Marktplatz aus Kopfsteinpflaster, in dessen Mitte ein elliptischer Kalksteinbrunnen stand. In der Mitte des Brunnen befand sich ein Podest, auf dem ein Meganie, ein Sonnflora und eine Frau mit breitem Hut als Bronzeplastik standen. Darunter war ein Schriftzug eingraviert: Rosa, Gründerin von Rosenheim. „Na, interessiert ihr euch für den Brunnen?“ Die drei Trainer drehten sich zu einem alten Mann um, der sich zu ihnen gesellt hatte und einen stolzen Blick zu dem Brunnen warf. Mira nickte schließlich und lächelte freundlich. „Wir sind auf der Durchreise und wollen hier in Rosenheim übernachten. Die Frau von dem Monument im Brunnen ist wohl so eine Art Stadtpatronin, nehme ich an.“ Der alte Mann nickte und fuhr mit den Fingern durch seinen gezwirbelten, grauen Bart. „Vor einhundert Jahren war dies hier ein trostloser Fleck. Rosa war damals eine junge Frau und reiste mit ihren beiden Pokémon durch das Land. Ihr Vater war schwer krank und sie suchte nach einer Heilpflanze, die den alten Geschichten zufolge in dieser Gegend wachsen sollte. Sie war sehr enttäuscht, als sie diesen Ort erreichte, weil sie nichts als weite Wiesen fand, jedoch keine Blumen. Wie schon viele andere Leute vor ihr musste sie feststellen, dass der Mythos der magischen Heilpflanze nicht stimmte. Als sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhielt, war sie sehr betrübt. Rosa wollte nicht, dass noch mehr Leute auf der Suche nach diesem Ort waren und nur trostlose Felder vorfanden, weshalb sie in jahrelanger Arbeit mit ihren beiden Pokémon die Blumenfelder anlegte. Immer mehr Menschen kamen an diesen Ort, sahen ihre Zuversicht und ihr gutes Herz und so siedelten sich die ersten Leute hier an. Zu Ehren von Rosa, die diesen Ort zu dem wunderschönen Fleck gemacht hat, der er heute ist, hat man den Brunnen erbaut und dem Dorf den Namen ihrer Lieblingspflanze, den Rosen, gegeben.“ „Sie müssen sehr stolz auf Ihr Dorf sein.“ Matt nickte anerkennend und warf dem Brunnen einen letzten Blick zu. Rosa wirkte dort auf dem Podest so jung, mutig und stark. „Oh ja, das sind wir auch, deshalb halten wir hier am ersten Wochenende jedes Monats sogar einen Wettbewerb für Koordinatoren ab.“ „Das wäre ja schon nächstes Wochenende, dann ist das erste Septemberwochenende!“, quiekte Mira und schnappte aufgeregt nach Luft. Sie warf Matt einen flehenden Blick zu und schaute dann zu Faith, die eher teilnahmslos wirkte. „Lasst uns hier bleiben, bitte. Ich würde so gerne an dem Wettbewerb teilnehmen, es sind doch nur wenige Tage, um die wir hier unseren Aufenthalt verlängern.“ Matt stimmte selbstverständlich sofort zu, er würde Mira den Wunsch nicht abschlagen. Faith zuckte lediglich mit den Schultern, es war ihr egal, ob sie hier blieben oder nicht. Momentan war ihr alles mehr oder weniger egal, weil ihre Gedanken einzig und allein um ihre Schuldgefühle kreisten, die sie hegte und pflegte, damit sie nicht die Pokémon vergaß, die ihretwegen in dem Feuer umgekommen waren, auch wenn sie eigentlich nichts dafür konnte. Und so checkten die drei Jungtrainer bis Sonntag in dem Pokémoncenter von Rosenheim ein, jeder von ihnen mit unterschiedlichen Gedanken, Wünschen und Hoffnungen. Mira, die hoffte, dass sie den Wettbewerb gewinnen konnte. Matt, der hoffte, dass er bei der Pflege der Blumen helfen konnte. Und Faith, die irgendwo in ihrem Inneren hoffte, dass sie der Aufenthalt in dem ruhigen, freundlichen Dorf von ihrer inneren Leere befreien konnte. Kapitel 50: Heilung für die Seele --------------------------------- Faith saß alleine auf einer gusseisernen Bank in der Nähe eines kleinen Brunnens im Garten des Pokémoncenters. Mira arbeitete an ihrer Choreographie für den Wettbewerb, dessen Regeln waren, dass zwei Pokémon an der Choreographie teilnahmen und eines der beiden Pokémon dann die Kämpfe bestritt. Aus diesem Grund war die junge Koordinatorin die meiste Zeit mit ihren Pokémon auf den Wiesen rund um Rosenheim zu finden, während Matt dem alten Mann, der sich als einer der Gärtner herausgestellt hatte, bei der Arbeit half. Seufzend genoss Faith einige warme Sonnenstrahlen, die ihre Nase kitzelten. Es tat ihr gut, dass sie die letzten beiden Tage für sich gehabt hatte. Sie war zwar immer noch sehr ruhig, erkannte aber allmählich, dass nicht sie die Schuld an allem, was geschehen war, trug, sondern dass Team Dark diejenigen waren, die das alles zu verantworten hatten. Sie klonten, züchteten und hielten die Pokémon immerhin gefangen – nicht Faith. Eine große Hilfe waren ihr dabei ihre fünf Pokémon gewesen. Sie hatten sie getröstet, waren immer bei ihr und leisteten ihr in der Einsamkeit Gesellschaft. Auch jetzt gerade waren alle fünf außerhalb ihrer Pokébälle und genossen das gute Wetter. Bibor döste mit verschränkten Armen in der Sonne, Tauboga und Voltilamm spielten gemeinsam auf der Wiese, Folipurba hatte es sich zu Faiths Füßen bequem gemacht und Glumanda hing an Faiths Beinen wie eine Klette. Anfangs hatte sie sich Sorgen um das schüchterne, kleine Feuerpokémon gemacht, das von Team Dark in einem Experiment erschaffen und mit Teilen der DNA von dem legendären Pokémon Entei versetzt war, da Glumanda kleiner als seine Artgenossen war und immer sehr schwächlich wirkte. Doch dann hatte sie erkannt, dass Glumanda einen starken Willen besaß und sie hatte mit einem lockeren Training begonnen, das vor allem die Ausdauer und Gesundheit der Echse stärken sollte. Als Faith sich erhob, schauten sofort alle fünf Pokémon zu ihr. Sie lächelte ihnen zu und zum ersten Mal seit dem Krankenhausaufenthalt lächelte sie wirklich mit dem Herzen. „Ich weiß ja nicht, wie es euch ergeht, aber ich könnte jetzt eine leckere Pizza und eine Portion Tiramisu vertragen. Lasst uns zum Italiener am Marktplatz gehen.“ Freudig folgten die Pokémon ihrer Trainerin zu dem Restaurant, in dem auch Pokémon erlaubt waren. Die meisten der Gäste stammten aus Rosenheim oder waren für den Wettbewerb am kommenden Tag angereist, gut die Hälfte besaß passend zum Dorf Pflanzenpokémon. Faith suchte sich draußen einen großen, runden Tisch, an dem auch ihre fünf Partner einen Platz fanden. Glumanda und Folipurba saßen zu ihren Seiten auf einem der weißen Stühle, daneben Voltilamm und Tauboga, ihr gegenüber Bibor. Nach einigen Minuten kam ein Kellner, der durch den ganzen Andrang relativ viel zu tun hatte, aber trotzdem sehr höflich war. Zur Feier des Tages, da sie endlich wieder fröhlicher wurde, bestellte Faith ihren Freunden kein Pokémonfutter, sondern jedes ihrer Pokémon erhielt eine kleine Pizza nach dem individuellen Geschmack. Für Folipurba gab es eine vegetarische Salatpizza, Bibor wollte Pizza Margherita, Tauboga erhielt eine Pizza mit Cherrytomaten, Voltilamm Peperonipizza, Glumanda Pizza Hawaii und für sich selbst bestellte Faith eine Hackfleischpizza mit viel Knoblauch. Das Mittagessen war für alle sechs sehr lustig, sie alberten herum, aßen die köstlichen Pizzen und machten es sich bequem. Nachdem Faith bezahlt hatte, zog sie ihre fünf Pokémon in die Pokébälle zurück und machte sich auf die Suche nach Mira, die sie am Dorfrand auf einem Tulpenfeld fand. „Hey, Mira“, grüßte Faith das Mädchen mit den lavendelfarbenen Haaren, das sich überrascht und erfreut zu ihr umdrehte. „Faith, du lachst ja. Das freut mich. Ich bin wirklich froh, dass du allmählich wieder ganz die alte bist.“ „Nicht ganz die alte, fürchte ich. Vergessen, was Team Dark all diesen Pokémon mit ihren Experimenten antut, kann ich nicht. Ich werde trainieren und wenn ich stark genug bin und es mir möglich ist, werde ich gegen sie vorgehen.“ Mira nickte und Entschlossenheit lag in ihrem Blick. „Seit wir zusammen reisen, bin auch ich mutiger und selbstbewusster geworden. Wenn der Tag kommt, werde ich an deiner Seite kämpfen.“ „Danke, Mira.“ Faith schaute tief in Miras Augen, dann lächelte sie und warf Sheinux, Evoli und Hunduster einen Blick zu. „Ich habe mich noch gar nicht nach deiner Performance erkundigt, wie sieht es damit aus? Welche beiden Pokémon hast du ausgesucht?“ „Oh, das war gar nicht so leicht“, entgegnete Mira sofort und nickte ihren drei Pokémon zu. „Hunduster ist ein guter Kämpfer, aber es scheint keine Geduld und keinen Spaß an einer Choreographie zu haben. Evoli und Sheinux macht die Choreographie hingegen großen Spaß, aber sie sind keine geübten Kämpfer. Na ja gut, Evoli vielleicht schon, aber es hat keine starken Attacken.“ „Und wen nimmst du dann?“ „Sheinux und Evoli, die Entscheidung dafür ist aber erst heute Morgen gefallen, weil Hunduster sich so stur angestellt hat.“ Faith nickte verstehend. „Alles klar, kriege ich eine Vorführung?“ „Sicher!“ Mira strahlte glücklich und wies sofort Sheinux und Evoli an, die auf ihre Startpositionen gingen. „Es ist allerdings noch nicht perfekt, weil es vor allem darauf ankommt, dass Evoli den Sandwirbel sehr fein macht.“ „Führ es mir einfach vor“, meinte Faith augenzwinkernd. Mira grinste, dann gab sie Evoli den Befehl zu Sandwirbel und Sheinux zu Ladevorgang. Beide Pokémon gehorchten auf der Stelle. Sheinux‘ Wangen begannen von der Elektrizität, die das Pokémon sammelte, kleine Funken auszusenden. Derweil verursachte Evoli einen Sandwirbel, von dem die Hälfte in groben Erdstückchen zu Boden fiel. „Nein, so wird das nichts“, unterbrach Mira ihre Pokémon und kratzte sich an der Wange. Dann drehte sie sich zu Faith um und seufzte entschuldigend. „Es tut mir leid, aber ich schätze, die beiden sind noch nicht soweit. Morgen muss es aber klappen.“ „Das wird es auch, mach dir da mal keinen Kopf, Mira.“ Faith klopfte ihrer Freundin zur Beruhigung auf die Schulter. „Du bist viel ruhiger und besser als bei deinem ersten Wettbewerb, deinen anderen habe ich ja leider nicht gesehen. Ich bin mir jedoch sicher, dass du morgen gute Chancen hast. Mach dir wegen mir jetzt keinen Stress, ich werde deine tolle Performance ja morgen sehen.“ „Danke, Faith. Ich bin wirklich froh, dass du endlich wieder du bist.“ „Na das hoffe ich doch.“ Grinsend zog Faith eine Grimasse, lachte und machte sich mit Mira auf den Weg zurück nach Rosenheim, wo morgen ein spannender Tag bevorstehen würde. Kapitel 51: 200 Kommentare Special: Caleb ----------------------------------------- Wut stieg in ihm auf wie in einem Vulkan, der glühendes Magma in sich trug und nur auf eine Explosion wartete. Als er sah, wie das andere Vorstandsmitglied von Team Dark in den Firmenwagen stieg und aus seiner Stadt – seiner! – fuhr, erlaubte er sich einen kurzen Ausbruch der Wut, die wie elektrische Spannung in seinen Muskeln pulsierte. „Scheiße!“ Sein Herz schlug ihm noch immer bis zum Hals, der Geschmack der Hilflosigkeit und bitteren Angst schnürte seine Kehle zu und dörrte sie aus, als hätte er schon seit Stunden nichts mehr getrunken. Kraftlos ließ er die Faust von der Wand sinken, gegen die er gerade geschlagen hatte, und raufte sich mit der anderen durch die lila Haare, die in wirren Strähnen an seinem Gesicht klebten. Lapidia war die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Er hatte den Großteil seines Lebens hier verbracht und eigentlich war es immer klar gewesen, dass Lapidia tabu war. Team Dark hatte seine Ziele, sicher, aber Caleb hätte niemals zugelassen, dass sie sie ausgerechnet hier in der Stadt, in der seine Eltern eine beliebte Pizzeria betrieben, verfolgten. Niemals. Er hatte versagt und die Niederlage, die er sich unweigerlich eingestehen musste, trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Caleb Frost war kein Verlierertyp, er war nie einer gewesen, aber heute war ihm alles entgleist. Natürlich hatte er gewusst, dass er sich auf Messers Schneide bewegte, wenn er Team Dark seinen Austritt erklärte, aber wenn er auch gewusst hätte, wie skrupellos diese Untergrundorganisation ihre Argumente deutlich machte… Er hätte seine Eltern niemals in Gefahr gebracht. Das Gespräch, das er mit dem anderen Vorstandsmitglied geführt hatte, klang noch immer in seinen Ohren nach und bereitete ihm Magenschmerzen. „Ich trete aus.“ „Was?“ „Ich sagte, dass ich austrete. Aus dem Team, ich bin raus aus der Nummer.“ Gleichgültigkeit zeichnete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes ab, doch innerlich spürte er einen Hauch von Angst, dass etwas schiefgehen könnte – und natürlich den Respekt, den er dem anderen Vorstand entgegenbrachte. Ein kehliges, amüsiertes Lachen war die erste Reaktion, die er zu hören bekam. „Du willst austreten? Soll das ein schlechter Scherz sein? Wir haben keine Zeit für deine Späße, Caleb, nicht heute. Nicht jetzt. Die nächste Lieferung muss noch in Auftrag gegeben werden, wir brauchen mehr DNA-Lieferanten, unsere Pokémon in den Laboren beginnen der Reihe nach wegzusterben. Kümmere dich lieber darum.“ „Nein, ich meine das genau so, wie ich es gesagt habe. Ich will nicht mehr, es ist aus und vorbei für mich.“ Das andere Augenpaar starrte ihn für einen kurzen Moment ausdruckslos an, dann verhärtete sich der Blick und die Gesichtszüge bekamen etwas Gebieterisches, dem man nicht widersprechen wollte. „Caleb!“ Dieses Mal war die Stimme des anderen Vorstands nur noch ein leises Zischen, eine letzte Drohung, die man besser ernst nehmen sollte. Er tat es nicht. Stattdessen legte Caleb ein überhebliches Grinsen auf, fuhr sich durch die Haare und legte eine Hand an den Hosenbund. „Du weißt, dass ich immer mein Bestes für Team Dark gegeben habe, aber das hier ist einfach nicht das, was ich mir bei meinem Beitritt vor eineinhalb Jahren vorgestellt habe. Klar, ich war jung, abenteuerlustig und auf der Suche nach einer Herausforderung, die mich erfüllen kann.“ „Du wolltest Macht, Geld – wie die meisten hier. Stell dich nicht heroischer dar, als du bist.“ „Gut, dann eben so.“ Irgendwo in seinem Hinterkopf begannen leise die Alarmglocken zu schrillen. Eine Stimme sagte ihm, dass sein Gegenüber zu ruhig und zu gefasst war. Dennoch sprach er unbeirrt weiter. „Team Darks Ziele klangen für mich immer so erstrebenswert. Wer würde schon nicht dafür kämpfen wollen, dass eine neue Ordnung eine bessere Welt erschaffen kann? Ich dachte immer, dass es Team Dark nur darum geht, dass sie die Welt auf ihre Weise verbessern wollen. Aber jetzt, wenn ich Tag für Tag die Labore sehe, in denen Pokémon geklont oder künstlich erschaffen werden… Ich meine, hey, der Boss schreckt nicht einmal davor zurück mit der DNA von Legendären zu experimentieren!“ „Der Boss hat Ziele und Gründe, die du nicht verstehen kannst, Caleb. Die Legendären haben mehr Macht als alle anderen Pokémon. Was glaubst du, wird passieren, wenn diese Macht außer Kontrolle gerät? Leid wird über die Menschen und Pokémon auf aller Welt kommen, ein Leid, das wir verhindern können, indem wir die DNA der Legendären entschlüsseln, ihren Schwachpunkt finden und sie zu dem machen, was sie sein sollten: Gewöhnliche Pokémon.“ „Und dafür wird ihre DNA in wehrlose, junge Pokémon eingepflanzt?“ „Diese Macht sollte nicht in den Händen von Pokémon liegen, sondern in unseren. Indem wir die DNA-Sequenzen der Legendären abändern und sie anderen Pokémon einpflanzen, können wir sehen, wie viel dieser Macht auch auf diese jungen Pokémon übergeht. Wir können sie analysieren, verstehen – und schließlich die Legendären mit ihrer eigenen Kraft besiegen.“ „Das ist totaler Wahnsinn! Genau deshalb steige ich aus!“ „Du kannst nicht aussteigen, Caleb.“ „Ach nein? Dann sieh gut hin!“ Die Wut, die in ihm aufloderte, verleitete ihn dazu die Jacke seiner schwarzen Team-Kluft auszuziehen und vor dem anderen Vorstand auf den Boden zu schmeißen. „Und ob ich das kann. Ich bin raus aus der ganzen Sache, macht eure wahnwitzigen Ideen von einer besseren Welt in Zukunft alleine.“ „Du kannst nicht aussteigen, Caleb. Das werde ich nicht zulassen. Weder ich noch der Boss. Du bist ein Vorstandsmitglied, du bist zu wertvoll, als dass wir dich einfach ersetzen könnten.“ Er hörte die Worte, hatte sich allerdings schon umgedreht und war aus dem Gebäude gestapft. Eine Stunde später hatte es die Explosion in der Pizzeria seiner Eltern gegeben – eine Warnung, die direkt an ihn gerichtet war. Caleb wusste, dass er ein Talent dazu hatte immer in Schwierigkeiten zu geraten. Schon früher als Kind war er einer derjenigen gewesen, die sich ständig prügelten, bis er erkannte, dass er klüger sein konnte und andere für sich kämpfen ließ. Jetzt kam er sich jedoch wieder wie der kleine, dumme Junge von damals vor. Er hatte wirklich geglaubt, dass er stärker sein konnte als die Organisation, der er seit eineinhalb Jahren so treu angehörte. Die Warnung war angekommen, er würde sie nicht verlassen können. Nicht, wenn er verhindern wollte, dass seinen Eltern etwas passierte. Tränen traten in die Augen des sonst so starken Mannes. Er wischte sie sich mit dem Handrücken ab, schüttelte den Kopf und streifte sich wieder die schwarze Jacke über, die er erst vor etwas mehr als einer Stunde hier abgelegt hatte. Einmal Team Dark, immer Team Dark. Aber wenn er schon nicht um seinetwillen in der Organisation war, dann ab jetzt für seine Eltern. Er bereute es, dass er sich damals mit ihnen gestritten hatte, an jenem Abend, als er vom Boss angesprochen und abgeworben wurde. Er hatte ihnen nicht einmal auf Wiedersehen gesagt, als er gegangen war, fort, für eine bessere Welt. Bis heute hatte er kein Wort mehr mit ihnen gewechselt. Sie würden ihn verachten, wenn sie sahen, wie tief er gesunken war. Wie sehr er sich benutzen ließ. Caleb Frost drückte sich einen schwarzen Hut tief ins Gesicht, verließ das Gebäude und lief vorbei an den drei jungen Trainern, denen er erst auf dem Weg von Eichwald City nach Lapidia eine Lektion erteilen wollte. Wie hieß dieses Mädchen mit den türkisenen Haaren noch gleich? Faith Loraire. Er würde sie im Auge behalten. Vielleicht ließ sie sich ja für seine Zwecke benutzen… Kapitel 52: Miras Show ---------------------- Auch wenn die junge Koordinatorin in den letzten Wochen sehr an Selbstbewusstsein gewonnen hatte, nestelte sie nun wahnsinnig nervös an ihren Ärmeln herum und starrte auf das Brötchen, von dem sie kaum zwei Bissen schlucken konnte. „Mira, du musst etwas essen.“ Matt runzelte die Stirn und warf Mira einen besorgten Blick zu. Er selbst hatte wie üblich seine drei Brötchen bereits gegessen. „Es ist nicht gut, wenn du nichts im Magen hast und so aufgeregt bist. Nachher bist du unterzuckert und dann kippst du um, das wollen wir doch nicht.“ „I-ich habe keinen Hunger“, stammelte sie und schob den Teller mit dem Brötchen von sich weg. „Dann iss wenigstens etwas von dem Obstsalat – oder soll ich dir Mousse au Chocolat vom Büffet holen?“ „N-nein. O-oder doch, ja, bitte.“ Sofort stand Matt auf, brachte den Teller mit Miras Brötchen weg und kam mit einer kleinen Schale mit der Schokoladencreme zurück. „Die isst du jetzt aber auf.“ „Mhm.“ Mit hängenden Schultern begann Mira lustlos in der Speise zu stochern, dann aß sie aber alles auf. Lächelnd tätschelte Faith den Arm ihrer Freundin. „Du schaffst das schon, ich glaube fest an dich. Matt und ich werden dich von der Tribüne aus anfeuern.“ „Hm.“ „Ganz genau. Wenn du zum Publikum siehst, dann konzentrier dich einfach auf Faith und mich. Deine Performance wird großartig werden.“ „Ich bin fertig.“ „Gut, dann können wir ja los. Komm, Heather.“ Matt stand auf und wartete, bis sein Kramurx sich krächzend auf seiner Schulter niedergelassen hatte. Anschließend räumte er noch das Geschirr der beiden Mädchen weg und wartete im Foyer auf Mira, die von Faith fast schon nach draußen gezerrt wurde. Die Wettbewerbshalle von Rosenheim war anders als andere Wettbewerbshallen, was wohl vor allem daran lag, dass es gar keine Halle war. Mitten in den Blumenfeldern war ein kleines Stadion in den Boden eingelassen, sodass die obersten Ränge auf Höhe der Blumen waren. Die kreisförmige Anordnung endete nach zehn Reihen in einem Platz mit etwa zwanzig Metern Durchmesser. Genau wie die Tribüne war der Boden des Stadions aus hellem Stein gestaltet, der sich ebenfalls in den vielen Brunnen des Dorfes wiederfand. Eine Stahlkonstruktion hielt ein Dach in Form einer Rosenblüte, Wände gab es keine, sodass es sehr offen und naturnah gebaut war. „Das sieht wirklich süß aus.“ Begeistert schaute Faith zu dem Dach hoch, musste aber aufpassen, dass sie die anderen Zuschauer nicht umrannte. Gemeinsam mit Matt suchte sie sich einen Platz in der dritten Reihe. Die Tribüne bedeckte etwa zweidrittel der Seiten, der Rest war einfach eine Schräge aus Stein, vor der unten auf dem Platz die Teilnehmer standen. Faith war erleichtert, dass Trixi nicht hier war und die meisten Teilnehmer jünger und ebenso nervös wie Mira waren. Auch wenn Rosenheim ein kleiner Ort war, hatten sich sehr viele Einwohner und Besucher ins Stadion begeben. Innerhalb von einer halben Stunde waren alle Plätze belegt und sogar oben auf der Wiese standen rundherum noch Schaulustige, die den Wettbewerb sehen wollten. Eine junge Frau in einem rosa Kleid nahm ein Mikrophon, begrüßte das Publikum und stellte die dreiköpfige Jury bestehend aus Schwester Joy, dem alten Gärtner und einem Blumenzüchter vor. „Nun, dann lassen wir den Septemberwettbewerb beginnen!“ Mira hatte eine kleine Startnummer gezogen, sodass sie bereits als vierte Teilnehmerin an der Reihe war, doch als sie die Choreographien der ersten beiden Koordinatoren sah, beruhigte sie sich ein wenig. Die meisten Teilnehmer waren Kinder und Jugendliche aus Rosenheim, dazu kamen ein paar Durchreisende wie sie selbst und schließlich noch eine Handvoll Koordinatoren, die extra aus Nautica City angereist waren. Alles in allem war die Konkurrenz also durchaus überschaubar und annehmbar. „Und begrüßen wir nun mit einem dicken Applaus unsere vierte Teilnehmerin, Mireillia Dawnington mit ihren Pokémon Evoli und Sheinux!“ Begeistert klatschten Faith und Matt in die Hände, sie wünschten Mira viel Erfolg und lehnten sich entspannt zurück, um die Show zu genießen. Nervös trat Mira in die Mitte des Platzes und entließ Evoli und Sheinux aus ihren Pokébällen. Sie nickte ihnen zu, woraufhin die beiden sich hintereinander aufstellten, Sheinux hinter Evoli. „Evoli, Sandwirbel! Sheinux, Ladevorgang!“ Wie schon am Vortag begann Sheinux sofort Elektrizität zu sammeln, während Evoli einen perfekten, feinen Sandwirbel in die Luft schleuderte, sodass ein feiner Staubnebel aus Sand und Erde wie eine braune Wolke um die beiden Pokémon in die Luft flog. „Und jetzt Funkensprung!“ Sheinux sprang über Evoli nach vorne und ließ im Sprung einen durch Ladevorgang gestärkten Funkensprung los, der die ganzen Staubwolke leuchten ließ und zugleich den Staub elektrisch auflud. „Sehr gut, jetzt Rutenschlag und Eiszahn!“ Sheinux sprang nach oben und setzte einen Eiszahn ein, der an sich kein richtiges Ziel hatte, sondern eher einen Teil der Staubwolke, die noch immer leuchtete, zum Gefrieren brachte, sodass nun winzige Eiskristalle und Sandkörner miteinander vermischt waren. Nur wenige Augenblicke später teilte Evoli mit einem gezielten Rutenschlag die Wolke, setzte dadurch die Partikel in Bewegung, sodass die Wolke glitzernd durch die Eiskristalle und leuchtend durch die Elektrizität flimmernd zu Boden sank. Das Publikum war begeistert, klatschte und Faith und Matt sprangen sofort auf, um lautstark für ihre Freundin zu applaudieren. Mira bekam rote Wangen, verbeugte sich leicht und zog ihre beiden Pokémon zurück. Eine knappe halbe Stunde später stand fest, dass Mira zu den acht Koordinatoren gehörte, die die nächste Runde erreicht hatten. Ihr erster Gegner war zudem ein Junge aus Nautica City, der ein Schiggy am Start hatte. Ihr kleines, flinkes Sheinux hatte keine Probleme mit dem Wasserpokémon und konnte es noch vor Ablauf der Zeit besiegen. Der nächste Gegner, ein Mädchen aus Rosenheim, setzte ein Kikugi ein, das jedoch ebenfalls schnell von Sheinux ausgeschaltet werden konnte, da das Elektropokémon die Zuchtattacke Eiszahn beherrschte. So kam es, dass Mira ohne große Kampfanstrengung im Finale stand. Ihre Gegnerin war ein Mädchen aus Rosenheim, das ein Pachirisu einsetzte, sodass beide Jungtrainerinnen ein Elektropokémon am Start hatten. Pachirisu war schneller als Sheinux und konnte den Attacken von Miras Pokémon gut ausweichen, doch dafür waren seine eigenen Angriffe nicht so stark wie die von Sheinux. Während Pachirisu wenige, starke Attacken einstecken musste, hatte Sheinux mit den vielen, schwächeren Angriffen zu kämpfen. Beide Pokémon schenkten sich nichts, eine Elektroattacke traf die andere, doch am Ende konnte ein gezielter Eiszahn den Sieg auf Miras Seite lenken. Pachirisu fiel besiegt nach hinten und sie hatte den Wettbewerb damit gewonnen. Im ersten Moment konnte sie gar nicht fassen, dass sie tatsächlich aus eigener Kraft einen Wettbewerb gewonnen hatte, bei dem sie für Choreographie und die Kämpfe alleine verantwortlich war. Bei ihrem ersten Wettbewerb hatten Itsuki und Faith sie unterstützt und in Glutexia hatte Itsuki ihr beim Kampftraining und der Performance geholfen. „Oh Gott, ich habe gewonnen!“ „Und wir haben eine Gewinnerin!“, brüllte die Kommentatorin ins Mikrophon. Unter dem tosenden Applaus aller Anwesenden verlieh sie Mira das Band von Rosenheim, bei dem in der Mitte der rosa Schleife eine rote Rose abgebildet war. Matt und Faith eilten zu ihrer Freundin auf den Platz, umarmten und beglückwünschten sie. Dankend nahm Mira das Lob entgegen und steckte das Band zu ihren beiden anderen in ein kleines Kästchen. „Ich wünschte, Itsuki wäre hier und hätte meine Show sehen können.“ „Er wäre bestimmt stolz auf dich – so wie ich jetzt.“ Grinsend wuschelte Matt Mira durchs Haar. Mira lächelte matt, steckte ihre Bänderbox weg und seufzte. Sie vermisste Itsuki. Ob sie jemals wieder zusammen reisen würden? Kapitel 53: Liebesgeständnisse ------------------------------ Bis spät in den Abend hatten Matt, Mira und Faith es sich im Foyer des Pokémoncenters bequem gemacht und gemeinsam heiße Schokolade getrunken und Nudelauflauf gegessen. Die Koordinatoren, die auf der Durchreise waren und deshalb ebenfalls im Pokémoncenter übernachteten, hatten Mira noch über eine Stunde lang belagert, ihr Komplimente für die Show und die Kämpfe gemacht. Mira konnte mit so viel Aufmerksamkeit gar nicht umgehen und hatte sich irgendwann zurückgezogen, um Kohana und ihren Eltern von ihrem neuen Band zu erzählen. Nun besaß sie schon drei Bänder, mit zwei weiteren konnte sie am großen Festival in Eisbergen teilnehmen. „So ihr Lieben, ich werde dann langsam auch ins Bett gehen.“ Schwester Joy zwinkerte ihnen zu, räumte das Geschirr weg und knipste das Licht an der Rezeption aus. „Es ist schon kurz vor Mitternacht, ihr solltet jetzt auch schlafen gehen, wenn ihr morgen im Laufe des Tages weiterreisen wollt. Ihr solltet ausgeschlafen und erholt sein.“ „Cha chaneira“, stimmte das rosa Pokémon zu und trottete hinter Schwester Joy zu deren Privaträumen. Mira streckte sich gähnend, rieb sich über die müden Augen und nickte. „Schwester Joy hat recht, wir sollten langsam mal schlafen gehen. Also, wer will zuerst ins Badezimmer?“ Da das kleine Pokémoncenter in Rosenheim durch den Wettbewerb voll ausgelastet war, mussten Mira, Matt und Faith, die ein Dreierzimmer für sich hatten, die beiden Badezimmer auf dem Flur mit den anderen Gästen teilen. „Ich werde dann mal eben schnell meine Zähne putzen, dann könnt ihr euch fertig machen.“ Lächelnd erhob Faith sich und huschte die Treppe hoch zu den Gästezimmern. Von unten hörte sie noch die gedämpften Stimmen ihrer beiden Mitreisenden, die vermutlich wieder über Miras tolle Show und ihren Sieg sprachen. Sie beeilte sich im Bad, ging auf die Toilette, putzte sich die Zähne und trat dann auch schon wieder den Rückweg ins Foyer an. „Ah, super, du bist fertig. Ich beeile mich.“ Matt schlüpfte an Faith vorbei ins Badezimmer und ließ die beiden Mädchen zusammen auf dem Flur zurück. „Ich ziehe mich schnell um und gehe dann auch gleich ins Bett.“ Um ihre Worte noch zu unterstreichen, gähnte Faith und grinste dabei. Mira nickte, hielt sie jedoch am Ärmel zurück. „Faith, kann ich kurz mit dir reden?“ Die Türkishaarige runzelte die Stirn, als sie Miras veränderten Tonfall bemerkte, nickte jedoch ohne zu zögern und trat mit Mira ein paar Schritte zur Seite. „Klar, worum geht es denn?“ Mira seufzte, ihre Wangen nahmen einen rosa Schimmer an. „Ich vermisse Itsuki.“ „Das tun Matt und ich doch auch. Er war zwar immer sehr verschwiegen und kühl, aber irgendwo fehlt er uns auch. Wir treffen ihn bestimmt irgendwann wieder.“ „Nein, so meine ich das nicht.“ Mira seufzte erneut und fuhr sich über das Gesicht. „Faith, du sagtest doch mal, dass Itsuki für dich nur ein Freund ist, nicht wahr? Er ist für dich doch nur ein Freund?“ Faith wusste nicht, worauf Mira hinauswollte, daher nickte sie stumm und zuckte mit den Schultern, auch wenn ihr Herzschlag schneller wurde. „Ja, sicher. Was sollte er sonst sein?“ Ihr Hals wurde trocken, als sie das sagte. Mira blickte sie gequält an, dann lächelte sie jedoch. „Ich habe mich in Itsuki verliebt. Für mich ist er mehr als nur ein Freund oder Mitreisender, ich halte es kaum aus, dass er nicht mehr bei uns ist.“ „Oh.“ „Und ich bin wirklich froh, dass du ihn nur als Freund siehst, auf diese Weise mache ich jetzt nichts zwischen uns kaputt. Danke dafür, Faith.“ Lächelnd und irgendwie auch sehr erleichtert umarmte Mira ihre Freundin, klopfte ihr dann auf die Schulter und holte ihre Sachen aus dem Zimmer. „Klar, gern geschehen.“ Verwirrt folgte Faith der jungen Koordinatorin und zog ihren Schlafanzug unter der Bettdecke hervor. Sie hatte sich gerade fertig umgezogen, als Matt zurückkam und Mira im Bad verschwand. „Sie sah gerade so glücklich aus“, kommentierte Matt Miras strahlendes Gesicht ins Blaue hinein, fuhr sich durch die Haare und zog sich bis auf die Boxershorts aus, um in sein Bett zu schlüpfen. Faith hatte nicht mitbekommen, dass Matt sich ausgezogen hatte, sie lag bereits in ihrem Bett und starrte zu dem Lattenrost und der Matratze über ihr, wo Mira oben im Hochbett schlief. Irgendwie wusste sie nicht, was sie von Miras Liebesgeständnis halten sollte. Ein Teil von ihr freute sich natürlich für Mira, doch ein anderer, böser Teil fand diese Wendung nicht gut und störte sich daran. „Schläfst du schon?“ „Nein.“ Matt brummte zufrieden und schlug sein Kopfkissen auf. „Miras Show war toll. Früher war sie immer so zurückhaltend und schüchtern. Sie hat immer sehr lange gebraucht, bis sie aufgetaut ist. Als ich euch über den Weg gelaufen bin und sie so fröhlich und selbstbewusst gesehen habe, hat mich das wirklich sehr gefreut.“ „Ja, sie ist offener geworden.“ Beide schwiegen einen Moment, dann ergriff Matt wieder das Wort und seine Stimme hatte einen sehr sanften Ton angenommen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mich derart durcheinander bringt, dass ich sie wiedersehe, immerhin habe ich früher wie ein großer Bruder auf Kohana und sie aufgepasst und jetzt ist Mira älter, erwachsener und ich hätte nicht gedacht, dass ich mich derart in sie verlieben könnte.“ Einen Augenblick brauchte Faith, bis sie den Inhalt seiner Worte verstand. Sie riss erschrocken die Augen auf und war froh, dass er das in der Dunkelheit des Zimmers nicht sehen konnte. „Du bist in Mira verliebt?“, fragte sie, nur um sicherzugehen, dass sie das gerade richtig verstanden hatte. „Ja.“ Matts Stimme war noch immer sehr sanft und an ihrem Klang konnte man hören, dass er lächelte. „Sehr sogar. Ich könnte nicht zulassen, dass ihr etwas zustößt, dass es ihr schlecht geht oder dass sie mir von jemandem weggenommen wird.“ Oh Gott. Nein, das sollte er ihr nicht erzählen, sie war nicht geeignet als Amor, Kummerkasten oder dergleichen. Faith kniff die Augen zusammen und ordnete ihre Gedanken ein wenig. Mira war also in Itsuki verliebt und Matt liebte Mira, die seine Gefühle nicht erwidern würde. Das war… verzwickt, fast wie in einer billigen Seifenoper oder einer Fanstory. „Ich kann dir da jetzt keinen Rat geben.“ Aber sie wusste, dass sie ihm Miras Gefühle für Itsuki mit Sicherheit nicht verraten würde. „War das Wasser heute Mittag auch schon so kalt? Ich glaube, der Boiler arbeitet so spät in der Nacht nicht mehr.“ Lachend trat Mira ins Zimmer, warf ihre Kleidung auf einen Stuhl und krabbelte hoch zu ihrem Bett, wo sie ihren Schlafanzug gerade zupfte und dann unter der weichen Bettdecke verschwand. „Also dann, gute Nacht ihr beiden.“ „Gute Nacht, Mira“, antwortete Matt, drehte sich auf die Seite und schlief sofort ein. „Gute Nacht.“ Faith legte sich auf den Rücken, starrte noch immer nach oben zu Miras Matratze. Die zwischenmenschlichen Dinge um sie herum begannen sich zu verändern. Vielleicht war es besser, wenn sie Itsuki nicht mehr wiedertrafen, so würde es zumindest nicht dazu kommen, dass Matt, Mira und Itsuki ein Problem miteinander bekamen. Dann drehte sie sich auf den Bauch und fiel in einen unruhigen Schlaf. Kapitel 54: Veränderungen ------------------------- Veränderungen kamen und gingen. Konnte man sie aufhalten? Konnte man sich ihnen entgegenstellen, um zu verhindern, dass Dinge in gewisse Bahnen gerieten? Faith glaubte nicht daran. Umso schwerer fiel es ihr, auch nur eine einzelne Stunde in der Gegenwart von Mira und Matt hinter sich zu bringen. Sie mochte die beiden, ja, aber sie war kein Mensch, der große Geheimnisse hüten sollte. Faith war abenteuerlustig, energiegeladen und nahm normalerweise kein Blatt vor den Mund. Sie wusste, dass sie kein Typ Mensch war, dem man die Bürde eines solch gewaltigen Geheimnisses anvertrauen sollte. Als der Zeitpunkt ihrer Abreise aus Rosenheim kam, wünschte sie sich fast schon, dass sie alleine weiterreisen konnte. Matt benahm sich wie immer wie ein Gentleman und Faith war kurz davor Mira den Kopf zu waschen, damit sie Itsuki fallen ließ und einfach auf Matts dezentes Umwerben einging. Damit wären alle Probleme gelöst und sie könnte auch das flaue Gefühl in ihrem Bauch vergessen, das immer aufkam, wenn sie sich Mira und Itsuki als altes Ehepaar im Kreise der Enkel auf einer Veranda im Schaukelstuhl vorstellte. Bah! „Faith? Ein Anruf für dich.“ Faith schreckte auf, als Schwester Joy lächelnd zum Telefon deutete. Sie nickte, eilte zu dem Gerät und nahm den Hörer ab, woraufhin das Bild ihrer Eltern über den Bildschirm flimmerte. „Mom, Dad?“ Etwas überrascht fuhr Faith sich durch die Haare, lächelte dann aber. „Was gibt’s?“ Ihre Mutter drängte ihren Ehemann ein Stück zur Seite und strahlte ihre Tochter an. „Wir wollten nur sichergehen, dass mit dir alles in Ordnung ist. Nach dieser… Sache sind wir doch etwas überbesorgt, fürchte ist. Ist alles okay bei dir?“ „Ja, sicher.“ Eine unangenehme Pause entstand, bis ihre Mutter sich räusperte und den Mann zurück in die Küche des Restaurants schickte. „Faith, Liebes, du kannst mit mir über alles sprechen.“ „Schon okay, mit mir ist wirklich nichts. Hier sind nur gerade etwas viele Dinge auf einmal passiert und ich muss sie in meinem Kopf erst sortieren.“ Ein wissender Ausdruck entstand auf dem Gesicht von Faiths Mutter. „Ich verstehe, Spätzchen. Also gut, du weißt, du kannst uns jederzeit anrufen. Wir freuen uns schon darauf, wenn ihr hier in Litusiaville Station macht. Ich muss jetzt auflegen, wir haben das ganze Restaurant voller Gäste. Grüß deine Freunde von mir, ja? Auf Wiedersehen.“ „Bye, Mom.“ Als sie auflegte, hatte sich ein riesiger Kloß in ihrem Hals gebildet. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich daran störte, wie es zwischen ihren Freunden lief. Erst zerstritt sie sich wegen Lucario mit Joel, von dem sie gerade anfing zu denken, dass er auch eine nette Seite hatte. Dann haute Itsuki ab und Mira und Matt eröffneten ihr dieses totale Gefühlschaos. Warum musste das Leben so kompliziert sein? Sie hätte sich am liebsten einfach einen Mann im Katalog ausgesucht, dann wäre das ganze Problem gegessen. Zwei Stunden Fußweg hinter Rosenheim erreichten die Jungtrainer einen breiten, sandigen Platz, der auf der rechten Seite eine Höhle mit vielen Kleinstein beherbergte und auf der linken Seite zu einer Miltank-Farm führte. Schnell war beschlossen, dass hier eine Pause eingelegt wurde. Matt und Mira machten sich auf den Weg zu der Farm, um frische Milchshakes zu holen, während Faith gemeinsam mit ihrem Bibor am Höhleneingang saß. Ihr Blick wanderte immer wieder zu dem Armband mit dem Herzanhänger, das sie von Joel geschenkt bekommen hatte. Er war ein arrogantes Arschloch, aber sie wusste, dass er auch eine nette Seite hatte – jedenfalls wollte sie daran glauben und konnte es auch, wenn sie das Armband sah. „Oh man, kann das nicht schneller gehen?“ Die Stimme aus dem Inneren der Höhle riss Faith aus ihren Gedanken. Sie sprang sofort auf und auch Bibor war augenblicklich kampfbereit an ihrer Seite. Ihr Startpokémon spähte hektisch in die Dunkelheit hinein und konnte im nächsten Moment gerade noch einem Arbok ausweichen, das aus der Höhle geschlängelt kam, dicht gefolgt von einem blauhaarigen Trainer. „Gibt es ein Problem?“, fragte Faith skeptisch und trat auf den Unbekannten zu, der sich gerade etwas Dreck von der Kleidung klopfte und sein Arbok in einen Pokéball zog. „Halloho?“ Ungeduldig wippte Faith mit dem Fuß, bis sie endlich beachtet wurde. „Oh, hey.“ Der Junge grinste etwas verlegen. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Hast du nicht“, entgegnete Faith sofort und musterte den Jungen, der definitiv auch ein Trainer war, immerhin trug er einen Rucksack und sechs Pokébälle an seinem Gürtel. „Warst du zum Trainieren in der Höhle?“ „Ja.“ Wieder grinste der Junge und sprang unruhig von einem Bein auf das andere. „Dort drinnen gibt es sehr viele Kleinstein, ich wollte mit meinen Pokémon dort trainieren, aber irgendwann sind die Kleinstein sauer geworden. Arbok ist immer so ruhig, aber ich wollte da nicht lange diskutieren, sondern habe lieber das Weite gesucht. Gegen so viele Kleinstein habe ich selbst mit meinem Schillok keine Chance.“ „Hm.“ Nachdenklich kratzte Faith sich am Hals. „Ich bin auch eine Trainerin, wir könnten einen kleinen Übungskampf machen, wenn du möchtest. Faith Loraire.“ Gleichzeitig mit der Kampfaufforderung reichte sie ihm die Hand, die er kurz drückte. „Finn Syrano. Es tut mir leid, aber ich muss das Angebot ausschlagen. Ich komme nicht aus der Finera-Region und meine Pokémon brauchen dringend ein Pokémoncenter, wir haben uns etwas überanstrengt. Aber wenn du kämpfen willst, geh in die Höhle rein. So viele Kleinstein auf einem Haufen sind gute Gegner. Dein Bibor könnte damit sicherlich seine Schnelligkeit und Verteidigung trainieren.“ „Seine Verteidigung?“ Sofort blitzte das Bild von einem Sieg gegen Joels Sniebel vor Faiths innerem Auge auf. „Danke für den Tipp, das werde ich sogar machen.“ „Keine Ursache. Vielleicht sieht man sich ja noch einmal wieder.“ „Ja, bis dann. Auf Wiedersehen.“ Faith schaute dem etwas hektischen und ungeduldigen Trainer hinterher, dann nickte sie Bibor zu und machte sich auf den Weg tiefer in die Höhle hinein. Sie hatte mehr als einen Grund um stärker zu werden. Ihr Traum war es die Liga zu schaffen, vielleicht sogar selbst Champion zu werden. Allerdings wollte sie auch Team Dark besiegen – aber das, was gerade vor allem wichtig war, war ein Sieg gegen Joel. Sie war kein niemand und vor allem war sie keine schlechte Trainerin. Lucario und Joel würden sich noch wünschen, dass sie sie nicht unterschätzt hatten. Kapitel 55: Matsch, Gummistiefel und ein Kochtopf ------------------------------------------------- „Mir ist egal, was du zu sagen hast, ich will es nicht hören“, brummte Faith und verzog das Gesicht zu einer Fratze, die ihre schlechte Laune mehr als deutlich demonstrierte. Obwohl das Training in der Kleinsteinhöhle super gelaufen war, wünschte Faith sich an irgendeinen anderen Ort, nur nicht hier hin. Mira seufzte und bei jedem Schritt lief das braune Wasser an ihren gelben Gummistiefeln herunter. „Ich sage doch nur, dass du dir auch welche hättest einpacken sollen.“ „Ich brauche keine blöden Gummistiefel!“, fauchte Faith und warf einen bitterbösen Blick zu Miras Füßen und anschließend zu Matts, an denen waldgrüne Gummistiefel waren. Sie hatte natürlich nicht daran gedacht, dass auch die begehbaren Wege durch das Finstermoor matschig waren, vor allem, wenn es wie letzte Nacht geschüttet hatte. Ihre Schuhe waren jetzt ruiniert, definitiv, denn den Torfgeruch würde sie nie wieder aus dem Stoff waschen können. „Es ist ja nicht mehr weit bis zum Pokémoncenter.“ „Das sagtest du vor einer Stunde auch schon, Matt. Gib es doch zu, wir haben uns verlaufen in dieser gottverlassenen, trostlosen…“ Sie brach ab, als das rote Dach des Pokémoncenters in genau diesem Augenblick in Sicht kam. Das süffisante Grinsen auf Matts Gesicht ignorierte sie, stattdessen stapfte sie voran, überholte die beiden und riss die Eingangstür auf. Faiths Blick irrte umher, als sie niemanden an der Rezeption stehen sah. Überhaupt, konnte man das eine Rezeption nennen? Das Pokémoncenter war nicht mehr als eine quadratische Blockhütte auf einem starken Fundament mitten im Moor, wo der Boden an diesem Fleck wohl dauerhaft tragend war. „Hallo? Schwester Joy?“ Nun traten auf Matt und Mira ein, klopften den Dreck von ihren Schuhen ab und zogen die Gummistiefel aus, damit sie sie neben den Eingang stellen konnten. „Ist keiner hier?“ „Doch, natürlich.“ Als sie die Stimme hörte, diese Stimme, verzog Faith nur noch weiter das Gesicht und drehte sich zu der Drehtür, die wohl in eine kleine Küche führte. „Na sieh mal einer an, was willst du denn hier.“ „Wonach sieht es denn aus, Schätzchen?“ Joel verzog die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen, nippte an seiner Teetasse und machte Platz, als Schwester Joy und Chaneira aus der Küche kamen. „Oh, noch mehr Besuch.“ Sofort nickte Schwester Joy ihnen zu, eilte zurück in die Küche und kehrte kurz darauf mit einem Tablett voller köstlicher Snacks und Fingerfood zurück. „Setzt euch doch hin, ja? Das Pokémoncenter ist sehr klein, aber hier machen auch nicht viele Trainer halt. Die meisten nehmen den Magnetzug von Nautica City nach Moorbach und sparen sich die Strapazen des Moores.“ „Es gibt einen Magnetzug?“ Faith warf Matt und Mira einen ungläubigen Blick zu. Wie viele Wochen hatten sie in Nautica City verbracht? Drei? Vier? Und sie hatte gar nichts von der Zugverbindung mitbekommen. Na herrlich. „Ist Trixi auch hier?“ Miras sanfte Stimme durchdrang die Stille, während sie sich einen Käsespieß mit Trauben nahm. „Zufälligerweise nicht, nein.“ „Ach, ihr reißt auch mal getrennt voneinander? Ich dachte schon, du kannst ohne ihre Unterstützung gar nicht überleben.“ Joels Grinsen wich einem garstigen Blick, als er Faith musterte. „Du hast schlechte Laune und willst sie an mir auslassen? Prima, dann tu, was du nicht lassen kannst. Ich bin ohnehin kurz vor der Abreise und habe hier nur einige Tage zum Trainieren Halt gemacht.“ Faith sprang auf und ging sofort auf die unterschwellige Provokation ein. „Ich will gegen dich kämpfen, sofort. Sniebel gegen Bibor.“ „Unsere Starter? Interessant.“ Wieder nippte Joel an seinem Tee, stellte die Tasse hin und erhob sich. „Meinetwegen, ich werde wohl sowieso gewinnen. Bis jetzt hast du dich ja nicht gerade als Meistertrainerin erwiesen, wenn ich mich recht erinnere.“ Sie kochte innerlich, funkelte ihren Erzrivalen böse an und zog ihn am Hemdärmel hinaus in den Matsch. „Sniebel gegen Bibor, bis einer besiegt ist.“ Noch im Gehen entließ sie das Käferpokémon aus dessen Pokéball und nickte ihm zu. „Bibor, wir haben alles besprochen.“ Und sie hatten trainiert, gut trainiert. Faith war sich sicher, dass sie gewinnen konnten, auch weil Joel nicht damit rechnete, dass sie stärker geworden war. „Sniebel snie!“, rief Sniebel, als es aus dem Ball entlassen wurde und einen Blick über den matschigen Boden werfen konnte. Ein wenig angewidert verzog es das Gesicht, murrte jedoch nicht herum und stellte sich wie immer kampfbereit auf. Faith fixierte die beiden und atmete tief durch. Jetzt gab es nur noch Joel und sie, den Kampf zwischen ihnen, Sniebel und Bibor. Sie würde gewinnen können. Bibor war flinker geworden und konnte durch das Training in der Kleinsteinhöhle mehr Treffer einstecken. Joels Niederlage war in ihren Augen so gut wie besiegelt. „Sniebel, Finte, schnapp es dir!“ „Snie!“ Das Unlichtpokémon löste sich im Sprung auf und tauschte direkt darauf hinter Bibor auf, doch Faiths Startpokémon reagierte schnell, drehte sich um und verpasste dem Angreifer eine Duonadel. Sniebel strauchelte überrascht nach hinten, fauchte und wetzte seine Krallen. Sofort gab Joel den Befehl zu einer Kratzfurie, doch Bibor steckte jeden einzelnen Treffer ein, als wäre Sniebels Kraft mickrig. Überrascht riss Joel die Augen auf, brauchte aber nur einen kurzen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte. „Du bist besser geworden.“ „Du hättest mich nicht unterschätzen sollen.“ Faith zog provokant eine Augenbraue in die Höhe und strich eine türkisene Haarsträhne zurück hinter ihr Ohr. „Und jetzt zeigen wir Sniebel, dass wir es voll drauf haben!“ „Bi!“ „Energiefokus zur Konzentration und dann Verfolgung!“ Bibor konzentrierte sich auf seinen nächsten Angriff und steckte eine Finte von Sniebel ein, als es sich gerade auf die Attacke vorbereitete. Augenblicklich machte Bibor einen Steilflug nach oben, setzte Verfolgung ein und heftete sich nach der Finte an Sniebels Fersen, sodass das Unlichtpokémon nicht entkommen konnte. Bibors Augen blitzten siegessicher auf, als es von Faith die Anweisung zu einer erneuten Duonadel-Kombination bekam. Zwei gezielte Treffer, ein finaler Giftstachel und Sniebel lag tatsächlich besiegt im Matsch. Es war einen Moment lang vollkommen still, dann zog Joel es in den Pokéball zurück und starrte Faith mit herunterhängenden Mundwinkeln an. „Ich schätze, du hast gewonnen.“ „Sieht so aus.“ Faith trat an Bibors Seite und tätschelte ihrem Freund und Partner die Flanke. „Also nimmst du mich jetzt als Trainerin ernst?“ Joels Mundwinkel zuckten, er grinste und steckte Sniebels Pokéball an seinen Gürtel zurück. „Übertreib es nicht gleich. Du hast vielleicht diese Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg, meine Liebe.“ „Wir werden sehen.“ Mit einem trotzigen Funkeln in den Augen sah Faith Joel hinterher, wie dieser zurück ins Innere des Pokémoncenters ging. Nur schwer konnte sie dem Drang wiederstehen ihm hinterherzulaufen und einen Kochtopf nach diesem arroganten Kerl zu werfen. „Bor?“ „Ja, ich glaube, wir haben ihm heute bewiesen, dass er uns niemals unterschätzen sollte. Wir sind ein gutes Team, mein Freund. Wir können alles schaffen, wenn wir so weitermachen.“ Sie waren auf niemanden angewiesen, der ihnen die Richtung wies und sie kommentierte. Faith brauchte niemanden, sie war stark. Vor allem brauchte sie keine Angst vor Team Dark zu haben. Was auch immer noch kommen sollte, sie würde es durchstehen. Kapitel 56: Es geht weiter -------------------------- Irgendwie ging es im Leben immer weiter, das hatte Faith jetzt gelernt und begriffen. Ihr wurde in der Einsamkeit des Finstermoores klar, dass sie zu ihren Entscheidungen stehen musste und sie alleine für die Konsequenzen verantwortlich war. Das, was in Team Darks Labor geschehen war, ging auf ihre Kappe. Aber sie würde es jederzeit wieder so machen und mit dieser Erkenntnis fiel eine große Last von Faiths Schultern. Sie hatte nicht alle gefangenen Pokémon dort befreien können, aber wenigstens hatte sie den Forschungen einen Dämpfer verpassen können. Wenigstens hatte sie Glumanda retten können, das Teile von Enteis DNA eingepflanzt bekommen hatte. „Glu?“ Die kleine Feuerechse blickte ängstlich zu Faith, als spürte das Pokémon, dass seine Trainerin gerade über es nachdachte. „Glumanda?“ „Alles in Ordnung“, erwiderte Faith lächelnd, strich ihrem Feuerpokémon über den Kopf und schaute zu einer großen Schlammblase, die sich in gut zehn Metern Entfernung aus dem Moor quälte. Wie Schwester Joy es hier in der Einsamkeit aushielt, war ihr ein Rätsel. Gut, wenn es denn wenigstens eine schöne Landschaft wäre, aber man sah weit und breit nichts außer kleinen Büschen, wenigen Baumgruppen und natürlich Moor und Schlamm. Für sie wäre das nichts, sie brauchte Weite, Freiheit, Abwechslung. Das Kichern von Mira drang aus einiger Entfernung bis an Faiths Ohren und interessiert erhob sie sich von dem umgeknickten Baumstamm, auf dem sie mit Glumanda gesessen hatte. Sie hatte nur mit Glumanda einen Spaziergang machen wollen, damit sich das schüchterne Pokémon an sie gewöhnen konnte, davon, dass auch Mira hier draußen unterwegs war, wusste sie nichts. „Was ehrlich? Du bist so süß, Matt.“ Faith verzog das Gesicht, nahm das irritierte Glumanda auf den Arm und versteckte sich hinter ein paar Bäumen. Es dauerte nicht lange, da schlenderte Mira an der Seite von Matt über den befestigten Erdweg, den auch Faith genommen hatte. Sie strahlte ihn glücklich an, lachte hin und wieder und strich sich die offenen, lavendelfarbenen Haare immer wieder über die Schulter. Faith gestand es sich nur ungerne ein, aber ihr war noch nie aufgefallen, dass Mira eigentlich richtig hübsch aussah. Sie hatte eine makellose, helle Haut, beinahe wie Porzellan. Dazu kamen die langen, weichen und gepflegten Haare, die eine Nuance heller waren als echte Lavendelfelder. Den Abschluss bildeten Miras strahlende, violette Augen. Kein Wunder, dass Matt ihr wie ein treudoofer Hund hinterherlief, Mira war wirklich niedlich und mit ihrer Schüchternheit bestimmt auch nicht uninteressant. Grimmig presste Faith die Kiefer aufeinander, sodass ihre beiden Zahnreihen fast schon schmerzten. Wieso versteckte sie sich eigentlich vor den beiden? Glumanda begann zu strampeln, aber Faith hielt es in einem eisernen Griff an ihre Brust gedrückt. „Lass uns zurück gehen, bald müsste Faith auch wieder da sein. Wir könnten uns in der Zwischenzeit über deine Choreographie für den Wettbewerb in Moorbach unterhalten.“ Matt zwinkerte seiner hübschen Begleiterin zu und bot ihr den Arm an. Mira lachte, verschränkte ihren Arm locker mit seinem und warf einen letzten Blick in den Himmel, wo ein einsames Tauboga seine Kreise zog. „Ich bin froh, dass wir mal eine ruhige Minute für uns haben. Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe Faith sehr gern und sie ist eine sehr gute Freundin für mich, vielleicht sogar meine beste Freundin, aber seit Itsuki nicht mehr bei uns ist, benimmt sie sich merkwürdig. Sie hockt ständig grübelnd in irgendwelchen Ecken und das kann nicht nur daran liegen, dass sie die Sache mit Team Dark verarbeitet. Ich stehe hinter ihr in der ganzen Sache, aber ich finde, dass sie sich da zu sehr rein steigert. Sie ist eine normale Trainerin, sie sollte keine Verbrecher jagen.“ „Vielleicht hast du recht, aber wir sollten sie machen lassen.“ Nickend setzte Mira sich in Bewegung, Matt folgte ihr an ihrer Seite. „Ich weiß nicht, ob ich ihr sagen soll, dass Itsuki sich bei mir gemeldet hat.“ „War das der Anruf gestern Abend?“ „Ja. Er ist in Moorbach und hat gefragt, ob ich zum nächsten Wettbewerb kommen werde. Er wollte mir dort zusehen.“ „Hmhm.“ Matt verzog die Augenbrauen zu einem schmalen Strich. „Lass diesen Idioten doch, vergiss die ganze Sache. Ich schaue dir zu und Faith auch, das reicht. Immerhin hat er das Handtuch geschmissen, als seine moralische Unterstützung im Krankenhaus gefragt war.“ „Ich weigere mich zu glauben, dass Itsuki ein schlechter Mensch ist. Er hatte bestimmt seine Gründe und brauchte einen freien Kopf.“ „Wirst du Faith davon erzählen?“ „Nein“, antwortete Mira zögernd. „Nein, sie muss auch nicht alles wissen. Nicht jetzt, wo es ihr gerade wieder besser geht.“ Dann verschwanden die beiden aus Faiths Hörweite. Sie schwieg, starrte den beiden hinterher und spürte einzig und allein ihr rasendes Herz. Vorsichtig setzte sie Glumanda auf dem Boden ab, fuhr sich durch die Haare und seufzte. Wunderbar, ihre Freunde hatten Geheimnisse vor ihr. Itsuki hatte sich also gemeldet. Machte es ihr etwas aus? Machte es ihr nichts aus? Sie wusste es nicht. Wütend trat Faith gegen den wehrlosen Baumstamm und beruhigte sich erst wieder, als sie sah, wie verstört sich Glumanda hinter einen Baum kauerte. Augenblicklich tat ihr ihr Verhalten so unendlich leid und sie kniete sich vor dem Feuerpokémon auf den Boden. „Alles okay, ja? Das tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint. Okay?“ „Glu…“ „Nein, ich tue dir nichts, Glumanda. Lass uns einfach wieder zurück zum Pokémoncenter gehen, einverstanden?“ Glumanda zögerte, erinnerte sich aber daran, dass es zu Faith Vertrauen gefasst hatte. Daher nickte es und trottete wie eine Klette an ihrem Bein neben der Trainerin her. Matt, Mira und Faith hatten es sich in den breiten Loungesesseln bequem gemacht und schlürften ihren heißen Kakao. Faith hatte gerade ein heißes Bad genommen und entspannte sich jetzt ein wenig, auch wenn sie noch immer nicht wusste, ob sie Mira nun auf Itsuki ansprechen sollte oder nicht, zumal sie nicht kalkulieren konnte, wie Matt reagieren würde. „Und? Was habt ihr so gemacht, während ich spazieren war?“ Mira und Matt tauschten einen Blick aus und Mira biss sich auf die Unterlippe. „Och, so dies und das. Nichts Wichtiges.“ „Aha.“ Betont langsam nippte Faith an ihrem Kakao. Sie ließ die beiden keine Sekunde aus den Augen. „Und sonst, gibt es irgendetwas Neues?“ Mira schien sich in ihrem Kakao ertränken zu wollen, so stark kippte sie das braune Getränk ihren Hals herunter. Lügen war noch nie ihre Stärke gewesen. „Nein, nichts Neues“, antwortete stattdessen Matt und Faiths Augen verengten sich minimal. Zumindest schien er keine Probleme damit zu haben für Mira zu lügen. Faith wusste nicht wieso, aber sie wollte jetzt nicht mit den beiden hier sitzen und so tun, als wäre alles wie immer, denn das war es nicht. Itsuki fehlte und allmählich begann Faith Matt dahin zu wünschen, wo der Pfeffer wuchs. Er war ein Keil in der Freundschaft zwischen Mira und ihr. „Ich gehe jetzt nach oben und werde meine Sachen packen. Wir wollten ja morgen weiter Richtung Moorbach laufen.“ Sie musste sich nicht umdrehen, um Miras Gesicht sehen zu können. Sie hatte das schuldbewusste Augenpaar auch vor ihrem inneren Auge gut im Blick. Dieses Moor tat ihnen nicht gut, es war einsam und stellte ihre gemeinsame Reise auf die Probe. Faith wollte einfach nur noch raus aus dem Moor, ab in die nächste Stadt zum nächsten Abenteuer und Arenakampf. Vielleicht würde sie auch Joel und Trixi wiedersehen, denn deren Gesellschaft war ihr gerade lieber als die von Matt und Mira. Kapitel 57: Moorbach -------------------- Es war ein Segen, als Faith feststellte, dass der matschige Boden des Moores allmählich fester wurde und sich mit kleinen Abschnitten von frischem Gras zu mischen begann. Das konnte nur bedeuten, dass sie das Finstermoor bald hinter sich lassen konnten und Moorbach erreichten, die Stadt, die vollständig von dem Moor umgeben war. Ein weiterer Vorteil war allerdings auch, dass sie sich dann endlich Zeit für ihr Training nehmen konnte und nicht mehr Matt und Mira ertragen musste, die beinahe pausenlos miteinander schwatzten und dabei selbst das Plaudagei ihrer Mutter wie ein stilles Persönchen wirken ließen. Als die Straßen von Moorbach in Sicht kamen, erschienen auch die hohen Palisadenzäune, die die Stadt befestigten und dafür sorgten, dass sich das Moor nicht bis zu den Häusern ausbreiten konnte. Die Straßen selbst waren alle asphaltiert und wirkten auf den ersten Blick nicht sehr hübsch, wenn man sie beispielsweise mit Bad Puvicia oder Eichwald City verglich. Dann entdeckte Faith jedoch die liebevoll gestalteten Einfamilienhäuser, deren Fassaden mit Marmorfiguren geschmückt waren. Überall gab es kleine Gärten, die Menschen schienen das Beste aus allem zu machen. „Zum Pokémoncenter geht es hier entlang.“ Matt deutete auf ein Schild, das ihnen den Weg wies. „Dort werde ich mich gleich hinter das Telefon klemmen und fragen, wie es zu Hause so läuft.“ „Grüß deine Familie von mir, ja?“ Grinsend folgte Mira ihrem alten Freund, wobei es ihr egal zu sein schien, dass Faith schweigend in fünf Metern Abstand hinter ihnen ging. Faith selbst erkannte immer deutlicher, dass sie es nicht mehr lange mit den beiden aushielt, wenn sie sich so benahmen, weshalb sie fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, dem Theater zu entgehen, das sich anbahnte. „Hey, wartet doch mal kurz.“ Mira und Matt drehten sich zu ihrer Begleiterin um und warfen ihr einen irritierten Blick zu. „Ja?“ „Ich werde mich jetzt schon auf eigene Faust in der Stadt umschauen und die Arena besuchen. Geht ruhig vor, wir sehen uns dann heute Abend.“ Mira zuckte mit den Schultern. „Gut, bis dann.“ Sofort wurde sie wieder von Matt in Beschlag genommen und bog mit ihm zusammen um die nächste Ecke, was Faith erst einmal erleichtert ausatmen ließ. Damit hatte sie wenigstens knapp zwei Stunden Zeit gewonnen, auch wenn ihre Füße von dem anstrengenden Marsch hier her schmerzten. Erneut seufzte Faith, streckte die müden Schultern durch und machte sich auf den Weg zur Innenstadt von Moorbach. Die ganze Stadt war durch die Lage am Moor geprägt. Moorbach konnte flächenmäßig nicht expandieren, weshalb es wenige Parkanlagen gab und in der Innenstadt selbst viele Gebäude, die zwischen vier und sechs Stockwerke hatten, damit der Platz in der Höhe genutzt werden konnte. Zudem konnte die Stadt landwirtschaftlich nichts produzieren, weshalb Moorbach in den letzten Jahrzehnten zu einem Technikstandort gemacht wurde. An einem hohen, breiten Gebäude blieb Faith schließlich stehen. Die unteren Etagen wurden von einem Schwimmbad genutzt, doch die obersten beiden Etagen hatten Fensterfronten, waren von der Sonne durchflutet und zeigten viele Palmen und kleine Bäume an den Seiten. Interessiert trat Faith näher heran und las sich ein Informationsschild am Hauseingang durch. Es handelte sich hierbei um eine künstliche Parkanlage über zwei Etagen. Die Menschen hier konnten keine großen Grünanlagen in der Stadt errichten, daher taten sie es im kleinen Maßstab. Von dem Schwimmbad aus konnte man die Treppen hoch in die Palmenlandschaft gehen, in der warme Temperaturen herrschten. Faith schaute respektvoll an dem Haus hoch, vermerkte es sich und ging weiter die Straßen entlang. Moorbach hatte einen ganz eigenen Charme und obwohl Faith eigentlich zu der Arena hatte gehen wollen, blieb sie immer wieder an anderen Plätzen stehen und schaute sich dort um. Auf diese Weise vergingen die zwei Stunden wie im Fug und als sie auf ihre Uhr schaute, erkannte sie, dass sie nun zum Pokémoncenter gehen sollte. Mit einem wehmütigen Blick schaute sie zurück und eilte schließlich mit schnellen Schritten zu dem Haus mit dem roten Dach, das am Stadtrand gelegen war. Dort angekommen ließ sie sich von Schwester Joy einen Zimmerschlüssel geben und fühlte sich dabei erleichtert, denn sie hatte ein Einzelzimmer bekommen. In dem Moorbacher Pokémoncenter gab es ausschließlich Einzelzimmer. Sofort ließ Faith sich in das weiche Bett fallen und starrte an die Decke. Ihr Magen knurrte, aber sie wartete noch einige Minuten, bis sie aufstand, ihre Sachen glatt strich und sich auf den Weg ins Foyer machte. Neugierig schaute sie sich um, entdeckte Mira und Matt jedoch nirgendwo, weshalb sie erneut zu Schwester Joy ging. „Entschuldigung, haben Sie zufällig Matt Sorrow und Mireillia Dawnington gesehen? Ich bin mit den beiden unterwegs, kann sie aber nicht finden.“ „Oh, ich kann dir ihre Zimmernummern geben, aber das wird dir nicht viel helfen. Die beiden sind schon vor einer halben Stunde gegangen. Ich glaube, sie wollten zu einem Fischrestaurant in der Innenstadt.“ „Ach.“ Augenblick spürte Faith einen Klumpen in ihrem Magen. Die beiden hatten nicht einmal diese halbe Stunde auf sie warten können. Wut stieg in ihr auf und sie ballte die Hände zu Fäusten. So konnte es einfach nicht weitergehen. „Ist alles in Ordnung?“ Besorgt schaute Schwester Joy sie an, doch Faith winkte ab. „Ja, schon okay. Danke für die Information.“ Sie drehte sich um, lief zurück zur Treppe und stieß dabei fast mit demjenigen zusammen, der gerade die Treppe herunter kam. Joel. Seine Augen weiteten sich ein wenig, dann lächelte er. „Faith, hallo. Seid ihr jetzt auch hier angekommen?“ „Ja, vor zwei Stunden.“ Auf einmal war ihre Stimme so dünn und sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Und ist alles klar bei dir?“ „Sicher“, log Faith und schluckte. „Bei dir auch?“ Joel nickte und betrachtete sie nun mit einem ernsteren Blick. Er schien zu wissen, dass Faith ihn angelogen hatte, sagte dazu jedoch nichts mehr. „In drei Tagen ist der nächste Wettbewerb, Trixi trainiert jeden Tag und auch ich bereite mich auf die Arena hier vor. Warst du schon dort und hast sie dir angesehen?“ Erleichtert über den Themenwechsel schüttelte Faith den Kopf. „Nein, noch nicht. Ich kam heute nicht mehr dazu. Jetzt bin ich auch zu hungrig, ich besorge mir nur schnell eine Kleinigkeit und ruhe mich dann aus.“ „Das trifft sich gut, ich wollte Trixi in einem Restaurant treffen. Du könntest mitkommen, wenn du willst, dann musst du nicht alleine essen.“ Ohne dass Faith einen Grund dazu erkennen konnte, machte ihr Herz einen freudigen Sprung. Ihr wären fast die Tränen gekommen, als sie daran denken musste, wie nachlässig Mira momentan mit ihrer Freundschaft umging. Selbst Joel, ihr größter Rivale, fragte sie nach ihrer Gesellschaft. „Gerne.“ Joel lächelte leicht. „Gut, dann lass uns keine Zeit verlieren, Trixi wartet schon und sie hasst es zu warten.“ So machte Faith sich gemeinsam mit Joel auf den Weg zu dem Restaurant, um den Abend mit Miras Rivalin und ihrem Rivalen zu verbringen. Vielleicht war je genau das der Weg, um der aktuellen Situation mit Mira und Matt zu entfliehen. Kapitel 58: Der Super-GAU ------------------------- Das Armband, das Joel ihr geschenkt hatte, baumelte an Faiths Handgelenk, wobei der bronzefarbene Herzanhänger immer wieder gegen ihre Haut trommelte. Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, auch wenn sie noch immer von Lucarios Verhalten gekränkt war, was allerdings mehr ihrem angekratzten Stolz zuzuschreiben war als der Rivalität mit Joel, die sie so pflegte. Während die beiden Seite an Seite in die Innenstadt von Moorbach gingen, erzählte er ihr ein wenig von der Zeit, die er bis jetzt hier in der Stadt verbracht hatte. Natürlich bestand der Großteil in Training und dem Pauken von Strategien, aber als Faith ihn auf das Schwimmbad mit dem Palmengarten ansprach, erinnerte er sich daran. „Wenn du Trixi fragst, wird sie bestimmt mit dir dort hingehen. Sie ist so verrückt nach diesem ganzen Beautyzeug und soweit ich weiß, hat das Schwimmbad auch einen Spa-Bereich.“ Faith lächelte und dachte kurz darüber nach. „Vielleicht mache ich das sogar, mal schauen.“ „Sie ist kein schlechter Mensch“, fügte Joel daraufhin an seinen vorherigen Satz an. „Sie ist nur etwas schwierig, man muss mit ihr umgehen können.“ Kurz darauf bog Joel in eine andere Straße ein und das Schild des Restaurants leuchtete in warmen Farben über dem doppeltürigen Eingang. „Da wären wir, jetzt müssen wir nur noch Trixi finden. Ich glaube, sie hatte einen Tisch bestellt, lass uns einfach nachfragen.“ „Ich folge dir, mach du nur.“ Faith ließ ihm den Vortritt und ging nach ihm die vier Stufen zum Eingang hoch. Kaum war die Tür geöffnet, kam ihr ein altbekannter Duft entgegen. Es war der Geruch nach der Küche eines Restaurants, so wie sie ihn von zu Hause kannte. „Du hast ein Fischrestaurant ausgesucht?“ „Du hast eine feine Nase“, urteilte Joel grinsend und ging zielstrebig zu der kleinen Rezeption. „Ich suche nach Trixi Light, meiner Schwester, sie müsste einen Tisch reserviert haben.“ Während der Mann an der Rezeption in seinem Buch blätterte, lehnte Faith sich gegen das Pult und blickte Joel an. „Na ja, meine Eltern haben auch ein Restaurant direkt am Meer und ihre Spezialität sind Fischgerichte. Ich glaube, diesen Geruch werde ich noch als alte Oma in der Nase haben und sofort überall wiedererkennen.“ „Fräulein Light hat Tisch Nummer 22, das ist im Obergeschoss. Einfach die Treppe hoch und dann auf der linken Seite.“ „Vielen Dank.“ Joel und Faith folgten dem Fingerzeig des Mannes und erklommen die Treppe hoch in den ersten Stock. Die Wände waren auch hier komplett in einem hellen Holz vertäfelt und lediglich von einer marineblauen Bordüre unterbrochen, auf der verschiedene Wasserpokémon abgebildet waren. Als Faith ein Mantax und ein Lapras entdeckte, musste sie lächeln. Oben angekommen war der Raum nicht sofort zu überblicken. Viele große Blumenkübel umgaben die einzelnen Tische und schafften so etwas Privatsphäre. Trixi saß zwischen einer Bananenstaude und einem Gummibaum und winkte ihrem Zwillingsbruder zu, als sie ihn sah, wobei sie mitten in der Bewegung innehielt, als sie auch Faith entdeckte. Sie stand auf, kam auf die beiden zu und musterte Faith interessiert. „Ich wusste gar nicht, dass Joel dich heute Abend eingeladen hat.“ „Wir haben uns gerade im Pokémoncenter getroffen und ich habe sie spontan gefragt, ob sie mitkommen möchte. Ich denke, das stört dich doch nicht?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ Sofort schenkte Trixi der Widersacherin ihres Bruders ein warmes Lächeln. „Setz dich ruhig dazu, dann können wir ein wenig plaudern. Auf Dauer ist mein Bruder nämlich ein äußerst langweiliger Gesprächspartner.“ „Hey!“ Grinsend gab sie ihm einen Klaps auf den Rücken. „Mit dir kann man sich einfach nicht über Themen unterhalten, die für Mädchen besser geeignet sind.“ Joel lachte, rieb sich über den Rücken und setzte sich gerade in Bewegung, als eine dünne Mädchenstimme ganz aus der Nähe ertönte. „Faith?“ Die Angesprochene schaute sich erschrocken um und ihr Herz schlug sofort etwas schneller. Da! Sie hatte sie entdeckt, Mira und Matt saßen zu zweit an einem Tisch, jeder hatte einen halb leeren Teller vor sich stehen. „Hey“, antwortete Faith und fühlte sich auf einmal mehr als unwohl in ihrer Haut. Was Mira wohl denken würde, wenn sie sie jetzt hier mit Joel und Trixi sah? Aber eigentlich konnte ihr das auch egal sein, Mira war immerhin diejenige, die ihr das Telefonat mit Itsuki vorenthalten hatte. „Was machst du hier?“ Als Mira ihre Gabel auf den Tellerrand legte, konnte man ihr die Verwunderung und auch das Unwohlsein ansehen. Sofort flammte in Faith das Gefühl der unterdrückten Wut wieder auf. Sie war niemand, der Gefühle gut unterdrücken konnte, weshalb sie sich auch nicht daran hindern konnte ein paar Spitzen in Richtung Mira zu verteilen. „Ich bin hier, um mit Trixi und Joel zusammen zu Abend zu essen, weil du einfach mit Matt abgezogen bist, das sieht man doch.“ Miras Mundwinkel sackten nach unten ab und Matt legte sein Besteck ebenfalls hin, wobei er Faith einen kritischen Blick zuwarf. „Ja…“, sprach Mira leise und räusperte sich. „Wir wussten nicht, wann du zurück kommst. Wenn du etwas gesagt hättest, hätten wir natürlich auch auf dich gewartet.“ „Hättet ihr das, ja? Wie nett, dass du das sagst. Vermutlich hättet ihr genau so gewartet, wie ihr heute Morgen im Pokémoncenter mitten im Moor auf mich mit dem Frühstücken gewartet habt oder bei der Ankunft in Moorbach, als ich meterweit hinter euch gelaufen bin, nicht wahr? Natürlich, auf so ein Warten kann ich verzichten. Ihr müsst euch keine Sorgen um mich machen und könnt morgen auch gerne den ganzen Tag miteinander verbringen, ich habe nämlich schon etwas vor.“ Es war kaum zu sehen, aber Miras Augen wurden ein wenig wässriger. „Faith…“ Faith hingegen kam gerade erst so richtig in Fahrt und ließ sich auch nicht davon ablenken, dass Joel ihr warnend eine Hand auf den Unterarm legte, denn er hatte die Lage sofort analysiert und richtig interpretiert. „Ich unternehme etwas mit Trixi zusammen, wir gehen schwimmen und dann werden wir noch ein wenig über den kommenden Wettbewerb plauschen.“ Trixi zuckte ein wenig zusammen. Sie starrte Faith ausdruckslos an und schien nicht gerade begeistert davon zu sein, dass sie jetzt in die ganze Sache mit hineingezogen wurde. „Es tut mir leid, Faith…“ Miras Stimme wurde nur noch dünner, doch dann schluckte sie und richtete ihre violetten Augen auf ihre Freundin. „Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen…“ „Hast du mir deswegen das Telefonat mit Itsuki verschwiegen?“ Das Blut rauschte durch Faiths Adern, weshalb ihr nicht bewusst war, dass ihre Stimme etwas lauter und spitzer ausfiel. „Ja, da schaust du. Ich weiß davon. Mira, wie konntest du das tun? Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir beide Freundinnen sind, aber seit Matt da ist, richtest du dich an ihm aus und sagst mir nicht einmal, wenn sich Itsuki meldet. Hast du überhaupt den Hauch einer Ahnung, was ich mir für Gedanken mache, seit er ohne ein Abschiedswort gegangen ist? Ich habe noch Sachen mit ihm zu klären und ich leide darunter, dass sie ungeklärt im Raum stehen. Und dann hast du nichts Besseres zu tun als es mir nicht zu sagen!“ Matt drückte Miras Hand, als diese aufschluchzte. „Hör auf sie so grob anzufahren, Faith!“ „Halt du dich da raus, Matt!“ „Faith, beruhig dich. Bitte.“ Für einen kurzen Moment wollte Faith auf Joels Worte hören, doch dann schüttelte sie seine Hand ab und trat bis an Miras Tisch heran. „Matt ist ein Keil in unserer Freundschaft und ich will dich nicht vor die Wahl stellen, aber so geht es nicht weiter.“ „Bitte halt Matt da raus“, wimmerte Mira und die Tränen stiegen ihr in die Augen. Es machte den Anschein, als würde sie gleich überlaufen. „Er ist ein alter Freund von mir und die Freundschaft mit ihm bedeutet mir wirklich viel, weil Kohana und ich ihn schon seit unserer Kindheit kennen. Aber du bist mir auch wichtig, bitte zwing mich nicht dazu, dass ich mich zwischen euch entscheiden muss, Faith. Bitte, tu mir das nicht an…“ „Du verängstigst sie, Faith!“, polterte nun wieder Matt und legte einen Arm um Miras Schultern. Faith zögerte, sie wollte das nicht tun, aber ihr stieg das alles zu Kopf. „Oh Matt, bitte, spiel dich nicht auf. Dass du vollkommen parteiisch auf Miras Seite stehst, ist mir klar. Mich nervt dein Verhalten und dass du permanent an Mira klebst. Merkst du nicht, dass sie das nicht braucht? Mira wird nie die eigenständige Person werden, die sie sein will, wenn du sie ständig in Schutz nimmst und bevormundest.“ „Und Itsuki wird nie zurückkommen, weil du totalen Mist gebaut hast in dem Bunker, kapier das doch! Du hast Mira in Gefahr gebracht und ich will nicht, dass sie durch dich nochmal in so eine Gefahr kommt!“ Es herrschte Stille. Unangenehme, eklige Stille, die wie kalter Schweiß den Rücken herunterlief und einen Schauer verursachte. Faith sog scharf die Luft ein. „Das hast du nicht gesagt…“, wisperte sie und ballte die Hände zu Fäusten. Auch ihr stiegen Tränen in die Augen. „Das hast du jetzt nicht wirklich gerade gesagt…“ Dieses Mal sprach sie etwas lauter. Auch Mira war schockiert und rückte ein Stück von Matt ab. Tränen liefen der sensiblen Koordinatorin stumm die Wangen herunter. „Du…! Unterstell mir nicht, dass ich eine schlechte Freundin wäre! Deine Liebe zu Mira wird sich nie erfüllen, sie ist in Itsuki verliebt und wird deine Gefühle nicht erwidern, du kannst also einfach verschwinden, dich deiner Suche nach Damian Draco widmen und uns in Ruhe lassen!“ Erschrocken riss Mira den Mund auf und konnte kaum Matts Blick standhalten. „Wieso hast du das gesagt, Faith! Ich habe es dir im Vertrauen als Freundin anvertraut!“ Sie schnappte nach Luft und begann am ganzen Körper zu zittern. „Na so wie es aussieht sind wir wohl kein Freundinnen mehr, denn Freundinnen belügen sich nicht! Du hättest mir das mit Itsuki einfach sagen sollen, dann wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. Ich nehme ihn dir nicht weg, ich bin nicht so jemand. Du hättest mir vertrauen können, ich habe dir immer vertraut!“ Wütend, enttäuscht und mit einem unendlich schlechten Gefühl im Magen drehte Faith sich um, stürmte an Trixi und Joel vorbei die Treppen herunter und aus dem Restaurant hinaus. Faith lief ziellos in die Nacht hinein, heiße Tränen hinterließen ihre salzigen Spuren auf ihrem Gesicht. Konnte ihre Freundschaft diesen Super-GAU wirklich verkraften? War das jetzt das Ende? Kapitel 59: Schwerelos ---------------------- Regen. Unendlich viel Regen prasselte auf Moorbach herunter, das nun wirklich zu einem einzigen Bach im Moor zu werden schien. Alle Straßen waren von Rinnsalen überflutet worden, der Himmel von einer dicken, grauen Wolkendecke überzogen. Es hatte noch an jenem Abend zu regnen angefangen, als Faith ziellos durch die Straßen der Stadt geirrt war. Jener Abend, an dem sie Mira in dem Restaurant mit allem konfrontiert hatte. Jener Abend, an dem ihre Freundschaft irgendwo auf der Strecke geblieben war. Das alles war nun bereits zwei Tage her. Jetzt fühlte es sich an, als hätte es diese Freundschaft nie gegeben, als wäre Faith davon gelöst worden und schwebte nun schwerelos im Orbit. Sie brauchte einen Anker, der sie auf dem Boden hielt. Jemanden, der die Erde darstellte, um die sie im Moment kreisen konnte. Dieser Jemand war Joel. „Du solltest nicht so alleine hier oben sitzen.“ Das Geräusch von nassen Schuhen erklang, als er zu Faith ging, einen Regenschirm über ihren Kopf hielt und sich genau wie sie gegen das schneeweiße Geländer des Balkons vom Pokémoncenter lehnte. „Du wirst ganz nass.“ Sie wusste, dass seine braunen Augen auf sie gerichtet waren. „Ich dusche gleich sowieso, dann macht es keinen Unterschied, ob ich nass bin oder nicht.“ Joel schüttelte ein wenig den Kopf, wobei ihm einzelne Haarsträhnen ins Gesicht fielen. „Du wirst dich erkälten. Tu mir den Gefallen und komm mit rein, okay? Trixi hat uns heiße Schokolade besorgt und deine Pokémon bei Schwester Joy abgeholt.“ Als sie nicht sofort reagierte, seufzte er und machte einen Schritt zurück zur Balkontür, sodass sie wieder im Regen stand. „Faith, komm.“ Einen Augenblick blickte sie noch in den Himmel, direkt in den Regen hinein, dann lächelte sie und folgte ihm in die Galerie. Sie hatte gar nicht gewusst, dass das Pokémoncenter so etwas hatte, aber Trixi und Joel hatten ihr den Ort noch an jenem Abend gezeigt. Überall hingen die Bilder, die Schwester Joy in ihrer Freizeit gemalt hatte. Nur wenige Trainer verirrten sich hier hoch in den ausgebauten Speicher mit dem großen Balkon und den großen Fenstern. Nachdem Faith aus dem Restaurant gelaufen war, hatte es bis weit nach Einbruch der Dunkelheit gedauert, bis Trixi sie in einem Schnellrestaurant gefunden hatte. Sie hatte Faith keine Vorwürfe gemacht, sondern ihr lediglich die Hand hingehalten und „Komm, wir gehen jetzt zusammen zurück ins Pokémoncenter“ gesagt. Von diesem Zeitpunkt an war Trixi immer für sie da gewesen, hatte ihr zugehört, Zeit mit ihr verbracht und mit Faiths Pokémon trainiert. Faith hätte nie gedacht, dass sie ausgerechnet in Trixi Light so etwas wie eine Freundin finden würde. „Ah, da bist du ja.“ Lächelnd kam Trixi auf sie zu und drückte ihr eine Tasse heißer Schokolade in die Hand. „Du bist nass, Faith. Trink deine Schokolade und nimm ein heißes Bad, sonst wirst du krank.“ „Das habe ich ihr auch schon gesagt. Stures Mädchen.“ Joel klopfte Trixi auf die Schulter und nippte an seiner eigenen Tasse, während er den Blick auf ein Bild von Schwester Joy wandte, das eine schöne Herbstlandschaft zeigte. „Wie geht es eigentlich bei eurem Training voran?“ „Wunderbar.“ Trixi ließ sich auf das große Sofa mitten im Raum fallen und überschlug ladylike die Beine. „Faith ist eine gute Trainerin, du solltest sie besser als Konkurrentin ernst nehmen.“ „Trixi ist eine gut Trainingspartnerin“, meldete sich nun auch Faith zu Wort und schaute auf den Boden, wo sie für eine kleine Pfütze verantwortlich war. „Ich lerne viel von ihr. Mehr als ich mit… Mira hätte lernen können.“ Zeitgleich senkten Trixi und Joel bei der Erwähnung von Miras Namen den Blick auf den Parkettboden. Faith hing einen kurzen Moment ihren Gedanken hinterher, dann reichte sie Trixi ihre leere Tasse. „Ich gehe jetzt duschen, wir sehen uns später.“ Schnell ging sie zur Tür und eilte die Treppe runter in das Stockwerk, in dem die Einzelzimmer lagen. Mira war zu einem Tabuthema geworden, selbst bei Begegnungen, die sich hier im Pokémoncenter nicht vermeiden ließen, gingen die beiden Mädchen wortlos aneinander vorbei. Wie Fremde. „Denkst du, es wird ihr besser gehen, wenn sie sich auf den Arenakampf konzentrieren kann?“ „Ich denke, es wird nichts bringen, sie schonen zu wollen. Genau das hat zu der Katastrophe mit Mira geführt. Faith ist niemand, den man mit Samthandschuhen anpacken muss.“ Schmunzelnd stand Trixi auf und sammelte auch Joels Tasse ein. „In der Hinsicht ist sie genau wie du, Brüderchen. Vielleicht ist auch das der Grund, warum du sie so magst.“ „Wie kommst du darauf?“ „Du bist mein Bruder, Joel, mein Zwillingsbruder.“ Ihr Schmunzeln wandelte sich in ein wissendes Grinsen, als sie mit dem Zeigefinger über seine Wange strich. „Ich kenne dich und wenn ich Faith nicht mögen würde, würde ich schon längst gegen sie intrigiert haben.“ Joel stieß einen Grunzlaut aus und fixierte die Ältere. „Faith ist keine Spielfigur!“ „Ich weiß. Das sagte ich doch gerade.“ Mit schwingender Hüfte stolzierte Trixi zur Balkontür und schaute hinaus in den Regen. „Du kannst mir vertrauen, ich werde sie in Ruhe lassen und ihr die Freundin sein, die sie jetzt braucht.“ Tonlos lachte Joel auf und stapfte zur Treppe. „Ich hoffe es für dich, Schwesterherz. Ich bin kein Freund deiner kleinen Spielchen.“ Als Faith aus dem Bad kam und sich ein Handtuch um die nassen Haare wickelte, stand Trixi im Flur und lächelte sie an. Faith erwiderte das Lächeln. „Hey, was machst du hier?“ „Ich habe auf dich gewartet.“ Trixi zog zwei Karten aus ihrer Hosentasche. „Und ich habe Karten fürs Kino mitgebracht.“ „Kino? Ich weiß nicht…“ „Na los Faith, das wird lustig. Wir schauen uns einen guten Film an und lassen Joel beim Pokern mit den anderen Trainern in Ruhe. Er braucht es, dass er ab und an abschalten kann. Also, was sagst du?“ Nach kurzem Zögern stimmte Faith zu. „Ich werde mir nur noch schnell etwas Frisches anziehen und mir die Haare föhnen, dann können wir los.“ „Super, ich warte unten auf dich. Wenn wir im Kino fertig sind, musst du mir auch unbedingt von deiner Strategie für den Arenakampf erzählen.“ „Sicher.“ Faith lächelte sie an. „Ich bin gleich da.“ Zehn Minuten später kam Faith in den Eingangsbereich des Pokémoncenters, wo sie sofort Matt, Mira und – zu ihrer Überraschung – auch Miras kleine Schwester Kohana stehen sah. Mira drehte sofort den Kopf in Faiths Richtung, biss sich auf die Unterlippe und wurde von Matt und Kohana in die Kantine gezogen. Faith ging an Mira vorbei, die Schultern berührten sich kurz, doch es folgte kein Blick, keine Reaktion. Nichts. Einfach nur Schwerelosigkeit. Kapitel 60: Ein ungeplantes Wiedersehen --------------------------------------- Es war kein sonniger Tag, aber wenigstens regnete es nicht. Dicke, graue Wolken hingen wie Zuckerwatte am Himmel und zogen ihre Runden über Moorbach. Alles in allem war es aber ein Tag, mit dem man durchaus viel anfangen konnte. Faith gähnte, als sie aufwachte und einen Blick nach draußen warf. Sie hatte gestern den ganzen Tag mit Training verbracht und sich auf den Arenakampf vorbereitet, den sie übermorgen bestreiten wollte, wenn alles nach Plan lief. Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, schnappte sie sich ihre Sachen, zog die Zimmertür hinter sich zu und schlenderte in die Kantine des Pokémoncenters, um sich ein ausgiebiges Frühstück zu gönnen. Trixi würde heute nicht hier sein, das wusste Faith, weil Trixi es ihr im Kinosaal erzählt hatte. Da morgen der Wettbewerb von Moorbach stattfand, bereitete Trixi sich darauf vor, indem sie einen Beautytag einlegte. Dafür stand die Gute dann auch schon um sechs Uhr morgens auf, jetzt war es kurz nach acht. Faith schnappte sich gerade ein Tablett und füllte ihr Glas mit frischem Orangensaft, als sie die Stimmen von Kohana, Matt und Mira näherkommen hörte. Vielleicht würde das ja doch kein so ausgedehntes Frühstück werden… Als die drei den Speisesaal betraten, entstand sofort eine unangenehme Spannung im Raum. Faith hörte sie tuscheln, machte sich aber nichts daraus und lud sich schnell noch ein wenig Käse, Wurst, Butter und zwei Brötchen auf ihren Teller, ehe sie sich einen Tisch in der Ecke suchte und sich dort niederließ. Mira sah gut aus, wenn auch etwas erschöpft und aufgeregt. Sie musste kürzlich beim Frisör gewesen sein, denn ihre Haare waren gut zehn Zentimeter kürzer und neu durch gestuft. Außerdem trug sie ein etwas dickeres Wollkleid, das Faith noch nie an ihr gesehen hatte, es musste ebenfalls neu sein. Es war ein kurzer Moment, der wie eine Ewigkeit im Raum hing, bis Mira sich ein Lächeln abrang und Faith anschaute. „Guten Morgen, Faith.“ Faith harrte einen Moment aus, dann ließ sie das Messer auf ihren Teller sinken und blickte Mira ebenfalls an. „Ja, Guten Morgen.“ Wieder diese bedrückende Stille, dazu noch die bohrenden Blicke von Matt und Kohana. „Und… wie geht’s so?“ „Gut… und dir?“ „Auch.“ Stille zum Dritten. „Na ja, man sieht sich.“ „Ja. Viel Glück morgen.“ Faith blickte noch so lange zu ihr, bis Mira sich mit ihrer kleinen Schwester und Matt einen Tisch am anderen Ende des Raumes gesucht hatte, dann schmierte Faith ihre Brötchen fertig, trank das Glas in einem Zug leer, brachte das Geschirr weg und nahm ihr Frühstück mit nach draußen. Ein kalter Wind blies ihr um die Nase, aber sie mochte es und zog ihren Anorak zu. Während sie so durch die Straßen schlenderte, biss sie immer wieder von ihren Brötchen ab, bis sie schließlich beide aufgegessen hatte. Ihr Weg hatte sie zur Wettbewerbshalle geführt, die auf dem Dach eines teuren Hotels gebaut war. Die ganze Halle bestand aus einem großen, ovalen Glaskäfig. Wie auch immer der Wettbewerb morgen ausgehen würde, Mira und Trixi hatten es beide nicht einfach und würden ihr Bestes geben müssen, wobei Trixi noch etwas von einer Geheimwaffe erwähnt hatte, Faith aber nichts Genaueres erzählen wollte. So gut schienen sie dann doch nicht miteinander befreundet zu sein. Leise Schritte, dann ein blonder Haarschopf im Augenwinkel. Faith schnellte augenblicklich herum, ihr Herz machte einen kurzen Aussetzer, noch bevor ihr Verstand erkannte, wen sie da gerade über die Straße laufen sah. „Itsuki!“ Der Gerufene zuckte kurz zusammen, blinzelte und zog überrascht die Augenbrauen hoch, als er Faith auf der anderen Straßenseite stehen sah. Schweigend blickte er sie an, Faith starrte zurück und wusste nicht einmal, warum ihr sein Name so rausgerutscht war. Klar, sie wusste, dass er in der Stadt war, aber ihn jetzt so unvermittelt zu treffen, brachte sie aus dem Konzept. „Itsuki“, sprach sie wieder, dieses Mal etwas leiser. „Hallo, Faith.“ Seine Stimme klang ruhig, kühl, als hätte er fast damit gerechnet ihr zu begegnen. Sie schluckte schwer und wagte es nicht auf ihn zuzugehen, aus Angst, dass sie ihn anschreien, umarmen oder schlagen würde. Irgendetwas, was momentan fehl am Platz wirken würde. Aber konnte sie in der jetzigen Situation überhaupt richtig handeln? Diese Frage war schwer zu beantworten. „Du hast dich gut erholt, wie ich sehe.“ Schwach nickte sie. „Hast du schon in der Arena gekämpft?“ Faith verneinte mit einem Kopfschütteln und plötzlich kamen ihr die Tränen. Sie schluchzte auf, hielt sich eine Hand vor den Mund, kniff die Augen kurz zusammen und rannte dann los, direkt auf ihn zu und schlang die Arme um seine Mitte. „Du bist so ein verdammter Idiot! Du bist einfach ohne ein Wort abgehauen!“ Mit den Fäusten trommelte sie gegen seine Schultern, aber ihre Schläge wurden schnell schwächer und verloren an Verzweiflung. Itsuki stand einfach nur da und ließ zu, dass Faith ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte, auch wenn er das nicht so einfach konnte. Nach einer knappen Minute räusperte er sich und drehte sich aus ihrer Umarmung. „Ich hatte einige Dinge zu erledigen.“ Sie nickte und alle Fragen, die sie ihm voller Wut gegen den Kopf hatte schmeißen wollen, waren wie weggeweht. Es gab sie einfach nicht mehr oder sie hatten ihre Bedeutung verloren. „Ich bin so froh, dass ich dich wiedersehe. Es ist so viel passiert in der letzten Zeit und ich… ich bin einfach nur froh dich zu sehen und zu wissen, dass es dir gut geht.“ Seine harten Gesichtszüge wurden etwas milder und er seufzte. „Faith, was stellst du denn an, wenn ich nur mal ein paar Wochen nicht bei dir bin und dein Temperament ein wenig abbremse?“ „Ich weiß auch nicht.“ Das Gefühl der Glückseligkeit, das sie überkam, weil sie Itsuki endlich wiedersah, ließ sie leise lachen. „Aber Mira und ich reden momentan nicht wirklich miteinander. Wir hatten da einen Streit und ich-“ „Shh…“ Itsuki unterbrach sie, indem er seinen Zeigefinger auf ihren Mund legte. „Du musst mir nichts erklären. Ich weiß, dass du das wieder hinkriegen wirst. Du bist niemand, der aufgibt.“ So schnell er seinen Finger auf ihre Lippen gelegt hatte, so schnell zog er seine Hand auch wieder zurück und steckte sie in seine Jackentasche. Faith spürte, dass ihr Herz schneller in ihrer Brust schlug und ihre Wangen warm wurden. In diesem Moment wusste sie, dass sie ihm nur eine einzige Sache sagen wollte, seit sich ihre Wege getrennt hatten. „Bitte komm zurück und lass uns wieder zusammen reisen.“ „Ich kann nicht, Faith. Es geht nicht, so sehr ich das auch möchte.“ Ein gequälter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht und er wich mit gesenktem Blick einen Schritt zurück. „Wieso nicht?“ „Es haben sich ein paar Dinge geändert, ich kann auch nicht länger hier bleiben. Du bist ein kluges, tapferes Mädchen, aber ich kann nicht.“ „Itsuki, jetzt warte doch!“ Sie wollte nicht, dass er sich einfach umdrehte und fortging, so wie er es beim letzten Mal getan hatte. Sie wollte nicht, dass er ging. Faith griff nach seiner Hand, drückte sie und zwang ihn dazu ihr in die Augen zu sehen. Mit klopfendem Herzen stand sie vor ihm. „Ich will, dass du bei mir bleibst.“ Itsuki zögerte und in seinen eisblauen Augen schien ein Sturm zu toben. „Verzeih mir.“ Er riss sich los und ging fort, ließ sie alleine zurück. Faith folgte ihm nicht, sie ließ ihn gehen, da sie wusste, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Ihre Tränen konnte sie auch nicht aufhalten. Wie sehr wünschte sie sich, dass Itsuki seine kalte Schale für sie öffnen würde. Kapitel 61: Trixi startet durch ------------------------------- Sie sah atemberaubend schön aus. Niemand in der ganzen Halle hätte etwas Gegenteiliges behauptet, absolut niemand. Trixis braune Haare waren geglättet, hingen fast schon natürlich an ihrem Kopf herab und wurden von zwei goldenen Spangen aus ihrem Gesicht gehalten. Das altrosa Kleid, das sie trug, war mit winzigen Swarovskikristallen besetzt und funkelte in dem Licht, das sie anstrahlte. Sie schien nur für die Bühne geboren zu sein. „Das war Trixi Light, sehr verehrtes Publikum!“ Noch immer hielt der tosende Applaus an und der feine Eisnebel hing teilweise scheinbar schwerelos im Raum. Trixis ehrliches Lächeln wich dem gekünstelten, das sie ihrem Publikum perfekt zu präsentieren pflegte. Auch Kussilla an ihrer Seite stand mit vor Stolz geschwollener Brust neben seiner Trainerin und folgte ihr mit hoch erhobenem Kopf aus der Mitte der Wettbewerbshalle von Moorbach. Faith hatte während Trixis Show den Atem angehalten. Sie wusste natürlich, dass Trixi ein Ass im Ärmel gehabt hatte, aber sie hatte nicht gewusst, dass Miras Rivalin längst ein drittes Pokémon besaß, das noch dazu mit der Kombination der Attacken Pulverschnee und Konfusion das Publikum sofort auf seine Seite ziehen konnte. „Sie ist gut, nicht wahr?“ Grinsend stieß Joel Faith in die Seite und nahm einen Zug Cola durch den Strohhalm. Die Flasche war schon fast leer und gab ein gurgelndes Geräusch von sich, als er Luft einsog. „Liegt wohl in der Familie.“ Faith verzog den Mund und streckte ihm die Zunge raus. „Bilde dir nichts darauf ein, die Arroganz vergeht dir schon noch.“ „Sollte das eine Drohung sein? Wenn ja, dann tut es mir leid, aber auf dein Niveau lasse ich mich nicht herab.“ Nun war sie diejenige, die einen Stoß mit dem Ellbogen zur Seite verteilte und sich lieber wieder der Bühne widmete, auf der nun ein Junge stand, der einen mehr als nervösen Eindruck machte. Faith wusste, dass dies der letzte Teilnehmer war und die bisherigen Choreographien waren alle gut gewesen. Dennoch räumte sie, wenn sie ehrlich war, Trixi bessere Siegeschancen als Mira ein. Eine Viertelstunde später standen die acht Koordinatoren fest, die in der zweiten Runde waren, unter ihnen auch Trixi und Mira, die auch direkt im ersten Kampf gegeneinander antreten würden. Faith wusste nicht, ob sie zu ihrer aktuellen Gefährtin oder ihrer alten besten Freundin halten sollte und rutschte daher die ganze Zeit ungeduldig auf ihrem Stuhl vor und zurück. „Mira und Trixi sind beide gut“, wiederholte sie immer wieder, bis sie Joel so sehr damit nervte, dass dieser aufstöhnte und seine leere Colaflasche unsanft auf den Boden stellte. „Trixi ist meine Schwester, was erwartest du von mir, wen ich anfeuern werde?“ „Ich sage doch nur, dass beide gut sind. Miras Sheinux ist stark, über die Kampfstärke von Kussilla kann ich nichts sagen.“ „Ich habe mit Trixi trainiert, was glaubst du denn?“ Schnippisch drehte Joel seinen Kopf weg und betrachtete eingehend die beiden Mädchen, die soeben auf die Bühne gingen, wobei Trixi eindeutig selbstsicherer wirkte. Trixi entließ Kussilla aus einem Pokéball und das Babypokémon stellte sich sofort mit ausgestreckten Ärmchen kampfbereit auf. Mira wirkte verunsichert, schickte Sheinux in den Kampf und nestelte an dem Saum ihres Oberteils herum, wie man es schon von ihr kannte, wenn sie nervös war. Die Kommentatorin heizte das Publikum für den Kampf an, dann konnte der Kampf beginnen. Mira atmete tief durch. „Sheinux, Funkensprung!“ „Kussilla, Bitterkuss!“ Die Funken flogen durch die Luft und erwischten Kussilla, das direkten Kurs auf Sheinux nahm, im Sprung. Kussilla quietschte, als es getroffen wurde, landete jedoch vor Sheinux und verpasste ihm einen anmutig wirkenden Bitterkuss, der das Publikum zu einem „Oh“ und „Ah“ verleitete. Trixis Mundwinkel zuckten nach oben, sie war in ihrem Element, den statusverändernden Attacken. Faith hatte noch keine Trainerin getroffen, die sich so gut damit auskannte und diese Attacken so gerne benutzte. „Sheinux, bitte konzentrier dich, auch wenn du verwirrt bist! Los, Biss!“ „Kussilla, Pulverschnee! Mach kurzen Prozess mit diesem Elektro-Viech.“ Erneut rannten die beiden Pokémon aufeinander zu und lieferten sich einen Schlagabtausch. Der glitzernde Pulverschnee von Kussilla sah eindeutig schöner aus und traf Sheinux frontal, welches im Gegenzug einen Volltreffer bei Kussilla landen konnte. Doch dann begann Sheinux durch die Verwirrung zu taumeln. Trixi nutzte den Moment und gab Kussilla die Anweisung zu Konfusion. Wie schon bei ihrer Show wurde durch die Kombination von Pulverschnee und Konfusion der feine Eisstaub durch die Luft gewirbelt und erzeugte ein Funkeln und Glitzern, während Sheinux durch die Luft geschleudert wurde. Als es auf dem Boden aufprallte, war es bereits beinahe am Ende seiner Kräfte. Mit einem hämischen Lächeln nickte Trixi ihrem Pokémon und dann Mira zu. „Extra für dich, Mireillia, ein Horrorblick.“ Nachdem Kussilla, das die ganze Zeit über ein engelsgleiches Lächeln auf den Lippen hatte, die Attacke benutzt hatte, seufzte Trixi zufrieden. „Und nun das große Finale mit einer Pfund-Attacke.“ Als Mira ihr besiegtes Pokémon in den Ball zog und der Applaus des Publikums für Trixi von allen Seiten auf sie einbrach, hatte sie einen dicken Kloß im Hals. Sie fühlte sich mies und das nicht nur, weil sie verloren hatte. Sie hatte sich gnadenlos von Trixi vorführen lassen, die ihr mit dem Horrorblick mehr als deutlich gezeigt hatte, dass diese Niederlage etwas Persönliches sein sollte. Trixi winkte ihren Fans und den Zuschauern zu, lächelte und verließ die Bühne. Zwei Kämpfe später hielt sie das Band von Moorbach in den Händen, winkte erneut und strahlte überglücklich in die Kameras. Es war Abend und Faith saß gemeinsam mit Trixi und Joel im Aufenthaltsraum des Pokémoncenters. In der Mitte des Raums stand ein Billardtisch, eine Dartsscheibe hing an einer Wand, daneben befand sich ein Snackautomat. Die drei Jungtrainer saßen auf einem gemütlichen, roten Sofa, während Kohana und Matt sich ein erbittertes Duell im Billard lieferten. Mira hockte auf einem Stuhl neben dem Billardtisch und blickte gedankenverloren auf den Queueständer. Kohanas Freudenschrei riss alle aus ihren Gesprächen. „Ha, ich habe gewonnen! Ich sagte doch, dass ich ein Ass im Billard bin!“ Matt rümpfte die Nase und brachte die Queues weg. „Wie auch immer, es ist spät, ich werde jetzt schlafen gehen.“ „Ich auch, ich muss morgen früh raus, mein Bus kommt schon um halb acht. Kommst du auch, Mira?“ „Hm?“ Mira blickte auf, wirkte noch etwas verträumt und nickte schließlich träge. „Ja, ich bin gleich da. Lass mich nur noch die Darts zusammenräumen.“ Joel, der Matt und Kohana mit gemischten Gefühlen nachgesehen hatte, erhob sich ebenfalls. „Ich denke, wir sollten hier auch einen Cut machen und ins Bett huschen. Wir sehen uns dann morgen beim Frühstück, gute Nacht.“ „Gute Nacht.“ Faith lächelte ihn an. Sie hatten gerade eine erbitterte Diskussion darüber geführt, wer von ihnen in der Top Vier die besseren Chancen hätte. „Dir auch eine gute Nacht, Trixi. Bis morgen dann.“ Zügig warf Faith ihren Müll in den Mülleimer, verabschiedete sich auch von Trixi und verließ den Raum. Mira schaute Faith kurz hinterher, dann seufzte sie und sammelte die auf dem Boden verstreut liegenden Darts ein. Vor dem Billardspiel hatte sie mit Matt gegen Kohana gespielt, aber ihre kleine Schwester war in solchen Spielhallen-Spielen einfach unschlagbar. „Ich hoffe, du bist nicht zu frustriert, weil ich das Band gewonnen habe.“ Mira schluckte, als sie Trixis Stimme direkt hinter sich hörte, wich jedoch nicht von ihrer Tätigkeit ab und warf die letzten Pfeile in einen Beutel. „Nein, du warst heute einfach die Bessere.“ „Die Beste“, verbesserte Trixi sie und es lag eine bedrohliche Schärfe in ihrem Blick, als sie zur Tür ging, Kussilla folgte ihr und blieb auf halbem Weg stehen. Mit dem Beutel in der Hand betrachtete Mira Trixis Pokémon, beugte sich zu dem süßen Psycho- und Eispokémon herunter. „Dein Kussilla ist wirklich stark gewesen.“ Vorsichtig streckte sie die freie Hand aus und tätschelte Kussillas Kopf, als dieses blitzschnell die Augen zu bösartigen Schlitzen verzog und den Beutel mit den Darts mittels Konfusion quer durch den Raum schleuderte und Miras Hand mit einer Pfeilspitze nur knapp verfehlte. Erschrocken schrie Mira auf, sprang einen Schritt zurück und hielt sich die Brust, als ihr Herz geschockt zu rasen anfing. Trixis Miene war wie aus Stahl gehauen, als sie Mira betrachtete. „Leg dich nicht mit mir an, Mireillia Dawnington. Verlieren ist für mich keine Option.“ Als Trixi und Kussilla die verschüchterte Mira zurückließen, sank diese zu Boden und schluchzte lautlos. Was sollte sie nur tun? Kapitel 62: Selbstbewusstsein ----------------------------- „Und dass du mir ja nicht aufgibst, Schwesterherz!“ Kohana schlang zum Abschied die Arme um ihre große Schwester, drückte sie und zog anschließend ihr Granbull in den Pokéball. „So, ich muss dann jetzt auch, sonst fährt der Bus ohne mich ab. Es war schön mit euch.“ „Wir sehen uns bestimmt bald wieder, Kohana.“ Lächelnd herzte Mira die Jüngere, gab sie dann frei und trug ihr den Rucksack bis zur geöffneten Bustür. „Halt mich auf dem Laufenden, ja? Ich möchte wissen, welche Fortschritte du in deinem Training machst.“ „Sicher, ich will doch die beste Normalpokémontrainerin der Welt werden“, erwiderte Kohana augenzwinkernd, nickte dann Matt zu und suchte sich einen Platz am Fenster, von dem aus sie den beiden zuwinken konnte. Als der Bus den Motor startete und die Straße herunterrollte, winkte Mira, bis der Bus um eine Kurve bog und Kohana aus ihrer Sicht verschwand. Seufzend drehte sie sich zu Matt um. „Du musst auch bald wieder los. Wie viele Tage bleibst du denn?“ Er überlegte. Letzten Abend hatte er den beiden Dawnington-Schwestern mitgeteilt, dass er einen Anruf von einem Bekannten erhalten hatte. Wenn seine Informationen stimmten, dann hielt sich Damian Draco zurzeit in der Nähe von Bad Puvicia auf, was in der entgegengesetzten Richtung von Miras weiterer Reiseroute lag. So sehr er auch in Mira verliebt war, brannte der Zorn, den er Damian gegenüber verspürte, einfach tiefer in seiner Brust. Gedankenverloren griff er nach einer von Miras Haarsträhnen und zwirbelte sie zwischen den Fingern umher. „Wenn du möchtest, dass ich bleibe, werde ich das tun.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das würde ich nie von dir verlangen. Es stimmt zwar, dass ich nicht gerne alleine reise, aber es ist wichtig, dass du jetzt nach Bad Puvicia gehst. Irgendjemand muss Damian verfolgen und aufhalten, sonst wird er in seinem Größenwahn nie gestoppt werden. Latias und Latios werden ihm nicht ewig entkommen können.“ „Du bist so ein kluges Mädchen.“ Grinsend wuschelte er durch ihre Haare, fing dabei einen nicht gerade begeisterten Blick von Mira und ließ es daher sein. „Wir haben nie darüber gesprochen, aber was Faith in dem Restaurant gesagt hatte, dass ich in dich verliebt bin…“ Augenblicklich bekam Mira rote Wangen, entzog sich seiner Nähe und räusperte sich. „Das ist doch jetzt nicht wichtig. Vergessen wir das einfach.“ „Weil es das alles einfacher machen würde?“ „Matt, bitte…“ „Ich liebe dich Mira. Ich weiß, dass du das nicht hören willst, weil du Gefühle für diesen emotionslosen, arroganten Einfaltspinsel hast, deshalb werde ich dir nicht zu nahe kommen. Aber ich möchte, dass du darüber nachdenkst. Du kannst immer zu mir kommen, ich werde auf dich warten.“ „Bitte, ich will das wirklich nicht hören!“, sprach sie fast schon verzweifelt, raufte sich durch die Haare und begann zurück zum Pokémoncenter zu gehen. „Pack ruhig deine Sachen und geh.“ „Willst du mich jetzt loswerden?“ Er hielt problemlos mit ihr Schritt. „Nein! Also ja, nein… Matt!“ Wütend blieb Mira stehen, packte ihn am Kragen und funkelte ihn sauer an. „Ich brauche keinen Babysitter mehr und fühle mich durch deine Gefühle geschmeichelt, aber das mit uns kann nichts werden. Versteh doch bitte, dass du mir als guter Freund wichtig bist und nicht als fester Freund.“ Erstaunt wich er zurück. Er fühlte sich etwas auf den Schlips getreten und sein Ego war angekratzt, aber Matt wusste, dass er jetzt keine Chance bei seiner kleinen Mira hatte. Jetzt nicht. Noch nicht. Sie würde eines Tages einsehen, dass Itsuki nicht gut genug für sie war und dann würde sie zu ihm kommen. Er würde warten und sie weiterhin beschützen. „Gut.“ „Ja?“ „Ja. Ich packe meine Sachen, erkundige mich nachher nach einem Zug nach Nautica und nehme von dort dann den Bus.“ Erleichtert ließ Mira ihn los, nickte und fühlte sich tatsächlich besser, weil sie den Mut gehabt hatte das auszusprechen, was sie fühlte. „Dann wünsche ich dir auf jeden Fall viel Erfolg und viel Glück.“ Gemeinsam gingen sie zurück zum Pokémoncenter, wenn auch schweigend und ohne sich ein weiteres Mal anzuschauen. Miras Hochgefühl verebbte, als sie sah, dass Matt wirklich nur eine Stunde später mit seiner gepackten Tasche und Heather, seinem Kramurx, auf der Schulter im Foyer des Pokémoncenters stand und die Zugpläne studierte. Das flaue Gefühl in ihrem Magen nahm zu, als ihr bewusst wurde, dass Kohana und Matt weg sein würden, wenn der Tag zu Ende war. Umso mehr sehnte sie sich nach ihrer alten Reisegemeinschaft mit Itsuki und Faith. „Du gehst jetzt?“ Matt nickte und klappte den Plan zusammen. „In einer halben Stunde fährt ein Zug, wenn ich den nehme, bekomme ich in Nautica City problemlos den Anschlussbus. Heute Abend kann ich in Bad Puvicia sein.“ „Hast du auch genug Snacks dabei?“ Grinsend klopfte er gegen seinen Rucksack. „Vier Sandwiches, eine große Bento-Box und eine Schale mit Salat, ich werde also nicht verhungern.“ Nachdem er das gesagt hatte, trat etwas Trauer auf sein Gesicht. „Ich muss dann jetzt los, Prinzessin.“ Mira stand ihm schweigend gegenüber, zögerte kurz und umarmte ihn dann doch. „Ich drücke dir die Daumen, dass du ihn finden und aufhalten kannst, egal wie lange es dauern wird.“ „Danke.“ Lächelnd löste Matt sich aus Miras Umarmung, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel. „Versprich mir, dass du keine Dummheiten anstellst und nicht alleine reist. Ich fühle mich besser, wenn ich weiß, dass du dich wieder mit Faith verträgst.“ Sie nickte, wünschte ihm eine gute Fahrt und lehnte sich gegen die Wand, bis er gegangen war. Mit geschlossenen Augen stand sie da und dachte über seine Worte nach. Auch sie wollte sich nur zu gerne mit Faith vertragen. Dieser ganze Streit zwischen ihnen basierte doch eigentlich nur darauf, dass sie sich nie traute ihre Meinung zu sagen. Damit musste jetzt Schluss sein, Mira wollte endlich selbst ihr Leben in die Hand nehmen. Sie stieß sich von der Wand ab, ging auf direktem Weg zu Faiths Zimmer und klopfte an. „Ja? Trixi, wenn du es bist, ich bin gleich fertig.“ Schritte, Rumpeln, dann öffnete Faith die Tür und blickte erstaunt zu Mira. „Hey, Faith.“ „Hey.“ „Hast du heute schon etwas vor?“ Faith sah etwas verwirrt und überrumpelt aus, jedoch nicht feindselig gestimmt, eher einfach nur überrascht. „Ja, ich kämpfe nachher in der Arena. Wieso fragst du?“ Mira atmete tief durch, sah in den Augenwinkeln, dass Trixi über den Gang geschlendert kam und ignorierte ihren prüfenden Blick. „Ich möchte, dass wir wieder Freundinnen sind. Der ganze Streit ist einfach nur dumm. Es tut mir leid, ich habe mich falsch verhalten, aber damit ist jetzt Schluss. Faith, ich möchte, dass wir den Streit vergessen, wieder wie früher miteinander umgehen und zusammen reisen. Matt ist abgereist.“ Einen kleinen Moment stand Faith einfach nur da, ließ die Worte auf sich wirken, dann lächelte sie, schlang die Arme um Mira und drückte sie. „Ich habe dich so vermisst.“ „Ich dich auch, Faith.“ Vor Freude taumelte Mira ein wenig, als sie ihre Freundin losließ und sie anstrahlte. „Also ist der Streit vergessen?“ „Total vergessen.“ Trixis Mundwinkel zuckten minimal, dann stolzierte sie mit hoch erhobenem Haupt an den beiden vorbei. „Wie ich sehe, ist meine Anwesenheit hier soeben überflüssig geworden. Faith, schönen Tag noch.“ Mira riss sich zusammen und drehte den Kopf in Trixis Richtung. „Deine Warnung gestern Abend kannst du dir übrigens sparen. Ich werde weiterhin die Bänder sammeln und gegen dich antreten, bis ich dich besiege. Du bist nicht besser als ich, Trixi.“ Sie verharrte in der Bewegung, zeigte Mira jedoch weiterhin den Rücken. „Wirklich?“ „Ich bin besser, als du denkst. In Zukunft werde ich nicht mehr so verschüchtert sein, sondern für den Sieg kämpfen.“ „Und ich dachte schon, dass du nie begreifst, dass aufgeben und sich einschüchtern lassen keine Lösung ist. Selbstbewusstsein steht dir viel besser, Mireillia.“ Hätten Faith und Mira in diesem Moment Trixis Gesicht gesehen, dann wüssten sie, dass Trixi Light ehrlich lächelte. Kapitel 63: Ein starker Gegner ------------------------------ Es hatte zu regnen begonnen, kurz nachdem Mira und Faith gemeinsam zum Frühstücken in die Kantine des Pokémoncenters gegangen waren. Dass es bald Oktober sein würde, merkte man schon deutlich daran, dass es allgemein kühler, dunkler und regnerischer geworden war. Auch jetzt, als die beiden Mädchen vor der Arena von Moorbach standen, schüttete es wie aus Eimern. Mira klammerte sich an ihrem Regenschirm fest. „Lass uns schnell ins Trockene gehen.“ Faith konnte diesem Wunsch nicht widersprechen, klopfte und drückte die Tür der Arena auf. „Hallo? Jemand da?“ „Brüll hier nicht so rum, ich bin nicht taub.“ Der stechende Blick eines hellblauen Augenpaares kam von einem Schreibtisch aus, dann erhob sich Jacob, der Arenaleiter von Moorbach, mit einem missbilligenden Schnauben. „Und macht die Tür hinter euch zu, sonst regnet es rein.“ Mira warf Faith einen fragenden Blick zu, schloss jedoch sofort wie gewünscht die Eingangstür, zog den Regenschirm zusammen und lehnte ihn gegen die Wand. Jacob beobachtete sie, verschränkte die Arme vor dem Körper und nickte Faith zu. „Bist du hier, um gegen mich um den Torforden zu kämpfen?“ „Ja, genau.“ „Du machst nicht gerade den Eindruck, dass du gegen mich gewinnen könntest“, höhnte Jacob, fuhr sich durch die grünen Haare und winkte Faith zu sich heran. „Aber da es meine verkommene Pflicht ist, werde ich deine aussichtslose Herausforderung annehmen.“ Kurz schielte er zu Mira. „Und deine Freundin muss dich anfeuern kommen, nein wie niedlich. Los, kommt mit, zur Arena geht es hier entlang.“ Die beiden Mädchen folgten schweigend dem Arenaleiter in einen großen Raum, der Ähnlichkeit mit einer Sporthalle hatte. Es gab an den Seiten ein paar Holzbänke, auf einer von ihnen ließ sich Mira nun nieder und drückte Faith ganz fest die Daumen. „Du schaffst das!“ Faith lächelte, legte ihre Jacke ab und trat auf das Kampffeld. Wie schon bei den Arenakämpfen zuvor begann ihr Herz schneller zu schlagen und das Adrenalin wurde durch ihre Adern gepumpt. „Ich bin bereit.“ Jacob nickte. „Wer zuerst alle drei Pokémon des Gegners besiegt hat, gewinnt. Ich beginne mit Bisaknosp.“ Er entließ das stolze Pflanzenpokémon, das sich einmal schüttelte und dann mit festem Blick in die Mitte des Feldes trottete. Sie nickte ebenfalls und holte Tauboga aus seinem Pokéball. Faith glaubte fest daran, dass Tauboga das schaffen konnte, denn es hatte den Typenvorteil, war flink und clever. Als Jacob sah, dass sie bereit war, räusperte er sich und begann den Kampf. „Bisaknosp, Giftpuder!“ „Tauboga, Windstoß! Lass das Puder nicht an dich herankommen!“ „Tau!“, gurrte das Flugpokémon, flog einen eleganten Bogen und erzeugte einen Windstoß, der Bisaknosps Puder gegen den Boden drückte. Das Pflanzenpokémon mit der Blüte auf dem Rücken biss die Zähne zusammen und ließ auf Befehl seines Trainers zwei Ranken hervorschnellen, sodass es Tauboga einen kräftigen Rankenhieb verpassen konnte. Doch anstatt die Ranken wieder zurückzuziehen, umfasste Bisaknosp damit beide Fußknöchel von Tauboga und zog es näher an sich heran. „Wieso…?“, fragte Faith sich laut. Sollte Bisaknosp ihr Tauboga nicht lieber auf Abstand halten? „Los, Ruckzuckhieb!“ Tauboga schnellte nach unten, doch durch einen kräftigen Ruck wurde es mitten im Flug nach hinten gerissen und auf den Boden geschleudert. Wie bei einer Kampfsportart hatte Bisaknosp die Kraft des Angreifers einfach in einen Gegenangriff umgewandelt. „Sehr gut gemacht, Bisaknosp“, lobte Jacob sein Pokémon und grinste. „Und jetzt Rasierblatt!“ Faith konnte nur zusehen, wie Tauboga sich gerade aufrappelte und dann auch schon wieder von den scharfkantigen Blättern erneut niedergestreckt wurde. Doch zu ihrem Glück war Tauboga ein Kämpfer, sprang auf die Beine und erhob sich wieder in die Luft, um einen Windstoß einzusetzen. Bisaknosp war anfällig gegenüber dieser Attacke. Es kniff die Augen zusammen und taumelte kurz, verkraftete den Angriff aber. Anschließend begann die Knospe auf seinem Rücken zu leuchten und Sonnenenergie zu sammeln. „Oh nein, es will Solarstrahl einsetzen! Tauboga, schnell, setz eine Windhose ein!“ Die Drachenattacke ließ die Windhose direkt um Bisaknosp entstehen, doch durch den Wirbel hindurch schoss der leuchtende Strahl, der Tauboga erwischte und wie einen Stein zu Boden fallen ließ. Zerknirscht zog Faith ihr Pokémon zurück in den Pokéball. Kopfschmerzen kündigten sich an und es pochte in ihren Schläfen. Wieso musste Bisaknosp auch so stark sein? Als nächstes schickte Faith ihr Startpokémon Bibor in den Kampf. Es konnte vielleicht keine Flugattacke, aber es hatte einen starken Willen. Bisaknosp feuerte zweimal hintereinander Rasierblätter auf Bibor, als wäre Faiths Pokémon eine Zielscheibe in der Luft. Bibor ließ sich das natürlich nicht gefallen, setzte mit Duonadel zum Angriff an und wurde von einem Rankenhieb zu Boden gewischt. Auch ein zweiter Angriffsversuch mit Furienschlag scheiterte, weil Bisaknosp Bibor mit Rasierblatt auf Abstand halten konnte. „Bibor, bitte versuch Giftstachel!“ Mittlerweile war Faith schon richtig am Verzweifeln. Sie ballte immer wieder die Hände zu Fäusten und hatte Angst vor der Niederlage, die sie auf sich zukommen sah. Zwar konnte Bibor mit der Giftattacke einen Volltreffer landen, doch ein gezielter Tackle seitens Bisaknosp beendete auch diesen Zweikampf und Faith sah sich gezwungen das noch junge und kampfunerfahrene Glumanda in den Ring zu schicken. Glumanda schaute sich ängstlich um und zuckte zusammen, als Bisaknosp ein kampflustiges Knurren von sich gab. „Glu…“ „Glumanda, setz Glut ein!“ „Manda…“ Mit großen Augen tapste Glumanda auf Faith zu, um sich zwischen ihren Beinen vor dem Gegner zu verstecken. Bisaknosp war schneller. Es knallte Glumanda einen Rankenhieb um die Ohren, sodass die kleine Feuerechse auf den Boden fiel und vollkommen verschreckt zwischen seinem ersten richtigen Gegner und seiner Trainerin umherblickte. „Glu…“, schluchzte es. „Glumanda, steh auf und setz Glut ein!“ Faiths Worte klangen fast wie ein Befehl. Glumanda hingegen begann nur noch mehr vor Angst zu zittern, rollte sich zu einer Kugel zusammen und hielt sich mit den Krallen die Ohren zu. „Manda manda…“ In diesem Moment erkannte Faith, was für einen entsetzlich großen Fehler sie begangen hatte. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen und sie rannte sofort zu ihrem Feuerpokémon, damit sie sich an seine Seite knien konnte. „Jacob, es ist genug, du hast gewonnen.“ „Du gibst auf?“ „Ich werde nicht zulassen, dass Glumanda sich noch weiter ängstigt.“ Faith achtete gar nicht mehr auf die weiteren Worte des Arenaleiters, sondern nahm ihr Glumanda auf den Arm, um sich bei ihm zu entschuldigen und es zu trösten. Beruhigend tätschelte sie ihm den Rücken. Es war wohl noch ein weiter Weg, bis die Narben, die Team Dark ihnen allen zugefügt hatte, verheilt waren. Kapitel 64: 250 Kommentare Special: Faith und Joel -------------------------------------------------- Es war Heiligabend, der Schnee rieselte lautlos vom Himmel herunter und verwandelte Honey Island in ein wahres Wintermärchen. Wie jedes Jahr legten sich die Bewohner der einzigen Stadt der Insel, die den gleichen Namen wie die Stadt trug, mächtig ins Zeug. Viele Leute aus Litusiaville und Umgebung nahmen in der Weihnachtszeit die Fähre, um auf der Insel einzukaufen. Auch Faith stapfte hinter ihrer Mutter her, die unbedingt eine Freundin aus Schultagen besuchen wollte und nun auf dem Heimweg war. „Mom, mir tun die Füße weh…“ „Faith, Liebling, hör bitte auf zu jammern. Du hattest einen leckeren Crêpe mit Zimt und Zucker und du durftest eine Runde mit dem Ponitaschlitten fahren.“ „Meine Füße tun aber trotzdem weh…“ Ihre Mutter blieb stehen, schaute auf ihre Tochter herunter und schüttelte mit dem Kopf. „Schatz, alle anderen achtjährigen Mädchen wissen sich zu benehmen. Würdest du also bitte einfach mitkommen ohne so ein Theater zu machen?“ Faith verschränkte trotzig die Arme vor dem Körper. „Ich will nach Hause und Plätzchen essen, Mom.“ „Faith!“ Entrüstet schnappte ihre Mutter sich ihre Hand und zog sie hinter sich durch die Weihnachtshektik. „Ich möchte doch nur noch ein paar Kerzen für heute Abend kaufen, damit die Bescherung schön wird.“ „Aber wir haben doch genug Kerzen, Mom…“ „Oh, sieh nur, dort gibt es Handtaschen im Sonderverkauf!“ Faith ließ die Hand ihrer Mutter los, blieb stehen und sah dem knallroten Mantel ihrer Mutter hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Sie hatte viel lieber mit ihren Schulfreundinnen einen großen Schneemann bauen wollen, doch stattdessen musste sie den halben Nachmittag in Marthas Küche sitzen und dem langweiligen Gerede ihrer Mutter und deren Freundin lauschen. „Du stehst im Weg.“ Faith drehte sich um und sah in das Gesicht eines braunhaarigen Jungen, der einen kleinen Schlitten hinter sich herzog. Er wirkte genervt, fuhr sich durch die Haare und rümpfte die Nase. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Du stehst im Weg, ich möchte vorbei.“ „Dann geh doch vorbei.“ Trotzig blieb Faith genau da stehen, wo sie stand. Sie rührte sich keinen Millimeter und blickte den Jungen herausfordernd an. Er starrte sie an, reckte das Kinn in die Höhe und ging an ihr vorbei. „Mit solchen Leuten wie dir muss ich mich nicht abgeben. Wenn ich erst einmal Pokémonchampion bin, habe ich so etwas erst recht nicht mehr nötig.“ „Hey. Hey!“ Mit drei langen Schritten hatte Faith aufgeholt und lief neben dem Jungen her. „Ich möchte auch Pokémonchamp werden!“ „Dann wirst du wohl verlieren, weil ich, Joel Light, schon der zukünftige Pokémonchamp bin.“ Grinsend streckte er ihr die Zunge raus und wollte weitergehen, als Faith sich einfach auf die Kufen seines Schlittens stellte und ihn am Weiterziehen hinderte. „Geh runter!“ „Mir ist egal, wie du heißt, Joel. Ich bin Faith Loraire und ich werde Champ! Ich möchte ein Dratini als Startpokémon und dann werde ich alle Orden gewinnen und die beste Trainerin aller Zeiten werden.“ Er musterte sie verstohlen, dann wich die Arroganz aus seinem Gesicht und ein kindliches Lächeln trat an dessen Stelle. „Na schön, wir werden ja sehen, wer von uns später der bessere Trainer ist.“ Einen Moment schwieg Joel, dann setzte er sich auf seinen Schlitten. Faith nahm neben ihm Platz. „Und welches Startpokémon möchtest du haben?“ „Mir ist das egal“, erwiderte Joel. „Ein guter Trainer kann aus jedem Pokémon das Beste herausholen.“ „Ach komm schon, ich habe dir auch verraten, dass ich Dratini mag“, quengelte Faith und stupste Joel von der Seite an. „Sag schon.“ Er lachte leise. „Du bist ziemlich nervtötend, weißt du das? Also schön, ich finde Lucario eigentlich ganz cool, aber Snibunna ist auch toll.“ „Ich mag Lucario auch.“ Kleine Schneeflocken legten sich auf ihre rosa Bommelmütze. „Weißt du was, Joel?“ „Hm?“ „Ich finde dich total nett.“ Er fiel vor Überraschung fast von seinem Schlitten und starrte Faith ungläubig an, dann begann er lautstark zu lachen und hielt sich den Bauch. „Wow, du bist das erste Mädchen, das mich nicht als arrogant oder eingebildet bezeichnet. Ich dachte schon, dass alle Mädchen blöd sind, aber du bist eigentlich auch voll in Ordnung.“ Lächelnd hielt Faith ihre Handschuhe mit der Innenseite nach oben vor sich, damit sie den Schnee auffangen konnte. „Schade, dass du nicht bei mir in Litusiaville wohnst, sonst könnten wir uns mal treffen. Oder wir könnten gemeinsam unsere Pokémonreise antreten.“ „Bis dahin sind es aber noch ein paar Jahre, Faith“, tadelte er, konnte ein Grinsen aber nicht ganz unterdrücken. „Aber nach Litusiaville komme ich eigentlich nie.“ „Schade… Das bedeutet wohl, dass wir uns nicht nochmal wiedersehen werden, hm?“ Traurig stand sie auf, klopfte sich den Schnee von der Kleidung und hielt Ausschau nach ihrer Mutter, die noch immer bei den Handtaschen stand und die Preise studierte. Auch Joel stand wieder auf, folgte Faiths Blick und schaute dann in den Himmel hoch, bis ihm ein paar Schneeflocken in die Augen gefallen waren und er blinzelnd wieder den Kopf senkte. „Vielleicht treffen wir uns ja nochmal irgendwann.“ „Faith, Liebling? Ah, da bist du ja. Komm her, wir wollen wieder zurück, sonst kriegen wir die Fähre nicht mehr pünktlich.“ Ihre Mutter winkte ihr zu und deutete ungeduldig auf ihre Armbanduhr. „Ich muss jetzt nach Hause.“ „Ist gut. War schön dich kennen zu lernen.“ „Du klingt wie ein Erwachsener.“ Empört schnitt Faith eine Grimasse, umarmte dann ihre neue Bekanntschaft und lächelte. „Also, irgendwann reisen wir zusammen und sehen, wer von uns Champ wird, richtig?“ Abenteuerlust blitzte in seinen Kinderaugen auf, als er nickte. „Na gut, aber wein nicht, wenn ich der Bessere bin.“ Sie schüttelte den Kopf, ging ein paar Schritte, drehte sich wieder um und küsste Joel auf die Wange, woraufhin dieser erschrocken knallrot anlief. „Fröhliche Weihnachten, Joel!“ „Fröhliche Weihnachten.“ Faith rannte zurück zu ihrer Mutter, umarmte sie und nahm ihre Hand, während sie in einer Traube von Menschen verschwanden. In diesem Moment wünschte Faith sich vom Weihnachtsmann nur eine Sache: Sie wollte Champ werden. Und auch, wenn sie den Jungen mit dem Schlitten schon längst wieder vergessen hatte, brannte der Wunsch so stark in ihrem Herzen, dass sie sich sicher war, dass sie ihn niemals aufgeben würde. Kapitel 65: Langeweile ---------------------- Betrübt blickte Faith auf ihr Glumanda, das sich unter der weichen Flanelldecke eingerollt hatte, sodass nur der schmale Schwanz mit der Flamme an der Spitze noch herausguckte. „Möchtest du etwas trinken?“ „Manda“, kam es dumpf unter der Decke hervor und man konnte das Kopfschütteln des jungen Pokémon erahnen. Faith seufzte, warf Schwester Joy einen besorgten Blick zu und stand auf. „Ich glaube, Glumanda ist von mir enttäuscht und sauer auf mich. Ich hätte es nicht kämpfen lassen sollen, es ist noch zu klein und zu schwach für Arenakämpfe.“ Schwester Joy nickte mitfühlend, stellte die Heizmatte unter Glumanda etwas höher ein und tätschelte anschließend Faith den Rücken. „Es wird bald wieder in Ordnung sein. Glumanda hat sich sehr erschrocken und die Attacke von Bisaknosp hat ihre Spuren hinterlassen, aber heute Abend kannst du es wieder mit auf dein Zimmer nehmen.“ „Vielen Dank, Schwester Joy.“ „Oh, nein, nicht doch. Du musst mir nicht danken, ich mache meinen Beruf doch gerne. Mit ein bisschen Training wird Glumanda auch sicherlich stärker werden.“ Faith nickte, verabschiedete sich und streckte die Glieder, als sie wieder im Foyer des Pokémoncenters stand. Sie wusste nicht, was genau Team Dark mit Glumanda getan hatte, aber es war das Ergebnis eines Experiments. Team Dark hatte ein Glutexo mit einem Stolloss verpaart und die Gene von Entei hinzugefügt. Niemand konnte vorhersagen, wie sich Glumanda mit den starken Genen des Legendären entwickeln würde. Faith konnte auch nur erahnen, wie viele Experimente davor fehlgeschlagen waren. Sie hoffte, dass Glumanda mit den Genen leben konnte und diese niemals durchschlugen. Es musste immerhin einen Grund dafür geben, warum die legendären Pokémon sich nicht mit normalen Pokémon paaren konnten. „Du wirkst so abwesend.“ Sie zuckte zusammen, blickte auf und entdeckte Joel, der mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zu ihr kam. „Hey“, begrüßte sie ihn und seufzte. „Ich habe in der Arena gekämpft und verloren. Glumanda muss noch behandelt werden, heute Abend kann ich es wieder mitnehmen.“ Joel verstand und rümpfte die Nase. „Ich bin auch vorhin in der Arena gewesen.“ Faith wirkte zerknirscht und lugte ihn von unten her an. „Und jetzt bist du hier, um mit deinem Orden zu prahlen?“ Einen endlosen Moment lang herrschte Bewegungslosigkeit zwischen ihnen, dann grinste Joel und fuhr sich durch die Haare. „Nein, Jacobs Bisaknosp konnte zwei meiner Pokémon ausschalten. Ich habe gegen ihn verloren und muss noch härter trainieren.“ „Wow, der große Joel Light wird mit einer Niederlage gestraft, was kann sein makelloses Sieger-Karma nur so geschwärzt haben?“ „Bitte, Faith, Sarkasmus steht dir nicht.“ Sie streckte ihm die Zunge raus, wandte sich um und stapfte zum Snackautomaten, wo sie ein wenig Kleingeld einwarf und sich dann einen Müsliriegel mit Bananengeschmack zog. Als sie sich umdrehte, war Joel verschwunden und es tat ihr leid, dass sie ihn so angegiftet hatte. Sie wollte nicht gemein zu ihm sein, weil sie ihn doch eigentlich recht gern hatte. In ihrem Zimmer angekommen, warf Faith sich auf ihr Bett und überlegte, was sie mit dem restlichen Tag noch anfangen sollte. Joel vergrub sich in sein Training, aber direkt nach dem Arenakampf verspürte Faith keine Lust auf Training. Trixi hakte einen Beautytermin nach dem nächsten ab und war in der Stadt kaum aufzufinden. Und Mira? Seufzend setzte Faith sich wieder auf. Mira hatte nach dem Kampf in der Arena angefangen zu niesen und lag jetzt mit einer Erkältung im Bett. Plötzlich begann einer von Faiths Pokébällen zu wackeln und Folipurba befreite sich. „Foli“, schnurrte es und rieb seinen Kopf an Faiths Beinen. „Folipurba!“ „Hey, Folipurba. Hast du auch Langeweile?“ „Purba?“ Fragend legte das Pflanzenpokémon aus dem großen Wald den Kopf schief und schleckte sich über eine Pfote. Dann nickte es gähnend und rannte einmal im Kreis, als wollte es Faith dazu ermutigen etwas zu unternehmen. Die Trainerin ließ sich darauf ein. „Und wohin sollen wir gehen? Ach, was frage ich dich, du hast natürlich auch keine Ahnung. Lass uns einfach einen Spaziergang machen.“ Zügig zog sie ihre Regenjacke über und überlegte, ob sie den Regenschirm mitnehmen sollte. Aktuell regnete es nicht, daher entschied Faith sich dagegen und zog einfach so mit Folipurba an ihrer Seite los. Draußen schlenderten die beiden die Gassen entlang, bis Folipurbas Ohren zuckten und es einige Schritte nach vorne lief, wo ein Pichu mit einem Stück Torte in den Händen um die Ecke düste. Bei jedem Schritt machte es leise „Pi! Chu! Pi! Chu!“ „Purba?“ Das Pichu blieb stehen und schaute sich hektisch um, dann drückte es den Kuchenteller an sich und kleine Funken kamen aus seinen Wangen, wobei es die Ohren anlegte. „Foli!“ Folipurba schreckte zurück und setzte sich neben Faith auf den Boden. Faith hingegen musterte das Pichu interessiert. „Schon gut, wir möchten dir deinen Kuchen nicht wegnehmen. Du hast doch sicher eine Trainerin oder? Wo hast du sie gelassen?“ Pichu hingegen schien den beiden nicht zu trauen, wich vorsichtig einen Schritt nach hinten und begann hektisch den Kuchen in sich hineinzustopfen, als hätte es Angst, dass Folipurba und Faith ihm den Kuchen wegessen könnten. Machtlos und dennoch fasziniert schauten die beiden Spaziergänger zu, bis sie Schritte in der Gasse hörten und dann das erschöpfte Keuchen eines Menschen, der zu viel gerannt war. Faith schaute sich um und machte einem Mädchen in einem rosa Kleid Platz. „Pichu, da steckst du also. Renn doch nicht einfach weg, da komme ich kaum hinterher.“ „Chu!“ Sofort ließ Pichu den Teller fallen, hopste über das Kopfsteinpflaster und sprang auf die rechte Schulter von dem Mädchen, wo es einige der kinnlangen, rosa Korkenzieherlocken zur Seite drückte und es sich bequem machte. Erleichtert hob das Mädchen den Teller auf, schüttete einige Krümel auf den Boden und bemerkte erst jetzt, dass Folipurba und Faith sie die ganze Zeit angestarrt hatten wie ein Mysterium. Etwas verlegen tippelte sie auf der Stelle, dann beruhigte sie sich. „Eh, hallo.“ „Hey“, grüßte Faith das Mädchen. „Dein Pichu scheint ein ziemlicher Kuchen-Narr zu sein.“ „Ja, kann man so sagen“, murmelte das Mädchen und streckte Faith dann mit einem freundlichen Lächeln die Hand hin. „Dankeschön, dass du Pichu aufgehalten hast, sonst wäre ich ihm noch durch halb Moorbach hinterhergelaufen.“ „Oh, eigentlich habe ich nichts getan außer hier zu stehen. Ich glaube, Pichu hat den Kuchen vor Folipurba beschützen wollen und ihn deshalb an Ort und Stelle verdrückt.“ „Verstehe“, meinte das Mädchen daraufhin und atmete noch einmal tief durch. „Ich heiße Maria und meinen kleinen Freund Pichu kennst du ja schon. Kannst du mir vielleicht einen Gefallen tun, eh…?“ „Faith“, ergänzte Faith sofort grinsend und schüttelte Maria die Hand. „Um was geht es denn?“ „Das klingt jetzt bestimmt lächerlich, aber ich habe mich verlaufen. Ich bin heute erst in der Stadt angekommen und leider ist die Orientierung in so großen Städten keine Stärke von mir. Kannst du mir vielleicht den Weg zum Pokémoncenter erklären?“ Faith lachte und nickte. „Klar, da wollten Folipurba und ich auch wieder hin. Ich bin hier, um gegen den Arenaleiter zu kämpfen, aber bis ich ihn besiegen kann, wird es wohl noch etwas dauern.“ Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung und plauderten ein wenig über die nasse Jahreszeit. Schließlich fragte Faith Maria, was genau sie denn nach Moorbach geführt hatte. Maria verstummte und druckste ein wenig herum, dann seufzte sie und schaute in den wolkenverhangenen Himmel. „Das klingt jetzt bestimmt merkwürdig, aber ich bin auf der Suche nach Zapdos.“ „Zapdos? Das legendäre Vogelpokémon? Wieso denn das?“ Überrascht zog Faith die Augenbrauen hoch. „Das ist eine lange Geschichte“, entgegnete Maria verlegen und kraulte dabei ihr Pichu am Ohr. „Lass uns zum Pokémoncenter gehen und dann erzähle ich es dir in Ruhe.“ Kapitel 66: Zapdos in Gefahr? ----------------------------- Sie saßen alle gemeinsam bei einem guten Stück Kuchen im Aufenthaltsraum und unterhielten sich. Faith hatte schnell feststellen dürfen, dass Maria ausgezeichnet backen konnte, von daher konnte sie verstehen, wieso Pichu so auf das Kuchenstück gebrannt hatte, als es Maria entwischt war. Selbst Mira hatte sich angesichts von Faiths neuer Bekanntschaft aus dem Bett gequält, saß nun jedoch mehr als leblose Teilnehmerin der Runde eingemummelt in eine Wolldecke auf dem Sofa und krallte sich an einer Tasse mit Hustentee fest. „Und du bist also den ganzen weiten Weg von Kanto bis nach Finera gekommen?“ Faiths Augen glänzten vor Abenteuerlust, aber auch vor Respekt, denn so eine große Reise verlangte ihrer Meinung nach sehr viel Mut. Maria nickte verlegen und stocherte etwas in dem rosa Zuckerguss des Kuchens herum. „Ich bin ja nicht gelaufen, zumindest nicht die ganze Strecke…“ „Stell dich nicht unter den Scheffel, das ist schon eine weite Strecke. Matt, ein Bekannter von uns, kommt aus Hoenn, aber das ist ja gleich unsere Nachbarregion. Aber Kanto?“ Interessiert nahm Faith sich noch ein zweites Stück Kuchen und schaute Maria dann wieder an. „Wie ist es in deinem Heimatdorf so?“ „In Babesti-Village?“ Maria kicherte. „Es ist nur ein sehr kleines Dorf. Meine Familie hat dort eine Voltilamm-Farm und das ist irgendwie auch der Grund, warum ich jetzt in Finera bin.“ „Gibt es hier eine Ausstellung für Farmer oder so?“ „Nein“, erwiderte Maria erneut kichernd und strich Pichu dabei über den Kopf. Neben ihr lag ihr Voltilamm auf dem Boden und döste vor sich hin. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck jedoch wehmütiger. „Ich glaube, ich bin keine gute Schäferin. Ich habe Angst vor Gewittern, aber wir müssen die Voltilamm bei jedem Gewitter raus auf die Weide treiben, damit sich die Elektrizität der Luft positiv auf ihr Fellwachstum auswirkt.“ „Oh, ich verstehe.“ Faith konnte sich zwar nicht genau in Marias Situation einfühlen, aber sie glaubte zu wissen, wie sie sich fühlte. Es musste so ähnlich sein, wie Faith es gegenüber Team Dark erlebt hatte, das Gefühl, etwas tun zu müssen, aber dennoch durch die eigene Schwäche machtlos zu sein. „Eines Tages kam ein heftiges Gewitter auf und meine Eltern waren noch bei Bekannten von uns, die einige Dörfer weiter weg wohnen. Es lag also an mir, die Voltilamm-Herde auf die Weide zu treiben. Das war das schlimmste Erlebnis, das ich je hatte, vor Angst konnte ich meinen Schäferstab kaum halten. Kaum auf der Weide angekommen, ist ein Blitz neben mir in einen Baum eingeschlagen. Das war zu viel für mich, in meinem Kopf ist eine Sicherung durchgebrannt und ich bin einfach nur noch gelaufen, so schnell wie ich es nur konnte. Ich konnte mich vor Schock kaum noch richtig orientieren und bin dann über eine große Baumwurzel gestolpert und in einen Straßengraben gefallen. Dabei habe ich das Bewusstsein verloren. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett und mein Knöchel war verstaucht. Meine Eltern haben mir dann erzählt, dass sie auf der Heimfahrt bereits aus weiter Ferne ungewöhnliche Blitze im Gewitter gesehen haben, denn sie gingen von der Erde zum Himmel und nicht andersrum. Als sie nachsehen gingen, stand Zapdos einfach so am Straßenrand, hatte seinen Flügel über mich ausgebreitet und mich vor dem Regen geschützt. Es war Zapdos zu verdanken, dass meine Eltern mich überhaupt gefunden haben und ich mir keine Lungenentzündung oder dergleichen geholt habe. Deshalb bin ich hier, ich möchte Zapdos finden und mich dafür bedanken.“ Es herrschte betretene Stille, bis Mira laut niesen musste, aufstand und sich entschuldigend in ihr Zimmer zurückzog. Lächelnd legte Faith Maria eine Hand auf den Arm. „Ich bin mir sicher, dass Zapdos dich geschützt hat, weil du eine gute Schäferin bist und deine Angst zum Wohle der Voltilamm überwunden hast.“ „Meinst du wirklich?“ „Da bin ich mir einhundert prozentig sicher, Maria.“ Überglücklich strahlte Maria sie an und nickte dankbar, dann wurde sie wieder ernst. „Zapdos, Lavados und Arktos halten sich oft in entlegenen Regionen von Kanto auf, aber ich habe Berichte von ungewöhnlichen Gewittern hier in der Finera-Region gesehen. Ich weiß, dass Zapdos als Legendäres Gewitter beeinflussen kann, deshalb habe ich meine Suche hier begonnen.“ Einen Moment musste Faith darüber nachdenken. Sie wohnte in Litusiaville, direkt am Meer, da bekam man von Gewittern im Landesinneren nichts mit. Die Bewohner ihrer Heimatstadt orientierten sich viel mehr an der See und den Stürmen dort. Dann fiel ihr aber ebenfalls der Bericht über ein starkes Unwetter in der Gegend um Nautica City ein. „Du hast recht, diese Berichte gibt es. Denkst du wirklich, sie könnten etwas mit Zapdos zu tun haben?“ „Ich weiß nicht genau, aber es wäre möglich. Mein Gefühl sagt mir, dass es stimmen könnte.“ „Wieso bist du dann nicht nach Nautica City gereist, dort gab es dieses Jahr doch die meisten Unwetter?“ Peinlich berührt schaute Maria nach unten zu ihren Zehenspitzen. „Ich bin im Zug eingeschlafen und habe die Station verpasst, dann bin ich bis nach Moorbach durchgefahren.“ „Alles klar.“ Grinsend lehnte Faith sich zurück, das hätte jedem passieren können. „Und was möchtest du jetzt als nächstes tun?“ „Das weiß ich nicht so genau. Ich denke, ich werde morgen den Zug nach Nautica City nehmen und mich dort dann ein wenig umhören. Zu lange kann ich jedoch auch nicht von Zuhause wegbleiben, meine Eltern brauchen mich auf der Farm.“ „Dann wünsche ich dir viel Glück, dass du Zapdos findest und dich bei ihm bedanken kannst.“ „Vielen Dank, Faith. Oh, und sag mal, gehört dieser Junge dahinten zu dir? Der starrt schon die ganze Zeit so komisch zu uns rüber.“ „Hm?“ Fragend drehte sie sich um und erstarrte kurz, als sie Joels prüfenden Blick sah. Danach lächelte sie jedoch und verabschiedete sich von Maria, damit sie zu ihm gehen konnte. „Warum schaust du denn so muffelig aus der Wäsche?“ „Ich habe dich gesucht.“ „Und gefunden, also, was steht an?“ „Ich musste dich eine geschlagene Viertelstunde lang suchen.“ Oh, ja, er war sauer, das bemerkte sie jetzt auch endlich. Während sie sich das Grinsen verkniff, lief sie neben ihm runter ins Foyer. „Ich war beschäftigt, das hast du doch gesehen. Aber bevor du mir eine Standpauke hältst, habe ich eine Frage an dich.“ Irritiert zog er die Augenbrauen hoch. „Die wäre?“ „Hast du dir schon einmal über die starken Gewitter bei Nautica City Gedanken gemacht?“ „Nein, wieso sollte ich das auch tun? Gewitter kommen vor und diesen Sommer waren es eben stärkere Gewitter als sonst, das hat sich doch bereits gelegt. Nautica ist seit Wochen wieder unwetterfrei. Wieso fragst du?“ „Nur so… Also, warum hast du mich gesucht?“ Er glaubte ihr nicht wirklich, dass die Frage keine Bedeutung hatte, beließ es jedoch dabei und lächelte leicht, als er an seine kleine Überraschung für Faith dachte. „Komm mit und lass dich überraschen.“ Kapitel 67: Joels Geschenk -------------------------- Faith wusste nicht, was sie von Joels Geheimnistuerei halten sollte. Sie winkte Maria zum Abschied zu, dann folgte sie Joel über den Flur. Ihre Gedanken waren durch seine seltsame Ansage vollkommen durcheinander gewirbelt worden und sie wusste gar nicht, woran das lag. Als sie schließlich zu dem Entschluss kam, dass sie sich wahnsinnig freute, weil Joel eine Überraschung für sie hatte, erklärte sie sich gedanklich in ein und demselben Satz für geistesgestört. Es hatte sie doch gar nicht zu kümmern, was ihr größter Rivale in seiner Freizeit anstellte. Aber es kümmerte sie eben doch. „Was ist es denn für eine Überraschung?“ Joel blieb so abrupt stehen, dass Faith beinahe in ihn hineingelaufen wäre, dann lächelte er. „Es ist keine Überraschung mehr, wenn ich es dir verrate. Also gedulde dich, wir sind ja gleich da. Kriegst du das hin, mal zwei Minuten ruhig zu sein?“ Spielerisch boxte er ihr gegen den Oberarm, aber Faith ging nicht wie sonst üblich darauf ein, sondern dackelte schweigend hinter ihm her. Auf dem Weg über die Treppe nach unten ins Foyer nestelte sie unentwegt mit den Fingern an dem Armband mit dem bronzefarbenen Herzanhänger herum. Damals hatte Joel es ihr geschenkt, weil sie betrübt war. Er hatte gesagt, dass er sie lieber lächeln sah. Im Nachhinein setzte alleine für diesen einen Satz von ihm ein Herzklopfen ein, das sie sonst nur bei Itsukis Nähe verspürt hatte. Itsuki, sie vermisste ihn… Das Herzklopfen blieb wieder aus. „ Wir sind da.“ Verwirrt blickte Faith auf und schaute sich um. Sie standen auf dem überdachten Trainingsplatz des Pokémoncenters. Trixi saß auf einer Bank und fing die letzten Sonnenstrahlen des Septembers ein. Joel strahlte sie nahezu an und trat zur Seite, sodass ihr Blick über den ganzen Trainingsplatz gleiten konnte, bis sie das Glutexo von Joel Schattenboxen sah. „Ich verstehe nicht ganz, was du meinst.“ Er stöhnte augenrollend und zog sie am Handgelenk in die Mitte des Trainingsplatzes, wo sein Glutexo mit dem Schattenboxen sofort aufhörte und seinen Trainer freudig mit erhobenen Klauen begrüßte. „Verstehst du es jetzt?“ „Deine Überraschung ist dein Glutexo?“ Ihr Hirn ratterte auf Hochtouren, aber die Enttäuschung stellte sich trotzdem schon einmal ein. Das war irgendwie nicht das, was sie erwartet hatte. „Das ist lieb von dir, aber ich habe doch mein Glumanda.“ „Du dumme Nuss, ich will es dir doch nicht schenken. Gerade wegen Glumanda sind Glutexo und ich hier. Glumanda kann mit Glutexo trainieren. Ich weiß doch, dass es seine Schwierigkeiten hat und viel durchmachen musste, aber zu seiner Weiterentwicklung kann es sicherlich schnell Vertrauen aufbauen. Also, sollen wir gleich mit dem Training beginnen?“ Fassungslos starrte sie ihn an. „Deine Überraschung ist, dass du mir Hilfe beim Training von Glumanda anbietest? Schönen Dank auch, aber das wäre nicht nötig gewesen.“ Glutexo blickte verwirrt zwischen seinem Trainer und dem zickigen Mädchen hin und her und deutete schließlich vorsichtig mit einer Kralle auf sich selbst. „Texo?“ „Nein, es liegt nicht an dir, mein Freund. Faith ziert sich, weil sie sich nicht eingestehen will, dass du ein besserer Trainingspartner bist als ihr Bibor.“ „Das ist doch gar nicht wahr!“, giftete sie augenblicklich und schnaubte entrüstet. „Bibor ist ein super Pokémon! Alle meine Pokémon sind super!“ „Und Glutexo ist Glumandas Weiterentwicklung und daher einfach am besten geeignet. Also ich schlage vor, wir beginnen mit leichten Schiebeübungen. Na los, jetzt befrei es schon aus dem Pokéball oder ich mache es.“ „Du machst gar nichts, Joel Light.“ „Oh doch, das werde ich genau jetzt tun.“ Grinsend und blitzschnell legte er einen Arm um Faiths Taille, zog sie zu sich, ließ die freie Hand zu ihrem Gürtel gleiten und schnappte sich den Pokéball an fünfter Stelle. So schnell, wie er sie gegriffen hatte, ließ er Faith wieder los, drückte den Knopf des Balls runter und entließ Glumanda, welches sich schüchtern umschaute. „Hier, dein Pokéball. Und schau nicht so, als hätte ich dir gerade den ersten Kuss gestohlen, das war nur ein Pokéball, klar?“ Wie traumatisiert und geistig abwesend nickte Faith, befestigte Glumandas Ball wieder an ihrem Gürtel und drehte sich zu ihrem Pokémon um, das sie besorgt musterte. Ihre Atmung hatte ausgesetzt, als Joel sie zu sich gezogen hatte und sie sich so nahe waren. Das war nicht lustig. Das sollte er noch einmal wagen und sie würde ihm eine Ohrfeige verpassen. „Texo! Glutexo.“ Mit einem freundlichen, offenen Gesichtsausdruck ging Glutexo auf Glumanda zu und schüttelte ihm die Hand. „Texo, texo.“ „Manda…“ Schüchtern erwiderte Glumanda den Händedruck und schaute seine Entwicklung mit großen Augen an, als würde ein riesiger Bonbon vor ihm stehen. Es war sichtlich beeindruckt von Glutexos Selbstbewusstsein und seiner Stärke „Man…?“ „Texo!“ Es nickte, nahm das Kleine bei der Hand und führte es etwas von den Trainern weg. Während die beiden Pokémon ihr Gespräch in Ruhe fortführten und Glutexo damit begann, Glumanda zu trainieren, saßen Faith und Joel neben Trixi auf der Bank. Joel schaute mit verschränkten Armen den beiden Feuerpokémon beim Training zu und nickte hin und wieder zufrieden. Faith hatte die Hände im Stoff ihres Oberteils vergraben, den Blick gesenkt und zwang sich zu einer Atmung, die sie beruhigen sollte. Trixi öffnete die Augen, kramte eine Nagelpfeile heraus und begann sich um ihre Nägel zu kümmern. Wenn sie nicht gewesen wäre, dann hätte sich die Atmosphäre noch weitaus bedrückender angefühlt. Schließlich packte sie ihre Nagelpfeile wieder weg, stand auf und strich sich die teuren Kleidungsstücke wieder glatt. „Redet bloß nicht beide auf einmal, da kommt ja niemand mehr mit.“ Süffisant grinsend schaute sie die zwei auf der Bank an. „Mir reicht das jetzt mit eurem Gehabe. Faith, du legst deinen Stolz jetzt sofort bei Seite und bedankst dich bei meinem Bruder für seine Hilfe. Joel, verschränkt nicht deine Arme, das ist eine Abwehrhaltung und so bist du ihr gegenüber doch nicht eingestellt. Und jetzt entschuldigt mich, ich habe noch einen Termin bei der Pediküre.“ Beide schauten Trixi stumm hinterher. Dann löste Joel etwas widerwillig seine Arme aus der Verschränkung und platzierte sie locker in seinem Schoß. Faith hob den Blick, räusperte sich und nuschelte ein „Dankeschön“ an Joel. Er nickte ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Also ist wieder alles normal zwischen uns?“ „Ja.“ Ihre Stimme klang ebenso belegt wie seine. Doch als sie ihr Augenmerk auf das Training von Glumanda und Glutexo richtete, lächelte sie zufrieden in sich hinein. Kapitel 68: Weiterreise ----------------------- Die Kopfschmerztablette landete in dem Glas Wasser, das Joel ihr besorgt gebracht hatte. Eine von Miras Tabletten löste sich nun stückchenweise darin auf, ließ das Wasser kleine Blasen schlagen, bis sich die Flüssigkeit im Glas beruhigt hatte und Faith alles mit einem Schluck runterspülte. Erleichtert stellte sie das Glas auf den Nachttisch, ließ sich zurück in das Kissen sinken und starrte an die Decke. „Geht es dir besser?“ Joels Stimme erklang direkt neben ihrem Bett. „Sie muss warten, bis die Tablette wirkt. Aber mach dir keine Sorgen, in einer halben Stunde wird es ihr besser gehen.“ Lächelnd drückte Mira die Hand ihrer Freundin und schüttete ihr anschließend erneut Wasser nach. Seufzend stand Joel auf und fuhr sich durch die braunen Haare. „Ernsthaft, ich kenne niemanden, der sich wegen eines Arenakampfs so sehr stresst, dass er starke Kopfschmerzen bekommt und dann mit Migräne im Bett liegt.“ „Lass mich…“, murrte Faith sauer und zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn. „Ich habe den Orden doch gewonnen, also lass mich in Ruhe…“ Ja in der Tat, sie hatte Jacob in einem langen und harten Kampf besiegen können. Sein Bisaknosp war ein harter Brocken, aber mit einer veränderten Taktik hatte sie es mit Tauboga besiegen können. Anschließend wurde Tauboga von seinem Endivie geschlagen, das sie wiederum mit Glumanda besiegen konnte. Sie gab es nicht gerne zu, aber das Training mit Joels Glutexo hatte Glumanda sicherlich ein paar Level steigen lassen. Als es zwei zu eins für sie stand, schickte Jacob sein letztes Pokémon, ein Duflor, in den Kampf. Glumanda konnte es schwächen, verlor dann jedoch. Am Ende konnte Faith aber den Sieg mit ihrem Bibor einfahren. Obwohl der Kampf solange gedauert hatte, konnte sie sich jetzt an keine Einzelheiten mehr erinnern. Ihr Kopf schmerzte einfach zu sehr von dem Stress und der Aufregung. „Komm, Joel. Wir lassen sie jetzt in Ruhe schlafen.“ Er nickte und folgte Mira aus dem Zimmer, doch die Besorgnis wollte einfach nicht aus seinen Augen verschwinden. Selbst Trixis Sticheleien ließ er kommentarlos über sich ergehen. „Ich hoffe, sie wird schnell wieder gesund.“ „Das wird sie“, versicherte Mira ihm lächelnd. „Faith lässt sich nicht kleinkriegen.“ Am nächsten Morgen wurde Faith von dem Schnurren ihres Folipurbas geweckt. Sie setzte sich auf und strich dem Pflanzenpokémon über den Kopf. Als sie die frische Erde an den Pfoten entdeckte, musste sie lachen. Es war nicht das erste Mal, dass sich Folipurba nachts aus dem Pokéball gestohlen hatte, um draußen nach einem Schlafplatz unter Bäumen zu suchen. „Du bist deinem Zuhause selbst jetzt treu, nicht wahr?“ „Foli!“, erwiderte das Pokémon schnurrend, rieb seinen Kopf an Faiths Schulter und sprang dann zurück auf den Boden. Glücklich fühlte Faith sich an den Kopf und bemerkte erleichtert, dass ihre Migräne verschwunden war. Es ging ihr wieder gut und der Gedanke an den gewonnenen Orden ließ Endorphine durch ihr Blut schwimmen. Dann fiel ihr Blick jedoch auf die Uhr und sie schnappte nach Luft. „Oh Gott, es ist schon halb neun! Mira und ich wollten uns doch um acht zum Frühstück treffen, damit wir pünktlich abreisen können!“ Sofort sprang Faith aus dem Bett, packte gehetzt ihren Rucksack und bemerkte erst dann, dass sie noch im Schlafanzug war und ihre frischen Sachen ganz unten im Rucksack lagen. Also musste sie alles wieder ausräumen, machte sich im Eiltempo im Badezimmer fertig und stürmte anschließend runter in die Kantine. „Guten Morgen, Faith.“ Mira grinste ihr zu, vor ihr standen eine leere Müslischüssel und ein leeres Tablett. Die für den Fußmarsch geschmierten Brötchen lagen neben ihr in einer Plastiktüte. „Gut geschlafen?“ „Ich habe verschlafen“, entgegnete Faith sofort, entschuldigte sich und ließ sich auf den Stuhl sinken. „Bist du mir böse?“ „Nein, natürlich nicht. Ich weiß ja, dass es dir gestern nicht gut ging. Ich habe auch schon Brötchen für dich mit geschmiert, du kannst dir also ruhig noch etwas Zeit mit dem Frühstück lassen.“ „Du bist ein Schatz, Mira.“ Die Genannte errötete etwas, verschnürte die Plastiktüte und brachte ihr benutztes Geschirr weg, während Faith sich Obstsalat und Toast Hawaii zum Frühstück auf ein Tablett lud. Wie sie von Mira nur wenige Minuten später erfuhr, waren Trixi und Joel bereits vor einer Stunde abgereist, sie würden die beiden aber vermutlich in Schloss Dunkelstein, der nächsten Stadt, wiedertreffen. Dort befand sich auch die fünfte Arena, in der ein Doppelkampf stattfand, und eine große Wettbewerbshalle im Schlossgarten. Die ganze Stadt lag innerhalb der Schlossmauern und das Schloss selbst lag mitten im Finsterwald, einem riesigen Nadelbaumwald. Eine Stunde später checkten die beiden Jungtrainerinnen aus und wie bei jeder Abreise, seit Itsuki nicht mehr bei ihnen war, verfiel Mira in Melancholie und ließ verlauten, dass sie ihren Reisegefährten vermisste. „Ich hoffe, es geht ihm gut, wo auch immer er gerade ist.“ „Mira…“ Betrübt ließ auch Faith den Kopf sinken. Sie konnte mit solchen Dingen nicht gut umgehen, vor allem nicht, weil sie wusste, dass Mira Gefühle für den kühlen Trainer hegte. „Eines Tages treffen wir ihn wieder.“ „Eines Tages vielleicht, das kann Monate oder Jahre dauern.“ Während sie das sagte, wurde Miras Stimme weinerlich, aber sie riss sich zusammen und wechselte schnell das Gesprächsthema. Als die beiden Mädchen die Stadtgrenze hinter sich gelassen hatten, wartete das Moor auf sie. Die Einöde kehrte zurück, bald waren keine Geräusche der Zivilisation mehr zu hören und man folgte nur noch den Wegweisern, die einen von den tückischen Moorteppichen fernhielten. Die Minuten voller Schweigen zogen sich wie unendliche Stunden hin. Plötzlich durchbrach das Rufen von einer fremden Stimme die Stille. „Hey! Hey, ihr da!“ Schnelle Schritte kamen auf sie zu, wobei der feuchte Boden bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich gab. Faith und Mira drehten sich irritiert zu dem Jungen um, der außer Atem bei ihnen zum Stehen kam. Seine olivgrünen Haare hingen in dicken Strähnen in sein Gesicht, bis er sie nach hinten wuschelte und die beiden Mädchen freundlich anlächelte. „Entschuldigt mein ruppiges Auftauchen, ich möchte euch zwei auch gar nicht in Bedrängnis bringen, aber ihr seid auch auf dem Weg nach Schloss Dunkelstein, nicht wahr?“ „Ja, sind wir“, antwortete Faith, weil Mira Fremden gegenüber so schüchtern war, dass sie nur stottern konnte und keinen ganzen Satz herausbrachte. „Wieso fragst du?“ Als hätte er nur auf diese Frage gewartet, strahlte er die zwei an und seine bernsteinfarbenen Augen schienen Funken zu sprühen. „Mein Reisegefährte liegt mit einem Rippenbruch im Krankenhaus und ich reise ungerne alleine. Stört es euch, wenn ich euch begleite?“ Skeptisch tauschten Faith und Mira einen Blick. Dann seufzte Faith jedoch und schenkte dem Unbekannten ein offenes Lächeln. „Sicher, wieso nicht. Das ist Mira und ich bin Faith.“ „Ich bin Evan McCloud, meines Zeichens Koordinator. Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, Ladies. Und vom Sehen her kenne ich euch sogar, aus dem Pokémoncenter. Ihr kennt die Light-Zwillinge, nicht wahr?“ „Du meinst Trixi und Joel? Ja, wieso?“ Evan grinste, als er antwortete. „Wir waren im gleichen Kindergarten in Honey Island, aber die zwei waren schon aufgebrochen, als ich sie nach ihrer Reisebegleitung fragen wollte. Mich wundert es aber, dass ihr nicht zusammen reist.“ Verwirrt wich Faith einen Schritt zurück und spürte, dass ihre Wangen ein wenig rot wurden. „Weshalb sollte ich mit meinem Rivalen reisen wollen?“ Nun wurde Evan nachdenklicher und legte den Kopf schief. „Nun, ich hätte schwören können, dass Joel und du zusammen seid.“ Kapitel 69: Ein Altaria zum Schmusen ------------------------------------ Ausdruckslos starrte Faith in das Gesicht von Evan McCloud, wobei sie wusste, dass jede Sekunde, die sie schwieg, es nur noch schlimmer machte. Schließlich begann sie hysterisch mit der Hand zu wedeln und aufgesetzt zu lachen. „Was, ich? Mit Joel? Ein Paar? Iwo.“ Lachend schwankte sie nach vorne und setzte sich in Bewegung, wobei alles, was sie tat, mit Argusaugen von Evan registriert wurde. „Du irrst dich, Evan.“ Er schwieg einen Moment, dann setzte auch er sich wieder in Bewegung und lächelte in sich hinein. „Tja, das scheine ich dann wohl zu tun.“ Mit einem Augenzwinkern drehte er den Kopf zu Mira und war ihr so nahe, dass er flüstern konnte, ohne dass Faith es mitbekam. „Ist die immer so?“ „Eigentlich nicht“, entgegnete Mira leise, woraufhin Evans Lächeln zu einem Schmunzeln wurde und er lediglich stumm nickte. „Schade eigentlich, dass ihr kein Paar seid, Faith. Ihr passt gut zusammen, finde ich. Aber gut, wenn ihr nicht zusammen seid, stört dich die Sache mit Eva sicherlich auch nicht.“ Augenblicklich blieb Faith stehen und zog Evan am Hemdkragen zu sich heran. „Eva? Welche Sache mit Eva? Wer ist Eva?“ „Das kümmert dich doch nicht etwa, Faith?“ „Wer ist Eva!“, pöbelte sie nun, auch wenn sie Evan wieder los ließ. Aufgebracht schnaubte sie und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Los, rede!“ Lachend winkte Evan ab. „Hey, beruhige dich wieder, ich wollte nur etwas testen. Ich kenne keine Eva, das habe ich mir ausgedacht.“ „Willst du mich verarschen? Das ist nicht lustig, klar!“ „Faith, er meint das doch nicht böse.“ Beschwichtigend legte Mira ihr eine Hand auf die Schulter und sorgte mit leichtem Druck dafür, dass die Gruppe weitergehen konnte. Insgeheim war sie aber sehr froh darüber, dass Faith scheinbar etwas für Joel zu empfinden schien, auch wenn sie sich das selbst wohl nie eingestehen würde. Sie hatte immer die Befürchtung gehabt, dass Faith nicht ganz ehrlich zu ihr, was ihre Gefühle für Itsuki betraf. Mira wollte keinen Streit mit ihrer besten Freundin, nur weil sich beide in den gleichen Jungen verliebt hatten. Als sie gegen Abend das Moor hinter sich lassen konnten, ging die Landschaft nahezu nahtlos in die Anfänge des Finsterwalds über. Nadelbäume reihten sich dicht an dicht und es dauerte geschlagene zwei Stunden, bis Evan, Mira und Faith mit ihrem gewählten Schlafplatz zufrieden waren. Gemeinsam scharrten sie eine Kuhle in den Waldboden, um dort ihr Lagerfeuer zu entfachen. Dann baute jeder sein Zelt auf und sie verteilten schnell die weiteren Aufgaben für ihr Lager. Faith und Folipurba suchten Feuerholz, wobei Folipurba mit dem Nadelwald nichts anfangen konnte. Pausenlos jammerte das Pflanzenpokémon und machte lange Beine, als es über die am Boden liegenden Nadeln lief. Evan hob gut fünfzehn Meter vom Lager entfernt eine kleine Toilettenstelle aus und Mira bereitete mit ihrem kleinen Reisekochtopf eine Gyrospfanne mit Reis vor. Als alle drei gemeinsam mit ihrem Pokémon am Lagerfeuer saßen, waren Evan und seine drei Pokémon die Hauptattraktion. Der Koordinator hatte sein Lumineon zuerst mit Futter versorgt und musste es die ganze Zeit halten, weil es auf dem Waldboden nicht zurechtkam. Anschließend landete es wieder im Pokéball, ebenso sein Jugong. Nur Evans Startpokémon, ein prächtiges Altaria, wurde draußen gelassen und schmiegte seinen weichen Körper an Evans Seite. „Dein Altaria ist so wunderschön“, schwärmte Mira in einer Tour und berührte seufzend die weichen Federn am Körper des Drachenpokémon. „Und weich ist es auch. Hach, ich wünschte, meine Pokémon hätten auch so schöne Federn.“ Zeitgleich gaben Evoli, Hunduster und Sheinux ein pikiertes Murren von sich. Mira lächelte ihnen entschuldigend zu und rückte näher an Evan heran, damit sie weiterhin Altaria streicheln konnte, dem die Streicheleinheiten sichtlich gefielen. „Ihr habt natürlich auch schönes Fell.“ Dann wandte sie sich wieder Evan und seinem Altaria zu. „Wie viele Bänder hast du schon gewonnen?“ „Drei“, antwortete er und die beiden verfielen in eine lockere Plauderei über Wettbewerbe. Noch immer ein wenig eingeschnappt von Evans Verhalten ihr gegenüber sah Faith zu, wie bei Mira dieses Mal das Eis erstaunlich schnell gebrochen zu sein schien. Sie seufzte, nahm sich den letzten Rest Gyrosreis und erklärte sich bereit zu spülen. Eine Reaktion darauf bekam sie jedoch nicht, also machte sie sich einfach schweigend an die Arbeit und zog danach ihre fünf Pokémon wieder in die Pokébälle zurück. Faith wusste nicht, was sie von all dem hier halten sollte. Evan hatte etwas an sich, was dafür sorgte, dass man ihm nicht misstraute und ihn gerne als Kumpel an seiner Seite hatte. Selbst Mira verstand sich super mit ihm und zeigte nichts von ihrer Schüchternheit. Aus diesen Gründen konnte Faith ihm auch nicht wirklich böse sein, aber es nervte sie, dass erst Trixi ihre Andeutungen machte und jetzt auch Evan sie aufzog. Was hatten nur alle mit Joel und ihr? Er war ihr Rivale, verdammt noch mal! Ihr Blick fiel zurück auf die beiden Koordinatoren am Lagerfeuer, Miras eifersüchtige Pokémon und das flauschige Altaria von Evan. Faith seufzte, streckte die müden Glieder und schaute in die Finsternis des Waldes hinein. Um Mira und Evan noch ein wenig Privatsphäre zu gönnen, stand sie auf und verließ das Lager. Bereits nach wenigen Metern streckten die Schatten der Nadelbäume ihre Klauen nach Faith aus. Sie fröstelte, was jedoch nicht an der Kälte lag, die in dieser Septembernacht, der letzten des Monats, um ihre Beine waberte. „Na toll“, fluchte sie leise und rieb sich die Arme unter der Regenjacke. Wenn der Temperatursturz anhielt, musste sie sich noch ihre Winterjacke von ihrer Mutter schicken lassen, bevor ihre Reise sie in ihre Heimatstadt Litusiaville führte. Zum Glück würde das Zelt mit dem Schlafsack und der zusätzlichen Decke sie warm halten. In solchen Nächten wünschte sie sich nur, dass sie am nächsten Morgen ohne Lungenentzündung aufwachte. Als in ihrer Nähe Äste knacksten, zuckte sie zusammen und schaute sich nach dem Feuerschein des Camps um. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie weit sie schon entfernt war. Nur noch sehr schwach konnte sie erkennen, welchen Weg sie wieder zurück nehmen musste. Ein Hoothoot huschte lautlos an ihr vorbei und streifte mit seinem Flügel ihr Bein, woraufhin sie erschrocken zur Seite sprang, das Gleichgewicht verlor und in einen kleinen Busch stürzte. Nachdem sie ihren Fall halbwegs abgefangen hatte, fluchte sie erneut und rieb sich die schmerzenden Hände. Ein Knurren dicht hinter sich ließ sie panisch den Kopf nach hinten drehen. Mira lachte über einen Witz, den Evan gemacht hatte. Es war unglaublich, aber sie hatte noch nie einen Jungen getroffen, der ihr von Anfang an so sympathisch war. „Es ist schön, dass du mit uns nach Schloss Dunkelstein kommst“, sprach sie und merkte, wie sie etwas rot auf den Wangen wurde. Evan lächelte und stupste Miras Schulter mit seiner eigenen an. „Ich freue mich auch, vor allem über deine Bekanntschaft.“ Verlegen blickte Mira nach unten, dann wieder auf und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Vielen Dank, Evan.“ „Wofür bedankst du dich? Du bist so ein hübsches Mädchen, Mira. Du hast gar keinen Grund schüchtern zu sein.“ „Weißt du, das denke ich mir manchmal auch, aber dann muss ich an Itsuki denken und… Ach, ich weiß nicht, das ist kompliziert.“ Geduldig hörte Evan ihr zu. „Ich kenne diesen Itsuki nicht, aber wenn du in ihn verliebt bist, ist daran doch nichts kompliziert? Steh zu deinen Gefühlen und warte nicht, bis du keine Chance mehr hast.“ Gerade wollte sie ihm widersprechen, da schreckten beide verstört zusammen. „Hilfe!“ Faiths schriller Schrei schien den ganzen Wald zu durchstoßen. Kapitel 70: Er lässt dich nicht gehen ------------------------------------- Mira rannte so schnell es das Dickicht und ihre Füße zuließen. Evan war direkt neben ihr und beim Rennen berührten sich hin und wieder ihre Arme, doch Mira konnte daran keinen einzigen Gedanken verschwenden. „Faith, wo bist du!“ Verdammt, es war so dunkel hier, dass sie kaum sehen konnte, wohin sie lief. Evan blieb schnaufend neben ihr stehen und zog sie zurück, als sie weiterlaufen wollte. „Faith!“ „Mh hm hmii!“ „Aua! Du verdammtes Biest hast mich gebissen!“ „Hilfe! Caleb ist hier!“ Die Stimmen kamen gedämpft von irgendwo rechts. Mira und Evan warfen sich einen erschrockenen Blick zu und Miras Gedanken rasten. Caleb Frost? Was wollte er nur hier? Oh Gott, nicht, dass er sich an Faith für das zerstörte Labor rächen wollte. „Halte durch! Hunduster, erleuchte den Weg mit Glut!“ „Bist du übergeschnappt“, zischte Evan ihr sofort ins Ohr und Altaria hielt Hunduster auf. „Das ist ein Nadelwald, willst du uns abfackeln? Los, hier entlang.“ Hastig nahm er Miras Hand und zog sie hinter sich her. Nach gut zehn Metern entdeckten sie Faith, die bedrängt an einem Baum stand, Caleb presste ihr eine Hand auf den Mund und sein Magnayen hatte das Fell wie eine Klobürste aufgestellt. Mira blieb vor Schreck stehen, dort war er, ihr übermächtiger Gegner von Team Dark. „Wer ist das“, flüsterte Evan in ihr Ohr, begriff jedoch intuitiv, dass die Lage sehr brisant war. Kampfbereit schwebte sein Altaria vor ihm in der Luft. „Das ist Caleb Frost, er gehört zu Team Dark. Pass bloß auf, sein Magnayen kann Feuerzahn und ist sehr stark.“ „Nicht so stark wie Altaria. Los, Altaria, Bodycheck!“ Magnayen sprang dem Drachenpokémon knurrend entgegen, doch Altaria war wirklich stark. Es rammte das Unlichtpokémon einfach zu Boden und hielt es dort mit Furienschlag in Schach. „Und jetzt lassen Sie Faith sofort gehen!“ Wütend blickte Caleb zwischen ihnen hin und her. „Ihr habt doch keine Ahnung, was ihr da tut. Ich habe eine Mission, haltet mich gefälligst nicht länger mit eurem Kindergartengehabe auf.“ Faith blickte ängstlich zu ihren beiden Begleitern. Der Schock, den sie erlitten hatte, weil sie ihren Feind hier im tiefsten Wald wiedertraf, saß noch tief in ihren Knochen. Ob er es wohl auf Glumanda abgesehen hatte? Sie würde die schüchterne Echse nicht hergeben, nicht an ihn. Doch zu ihrer großen Verwunderung lockerte Caleb seinen Griff und sie konnte sich losreißen, um sich zu befreien. Weshalb hatte er das getan? Mira schloss ihre Freundin sofort fest in die Arme und weinte vor Erleichterung, während Magnayen und Altaria sich noch immer ihren Zweikampf lieferten. Evan knirschte mit den Zähnen und nickte seinem Altaria zu, als Faith in Sicherheit war. „Los, Gesang!“ Sofort nahm Altaria etwas Abstand und begann ein Lied zu singen, das gezielt an Magnayen gerichtet war und das Unlichtpokémon schnell wanken und schließlich einschlafen ließ. Dann blickten Trainer und Pokémon wütend auf das Mitglied von Team Dark. Caleb war sauer. Sehr sauer sogar. Aber er wusste, dass er hier keine Chance hatte. Er war auf keinen Kampf vorbereitet gewesen, also holte er Magnayen in den Pokéball zurück und trat einen Schritt nach hinten. Derweil wanderte seine linke Hand zu den Pokébällen an seinem Gürtel und er entließ ein pechschwarzes Nachtara vor sich. „Schnell, Sandwirbel! So stark du kannst!“ „Nachta!“ Calebs zweites Pokémon sprang nach vorne, drehte sich und wirbelte so viel Sand auf, dass die Jungtrainer kaum etwas erkennen konnten. Als der Sandstaub sich wieder lichtete, waren Caleb und Nachtara verschwunden. Mira hatte noch immer Tränen in den Augen und wich Faith keinen Zentimeter von der Seite. „Was konnte er nur von dir gewollt haben?“ „Ich weiß es nicht“, gab Faith resigniert zurück, umklammerte jedoch noch immer Glumandas Pokéball. „Er war plötzlich einfach neben mir und ich hatte kaum genug Zeit zum Schreien. Es passierte so schnell und ich hatte… Angst.“ Das letzte Wort trieb Mira ein weiteres Mal die Tränen die Wangen herunter und sie umarmte Faith. „Ich möchte nicht daran denken, was wäre, wenn Evan nicht hier gewesen wäre.“ Vorsichtig schaute sie zu dem anderen Koordinator, der seinem Altaria im Schein des Lagerfeuers Erde aus den Flügeln zupfte. „Du hast nicht nur Faith gerettet, sondern wahrscheinlich auch mich. Ich hätte gegen Calebs Magnayen nicht gewinnen können.“ „Das war Glück“, erwiderte Evan mit sanfter Stimme und lächelte die beiden Mädchen an. „Im Wald zu kämpfen ist eine ganz andere Herausforderung. Es hätte auch Magnayen sein können, das einen Vorteil entdeckt und siegt.“ „Aber es war dein Altaria“, sprach nun Faith und nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. „Du musst ein sehr guter Trainer sein.“ „Al!“, gurrte Altaria und rieb seinen Kopf an Evans Schulter, der nur lachend sein Pokémon tätschelte. „Wir sind ein gutes Team und ich habe es auch schon seit zwei Jahren. Ihr habt auch irgendwann so starke Pokémon, da bin ich mir sicher. Ihr habt beide Talent.“ Während Mira errötete, senkte Faith den Blick und starrte auf ihre Schuhspitzen. Sie hatte sich nicht gegen Caleb wehren können und trotzdem verstand sie nicht, warum er sich ihr überhaupt gezeigt hätte. Als sie geschrien hatte, wirkte er fast schon panisch. Könnte es vielleicht sein, dass er sie zuerst gar nicht angreifen wollte? Hatte er vielleicht mit ihr reden wollen? Faith stand auf und gähnte. „Entschuldigt mich, ich bin wahnsinnig erschöpft von allem. Ich lege mich jetzt in mein Zelt und schlafe.“ „Ist gut.“ Evan streckte sich. „Geh du auch schlafen, Mira. Altaria und ich werden abwechselnd Wache halten, falls dieser Caleb noch einmal zurückkehren sollte.“ Mira warf ihm einen sehr dankbaren Blick zu, räumte schnell ihre Sachen zusammen und verschwand in ihrem Zelt. Kurz, bevor der Reißverschluss ganz nach oben gezogen war, hielt sie inne und blickte noch einmal nach draußen. „Ich freue mich, dass du bei uns bist, Evan.“ Dann zog sie den Reißverschluss das letzte Stück hoch und legte sich schlafen. Evan schaute ihr hinterher und vergrub seufzend das Gesicht in den Händen. „Ich freue mich auch, dass ich hier bei euch bin.“ Kopfschüttelnd streichelte er Altarias Kopf und zog ein zusammengefaltetes Foto aus seiner Jackentasche. Der junge Koordinator zögerte, dann klappte er das Bild auf und strich mit den Fingerspitzen über den leicht zerknitterten Rand. Es gab da etwas, das ihn schon die ganze Zeit irritiert hatte. Nachdenklich hob er das Foto an und betrachtete es. Im Vordergrund standen Trixi, Joel und er, sie alle drei grinsten in die Kamera und waren vielleicht zehn oder elf Jahre alt. Damals waren sie mit der Schule in Nautica City auf Klassenfahrt gewesen, um das Pharmaunternehmen Mai zu besuchen, das kurz davor von Milena Mai übernommen worden war. Doch es war nicht der Vordergrund des Fotos, der Evan nun die Luft erschrocken einatmen ließ. Sein Blick hing starr an dem Bild, dann klappte er es zusammen und vergrub wieder das Gesicht in den Händen. Im Hintergrund stand Caleb Frost in einem weißen Laborkittel. Kapitel 71: Verwirrung ---------------------- Dieses blöde Miststück hatte ihn doch tatsächlich gebissen! Caleb knurrte, während er durch die Dunkelheit stapfte und derbe Flüche über Faith zum Besten gab. Hin und wieder schüttelte sein Nachtara tadelnd den Kopf oder ließ seine langen Ohren zucken, doch die meiste Zeit trottete es stumm neben seinem Trainer her und genoss die Nachtluft. Als Caleb auf eine Lichtung im Wald trat, war er noch immer stinksauer und rammte den rechten Fuß gegen eine Holzkiste, bis Schmerz seine Zehen durchzuckte und sein Kumpane ihm einen besorgten Blick zuwarf. „Halt die Schnauze!“, blaffte Caleb ihn sofort an, rieb sich das Fußgelenk und setzte sich auf die Ladefläche des kleinen LKWs, den sie hier abgestellt hatten. „Ich sagte dir doch, dass du keinen Erfolg haben wirst“, stellte Calebs Begleiter nüchtern fest, fuhr sich durch die Haare und begann damit, die einzelnen Kisten neben Caleb im LKW zu verstauen, wobei er auf Schritt und Tritt von einem Venuflibis verfolgt wurde, das ihm schmachtende Blicke zuwarf. Auf dem Kopf des Pflanzenpokémon wippte eine rosa Schleife hin und her. „Schnauze“, wiederholte Caleb knurrend und sprang unruhig auf. „Dieses Miststück hat mir nicht eine Sekunde lang zugehört! Erkennt denn keiner, dass ich hier der Einzige bin, der das Richtige tut?“ Er bekam keine Antwort. Stattdessen klappte das andere Mitglied von Team Dark nun die Ladetüren zu und verriegelte den LKW. „Ich habe es dir ja gesagt.“ Wütend fuhr Caleb herum und verpasste dem anderen einen Kinnhaken, wobei sich Calebs rotbraune Augen in einem messerscharfen Blick direkt in die blauen Augen seines Gegenübers bohrten. „Hilf mir oder lass es sein, aber halt dich mit deinen dummen Sprüchen zurück!“ Die Worte kamen gezischt, dann ließ Caleb ihn los, atmete tief durch und ging zur Fahrertür des LKWs. „Los, steig ein, wir müssen die Fracht pünktlich abliefern. Um Faith kümmere ich mich ein andermal.“ Im morgendlichen Dunst sah der Wald gar nicht mehr so gefährlich aus. Faith streckte die Glieder und sog die kalte Luft ein, was sie frösteln ließ. Neben ihr stand eine Teekanne mit leckerem Zimttee, den Mira in Moorbach gekauft hatte. Die Zelte waren bereits abgebaut und alles war für die Weiterreise bereit. „Möchte noch jemand den Rest Tee? Sonst kippe ich ihn jetzt weg.“ Mira und Evan schüttelten beide den Kopf, woraufhin Faith die Kanne an einer Tanne leerte, sie ausspülte und dann in ihrem Rucksack verstaute. „Gut, dann können wir los.“ Gemeinsam schulterten sie die Rucksäcke und machten sich auf den Weg. Evans Altaria schwebte vor ihnen her. Seine wolkenartigen Flügel trugen es wie eine Feder über die Luft und nur hin und wieder musste es mit den Flügeln schlagen, um den Kurs zu korrigieren oder wieder etwas an Höhe zu gewinnen. Mira ließ ihr Evoli neben sich herlaufen, nur Faith hatte kein Pokémon außerhalb des Pokéballs. Für Bibor und Tauboga war es zu mühselig hier in dem dichten Wald zu fliegen, Folipurba konnte mit dem Nadelwald nichts anfangen, Glumanda hatte vor jedem knackenden Ast Angst und Voltilamm wollte am liebsten getragen werden. So verging die Zeit. Minuten wurden zu Stunden und die Stunden schließlich zu einem halben Tag, bis die drei Trainer einen breiten Weg erreichten. Es war die erste Straße, die sie hier im Wald sahen. Zwar war kein Asphalt verbaut worden, doch die Erde war so plattgefahren und von allen Hindernissen wie Wurzeln und Steinen geräumt, dass sie wohl sehr häufig benutzt wurde. Evan holte die Karte hervor und wies die beiden Mädchen an nach links abzubiegen, dann marschierten sie weiter und entdeckten auch bald einen Wegweiser, der ankündigte, dass es bis nach Schloss Dunkelstein nur noch zwei Kilometer waren. „Wir sind fast da.“ „Auf dem Weg lässt es sich viel besser gehen, der Waldboden hat uns so viel Zeit gekostet.“ „Ja“, stimmte Faith ihrer Freundin zu, „wir haben bestimmt dreimal so lange gebraucht wie normalerweise für so eine Strecke. Aber insgesamt sind wir mit der Abkürzung mitten durch den Wald noch schneller hier als wenn wir nur die Straße genommen hätten.“ Mira nickte und begann von dem Schloss zu schwärmen. „Die ganze Stadt ist auf dem Gelände von Schloss Dunkelstein erbaut worden. Das Schloss muss riesig sein, seine Mauern umschließen die ganze Stadt.“ Lachend mischte Evan sich in das Gespräch mit ein. „Aber so viele Leute leben hier gar nicht. Das Schloss selbst ist größtenteils unbewohnt und innerhalb der Stadtmauern ist eine Grenze für das Wachstum der Stadt gesetzt. Zudem wollen hier auch nicht viele Menschen hinziehen, es dauert selbst mit dem Auto ein paar Stunden in die nächste Stadt und der Wald ist überall um einen herum. Ich würde hier nicht leben wollen.“ „Ich würde gerne in einem Schloss leben“, erwiderte Mira. „Das träumt doch so ziemlich jedes Mädchen, das ich kenne.“ „Also ich nicht.“ Faith schnitt eine Grimasse. „Mir reicht ein großes Haus, eine Stadtvilla wäre toll.“ „Die Familie Light hat ein schönes Anwesen.“ Evan beobachtete genau Faiths Mimik, als er das sagte, doch sie zuckte lediglich mit den Schultern und wechselte das Thema. Eine halbe Stunde später ragten die dunklen Stadtmauern vor ihnen auf. Es drängte sich einem die Frage auf, wie die Erbauer des Schlosses damals solche Unmengen von Steinen mitten in den Wald bekommen hatten, doch Evan erklärte ihnen, dass es ganz in der Nähe der Stadt einen Steinbruch gab, der heute stillgelegt war. Durch ein großes Tor betraten die drei mit ihren Pokémon die Stadt und ihre Füße trafen auf das Kopfsteinpflaster, das alle Straßen innerhalb der Mauern ausmachte. Sofort fiel ihnen eine kleine Bäckerei auf, die köstliche Gerüche verbreitete. Daneben gab es einen Gemischtwarenladen und gegenüber ein Postamt. Durch eine Seitenstraße gelangte man in ein Wohnviertel. Die kleinen Häuser standen wie im Mittelalter dicht an dicht und besaßen alle zwischen drei und vier Etagen, dadurch wirkte die Straße dazwischen noch kleiner und man kam sich fast unbedeutend vor. Doch mit vielen Blumenkästen und gepflegten Fachwerkfassaden wirkten die Häuser sehr einladend. Das Pokémoncenter befand sich noch zwei Straßen weiter, von hier aus konnte man direkt auf die Treppe zum Haupteingang des Schlosses blicken. „Wir müssen morgen unbedingt eine Schlossführung machen“, schlug Mira sofort begeistert vor und schaute sich um. „Das ist so reizend hier, ich mag die Stadt.“ Ihre Augen leuchteten förmlich, als sie sprach. „Kommst du mit?“ Evan lächelte, als er merkte, dass sie ihn gerne bei der Führung dabei haben wollte. „Klar, sehr gerne. Aber jetzt sollten wir uns ein Zimmer im Pokémoncenter nehmen. Nächste Woche ist hier ein Wettbewerb im Schloss, da wird viel los sein.“ „Okay.“ Faith betrat als erste das Pokémoncenter und wurde von der Geräuschkulisse erschlagen. Unzählige Trainer und Pokémon belagerten die Sessel in dem kleinen Eingangsbereich und Schwester Joy war sichtlich überfordert. Als sie die drei Neuankömmlinge sah, seufzte sie und kam sofort auf sie zu. „Es tut mir schrecklich leid, aber wir sind restlos überfüllt. Ich weiß jetzt schon nicht, wo ich die ganzen Koordinatoren unterbringen soll, wir sind nicht für solche Mengen an Trainern ausgelegt.“ Evans Mundwinkel zuckten nach unten. „Aber hier sind regelmäßig Wettbewerbe, damit müssen Sie doch rechnen.“ „Ich weiß, es tut mir wirklich leid.“ Hektisch sah Schwester Joy sich um. „Das Hotel eine Straße weiter wird gerade renoviert, deshalb können dort nur wenige Trainer untergebracht werden, jetzt lagert sich alles hier hin aus. Ich kann euch beim besten Willen nicht aufnehmen.“ Gerade hatte sie geendet, da kamen zwei neue Trainer an und sie war beinahe den Tränen nahe, als sie ihnen dasselbe wie zuvor Faith zu erzählen begann. Ratlos traten Faith, Evan und Mira wieder nach draußen. „Und nun?“ Mira schnappte nach Luft. „Wir können doch nicht über eine Woche vor der Stadt im Wald zelten! Das geht nicht, ich möchte das nicht!“ Beruhigend tätschelte Evan ihre Schulter und schüttelte mit dem Kopf. „Vielleicht finden wir noch eine Pension, kommt.“ „Oh, da werdet ihr kein Glück haben, Schloss Dunkelstein hat nur das Hotel und das Pokémoncenter.“ Erstaunt drehten die drei sich um und sahen in das Gesicht von Milena Mai, die berühmte Leiterin des Pharmaunternehmens Mai. Natürlich, sie stammte aus Schloss Dunkelstein, wie den drei Trainern wieder einfiel. „Guten Tag.“ Faith reichte ihr die Hand und Milena ging etwas zögerlich darauf ein. „Wie ich sehe, hast du dich gut gemacht, Faith Loraire.“ Sofort strahlte Faith etwas verlegen. „Sie haben sich meinen Namen gemerkt.“ „Sicher, ich vergesse nur selten etwas.“ Milenas Blick wanderte zu dem überfüllten Pokémoncenter, dann seufzte sie. „Es ist eigentlich nicht meine Art, aber wenn ihr drei möchtet, könnt ihr in meinem Haus wohnen, bis der Wettbewerb vorbei ist. Es steht die meiste Zeit leer, seit mein Vater verschwunden ist. Joanna und ich würden uns über Gesellschaft freuen, es ist eine angenehme Abwechslung.“ Faith schaute Evan und Mira an, die beide verlegen nickten. Also nickte auch Faith, dankte Milena für das großzügige Angebot und folgte der Forscherin durch die Straßen Schloss Dunkelsteins. Kapitel 72: Professor Mai ------------------------- Das Haus von Milena Mai stand am Rande von Schloss Dunkelstein und sah von außen nicht anders aus als all die anderen Häuser hier – nur mit dem Unterschied, dass es etwa dreimal so groß war und auf den Fensterbänken keine Blumen standen. Milena bemerkte den Blick der drei Gäste und lächelte schmal. „Ich bin nicht oft hier, deshalb lohnt es sich nicht Anschaffungen zu machen, die verwelken, wenn man nicht ständig hier ist.“ „Milena muss für ihre Forschungen sehr viel reisen“, ergänzte Joanna, als sie die Haustür von innen öffnete und ihrer Mentorin ein höfliches Kopfnicken schenkte. Milena erwiderte das Nicken und ging voraus in einen gemütlich eingerichteten Salon mit hohen Bücherregalen. „Faith Loraire und ihre beiden Freunde werden hier wohnen, bis sie wieder abreisen. Joanna, zeig ihnen doch bitte die Gästezimmer.“ Dann drehte Milena sich zu Faith um. „Falls ihr etwas braucht, wendet euch an Joanna. Ich werde mich nun in mein Arbeitszimmer zurückziehen.“ „Vielen Dank für die Gastfreundschaft“, sprachen Faith und Evan fast aus einem Mund, Mira traute sich angesichts der bekannten Forscherin gar nicht zu reden. Doch statt einer Antwort erhielten die drei Jungtrainer nichts. Stattdessen kam nun Joanna zu ihnen und führte sie in den ersten Stock. „Auf der rechten Seite befinden sich zwei Badezimmer und auf der linken Seite die drei Gästezimmer mit Schlossblick. Bringt eure Sachen auf die Zimmer, richtet euch ein und wenn ihr soweit seid, dann kommt bitte wieder runter in den Salon. Ich decke für ein verspätetes Mittagessen ein, ihr habt sicherlich Hunger.“ Die drei dankten Joanna und nahmen anschließend jeder ein Gästezimmer in Beschlag. Faith staunte nicht schlecht, als sie den weichen Teppich in ihrem Zimmer sah. Zwei große Fenster waren mit dunklen, schweren Vorhängen verhüllt, die sie zur Seite schob, dann drang Licht in den Raum und ließ ihn sofort hell und freundlich wirken. Die Möbel sahen fast aus wie Antiquitäten, wirkten aber sehr modern und wohnlich. Es gefiel Faith, aber Joannas Ankündigung von einer warmen Mahlzeit trieb sie dann doch schnell wieder in den Salon zurück, wo Evan und Mira bereits auf sie warteten. In einem Nebenzimmer hörten sie Geschirr klappern, scheinbar befand sich dort die Küche. „Es ist so nett von Milena, dass sie uns ihr Haus zur Verfügung stellt“, meinte Mira schließlich und blickte zu einem Porträt an der Wand. „Wer das wohl ist?“ „Oh, das ist Professor Mai, Milenas Vater.“ Joanna kehrte gerade mit zwei Tellern und Besteck zurück. Lächelnd stellte sie vor Faith und Mira je einen der Teller, die bis zum Rand mit köstlichem Nudelauflauf gefüllt waren. Dann holte sie auch noch für Evan einen Teller und eine Schüssel mit Schokoladenpudding und Vanillesoße als Nachtisch. „Lasst es euch schmecken, bevor es wieder kalt ist. Fangt ruhig an.“ „Möchtest du nichts essen?“ „Nein, ich habe schon. Also schlagt zu.“ Joanna verteilte derweil den Pudding auf drei kleine Schälchen, reichte jedem der Jungtrainer eins und holte auf Bitten von Evan noch eine Flasche Wasser. „Ihr wollt bestimmt in der Arena gegen Yurika kämpfen, richtig? Sie setzt zwei Pokémon in einem Doppelkampf ein, das ist eine richtige Herausforderung.“ „Der Herausforderung stelle ich mich gerne. Mit Folipurba und Bibor schaffe ich das schon.“ „Gut, Faith, du hast Selbstbewusstsein, das mag ich. Und was ist mit euch beiden?“ „Wir sind Koordinatoren“, antwortete Evan und fuhr fort, „dementsprechend warten wir auf den nächsten Wettbewerb.“ „Dann viel Erfolg. Yurika ist viel unterwegs, momentan ist sie noch in der Stadt. Du solltest gleich morgen gegen sie antreten, Faith, sonst verschwindet sie wieder für ein paar Tage zum Tempel des Waldwächters. Niemand kann sagen, wann sie dann zurückkommt. Einmal ist sie sogar ganze drei Wochen dort geblieben.“ „Drei Wochen!“ Faith fiel beinahe die Gabel aus der Hand. „Nein, dann werde ich sofort morgen gegen sie antreten. Solange möchte ich wirklich nicht warten. Wo liegt denn dieser Tempel?“ „Mitten im Wald, etwa eine halbe Tagesreise von hier entfernt. In Schloss Dunkelstein gibt es viele Menschen, die dort hin pilgern, um den Waldgeist bei Problemen um Beistand zu bitten. Professor Mai war auch oft dort, er schätzte die ruhige Atmosphäre.“ Alle vier senkten betreten den Kopf. Es war kein Geheimnis, dass der alte Professor spurlos verschwunden war und seine Tochter nun das ganze Pharmaunternehmen alleine stemmen musste. Schließlich war es jedoch Evan, der zuerst wieder das Wort ergriff. „Weiß man bis heute nicht, was dem Professor wiederfahren ist?“ Joanna seufzte und schüttelte den Kopf. „Vielleicht weiß Milena mehr, aber sie redet nicht darüber. Sie lebt für ihre Arbeit, so wie es einst ihr Vater getan hat. Ohne die Arbeit von Professor Mai wäre man nie soweit gekommen das Erbgut einiger Pokémon zu entschlüsseln. Er war dem Geheimnis der unterschiedlichen Pokémontypen und der Legendären dicht auf der Spur, doch dann verschwand er und mit ihm ein Großteil seiner Forschungsergebnisse über die Legendären. Zu schade, es hätte der Welt helfen können mehr über die Pokémon zu erfahren und sie besser zu verstehen.“ „Das ist so traurig…“ Mira senkte den Blick und begann mit hängenden Schultern ihren Schokoladenpudding zu essen. „Wie muss Milena nur darunter leiden? Sie hat auf einmal die ganze Verantwortung.“ „Sie ist nicht alleine. Sie hat beispielsweise mich, ich helfe ihr, so gut ich es eben kann.“ Joanna lächelte matt, stand auf und räumte das Geschirr ab, als alle fertig waren. „Meine Familie sieht es zwar nicht gerne, dass mein Herz für die Forschung schlägt, aber das ist mir egal. Es ist eben nicht einfach ein Mitglied der Familie Joy zu sein und nicht in einem Pokémoncenter arbeiten zu wollen.“ Einen kurzen Moment zwinkerte Joanna ihnen zu, dann verschwand sie in der Küche. „Seht euch doch in der Stadt ein wenig um, hier im Haus ist nicht viel los“, rief sie aus der Küche und die Hälfte davon ging im Rauschen des Spülwassers unter. Faith zuckte mit den Schultern. „Wieso nicht? Lasst uns gehen, Milena und Joanna müssen arbeiten und wir sollten sie nicht stören.“ „Ist gut, ich hole nur schnell meine Jacke von oben“, entgegnete Evan, flitzte die Treppe hoch und kam nicht einmal eine Minute später zurück. „Also geht es jetzt in die Stadt?“ „Oder gleich in die Arena.“ Mira und Evan wechselten einen Blick, dann starrten beide Faith an, die nur mit den Schultern zuckte. „Ob ich heute oder morgen gegen Yurika kämpfe, macht keinen Unterschied. Lieber heute als morgen, hm?“ „Wenn du das sagst, Faith…“ Mira schien nicht davon begeistert zu sein, folgte ihrer Freundin aber dennoch hinaus in die Gassen von Schloss Dunkelstein, die sie bald schon zur Arena führten. Kapitel 73: Yurika ------------------ „Faith, meinst du nicht, dass es eventuell, unter gewissen Umständen, möglicherweise überstürzt sein könnte?“ „Nein“, gab die Jungtrainerin trotzig zurück und wippte ungeduldig mit dem Schuh auf dem Parkettboden des Schlosses. Die Arena befand sich in einem Seitenflügel des riesigen Schlosses, aber man musste sich trotzdem wie bei einer normalen Schlossführung anmelden, weil Yurika, die Arenaleiterin, nicht immer anwesend war. „Es ist nicht unvernünftig und gleich müsste Yurika auch schon kommen.“ Mira seufzte und schickte wortlos ein Stoßgebet gen Himmel. „Aber ich bin dann wieder diejenige, die dich aufbauen darf, wenn du verlierst.“ „Ach komm schon!“ Genervt verzog Faith das Gesicht und stöhnte. „Ich werde nicht verlieren, ich habe viel trainiert und Folipurba kann Spukball, da kann nichts schief gehen.“ Evan und Mira tauschten einen Blick aus, der eindeutig sagte, wie wenig sie von Faiths Zuversicht hielten. Evan hatte sich für eine Schlossführung angemeldet und Mira würde ihn begleiten, die beiden warteten nur darauf, dass Faith zu Yurika durchgelassen wurde, was nach ein paar weiteren Minuten des Schweigens dann auch geschah. Gut gelaunt verabschiedete Faith sich von ihren beiden Freunden und folgte einer Schlossangestellten durch die Gänge und prunkvollen Zimmer bis zu einem großen Raum, der früher wohl mal ein Ballsaal gewesen sein musste. Alle wertvollen Gegenstände, Bilder und Vorhänge waren abgenommen wurden, der Raum war leer. „Yurika wird gleich für dich da sein.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung verschwand die Angestellte wieder. Faith streckte sich, trat in die Raummitte und schaute hoch an die Decke. Das mussten mindestens sechs oder sieben Meter sein, auch wenn sie schlecht im Schätzen war. Als hinter ihr eine Tür geöffnet wurde, drehte sie sich um und erblickte eine Frau mit langen, schwarzblauen Haaren und einem Kimono. „Sie sind Yurika?“ Die Arenaleiterin verbeugte sich höflich. „Ja, die bin ich. Du musst dann Faith Loraire sein, meine Assistentin hat mir schon gesagt, dass du auf mich wartest.“ Während Yurika zu Faith ging, plapperte sie munter weiter. „Ich arbeite nebenher am Theater, wir proben gerade ein Stück über eine Geisha. Rate, wer die Hauptrolle spielt.“ Vollkommen von ihrer Verkleidung verzückte drehte Yurika sich einmal im Kreis und machte dann vor Faith halt. „Ich habe auch nicht ewig Zeit, aber ich muss dich kurz einweisen. Wenn du den Zwillingsorden haben möchtest, musst du in einem Doppelkampf gegen mich antreten. Das wäre auch schon alles. Bist du bereit?“ Entschlossen nickte Faith und holte zwei Pokébälle von ihrem Gürtel. „Und wie ich das bin.“ „Alles klar“, flötete Yurika und schien beinahe über den Boden zu schweben, als sie ihre Position einnahm. „Bereit? Ja? Gut. AUF GEHT’S!“ Faith zuckte erschrocken zusammen, als Yurika auf einmal so laut wurde und ihre beiden Pokémon Omot und Traunmagil entließ. Ein Geistpokémon und ein Käferpokémon, da hatte sie ja genau die zwei richtigen Pokémon ausgesucht. „Folipurba und Tauboga, ihr schafft das!“ Ja, Faith war fest davon überzeugt, dass sie gewinnen würde. Tauboga konnte es mit Omot aufnehmen und Folipurbas Spukball war sehr effektiv gegen Traunmagil, es durfte sich nur nicht von einer Käferattacke seitens Omot erwischen lassen. Das war machbar. Sie würde das hinkriegen. Ohne viel Zeit verstreichen zu lassen gab Yurika auch schon ihren ersten Befehl zum Angriff. „Ihr zwei Süßen kriegt das hin! Windstoß und Psystrahl auf Folipurba!“ „Tauboga, du musst den Windstoß ebenfalls mit einem Windstoß abwehren! Folipurba, halte durch! Danach Spukball!“ Die beiden Flugattacken krachten aufeinander und wirbelten Omot und Tauboga wild umher, wobei Tauboga weniger Schaden nahm als Omot. In der Zwischenzeit hielt Folipurba mit zusammengekniffenen Augen den Psychoangriff aus, sprang nach vorne und schleuderte einen kräftigen Spukball auf Traunmagil, welches sofort nach hinten gestoßen wurde und gegen Omot krachte. Der Anfang war definitiv auf Faiths Seite. „Meine Süßen, ist alles okay? Haltet durch!“ Besorgt warf Yurika ihnen einen Blick zu, dann wandte sie sich wieder zu Faith. „Du hast mich eiskalt erwischt, aber jetzt kenne ich deinen Spukball. So einfach wirst du mich nicht besiegen. Omot, noch einmal Windstoß! Traunmagil, hol den Vogel mit einem Donnerblitz vom Himmel! Tja, Faith, du bist nicht die einzige Trainerin mit TMs.“ Machtlos musste Faith zusehen, wie Tauboga von der Elektroattacke hart getroffen wurde. Es hielt sich zwar noch in der Luft, wirkte aber sehr mitgenommen. Der zusätzliche Windstoß wehte es zu Boden, wo es einen Moment regungslos liegen blieb. „Tauboga! Bitte, versuch wieder zu fliegen! Folipurba, du musst es mit deinem Spukball schützen!“ „Foli!“, rief die Pflanzenentwicklung von Evoli und stellte sich breitbeinig vor Tauboga, das einfach nicht mehr hochkommen wollte. Faith sah es ein und zog Tauboga zurück in den Pokéball, sodass Folipurba es nun mit zwei Gegnern zu tun hatte. „Omot, Windstoß! Traunmagil, Psystrahl!“ „Folipurba, schnell einen Spukball!“ Zeitgleich wurden Folipurba und Traunmagil von den Attacken getroffen. Traunmagil taumelte, doch Faiths Pokémon war eindeutig schlechter dran. Die Jungtrainerin biss sich nervös auf die Unterlippe. „Synthese!“ Als sie zusah, wie Folipurba einen Teil seiner Kraft wieder herstellte, fühlte sie sich etwas besser als noch Sekunden zuvor. „Und jetzt ein letzter Spukball auf Traunmagil!“ Folipurba sprang in die Luft und wich dadurch geschickt einem Angriff Omots aus. Noch im Sprung feuerte es den finalen Spukball auf Traunmagil, welches zusammenbrach und von Yurika zurückgezogen werden musste. Es stand eins zu eins und sowohl Omot als auch Folipurba waren schon angeschlagen. „Wir setzen alles auf eine Karte, Omot! Silberhauch!“ „Folipurba, Ruckzuckhieb!“ Es waren Bruchteile einer Sekunde, die dafür sorgten, dass Folipurba mit seiner Attacke schneller zuschlagen konnte als Omot. Beide Pokémon gingen aus ihrer Deckung, sausten aufeinander zu, doch die Motte flog in einem hohen Bogen zu Boden und blieb dort kampfunfähig liegen. Der Sieg war schnell, insgesamt hatte der Kampf kaum drei Minuten gedauert, doch Faith begriff, dass sie gewonnen hatte. Überschwänglich nahm sie ihr Pflanzenpokémon auf den Arm, drückte es an sich und warf es vor Freude in die Luft. „Du bist spitze, Folipurba!“ „Foli, foli!“, stieß es glücklich aus und schmiegte sich anhänglich wie immer an Faiths Beine, nachdem sie es wieder abgesetzt hatte. „Puh, du hast mich ziemlich abgezogen. Glückwunsch.“ Anerkennend nickte Yurika ihr zu, seufzte und reichte ihr den Zwillingsorden. „Du hattest Glück, wenn ich heute bessere Laune gehabt hätte, dann wäre ich die Siegerin. Na wie auch immer, schau dich doch noch ein wenig im Schloss um, ich muss jetzt zurück zum Theater. Adieu, Faith Loraire.“ Tanzend glitt sie aus dem Raum, wobei die langen Haare hinter ihr her wehten. Faith war überglücklich, dass sie mit Folipurba und Tauboga den Sieg hatte holen können. Sie drückte erneut ihr Folipurba, dann zog sie es zurück in den Pokéball und trat hinaus auf den Flur. Wo war sie noch gleich entlanggegangen, als sie hergekommen war? Etwas verwirrt schaute Faith sich um, konnte aber beim besten Willen nicht sagen, welcher Weg der richtige Weg war. Also lief sie ohne sich weiter Gedanken zu machen einfach in eine Richtung. Gerade kam sie an einer alten Ritterrüstung vorbei, da jagte ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie fühlte sich beobachtet, doch als sie sich hektisch umdrehte, war dort niemand. Verwirrt trat sie näher an die Ritterrüstung und kam sich ziemlich dämlich vor, als sie vorsichtig gegen das Blech klopfte. „Hallo?“ Im nächsten Moment schnellten die Arme der Ritterrüstung vor und noch ehe Faith vor Schreck aufschreien konnte, wurde sie nach vorne durch die Wand hinein in die Dunkelheit gezogen. Kapitel 74: Wie kannst du nur ----------------------------- Dunkelheit. Sie umfing Faith mit ihren gierigen Armen und ließ die Jungtrainerin am ganzen Körper wie Espenlaub zittern. Es dauerte einige Sekunden, bis sie merkte, dass sie die Augen fest geschlossen hatte und sich nichts um sie herum tat. Vorsichtig blinzelnd öffnete sie die Augen und sah sich im Halbdunkeln um. Die Ritterrüstung, die sie noch immer umklammert hielt, rührte sie nicht mehr. Alles war still. Totenstill. Zittrig drückte Faith die Arme näher an ihren Körper und entkam so dem Griff der Metallhandschuhe, dann stolperte sie keuchend einen Schritt rückwärts und hatte sogleich kalte Steinwand im Rücken. Noch immer passierte nichts und Faith atmete tief durch. Sie drehte der Ritterrüstung den Rücken zu und tastete vorsichtig mit den Fingern über den kalten Stein, doch was auch immer für ein Mechanismus dafür gesorgt hatte, dass sie hier her gelangt war, er schien sich nicht rückgängig machen zu lassen. Sie war gefangen. Oder war dies einer der alten Geheimgänge, die sie eher aus Büchern kannte? Nachdenklich trat sie zurück zu dem Blechmann und hob eine Schulterplatte ein Stück an. Darunter verbarg sich nichts, jedenfalls kein Mensch. Vielleicht hatte bei ihrem Klopfen gegen das Metall ein Mechanismus reagiert und nun saß sie hier fest. Wenn Eindringlinge durch einen Schock tot umfallen sollten, war sie definitiv kurz davor gewesen. Faith biss sich auf die Unterlippe und tastete sich weiter den Gang entlang. Geheimgänge führten oft zwischen einzelnen Zimmern entlang und hatten versteckte Eingänge, aber irgendwo musste sie zwangsläufig auch wieder nach draußen gelangen. Ihr Herzschlag beruhigte sich von Minute zu Minute, die sie durch das Halbdunkel des Ganges tappte und sich dabei immer wieder Spinnweben und Staubfäden aus dem Gesicht streichen musste. Die wenigen Lichtstrahlen kamen aus winzigen Ritzen weit über ihr. Plötzlich stieß Faith mit der Hand auf ein Stück Holz, das sich dabei ein Stück zur Seite verschob. Sie hielt inne, schob den Riegler weiter zur Seite und zwei winzige Löcher wurden frei. Vorsichtig stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schaute hindurch – im nächsten Moment sog sie schaudernd die Luft ein. Das war der Gang, durch den sie gelaufen war. Jetzt wusste sie auch, warum sie sich so beobachtet gefühlt hatte, man konnte durch die Augen des abgebildeten Herrschers schauen und so die Menschen auf dem Gang beobachten. Aber wenn ihr Gefühl wirklich gestimmt hatte… Dann war sie nicht alleine. Augenblicklich pumpte ihr Herz mehr und mehr Adrenalin durch ihren Körper und nervös ging Faith weiter. Auf einmal fühlte sie sich gar nicht mehr so mutig. Sie liebte Abenteuer, aber der Bunker von Team Dark hatte ihr schon einmal ihre Grenzen aufgezeigt. „Bitte lass mich einfach hier raus…“, murmelte sie leise vor sich hin, bis der Gang sich verbreiterte und ein zweiter Gang dazu stieß. Wundervoll, ein Labyrinth aus Gängen, genau das hatte sie gebraucht. Mit rasendem Herzen ging sie weiter und nach einigen weiteren Minuten stellte sie erleichtert fest, dass der Geheimgang hinter einer Kurve heller erleuchtet wurde. Sie schien sich dem Ende zu nähern. Faiths Schritte wurden schneller, sie riss die Tür am Ende des Ganges auf und erstarrte zu einer Salzsäule, als hinter ihr die Tür ins Schloss fiel. „Nein…“ Für ein paar Sekunden setzte ihr Herzschlag aus, dann machte sie benommene Schritte vorwärts. Links von ihr stapelten sich Käfige an der Wand und die Beschriftung rief alptraumhafte Erinnerungen in ihr hervor. Nummer: Vulpix 0223 Vater-DNA: Vulnona 0003 Mutter-DNA: Vulnona 0009 Geschlüpft: 01. Oktober DNA-Eigenschaften: Ausreichend DNA-Lieferant: Entei Mit Tränen in den Augen las sie die Beschriftung. Immer und immer wieder. Dieses kleine Vulpix war erst heute geschlüpft und Faith spürte, dass es wohl schon zum Forschungsobjekt geworden war. Je länger sie in diesem Raum stand, regungslos wie eine steinerne Statue, desto mehr wurde ihr klar, dass sie machtlos war. Team Dark war zu mächtig. Sie würde es nicht aufhalten können. Doch zurück in den Gang konnte sie auch nicht, sie musste hier durch und einen Ausgang finden. Faith ging weiter, jeder Schritt unendlich mühsam. Ihr fiel das Atmen schwer, weil ihre Brust von den vielen Gefühlen in ihr so zusammengeschnürt wurde. Am Ende des Raums befand sich eine weitere Tür, durch die sie hindurchging. Hier war ein altes Schlafzimmer umfunktioniert worden. Das riesige Herrscherbett mit dem dunkelroten Baldachin war an die Wand geschoben, alle wertvollen Gemälde mit schwarzen Leinentüchern verdeckt. Ein Schreibtisch erstreckte sich durch den halben Raum, auf ihm standen unzählige Computer, die mit noch mehr Kabeln zusammengehalten wurden. Ihr wurde schlecht. Mit dem Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen, durchlief Faith weiter diese Qualen. Auf den Computerraum folgte ein weiterer Raum mit Käfigen, nur dass sich in diesen ein paar wenige Pokémon befanden. Sie wusste, dass sie ihnen nicht helfen konnte, weil es schon viel zu spät war. Dennoch zerriss Faith der Anblick eines halbtoten Schwalbini fast das Herz. Wie konnte man nur so grausam und skrupellos sein? Und was um Himmels Willen wollte Team Dark damit bezwecken? Als sie sich wegdrehte, fiel ihr ein Klemmbrett auf, das auf einem Tisch lag. Sie trat näher heran, schlug wahllos eine Seite auf und begann eine fein säuberlich verfasste Notiz zu lesen. Tag 42 des Experiments. Noch immer sind keine großen Erfolge zu verzeichnen. Langsam gehen uns die Versuchsobjekte aus und die verbliebenen Pokémon produzieren kaum noch verwertbare Nachkommen. Viele sind zu schwach oder überstehen nicht einmal die Initiationsphase. Einbringung von Enteis DNA muss überdacht werden. Ein paar Seiten später fand sie eine weitere Notiz und begriff, dass das Klemmbrett eine Art Tagebuch der Forschungen zu sein schien. Tag 133. Langsam gebe ich es auf. Wie soll es nur weitergehen? Ich beginne an meinen Methoden zu zweifeln, wenn ich sehe, wie viele Pokémon durch meine Hand den Tod finden. Aber es geht nicht anders. Ich bin schon zu weit gekommen, als dass mich diese Rückschläge noch aus der Bahn werfen können. Und noch ein Eintrag, das Datum auf der Seite verriet, dass er von heute war. Tag 465 und es ist endlich vollbracht. Vulpix 0223 ist vielversprechend, es scheint Enteis DNA ohne größere Schäden angenommen zu haben. Ich bin nah dran, das spüre ich. Weitere Tests müssen durchgeführt werden, doch ich bin mir sicher. Bald werde ich das Geheimnis der Legendären entschlüsselt haben. Faith blätterte alle Seiten zurück, trat einen Schritt zur Seite und atmete tief durch. Diese Dinge konnte sie nicht verstehen, aber sie wusste, dass die Legendären einzigartig und mächtig waren, genau das zeichnete sie aus. Plötzlich hörte sie hinter sich schlurfende Schritte und drehte sich um, die Hand schnellte bereits zu einem ihrer Pokébälle, doch sie hielt inne. Zum zweiten Mal schien sie zu einer Salzsäule zu erstarren, doch ihrem Gegenüber ging es nicht anders. Faiths Hand begann zu zittern und das Zittern breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Sie riss die Augen auf, starrte das Mitglied von Team Dark in seiner schwarzen, unverkennbaren Uniform an. Doch viel schlimmer war, dass sie ihren Blick nicht von seinen Augen lassen konnte. Eisblau. Kapitel 75: Herz aus Glas ------------------------- Stille. Faith atmete kaum ein und aus, sie war wie gelähmt, alles in ihr spannte sich an. Die Schmerzen, die ihr das Herz sprengten, rissen sie aus ihrer Lähmung. Mit einem halbgroßen Schritt stand sie vor Itsuki, holte aus und verpasste ihm eine Ohrfeige. Klatsch. Tränen liefen ihr die Wangen herunter und verschleierten ihre Sicht, doch Faith bemerkte es kaum. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken umher, sie konnte nicht glauben, dass ausgerechnet Itsuki in der schwarzen Kluft von Team Dark vor ihr stand. Ausgerechnet Itsuki… „Warum…?“ Er hatte sich keinen Millimeter bewegt, auch hielt er sich nicht die gerötete Wange. Seine eisblauen Augen waren fest auf Faith gerichtet, als könnte sein Blick alleine Felsen zum Bersten bringen. „Lass es mich erklären…“ „Nein…“ Erschrocken riss Faith die Augen auf, wich einen Schritt zurück und bekam auf einem Tisch hinter sich ein Messer zu fassen. Sie umfasste es, spürte nicht einmal den Schmerz, als sie sich mit der Schneide ins eigene Fleisch schnitt. „Scheiße.“ Itsuki fuhr sich durch die weizenblonden Haare, trat hektisch zu ihr und zog ihre Hand nach vorne. Als er das Blut durch die zusammengepressten Finger rinnen sah, wurde er eine Spur blasser im Gesicht. „Gib mir das Messer, Faith.“ „Lass mich los!“, schrie sie, entwand sich seinem Griff und schleuderte das Messer auf den Boden, wo es unter eine Kiste rutschte. „Ich hasse dich! Hörst du? Ich hasse dich!“ Itsuki wich nach hinten zurück, bis gut zweieinhalb Meter zwischen ihnen waren. Beide schwiegen, starrten sich an und die Schuldvorwürfe hingen unausgesprochen wie Dunst in der Luft. Es war der kühle Blonde, der zuerst seine Sprache wiederfand, als er sah, wie Faith sich die blutende Hand hielt. Ruhig ging er an einen kleinen Metallkoffer und zog ein schwarzes Handtuch hervor. „Press das auf die Wunde.“ Er warf es ihr zu. Faith rührte sich nicht und ließ das Handtuch vor sich auf den Boden fallen. Voller Abneigung starrte sie ihn an. „Wie habe ich dir nur vertrauen können! Du bist ein Pokémonmörder! Itsuki, wie kannst du das tun, nach allem, was wir in dem Bunker gesehen haben?“ „Du lässt es mich ja nicht erklären!“ „Da gibt es nichts zu erklären, Mistkerl!“, fauchte die Jungtrainerin aufgebracht, beugte sich vornüber und begann in lautes Schluchzen auszubrechen. Wieso ausgerechnet Itsuki? Sie waren gemeinsam gereist, hatten zusammen gelacht, waren zu Freunden geworden… Als sie seine vorsichtige Berührung am Rücken spürte, zuckte sie zusammen, richtete sich auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Fass mich nicht an! Du gehörst zu ihnen, du bist ein Mitglied von Team Dark.“ Es schmerzte ihn sie loszulassen, dann nickte er langsam und zückte einen Pokéball. „Faith, es tut mir so leid. Du hättest es nie erfahren sollen.“ Itsuki wirkte so ruhig wie immer, während er ein Frosdedje entließ. Sein Schneppke musste sich weiterentwickelt haben. Faith riss die Augen erneut auf und von alleine befreite sich Bibor aus dem Pokéball. Es baute sich schützend vor seiner Trainerin auf und schlug drohend mit den Flügeln. Musste es soweit kommen, dass sie gegen Itsuki kämpfte? „Lass mich gehen, ich will mit alledem nichts zu tun haben.“ Itsuki schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann nicht. Videoüberwachung.“ Wütend zog sie die Luft durch die Zähne ein, wobei ihr ein kalter Schauer von den Zahnwurzeln bis ins Rückenmark schoss. Auch begann der Schmerz ihrer Hand allmählich zu ihrem Verstand durchzudringen, das Adrenalin hatte ganze Arbeit geleistet. „Ich will nicht gegen dich kämpfen, Itsuki. Wir waren mal Freunde.“ „Faith, bitte…“ „Nein!“ Bei ihrem aufgebrachten Schrei schnellte Bibor nach vorne und schoss eine Salve Giftstachel auf Frosdedje ab. Itsukis Starter steckte den Treffer locker weg, konterte jedoch nicht. Faith musste nicht länger darüber nachdenken, sie nutzte den Moment und stieß Itsuki zur Seite. Ihre Schritte waren benommen und mehr als einmal taumelte sie, doch sie fand unbeschadet den Weg zurück zum Geheimgang – Bibor folgte ihr dicht auf den Fersen, hinter Bibor erklangen wiederum Itsukis Schritte. „Faith, bleib stehen!“ „Lass mich in Ruhe!“ Faiths Stimme klang heiser und schrill, sie wurde kein bisschen langsamer. Aufgewühlt pfriemelte sie an ihrem Gürtel, bis sie Bibors Pokéball in den Händen hielt und ihren Partner zurück in den Ball ziehen konnte. In dem dunklen Geheimgang würde Bibor sich nur noch schlechter zurechtfinden als sie. Begleitet von Frosdedjes Unheilböen schloss sich der Geheimgang um sie. Keine einzige Sekunde gönnte sie sich eine Pause, sie rannte weiter und weiter auch wenn sie die eigene Hand vor Augen nicht sehen konnte. Irgendwann wurden Itsukis Schritte leiser und langsamer, sie musste ihn abgehängt haben. Doch noch immer rannte Faith weiter. Sie wusste nicht einmal, wie lange sie schon lief, vermutlich hatte sie den Eingang mit der Ritterrüstung schon längst wieder hinter sich gelassen. Bis der Gang ein Ende hatte, würde sie weiterlaufen. Fort von Itsuki. Fort von dem Tagebuch, das sie gefunden und gelesen hatte. Einfach nur weg… Es waren Sekunden vergangen, die zu Minuten wurden. Minuten zu Stunden. Faith schleifte sich zitternd und verletzt durch den Gang, der sie schon vor langer Zeit eine Steintreppe hinunter in einen Erdgang geführt hatte, der wie ein alter Stollen von Balken gestützt wurde. Glumanda lief neben ihr und klammerte sich ängstlich am Hosenbein seiner Trainerin fest, aber immerhin spendete die Flamme an seiner Schwanzspitze ein wenig Licht in der Dunkelheit. Erschöpft stoppte Faith, schaute nach oben, wo eine gute Armlänge über ihrem Kopf die Decke des Gangs war. Alles um sie herum begann sich zu drehen, als Faith auf die Knie sank und schließlich mit dem Oberkörper ebenfalls auf den Erdboden aufschlug. „Gluma!“ Erschrocken schrie Glumanda auf, lief um Faiths Körper herum und hockte sich besorgt und weinerlich neben ihrem Gesicht auf den Boden. „Glu… Glumanda…“ Faith stöhnte, der Schwindel wurde nur noch stärker und die Schmerzen in ihrer Hand nahmen immer noch weiter zu. Sie hatte nicht gemerkt, wie tief der Schnitt gewesen war, aber ihr Blut hing nun getrocknet an ihrer Kleidung, während bei jeder Bewegung der Hand der Schorf aufriss und erneut die Flüssigkeit hellrot über die Innenseite ihrer Hand quoll. „Mach dir keine Sorgen, Glumanda. Ich muss mich nur einen Moment ausruhen…“ „Glu!“ Das kleine Feuerpokémon kniff Faith in die Wange, woraufhin diese erneut stöhnte und sich ein kleines Stück auf die Seite drehte. „Manda?“ „Komm her…“ Sie streckte die unverletzte Hand nach der Feuerechse aus, zog Glumanda in eine Umarmung und schloss anschließend die Augen. Ihre Gedanken kreisten die ganze Zeit um Itsuki, sie konnte es nicht verkraften, dass ausgerechnet er einer von den Bösen sein sollte. Wie hatte er ihr das nur antun können? Wie hatte ihr erst jetzt bewusst werden können, dass sie ein wenig in ihn verliebt war? Ihr Herz war zerbrechlich, ein Herz aus Glas. Doch Itsuki hatte es zertrümmert, die Scherben schnitten tief in ihre Seele. „Manda, manda!“ „Lass mich schlafen…“ „Glu“, sprach Glumanda gedehnt und zerrte an Faiths türkisfarbenen Haaren. Die Trainerin murrte und öffnete die Augen. Ihre Sicht war verschwommen, sie konnte kaum etwas erkennen, so übel war ihr. „Heiliger Waldwächter, wenn es dich wirklich gibt, lass mich das hier überstehen…“ Dass Glumanda weiter an ihr zog, um sie zum Aufstehen zu bewegen, war ihr kaum mehr bewusst. Faiths Blick fiel auf einen grünen Schatten, der schemenhaft auf sie zukam und sich über sie beugte. Dann verlor Faith das Bewusstsein. Kapitel 76: 300 Kommentare Special: Joel ---------------------------------------- Der Sonnenuntergang war der schönste Moment des Tages. Wenn Joel Light an seinem Fenster saß, die Arme auf der breiten Fensterbank aus Marmor ablegte und sah, wie die Sonne dunkelrot leuchtend hinter dem weiten Meer verschwand, dann konnte er für ein paar kostbare Minuten alles um sich herum vergessen. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem seine Zwillingsschwester die Tür des Spielzimmers aufschlug und ihn finster anstarrte. Trixis braune Haare waren zu Korkenzieherlocken aufgedreht und sie trug ein dunkelrotes Rüschenkleid. „Ich suche dich schon seit mindestens einer Million Minuten.“ Joel verzog die Lippen zu einem schmalen Strich, stieß sich von der Fensterbank ab und strich sich den schwarzen Anzug glatt. „Geh weg.“ Prüfend hob Trixi eine Augenbraue an. „Vater hat gesagt, dass du niemals Pokémontrainer werden darfst, wenn du nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten im Esszimmer erscheinst. Das war übrigens schon vor zehn Minuten.“ Seine Fäuste bebten, als er mit steifen Schritten an seiner Schwester vorbeiging und ihr dabei einen Stoß mit dem Ellbogen in den Rippenbogen versetzte, woraufhin sie zischend einen Fluch ausstieß. Dicht gefolgt von Trixi lief er die Treppenstufen der breiten Marmortreppe entlang ins Erdgeschoss, wo sich in einem der beiden Seitenflügel des Anwesens das große Esszimmer mit dem Mahagonitisch befand. Vorsichtig klopfte Joel an und öffnete dann die Tür. „Joel Oliviér, wo bist du gewesen?“, donnerte augenblicklich die Stimme seines Vaters. Der Angesprochene schluckte schwer, senkte den Blick und trat ganz in das Esszimmer ein, wo seine Eltern und die Eltern seines Vaters bereits am Esstisch saßen und die Vorspeise unterbrochen hatten. Wie ein reumütiger Hund trat Joel an den Tisch neben seinen Stuhl und fand erst nach einigen Momenten seine Sprache wieder. „Verzeih mir, Vater. Ich habe die Zeit aus den Augen verloren, es wird nicht wieder vorkommen.“ „Das will ich auch meinen“, schnaubte der Bankmanager und nippte an dem mit Portwein gefüllten Kristallglas. „Setz dich und iss.“ „Sehr wohl, Vater.“ Ohne ein Murren nahm Joel Platz und warf nur hin und wieder einen verstohlenen Blick zu Trixi, die ihm gegenüber saß und ebenso wie er schon im zarten Alter von zwei Jahren sämtliche Tischmanieren beherrscht hatte. Joel hasste Kaviar, dennoch aß er die schwarzen Fischeier ohne Protest zusammen mit dem frischen Baguette als Vorspeise, während er dem Gespräch seiner Eltern und Großeltern lauschte. „Hast du mit dem Vorsitzenden des Auswahlkomitees gesprochen, Sohn?“ Die Stimme des Großvaters war ebenso herrisch wie die von Joels Vater, auch äußerlich schienen die beiden sich bis aufs Haar zu gleichen, nur dass der eine die jüngere Version des anderen war. Joels Vater lächelte leicht und winkte den Koch heran, damit der Hauptgang serviert wurde – es gab Trüffelnudeln mit Preiselbeersoße und edlen Fleischmedaillons. „Natürlich habe ich das. Sobald Joels Grundausbildung in der Schule beendet ist, wird er nahtlos an die Finanzakademie anschließen.“ „Das sind gute Neuigkeiten.“ Der Großvater nickte zufrieden und bedachte Joel mit einem nachdenklichen Blick. „Als ich hörte, dass mein Enkel solche Flausen im Kopf hat, bereitete es mir doch ziemliche Sorgen. Pokémontrainer, das ist kein Beruf für einen Light. Wir sind seit jeher ein starkes Familiengeschlecht, die angesehensten Anwälte und Bankiers sind aus unserem Blut hervorgegangen. Nicht wahr, Joel?“ Mit zerknirschter Miene zwang Joel sich zu einem Nicken und einem ausdruckslosen Blick. „Natürlich, Großvater.“ Als endlich das Essen kam, widmete sich der Zehnjährige gedankenversunken den Nudeln. Es war so unfair, dass sein Vater über seine Zukunft bestimmte. Zwar sagte seine Mutter immer, dass er das tun sollte, was ihm am meisten am Herzen lag, doch wenn er ihr zu erklären versuchte, dass genau das ein Dasein als Pokémontrainer war, wurde sie sauer. Dabei war sie selbst nach der Hochzeit noch eine berühmte Koordinatorin gewesen – damals kannte jeder den Namen Susan Light – und Trixi wurde es auch erlaubt. Joel hasste seinen Vater und seine Großeltern für das, was sie ihm antaten. Er würde ihnen schon noch zeigen, was in ihm steckte. Wütend schlug er auf das Kissen ein und weinte. „Das ist so ungerecht, ich hasse sie alle!“ Tröstend legte Trixi ihre Arme um die Schultern ihres Bruders und seufzte. „Ich weiß, Bruderherz, ich weiß. Aber du musst dich zusammenreißen, deine Wut bringt dir nichts. Tu einfach das, was Vater von dir erwartet.“ „Du hast gut reden!“ Aufgebracht schlug er Trixis Arme fort und ließ sich auf sein Bett fallen. „Dir erlauben sie es Koordinatorin zu werden, wenn wir mit der Schule fertig sind. Aber ich darf nicht über meine Zukunft bestimmen, sie schreiben es mir vor bei der Bank zu arbeiten.“ „Das machen sie, weil sie das Beste für dich wollen.“ Etwas genervt begann Trixi damit ihre Locken um den Zeigefinger zu wickeln. „Du bist gut in Mathe und du bist ein Light, seit fünfzehn Generationen sind die männlichen Mitglieder unserer Familie Rechtsanwälte oder Bankiers, du trittst ein großes Erbe an.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, zum Glück konnte Trixi das nicht sehen. „Verschwinde einfach aus meinem Zimmer, okay? Ich will nicht mit dir darüber reden, du verstehst mich nicht. Niemand tut das.“ „Pah!“ Empört funkelte Trixi ihren Zwillingsbruder an, kehrte ihm augenblicklich den Rücken zu und stapfte zur Tür. „Dann heul wieder die ganze Nacht, mir ist das egal.“ Mit diesen Worten ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Stöhnend drehte Joel sich auf den Rücken. Er wusste, dass sein Vater dachte ihm damit etwas Gutes zu tun. Natürlich war so ein Job bei der Bank unglaublich verlockend, Joel würde finanziell immer abgesichert sein, konnte sich viele Reisen leisten und das Familienerbe fortführen. Er hatte ja nicht einmal etwas gegen diesen Job, es störte ihn nur, dass man alles über seinen Kopf hinweg entschied. Sein Vater behandelte ihn wie ein kleines Kind, dabei war er doch schon zehn Jahre alt! Es war schlichtweg ungerecht und das nagte wie eine schwere Krankheit an ihm. Doch im nächsten Moment durchzuckte ihn eine Idee wie ein Blitz. Joel setzte sich kerzengerade auf, sprang vom Bett und rannte in seinen begehbaren Kleiderschrank, wo er den großen Reisekoffer aufbewahrte. Wahllos stopfte er Kleidungsstücke und eine Zahnbürste ins Innere, dazu noch eine Packung Kaugummi und ein paar Hustenbonbons. Nur wenige Minuten später streifte er den dünnen Mantel über seinen Anzug, umfasste entschlossen den Griff des Koffers und schlich sich aus dem Haus. Sollten seine Eltern doch sehen, wie sie mit seinem Verschwinden klarkamen, für Joel stand nur eins fest: Er würde Pokémonchampion werden, auch wenn er dafür von Zuhause fortlaufen musste. Als sein Blick in den Nachthimmel fiel, sah er eine schwarze Silhouette Richtung Mond fliegen. Seine Augen folgten dem Pokémon, das er mit großen Augen anstarrte. War das ein Zeichen? Das Pokémon verlangsamte sein Tempo und blieb stehen. Scheinbar unendlich langsam drehte es sich zu Joel um, bis in seinen Augen so etwas wie Akzeptanz aufblitzte, dann setzte es seinen Weg fort. Joel zögerte nicht länger, er ließ den Griff des Koffers los und folgte Darkrai rennend in die Dunkelheit der Nacht. Kapitel 77: Der Tempel des Waldwächters --------------------------------------- Regen prasselte gegen die Fensterscheibe – nur ganz leise, aber dennoch wie ein ohrenbetäubendes Drücken in Faiths Kopf. Im nächsten Moment durchzuckte ein stechender Schmerz ihre Hand und sie krümmte sich stöhnend unter der weichen Bettdecke. Es dauerte keine zwei Sekunden, da kamen hektische Schritte näher, bis jemand sanft ihre Schulter berührte. „Liebes, bist du wach? Mach die Augen auf.“ Faith blinzelte, gab dem Druck an ihrer Schulter nach und rollte sich zurück auf den Rücken. Ihre Sicht war ein wenig verschwommen, aber als sie einigermaßen klar sehen konnte, blickte sie in ein freundliches Gesicht mit einem warmen Lächeln. „Guten… Morgen?“ „Abend, Liebes. Es ist Abend.“ Die alte Dame lächelte noch breiter, offensichtlich war sie sehr froh darüber, dass Faith wieder bei Bewusstsein war. Als im Hintergrund das Pfeifen eines Wasserkessels ertönte, schaute die Frau auf und streichelte beruhigend Faiths Arm. „Ich bringe dir einen Tee.“ Eine Minute später kehrte die Frau zurück, die Ärmel ihres bunten Kimonos wehten hinter ihr her, ebenso wie die kurzen, grauen Haare. „Bitte, trink. Das wird dir guttun. Du musst jetzt viel trinken und essen.“ „Ich habe keinen Hunger“, erwiderte Faith und setzte sich auf, wobei die Kopfschmerzen schlimmer wurden und sie Übelkeit wie eine Lawine anrollen spürte. Bevor sie das erste Mal an der Teetasse nippte, blickte sie sich neugierig in dem Zimmer um. Es war klein, quadratisch und viel mehr als ihr Bett, ein Sofa, ein Schrank und ein Regal hatten darin keinen Platz. „Wo bin ich hier? Im Krankenhaus?“ „Oh nein, Liebes. Nicht im Krankenhaus. Kannst du dich nicht daran erinnern, wie du hergekommen bist?“ „Nein“, log Faith, was zumindest die halbe Wahrheit beinhaltete. Natürlich erinnerte sie sich an Itsukis schmerzlichen Verrat, aber nachdem sie in dem unterirdischen Geheimgang zusammengebrochen war, zeigte ihr inneres Auge lediglich einen schwarzen Bildschirm. „Ich bin in dem Tunnel ohnmächtig geworden.“ Besorgt streichelte die Frau ihren Unterarm. „Der Waldwächter hat mich zu dir geführt. Es ist schon viele Jahre her, seit ich Celebi das letzte Mal gesehen habe, doch als es vor dem Tempel erschienen ist, wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich folgte ihm und es führte mich direkt zu dir. Gemeinsam haben wir dich dann hier her gebracht, aber du hast die meiste Zeit geschlafen und bist nur selten für ein paar Minuten aufgewacht. Meistens hast du dann verwirrendes Zeug geredet von Team Dark und einem Itsuki. Ich bin froh, dass du wenigstens ein paar Schlucke getrunken hast, ehe du wieder das Bewusstsein verloren hast. Wie fühlst du dich jetzt?“ Faith verdaute erst einmal diese Informationen, dann stellte sie seufzend die Tasse neben ihrem Bett ab und schaute auf den dicken Verband um ihre verletzte Hand. „Mir ist etwas schlecht und ich habe Kopfschmerzen. Und die Hand tut ziemlich weh.“ Die alte Dame nickte mitfühlend. „Du hast Gewicht verloren und musst jetzt viel essen und trinken. Ich werde dir noch einen Tee machen und eine Suppe. Nach vier Tagen Schlaf braucht dein Körper das.“ „Vier Tage!“ Erschrocken riss Faith die Augen auf. „Meine Freunde werden sich schreckliche Sorgen um mich machen!“ „Ja, Liebes. Heute Nachmittag war meine Enkelin bei mir. Yurika ist Arenaleiterin, sie kannte dich und hat versprochen, dass sie deine Freunde informieren wird. Das Mädchen und deine beiden Begleiter müssen außer sich vor Sorge gewesen sein.“ „Moment, wie meinen Sie das? Meine beiden Begleiter? Ich reise nur mit Mira und Evan.“ Einen Moment legte die Frau den Kopf schief und dachte nach. „Ich glaube, Yurika hat seinen Namen erwähnt. Er hat den Orden erkämpft und dann von deinem Verschwinden erfahren, daraufhin ist er kopflos durch das ganze Schloss gelaufen, bis Yurika ihn beruhigen konnte… Joel, das war sein Name, da bin ich mir sicher. Genau, Joel. Und jetzt entspann dich, ich mache dir die Suppe.“ Während ihre Gastgeberin das Zimmer verließ, starrte Faith ins Leere. Joel machte sich solche Sorgen um sie? Das hatte sie doch gar nicht verdient, sie waren Rivalen. Ihr Blick fiel auf das kupferfarbene Armband mit dem Herzanhänger und sie musste seufzen. Derweil erklang aus dem Nebenraum, der Küche, das Geklapper von Geschirr und das Sprudeln von Wasser aus dem Wasserhahn. „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Yolinda.“ Dann fuhr die alte Dame mit dem Kochen der Suppe fort. Vollkommen gesättigt stelle Faith den fünften Teller Nudelsuppe ab und streckte sich. „Mein Magen platzt gleich, fürchte ich. Es hat köstlich geschmeckt, Yolinda.“ Diese lächelte zufrieden und räumte den Tisch ab. „Das freut mich. Yurika ist auch ganz verrückt nach meiner Nudelsuppe. Ich denke, du solltest dich jetzt etwas hinlegen und schlafen, morgen früh bringe ich dich dann zurück in die Stadt.“ „Vielen Dank für alles.“ „Oh, bedank dich nicht bei mir, das ist selbstverständlich. Vielleicht wäre es angebracht, wenn du ein Räucherstäbchen im Schrein entzündest? Celebi hat dich gerettet, nicht ich.“ Faith nickte und stand auf. Yolinda hatte sich in den letzten Tagen nicht nur um sie, sondern auch um ihre Pokémon gekümmert, die nun alle in ihren Pokébällen ruhten. Aber Yolinda war keine Ärztin, Faiths Hand schmerzte noch immer und war höchstwahrscheinlich etwas entzündet. Als sie ihre Schuhe angezogen hatte, streifte sie sich ihre Jacke über und trat hinaus auf die überdachte Veranda, die vom Schrein zum Tempelgebäude führte, in dem Yolinda lebte. Gerade hatte sie ein paar Schritte gemacht, als sie dort draußen in der Dunkelheit schnelle Schritte in Pfützen laufen hörte. Verwirrt drehte Faith sich zu der Steintreppe am Eingang des Tempels um und ihre Augen wurden groß, als sie einen vollkommen durchnässten Joel rennen sah. „Jo-“ Weiter kam sie nicht, denn Joel hatte die letzten Stufen mit großen Schritten überwunden und zog sie sofort in eine enge Umarmung. Er keuchte vom vielen Laufen und die braunen Haare hingen in dunklen, nassen Strähnen in sein Gesicht. „Du bist so ein entsetzlicher Dummkopf“, murmelte er und zog ihren Kopf an seine feuchte Regenjacke. Mit geschlossenen Augen standen sie da und der Regen prasselte auf das Dach der Veranda. Nach einer Weile öffnete Faith seufzend die Augen. „Wegen dir erkälte ich mich noch, das Wasser von deinen Haaren läuft in meinen Kragen.“ Joel knurrte leise, umfasste ihr Gesicht mit seinen Händen und blickte ihr fest in die Augen. „Du legst es darauf an, solche Momente zu zerstören, nicht wahr?“ Herausfordernd zog Faith eine Augenbraue nach oben, wehrte sich jedoch nicht gegen seinen Griff. „Schon möglich?“ Lächelnd zog Joel ihr Gesicht an seins, bis er seine Stirn gegen ihre legen konnte und die Augen schloss, was Faith ihm nachtat. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, deshalb bin ich sofort losgelaufen.“ „Dumm, du hättest dich im Wald verlaufen können.“ „Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit, schon lange nicht mehr.“ „Ach, läufst du dann für jeden stundenlang durch die Finsternis?“ „Nein.“ Langsam öffnete er wieder seine Augen und strich ihr eine feuchte Haarsträhne hinter das Ohr. „Nur für dich.“ Auf Faiths Lippen bildete sich ein glückliches Lächeln, dann schlang sie die Arme um seinen Nacken. „Ich bin froh, dass du da bist.“ Während die beiden so in ihrer Umarmung auf der Veranda standen, erhob sich Celebi fröhlich lächelnd von dem Tempelschrein in die Luft empor und flog zufrieden davon. Kapitel 78: Zuhause ------------------- Schweigend saßen Joel und Faith am Frühstückstisch, wobei sie darauf achteten möglichst viel Abstand zwischen sich zu bringen. Faith saß an dem einen Kopfende und Joel am anderen, sie sprachen nur miteinander, wenn die Butter oder der Käse rüber gereicht werden musste. Es war eine komische Situation, nach dem letzten Abend wussten beide nicht, wie sie sich verhalten sollten. Faith hatte das Gefühl, dass sie Joel irgendwie verletzt oder enttäuscht hatte, aber sie wusste nicht wie oder warum. Amüsiert blickte Yolinda zwischen den beiden hin und her. „Ihr zwei seid wirklich offene Bücher. Schreit es doch gleich zur ganzen Welt hinaus.“ Verwirrt blinzelnd blickte Faith von ihrem Brötchen, das sie kaum angerührt hatte, auf. „Wie meinen Sie das?“ Yolinda lachte auf, schüttelte grinsend den Kopf und begann ihr Geschirr abzuräumen. „Ihr zwei seid ineinander verliebt, das sieht selbst ein Blinder mit Krückstock. Nun, zumindest ist dieser junge Mann offensichtlich in die verliebt und du merkst es nicht, meine Liebe.“ Faith wollte gerade protestieren, als Joels Tasse klirrend auf den Boden fiel und in Scherben zerbrach. Er funkelte sowohl Yolinda als auch Faith wütend an, stand wortlos auf und sammelte die Scherben ein, damit er sie in den Mülleimer werfen konnte. Zu seinem Glück hatte er seinen Tee bereits ausgetrunken und sich nur an die Tasse geklammert wie an einen Rettungsring. „Ich gehe mir etwas die Beine vertreten“, gab Joel murrend von sich und verließ die Küche. Keine Minute später hörte man, wie die Haustür ins Schloss fiel. „Was ist denn mit dem los“, brummte Faith und aß schnell das Brötchen auf, auch wenn sie keinen Hunger mehr hatte. Yolindas Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, zumal Joel absolut untypisch reagiert hatte. Wenn Yolinda Recht hatte, bedeutete das, dass… Joel tatsächlich tiefere Gefühle für sie hegte? Nein, das konnte nicht sein, sie waren doch Rivalen. Ja, genau, sie waren die größten Konkurrenten, Yolinda musste sich irren. „Ich sehe mal nach ihm.“ „Ich würde ihn in Ruhe lassen, Liebes.“ „Nein, sonst stellt er noch etwas an oder fängt an zu trainieren.“ Mit einem schmalen Lächeln folgte Faith ihm nach draußen, doch sie entdeckte ihn erst einige Minuten später an einem Brunnen hinter dem Tempel. Joel lehnte an dem Brunnen, fuhr sich durch die Haare und schaute auf, als Faith zu ihm trat. „Du bist der unselbstständigste Mensch, den ich kenne. Musst du an mir kleben wie eine Motte an der Straßenlaterne? Faith, verzieh dich.“ „Idiot“, murmelte sie und ihre Miene verfinsterte sich sofort, dennoch blieb sie beharrlich vor ihm stehen und wich keinen Millimeter zurück. „Dein Verhalten gerade war extrem unhöflich, du hättest dich wenigstens bei Yolinda entschuldigen können.“ „Ach lass mich einfach in Ruhe.“ „Joel…“ „Nein, nichts da ‚Joel‘!“ Fauchend lief er an ihr vorbei, blieb stehen, kehrte um und kam zurück. „Denkst du wirklich, dass alle Welt deine Hilfe braucht, Faith Loraire? Du siehst doch, wohin das führt. Wieso musst du dich ständig in die Sachen anderer Leute einmischen, hm? Das ist dumm, naiv und kindisch. Die Welt dreht sich nicht nur um dich und deinen Hilfszwang, bei Team Dark haben wir doch alle gesehen, wohin das geführt hat. Jetzt schon wieder. Gott, Faith, lass mich einfach in Ruhe, okay?“ Sprachlos starrte sie ihn an. Sie wollte ihm irgendetwas Gemeines an den Kopf werfen, ihn irgendwie mit ihren Worten verletzen, aber ihr fiel einfach nichts ein. Stattdessen verengte sie die Augen, doch da drückte er ihr auch schon einen Pokéball in die Hand. „Was soll ich damit“, fragte sie etwas ungehalten und drückte auf den Knopf, woraufhin sich ein Glurak materialisierte. Sichtlich beeindruckt schaute sie zu dem mächtigen Feuerpokémon, da vergaß sie sogar, dass sie eigentlich wütend sein wollte. „Joel, was soll ich damit?“ „Beim Arenakampf hat sich Glutexo zu Glurak entwickelt. Ich möchte, dass du es nimmst und nach Hause fliegst.“ „Was?“ „Du kommst doch aus Litusiaville, das ist ohnehin die Stadt mit der nächsten Arena. Deine Hand muss medizinisch versorgt werden und bis Team Dark in Schloss Dunkelstein gefunden ist, bist du in Gefahr. Bitte, flieg auf Gluraks Rücken zurück nach Hause.“ Faith schaute ihn an, nur langsam guckte sie wieder freundlicher, aber dann lächelte sie ehrlich und nickte. „Danke, Joel.“ Er nickte ebenfalls leicht und klopfte seinem treuen Freund Glurak auf die Flanke. „Es wird dich tragen können, aber du solltest spätestens jede Stunde eine Pause einlegen. Ihr müsst von hier aus die ganze Zeit nur südwestlich fliegen, dann solltet ihr noch heute Abend am Meer ankommen. Gönn Glurak die Nacht über Ruhe und dann fliegt es am nächsten Tag zurück nach Schloss Dunkelstein.“ Das Feuerpokémon klopfte sich zuversichtlich auf die Brust und nahm Faith anschließend in einen liebevollen Schwitzkasten. „Rak!“ „Ja, freut mich auch, Glurak.“ Hustend befreite sich die Jungtrainerin aus Gluraks Griff. „Also schön, ich werde dein Angebot annehmen. Aber wieso tust du das? Willst du im Gegenzug, dass ich dir in der Liga den Vortritt lasse?“ „Dummchen“, erwiderte Joel und schüttelte pikiert den Kopf. „Natürlich will ich das nicht. Ich werde dich auch ohne Absprachen und Tricks besiegen.“ „Nein, wirst du nicht.“ „Doch, werde ich, ich bin viel talentierter als du, akzeptier es einfach“, sprach er mit hochgezogenen Augenbrauen, doch ging er nicht weiter auf das Thema ein, sonst würden sie noch in drei Tagen hier stehen und argumentieren. Yolinda räusperte sich und erst da bemerkten die beiden, dass die alte Dame zu ihnen nach draußen gekommen war. „Ich habe euer Gespräch mitbekommen und dir gleich eine Lunchbox fertig gemacht, Liebes. Die Kauriegel sind für Glurak, damit bekommt es viel Energie für den Flug.“ „Vielen Dank, Yolinda.“ Faith umarmte die alte Frau, dann nahm sie die Box, die in ein Tuch eingewickelt war. „Danke für alles. Ich denke, ich sollte dann jetzt auch aufbrechen.“ „Ich wünsche dir einen guten Flug, Liebes. Komm gut nach Hause.“ Sie lächelte mild, trat einen Schritt zur Seite und stupste Joel an. Dieser fuhr sich durch die Haare, dann nickte er Glurak und Faith zu. „Pass gut auf sie auf, Glurak.“ „Glu! Rak, rak!“ „Und du pass auch auf dich auf, Faith. In einer Weile sehen wir uns wieder, ruh dich bis dahin aus.“ „Das würde dir wohl so passen, ich trainiere natürlich, du Holzkopf.“ Faith grinste, stieg dann auf Gluraks Rücken und positionierte sich so, dass sie sich mit Beinen und Händen an Glurak festhalten konnte. Sie war noch nie auf so einem Pokémon geflogen, daher klopfte ihr Herz vor Aufregung. Das Tuch mit der Lunchbox hatte sie an ihre Jeans gebunden. „Danke für das Ausleihen von Glurak, Joel. Dafür hast du was gut bei mir. Sag Mira und Evan, dass ich in Litusiaville auf sie warten werde.“ „Mach ich.“ Er winkte ihr ebenso wie Yolinda zu, als Glurak sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft erhob und noch eine Runde über dem Tempelgelände drehte. „Und denk dran mir meinen Rucksack mitzubringen!“, rief sie nach unten zu Joel, der überrascht die Augen aufriss und scheinbar etwas erwiderte, was sie nicht verstehen konnte. Faith hielt den Atem an, als der Tempel immer kleiner wurde und Glurak sich in südwestliche Richtung orientierte. „Aber bitte flieg vorsichtig, damit ich nicht runterfalle oder mir schlecht wird, ja?“ Sie konnte das Grinsen des Pokémon sehen, doch Glurak benahm sich und verfiel schon bald in einen ruhigen Flug etwa vierzig Meter über dem Boden. Die Bäume des Finsterwalds rauschten wie eine dunkelgrüne Masse unter ihnen vorbei. Faith genoss den Flug, aber sie nahm die Hände nicht einmal von Gluraks Hals, weil sie Angst hatte dann das Gleichgewicht zu verlieren und runterzufallen. Auch presste sie die ganze Zeit ihre Beine gegen Gluraks Flanken, das würde einen höllischen Muskelkater geben, da war sie sich absolut sicher. Der Flugwind peitschte in ihr Gesicht, sobald sie sich etwas gerader hinsetzen wollte, daher musste sie die ganze Zeit gebeugt auf dem Rücken des Feuerpokémon verharren – bequem war es nicht gerade, aber man konnte sich daran gewöhnen. Die Zeit verging wortwörtlich wie im Flug, schon bald war die erste Stunde rum und sie machten auf einer kleinen Lichtung eine Pause. Glurak war zwar kräftig, aber sechzig Kilo Fracht auf dem Rücken waren eben doch nicht mal eben so zu stemmen. Faith gab Glurak bei jeder Pause einen der Energieriegel und jedes Mal musste sich Glurak etwa eine Stunde lang erholen. Auf diese Weise dauerte es bis zur Abenddämmerung, als das Meer in Sicht kam. „Siehst du die Lichter dort am Meer? Das ist Litusiaville, wir sind fast da!“ Freudig blickte Faith auf ihre Heimatstadt, die langsam in Sicht kam. Direkt unter ihnen lag das Dorf Kelka mit seinen vielen Bauernhöfen und der kleinen Wettbewerbshalle. Glurak hatte seine Flughöhe wegen der Meereswinde auf mehr als das Doppelte vergrößert, daher dauerte der Landeanflug auch etwas länger, denn Faith wollte in einem sanften Sinkflug landen und nicht mit einem Sturzflug. Als Glurak am Strand eine Bilderbuchlandung hinlegte, sprang Faith vom Rücken des Pokémon und atmete die salzige Meeresluft ein. Sofort kam ein Gefühl von Zuhause auf, sie brauchte das Meer einfach und vermisste es jeden Tag, wenn sie nicht hier war. „Komm mit, ich wohne nicht weit von hier.“ Sie grinste, als einige Spaziergänger sie und Glurak interessiert musterten. Faith steuerte direkt das Restaurant ihrer Eltern an, öffnete die Haustür und strahlte ihre Mutter an, die gerade das Abendessen für ihren Ehemann und sich vorbereitete. „Mom, ich bin wieder hier!“ „Faith!“ Überrascht schaute ihre Mutter sie an und umarmte sie sofort. „Das freut mich, Schatz. Wie kommt es, dass du hier bist? Ist das dein Glurak?“ „Was? Oh, nein, ist es leider nicht.“ Faith grinste und zog Glurak dankbar in den Pokéball, den Joel ihr gegeben hatte. „Das ist eine lange Geschichte. Sie fängt mit meinem Arenakampf in Schloss Dunkelstein an und endet mit einem Jungen, der nicht zugeben kann, dass ich die bessere Pokémontrainerin bin.“ Lachend setzte sie sich zu ihrer Mutter an den Küchentisch und begann die Erlebnisse der vergangenen Zeit zu erzählen. Kapitel 79: Trautes Heim, Glück allein -------------------------------------- Der Oktober ging vorüber und Faith verbrachte die Wochen alleine ohne ihre Reisebegleiter. Als sie mit Joels Glurak von dem Tempel des Waldwächters fortgeflogen war, war es bereits Anfang Oktober gewesen, aber die folgenden Wochen des Monats brachten ihr nicht Mira, Evan, Joel oder Trixi zurück. Mira hatte ihr eine Karte aus Schloss Dunkelstein mit Genesungswünschen geschickt und darauf vermerkt, dass sie und Evan an dem Wettbewerb dort teilnehmen würden, dann gemächlich weiterreisen wollten und schließlich auch in Kelka um das Band kämpfen wollten. Das bedeutete für Faith, dass auch Trixi diesen Weg ging, dementsprechend ebenfalls Joel. Kurzum verbrachte sie den ganzen restlichen Oktober alleine. Mittlerweile war es Anfang November und Lauri war das Wochenende über bei ihren Eltern zu Besuch. Faith freute sich jedes Mal, wenn sie ihr Kindheitsidol aus der Nachbarschaft wiedersehen konnte, deshalb war sie früh aufgestanden, hatte sich fertig gemacht und lief dann in die Nachbarstraße zum Café Miyahara, das von Lauris Eltern betrieben wurde. Das Café war klein, gemütlich und überall standen Korbstühle um runde Tische, auf denen rosa Tischdecken lagen. Als sie eintrat, klingelte ein kleines Glöckchen über der Tür und Lauri schaute von einem Buch über Pharmazie auf. „Faith, guten Morgen.“ Lächeln klappte Lauri das Buch zu, erhob sich von dem Stuhl und umarmte die Jüngere. „Das ist aber eine Überraschung. Ich wusste gar nicht, dass du momentan hier in Litusiaville bist.“ „Ist eine lange Geschichte.“ Faith erwiderte die Umarmung, dann setzten die beiden Mädchen sich gemeinsam an einen der kleinen Tische. „Vor knapp vier Wochen hatte ich ein paar Schwierigkeiten und dabei ist meine Hand verletzt worden. Seit dem bin ich hier und warte darauf, dass meine Reisebegleiter endlich in der Stadt ankommen. Allmählich ist das Trainieren langweilig, weil ich keinen Gegner habe.“ „Wir könnten doch trainieren“, schlug Lauri sofort hilfsbereit vor, doch Faith winkte grinsend ab. „Damit du mein armes Bibor mit deinem Dragoran fertig machen kannst? Nein, lass mal. Du hast mit deinem Team immerhin schon den damaligen Champ besiegt.“ „Das ist acht Jahre her, Faith! Ich bin eingerostet was das Kämpfen angeht.“ „Danke, aber nein danke“, antwortete Faith ihr und schnitt eine Grimasse. „Erzähl mir lieber etwas von deinem Studium. Wann bist du fertig?“ Seufzend warf Lauri einen Blick auf das Buch. „Leider dauert das noch eine Weile. Pharmazie ist ein langes Studium, außerdem muss ich viel für die guten Noten lernen. Aber ich mag die Arbeit und freue mich schon darauf, nächsten Monat mache ich ein Praktikum bei einem Betrieb in Sinnoh.“ „Wow, das ist echt cool.“ In diesem Moment trat Lauris Mutter aus der Küche, schaute überrascht zu den beiden Mädchen und lachte dann in sich hinein. „Lauri und Faith, die beiden Champions vereint beim Kaffeeklatsch. Soll ich euch eine heiße Schokolade bringen?“ Fragend schaute Lauri zu Faith, die nickte, woraufhin auch Lauri nickte. „Danke, das ist lieb von dir.“ Die beiden Mädchen plauderten weiter über Lauris Studium, tranken anschließend ihre heiße Schokolade und dann musste Faith sich verabschieden, weil Lauri sich später noch mit einer alten Freundin treffen wollte. Gegen Mittag lag Faith auf ihrem Bett und drehte den Seelentau in ihrer Hand. Sie wusste nicht mehr, ob ihre Erinnerungen an damals noch richtig waren, aber sie meinte, dass ihr Latias damals den Seelentau geschenkt hatte. Ihre Eltern behaupteten in einer stoischen Ruhe, dass Faith sich das einbildete und als Kind am Strand eingeschlafen war, doch Faith hatte das Bild der Flut noch vor Augen. An manchen Tagen schimmerte der Seelentau lila, doch heute wirkte er wie ein gewöhnlicher Stein. Seufzend legte sie ihn zurück auf das Regalbrett über ihrem Bett und stand auf. Just in diesem Moment klopfte ihr Vater an und reichte Faith eine Postkarte, auf der sie sofort Miras saubere und enge Handschrift erkennen konnte. „Ich denke, die Karte ist für dich. Wenn du hunger hast, nimm dir etwas Salat aus der Küche, deine Mutter und ich haben gerade alle Hände voll zu tun mit den Gästen.“ „Kein Problem, werde ich machen.“ Sie wartete, bis ihr Vater das Zimmer verlassen hatte, dann las sie sofort Miras Karte. Liebe Faith, ich weiß, dass ich mich schon seit Wochen nicht mehr gemeldet habe, das tut mir total leid. Evan und ich waren mit den Vorbereitungen für die beiden Wettbewerbe so beschäftigt, dass wir jeden Abend hundemüde ins Bett gefallen sind. Leider konnte keiner von uns in Schloss Dunkelstein den Sieg holen, Trixi ist dort sogar schon in der Vorrunde ausgeschieden. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, für sie muss eine Welt zusammengebrochen sein. Joel hat sie damit tagelang aufgezogen, bis sie ihn im Thermalbad fast eine halbe Minute unter Wasser gedrückt hat. Danach war er zahm wie ein Kätzchen. Jedenfalls sind wir momentan alle vier in Kelka. Evan hat das Band ja schon, deshalb werden nur Trixi und ich antreten. Wenn du die Karte bekommst, ist der Wettbewerb schon vorbei, wir wollten alle vier auf direktem Weg zu dir kommen. Irgendwann am Samstag werden wir ankommen. Liebste Grüße, deine Mira Faith verarbeitete die Informationen, dann sog sie die Luft ein und sprang freudestrahlend auf. Samstag! Das war schon heute! Die Jungtrainerin freute sich ungemein, dass Mira und Evan noch heute bei ihr eintreffen würden. Mit ihren Eltern war bereits abgeklärt, dass die beiden ebenfalls hier in Faiths Haus wohnen würden – Mira bekam das Sofa in Faiths Zimmer und Evan konnte im Gästezimmer schlafen. Doch auch über Joel freute Faith sich irgendwie. Im Nachhinein tat es ihr leid, wie sich die Dinge zwischen ihnen entwickelt hatten. Sie hätten nicht auf so eine seltsame Weise auseinandergehen dürfen. Joel hatte sich ernsthafte Sorgen um sie gemacht und dann war von einem Moment auf den anderen die Stimmung so sehr gekippt. Faith hatte nicht gewusst, was sie fühlte, sie war damit überfordert. Und Joel ließ alles an Arroganz heraushängen, was er zu bieten hatte. Waren sie im Endeffekt schlichtweg Rivalen, woran sich nie etwas ändern würde? Pünktlich zur Kaffeezeit konnte Faith Mira und Evan auf der Straße entdecken. Die Jungtrainerin hüpfte in Hausschuhen nach draußen auf die nasse Straße – kurz zuvor hatte es noch geregnet – und umarmte Mira stürmisch. „Mira, ich bin so froh, dass du endlich hier bist!“ „Faith, du erdrückst mich!“ Mira errötete leicht, drückte Faith ebenfalls und atmete tief durch, als ihre beste Freundin sie endlich wieder losgelassen hatte. „Du siehst gut aus.“ „Erholt“, fügte Evan grinsend hinzu. „Können wir reingehen? Ich will nicht drängen, aber ich muss ganz dringend mal auf die Toilette. Mira hat uns von Kelka hier her kein Pause gegönnt.“ „Und dann haben wir uns noch in Litusiaville verlaufen. Wir sind schon seit zwei Stunden hier und mindestens fünfmal durch diese Straße gelaufen, aber irgendwie waren wir beide blind für dein Haus.“ „Die Hauptsache ist doch, dass ihr jetzt hier seid“, entgegnete Faith lächelnd und brachte ihre beiden Reisebegleiter ins Wohnzimmer, wo bereits am Couchtisch für drei Personen Kuchen und Tee eingedeckt war. „Ihr müsst unbedingt von allem etwas probieren. Ich habe den Kuchen und die Eclairs im Café einer guten Freundin gekauft, das sind die besten Eclairs auf der ganzen Welt.“ „Um Himmels Willen, Faith, wer soll das alles essen? Das sind ja mindestens fünf verschiedene Sorten an Kuchen!“ „Sechs, um genau zu sein, alles, was heute im Angebot war. Mein Zimmer, das zweite Badezimmer und das Gästezimmer sind im Obergeschoss. Einfach die Treppe rauf und dann steht ‚WC‘ an der Tür. Gegenüber ist das Gästezimmer, in dem kannst du deine Sachen schon ablegen, Evan.“ Der Junge nickte, huschte die Treppe hinauf und ließ die beiden Mädchen alleine. Wenige Minuten später kehrte Evan wieder zurück und setzte sich zu Faith und Mira an den Couchtisch, wo bereits auf jedem Teller ein Eclair lag. „Wenn wir das aufgegessen haben, brauchen wir kein Abendessen mehr.“ „Meine Eltern haben heute alle Hände voll im Restaurant nebenan zu tun, aber es gibt heute Abend für uns Lachsauflauf. Gut, ich gestehe, dass ich mit dem Kuchen vielleicht etwas übertrieben habe. Ich freue mich einfach so wahnsinnig, dass ihr wieder hier seid. Der ganze letzte Monat war so chaotisch. Da fällt mir ein, dass ich vermutlich meinen Rucksack bei Joel im Pokémoncenter abholen kann.“ Grinsend tauschten Mira und Evan einen Blick, dann meldete sich Mira zu Wort. „Er hat uns alles erzählt und im ersten Moment waren wir beide unendlich besorgt um dich, doch Joel konnte uns beruhigen. Dass er dann deinen ganzen Rucksack mit sich herumtragen kann, fand er nicht so toll. Trixi und er haben den Bus von Kelka nach Litusiaville genommen, wir haben ihn leider knapp verpasst, sonst wären wir schon zum Mittagessen hier gewesen.“ Genüsslich biss Faith ein Stück von ihrem Eclair ab, während sie ihrer Freundin lauschte. „Apropos Kelka, wie ist der Wettbewerb gelaufen? Hast du ein Band gewinnen können?“ Ein enttäuschter Ausdruck huschte über Miras Gesicht. Die junge Koordinatorin schüttelte seufzend den Kopf. „Leider nicht, das war eine totale Pleite. Trixi hat gewonnen, ich bin schon in der Vorrunde rausgeflogen. Ihr Vulnona hat eine fantastische Performance hingelegt, da kamen Evoli und ich nicht gegen an. Aber genug von mir, erzähl mal, was du in den letzten Wochen alles gemacht hast.“ In Ruhe begann Faith die Erlebnisse des vergangenen Monats zu schildern. Sie hatte viel trainiert und vorige Woche schließlich gegen den Arenaleiter von Litusiaville gekämpft. Lennart war ein starker Gegner und beim ersten Kampf hatte Faith gegen seine Pokémon verloren, doch bei der Revanche konnten Bibor und Voltilamm souverän den Sieg holen, wobei Faiths Pokémon sogar noch neue Attacken gelernt hatten. Neben dem Orden hatte Lennart ihr sogar einen Netzball geschenkt, der besonders gut für Wasser- und Käferpokémon geeignet war. „Du hast den Orden? Faith, das darfst du doch nicht so nebenbei erwähnen! Los, zeig her!“ Gespannt rutschte Mira auf dem Sofa umher und machte große Augen, als Faith die Ordenbox aus Metall holte und öffnete. „Tatsächlich. Das ist fantastisch!“ „Danke, ich bin auch sehr froh darüber. Wenigstens konnte ich meine Zeit hier halbwegs sinnvoll nutzen.“ „Ich meine das ernst, sag sowas doch nicht mal eben nebenbei.“ Ein wenig empört war Mira darüber schon, aber sie konnte ihrer Freundin verzeihen, denn so war Faith einfach. Entweder sie erzählte Dinge frei heraus oder sie machte sich keine große Gedanken darum, wie sie sie erzählte. Um die Situation wieder etwas aufzulockern, schlug Evan einen Ausflug ans Meer vor. „Natürlich nicht mehr heute, jetzt ist es ja schon dunkel. Aber wie wäre es mit morgen Vormittag? Wenn du einen Netzball geschenkt bekommen hast, könntest du nach einem Wasserpokémon Ausschau halten, so eins fehlt dir doch noch in deinem Team.“ „Das wäre toll, dann können Evoli, Hunduster und Sheinux am Strand spazieren gehen. Ich habe gehört, dass Litusiaville ein riesiges Spaßbad haben soll, dahin möchte ich auch gehen.“ „Dann schlage ich noch das Marinemuseum vor, das dort ausgestellte Amoroso-Skelett muss richtig interessant sein.“ Faith schaute zwischen Mira und Evan hin und her, bis sie seufzend mit den Schultern zuckte und den letzten Bissen ihres Eclairs verschlang. „Na schön, wir machen alles, was ihr wollt. Aber jetzt erzählt mir mehr von dem, was ihr in den letzten Wochen gemacht habt.“ Und so verbrachten die drei Jungtrainer wieder vereint den Rest des Tages mit dem Erzählen ihrer erlebten Abenteuer, bis sie müde ins Bett fielen und sich auf den kommenden Tag freuten, der sicherlich einige Überraschungen bereithalten würde. Kapitel 80: Sternenregen ------------------------ Der nächste Tag hielt leider entgegen der Wettervorhersage nur noch mehr Regen bereit, sodass die drei Jungtrainer ihren Strandspaziergang auf unbestimmte Zeit verschoben hatten. Stattdessen gönnten Faith, Mira und Evan sich einen entspannten Vormittag im Spaßbad von Litusiaville, nahmen anschließend ein köstliches Mahl im Restaurant von Faiths Eltern ein und spielten den Nachmittag über einige Brett- und Kartenspiele im Wohnzimmer. Als die Wanduhr siebzehn Uhr schlug, schaute Faith gerade aus dem Fenster. Es hatte vor einer halben Stunde aufgehört zu regnen und Mira drängte schon die ganze Zeit auf ihren Strandbesuch. Schließlich seufzte Faith und drehte sich zu Evan und Mira um, die am Couchtisch saßen und die Spielkarten zusammen räumten. „Na schön, wir gehen an den Strand. Allerdings kann ich euch nicht die Grotte außerhalb der Stadt zeigen, bis dahin ist der Weg jetzt zu weit. Es ist schon dunkel draußen und die Regenwolken haben sich auch noch vollständig nicht verzogen.“ „Du bist der Boss, Faith“, erwiderte Mira, doch in ihren Augen lag das freudige Strahlen einer hoffnungslosen Romantikerin, die bei den Worten ‚Strand‘ und ‚Meer‘ an Liebesfilme aus dem Kino dachte. „Evan, los, beeil dich.“ Sie stupste ihn an, sprang dann auf und zog sich im Flur ihre wasserdichten Halbschuhe an. Faith räumte noch schnell die Spiele vom Tisch zurück in den Schrank, dann machte auch sie sich fertig und streifte zuletzt eine knallrote Regenjacke über, die Rotkäppchen alle Ehre gemacht hätte. „Seid ihr soweit?“ „Klar, auf geht’s!“ Gut gelaunt marschierte Mira als Erste nach draußen, drehte sich einmal im Kreis und sog die frische Luft ein. „Ich liebe diesen Geruch von regennassen Straßen und salziger Meeresluft.“ „Vielleicht nicht gerade in dieser Kombination, aber ich stimme dir zu.“ Nachdem Faith die Haustür abgeschlossen hatte, folgte sie den beiden zur Strandpromenade. Doch plötzlich blieb sie stehen und legte nachdenklich den Kopf schief. „Stört es euch, wenn ich noch schnell beim Pokémoncenter vorbeigehe? Ich brauche doch noch meinen Rucksack von Joel. Ihr könntet einfach hier in der Gegend bleiben, dann finde ich euch von der Promenade aus ganz schnell wieder.“ „Geh nur, ich passe solange auf Mira auf.“ „Hey, ich brauche keinen Aufpasser!“ Evan grinste charmant und zog Mira zu sich. „Das sagt diejenige, die sich zweimal im Finsterwald verlaufen hat.“ Mira machte zwar ein empörtes Gesicht, erwiderte jedoch nichts, sondern kicherte einige Sekunden später in sich hinein. „Stimmt. Bis später dann, Faith.“ Faith nickte ihren beiden Freunden zu, wurde jedoch den Gedanken nicht los, dass Mira und Evan sich viel besser verstanden als zu der Zeit, als Faith noch mit ihnen gereist war. Gut, natürlich hatte Mira sich auf Evan im letzten Monat einstellen müssen, aber dennoch alberten die zwei herum, als wären sie längst die engsten Vertrauten. Ob da was im Busch war? Dieser Gedanke verfolgte Faith bis zum Pokémoncenter, wo sie sich bei Schwester Joy nach Joel Light erkundigte. Faith bekam ohne Probleme Joels Zimmernummer, lief die Treppe ins Obergeschoss hoch und klopfte an. Als Joel sie hereinbat, lugte sie durch die Tür und lächelte. „Hey, Joel. Ich will nur kurz meinen Rucksack abholen.“ Er schaute von einem Buch auf, runzelte die Stirn und stand auf. „Nur kurz deinen Rucksack holen? Du bist mir mindestens ein dickes, fettes Dankeschön schuldig, Faith Loraire. Was trägst du da mit dir rum, Bleiringe oder Ziegelsteine?“ „Nur das nötigste“, sprach sie mit einem breiten Grinsen und schloss die Tür hinter sich. In dem Moment entdeckte sie auch schon ihren Rucksack in der Ecke und schulterte ihn. „Du kannst ja mal mit Trixi zum Abendessen im Restaurant meiner Eltern vorbeischauen, dann hast du dein Dankeschön.“ „Ich möchte aber eins von dir und nicht von deinen Eltern“, murrte er sofort. Sie seufzte ergeben. „Schön, wenn mir etwas eingefallen ist, melde ich mich bei dir. Jetzt muss ich aber wirklich wieder los, Evan und Mira warten am Strand auf mich. Wir wollen noch eine Runde im Dunkeln spazieren gehen.“ „Ich komme mit.“ Faiths Widerworten zum Trotz hatte Joel blitzschnell seine Jacke und Schuhe angezogen und klopfte ihr auf die Schulter. „Na los, worauf wartest du.“ Etwas perplex trat sie aus seinem Zimmer und ging mit Joel im Schlepptau raus auf die Straße. „Wieso willst du mitkommen?“, fragte sie nach einigen Metern und legte den Kopf schief. Eigentlich hatte sie schnell der bedrückenden Enge von seinem Zimmer entkommen wollen, aber nun war es auch nicht wirklich besser. „Stehst du auf Spaziergänge oder wieso klebst du mir so an den Fersen?“ Joel schnaubte entrüstet und vergrub die Hände in den Jackentaschen. „Muss ich mich jetzt schon dafür rechtfertigen, dass ich dich an den Strand begleiten will?“ „Oh.“ Faiths Augen weiteten sich, als sie den Inhalt seiner Wörter begriff. Er war wegen ihr mitgekommen. „Oh… Eh…“ Eine intelligentere Antwort konnte sie im Moment nicht bieten, also schwieg sie verbissen, bis sie am Strand angekommen waren und das Meer sehen konnten. Was sollte sie jetzt tun, wie sollte sie sich verhalten? Es war ja nicht so, dass sie Joel nicht mochte, sie mochte ihn nur eben… anders. „Faith, ich…“ „Nein, schon okay.“ Mit einem aufgesetzten Lachen hielt sie krampfhaft nach Mira und Evan Ausschau, die sie jedoch nirgendwo erkennen konnte. Verdammt, nie waren sie da, wenn man sie gerade mal dringend brauchte. „Ehrlich, Joel, schon okay.“ „Du weißt doch gar nicht, was ich gerade sagen wollte.“ Prüfend sah er sie an, dann zuckten seine Mundwinkel minimal nach oben, doch ganz Gentleman sagte er nichts. Stattdessen schaute er zur Seite, wo Mira und Evan kichernd von einem Seitenweg zurück zum Strand kamen. Sein Blick fiel auf die verschränkten Hände der beiden, die sie sofort lösten, als sie Faith und Joel in der Dunkelheit erkannten. Ein Seitenblick zu Faith verriet Joel, dass diese ebenfalls eindeutig mitbekommen hatte, wie Evan und Mira miteinander umgingen. „Sieh einer an, das wird ja interessant.“ Mira lief rot an, was man selbst in der Dunkelheit noch gut erkennen konnte. Sie fuhr sich verlegen durch die Haare und lächelte Faith schmal an. „Wenn du willst, dass ich es dir erkläre…“ Doch Mira wurde von Joel unterbrochen. „Da gibt’s nichts zu erklären, nehmt euch doch einfach ein Zimmer.“ Faith verschluckte sich, hustete leise und starrte Joel mit großen Augen an. Zeitgleich riss Mira die Augen auf und Evan funkelte seinen Bekannten aus Kindheitstagen herausfordernd an. „Ich dachte, du bist… du… empfindest etwas für Itsuki?“ Mira nickte noch immer sehr verlegen. „Na ja weißt du, als ich erfahren habe, dass er für Team Dark arbeitet und du weg warst… Evan war für mich da und hat mich die ganze Zeit getröstet, ich… Faith, bitte, das ist nichts Ernstes zwischen uns. Wir sind Freunde… sehr gute Freunde, mehr nicht.“ „Wer es glaubt.“ „Halt dich mal mit deinen Kommentaren zurück, Light. Dich hat keiner um deine Meinung gebeten“, giftete Evan sofort und legte beschützerisch einen Arm um Miras Taille, doch sie entzog sich seiner lockeren Umarmung und blickte nun verzweifelt zu Faith. „Ich gehe zurück zu deinem Haus und warte dort auf dich. Lass es mich dir in Ruhe erzählen.“ Mira warf einen letzten Blick zu Joel, dann rannte sie den Strand hoch zu der Strandpromenade. Evan wartete keine drei Sekunden und folgte ihr im Stechschritt, sodass Faith mit Joel alleine zurückblieb. Sie schwieg eine ganze Weile, holte schließlich tief Luft und blickte auf das Meer hinaus, das nun wie ein schwarzer, flüssiger Teppich aussah. „Das habe ich irgendwie nicht erwartet.“ „Ach nein?“, fragte Joel mit trockener Stimme. „Evan ist lustig und charmant und Mira schenkt jedem ihr treues Herz, wenn man sie nur nett behandelt. Findest du das wirklich so überraschend?“ „Hör mal! Rede nicht so von ihr, okay? Wenn Mira meint, dass Evan der Richtige für sie ist, hast du nicht das Recht darüber zu urteilen!“ Joels Mund verzog sich zu einem wissenden Grinsen. „Du störst dich daran, dass sie glücklich ist und du nicht.“ „Das ist nicht wahr.“ „Oh doch, du bist sauer, weil Mira nicht genauso unter Itsukis Verrat leidet wie du.“ „Hör auf, Joel.“ „Du wünschst dir, dass sie ebenso leidet wie du, dass sie sich verraten fühlt und so unendlich verletzt, dass sie am liebsten schreien würde.“ „Hör auf!“ Wütend starrte Faith ihn an. Ihre Hände zitterten, aber sie hatte keine innere Kraft um ihm eine Ohrfeige zu geben. „Joel, hör auf damit!“ Ihr Herz raste vor Zorn und vor Schreck – vor allem vor Schreck, weil er ihre Gefühle besser kannte als sie selbst. Wie konnte er wissen, dass sie Itsuki gegenüber solche Gefühle hatte? Mit weichem, mitfühlendem Blick schaute er sie an und hob langsam die Hand, um ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr zu streichen. „Faith, du darfst verletzt sein. Itsuki hat dich verletzt und das kannst du auch zeigen. Mir musst du nicht beweisen, dass du stark bist. Ich weiß, dass du in deinem Inneren sehr zerbrechlich bist.“ Faith zitterte am ganzen Körper, als er sie in eine leichte Umarmung zog. „Wieso muss ich mir das von dir sagen lassen?“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme und schaute hinauf in den Himmel, wo die Sterne über ihnen wie winzige Leuchtfeuer strahlten. „Joel, ich verstehe momentan so viele Dinge nicht. Ich…“ „Sch… Ist schon gut, Faith. Ich bin hier.“ Beruhigend strich er ihr über den Kopf, hielt sie im Arm und blickte ebenso wie sie zu den Sternen über ihren Köpfen empor. „Als du am Tempel im Regen auf einmal vor mir standest, wusste ich nicht, was ich fühlen sollte. Joel…“ „Faith“, murmelte er, löste sich ein wenig von ihr und schaute ihr tief in die Augen. „Ich kann warten, bis du es weißt. Ich werde auf den Tag warten, an dem du weißt, was du fühlst. Und egal, was es sein wird, ich kann es akzeptieren, wenn ich weiß, dass es dir gut geht.“ Sie nickte schwach und in ihren Augen spiegelten sich die Sternschnuppen, die sich vom Himmel lösten und über dem Meer auf die Erde fielen. Faith schloss die Augen und dachte an das Einzige, was sie sich in diesem Moment wünschte. Vielleicht würde es eines Tages in Erfüllung gehen. Vielleicht konnte sie Joel das zurückgeben, was er ihr schenkte. Kapitel 81: Sturmwolken ----------------------- Die Dinge hatten sich nicht gerade vereinfacht, als Joel ihr so verwirrend seine Gefühle gestanden hatte. Aber im Nachhinein war Faith einfach froh, dass sie wusste, was los war. Natürlich würde es nichts daran ändern, dass sie sich nach wie vor als Rivalen gegenüber standen, spätestens wenn sie in der Liga gegeneinander antreten mussten, denn von allen Teilnehmern des Ligaturniers würde am Ende nur einer den Champion herausfordern dürfen. Joel oder sie. Einer von beiden würde verlieren müssen. Faith lächelte schmal, als sie sich auf der Strandpromenade von Joel verabschiedete. Es war kein herzlicher Abschied, aber wozu auch, sie würden sich in den nächsten Tagen ohnehin wieder über den Weg laufen. Litusiaville war keine Großstadt, es gab etwa ein Dutzend Freizeitaktivitäten für die Touristen, ein paar Restaurants und Cafés, Einkaufsmöglichkeiten und natürlich noch die vielen Hotels und Ferienwohnungen. Die Stadt war ein Ort der Erholung, wenn man Action wollte, musste man mit der Fähre nach Honey Island fahren, dort gab es die großen Einkaufszentren, Passagen und Arkaden. „Ich hoffe, du kannst die Dinge mit Mira klären.“ „Klar, wir haben schon andere Sachen gemeistert.“ Faith lächelte, drückte Joel kurz und schlenderte dann in die entgegengesetzte Richtung. Es stimmte, Mira und sie hatten den riesigen Streit, den Matt verursacht hatte, beilegen können. Aber Matt war nicht Evan, bei Matt stand es von Anfang an fest, dass er nicht ewig mit ihnen reisen würde, Evan hatte sich ihnen angeschlossen und die zwei passten so ekelhaft gut zueinander, dass Faith innerlich den Würgereiz unterdrücken musste. Sie hasste diese penetrant verliebten Pärchen, wenn Mira so anfing, war ihre gemeinsame Reise wirklich Geschichte. Früher hatte Faith den kurzen Weg von ihrem Haus zum Strand geliebt, jetzt verfluchte sie ihn, denn in weniger als drei Minuten hatte sie von der Promenade aus ihr Zuhause erreicht. In der Küche brannte Licht, aber ihre Eltern waren noch im Restaurant. Dann tauchten Miras und Evans Kopf am Fenster auf, die zwei lachten und schienen sich zu amüsieren. Faith rollte mit den Augen, schloss die Haustür auf und trat ein. „Wie seid ihr zwei reingekommen, ich hatte doch den Schlüssel mit.“ „Deine Mutter war gerade hier, als wir angekommen sind. Sie lässt dir schöne Grüße bestellen und du sollst uns ordentlich bewirtschaften.“ „Ja, ja.“ Evan war die letzte Person, mit der sie sich im Moment auseinandersetzen wollte. Murrend zog sie Regenjacke und Schuhe aus, hängte den Schlüssel ans Schlüsselbrett und goss sich anschließend ein Glas Apfelsaft in der Küche ein. „Ihr habt euch doch schon bedient, wie ich sehe“, gab sie spitz zu bemerken, als sie die geöffnete Kekspackung und die Flasche Limonade auf dem Tisch stehen sah. Schweigen breitete sich aus und Evan blickte Mira fragend an. Diese zuckte leicht mit den Schultern, doch Evan ging bereits aus der Tür. „Ich, eh, sortiere oben mal ein wenig meine Sachen.“ „Er möchte nicht, dass wir uns wegen ihm streiten, Faith“, merkte Mira besorgt an und seufzte. Sie stellte ihr Glas ab und fuhr sich durch die lavendelfarbenen Haare. „Es ist einfach passiert, ich wollte es dir ja sagen, aber Evan und ich wissen noch nicht, wo wir stehen.“ „Seid ihr zusammen?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht? Wie schon gesagt, wir wissen nicht, wo wir stehen.“ „Sowas muss man doch wissen.“ Faiths Blick wurde schmal, sie wollte diese Unterhaltung nicht führen, aber es musste sein, wenn sie den Frieden unter ihrem Dach bewahren wollte. Erneut seufzte Mira, dieses Mal jedoch lauter und tiefer. „Du bist sauer, richtig?“ „Sollte ich?“ Mira konterte Faiths herausfordernden Blick und reckte das Kinn ein wenig in die Höhe. Sie war kleiner als Faith und ungleich zierlicher, da verwunderte es nicht, dass Jungs sie immer beschützen und verhätscheln wollten. „Es ist nicht mein Problem, wenn du keinen Freund hast und in deiner Entwicklung stehen bleibst.“ Das hatte gesessen. Das war unter die Gürtellinie. Mit einem dumpfen Knall stellte Faith ihr Glas ab und funkelte Mira warnend an. Was war nur los mit ihrer süßen, kleinen, schüchternen Freundin? Auf einmal erschien Mira in Faiths Augen gar nicht mehr so unschuldig, wie sie zu Beginn ihrer Reise vor knapp vier Monaten gewesen war. „Das hat nichts damit zu tun, ob ich einen Freund habe oder nicht. Ich will gar keinen! Also, ich… Das kommt von alleine, wenn man den Richtigen gefunden hat. Wenn Evan und du einen auf Pärchenplausch machen wollen, bitte, nur zu. Aber lasst mich da raus. Ich will dich als Freundin, nicht als verliebtes Anhängsel eines zufälligen Mitreisenden. Wo wir schon beim Thema sind, wieso reist er überhaupt noch mit uns, hm? Er wollte uns doch nur bis Schloss Dunkelstein begleiten. Er kann genauso gut wieder gehen.“ „Er wird aber nicht gehen, weil ich ihm gesagt habe, dass er bleiben kann!“ „Ohne meine Zustimmung?“ Empört riss Mira die Augen auf. „Du bist doch diejenige, die ohne Vorwarnung einfach Bekanntschaften schließt! Das ist mir zu dumm, ich gehe jetzt hoch zu Evan. Wenn du dich wieder beruhigt hast, darfst du dich bei ihm und mir für dein Verhalten entschuldigen.“ Mira zwängte sich an Faith vorbei zur Tür und stapfte die Treppe nach oben. „Ich werde mich für gar nichts entschuldigen, hörst du? Das ist mein Haus! Ihr seid hier Gäste! Wenn es dir nicht passt, geh doch!“ Wamm! Die Tür fiel knallend ins Schloss. Faith atmete tief durch, sie war aufgebracht und wütend – auf sich selbst und auf Mira. Wie hatte sie sich in ihrem Streit gerade nur für Evan entscheiden können? War das wirklich ernst zwischen den beiden? Sie wollte nicht mit Mira reisen, wenn diese ständig an Evan hing. Das war… nein, sie wollte das definitiv nicht. Langsam folgte sie den beiden nach oben, ging jedoch in ihr eigenes Zimmer und ließ sich auf ihr Bett fallen. Selbst durch zwei Türen und über den Flur hörte sie noch Miras aufgebrachte Stimme. Einer von Faiths Pokébällen wackelte und Bibor befreite sich in einem roten Strahl aus seiner Behausung. „Bor?“ Mit seinen dünnen, schwarzen Beinen kam Bibor zu Faith ans Bett und legte fragend den Kopf schief. Die Trainerin seufzte, drehte sich auf den Rücken und schaute ihr treues Startpokémon an. „Wir haben schon so viel gemeinsam erlebt und jetzt habe ich Angst, dass das einfach vorbei ist. Was, wenn Mira sich wirklich für Evan entscheidet oder er gehen will? Sie wird mit ihm gehen, dann muss ich ja alleine reisen.“ „Bibor, bor.“ Bibor zog eine Grimasse, die andeutungsweise Joels arroganten Blick wiedergab. Kichernd setzte Faith sich auf. „Nein, mit ihm will ich auch nicht reisen. Er ist zwar nett, aber das geht nicht gut aus. Zwischen uns haben sich die Dinge geändert, ich will nicht, dass er mich jetzt die ganze Zeit ertragen muss. Weißt du, ich habe mich so auf Miras Rückkehr gefreut und sie ist gerade mal einen Tag hier, wir streiten aber schon. Immer müssen wir uns wegen ihrer Kerle streiten, dabei hätte ich ihr Itsuki doch gegönnt.“ Wobei das halb gelogen war, denn Faith sagte das jetzt nur, weil sie wusste, dass er die Seiten gewechselt hatte, auch wenn sie sich die Gründe dafür beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Bibor brummte leise und piekte Faith in die Seite. Dann streckte es sich und ging zurück zu seinem Pokéball, mit dem es sich selbst einzog. Ruhig hatte Faith ihrem Pokémon zugesehen, dann nahm sie den Seelentau vom Regal und ließ ihn in ihren Fingern wandern. Draußen braute sich ein Unwetter zusammen, dunkle Sturmwolken zogen auf und bedeckten den Himmel. Kopfschüttelnd legte sie den Seelentau zurück, stand auf und verließ ihr Zimmer. Der Seelentau begann in einem lila Licht zu erstrahlen, während zeitgleich an einem anderen Ort ein schwarzer Lastwagen parkte und die Insassen ihr neues Versteck einrichteten. Kapitel 82: Ebbe und Flut ------------------------- Der Nachtwind blies eisig in Faiths Gesicht. Sie fröstelte. Vielleicht hätte sie ihren roten Regenmantel gegen einen richtigen Wintermantel tauschen sollen, aber dafür war es jetzt auch schon zu spät. Ihre Füße hinterließen tiefe Fußabdrücke im Sand, wurden aber schnell wieder von den Wellen fortgespült. „Das ist doch alles Mist.“ „Foli foli.“ Faiths Folipurba trottete in der Dunkelheit neben seiner Trainerin her und sprang immer dann, wenn die Wellen zu nah kamen, zur Seite davon. Schon seit knapp einer halben Stunde marschierte Faith alleine mit Folipurba am Meer entlang, die Stadt hatte sie schon eine ganze Weile hinter sich gelassen, man sah nur noch die Lichter der Straßenlaternen weiter im Hintergrund. Faith wollte ihren Kopf freibekommen, Mira und Evan vergessen, was nach dem Abendessen dringend notwendig geworden war. Die zwei benahmen sich in Faiths Augen vollkommen nervtötend und überzogen, Mira hingegen sprach kaum ein Wort mit Faith oder drängte auf eine Entschuldigung, dabei war sie es doch gewesen, die Faith mit ihren Worten verletzt hatte. „Wie spät es wohl ist?“ Als sie stehen blieb und in den leicht bewölkten Himmel schaute, seufzte die Jungtrainerin. „Bestimmt schon weit nach Mitternacht. Komm, gehen wir noch ein kleines Stück, dann machen wir uns auf den Rückweg.“ Schweigend setzten die beiden Nachtspaziergänger sich wieder in Bewegung, bis Faith die Grotte erreichte, die sie eigentlich Evan und Mira hatte zeigen wollen. Bei Ebbe konnte man in die Grotte hineingehen und sich die blauen Kristalle anschauen, die dort unten wuchsen. Momentan herrschte Ebbe und Faith überlegte einen Moment, ob sie die Steine hinunter zu der Grotte klettern sollte, doch dann wurde sie von einer Taschenlampe dort unten aufgeschreckt. Sofort trat sie einige Schritte zurück und drückte sich lautlos in den Sand auf der Rückseite der Düne, die den Strand von den Felsen der Küste trennte. „Ich bin ganz nass, außerdem klebt Dreck in meinen Haaren.“ Es war die Stimme von Caleb Frost, das hörte Faith deutlich heraus. Ihr Herz klopfte angespannt und auch Folipurba drückte sich mucksmäuschenstill in den Sand, damit sie nicht entdeckt wurden. Wieso musste das immer, wirklich immer, ausgerechnet ihr passieren? „Es ist bald soweit.“ Itsuki. Faiths Herz blieb einen Moment lang stehen und sie presste sich die Hand auf den Mund, aus Angst, dass man sie atmen hören könnte. Itsuki und Caleb waren nur wenige Meter von ihr entfernt, sie standen auf der anderen Seite der Düne. Als ihre Schritte sich weiter entfernten, harrte Faith noch immer regungslos aus. Sie wartete minutenlang, bis sie die Hand von ihrem Mund nahm und tief durchatmete. „Folipurba, schau, ob sie weg sind“, flüsterte sie dem Pflanzenpokémon zu, welches sich in Bewegung setzte und über den Dünenrand spähte. Auf Folipurbas Nicken hin stand Faith auf und stolperte mit zittrigen Beinen der Stadt entgegen. Team Dark war hier. Itsuki und Caleb waren hier, hier in ihrer Stadt. Oder zumindest in der direkten Nähe zu ihrer Heimatstadt. Sie durfte nicht zulassen, dass Team Dark Schaden anrichtete, sie musste sofort zu Officer Rocky. Eine Stunde später saß Faith auf dem Revier von Litusiaville und ließ Rockys strengen Blick über sich ergehen. „Ich habe die Wahrheit gesagt, wirklich. Bitte glauben Sie mir.“ So schnell ihre Beine und ihre Ausdauer es zugelassen hatten, war Faith zurück in die Stadt gelaufen, direkt zum Revier. Zuerst hatte Officer Rocky ihr nicht glauben wollen, dann hatte sie eine Patrouille zur Grotte geschickt. Doch zu Faiths Überraschung kam durch den Funk, dass an der Grotte alles in Ordnung war und man nichts Außergewöhnliches gefunden hatte. „Team Dark ist kein Spiel, junge Dame.“ „Ich lüge nicht!“ Nun war ihr Blick verzweifelter. Das konnte doch nicht sein! Sie wusste, dass Itsuki und Caleb dort an der Grotte gewesen waren, Team Dark musste einfach etwas im Schilde führen. „Meine Kollegen haben nichts gefunden und die Nasen unserer Fukanos sind gründlich. Es ist spät, du solltest nach Hause gehen und in Zukunft nicht mehr solche Märchen erzählen.“ „Officer Rocky, ich…“ „Schluss jetzt!“ Die Polizistin blickte Faith böse an. „Geh nach Hause und lass den Unsinn. Beim nächsten Mal lasse ich es nicht bei einer mündlichen Verwarnung, junge Dame.“ Faith erwiderte den Blick, dann nickte sie, stand auf und verließ das Revier. Man hatte ihr nicht geglaubt, dabei hatte sie doch eindeutig die Stimmen der beiden Team Dark Mitglieder erkannt. Kopfschüttelnd setzte sie sich in Bewegung, zurück zu ihrem Haus. Vielleicht glaubte Officer Rocky ihr nicht, aber Joel würde ihr glauben, da war sie sich sicher. Am frühen Morgen hatte Faith einen Rucksack mit Proviant, einem dicken Seil, einer Taschenlampe, Batterien und einer Digitalkamera gepackt. Sie verließ gerade ihr Zimmer, als ihr Mira im Flur begegnete. Noch etwas verschlafen fuhr Mira sich über die Augen und blickte dann ihre Freundin mit großen Augen an. „Faith, wohin gehst du so früh am Morgen?“ „Ich war gestern Nacht draußen bei der Grotte vor der Stadt, die sehe ich mir jetzt näher an.“ „Jetzt?“ Mira runzelte die Stirn. „Es ist sechs Uhr morgens. Ist jetzt nicht Flut?“ „Ja“, entgegnete Faith knapp. „Aber ich lasse mir Zeit beim Hinweg und schaue noch woanders vorbei. Gegen Mittag bin ich dann an der Grotte.“ Die beiden Mädchen starrten sich an, dann verengte Mira leicht die Augen und verschränkte die Arme. „Du hättest Evan und mich gar nicht gefragt oder? Du wärst einfach gegangen.“ „Das hat nichts mit euch zu tun, ich muss das alleine machen.“ „Was soll so schlimm daran sein? Ich wecke Evan und dann gehen wir alle.“ „Nein.“ Faith pausierte einen Moment. „Nein, ich denke, dass Team Dark an der Grotte etwas plant. Ich war letzte Nacht bei meinem Spaziergang dort und habe Caleb und Itsuki gehört.“ „Oh Gott, das ist ein Grund mehr, weshalb du nicht alleine gehen solltest!“ „Mira, bitte. Bleib hier. Wenn etwas schief läuft, kann ich Tauboga zu dir schicken. Officer Rocky hat mir nicht geglaubt. Mach dir mit Evan… Macht euch einfach einen schönen Tag ohne mich, okay?“ Mira zögerte, dann nickte sie schwach. „Schön, aber pass auf dich auf. Wenn wirklich Team Dark dort sein sollte, kommst du sofort zurück, versprochen?“ „Versprochen.“ Faith ging die Treppe hinunter und spürte noch bis zur Haustür Miras prüfenden Blick zwischen ihren Schulterblättern. Draußen schlug sie sofort den Weg zum Pokémoncenter ein, wo sie Joel alles erklären und ihn um Hilfe bitten wollte. Zu zweit waren sie selbst für Caleb und Itsuki ernst zu nehmende Gegner, falls es zu einer Konfrontation kommen sollte. Joel war nur widerwillig mitgekommen, aber er kannte Faiths Sturkopf und wollte sie auch nicht alleine losziehen lassen. „Das ist dumm. Wir sollten nicht hier sein.“ „Officer Rocky glaubt mir aber nicht, du Besserwisser.“ Schnaubend blickte Faith von der Düne zu der Grotte, die von der Flut erfüllt war. „Wir müssen nur darauf warten, dass wir hineingehen können. Dann sehen wir uns um und verschwinden wieder.“ „Sicher.“ Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Hast du wenigstens etwas zu essen dabei? Wir haben viel Zeit die nächsten Stunden zu warten.“ Sie ließ sich in den Sand sinken, setzte den Rucksack ab und holte eine Brotdose heraus, in der sich selbstgemachte Thunfischsandwiches befanden. „Bedien dich ruhig, ich habe genug mit.“ Joel tat es ihr nach und bedankte sich für das Sandwich, dann biss er herzhaft hinein. „Wieso wolltest du eigentlich schon so früh hier sein?“ „Falls Itsuki und Caleb zurückkommen. Die zwei können auch nur bei Ebbe in die Grotte, aber wenn sie dort etwas verstecken oder planen, müssen sie rechtzeitig hier sein. Joel, jetzt roll nicht mit den Augen. Das ist mir wichtig. Ich muss wissen, was da los ist.“ Und sie musste wissen, warum Itsuki bei Team Dark war. Faith brauchte Gewissheit. Einige Stunden später standen die beiden auf dem letzten Felsen vor dem Grotteneingang. Wenn Faith Gewissheit wollte, würde sie sie nun bekommen. Kapitel 83: Die Grotte ---------------------- Mit jedem Schritt wurde das Sonnenlicht blasser und blasser, bis Faith ihre Taschenlampe anschaltete und sich umschaute. Im nächsten Moment stieß sie allerdings einen leisen Fluch aus, als Joel sie von hinten anrempelte. „Pass doch auf, wo du hinläufst.“ „Würde ich gerne, wenn ich mehr sehen könnte als die blauen Kristalle, die du die ganze Zeit anleuchtest. Sind wir zum Sightseeing hier?“ Faith verzog das Gesicht, aber zum Glück konnte er das nicht sehen. Natürlich waren sie nicht deshalb hier, aber Faith liebte diese blauen Kristalle. Wann immer sie angestrahlt wurden, reflektierten und brachen sie das Licht auf eine ganz beruhigende Art und Weise. „Ich hoffe nur, dass Team Dark diese Grotte nicht zerstören will.“ „Warum sollten sie das tun?“ Kopfschüttelnd nahm Joel ihr die Taschenlampe ab und ging vorwärts. „Wir sollten hier nicht dumm rumstehen, in sechs Stunden ist diese Grotte unser Grab. Also komm, wir haben nicht ewig Zeit.“ Schweigend liefen sie nebeneinander an den blauen Kristallen vorbei, ließen sie hinter sich und drangen immer tiefer in das Innere der Grotte vor. Stalaktiten und Stalakmiten versperrten ab und an den Weg, sodass sie sich daran vorbeizwängen mussten oder außen herum gingen. Überall dort, wo der Steinboden uneben war, hatten sich Pfützen gebildet voller Meerwasser, das bei Ebbe nicht ganz abgelaufen war. Bei Flut hingegen war diese Grotte vollständig durchflutet und eine tödliche Gefahr für alle, die sich noch darin aufhielten. Die Minuten gingen dahin und Faith staunte nicht schlecht über die unglaubliche Tiefe dieser Grotte. „Irgendwie ist das gruselig“, murmelte die Jungtrainerin und fröstelte ein wenig. Touristen durften nicht so weit ins Innere, von daher war auch sie noch nie so tief eingedrungen. Ob es am Ende doch keine so gute Idee war hierhergekommen zu sein? Doch für Zweifel war jetzt keine Zeit mehr. Joel knurrte etwas Unverständliches. „Wenn Glurak nicht so groß wäre, würde ich es jetzt aus dem Pokéball lassen.“ Doch die Decke war gerade groß genug, dass Menschen hier stehen konnten ohne sich den Kopf zu stoßen, wie sollte Glurak mit seinen großen Flügeln einen Weg durch die enge Grotte finden können, das war nicht machbar. Stattdessen ging er also an der Seite von Faith immer tiefer ins Innere der Grotte, bis die Decke höher und der Gang breiter wurde. Faith ließ schweigend den Schein der Taschenlampe über die Decke gleiten, dann weiter zu den Wänden und schließlich bis zum Ende des Raums und damit auch dem Ende der Grotte. Eine tiefe Kuhle war zu einem Salzwassersee geworden, hier floss das Wasser nicht mehr bei Ebbe ab, sondern blieb zurück. „Hier ist nichts, Faith.“ „Das kann nicht sein, hier muss etwas sein“, zischte sie genervt und lief in dem Raum umher, doch es war wirklich nichts zu sehen. „Das kann nicht sein.“ „Vielleicht sollten wir einfach wieder zurück gehen, Faith.“ „Nein.“ Faiths Stimme war scharf und ihr Blick ebenfalls, als sie zu dem Salzwassersee ging und den Lichtschein über die Wasseroberfläche schnellen ließ. „Ich kann mit der Taschenlampe den Grund des Sees nicht sehen.“ Genervt trat Joel zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Komm, gehen wir.“ „Was, wenn sie etwas in dem See versteckt haben? Wir müssen sehen, ob etwas auf dem Grund des Sees liegt.“ „Bist du irre? Das sind mindestens zwei oder drei Meter eiskaltes Meerwasser. Gott, Faith! Willst du dir eine Lungenentzündung holen? Du hast ja nicht einmal ein Wasserpokémon – ich auch nicht, damit hat sich das Thema erledigt. Gehen wir einfach wieder.“ Nun war sie diejenige, die genervt war. Grob riss sie sich von Joel los und starrte ihn herausfordernd an. „Du kannst Lucario in das Wasser schicken. Es kann sich bestimmt ein paar Minuten in dem kalten Wasser umsehen.“ „Das werde ich mit Sicherheit nicht tun“, erwiderte er provozierend und die beiden starrten sich aufgebracht an, bis ein weiterer Lichtschein über die Decke huschte und beide augenblicklich zu Salzsäulen erstarrten. „Mach deine Taschenlampe aus“, flüsterte er, doch es war bereits zu spät. Itsuki und Caleb wirkten sichtlich überrascht, als sie Faith und Joel in der Höhle antrafen. Doch während sich in Itsukis Gesicht keinerlei Gefühlsregungen spiegelten, verzog Caleb die Augenbrauen im nächsten Moment zu wütenden Strichen. „Was habt ihr hier verloren!“, bellte er und trat drohend einen Schritt nach vorne, doch Joel befreite blitzschnell sein Lucario, welches sich knurrend und schützend vor seinen Trainer und Faith stellte. „Ich wusste doch, dass Team Dark hier ihr Versteck hat!“ Faith atmete tief durch und funkelte Itsuki verletzt an. „Sagt schon, welche Pokémon quält ihr hier diesmal, hm? Könnt ihr nachts überhaupt noch in Ruhe schlafen?“ Eine dritte Taschenlampe erschien in dem Gang und dieses Mal wirbelten sowohl die beiden Mitglieder von Team Dark als auch Faith und Joel erschrocken herum. Ein junges Mädchen starrte mit aufgerissenem Auge – über dem zweiten trug sie eine Art Augenklappe – zu ihnen und schnappte nach Luft. Scheinbar war es nicht ihr Plan entdeckt zu werden. „Was ist hier los, verdammt!“ Caleb fuhr sich durch die Haare und wich bis zur Grottenwand zurück, doch seine Hand ruhte auf einem seiner Pokébälle. Itsuki tat es ihm gleich und sein Blick fiel einmal zu viel auf den See, vor dem Faith und Joel mit Lucario standen. „Ich wusste es! Es ist der See!“ Sofort wirbelte Faith herum und leuchtete erneut in das scheinbar schwarze Wasser, doch sie konnte nichts erkennen. „Faith, nicht!“ Joel riss sie am Arm herum, da ihnen der Schein der Taschenlampe fehlte, doch im selben Augenblick ging auch schon das Kampfgetümmel los. Die beiden übrigen Lichtstrahlen kreuzten sich und wirbelten durcheinander, dann war Flügelschlagen zu hören, das sich mit Lucarios aufgebrachtem Knurren paarte, bis Joels starkes Kampfpokémon seine Zuchtattacke Feuerfeger einsetzte und die Flammen eine kurze Momentaufnahme zeigten: Das Mädchen wurde von Caleb an den Armen gepackt, ihr Schwalboss krächzte und wurde von Calebs Magnayen zu Boden gerissen. Lucario legte sich mit Itsukis Frosdedje an, während Itsuki direkt neben Faith stand und sie von dem See fortzerren wollte. Joel ergriff Faiths andere Hand und für einen Moment fühlte sie sich wie auf einer Streckbank. Es ging alles so schnell und durch das mangelnde Licht konnte sie kaum etwas erkennen. Als dann auch noch ihre Taschenlampe zu Boden fiel und sie gleich hinterher stürzte, verlor sie die Orientierung. Irgendwo platschte es im See, das unbekannte Mädchen schrie panisch um Hilfe. Etwas traf Faith am Kopf – oder war es eine Hand, die sie nach hinten riss? Süßlicher Geruch stach in ihre Nase… „Oh Gott…“ Faith schlug mit rasendem Herzen die Augen auf und ihr war sofort wieder bewusst, wo sie sich befand. Ihre Finger lagen in etwas Nassem und der erste Schreck ließ eine Assoziation mit Blut zu, doch als sie an ihren Fingern roch, nahm sie die schwache Note von Meersalz wahr. Meerwasser… „Der Wasserpegel steigt!“ Die Flut kam! „Joel!“ „Ich bin hier.“ Die Stimme kam vom anderen Ende des Raums und im nächsten Moment ging von dort der schwache Schein einer Taschenkampe zur Decke. Joel winkte sie zu sich, er selbst kniete auf dem Steinboden vor dem Mädchen, das gegen die Wand gestützt saß. Ihr Schwalboss hockte neben ihr und beobachtete skeptisch, wie Joel eine Wunde an ihrer Hand mit einem Pflaster versorgte. „Was ist passiert?“ Auch Faith kniete sich zu dem Mädchen und lächelte sie tröstlich an. „Wie heißt du?“ „Eve Galvin.“ Sie nickte Faith zu, bedankte sich bei Joel und stand dann auf. Scheinbar war sie hart im Nehmen und kümmerte sich nicht um ihre Schmerzen. „Das waren zwei Mitglieder von Team Dark, nicht wahr? Ich folge ihnen schon seit einer Woche.“ „Wieso tust du das?“, erkundigte Faith sich, auch wenn ihr im nächsten Moment diese Frage blöd vorkam, denn sie tat im Grunde genommen genau dasselbe. „Meine Eltern haben für Team Dark in Orre gearbeitet. Sie starben bei einer Explosion des Labors, aber ich möchte wissen, wieso es überhaupt dazu kam. Was Team Dark in Wahrheit plant. Deshalb bin ich den beiden gefolgt. Sie waren ein paar Mal in dieser Grotte und dann habe ich euch beide hier reingehen sehen. Da dachte ich mir, ihr würdet auch zu ihnen gehören.“ Faith nickte verständnisvoll und schaute sich mit der Taschenlampe um. „Das Wasser ist schon bis hier vorgedrungen, wenn auch nur sporadisch. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Grotteneingang unpassierbar ist, dann sitzen wir hier in der Falle. Wir sollten hier schnellstens verschwinden.“ Eve folgte ihnen schweigend, bis sie die vielen Stalaktiten und Stalakmiten erreichten. Hier stand das Wasser bereits knöcheltief und schlug regelmäßig gegen ihre durchnässten Füße. „Schaffen wir es noch?“ „Na klar. Zum Glück sind wir noch alle rechtzeitig aufgewacht. Was war das überhaupt für ein Zeug?“ „Chloroform, nehme ich an“, sagte Eve und seufzte. Doch im nächsten Moment erstarrte sie ebenso wie Faith und Joel, denn statt des Ausgangs sahen sie einen riesigen, umgestürzten, blauen Kristall, der ihnen den Weg versperrte. „Was…?“ Faiths Herz machte sofort einen ängstlichen Sprung und sie druckte gegen den Kristall, doch er war zu massiv und regte sich keinen Millimeter. „Los, ihr müsst mir helfen!“ „Faith…“ „Wir müssen hier raus! Hilfe!“ „Faith!“ Joel war zwar ebenso erschrocken wie sie, doch er deutete auf den Kristall und behielt einen kühlen Kopf. „Der ist zu schwer für uns!“ „Aber das Wasser kommt, wir müssen hier sofort raus, sonst ertrinken wir!“ Er zögerte einen Moment, dann entließen Faith und er Lucario und Folipurba, die gemeinsam mit Schwalboss den riesigen Kristall attackierten. „Was sollen wir tun?“ Dieses Mal sprach Eve und ihre Stimme glich einem ängstlichen Piepsen. „Das schaffen wir nicht…“ „Der See. Wir müssen zum See.“ Entschlossen drehte Faith sich um und rannte durch das Wasser zurück tiefer in die Höhle hinein. „Das ist Wahnsinn, Faith!“ „Die Grotte muss einen Abfluss im See haben, weil sie komplett durchspült wird! Vor ein paar Jahren gab es hier ein leichtes Seebeben, es ist wahrscheinlich, dass man durch den Abfluss einen zweiten Ausgang findet!“ „Wir können damit nicht unsere Zeit vergeuden!“ Joel starrte Faith hinterher, dann fluchte er und rannte gemeinsam mit Eve hinter ihr her. Itsuki und Caleb würden dafür büßen, dass sie sie lebendig begraben wollen. Faith wusste, wie vage ihre Möglichkeiten waren, aber sie hatte schon häufiger von Unterwasserhöhlen gelesen, die einen Zu- oder Abfluss an Land besaßen. Wieso sollte es jetzt nicht andersherum funktionieren? Die Wahrscheinlichkeit lag mit Sicherheit nicht bei einhundert Prozent, aber der blaue Kristall war zu massiv, sie würden zu lange brauchen um ihn zu zerschlagen. „Uns bleibt keine andere Wahl.“ Beim See angekommen starrte sie auf die schwarze, spiegelglatte Oberfläche und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sie rief Folipurba zurück und blickte ihre beiden Begleiter mit festem Blick an. „Das Wasser ist kalt, wir werden nicht viele Möglichkeiten zu tauchen haben.“ „Ich mache das nicht gerne, aber ich muss Faith zustimmen.“ Eve stellte sich tapfer neben sie und nahm ihr Schwalboss in den Arm. „Aber Schwalboss hat keinen Pokéball, wie soll es schwimmen?“ „Es muss irgendwie funktionieren, uns bleibt keine andere Wahl“, murmelte Faith erneut und wartete, bis auch Joel Lucario zurückgezogen hatte und sich neben sie an den Rand des Sees stellte. „Das ist absoluter Wahnsinn, Faith.“ „Und dennoch stehst du das mit mir zusammen durch?“ Einen Moment zögerte Joel, dann nahm er ihre Hand in seine und drückte sie leicht. „Und dennoch stehe ich das mit dir zusammen durch.“ Sie hatten keine Zeit mehr, sie konnten nicht mehr warten. Alle drei holten tief Luft, Faith und Eve umklammerten ihre Taschenlampen und dann sprangen sie in das kalte Wasser, das ihnen wie eine eiserne Faust entgegenschlug. Kapitel 84: Netzball sei Dank ----------------------------- Das Wasser war so kalt, dass Faith den Mund aufriss und erschrocken aufschreien wollte, doch dabei entglitt ihr der Sauerstoff in ihren Lungen und sie tauchte zitternd auf, um neu Luft zu holen. Joel, Eve und Schwalboss tauchten neben ihr auf und Joel schüttelte sich die nassen Haare aus der Stirn. „Wir müssen in Bewegung bleiben.“ „Ich habe das hier auf dem Grund des Sees gefunden. Meine Taschenlampe hat es angestrahlt, ich glaube, da liegen noch mehr davon.“ Eve hielt ein kleines Rohr hoch, im Inneren befand sich eine rötliche Flüssigkeit, auf der wiederum eine leicht durchsichtige schwamm. „Das ist Blutserum“, meinte Joel nachdenklich und nahm das Rohr mit der Blutprobe in seine Hand. „Die müssen Team Dark gehören, sie forschen doch an den Pokémon herum.“ „Können die sich kein Kühlfach dafür leisten?“ Zitternd schwamm Faith im Kreis und leuchtete die ganze Zeit mit der Taschenlampe unter sich. „Wir müssen einen Ausgang finden, die Proben sind hier im Wasser so gut wie unbrauchbar.“ „Vielleicht wollten die beiden die Proben vernichten?“, rätselte Eve weiter und warf einen Blick auf ihr vollkommen durchnässtes Vogelpokémon. Mitfühlend nahm sie Schwalboss in ihre Arme und drückte die Taschenlampe Joel in die Hand. „Ich muss Schwalboss tragen, es kann nicht alleine tauchen. Du musst mir den Weg leuchten.“ Joel nickte, warf die Probe zurück ins Wasser und leuchtete ebenso wie Faith die Wände und den Boden ab, bis er eine Vertiefung fand und die beiden Mädchen zu sich rief. „Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber mir ist scheißkalt und unsere Körper verlieren mit jeder Minute mehr Wärme. Wir müssen jetzt tauchen. Dort unten scheint ein Unterwassergang zu sein, wir können nur hoffen, dass er auch nach draußen ins Meer führt.“ „Erinner mich daran, dass ich niemals in meinem ganzen Leben Eistauchen machen möchte.“ Faith leuchtete in das Loch hinein, seufzte und stimmte Joel zu. „Ja, das sieht nach einem Abfluss aus.“ Ihre Lippen waren bereits blau und auch ihre Fingernägel zierte der blassviolette Farbton, doch sie mussten das jetzt durchziehen. „Ich schlage vor, wir holen alle drei ganz tief Luft und ziehen es zusammen durch. Keine Ahnung, wie weit wir tauchen müssen, aber jeder Meter wird uns Kraft rauben. Umkehren ist nicht drin, wir schwimmen bis zum Ende, sonst ist das hier unser Grab.“ „Einverstanden.“ Eve lächelte tapfer und hielt Schwalboss fester an sich gedrückt, dann zählten alle drei Trainer gemeinsam bis Drei, holten tief Luft und steuerten direkt in das schwarze Loch hinein. Es war so eng, dass sie nicht nebeneinander schwimmen konnten, also glitt Faith voraus, gefolgt von Eve ohne Taschenlampe und Joel mit Taschenlampe. Faith schaute sich um und ihr Herz hämmerte in ihrem Brustkorb als gäbe es kein Morgen mehr. So ganz unrecht hatte ihr kleines, dummes Herz damit nicht, denn wenn sie jetzt in eine Sackgasse schwammen, würde es vielleicht wirklich kein Morgen mehr für sie geben. Wie konnten Caleb und vor allem Itsuki ihnen das nur antun? Eine Felsspitze ragte tief in den Tunnel hinein, der sich noch dazu weiter verschmälerte. Faith musste ganz eng an den Felsen gepresst schwimmen und spürte bereits, wie ihr Luftvorrat sich dem Ende neigte. Wie viele Meter hatte sie hinter sich gelassen? Fünf? Zehn? Waren Eve und Joel noch dicht hinter ihr? Sie konnte sich nicht umdrehen und nachsehen, aber sie hoffte es, denn wenn sie ohne die beiden auftauchen würde, wäre sie kein glückliches Mädchen mehr. Da! Blaues Licht schimmerte vor ihr, als sie der Kurve des Gangs gefolgt war. Das war das Sonnenlicht, das sich im Meer verteilte, sie hatten es wirklich geschafft! Nur noch ein kleines Stück, ein kleines Loch und dann… Etwas Großes, Dunkles versperrte ihr den Ausgang! Faith riss erschrocken die Augen auf. Sie konnte unter Wasser nicht gut sehen und tastete sich viel mehr vorwärts, aber jetzt spürte sie das hektische Drängen von Eve an ihren Beinen. Sie wollte Faith nach vorne drücken, doch ihre Hände konnten die Masse nicht zum Weiterschwimmen bewegen. Was zum Teufel war das! In ihrer aufsteigenden Panik griff sie nach dem erstbesten, was sie finden konnte: Der Netzball an ihrem Gürtel. Sie hämmerte mit dem speziellen Pokéball gegen das Etwas vor ihr, bis sie eine Bewegung spüren konnte und im nächsten Moment der rote Strahl des Balls ein Pokémon einsog. Das war ein Pokémon gewesen? Egal, sie musste hier raus! Mit letzter Kraft zog Faith sich aus einer Felsspalte und steuerte so schnell sie konnte auf die Oberfläche zu. Die letzten zwei Meter kamen ihr umso schlimmer vor, weil sie Sternchen vor ihren Augen tanzen sah und ihre Wahrnehmung stumpfer wurde, aber kaum dass sie die Wasseroberfläche durchstoßen hatte und frische Luft in ihre Lungen strömen spürte, kehrte das Leben mit tosenden Schmerzen in ihren Lungenflügeln zurück. Eve durchstieß neben ihr das Wasser und schnappte gierig nach dem wertvollen Sauerstoff. „Ich dachte, du willst uns umbringen!“ „Das dachte ich auch.“ Joel tauchte vor ihr auf und atmete keuchend die Luft ein. „Was dachtest du dir dabei einfach anzuhalten?“ „Da war… ein… Pokémon… es hat… mir… den Weg… versperrt… Musste es… fangen…“, brachte Faith hervor und betrachtete den Netzball in ihrer Hand. Was auch immer sie da gerade gefangen hatte, es hätte sie fast das Leben gekostet. „Zum Strand“, keuchte sie weiter, steuerte auf die Außenseite der großen Felsformation am Ufer zu, zu der auch die Grotte gehörte, und hielt sich erschöpft an den Steinen fest, bis sie stehen konnte und sich in den Sand fallen ließ. „Mir ist… kalt. Eiskalt.“ Eve und Joel setzten sich zu Faith, wobei Eve ihr Augenmerk auf Schwalboss legte. Dem Flugpokémon schien es gut zu gehen, aber es sah aus wie ein begossener Pudel und betrachtete wehleidig sein Gefieder, das in alle Richtungen abstand. „Ich danke euch, ihr habt mir da drinnen echt das Leben gerettet. Ich glaube, ich wäre verzweifelt.“ „Keine Ursache.“ Joel lächelte sie an, dann stand er auf und streckte sich. „Es ist wohl am besten, wenn wir so schnell es geht zurück in die Stadt gehen und den restlichen Tag in warmen Klamotten, Decken und mit einem heißen Kakao verbringen.“ „Ihr könnt mit zu mir kommen“, schlug Faith vor, ließ sich von Joel hochziehen und atmete erschöpft durch. „Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Ich habe ein Zimmer im Pokémoncenter und werde mich bald auf die weitere Suche nach Team Dark begeben. Trotzdem vielen Dank für das nette Angebot.“ Mit einem Schulterzucken nahm Faith Eves Ablehnung zur Kenntnis und schaute zu Joel, doch auch dieser wollte lieber zurück zu Trixi, die laut Joel unausstehlich war, wenn sie sich Sorgen um ihn machte. Also schleppte sie sich gemeinsam mit den beiden anderen die halbe Stunde Fußweg zurück nach Litusiaville. Kurz vor der Stadtgrenze blieb Eve stehen und hielt einen Pokéball vor sich in der Hand. Auf den fragenden Blick der beiden anderen hin begann sie zu erklären. „Zwischen den ganzen Blutproben lag auch dieser Pokéball. Ich weiß nicht, ob sich darin ein Pokémon befindet, aber ich brauche ihn nicht, weil ich mein Team schon habe. Ihr könnt damit sicherlich mehr anfangen.“ „Mein Team ist momentan auch voll“, sagte Faith daraufhin, doch Joel nahm den Pokéball dankend an. „Jetzt bin ich aber gespannt, ob du eines von Team Darks Pokémon erwischt hast.“ „Ich lasse es raus, wenn du dein neues Pokémon auch aus dem Ball lässt.“ Zwar wollte Faith schnell nach Hause und in die Badewanne hüpfen, aber ihre Neugierde siegte und so entließen die beiden gleichzeitig den Inhalt ihrer Pokébälle. Während sich vor Faith ein Mantax im seichten Wasser formte und sie freudig anschaute, nahm neben Joel ein Lapras Gestalt an. „Mantax, du hättest mich beinahe um Kopf und Kragen gebracht.“ „Mantax!“, erwiderte das Pokémon gut gelaunt und klatschte mit seinen riesigen Seitenflossen ins Watt, sodass nasser Sand zu allen Seiten spritze. Faith lächelte und zog es in den Pokéball zurück. Ein Mantax also, damit konnte sie leben. Doch im selben Moment hörte man Joels protestierendes Gemurmel, dann wurde seine Stimme lauter. „Lapras frisst meine Haare an!“ Grinsend schauten Eve und Faith zu, wie Joel Lapras abzuschütteln versuchte, doch es war vergebens. Das Pokémon hatte seinen neuen Trainer bereits so sehr ins Herz geschlossen, dass es seinen Kopf liebend gerne als Kaubonbon missbrauchte. Kapitel 85: 350 Kommentare Special: Joel II ------------------------------------------- Joel rannte, bis seine Beine weich wurden und er langsamer werden musste. Noch immer schwebte Darkrai vor ihm her, als würde es den Jungen durch die Finsternis der Nacht führen. Angst verspürte Joel nicht, er wusste nicht wieso, aber dieses Pokémon würde ihm nichts antun. Darkrai war kein Monster, kein Pokémon war ein Monster. Solange er dem Legendären mit Respekt gegenübertrat, würde Darkrai ihm dasselbe entgegenbringen. „Darkrai, nicht so schnell!“ Als er sprach, brannte die Nachtluft bereits in seinem Hals, sodass er husten musste. „Warte auf mich!“ Das Legendäre schwebte ein wenig nach links, ein wenig nach rechts, dann wurde es langsamer und schaute sich nach dem Jungen um, den es in die Tiefen des an die Grenzen des Light-Anwesens grenzenden Wald geführt hatte. „Krai“, machte die Stimme des Legendären, dann schwebte es zu einer Lichtung und wartete dort auf Joel. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber er war dankbar dafür, dass Darkrai nun auf ihn wartete. Als er auf die Lichtung trat, fröstelte es ihn bereits, aber er ignorierte es und starrte ehrfürchtig zu dem legendären Unlichtpokémon hinauf. „Warum hast du mich hergeführt?“ Anstatt eine Antwort zu geben deutete Darkrai auf den Rand der Lichtung, wo sich ein Schatten im Gebüsch zu bewegen schien. Joel folgte Darkrais Finger und blickte in die Dunkelheit. Er fühlte sich beobachtet, konnte jedoch nichts erkennen und wandte sich gerade mit einer neuen Frage zu Darkrai um, da war das Legendäre bereits verschwunden. Verwirrt schaute der Junge umher, dann ließ er die Schultern hängen und machte ein paar Schritte auf die Stelle zu, die ihm gezeigt worden war. Fauchend wich ein Snibunna vor ihm zurück. Erschrocken sprang auch Joel nach hinten, er hatte das Pokémon nicht gesehen, bis es sich direkt vor ihm bewegt hatte. Doch dann fiel sein Blick auf Snibunnas Pfote, sie war blutig und verletzt, es sah aus wie die Spuren einer Falle von Wilderern, denen Snibunna im letzten Moment entwischt war. „Snibunna, lass mich dir helfen“, wisperte er, doch das wilde Pokémon reagierte mit nur noch größerem Fauchen und sträubte widerwillig sein kurzes Fell. Kaum eine Sekunde später erkannte Joel den Grund dafür, neben Snibunna im Gebüsch lag ein Nest mit drei Pokémoneiern. Sofort bemerkte Snibunna, dass der Mensch sein Nest entdeckt hatte. Es sprang ins Gebüsch, kauerte über seinen drei Eiern und wirkte dabei mehr verloren und todtraurig als beschützerisch. Wie ein Krieger, der seine Schlacht bereits geschlagen hatte. „Snibunna, ich kann dir und deinen Eiern helfen…“ Einen langen Moment lang blickten die beiden sich fest in die Augen, dann gab Snibunna nach, trat zur Seite und gab Joel den Blick frei auf sein zerstörtes Gelege. Zwei der drei Eier waren aufgeplatzt, Stücke der Schale lagen unnatürlich deformiert in der Nestmitte. „Bunna…“ Die Mutter schob voller Trauer ein paar der Schalenstücke umher, dann strich sie voller Liebe und sanft wie eine Feder mit einer der scharfen Klingen über das dritte Ei, das mit tiefen Kratzern in der Schale davongekommen war. Joel verstand die Trauer des Pokémon, ließ sich auf dem Waldboden nieder und senkte den Kopf. Wilderei war in den Wäldern von Honey Island strengstens verboten, dennoch kamen immer wieder Menschen hier her, die nach wilden Pokémon und deren Gelegen Ausschau hielten. Auf dem Schwarzmarkt wurden für Eier mit seltenen Mustern horrende Summen gezahlt. Dieses eine Ei hatte überlebt, es war halbwegs unversehrt seiner Zerstörung entkommen. In seiner Verzweiflung hatte Snibunna sein Nest bis aufs Blut verteidigt und die ungeschlüpften Jungen lieber in den Trümmern ihrer Eier sterben lassen als sie den Wilderern in die Hände fallen zu lassen. „Du bist eine gute Mutter, Snibunna. Deine Kinder hätten es verstanden.“ „Snibunna…“ „Dar…“ Joel zuckte leicht zusammen, schaute auf und sah direkt in die Augen von Darkrai, das vor ihnen schwebte, sich auf dem Boden niederließ und ebenso wie sie Anteilnahme am Tod der beiden ungeborenen Sniebel zeigte. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können: Ein Trainer, der keiner sein durfte, ein wildes Snibunna und ein Legendäres. Dennoch verband sie in diesem Moment das Gefühl der Trauer und gemeinsam teilten sie es bis tief in die Nacht hinein. Das Leben war so zerbrechlich, man durfte es nicht verschwenden. „Sniebel!“ Joel grummelte, öffnete die Augen und lächelte sein Sniebel an, das mit verschränkten Armen vor seinem Bett stand und im nächsten Moment aufgeregt durch die Gegend flitzte. „Du bist früh auf den Beinen.“ Der verwerfliche Blick seitens Sniebel brachte Joel nur noch breiter zum Lächeln, dann stand er auf und fuhr sich durch die Haare. Vor zwei Wochen war das junge Pokémon aus seinem Ei geschlüpft, die dicken Kratzer hatten die Schale zwar stark beschädigt, dem Pokémon im Inneren allerdings kein Haar gekrümmt. Munter und sehr lebhaft sprang Sniebel durch Joels großes Zimmer, stellte allerlei Unfug an und ging Trixi damit gehörig auf die Nerven. Joel liebte Sniebel, sein Sniebel, sein Partner. Sicher, noch war er kein Pokémontrainer, aber eines Tages würde er mit Sniebel zu Professor Sage reisen und sich von ihm die Trainerlizenz geben lassen. Ein leises Kratzen am Fenster ließ Joel aufschauen, dann ging er zu seinem Balkon und öffnete die breite Balkontür. „Snibunna, komm rein. Gut siehst du aus.“ Die Mutter nahm ihr Junges in den Arm, dann streichelte sie Sniebel über den Kopf und unterhielt sich mit dem jungen Pokémon. Snibunna wusste, dass es Sniebel bei Joel gut hatte, dass er sich immer um ihr Kleines kümmern würde. Hier war Sniebel sicher, wenn im Wald die Wilderer unterwegs waren. Vielleicht hatte Snibunna Sniebel einmal vor ihnen beschützen können, aber Joel war ein guter Mensch, er würde es besser können als sie. In den folgenden Wochen und Monaten wurden Snibunnas Besuche immer weniger. Die Mutter sah ihr Junges bei dem Menschen, der von Darkrai berührt wurde, aufwachsen. Es würde Sniebel gut gehen. Irgendwann blieben die Besuche ganz aus und niemand wusste etwas über Snibunnas Verbleib, doch Joel war sich sicher, dass es ihm gut gehen würde, wo auch immer es sich gerade befand. Womöglich war es weitergezogen, hatte sich einen neuen Platz zum Leben gesucht. Jeden Abend saßen Sniebel und Joel am Fenster und sahen hinauf zu den Sternen und dem Mond. Und jeden Abend versprach Joel sowohl Darkrai als auch Snibunna, dass er immer für Sniebel sorgen würde. Er würde ein Trainer werden. Kapitel 86: Pokémontausch ------------------------- Der Tag endete für Faith damit, dass ihre Mutter ihr zur Strafe Hausarbeit aufbrummte und eine geschlagene Stunde lang einen Vortrag über Verantwortung hielt. Sie war wahnsinnig sauer, weil Faith ohne ihr Bescheid zu sagen so eine waghalsige Idee durchgesetzt hatte, wobei sie nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Aber noch mehr hatte sie panische Angst um Faith gehabt, selbst als sie wohlbehalten vor ihr stand und sich die klatschnassen Sachen auszog. Auch Mira und Evan zeigten nur zu deutlich ihre Besorgnis und das Missfallen über Faiths mangelndes Vertrauen in sie. „Du hättest umkommen können, Faith.“ Mira schaute sie mit festem Blick an. „Du hättest sterben können und wir hätten nicht einmal gewusst, wo du bist. Wie konntest du so etwas nur tun?“ „Das habe ich doch meiner Mutter schon zig Mal erklärt und du standest direkt daneben.“ Genervt schaute Faith Mira an und lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Die trockene Kleidung tat ihr gut, sie konnte sogar den einwöchigen Tellerwaschdienst im Restaurant nachvollziehen. „Beim nächsten Mal sage ich dir vorher Bescheid.“ „Es wird kein nächstes Mal geben! Oh Faith, bitte mach so etwas nie wieder.“ Nach einem kurzen Zögern stand Mira auf und umarmte Faith. Sie drückte sie an sich und schluchzte leise. „Es tut mir so unendlich leid, was ich alles zu dir gesagt habe. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, dass ist so schlimme Dinge gesagt habe. Du bist nicht zurückgeblieben oder so etwas, ich bin die ganze Sache mit Evan überstürzt angegangen. Wir wollten uns aussprechen und ich habe gemerkt, wie wichtig mir die Freundschaft mit dir ist.“ „Weil ich beinahe draufgegangen bin?“ Faith zog die Augenbrauen zusammen, doch erwiderte sie Miras Umarmung und seufzte schließlich. „Eve, Joel und ich wollen uns gleich auf dem Revier bei Officer Rocky treffen. Sie hat mir alleine nicht geglaubt, aber Eve hat eines der Blutröhrchen mitgehen lassen, das muss als Beweisstück Anhaltspunkt genug sein.“ „Stört es dich, wenn ich… also… Ich würde gerne mitkommen?“ Mit einem leichten Lächeln stimmte Faith zu, dann zogen sich beide Mädchen Jacken und Schuhe an und gingen los. Sie waren gerade ein paar Meter aus der Tür, als Evan sich zu ihnen gesellte und Faith zunickte. „Ich werde euch begleiten.“ „Wenn es denn sein muss.“ Nun, da die Dinge mit Mira wieder geklärt zu sein schienen, machte Faith keinen Hehl mehr aus ihrer partiellen Abneigung Evan gegenüber. Er war zwar sehr nett, aber er hatte einen Keil zwischen Mira und sie getrieben, weil Mira einfach zu beeinflussbar war. Zu dritt gingen sie auf direktem Weg zum Polizeipräsidium von Litusiaville, wo Joel, Trixi und Eve bereits auf sie warteten. Eve wirkte erschöpft und glücklich, Trixi hatte sich in Joels Arm gekrallt wie eine Furie. Einen Moment schauten sie sich schweigend an, dann betraten sie gemeinsam das Gebäude, um ihre Aussage zu machen. Faith atmete tief durch. Sie war erleichtert, dass man ihnen dieses Mal Glauben geschenkt hatte. Eve hatte den wichtigen Beweis mitgebracht und dank ihrer Hilfe waren sie Team Dark nun einen Schritt weiter auf den Fersen. Nachdem sie sich von der jungen Vogelpokémontrainerin mit dem Schwalboss verabschiedet hatten, brachten Mira, Evan und sie Joel und Trixi noch zum Pokémoncenter. Schwester Joy schaute auf, als die Jungtrainer das Gebäude betraten, dann lächelte sie freundlich und grüßte sie. Vor ihr stand am Tresen ein Mann, der einen Cowboyhut trug und eine goldene Gürtelschnalle besaß. „Der sieht ja verrückt aus“, nuschelte Mira und schaute den Unbekannten an. Dieser bemerkte den Blick und grinste breit. „Junge Lady, du siehst verwirrt aus.“ Sofort wurde Mira rot und versteckte sich halb hinter Evan, räusperte sich dann allerdings und begann zu sprechen. „Sie sehen etwas speziell aus.“ Der Mann lachte und tauschte einen Blick mit Schwester Joy. „Ich bin ein Pokémonhändler, wenn man viel rumkommt, schafft man sich auch viel Krempel an. Sag, du bist nicht zufällig eine junge Trainerin, nicht wahr?“ „Ich bin Koordinatorin, wieso fragen Sie?“ Etwas skeptisch war Mira schon, aber der Mann hatte so ein herzliches Lachen und auch Schwester Joy schien ihn zu kennen und ihm zu vertrauen, sodass Mira schnell ihre anfängliche Scheu verlor. „Letzten Monat bin ich in Einall gewesen, habe ein paar alte Freunde besucht und jetzt suche ich ein neues Zuhause für ein paar Pokémon. Bist du an einem Tausch interessiert?“ „An einem Pokémontausch?“ Mira machte große Augen. Evan legte den Kopf ein wenig schief und streckte den Rücken durch. „Wenn Sie Mira reinlegen wollen, lassen Sie es besser gleich sein.“ „Oh nein, ich kenne Juan, er ist wirklich ein netter Mensch. Er handelt mit Pokémon und gibt sie nur an gewissenhafte Trainer weiter“, ergriff Schwester Joy für den Mann Partei. „Pokémonhandel ist der Grund für die Wilderei auf Honey Island.“ Joels Augen wurden schmal und seine Stimme glich dem wütenden Zischen einer giftigen Natter. „Ein Trainer sollte seine Pokémon niemals achtlos gegen ein neues Pokémon eintauschen.“ Als hätte man einen emotionalen Punkt bei ihm erwischt, riss Joel sich von Trixi los und stapfte aufgebracht die Treppe nach oben zu den Gästezimmern. Trixi wartete nicht und folgte ihm sofort. Faith schaute den Zwillingen hinterher, auch sie teilte Joels Meinung zum Teil. Doch bevor sie sich weiter Gedanken darüber machen konnte, wurde auch sie von dem Mann angesprochen. „Drüben in Kanto wohnt ein alter Freund von mir, Professor Eich. Er bat mich ein paar Pokémon aus Einall zu besorgen, damit er sich mit ihnen befassen kann. Mit den meisten Pokémon geht so eine Umsiedlung gut, aber ein paar stellen etwas an und können sich nicht richtig einleben. Für diese Pokémon suche ich dann neue Trainer, damit sie beschäftigt werden. Wie der Zufall es will, habe ich heute zwei der Pokémon bei mir. Also, Ladies, ihr seht mir wie zwei gewissenhafte Damen aus. Interesse?“ Faith wollte eigentlich nicht darüber nachdenken, doch Mira schien sich wirklich Gedanken darüber zu machen. „Ich bin mir nicht sicher. Um welche Pokémon handelt es sich denn? Wissen Sie, ich habe ein Sheinux, das ich irgendwie nicht richtig auslasten kann. Sheinux ist kein Fan von den Wettbewerben, irgendwie wirkt es immer etwas unglücklich, wenn ich so darüber nachdenke…“ Juan zögerte nicht, er entließ ein Rokkaiman und ein Unratütox aus seinen Pokébällen. Die Umstehenden staunten nicht schlecht und er erklärte ihnen, welche Typen und Eigenschaften die beiden Pokémon hatten. Doch bei dem Wort „Giftpokémon“ verzog Mira das Gesicht. „Nein danke, aber so ein Pokémon passt nicht zu mir. Rokkaiman sieht mir auch zu kräftig und wild aus, ich denke nicht, dass es für einen Wettbewerb geeignet ist.“ Juan lachte erneut. „Ach was, Rokkaiman ist ein ganz lieber Kerl, man muss ihm nur seinen Freiraum lassen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, richtig?“ Er zog Rokkaiman, das die Arme vor dem Körper verschränkt hatte, zurück in den Pokéball. „Ich biete dir Rokkaiman gegen dein Sheinux an. Meine Nichte wünscht sich schon lange ein Sheinux, das würde passen. Es wird immer gut bei ihr aufgehoben sein. Also, was sagst du?“ Mira wirkte hin und her gerissen, ein Blick zur lächelnden und nickenden Schwester Joy ließ ihre Zweifel immer kleiner werden. Es stimmte, sie hatte Sheinux nie gut trainieren können und sie war auch keine so zaghafte Trainerin wie noch vor ein paar Monaten. Ehe sie es sich anders überlegen konnte, nickte sie. „Na schön. Hier ist Sheinux‘ Pokéball.“ Sie reichte den Pokéball an Juan weiter und bekam im Gegenzug den Ball von Rokkaiman. „Aber das ist sonst eigentlich so gar nicht meine Art.“ „Schon gut, Lady, Sheinux und meine Nichte werden sich gut verstehen. Und was ist mit dir?“ Faith zog eine Augenbraue in die Höhe. „Danke, aber ich bin mit meinem Team zufrieden. Es gibt kein Pokémon, das ich tauschen würde gegen ein… Unra…tü…tox?“ Juan blickte zu dem Unratütox, das bereits traurig den Kopf gesenkt hatte, doch er akzeptierte Faiths Entscheidung und zog das Giftpokémon zurück. „Das Kleine hat niemandem etwas getan, aber irgendwie finde ich einfach niemanden, der es behalten möchte. Ich bin sicher, wenn man ihm Liebe entgegenbringt, wird es ein tapferer Kämpfer werden.“ Schwester Joy seufzte. Sie kannte Faith und ihr Glumanda, da Faith es jede Woche hier durchchecken ließ. „Hör mal, Faith… Professor Eich ist wirklich ein guter Pokémonforscher. Juan ist auf direktem Weg zu ihm und ich denke, dass der Professor deinem Glumanda vielleicht mehr helfen kann als ich. Dort kann Glumanda den ganzen Tag mit anderen Pokémon spielen und wird nicht mit den Pokémonkämpfen konfrontiert. Du solltest darüber nachdenken.“ „Sie wollen, dass ich Glumanda einem Unbekannten überlasse?“ „Nein, ich würde dich nie dazu überreden wollen, dass du es weggibst. Ich kenne doch eure gemeinsame Geschichte. Allerdings kann Glumanda dort wirklich geholfen werden, es wird ihm gut gehen. Bitte denk darüber nach. Dank dir lebt Glumanda und hat sein Trauma überwunden, aber du kannst ihm nicht die Familie und die Mutter ersetzen, die es braucht. Ich denke, dass es bei Eich ein ruhigeres Leben führen kann.“ Faith klappte ihren Mund wieder zu und schaute auf den Boden. „Das kann ich nicht jetzt entscheiden.“ Auch Juan nickte. „Lass dir Zeit. Nun, vielleicht nicht zu viel Zeit, morgen Mittag muss ich weiterreisen. Schlaf eine Nacht drüber, junge Lady. Deinem Glumanda wird in meiner Obhut nichts geschehen.“ „Ich… denke darüber nach.“ Als Faith wenig später in ihrem Bett lag, dachte sie wirklich darüber nach. Sie liebte Glumanda und das junge Pokémon hing an ihr, aber es war noch ein halbes Baby und sie würde es nie in der Liga einsetzen können. Professor Eich hingegen war berühmt und könnte Glumanda richtig versorgen. War es womöglich die richtige Entscheidung, wenn sie Glumanda fortgeben würde? Kapitel 87: Goodbye, Glumanda ----------------------------- Am nächsten Morgen stand Faith an der Rezeption des Pokémoncenters und atmete tief durch. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, auch wenn es ihr weiß Gott nicht leicht gefallen war. Glumanda bedeutete ihr viel, aber Faith war in der Nacht und den vielen Stunden, die sie gegrübelt hatte, klar geworden, dass Professor Eich sich besser um das kränkliche Pokémon kümmern konnte als sie selbst. Niemand konnte sagen, wie sich die DNA-Stücke von Entei, die sich in Glumandas Körper befanden, auswirken würden, aber zumindest war es bei Eich besser versorgt. Als Juan auf sie zukam, grüßte er sie freundlich und berührte dabei kurz die Krempe seines Cowboyhuts. „Ich habe schon gar nicht mehr mit dir gerechnet, junge Lady.“ „Mir ist die Entscheidung schwer gefallen, aber für Glumanda ist es besser so. Passen Sie gut auf es auf, bis es bei Eich ist, ja?“ „Ich werde dem Professor sagen, dass er sich regelmäßig bei dir melden soll. Mach dir keine Sorgen, der alte Mann wird gut auf Glumanda aufpassen.“ Nachdenklich rieb Juan sich über das Kinn und blickte Faith an. „Aber sag, du könntest mir nicht zufällig einen Gefallen tun?“ „Worum geht es denn?“ „Du bist eine gute Trainerin, das sehe ich aus Erfahrung. Da du nun Glumanda fortgibst, ist doch ein Platz in deinem Team frei.“ „Und?“ Faith zog die Augenbrauen minimal zusammen und ahnte bereits, um was Juan sie bitten wollte. Sie behielt auch Recht damit und seufzte leise, als er sie bat das Unratütox von gestern bei sich aufzunehmen. „Ich weiß nicht, mein Starter hat schon einen Gifttyp und ich möchte die Liga meistern…“ „Das Kleine hat eine Chance verdient, meinst du nicht auch?“ Gerade wollte Faith antworten, als Trixi und Joel die Treppe ins Foyer herunterkamen. Joel verengte beim Anblick von Juan sofort die Augen, erwiderte jedoch nichts zu ihm, sondern gesellte sich an Faiths Seite. „Wirst du Unratütox bei dir aufnehmen?“ „Du hast uns belauscht“, klagte Faith und fühlte sich nur noch weiter bestätigt, als Joel mit dem Kopf schüttelte. „Na dann bin ich über deine Meinung gespannt.“ Joel funkelte sie leicht an, ließ es allerdings bei Trixis wachsendem Grinsen bleiben. „Ich stimme Juan zu. Jedes Pokémon kann ein guter Kämpfer sein. Ich finde, du solltest Unratütox ein neues Zuhause geben und es trainieren. Es hatte bisher kein Glück mit Trainern, da wird es sich bestimmt umso mehr anstrengen. Apropos anstrengen, ich werde vor dem Mittagessen in der Arena antreten und mich dann mit dem Orden auf den Heimweg nach Honey Island machen.“ „Das sagst du nur, weil du Glück mit Pokémon wie Lapras oder Lucario hast. Idiot.“ „Wieso beleidigst du mich jetzt?“ Empört trat er einen Schritt zur Seite und wollte etwas Garstiges erwidern, doch Trixi packte ihn lächelnd am Kragen und zog ihn hinter sich her in den Speiseraum. „Weil du Recht hast“, rief Faith ihm hinterher und fühlte sich sogleich besser. Als sie sich wieder Juan zuwendete, nickte sie und reichte ihm den Pokéball mit Glumanda. „Ich habe mich vorhin schon von Glumanda verabschiedet. Es hat große Angst und man muss viel Geduld mit ihm haben. Bitte passen Sie wirklich gut auf es auf.“ „Ich gebe dir mein Wort, junge Lady. Viel Erfolg mit Unratütox‘ Training.“ „Na hoffentlich bereue ich diesen Tausch nicht.“ Kopfschüttelnd steckte Faith den neuen Pokéball an ihren Gürtel, verabschiedete sich von Juan und ermahnte ihn noch mindestens ein Dutzend Mal zur Vorsicht und Sorgfalt im Umgang mit Glumanda. Etwas später saßen Mira, Evan und Faith gemeinsam am Frühstückstisch bei Faith Zuhause. Evan fand den Tausch, den Faith eingegangen war, genauso schlecht wie den von Mira. Seiner Meinung nach sollte ein Trainer seine Pokémonpartner nicht tauschen, aber er hielt sich angesichts der beiden Mädchen mit seiner Ansicht zurück und schwieg stattdessen lieber. Mira hingegen beteuerte immer wieder, dass sie Faiths Entscheidung begrüßte und sie für richtig befand. „Glumanda wird es bei Professor Eich gut haben, außerdem kannst du jederzeit dort anrufen und dich nach Glumandas Wohlbefinden erkundigen. Du hast richtig gehandelt, Faith.“ Die Angesprochene kratzte sich an der Wange und rollte den Pokéball von Unratütox, der vor ihr lag, neben ihrem Teller hin und her. „Du hast Recht, aber es fühlt sich trotzdem falsch an.“ „Vielleicht solltest du dich lieber etwas mit deinem neuen Teammitglied befassen“, schlug Evan vor, schluckte den Rest seines Müslis runter und streckte sich. „Wir könnten einen kleinen Probekampf machen, dann weißt du, wie stark deine Mülltüte ist.“ „Hör auf es zu beleidigen“, zischte Faith, biss sich jedoch im nächsten Moment auf die Zunge. Sie wollte es nicht zugeben, aber irgendwie lag ihr das Schicksal des kleinen Pokémon am Herzen und sie wollte es behalten – oder zumindest brachte sie es einfach nicht über das Herz Unratütox fortzuschicken. Nachdem sie alle mit dem Essen fertig waren, räumten sie zu dritt das benutzte Geschirr in die Spülmaschine und die anderen Dinge zurück in den Kühlschrank und das Regal daneben. Evan schwieg und hing seinen Gedanken nach, Mira bemühte sich freundlich und hilfsbereit wie eh und je zu sein und Faith ignorierte die beiden schlichtweg. Draußen im Hausflur entließ sie ihr neues Teammitglied und bemerkte sofort den unsicheren Blick von Unratütox. Es ließ seine Ohren und seine Arme schlaff hängen, wagte aber einen hoffnungsvollen Blick nach oben zu Faith. Diese kniete sich vor dem Pokémon hin und lächelte. „Du musst ziemlich verwirrt sein. Also… Mein Name ist Faith Loraire, Juan meinte, ich solle mich um dich kümmern.“ „Tü…?“ „Tja, also… Ich bin deine neue Trainerin, Unratütox.“ Es war mit Sicherheit nicht der herzlichste Empfang, aber Faiths Herz zog sich zusammen, als sie das aufkeimende Leuchten in den Augen des kleinen Giftpokémon sah. Sie beobachtete den ersten, zögerlichen Schritt von Unratütox, dann streckte sie die Arme aus. Es dauerte einige Sekunden, dann hob Unratütox die Zipfelohren an und sein Gesicht erhellte sich voller Hoffnung. „Tütox?“ Faith lächelte es an und musste eingestehen, dass sie das Kleine bereits liebgewonnen hatte. „Na komm, lass dich mal drücken. Wir zwei sind doch ab jetzt ein Team, hm?“ „Unratütox!“ Glücklich sprang das Pokémon in Faiths Arme, lachte sie mit strahlenden Augen an und konnte kaum fassen, dass es endlich von jemandem gewollt wurde. Die Jungtrainerin seufzte und streichelte der Mülltüte, wie Evan es genannt hatte, liebevoll über den Kopf. Zwar hatte Glumandas Verlust eine kleine Leere in ihrem Herzen hinterlassen, aber dafür hatte sie nun einen treuen Freund gefunden. Sie würde Unratütox nicht mehr hergeben können, selbst wenn sie müsste. Es gehörte ab jetzt zu ihrem Team. Kapitel 88: Itsuki kehrt zurück ------------------------------- „Ich möchte nicht gegen dich kämpfen.“ „Ach komm schon, Faith. Du musst testen, wie stark Unratütox ist.“ „Ich werde hier gar nichts testen und ich werde jetzt auch nicht gegen dich kämpfen, Evan.“ Mit einem strengen Blick in seine Richtung zog sie Unratütox zurück in den Pokéball und schnaufte. „Ich gehe jetzt zur Arena und schaue Joel bei seinem Kampf zu.“ „Er wird den Gischtorden auch gewinnen, wenn du nicht sein Groupie spielst.“ Mira blickte bei Evans letzten Worten auf, lächelte verlegen und hakte sich bei ihm unter. „Komm, wir zwei gehen ein wenig am Strand spazieren, dann bekommt Hunduster auch mal wieder etwas Auslauf.“ Evan zögerte einen Moment, schaute zu Faith, dann wieder zu Mira und nickte schließlich mit einem milden Lächeln. „Sicher, lass uns spazieren gehen. Viel Spaß in der Arena, Faith.“ „Danke, euch auch.“ Schweigend machte die Jungtrainerin sich fertig, schnappte sich ihren Haustürschlüssel und verabschiedete ihre beiden Begleiter auf der Straße. Während Evan und Mira mit einem agilen Hunduster runter zum Wasser gingen, machte Faith sich auf den Weg zur Arena. Hoffentlich kam sie nicht zu spät, Joel hatte ihr keine genaue Uhrzeit für seinen Kampf genannt. Als sie bei der Arena ankam, musste sie zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass Joel gerade mit dem Gischtorden in der Hand die Arena verließ. Als er sie sah, kam er auf sie zu, grinste und steckte den Orden demonstrativ weg. „Glückwunsch zum Orden.“ „Danke.“ Er grinste Faith an. „Für Lucario und Sniebel war die Arena kein Problem. Bei dir wäre Lucario auch gar nicht ausgelastet gewesen.“ „Charmant wie eh und je“, entgegnete Faith und zog dabei eine Grimasse. Scheinbar hatte sie ihren Kotzbrocken Joel wieder und er war ganz der Alte. „Lennart ist ein guter Trainer, du hattest vermutlich Glück so ganz ohne Typenvorteil.“ Joels Grinsen wurde nur noch breiter. Im nächsten Moment wuschelte er bereits der protestierenden Faith durch die türkisenen Haare und verfiel in einen gemächlichen Schlendergang. Als er sah, dass sie mit ihm mithielt, schüttelte er kaum merklich den Kopf, machte aber einen recht glücklichen Eindruck. „Lennart hat verloren und ich habe den Orden, da gibt es doch nichts weiter zu diskutieren. Wie geht es Unratütox?“ „Danke, gut, schätze ich.“ Über den Themenwechsel etwas verwirrt war sie zwar schon, antwortete aber weiter. „Das Kleine ist eigentlich ganz putzig, Evan möchte den ganzen Vormittag schon gegen es kämpfen, aber ich möchte das nicht. Unratütox soll sich erst einmal eingewöhnen, die nächsten Kämpfe kommen schon noch schnell genug, immerhin bin ich eine Pokémontrainerin. Wie geht es eigentlich Trixi? Der Wettbewerb steht quasi schon vor der Tür.“ „Sie ist zuversichtlich, denn zu verlieren ist keine Option für ein Mitglied der Familie Light.“ „Das alte Geschwätz.“ Faith warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, den er schweigend erwiderte. Dann lächelten beide in sich hinein und liefen schweigend nebeneinander her bis zur Strandpromenade. In gut einhundert Metern Entfernung spielten Evan und Mira mit Hunduster, aber Faith hatte kein Bedürfnis zu ihnen zu gehen. „Wie geht es dir nach der ganzen Sache mit Itsuki?“ „Hm?“ Seine Nachfrage kam unvorbereitet, sie biss sich auf die Zunge und fuhr sich durch die offenen Haare. „Es geht so. The show must go on, sagt man doch so schön.“ Joel wirkte nicht zufrieden, fragte aber nicht weiter nach. So standen sie einige Minuten schweigend beieinander, bis Faith gerade etwas sagen wollte. Ihr Blick streifte einen Jungen, der nur wenige Meter von ihr entfernt am Strand spazieren ging. Diese blonden Haare unter der Basecap, die eisblauen Augen, die ihren Blick für einen kurzen Moment eingefangen hatten… „Itsuki!“ Sie merkte erst, wie laut sie gerufen hatte, als Joel neben ihr zusammengezuckt war und ihrem Blick entgeistert folgte. Itsuki zuckte ebenfalls zusammen, drehte sich um und wurde im nächsten Moment schon von Joel am Kragen gepackt. Die eisblauen Augen blickten wütend auf den etwas kleineren Trainer herunter, dann riss Itsuki sich los und taumelte einen Schritt nach hinten. „Fass mich nicht an, Light!“ Seine Worte waren kaum mehr als ein Zischen und mit schnellen Blicken vergewisserte er sich, dass keine anderen Passanten in ihrer Nähe standen. Allerdings waren Mira und Evan auf die kleine Rauferei aufmerksam geworden und eilten nun zu ihnen, ein knurrendes Hunduster direkt im Schlepptau. „Wenn du es wagst ihr nahe zu kommen, mache ich dich fertig, Ito!“ Erschrocken packte Faith Joel am Arm und zog ihn von Itsuki fort. „Hör auf, Joel!“ Doch der Ermahnte hörte nicht auf sie und warf Itsuki weiterhin Todesblicke zu. „Hier kommst du nicht mehr raus. Für Mitglieder von Team Dark wartet nur noch das Gefängnis, du elender Pokémonquäler.“ „Ich quäle keine Pokémon“, erwiderte Itsuki und musste weiter zurückweichen, bis ihm die Wellen gegen die Schuhe schlugen. Derweil hatten auch Mira und Evan die Szenerie erreicht. Mira hielt sich die Hand vor den Mund und blickte mit Tränen in den Augen zu Itsuki, während Evan sein Altaria aus dem Pokéball befreite und es zum Angriff bereit hielt. „Wir müssen ihn überwältigen und zum Revier bringen, dann kann er seine Lügen dort erzählen.“ „Ich quäle keine Pokémon!“ Zornig drehte Itsuki sich zu Faith um und ein Flehen lag in seinem Blick. „Du musst mir glauben, Faith. Ich habe nie auch nur einem Pokémon ein Haar gekrümmt.“ Für einen kurzen Moment setzte Faiths Herzschlag aus und sie hätte ihm beinahe geglaubt. Sie wollte ihm glauben. Er war doch ihr Freund, ihr Itsuki. Mit trockenem Mund begann sie zu sprechen. „Das fällt mir schwer zu glauben, wenn du bei Team Dark bist und uns in der Grotte umbringen wolltest, Itsuki.“ „Ich wollte was?“ Entsetzt schaute er zwischen den vier Trainern, die ihn umzingelt hatten, umher. Sein Blick blieb schlussendlich wieder bei Faith hängen. Joel übernahm das Antworten für sie und schnaubte verächtlich. „Stell dich nicht so dumm an, das steht dir nicht. Du bist doch sonst auch immer so clever. Der Kristall, der uns den Ausgang versperrt hat, hätte uns beinahe das Leben gekostet. Wir konnten durch einen Unterwasserschacht von dem Höhlensee aus entkommen.“ Mit aufgerissenen Augen schaute Itsuki Faith an. „Das habe ich nicht gewusst. Ich schwöre dir Faith, wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich euch niemals alleine zurückgelassen. Bitte, ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist, dass ich das nicht gewusst habe. Ich bin kein Mörder. Bitte, Faith, du kennst mich, du musst mir glauben!“ Sie schwieg und dennoch tobte in ihrem Inneren ein Sturm. Solche Gefühlsregung, so ein Flehen hatte sie noch nie bei Itsuki gesehen. Sagte er womöglich die Wahrheit? „Wieso bist du bei Team Dark? Wie konntest du das tun, nach allem, was wir in diesem Bunker gesehen haben?“ „Caleb hat mir seine Visitenkarte gegeben. Ich wollte dich beschützen, dich und alle anderen.“ „Rede nicht so einen Schwachsinn“, knurrte Joel, aber auch er musste zugeben, dass er Itsuki nicht als Mörder sehen konnte. Itsuki atmete tief durch, zog seine Basecap ab und schaute allen vier Trainern in die Augen, ehe er weitersprach. „Ich möchte Team Dark aufhalten, deshalb bin ich dort eingetreten. Wenn ich bei ihnen Mitglied bin, kann ich ihre Gewohnheiten lernen und ihre Ziele erkennen. Aber… es hat nicht geklappt. Ich habe nur ein paar Handlanger getroffen und Caleb, aber niemals den Boss. Es tut mir leid, dass ich euch so etwas antun musste, aber ich wollte wirklich nur helfen.“ Mira schluchzte auf, sie lief auf Itsuki zu und schlang die Arme um seinen Hals. Evan wollte sie noch zurückhalten, doch sie war schneller als er. „Ich glaube dir! Oh Gott, wie konnten wir nur an dir zweifeln!“ Alle weiteren Worte gingen in ihren erstickten Schluchzern unter. Faith warf Evan und Joel einen Blick zu, dann entspannte sie sich minimal und machte ebenfalls einen Schritt auf Itsuki zu. „Wenn du die Wahrheit sagst, wenn das alles wirklich die Wahrheit ist… dann hast du entsetzlich dumm gehandelt. Du hättest mit Mira und mir reden können, wir waren deine Freundinnen, Itsuki.“ Dass sie im letzten Satz das Präteritum gebrauchte, machte die Entfremdung von Itsuki nur noch schmerzlicher bewusst. Er schloss die Augen, legte tröstend die Arme um Miras zarten Körper und tätschelte ihren Rücken. „Ich kann nicht mehr tun, als euch um Verzeihung zu bitten.“ „Ich verzeihe dir“, murmelte Mira, streckte den Rücken durch und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Aber bitte tu mir so etwas nie wieder an. Ich… ich…“ Sie biss sich auf die Zunge und ließ sich von Evan auf Abstand ziehen. „Es hat nicht jeder so ein großes Herz wie Mira“, sagte Evan und schob sich zwischen Itsuki und sie. „Und Faith hat Recht, dein Verhalten war egoistisch und dumm. Du hättest dich den beiden anvertrauen müssen.“ „Du hast beiden das Herz gebrochen“, stimmte Joel seinem Kindergartenfreund zu. „Das lässt sich nicht einfach vergeben und vergessen.“ „Ich weiß.“ Itsuki schaute zu Faith und in seinem Blick lag die stumme Bitte nach Vergebung. „Ich werde nicht mehr zu Team Dark zurückkehren, vermutlich wäre mein Handeln sowieso bald aufgeflogen.“ „Dann bist du in Gefahr, Itsuki.“ Faith fühlte Besorgnis in sich aufkeimen. „Wir alle sind in Gefahr.“ „Ich weiß, es tut mir so unendlich leid…“ Für einen Moment lagen alle Augenpaare auf Faith, die erst zögerte und anschließend ihre Hand auf Itsukis Schulter legte. „Ich bin froh, dass ich jetzt die Wahrheit kenne. Aber ich kann dir das nicht verzeihen, noch nicht. Dennoch… bist du ein Freund von mir, nicht? Und Freunde lässt man nicht einfach im Regen stehen. Willkommen zurück, Itsuki.“ Der Junge lächelte dankbar. Es war viel mehr, als er erwartet hatte. Viel mehr, als er verdient hatte. Er würde sie kein zweites Mal enttäuschen. Doch die Blicke der beiden anderen Jungs verrieten ihm auch, dass er von nun an unter genauster Beobachtung stehen würde. Kapitel 89: Das Band von Litusiaville ------------------------------------- Am Morgen des Wettbewerbstags schlug Faith mit gemischten Gefühlen die Augen auf. Neben ihrem Bett hatte sich Unratütox zu einer Kugel zusammengerollt und gähnte, als seine Trainerin aufstand. Wie jeden Morgen richtete Faith zuerst das Essen für ihre sechs Pokémon an, dann verschwand sie ins Badezimmer und räumte, wenn sie mit Duschen fertig war, die leeren Näpfe der Pokémon wieder weg. Doch als sie nach ihrer Dusche in die Küche zurückkehrte, saß dort bereits Itsuki und gab Frosdedje, Venuflibis, Blitza und Igelavar Futter. „Guten Morgen, Faith.“ Er schaute mit einem dankbaren Lächeln auf und machte ihr Platz am Küchentisch, doch Faith winkte ab. Hier war nicht genug Platz für vier Leute mit Pokémon. Itsuki erkannte dies und warf seinen Pokémon einen flüchtigen Blick zu. „Ich werde sie in ihre Pokébälle zurückziehen, sobald sie aufgegessen haben.“ „Ja, das ist kein Problem, lass dir Zeit.“ Noch immer etwas müde gähnte Faith und zog schon mal ihre Pokémon bis auf Bibor zurück. Es war nicht so, dass sie Itsuki nicht vertraute, aber sie fühlte sich einfach wohler, wenn Bibor noch in ihrer Nähe war. Niemand konnte dafür garantieren, dass Itsuki wirklich nicht mehr auf der Seite von Team Dark stand, auch wenn sie seinen Worten Glauben schenkte, denn immerhin vertraute Bibor ihm und piekte den Hellblonden kameradschaftlich in die Seite. Schweigend bereitete Faith das Frühstück vor und trug zusammen mit Itsuki alles an den großen Esstisch im Wohnzimmer. Es gab Müsli für Evan, Marmeladenbrötchen für Mira und Käse und Wurst für Itsuki und sie. Sie waren gerade fertig, als auch Mira und Evan ins Wohnzimmer kamen und ihren Pokémon Frühstück gaben, Itsuki zog seine aus Platzmangel schnell in die Pokébälle zurück. „Guten Morgen ihr beiden“, flötete Evan gut gelaunt, streckte sich und grinste Mira an. „Gleich nach dem Frühstück geht es zum Wettbewerb, bist du schon nervös?“ „Sehr sogar“, erwiderte Mira seufzend, nahm Platz und schmierte sich ein Brötchen. „Ich hoffe einfach, dass die Performance mit Evoli und der Kampf mit Hunduster gut laufen.“ Mira hatte im Vorfeld mit Rokkaiman trainiert, aber sie kannte das neue Pokémon noch nicht gut genug, als dass sie es in einem so wichtigen Wettbewerb eingesetzt hätte. Sowohl Trixi, Evan als auch Mira besaßen drei Bänder, brauchten aber fünf für das große Festival in Eisbergen. Allerdings würde Evan heute nicht antreten, da er das Band von Litusiaville bereits besaß, so würde es wieder auf die Konkurrenz zwischen Trixi und Mira hinauslaufen. Zufrieden bemerkte Faith, dass der Alltag trotz Itsukis Anwesenheit wieder eingekehrt war. Vielleicht konnten sie ihm noch nicht ganz verzeihen, aber die Pokémon hatten es getan und Faith war clever genug, um sich auf deren Intuition zu verlassen. Nach dem Essen zog sie auch Bibor zurück in den Pokéball. Vor der Wettbewerbshalle hatte sich bereits eine große Menschentraube versammelt, als die vier Jungtrainer ankamen. Möglichst unauffällig sah Faith sich nach Joel um, konnte aber weder ihn noch seine Zwillingsschwester Trixi irgendwo entdecken. Etwas enttäuscht trabte sie hinter den anderen zu den Tribünen und suchte sich einen Platz ziemlich weit vorne. „Ich bin gespannt, ob Mira das Band gewinnen wird.“ „Für ihr Selbstwertgefühl wäre es ganz gut, ihr letzter Sieg liegt schon eine ganze Weile zurück“, antwortete ihr Evan mit gerunzelter Stirn. „Du, sag mal, ist das dort in der Jury nicht Maike?“ „Tatsächlich, das wird Mira freuen.“ Faith wartete, bis Maike sie entdeckte hatte, dann winkte sie der berühmten Koordinatorin zu. „Maike sieht glücklich aus, sie ist hier ganz in ihrem Element. Oh, sieh nur, Drew sitzt auch in der Jury.“ Als Faith die Augen etwas zusammenkniff und genauer hinsah, konnte sie sogar einen Ring an Maikes linker Hand funkeln sehen. Überrascht zog Faith die Augenbrauen hoch, wunderte sich im nächsten Moment jedoch nicht, dass die beiden erfolgreichen Koordinatoren sich verlobt hatten. Auch wenn es zwischen ihnen scheinbar öfter mal krachte, passten sie zusammen und liebten sich sehr, das sah man ihnen an. „Ihr kennt Maike und Drew nicht nur aus dem Fernsehen?“ Irritiert schauten Evan, Itsuki und Faith sich um, dann entdeckten sie zwei bekannte Trainer. Nein, nicht nur bekannt, Faith blieb der Mund offen stehen, als sie ihr großes Idol Ash Ketchum nur eine Reihe über sich sitzen sah. „Oh mein Gott, Sie sind Ash Ketchum!“ Ihr Blick wanderte zu der schwangeren Schönheit neben ihm. „Und Misty!“ „Nicht so laut, bitte“, kicherte Misty und schmiegte sich glücklich an Ashs Seite, wobei sie ihren kugelrunden Bauch streichelte. „Wir sind undercover hier.“ Da Faith außerstande war zu antworten, übernahm Itsuki etwas zögerlich das Reden. „Maike hat uns einmal aus einer misslichen Lage gerettet, wir haben uns danach gut mit ihr unterhalten. Sie hat einer Freundin von uns, die auch am Wettbewerb teilnimmt, sogar etwas Nachhilfe gegeben.“ „Ja das klingt nach Maike“, stimmte Misty zu. Ihre orangen Haare kringelten sich leicht um ihr Gesicht und wippten fröhlich auf und ab, wenn sie den Kopf bewegte. „Ihr seid aber keine Koordinatoren?“ „Ich schon“, sprach Evan und lächelte. „Faith ist Trainerin und sammelt die Orden und Itsuki…“ „Ich habe Orden gesammelt, dann aber gemerkt, dass es nichts für mich ist. Mich interessiert das Reisen an sich, ich brauche keinen Grund dafür.“ Nun war Ash es, der Faith interessiert musterte. „Eine junge Trainerin also. Wirst du in der Liga antreten?“ Faith nickte und noch immer leuchteten ihre Augen, sie konnte den Blick gar nicht von Ash abwenden. „Ich möchte Pokémonchampion werden!“ Lachend blickte Misty ihren Freund an. „Das kommt mir doch bekannt vor, sie ist so ehrgeizig wie du, Ash.“ Auch Ash lachte leise und nickte Faith dann zu. „Ich wünsche dir viel Erfolg. Man muss nur hart genug an sich arbeiten, dann kann man gemeinsam mit seinen Pokémonfreunden jedes Ziel erreichen.“ Faith nickte, nahm den Rat ihres großen Idols wie ein Schwamm in sich auf und konnte sich erst auf den beginnenden Wettbewerb konzentrierten, als Evan sie sanft an der Schulter rumdrehte. Trixi und Mira hatten Startnummern direkt hintereinander gezogen, zuerst war Trixi an der Reihe und führte eine vollkommen perfekte Feuerchoreographie mit ihrem Starter Vulnona auf. Als Mira kurz darauf die Bühne betrat, wirkte sie total verunsichert und warf ihrem Evoli immer wieder vorsichtige Blicke zu. Doch das Normalpokémon rieb kurz seinen Kopf an Miras Knöcheln und machte sich dann auf den Weg zu seiner Performance. Es wurde still in der Halle, Mira atmete tief durch und begann ihre Show. „Evoli, setz Sandwirbel ein!“ Das kleine Normalpokémon wirbelte in einem eleganten Bogen herum, sog den Staub vom Boden in seinem Windschatten nach oben und wartete, bis der Staub sich gleichmäßig um es herum in der Luft verteilt hatte. Dann setzte Evoli auf Miras Befehl hin einen Ruckzuckhieb mitten durch die Staubwolke ein. Auch hier wirbelte der Staub im Windschatten hinterher, bildete kleine Wirbel in der Luft und sank anschließend langsam zu Boden. Mira war zufrieden mit Evolis Darbietung, doch das Publikum klatschte eher verhalten. Hatte es ihnen etwa nicht gefallen? Sofort fühlte Mira sich unwohl, aber sie wurde abgelenkt, als das Publikum plötzlich ein erstauntes „Ah“ und „Oh“ von sich gab. Hatte sie etwas verpasst? Ja, das hatte sie. Denn Mira durfte feststellen, dass Evoli auf einmal mit stolzgeschwellter Brust zu leuchten begann. Das helle Strahlen durchzog die letzten Staubschwaden, während die ersten Zuschauer begeistert von ihren Rängen aufstanden und Beifall klatschten. Evoli entwickelte sich! Mira konnte es kaum fassen, sie wippte auf den Zehenspitzen auf und ab, bis sich Evolis Form in die eines eleganten Psianas geändert hatte. „Psiana! Psi!“ Voller Begeisterung machten die Zuschauer Krach, stampften mit ihren Füßen auf und katapultierten Mira auf diese Weise direkt in die nächste Runde. „Oh mein Gott, du hast dich entwickelt!“ Sie war so gerührt und schloss ihren Starter in die Arme. Psianas Schnurren an ihrer Wange wirkte noch etwas ungewohnt, aber ihr gefiel die Vorstellung, dass Evoli sich aus Zuneigung zu ihr entwickelt hatte und sie in Zukunft mit Psianas Konfusion eine tolle, neue Show entwickeln konnte. Erleichtert stellte Mira fest, dass Trixi bereits an ihrem ersten Gegner im direkten Kampf scheiterte, denn ihr Vulnona war dem Schillok ihres Gegenübers einfach nicht gewachsen gewesen. Ein paar starke Aquaknarren hatten das Feuerpokémon von Trixi Light aus dem Wettbewerb geworfen. Mira selbst kämpfe mit Hunduster. Für das kampflustige Pokémon war ihr erster Gegner, ein Blubella, keine wirkliche Herausforderung. Auch die zweite Runde gegen ein Kirlia konnte Hunduster gewinnen, wenngleich es nun schon ziemlich angeschlagen war. Noch immer war Mira von Evolis Entwicklung so paralysiert, dass sie es nicht richtig realisieren konnte, dass sie bereits im Finale des Wettbewerbs stand. Ihr Gegner war ein älterer Junge mit Lockenkopf und einem Hundemon. Hunduster würde es gegen seine Weiterentwicklung mit Sicherheit nicht leicht haben. Als der Kampf begann, lag Hundemon klar in Führung, denn seine Attacken waren stärker als die von Hunduster, das allerdings mit Kampfgeist und starkem Willen einiges wieder herausholen konnte. Die Zeit lief im Hintergrund immer weiter ab und Hundusters grüner Punktebalken lag hinten, doch Mira vertraute ihrem Raufbold und gab die Anweisung zu einer finalen Attacke. „Glut!“ Es war riskant, aber Hunduster traf mit voller Wucht und konnte einer letzten Attacke von Hundemon ausweichen. Als die Zeit abgelaufen war, lag Hundemons Balken knapp zurück und die Jury kürte Mira zur Gewinnerin des Bands von Litusiaville. Einen so knappen Sieg hatte Mira noch nie errungen, aber sie freute sich ungemein, strahlte bis über beide Ohren und herzte noch hinter der Bühne die ganze Zeit ihre beiden Pokémon. Faith, Evan und Itsuki hatten die ganze Zeit über mit Mira mitgefiebert und freuten sich natürlich ebenfalls sehr über Psiana und Miras Sieg. Als Faith sich umdrehte, um sich von Ash und Misty zu verabschieden, waren die beiden schon gegangen. Etwas enttäuscht war die Jungtrainerin schon, doch sie blies nicht lange Trübsal und gratulierte Mira draußen vor der Halle überschwänglich. Auch Evan gratulierte Mira, nahm sie in den Arm und knuffte sie in die Seite. Itsuki lächelte etwas verlegen, schüttelte Mira die Hand und streichelte dem schnurrenden Psiana über den Kopf. Am Abend saßen alle zusammen in Faiths Wohnzimmer, spielten Monopoly und lachten ausgelassen – Evan und Faith mehr, Itsuki weniger, Mira hielt sich wie so oft dezent zurück. Doch als sie das Spiel beendet hatten und sie zufällig auf Team Dark zu sprechen kamen, kippte die Stimmung schlagartig. Mira nagte an ihrer Unterlippe und senkte den Blick auf Psiana, das zu ihren Füßen döste. „Du warst so viele Wochen von uns getrennt, Itsuki. Hätten wir jemals erfahren, wenn dir etwas zugestoßen wäre?“ Nach kurzem Zögern nickte Itsuki und überraschte damit die anderen. „Ja, das hättet ihr. Ich habe daran gedacht und Anya in alles eingeweiht. Sie hätte euch informiert, wenn mir tatsächlich etwas zugestoßen wäre. Wobei ich euch versichern kann, dass sie von meiner Idee so wenig begeistert war wie ihr.“ Augenblicklich bildete sich bei der Erwähnung von Anyas Namen ein Kloß in Faiths Hals. „Anya… wusste davon? Von allem?“ Nun vermischte sich das flaue Gefühl in ihrem Magen mit Wut und Ärger. „Sie wusste davon? Interessant. Ihr kannst du es also sagen, aber uns, deinen Reisegefährten und Freunden, nicht?“ „Hör mal Faith, das ist nicht so einfach. Anya steckt da weniger mittendrin als ihr, sie ist Team Dark nie selbst begegnet und…“ „Das ist mir egal!“, fauchte sie sofort, sprang auf und scheuchte damit auch ein ziemlich irritiertes Psiana vor sich her. „Immer erzählst du Anya alles und uns nichts!“ Nun blickte Itsuki sie hart an und presste die Lippen aufeinander. „Anya und ich sind sehr gute Freunde, wenn ihr davon gewusst hättet, wäre mein Täuschungsmanöver doch nie aufgegangen. Team Dark musste denken, dass ich wirklich zu ihnen übergelaufen bin.“ „Dann sind wir keine sehr guten Freunde für dich?“ „Doch, natürlich seid ihr das…“ „Davon merke ich nichts, Itsuki Ito!“ Peinlich berührt starrten Mira und Evan auf den Boden. Faith schnaubte aufgebracht. „Der Tag war so schön und nun kommst du mit sowas an? Gibt es noch irgendetwas, was du uns verheimlicht hast, was du uns nicht erzählen willst?“ „Weißt du was? Schön. Faith, wenn du unbedingt sauer sein willst und dich eifersüchtig benehmen möchtest, dann bitte. Ja, es gibt noch etwas, was ich dir nicht erzählt habe, aber weil du meines Erachtens noch nicht soweit bist.“ „Lass das mal meine Sorge sein“, giftete sie und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Spuck es schon aus.“ Itsuki schaute sie an, seine eisblauen Augen bohrten sich in ihre. „Caleb und ich trafen uns während meines ersten Arenakampfes, damals kannte ich euch noch nicht. Er gab mir seine Visitenkarte, aber ich wollte mit Team Dark nichts am Hut haben, also warf ich sie achtlos in meinen Rucksack, bis ich sie viel später wiederfand. Ich rief ihn an, ging zu Team Dark und versuchte sie auszuspionieren – doch da war ich zweifelsohne nicht der Einzige. Ich weiß nicht, welche Ziele Caleb Frost verfolgt, aber er ist nicht der, der du denkst. Faith, er ist derjenige, der dich damals aus dem Bunker gerettet hat. Er hat Glumanda und dich gerettet, während ich zu feige war und nur an mich gedacht habe. Ohne ihn würdest du jetzt nicht mehr leben.“ Kapitel 90: Vergib mir ---------------------- Mit offenem Mund starrten Evan und Mira zu Itsuki, als würden sie an seinem Verstand und seinen Worten zweifeln. Doch im Gegensatz zu ihnen blieb Faith ungewöhnlich ruhig, starrte Itsuki verbittert an und wandte schließlich ihren Blick ab. „Du lügst.“ „Ich würde es nicht wagen dich anzulügen, nicht nach allem, was passiert ist.“ Faith schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch und blickte zu Itsuki, der sie unvermindert anschaute. „Und wieso sollte Caleb so etwas tun?“ „Caleb ist ein machthungriger Trainer, er ist kein Forscher, der in allem einen höheren Zweck sieht.“ „Willst du damit sagen, dass er kein richtiges Mitglied von Team Dark ist? Etwa ein Spion?“ Seufzend stand Itsuki auf und fuhr sich durch die Haare. In seiner Abwesenheit war er ein kleines Stück gewachsen, er musste schon einen ganzen Kopf größer sein als die zierliche Mira. „Er war natürlich ein richtiges Mitglied, aber Calebs Ansichten haben sich geändert. Dennoch fällt ihm ein Ausstieg nicht so einfach wie mir, immerhin gehört er dem Vorstand an. Ich glaube, er hat von Anfang an geahnt, dass ich ein falsches Spiel mit Team Dark spiele, aber er hat mich immer gewähren lassen. Vielleicht wünscht er sich insgeheim, dass ich ihn aufgehalten hätte, aber dazu bin ich nicht stark genug. In diesem Sinne ist er auf Gegenspieler angewiesen.“ „Gegenspieler wie mich, meinst du?“ Nun war Faiths Stimme sachlicher, sie verdaute Itsukis ganze Nachrichten schnell und war viel zu abgelenkt von den Tatsachen, die sie über Caleb Frost erfahren hatte. Eine gewisse Aufregung mischte sich sogar unter den Zorn Itsuki gegenüber. „Du meinst, er will, dass ich Team Dark aufhalte, weil er sich nicht selbst gegen den Boss stellen kann?“ „Genau.“ „Gut!“ „Ich habe befürchtet, dass du gleich so enthusiastisch sein wirst“, murrte Mira leise und schüttelte tadelnd den Kopf. Ihr gefiel die Vorstellung von weiteren Kämpfen oder gar einer offenen Fehde mit Team Dark überhaupt nicht. „Faith, wenn Caleb sich nicht gegen den Boss von Team Dark stellt, muss er triftige Gründe dafür haben. Wenn wir es tun, werden womöglich unsere Familien zu Zielscheiben! Wir wissen doch gar nicht genau, mit wem wir es zu tun haben!“ „Ich gebe Mira Recht“, schaltete sich nun auch Evan ein, „aber ich kann auch Faith verstehen.“ Für diese Aussage erntete er einen empörten Blick seitens Mira, doch es ging jetzt ausnahmsweise mal nicht um Mireillia. „Wir hängen mehr in der Team-Dark-Sache drin als jeder andere Trainer. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam wirklich etwas erreichen können. Wir sind keine machtlosen Jungtrainer mehr, wir sind richtige Pokémontrainer.“ Stolz erfüllte Faiths Brust bei Evans Worten und in diesem Moment fühlte sie das erste Mal so etwas wie echte Freundschaft für ihren Mitreisenden. „Genau, wir sind keine Niemande, die nichts können. Wir sind ein Team und gemeinsam können wir Team Dark gegenübertreten.“ Evan nickte ihr entschlossen zu und stand auf. „Du kannst dich auf meine Unterstützung verlassen, Faith. Worum auch immer es geht, wohin uns dieser Weg führen wird, ich stehe an deiner Seite und kämpfe mit dir.“ „Auf mich kannst du auch zählen.“ Ein Lächeln huschte über Itsukis Gesicht. „Ich werde dich nicht noch einmal enttäuschen.“ Nun richteten sich drei Augenpaare auf Mira, die störrisch auf den Tisch starrte, schließlich aber widerwillig aufstand und ihre beste Freundin in den Arm nahm. „Ich kann nicht versprechen, dass ich viel ausrichten kann, aber ich werde auch mein Bestes geben.“ „Ich danke euch. Euch allen.“ Der Reihe nach schaute Faith den drei anderen in die Augen, dann umarmte sie jeden von ihnen. „Wir werden Team Dark aufhalten.“ Lächelnd machte Faith Itsuki Platz, als dieser nach ihr das Badezimmer benutzen wollte. Mira hatte sich bereits in Faiths Zimmer auf der Couch schlafen gelegt und auch Evan hatte seine Hälfte des Doppelbetts im Gästezimmer beschlagnahmt. „Ich danke dir für deine Ehrlichkeit vorhin. Jetzt, wo ich die Wahrheit über Caleb kenne, sehe ich ihn mit ganz anderen Augen.“ „Ich schätze, das war ich dir schuldig. Das, was ich dir angetan habe, lässt sich mit Worten kaum ausdrücken. Aber du musst wissen, dass es mir nicht leicht fiel. Jeden einzelnen Tag musste ich daran denken, wie ich mich Mira und dir gegenüber verhalten habe. Ich weiß, dass ich keinen Anspruch auf deine Vergebung habe, aber… bitte vergib mir, Faith.“ Für einen Moment setzte ihr Herz überrascht aus, dann strich Faith sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte noch breiter. „Wenn ich dir nicht schon längst vergeben hätte, würde ich dich keine fünf Minuten in mein Haus lassen.“ Sie umfasste seine Schulter und knuffte sie kurz. „Freunde wie früher?“ „Wenn du das möchtest, sehr gerne.“ Sie nickte glücklich, ließ den Blonden wieder los und machte ihm den Weg ins Bad frei. Gut gelaunt ging sie in ihr Zimmer, schlich auf leisen Sohlen zu ihrem Bett und krabbelte unter die dicke Bettdecke. Es war seltsam, aber Itsukis Rückkehr hatte nicht nur die Erkenntnis gebracht, dass sie ihm niemals hätte misstrauen dürfen, sondern auch, dass sie nicht länger in ihn verliebt war. Verliebtheit. Was war das überhaupt? War sie jemals richtig in ihn verliebt gewesen? Ihr Kopf sehnte sich danach Liebe zu erfahren, aber ihr Herz ließ sich nicht von diesem stummen Wunsch beeinflussen. Nein, sie war nie in Itsuki verliebt gewesen. Sie hatte für ihn geschwärmt, fand ihn toll und bewunderte ihn, weil er stets ein besserer Trainer gewesen war als sie, aber nun stand sie trainertechnisch auf eigenen Beinen und musste sich keinesfalls hinter ihm verstecken. Es war nicht Itsuki, dem ihr Herz gehörte, nach dem ihr Herz sich sehnte. Am nächsten Morgen wurde Faith von Haarspitzen geweckt, die sich auf ihr Gesicht legten. Sie schnaubte erschrocken und stieß beinahe mit Miras Stirn zusammen. Die junge Koordinatorin schreckte zusammen und stolperte nach hinten, dann legte sie sich die Hand auf das Herz und seufzte. „Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken. Du hast wie ein Stein geschlafen und ich war wach, der Stein auf deinem Regalbrett über dem Bett hat geleuchtet und ich wollte ihn mir ansehen, aber er ist aus meiner Hand geglitten und neben dein Kopfkissen gefallen…“ „Schon gut“, erwiderte Faith gähnend, schaute zur Seite und nahm den Seelentau hoch. In der Tat, es zeichnete sich ein gleichmäßiges, lila Leuchten darin ab, als würde der Stein atmen. „Manchmal macht er solche Sachen, keine Ahnung weshalb.“ Nachdem sie den Seelentau einmal in der Hand gedreht hatte, stellte sie ihn zurück auf ihr Regalbrett. „Latias hat ihn mir geschenkt, das muss Seelentau sein.“ „Latias?“ Sofort leuchteten Miras Augen mit einer Spur von Neid, aber sie sagte nichts weiter dazu. „Deine Mutter hat ein köstliches Frühstück vorbereitet, ich soll dir sagen, dass sie drüben im Restaurant ist. Irgendwas mit einer Reisegruppe, die bewirtschaftet werden muss.“ „Kein Problem“, meinte Faith, stand auf und streckte die noch immer müden Glieder. „Jetzt habe ich meinen Orden und du dein Band, eigentlich könnten wir bald nach Honey Island aufbrechen.“ „Ich bin mir sicher, dass Evan und Itsuki auch dafür sind.“ Sie grinste, suchte sich Klamotten zusammen und gähnte erneut herzhaft. „Na dann bereden wir alles beim Frühstück, würde ich sagen. Du kannst zuerst ins Bad, ich setze unten Tee und Kaffee auf.“ Noch einen Moment schaute sie Mira hinterher, dann ging sie summend die Treppenstufen runter ins Erdgeschoss, wo sie sich in der Küche an die Arbeit machte. Faith wusste nicht wieso, aber an diesem Morgen war sie außergewöhnlich gut gelaunt und freute sich auf die bevorstehende Weiterreise und das nächste Treffen mit ihrem liebsten Erzrivalen. Kapitel 91: Die Honiginsel -------------------------- Faiths Mutter drückte ihre Tochter fest an sich. „Bitte pass gut auf dich auf. Steck deinen Kopf nicht immer unüberlegt in fremde Angelegenheiten, ja?“ „Ja, Mom. Lässt du mich bitte los?“ Faith grinste schief und befreite sich aus dem Klammergriff ihrer Mutter. Sie hatte ihr natürlich nichts davon gesagt, dass sie es auf Team Dark abgesehen hatte, das würde ihre Mutter nicht verkraften. Stattdessen spielte Faith noch einige weitere Minuten die brave Tochter und spürte währenddessen immer das kaum merkliche Gewicht des Seelentaus in ihrer Hosentasche. Es war eine spontane Entscheidung ihrerseits gewesen, dass sie Latias‘ Geschenk mit auf ihre weitere Reise nehmen würde. Wenig später warteten Evan, Itsuki, Mira und Faith auf die Fähre nach Honey Island. Die Fahrt würde nicht so lange dauern und Faith liebte Schifffahren, ganz im Gegensatz zu Mira, die kreidebleich wie ein Geist durch die Gegend schwankte, dabei waren sie noch gar nicht auf der Fähre. „Ihr müsst euch unbedingt die vielen Beerenplantagen auf der Insel ansehen, damit macht Honey Island einen Großteil des Jahresumsatzes. Außerdem wird dort der beste Honig von ganz Finera hergestellt, in den tiefen Wäldern der Insel gibt es die einzig bekannte Wadribiekolonie, die sich ausschließlich von Waldpflanzen ernährt.“ Evan nannte noch einige weitere Programmpunkte und freute sich schon unheimlich darauf, dass seine neuen Freunde nun auf seiner Heimatinsel angekommen waren. Allerdings würden sie nicht alle bei Evan schlafen können, sein Vater renovierte gerade das Wohnzimmer und sie besaßen auch kein Gästezimmer. Da Evan jedoch die beiden Mädchen nicht trennen wollte – oder eher wollte er nicht, dass eine der beiden alleine mit Itsuki im Pokémoncenter war, denn Evan vertraute Itsuki noch immer nicht zu einhundert Prozent – nächtigte Itsuki auf einer aufblasbaren Matratze in Evans Zimmer, während Faith und Mira wie üblich das Pokémoncenter beziehen würden. Pünktlich zum Mittagessen konnten sie die Fähre in Honey Island verlassen, die Hauptstadt der Insel hieß wie die Insel selbst. Evan begann großzügig einige alte Sehenswürdigkeiten auf ihrem Weg zum Pokémoncenter zu erklären und Faith hielt sich mit Kommentaren zurück. Natürlich kannte sie die Stadt mehr oder weniger gut, immerhin kauften viele Leute aus Litusiaville hier ein. Gerade waren sie am Pokémoncenter angekommen, als ihnen zwei wohlbekannte Gesichter über den Weg liefen. Trixi grüßte die Truppe freundlich und auch Joel nickte ihnen zu. „Na sieh mal einer an, Light, altes Haus, was geht ab?“ Übermütig schlug Evan Joel auf die Schulter und tat so, als würde er den finsteren Blick von Joel gar nicht bemerken. Er blickte schnell zwischen Joel und Faith hin und her, dann verkniff er sich ein breites Grinsen und tat stattdessen so, als müsste er kurz gähnen. „Was machst du denn hier am Pokémoncenter? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du dich gleich im Anwesen deiner Familie verkrümeln wirst.“ Joel wischte Evans Hand von seiner Schulter und trat zurück an Trixis Seite. „Heute Vormittag habe ich einen Übungskampf absolviert, meine Pokémon wurden gerade geheilt. Eigentlich habe ich die Ruhe ohne euch genossen, aber wie ich sehe, hat es euch nun auch hierher verschlagen.“ „Ach komm schon, Joel. Wir sind doch alte Freunde“, sprach Evan neckend und piekte Joel in die Seite, woraufhin dieser nur noch beleidigter schaute. „Wir waren zusammen in demselben Kindergarten, aber Joel vergisst das gerne mal“, wollte er den anderen erklären, doch da schaltete sich gerade Trixi ein. „Verständlicherweise, du bist unerträglich nervig, Evan McCloud.“ „Und du bist sauer, weil ich vor dir ein eigenes Pokémon hatte. Na ja und du bist vermutlich noch immer sauer, weil ich dir als Kind einmal Kleber in die Haare geschmiert habe und man dir die langen Haare abschneiden musste. Dabei steht dir kinnlang viel besser.“ Trixi schnaubte verächtlich, verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich demonstrativ weg. „Ich gehe davon aus, du wirst Faith und Co auch noch mit deinem liebsten Hobby belästigen, ja?“ „Von welchem Hobby redet sie?“ Interessiert blickte Mira zu Evan auf. „Sag schon.“ „Karaoke“, gestand Evan mit einem süffisanten Lächeln. „Ich schlage vor, wir gehen heute Abend alle zum Karaoke. Trixi, schau nicht so angewidert, ein bisschen Spaß tut uns allen gut, hm? Na los Leute, seid keine Memmen. So ein bisschen Gesang bringt niemanden um. Oder traust du dich etwa nicht, Joel?“ „Natürlich traue ich mich“, giftete Joel sofort und biss sich auf die Zunge, als Evan mit einem siegessicheren Blick sowohl einen Arm um ihn als auch um Faith legte. „Wunderbar, dann gehen wir heute Abend alle zum Karaoke. Neunzehn Uhr, wir treffen uns da vor Ort. Das wird ein Spaß!“ Faith rollte mit den Augen und löste sich aus Evans Griff. Sie wusste nicht, was Evan im Schilde führte, aber irgendetwas musste er damit bezwecken wollen, da war sie sich sicher. Zur genannten Uhrzeit hatten sich die beiden Grüppchen an der Karaokebar mitten im Stadtzentrum von Honey Island getroffen. Trixi trug ein umwerfend schönes Kleid in einem tiefen Bordeauxrot, Joel geleitete seine Zwillingsschwester wie ein wahrer Gentleman an ihren Platz. Anschließend machten es sich auch die anderen rund um einen Tisch gemütlich und bestellten beim Kellner Getränke und Snacks. Im Hintergrund sangen zwei junge Mädchen gerade ein Duett. „Ich kann es kaum glauben, dass ich mich von dir hierzu habe überreden lassen“, murrte Joel leise, kam mit seinem halbherzigen Protest jedoch nicht sonderlich weit. Schweigend nippte er an seiner Cola. Trixi musterte die anderen mit wachen Augen, sie schien jedoch selbst nicht singen zu wollen und drängte stattdessen Mira dazu, dass diese doch ein Liedchen zum Besten geben sollte. „Du hast bestimmt eine wunderbare Singstimme.“ „Nein, ich kann nicht singen“, erwiderte Mira mit roten Wangen und drückte sich tiefer in ihren Sitz hinein. Evan lächelte zufrieden, lehnte sich zurück und schaute der Reihe nach die anderen an, bis sein Blick bei dem schmollenden Joel hängen blieb. „Ich kann mich daran erinnern, dass wir an einem Geburtstag von dir auch hier singen waren, das war in der Grundschule.“ „Wir haben alle nicht die Töne getroffen“, erinnerte Joel sich und entspannte sich allmählich. „Aber das ist in dem Alter wohl normal, immerhin kannten wir kaum den Text der Lieder.“ „Ich glaube, du willst dich nur rausreden.“ Faith, die neben ihm saß, stupste ihn leicht in die Seite. „Bestimmt kannst du auch heute nicht singen.“ „Tön hier nicht so rum, beweis lieber, dass du besser singen kannst als ich.“ „Dazu brauche ich einen Vergleich.“ Faith wusste nicht, wieso sie Joel unbedingt anstachelte, aber sie stellte es sich lustig vor, wenn er auf der Bühne stand und sich vor dem Publikum zum Affen machte. „Warum singt ihr kein Duett?“, schlug Evan sofort mit leuchtenden Augen vor und nervte die beiden so lange, bis auch Trixi seiner Meinung war und ihren Bruder beinahe auf die Bühne drängte. Während Faith und Joel also mit Unwohlsein auf die Bühne gingen, lehnte Trixi sich ebenso zufrieden gegen einen Pfosten wie Evan. „Du bist immer noch so ein verdammter Kuppler, Evan.“ „Lass mir meinen Spaß.“ Er zwinkerte Trixi zu, dann schwieg er, weil das vorherige Lied zu Ende war und das nächste Lied angespielt wurde. Nervös und mit klopfendem Herzen stand Faith auf der Bühne. Hier oben war das Licht heller, sie konnte nicht bis in die letzten Reihen der Karaokebar sehen, aber sie spürte Joel ganz dicht neben sich. Oh Gott, sie war so verdammt aufgeregt! Joels Hand schloss sich um ihr Handgelenk und um das Armband mit dem bronzefarbenen Herzanhänger, den er ihr vor einiger Zeit geschenkt hatte. Dann begann er zu singen und seine Stimme füllte den Raum mit mehr als nur treffsicheren Tönen. Überrascht blickte Faith zu ihm auf. Sie vergaß zu singen, vergaß zu atmen und fühlte, wie jeder einzelne Ton tief in ihrem Herzen widerhallte. Es gab für diesen Moment nur noch sie beide und dieses Lied war so viel mehr, es war die Melodie in der Sinfonie zwischen ihnen. Wenn sie vorbeigeht Dann scheint es wie ein Feuerwerk Vor einem Himmel ist es sie die ich bemerk’ Ihrer Königlichkeit ist nur ein König wert’ Und ich bin wenig königlich Sie sieht mich einfach nicht Wenn sie tanzt dann tanzt alles Ihre Hüften und Arme Alles erhellt sich im Licht dieser Dame Sie hat die Anmut und die Reinheit Die die anderen nicht haben Sie hat all das was ich Nicht hab’ – Sie sieht mich einfach nicht Je mehr ich mich ihr näher’ desto Ungeschickter bin ich Mein Körper meine Stimme mein Gesicht Es gibt Grenzen die man trotz Millionen von Soldaten wegwischt Aber unsere überwindet man nicht Er hat Stil ist delikat bedient sich Gesten so zart Das leichte Leben dieser Welt ist seine Art Er ist so sehr auch das was er nicht zu Sein vermag Doch die Frauen wissen nicht Von diesen Dingen wenn er spricht Sie sieht mich einfach nicht Man kann so vieles ändern Wenn man zu kämpfen bereit ist – Aber nicht diese Ungerechtigkeit Wenn sie vorbeigeht dann scheint Es wie ein Feuerwerk Vor einem Himmel ist es sie die ich bemerk’ Ihrer Königlichkeit ist nur ein König wert Ein anderer als ich Ich bin wenig königlich Sie sieht mich einfach nicht Sie sieht mich einfach nicht Sie sieht mich einfach nicht Sieht mich einfach nicht Am Ende des Lieds war das begeisterte Klatschen des Publikums nur eine Hintergrundmusik. Faith atmete kaum, schaute Joel tief in die goldbraunen Augen und auch er konnte sich kein weiteres Wort abringen. Als sie „Ich sehe dich“ sagte, legte er ihr stumm den Zeigefinger auf den Mund und schüttelte minimal mit dem Kopf. Sie verstand, schwieg. Als sie gemeinsam die Bühne verließen, hatte er ihr Handgelenk losgelassen, aber sie spürte noch immer die Wärme seiner Hand auf ihrem Armband. Kapitel 92: Das Anwesen der Familie Light ----------------------------------------- „Was genau läuft da zwischen Joel Light und dir, Faith?“ Neugierig schaute Evan die Türkishaarige aus wachen Augen an, auch wenn es bereits eine späte Stunde war und sie alle gemeinsam durch die noch immer geschäftigen Einkaufsstraßen von Honey Island schlenderten. „Da ist nichts zwischen uns, wir sind Rivalen“, erwiderte Faith, doch das glückliche Grinsen wollte einfach nicht aus ihrem Gesicht verschwinden. „Außerdem kann ich dich hören, du Vollidiot“, murrte Joel von weiter vorne und warf Evan einen düsteren Blick über die Schulter zu. „Du besitzt zu viel Fantasie. Wie Faith schon sagte, sind wir Rivalen und kein Liebespaar aus einer billigen Seifenoper.“ „Dabei gebt ihr so ein süßes Pärchen ab.“ Trixi kicherte und wich dem zornigen Boxhieb ihres Bruder gekonnt aus. „Na, na, so geht man mit einer Dame aber nicht um.“ „Du hast eindeutig einen wunden Punkt getroffen, liebste Trixi.“ „Vielen Dank, werter Evan.“ Während Trixi und Evan weiterhin verschwörerische Blicke austauschten, ließ sich Faith bewusst ein paar Schritte nach hinten fallen und gesellte sich zu Itsuki und Mira, die beide schon ziemlich müde waren. Vor allem Mira hielt ihre Augen nur mit Mühe und Not auf und stolperte hinter der Gruppe her. „Wir sind bald im Pokémoncenter, ich freue mich auf mein weiches Bett.“ „Egal ob weich oder nicht, Hauptsache ich kann in einem Bett liegen und schlafen.“ Mira gähnte und blinzelte erschöpft, dann streckte sie sich und schleppte sich auch noch die nächste Straße hinter den anderen her, bis endlich das Pokémoncenter in Sicht kam. Ganz im Stil der Einkaufsstraße war das Pokémoncenter hier ein normales Gebäude mit einem Neonschild. Sie klingelten an der Nachtklingel und warteten, bis im Eingangsbereich das Licht anging und Chaneira sie eintreten ließ. Das Pokémon kannte sie und wusste, dass sie hier nächtigten, also kümmerte es sich nicht weiter um die Menschengruppe und verschwand wieder. „Ich nehme Itsuki jetzt mit zu mir, sonst schläft er gleich im Stehen ein. Mensch, ihr solltet etwas robuster sein, hier in der Stadt hat die Nacht doch gerade erst angefangen.“ „Sei still, Evan“, giftete Mira verschlafen und lehnte sich von hinten gegen Faith, die ihrer Freundin die Schulter tätschelte. Evan zuckte mit den Schultern, verabschiedete sich von allen und verließ mit Itsuki das Pokémoncenter. Direkt gegenüber hielt ein Nachtbus, der unter anderem in Evans Wohnviertel hielt. „Ihr schlaft also hier im Pokémoncenter, ja?“, begann Joel, doch er kam gar nicht richtig bis zum Ende, da hatte Faith ihm bereits dazwischengeredet. „Natürlich, du Schlaumeier. Sonst wären wir nicht hierhergekommen. Können wir uns jetzt verabschieden? Mira ist vollkommen erschöpft und ich brauche jetzt auch mein Bett.“ „Ihr könnt bei mir schlafen.“ Joel hatte den Gedanken laut ausgesprochen, noch bevor er etwas dagegen tun konnte. Entschuldigend schaute er zu Trixi, doch diese beschäftigte sich lieber mit ihren Fingernägeln, also schien sie nichts dagegen zu haben. Etwas zufriedener wiederholte Joel sein Angebot. „In unserem Haus ist mehr als genug Platz, ihr hättet jeweils ein Gästezimmer für euch und gutes Essen.“ „Du meinst das ernst, ja?“ „Essen klingt gut“, murmelte Mira, hob aber nur kurz den Kopf von Faiths Schulter an. „Entscheide du, Faith. Ich will nur schnell schlafen können.“ „Wir sollen bei dir schlafen? Wieso hast du das nicht vorher gesagt, wir sind durch die halbe Innenstadt gelaufen!“ Faiths Stimme war ein leises Zischen. Sie war müde und hatte keine Lust auf lange Diskussionen. „Joel, sag was!“ Er hob lediglich kurz die Schultern. „Ihr müsst ja nicht, aber mir wäre es so lieber. Komm schon, spring über deinen Schatten. Ich werde schon nicht mitten in der Nacht über dich herfallen.“ „Davon gehe ich aus.“ Prüfend blickte sie ihn an und vertrieb die zweideutigen Gedanken aus ihrem Gehirn, dann seufzte sie und rieb sich über die Augen. „Na schön, kannst du Mira wachhalten?“ „Das übernehme ich.“ Trixi, die sich bis dato rausgehalten hatte, wuselte nun geschäftig um die andere Koordinatorin und drückte ihr eine Tasse schwarzen Tee aus dem Getränkeautomaten in die Hand. „Soll ich den Chauffeur anrufen?“ „Faith, hol du bitte eure Sachen, wir kümmern uns um den Rest.“ Grinsend und überaus mit sich im Reinen koordinierte Joel alles, bis eine halbe Stunde später eine kleine, schwarze Limousine vor dem Pokémoncenter hielt. Nachdem das Gepäck im Kofferraum verstaut war, fuhren sie alle aus der Innenstadt hinaus und ließen auch bald die kleinbürgerlichen Vororte hinter sich. Das Anwesen der Familie Light lag in einem betuchten Villenviertel etwas außerhalb der Stadt, so besaß jedes Haus dort eine eigene Zufahrt und hohe Hecken. In der Dunkelheit der Nacht konnte man die ganze Schönheit des Gartens nur erahnen, doch als die Limousine vor der Light-Villa hielt, war Faith sichtlich beeindruckt. Sicherlich wusste sie, dass Joels Familie reich war, aber es war ihr noch nie so bewusst gewesen wie in diesem Augenblick. Sie weckte Mira, die eingeschlafen war, und folgte den Light-Zwillingen ins Obergeschoss, wo auch deren Zimmer waren. „Hier, die zwei Zimmer sind für euch. Fühlt euch wie Zuhause und schlaft ruhig aus, unsere Haushälterin macht euch Frühstück, wenn ihr ausgeschlafen habt. Sonst noch irgendetwas anzumerken?“ „Denk bloß nicht, dass ich dir deswegen die Füße küssen werde.“ Faith zog eine spielerische Grimasse und wartete, bis Mira mit ihrem Rucksack in ihrem Gästezimmer verschwunden war. Einen Moment lang war Faith geneigt Mira nachzugehen und zu schauen, ob diese es überhaupt bis ins Bett geschafft hatte, doch sie ließ es und trat lieber zu der Tür des zweiten Gästezimmers auf dieser Etage. Als sie sich umdrehte, stand Joel noch immer auf dem Flur. Sie seufzte, schenkte ihm ein Lächeln und dachte an das Lied, das er für sie gesungen hatte. „Danke.“ Joel lächelte zurück. „Gern geschehen.“ Damit beließ er es und ging zu seinem eigenen Zimmer, während auch Faith das Bett ansteuerte, das man ihr großzügig zur Verfügung gestellt hatte. Sie staunte über die geschmackvolle Einrichtung und das breite Himmelbett mit den goldfarbenen Samtkordeln, dann musste sie leise lachen und den Kopf schütteln. „Joel, du verrückter Idiot.“ Da hatte er sie doch einfach in seine Villa eingeladen. Zumindest würde Faith sich die nächsten Tage keine Gedanken mehr über das Kantinenessen im Pokémoncenter machen müssen. Joels Familie hatte sogar eine Haushälterin, da konnte das Essen nur großartig schmecken. Wenige Minuten später lag sie in ihrem Schlafanzug unter der bezogenen Bettwäsche, rollte sich auf der Seite wie ein Kätzchen zusammen und schloss mit klopfendem Herzen die Augen. Joel war so nett zu ihr, sie genoss die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte. Mit einem seligen Lächeln schlief Faith ein und erlebte den Karaokeabend im Traum wieder und wieder, nur dass es von Mal zu Mal schöner wurde. Kapitel 93: Sektfrühstück ------------------------- Faith hatte schon lange nicht mehr so tief und erholsam geschlafen wie in der vergangenen Nacht, das stellte sie morgens beim Aufwachen fest. Wobei es Vormittag wohl eher treffen würde, denn obwohl sie sonst eher eine Frühaufsteherin war, zeigte die Wanduhr bereits kurz nach zehn Uhr an. Faith starrte einen Moment auf die Uhr, dann bildete sich ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht und sie hüpfte mit ihrem Kulturbeutel und frischen Klamotten in das Badezimmer. Nachdem sie eine lange Dusche genossen hatte und voller Neid kurz davor war eines der flauschigen Flanellhandtücher in ihren Rucksack zu stecken, band sie sich die Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen und trat hinaus auf den Flur. Sie hörte keine Stimmen, an denen sie sich hätte orientieren können, daher steuerte sie das einzige Zimmer an, das sie noch zusammenbekam: Miras. Doch Fehlanzeige, auf ihr Klopfen reagierte die Koordinatorin nicht und als Faith vorsichtig den Kopf durch einen Türspalt schob, fand sie das andere Gästezimmer verlassen vor. „Kann ich Ihnen helfen, Miss Faith?“ Faith schreckte zusammen, stieß sich an der Türkante und schob die Tür schnell wieder zu. Dann drehte sie sich mit einem entschuldigenden Lächeln um und musste erst einmal verdauen, dass sie eine grauhaarige Frau in schwarzer Dienstbotenkleidung vor sich stehen sah. „Eh…“ „Master Joel bat mich nach Ihnen zu sehen. Miss Mira und Miss Trixi frühstücken im Wintergarten, Sie würden ihnen sicherlich gerne Gesellschaft leisten?“ „Master… Joel? Was? Eh, ja, würde ich.“ Die Angestellte der Lights nickte und führte Faith die Treppe runter, durch einen breiten Flur, einen in Blau gestalteten Salon in den Wintergarten, wo Mira und Trixi wie zwei Fürstinnen an einem gläsernen Tisch saßen und aus Kristallgeschirr ein wahrlich königliches Mahl zu sich nahmen. Als Faith eintrat, hoben beide Mädchen den Kopf, doch nur Trixi sagte etwas. „Vielen Dank, Gwen, Sie können gehen.“ „Sehr wohl, Miss Trixi. Lassen Sie es sich schmecken, Miss Faith.“ Mit einem Knicks verabschiedete die ältere Frau sich und verschwand durch eine andere Tür als die, durch die sie mit Faith gekommen war. Diese begriff noch immer nicht den Luxus, in dem die Lights lebten, doch sie ließ sich auf einen gepolsterten Stuhl sinken und betrachtete das reichliche Büffet vor sich. „Was macht ihr mit den ganzen Lebensmitteln, die nicht beim Frühstück gegessen werden?“ Mit großen Augen betrachtete Faith eine Schale mit frischen Himbeeren, daneben waren gekochte Eier, Tee, Kaffee, frisch gepresster Orangensaft, Croissants, Brioche mit Mascarpone, Brötchen, Brot, Müsli… Wie Sektfrühstück nur ohne Sekt. Sie konnte gar nicht alles auf einmal erfassen. Trixi genoss die Bewunderung von Faith, warf eine braune Haarsträhne nach hinten und lächelte. „Ich gebe zu, dass Gwen sich heute selbst übertroffen hat. Sie ist unsere Haushälterin und Köchin, ihr Brioche ist wirklich ausgezeichnet. Du musst davon probieren.“ Gut gelaunt legte Trixi eines der Teilchen mit Mascarpone auf Faiths Kristallteller, dann widmete sie sich wieder ihrem Joghurt mit frischen Himbeeren. „Joel hat vorhin Evan und Itsuki Bescheid gesagt, dass wir hier bei ihm sind. Ich glaube, Evan war davon nicht begeistert, aber im Moment kann man es ihm wohl auch nicht recht machen. Bist du gerade erst aufgestanden?“ Mira grinste sie über ihr gehobenes Glas hinweg an. War die Frage an sie gerichtet? „Oh, ja, gerade eben erst. Meine Güte, das hier ist ja der totale Wahnsinn! Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.“ Während Faith sich eine riesige Portion Himbeeren zu dem Brioche auf ihren Teller lud, inspizierte sie die Getränke und entschied sich für ein großes Glas Orangensaft und eine kleine Tasse Tee. „Joel hat niemals erwähnt, dass er wie ein Kaiser speisen kann.“ „Joel erwähnt solche Dinge für gewöhnlich nie, er hat kein Faible für diese Kleinigkeiten.“ In Trixis Stimme schwang ein Hauch von ehrlichem Bedauern mit, doch kurz darauf hatte sie wieder ihr undurchdringliches Pokerface und legte, als sie fertig mit Essen war, ihr Messer auf den Teller. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, mein Maniküretermin ist in einer halben Stunde. Lasst euch Zeit mit dem Frühstück, Gwen wird alles abräumen, sobald ihr fertig seid. Mira, ich hole dich danach für den Friseur ab.“ Die Angesprochene nickte und bedankte sich mit vollem Mund, dann spülte sie alles mit einem Schluck Tee runter und lächelte Faith verlegen an. „Trixi hat gemeint, dass meine Haarspitzen total splissig und kaputt sind. Sie hat einen Termin für mich beide bei ihrem Friseur gemacht, vielleicht lasse ich mir einen neuen Haarschnitt verpassen.“ „Na du scheinst dich mit deiner größten Rivalin ja prächtig zu verstehen.“ Mira wurde rot und wartete, bis Faith aufgegessen hatte. Danach bedankten die beiden Mädchen sich bei Gwen für das köstliche Frühstück und machten sich auf die Suche nach Joel, der laut Gwen irgendwo im Seitenflügel der Villa ein Gespräch mit seiner Mutter hatte. Gerade als Mira und Faith die Eingangshalle durchquerten, kamen ihnen Joel und seine Mutter entgegen. Joels Mutter strahlte die beiden Mädchen mit einem offenen Lächeln an. Trixi war ihr wirklich aus dem Gesicht geschnitten, nur dass die Mutter der Light-Zwillinge schon ein paar Lachfalten um Augen und Mund hatte. „Ihr seid Mira und Faith, Joel hat mir schon von euch erzählt. Es freut mich wirklich sehr, dass ihr hier seid, Joel bringt nur selten Freunde mit nach Hause.“ „Weil ich selbst kaum Zuhause bin“, verbesserte er seine Mutter, schien aber bei ihr gegen eine offenherzige Wand zu reden. „Du musst Mira sein“, plapperte seine Mutter sofort weiter und wandte sich an die junge Koordinatorin mit den lavendelfarbenen Haaren. „Ich hatte zu meiner Zeit ein Nachtara, aber sicherlich könnte ich dir und deinem Psiana ein paar Tipps geben? Na komm mal mit und erzähl mir von den Bändern, die du schon gewonnen hast.“ Mira konnte gar nicht protestieren, denn Joels Mutter hatte sich bereits wie eine alte Freundin bei ihr eingehakt und führte sie von Faith und Joel weg, die den beiden hinterher schauten. „Deine Mutter scheint sehr nett zu sein.“ „Sie redet manchmal zu viel“, sprach der Trainer vollkommen unverblümt und zuckte mit den Schultern. „Also sehe ich das richtig, dass du jetzt ganz alleine durch die Villa streifst und nichts zu tun hast?“ „Ich denke, ich finde schon eine Beschäftigung, aber…“ Bevor Faith etwas dagegen sagen konnte, grinste Joel sie auch schon an und zog sie hinter sich her zur Treppe, von wo aus sie zu seinem Zimmer gingen. Im Inneren des Zimmers schien Sniebel auf seinen Trainer zu warten, doch beim Anblick von Faith huschte Sniebel von dem Sofa, auf dem es gerade gesessen hatte, und machte den beiden Platz. „Dein Zimmer ist größer als unser ganzes Haus.“ „Du übertreibst“, lachte er kopfschüttelnd und setzte sich neben sie auf das Sofa. Zwar musste Faith schmunzeln, doch sie bemühte sich um einen ernsten Gesichtsausdruck. „Nein, ich meine das wirklich ernst. Zumindest ist es größer als mein Zimmer und unser Gästezimmer zusammen. Es muss doch unglaublich cool sein so zu wohnen.“ „Es ist zwar angenehm, aber ich würde mich auch mit normalen Wohnverhältnissen zufrieden geben. Ich bin kein typisches Mitglied der Familie Light, für mich steht Geld nicht auf Platz Eins der Rangliste der Lebensziele.“ „So hätte ich dich auch nicht eingeschätzt“, erklärte Faith ihm und kam sich irgendwie deplatziert vor. Joel lebte in so einem riesigen Haus, hatte eigene Hausangestellte, bekam das köstlichste Essen jeden Tag nach dem Schnabel gekocht… Er hatte alles, im Gegensatz zu ihm war sie ein nichts, ein Aschenputtel. „Hey, alles klar?“ Besorgt legte er einen Arm um ihre Schulter und zog sie leicht zu sich, bis Faith dem sanften Druck nachgab und sich an seine Seite lehnte. „Tut mir leid, wenn ich was Falsches gesagt habe…“ „Nein. Nein, das hast du wirklich nicht. Es ist nur so, dass ich gerade etwas überfordert bin. Klar, das Frühstück war großartig, aber ganz ehrlich… Brioche und Mascarpone?“ Nachdenklich legte Joel die Stirn in Falten. „Zu viel des Guten?“ „Nicht nur zu viel, du hättest eine halbe Fußballmannschaft mit dem ganzen Essen versorgen können. Das ist doch… Verliert ihr da nicht die wesentlichen Dinge aus den Augen?“ „Die da wären?“ „Ich weiß nicht“, murmelte Faith und kuschelte sich seufzend an ihn. Joel schwieg zwar, aber sie spürte trotzdem, dass er den sanften Druck um sie nicht verringert hatte. „Es ist nett hier, aber ich wäre auch im Pokémoncenter glücklich.“ „Du kannst jederzeit gehen, Faith. Ich werde dich nicht wie eine Gefangene behandeln. Ich kann dem Chauffeur sagen, dass er deine Sachen nach dem Mittagessen zurückbringen soll. Wenn das dein Wunsch ist, meine ich. Du musst es mir nur sagen.“ „Hm“, machte sie leise und schloss die Augen. Ein unbekanntes Gefühl kam in ihr auf, breitete sich aus und ließ ein warmes Kribbeln in ihrer Magengegend zurück. Darmgrippe? „Nein, ich bleibe hier. Aber ich möchte mein Ziel nicht aus den Augen verlieren und so schnell es geht um den nächsten Orden kämpfen.“ „Geht mir auch so.“ Schmunzelnd lehnte Joel seinen Kopf zur Seite, bis er Faiths Haare an seiner Wange spüren konnte. „Lass uns gleich morgen zur Arena gehen. Ich mag mein Zuhause, aber wenn mein Vater von seiner Arbeitsreise zurückkommt, möchte ich wieder weg sein. Der Orden hier ist schon unser siebter Orden, nicht mehr lange und wir können an der Liga teilnehmen.“ „Da stimme ich dir voll und ganz zu.“ „Dann müssen wir uns aber beeilen. Die nächste Ligakonferenz beginnt wie jedes Jahr traditionell an Neujahr.“ Faith nickte mit geschlossenen Augen. „Noch eineinhalb Monate, aber das kriege ich hin… Wir kriegen das hin.“ Die beiden saßen noch eine ganze Weile schweigend beisammen, hingen ihren Gedanken nach und träumten jeder für sich von der Liga in Eisbergen, die in diesem Moment zum Greifen nah erschien. Kapitel 94: Der Sturmorden -------------------------- Am nächsten Vormittag fanden sich Joel, Trixi, Faith, Mira, Evan und Itsuki an der Arena von Honey Island ein. Die Arena befand sich auf einer breiten Klippe direkt über dem Meer und besaß eine Glaskuppel, die bei Bedarf zur Hälfte zurückgefahren werden konnte. Hier oben auf der Klippe wehte immer ein frischer Wind, so auch jetzt, da wurde es deutlich, dass hier um den Sturmorden gekämpft wurde. „Ich habe heute gar nicht mit Herausforderern gerechnet.“ Christie, die blondhaarige Arenaleiterin mit der Brille, kicherte in sich hinein und schloss die Tür zur Arena auf. „Heute ist eigentlich mein freier Tag, aber da meine neuste Erfindung – ein Flugroboter – nicht funktioniert, mache ich für euch beide eine Ausnahme.“ Als die Tür zur Seite schwang, führte Christie alle außer Joel und Faith zu den Zuschauertribünen. Viel gab es hier in der Arena nicht, sie wurde ausschließlich von Christie für die Kämpfe genutzt und man hörte deutlich das Tosen der Wellen unter der Klippe. „Wer von euch möchte zuerst gegen mich antreten?“ „Mir ist das egal“, meinte Joel und wollte Faith den Vortritt lassen, doch diese lehnte ab und wollte lieber zuerst Joel bei seinem Kampf zuschauen. Also nickte dieser und stellte sich kampfbereit hin, in der Hand lag bereits ein Pokéball. Christie streckte sich, nahm ihre Position ein und erklärte Joel die üblichen Regeln. „Da ich sechs Pokémon in meinem Team habe, kann deine kleine Freundin gleich nach dir gegen mich antreten, ich habe ein zweites Dreierteam in Reserve. Wenn du bereit bist, kann es losgehen, ich verschwende nicht gerne Zeit.“ „Dann sind wir uns einig. Sniebel, du machst den Anfang.“ Joel entließ seinen kampflustigen Starter, während Christie ein Tauboga ins Rennen schickte. Sofort begann der Kampf und Tauboga war überrascht, dass Sniebel so flink und schnell war. Mit einem Ruckzuckhieb traf Sniebel das Vogelpokémon in der Seite, dem folgte ein gut platzierter Eissturm. Gerade mal eine Minute nach Kampfbeginn sank Tauboga besiegt zu Boden und Christie fühlte sich wortwörtlich eiskalt überrascht. Dann lächelte sie jedoch, zog Tauboga zurück und schenkte Joel ein anerkennendes Nicken. „Mal sehen, ob du mit Schwalboss auch so ein leichtes Spiel hast.“ „Sniebel, Finte!“ Obwohl Sniebel gekonnt verschwand und Schwalboss von hinten angriff, schien das Vogelpokémon die Attacke ohne Probleme wegzustecken und konterte mit einem starken Aero-Ass, dem selbst Sniebel keinesfalls ausweichen konnte. Die beiden Pokémon trafen danach mit Ruckzuckhieb und Flügelschlag aufeinander, aber Schwalboss erwies sich als ein ziemlich zäher Bursche und konnte Sniebel schlussendlich mit einem weiteren Aero-Ass besiegen. Joel atmete tief durch, dann entließ er Lapras auf das Kampffeld. Zwar konnte Lapras sich auf dem Land nur sehr schwerfällig bewegen, doch sein Eisstrahl war ein heftiger Angriff gegen die Flugpokémon von Christie. „Schwalboss, halt dich hinter Lapras auf!“ „Lapras, mach kurzen Prozess und schieß den Vogel mit Eisstrahl ab!“ Schwalboss war flink und konnte dem Eisstrahl, der immer größere Teile der Wand vereiste, einige Male ausweichen, doch dann erwischte Lapras Schwalboss und Christie hatte ihr zweites Pokémon besiegt vor sich liegen. Es überraschte niemanden mehr, vor allem nicht Faith, dass auch Christies nun folgendes Habitak dem Eisstrahl zum Opfer fiel und Lapras‘ Attacke nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hatte. Faith gratulierte Joel, als dieser seinen Sturmorden entgegen nahm, dann war sie selbst an der Reihe und machte sich bereit. Christie kümmerte sich noch kurz um ihr vereistes Habitak, dann zog sie es zurück und schickte ein Taubsi in den Kampf, Faith entließ ihr Tauboga. „Flugpokémon sind immer eine gute Wahl“, flötete Christie sofort. „Aber ob du Taubsi nicht etwas unterschätzt?“ „Das wird sich zeigen“, konterte Faith und der Kampf begann. Taubsi und Tauboga knallten auf Befehle ihrer Trainerinnen aufeinander, dann ließen sie voneinander ab und setzten zeitgleich einen Windstoß ein. So ging das einige Runden lang, bis beide Pokémon schon etwas kraftlos in den Seilen hingen. Taubogas Windhose konnte jedoch letztendlich Christies Taubsi besiegen, wenngleich Tauboga nun schon sehr geschafft war und von Christies Schwalbini besiegt werden konnte. Somit stand es eins zu eins. „Voltilamm, Donnerwelle!“ Mit diesen Worten entließ Faith ihr Voltilamm aus dem Pokéball. Das kleine Schaf schaute sich gemächlich um, dann fühlte es sich von Schwalbini provoziert und hörte auf die Worte seiner Trainerin. Mit einer kräftigen Donnerwelle paralysierte es Schwalbini, das daraufhin nur sehr schwerfällig fliegen konnte und Probleme mit dem Bewegen hatte. „Sehr schön, mach es mit Donnerschock und Ladungsstoß fertig!“ Die gelben Stromstöße flitzten durch die Luft und rösteten Schwalbini, das besiegt zu Boden sank. Christie schien nun etwas angesäuert zu sein, entließ ihr letztes Pokémon – ein Ibitak – und befahl ihm einen direkten Schnabel-Angriff auf Voltilamm, das sich allerdings einfach an Ibitaks Bein festbiss und solange Donnerschock einsetzte, bis das Vogelpokémon entkräftet auf den Boden fiel. Überglücklich schloss Faith ihr Voltilamm in die Arme und nahm den Sturmorden von Christie entgegen. Joel und sie bedankten sich für die Kämpfe und verließen gemeinsam mit ihren vier Zuschauern die Arena. Draußen fiel Mira ihrer Freundin um den Hals und beglückwünschte sie. „Der Kampf war toll, Joel und du hätten mit Lapras und Voltilamm bestimmt auch im Alleingang gewinnen können.“ „Wir hatten einen ausschlaggebenden Typenvorteil auf unserer Seite, das ist alles“, erwiderte Faith, fühlte sich aber trotzdem unglaublich toll mit ihrem siebten Orden. An Miras neue Frisur musste sie sich allerdings noch etwas gewöhnen, gestern beim Frisör hatte sie sich einen kinnlangen Bob schneiden lassen. „Wie feiern wir euren Arenasieg?“ „Garantiert nicht mit Karaoke“, schaltete Trixi sich auf Evans Frage hin sofort ein und erntete dafür das Lachen von Evan und ihrem Zwillingsbruder. „Hey, das meine ich ernst. Ich muss mich auf den bevorstehenden Wettbewerb vorbereiten und Mira auch. Es kann ja nicht jeder schon das Band von Honey Island haben.“ „Du hast ja Recht“, gab Evan zerknittert zu und seufzte schließlich. „Ich muss noch zwei Bänder gewinnen, aber hier in der Nähe gibt es keinen Wettbewerb, von dem ich noch nicht das Band hätte. Die Finera-Liga beginnt an Neujahr, genau wie die Vorrunden vom Großen Festival. Viel Zeit bleibt uns allen nicht mehr.“ Die Finera-Liga fand jedes Jahr ab Neujahr statt, während das Große Festival zweimal abgehalten wurde, einmal als Sommerfestival und einmal – dieses Festival war das bedeutendere und wurde auch in anderen Regionen übertragen, viele bezeichneten es als das einzig wahre Große Festival von Finera – als Winterfestival. Bei beiden Großveranstaltungen waren die Vorrunden in Eisbergen zur gleichen Zeit, doch das Festival startete dann erst nach dem Ende der Finera-Liga. Mira schaute ihn mit großen Augen an. „Und was willst du jetzt machen, Evan?“ „Ich habe da schon mit Itsuki drüber gesprochen und er wird mich begleiten, wenn ich demnächst nach Nautica City reise. Danach geht es über die Dörfer nach Bad Puvicia, wir würden euch dann wieder in Niburg treffen.“ Schweigen legte sich über die Gruppe, doch Mira brach es zuerst. „Das ist eine vernünftige Entscheidung, immerhin ist nächsten Monat schon Weihnachten und dann reisen wir ohnehin alle zu unseren Familien, nicht wahr? Lasst es uns so machen, dass wir uns nach Weihnachten in Niburg treffen und gemeinsam nach Eisbergen gehen.“ „Ich bin dabei“, gab auch Joel von sich, Trixi stimmte ihm zu. Auch Faith fand die Idee aus Sicht von Evan vernünftig, immerhin hielten sie ihn hier auf, er musste woanders hin, um noch weitere Bänder für das Große Festival zu gewinnen. „Na schön, dann machen wir das so. Wann reist ihr ab?“ „So schnell wie möglich.“ Itsuki schaute sie mit festem Blick von der Seite her an. „Anya hat uns angeboten bei ihr zu wohnen, wenn Evan zwei Bänder hat, geht es weiter.“ „Oh ich wette, dass sie dir das angeboten hat“, gab Faith sarkastisch zurück und zog beim Gedanken an die tiefe Freundschaft zwischen Anya und Itsuki die Augenbrauen zusammen. Doch weder sie noch die anderen sagten weiter etwas dazu. Noch am selben Tag kauften Evan und Itsuki ihre Busfahrkarten nach Nautica City, die Fahrt ging am Abend, weil sie so einen Sparpreis wahrnehmen konnten, auch wenn ihre Abreise dadurch etwas überstürzt wirkte. Faith und die anderen verabschiedeten die beiden und winkten dem Bus noch eine ganze Weile hinterher, dann machten sie sich zu Fuß auf den Rückweg zur Villa der Lights. Doch das Gefühl, dass auch sie sich mehr ins Zeug legen mussten, blieb noch lange an diesem Abend an ihnen allen haften. Kapitel 95: Reiseplanung ------------------------ „Du hast keine Chance gegen Unratütox.“ Faith grinste bis über beide Ohren und badete voll und ganz in dem Siegestaumel, den das kleine Mülltütenpokémon ihr beschert hatte. Der Trainingskampf gegen Joel am Morgen nach ihrem Sieg in der Arena von Honey Island sollte eigentlich dafür dienen, dass Faith Unratütox‘ Stärken und Schwächen austesten konnte, doch nun lag Joels Glurak besiegt am Boden und das Giftpokémon führte eine Art Siegestanz auf. Joel hatte die Lippen missmutig zu einem Strich verzogen, als er sein Glurak in den Pokéball zurückzog. „Das war Glück, Glurak ist viel größer und hat kraftvollere Attacken.“ „Ah, wer sagt denn sonst immer, dass die wahre Stärke eines Pokémon im Inneren liegt? Hm?“ Sie streckte ihm die Zunge raus und tätschelte wohlwollend Unratütox‘ Kopf. Das Kleine mochte zwar einen leicht penetranten Geruch haben und musste deshalb jeden zweiten Tag gebadet werden, aber sein Charme, sein süßes Lächeln, die Zipfelohren und nicht zuletzt die starken Attacken machten alle Mühen wett. Nachdem Unratütox von seinem ehemaligen Trainer nicht mehr gewollt worden war, schien es ein richtiges Powertraining absolviert zu haben, denn der Sieg über Glurak sprach doch für sich. Zufrieden zog auch Faith ihr Pokémon zurück und streckte sich. „Jetzt habe ich Hunger.“ „Wir haben doch gerade erst gefrühstückt“, tadelte Joel sie und erinnerte Faith an die Unmengen von Müsli und Obstsalat, die sie am Morgen verdrückt hatte. „Na und? So ein Kampf ist spannend und anstrengend, jetzt muss ich einen Schokoriegel oder etwas in der Art essen. Ah, da kommen Trixi und Mira.“ „Gratulation, ich hätte auf Glurak getippt, aber scheinbar bist du doch keine so schlechte Trainerin.“ „Wenn ich nicht wüsste, dass Trixi dir gerade ein Kompliment gemacht hat, würde ich mich angegriffen fühlen“, kicherte Mira. Wenn sie mit ihrer neuen Frisur neben Trixi stand, wirkten sie wirklich fast wie Schwestern, nur mit dem Unterschied, dass Trixis Haare durchgehend gelockt waren und Miras sich erst an den Spitzen zu kringeln begannen. Faith fand zwar schon, dass Mira die neue Frisur gut stand, aber sie hatte sie auch mit den langen Haaren sehr gemocht. „Schon gut, ich weiß ja, wie es gemeint war.“ Sie zwinkerte Trixi zu, die jedoch nicht darauf reagierte. „Habt ihr zwei euch nach den Busplänen erkundigt?“ Sie hatten beschlossen nach dem Wettbewerb mit der Fähre nach Litusiaville überzusetzen und dann mit dem Bus bis nach Niburg zu fahren, da der Weg zu Fuß viel zu lang war. In Niburg wollten Joel und Faith dann ihren letzten Orden erkämpfen und Mira und Trixi am Wettbewerb teilnehmen. Danach würde die Gruppe sich trennen und jeder über Weihnachten zu seiner Familie nach Hause fahren. Anschließend, bei ihrer Rückkehr nach Niburg zwischen Weihnachten und Neujahr, würden sie dort Itsuki und Evan treffen, mit ihnen gemeinsam über den Schneepfad nach Eisbergen wandern und sich hoffentlich für das Große Festival und die Finera-Liga einschreiben. Zumindest war dies der Plan. Trixi nickte und zeigte die ausgedruckten Busrouten mit Preisliste rum. „Wir können von Litusiaville bis nach Nautica City fahren, dort eine Übernachtung einplanen und am nächsten Tag weiter bis nach Bad Puvicia fahren. Dort steigen wir um und fahren nachmittags weiter bis nach Niburg, wir sind dann am späten Abend dort.“ Die Busse fuhren alle Dörfer an der Route ab, daher dauerte eine solche Strecke mit einem Linienbus eine ganze Weile, aber es war auf diese Weise viel kostengünstiger als mit einem Expressbus. „Ich werde nachher ins Reisebüro gehen und dort vier Fahrkarten für nach dem Wettbewerb kaufen.“ „Das dauert ja nicht mehr lange, der Wettbewerb ist schon in vier Tagen.“ Mira wirkte etwas unsicher, vor allem, weil es wieder auf die alte Konkurrenz zwischen Trixi und ihr hinauslaufen würde. „Aber ich bin zuversichtlich, dass alles gut laufen wird. Mit Psiana ergeben sich mir ganz neue Möglichkeiten.“ „Du bist nicht die Einzige mit neuen Möglichkeiten“, unterbrach Trixi sie leicht schnippisch und fuhr sich durch die Locken. „Ich habe nicht vor dieses Mal zu verlieren, meine Mutter wird im Publikum sitzen.“ Mit diesen Worten drehte Trixi sich auf dem Absatz um und verschwand. Vier Tage später standen Trixi und Mira sich im Finale des Wettbewerbs gegenüber, dementsprechend schlecht war die Stimmung zwischen den beiden Mädchen. Mira hatte eine klasse Performance mit ihrem Psiana abgeliefert und würde nun Rokkaiman in den Kampf schicken, Trixi hatte Kussilla in der Show genutzt und kämpfe mit Vulnona. Zwar hatte Rokkaiman einen kleinen Typenvorteil, doch Trixis Starter hörte besser auf seine Trainerin als Rokkaiman auf Mira. Trixi atmete tief durch, als ihr Vulnona mit einem kräftigen Flammenwurf angriff, der die ganze Halle für einen Moment in orangefarbenes Licht tauchte. Doch Rokkaiman war ein Bodentyp, es überstand die Attacke und konterte mit Lehmschelle und Sandgrab. Obwohl Vulnona sich noch mit einem schön anzusehenden Feuerwirbel retten wollte, gingen die grünen Punkte auf Vulnonas Leiste immer weiter runter, bis sie noch vor dem Besiegen des Feuerpokémon bei null angekommen waren. Schwester Joy und die beide anderen Jurymitglieder erklärten den Kampf für beendet und gratulierten Mira zu einer herausragenden Performance mit Psiana sowie einem gelungenen Kampf mit Rokkaiman, das in dem vorherigen Kampf seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte, nun jedoch auf Mira gehörte hatte. Mira strahlte überglücklich und hielt stolz das Band von Honey Island in die Höhe, woraufhin der Applaus des Publikums noch einmal stärker wurde. „Und damit besitzt Mireillia Dawnington auch ihr fünftes Band und hat sich somit für das Große Festival qualifiziert!“, teilte die etwas überdrehte Moderatorin dem Publikum mit, das Mira für so viel Talent und Fleiß mit Standing Ovations ehrte. „Wir drücken ihr die Daumen und sind auf die Performance beim Großen Festival im Januar gespannt!“ Sie hatte es geschafft, sie hatte endlich ihr fünftes Band! Was vor wenigen Monaten noch wie ein unerreichbares Ziel schien, war nun Wirklichkeit geworden und ließ Miras Herz vor Freude springen. Als sie sich zu Trixi, die sich verbissen in Vulnonas Mähne krallte, umdrehte, bekam sie von der braunhaarigen Koordinatorin nur eiskalte Blicke zugeworfen. Miras Lächeln bröckelte ein wenig und treuherzig trat sie zu Trixi. „Du hast super gekämpft, ich fand deine Performance mit Kussilla total toll.“ „Nun, scheinbar sind super und toll nicht gut genug, wenn so ein Bauerntrampel wie du mit einem ertauschten Pokémon den Sieg zugesprochen bekommt.“ „Bauerntrampel?“, wiederholte Mira geschockt und konnte nicht weiter reagieren, als Trixi ihr mit funkelnden Augen Hass entgegenbrachte. „Du wusstest, dass meine Mutter heute im Publikum sitzt, Mireillia.“ „Hätte ich verlieren sollen, nur damit du vor ihr eine gute Figur machst? Trixi, ich wollte dich nicht bloßstellen, aber es ist ein richtiger Wettbewerb und ich…“ „Spar dir das.“ Trixi winkte ab. „Ich bin auf dein jämmerliches Mitleid nicht angewiesen. Bilde dir bloß nicht ein, dass wir so etwas wie Freundinnen wären. Du bist für mich unten durch.“ Mira schaute Trixi hinterher, als diese mit Vulnona von der Bühne trat. Ein paar Umstehende hatten ihren Streit mitbekommen, schauten jedoch peinlich berührt zur Seite, während Mira fast den Tränen nahe war. Als Faith und Joel bei ihr ankamen, lief Joel sofort seiner Zwillingsschwester hinterher und Faith legte Mira einen Arm um die Schultern. „Kopf hoch, die kriegt sich schon wieder ein. Du warst eindeutig die Bessere, Trixi wird das irgendwann einsehen müssen.“ „Sie hasst mich, Faith!“ „Sie hasst jeden.“ Mira schüttelte den Kopf, zwang sich zu einem Lächeln für das Pressefoto und fühlte sich auf einmal gar nicht mehr so glücklich mit ihrem letzten Band. Trixi vergötterte ihre Mutter, eine berühmte ehemalige Koordinatorin. Sie musste sich unendlich schlecht fühlen. Aber war das ein Grund, dass Mira sie deshalb gewinnen lassen sollte? Mit gemischten Gefühlen dachte sie an die lange Busfahrt, die ihnen nun bevorstand. Hoffentlich würde das gut gehen. Kapitel 96: Dunkelheit zieht auf -------------------------------- Trixi saß alleine in einer Sitzreihe und schmollte vor sich hin, Joel hörte Musik mit Ohrenstöpseln, Mira fühlte sich schlecht und futterte bereits ihre dritte Tafel Vollmilchschokolade und Faith vertiefte sich im Nichtstun. Die Fahrt von Litusiaville bis nach Nautica City schien endlos zu sein, denn die vier Trainer sprachen kaum ein Wort miteinander, weil jeder seine Ruhe haben wollte oder keinen Streit provozieren wollte. Schließlich schloss auch Faith die Augen, kuschelte sich – so gut es eben ging – in ihren Sitz und schipperte langsam in Richtung Traumland. Mussten sie sich denn wirklich so benehmen, als würde die nächste Eiszeit über sie hereinbrechen? Trixi schmollte weiterhin verbittert, schien sich in dieser Rolle jedoch wohl zu fühlen und benahm sich wie eine verkannte Diva, die sie tief in ihrem Inneren wohl auch war. Mira bemühte sich um eine normale Konversation mit Trixi, doch diese antwortete einsilbig oder gar nicht, was die Sache nicht gerade einfacher machte. „Wie lange das wohl noch so gehen wird?“ Faith streckte sich, von der langen Busfahrt tat ihr nun das Kreuz weh. Sie waren soeben in Nautica City angekommen und bezogen ein Viererzimmer für diese Nacht. Joel hob leicht die Schultern und bedachte Trixi und Mira mit einem prüfenden Blick. „Ich weiß es nicht. Trixi stellt sich ziemlich an, das kann noch Tage so dauern.“ „Bloß nicht“, erwiderte Faith mit rollenden Augen, stellte ihren Rucksack auf der unteren Matratze des Doppelbetts ab, das Mira und sie sich für diese Nacht teilten. „Könnt ihr den Wettbewerb nicht einfach sein lassen? Trixi, du bist eine ausgezeichnete Koordinatorin, die nächsten beiden Bänder gewinnst du doch mit links.“ Trixi hob den Kopf und funkelte Faith an, wirkte aber zumindest nicht mehr so, als würde sie jeden, der sie ansprach, mit ihren Händen in Stücke zerreißen wollen. „Wenn du das sagst“, lautete stattdessen ihre schlichte Antwort. „Ich habe Hunger, lasst uns eine Pizza essen gehen. Na los, Trixi, Mira, lasst euch nicht so hängen. Die Dinge sind passiert, jetzt vertragt euch wieder.“ „Ich stimme Joel zu, mein Magen muss mit leckerer Pizza gefüllt werden. Los, wir gehen jetzt was essen.“ Trixi und Mira erhoben sich murrend aus ihren oberen Betten, stiegen die Leitern hinab und richteten sich nahezu identisch die Frisur, was ihnen jedoch nicht aufzufallen schien. Es war vermutlich auch besser so, denn beide versuchten ihre Ähnlichkeiten momentan nicht anzusprechen. Nachdem sie in der Pizzeria gewesen waren, hatte sich die Stimmung tatsächlich etwas entspannt. Faith hatte, ebenso wie Joel, eine Pizza Margherita gehabt, Mira eine Pizza Hawaii und Trixi eine Pizza mit Meeresfrüchten. Trixi hatte sogar ein Stück von Miras Pizza probiert und umgekehrt, die beiden schwiegen sich nicht mehr an, auch wenn Trixi noch immer sichtlich frustriert war. Eine leckere Pizza hatte schon vieles wieder ins Lot bringen können. Auf ihrem Weg zurück zum Pokémoncenter warf Faith einen Blick auf die Uhr, als sie an dem großen Gebäude von Mai Pharmaceutics vorbeikamen. „Meint ihr, Milena und Joanna sind hier? Ich konnte mich damals gar nicht für ihre Gastfreundschaft in Schloss Dunkelstein bedanken, weil Team Dark dazwischengefunkt hatte.“ „Möchtest du vorbeigehen und dich jetzt persönlich bei ihnen bedanken?“ Joel schaute ebenfalls zu dem Gebäude, in dem hinter der undurchsichtigen Glasfassade noch immer Lichtschein zu vermuten war. „Milena Mai wird sicherlich noch hier sein, sie lebt doch auch in dem Gebäude, wenn sie hier in Nautica City ist?“ „Gehen wir rein und erledigen das“, stimmte auch Trixi zu. „Du solltest dich bei ihr bedanken, dein Abgang in Schloss Dunkelstein war ja nicht vorherzusehen.“ „Milena hat sich damals Sorgen um dich gemacht, genau wie wir.“ Mira lächelte ihr zu, dann machten sie sich zu viert auf den Weg zum Hauptgebäude des Pharmaunternehmens. Im Foyer war der bereits bekannte Rezeptionist, der sich scheinbar auch noch an Faith erinnern konnte, jedenfalls begrüßte er sie freundlich und fragte sie gleich, ob sie zu Milena Mai oder Joanna Joy wollte. Als Faith dies bestätigte, schaute der Mann in Milenas Terminkalender nach. „Sie arbeitet gerade an ihrem neuen Projekt und möchte nicht gestört werden, aber Joanna dürfte ein paar Minuten Zeit für euch haben. Ich sage ihr, dass ihr kommt.“ „Vielen Dank.“ Geduldig wartete Faith mit den drei anderen, bis Joanna ihr Einverständnis gab. Der Rezeptionist legte den internen Telefonhörer auf und lächelte sie an. „Joanna wartet oben auf euch, 7. Etage. Ihr könnt den Fahrstuhl hier drüben benutzen.“ „Dankeschön“, bedankte Faith sich erneut, dann trat sie mit Joel, Trixi und Mira in den Fahrstuhl ein. Sie drückte den Knopf der gewünschten Etage, dann warteten sie, bis die Türen sich schlossen und der Fahrstuhl sich nach oben in Bewegung setzte. Nach nur einer kurzen Wartezeit ging die Tür wieder auf und vor ihnen stand bereits Joanna in einem weißen Laborkittel. Sie strahlte die vier Jungtrainer an und winkte sie zu sich heran. „Das ist aber eine Überraschung, dass ihr hier auftaucht.“ „Ja“, meinte Faith und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich wollte mich noch einmal persönlich für die Gastfreundschaft von Milena Mai bedanken. Leider ist das ja etwas unglücklich in Schloss Dunkelstein gelaufen.“ „Oh, ich bin sicher, dass Milena sich über deine Grüße freuen wird. Sie ist im Moment leider überaus beschäftigt an einem neuen Forschungsobjekt und kann sich keine fünf Minuten für euch freischaufeln.“ Joel nickte Joanna zu. „Woran forscht sie denn im Moment, wenn ich fragen darf?“ Für einen kurzen Moment schien ein Schatten über Joannas Gesicht zu huschen und ihre Mundwinkel zuckten leicht, dann sprach sie jedoch unbeirrt lächelnd weiter. „An der Spaltung von Nukleinsäuren und ihrer Modifizierung.“ Faith konnte an Joels Gesichtsausdruck erkennen, dass er das nicht genau verstand, aber er wollte sich nichts anmerken lassen und nickte lieber erneut. „So ich muss auch gleich wieder rüber ins Labor.“ Joanna warf einen hektischen Blick den Gang hinunter und knetete sich leicht nervös die Hände. „Wenn das alles wäre, darf ich euch wieder zurück in den Fahrstuhl bitten?“ „Regnet es?“ Es war seltsam, aber auf Miras eingestreute Frage hin drehten sie alle ihren Kopf zur breiten Fensterscheibe neben dem Fahrstuhl, die von außen verspiegelt wirkte, doch man konnte ohne Probleme nach draußen schauen. Dunkle Wolken zogen über der Stadt auf und immer wieder zuckten einzelne Blitze über den Häusern. Wieder schien Joannas Lächeln zu bröckeln. „Es ist schon spät, beeilt euch lieber, damit ihr nicht in den Sturm geratet, hm? Auch Trainer müssen mal ins Bettchen.“ „Joanna, ist alles in Ordnung?“ Besorgt schaute Faith zu der rosahaarigen Assistentin von Milena Mai. Sie hatte Joanna nun schon einige Male getroffen, aber heute wirkte sie extrem aufgekratzt und angespannt. Es erschien Faith beinahe, als wollte Joanna sie abservieren und möglichst schnell loswerden. „Sicher“, antwortete Joanna mit einer etwas zu schrillen Stimme und warf erneut einen hektischen Blick den Gang runter, wo in diesem Augenblick ein dumpfer Knall ertönte. „Geht jetzt.“ Trixi und Joel warfen sich Blicke zu, bis Joel das Wort ergriff. „Ist wirklich alles in Ordnung? Sie wirken so nervös.“ „Geht! Sofort!“ Im Stechschritt trat Joanna zum Fahrstuhl und hämmerte auf den kleinen Knopf, bis die Tür sich öffnete. „Es war schön mit euch, aber ich muss jetzt arbeiten.“ Irritiert traten Mira und Trixi in den Fahrstuhl, beide fanden Joannas Verhalten mehr als unhöflich. Faith wollte sich gerade von Joanna verabschieden, als wieder ein dumpfer Knall ertönte, weiter hinten im Gang eine Labortür geöffnet wurde – das Sicherheitssymbol prangte an der Außenseite der Tür – und ein Mann in weißer Laborkleidung aus der Tür schaute. „Joanna, wir brauchen dich hier! Es kommt zu Bewusstsein!“ Erschrocken riss Faith die Augen auf – Caleb Frost tat es ihr nach – und für einen scheinbar endlosen Moment schien die Zeit still zu stehen. Dann spürte Faith, wie Joanna sie und Joel an den Armen herumriss und auf den Fahrstuhl zustieß, doch Joel reagierte schneller als Faith und stemmte sich gemeinsam mit Faith aus Joannas überraschend starkem Griff. „Wieso hilfst du Team Dark!“, schleuderte Faith der Assistentin die Frage entgegen. Doch Joanna ging nicht darauf hin, sie schlug gnadenlos auf den kleinen Knopf, sodass der Fahrstuhl die Türen schloss und sich nach unten in Bewegung setzte, bevor Mira und Trixi etwas dagegen tun konnten. Hoffentlich würden sie entkommen und Hilfe holen. Gleichzeitig schlug Caleb Alarm und kleine rote Lampen sprangen an der Decke an, gleichzeitig begann ein Alarmsignal zu ertönten. „Wir müssen hier weg!“ Joel zog sie hinter sich her und entließ bereits sein Sniebel aus dem Pokéball. „Zur Feuerleiter, irgendwo am Gebäuderand!“ „Idiot! Nichtsnutziger Volltrottel!“, schrie Joanna hinter ihnen, doch sie war ihnen dicht auf den Fersen. Offensichtlich meinte sie Caleb mit ihren Beleidigungen. Wenige Schritte später sahen Joel und Faith sich in einer Sackgasse wieder. Joanna stand zwischen ihnen und einer weiteren Labortür. „Ihr hättet gehen sollen, als ich euch höflich darum gebeten habe.“ Auf einmal hatte sie nichts mehr von ihrer Freundlichkeit. „Wie kannst du das tun, Joanna! Du bist eine Joy! Wie kannst du Team Dark angehören?“ „Stell nicht solch nervige Fragen. Meinst du, ich breite jetzt meine Lebensgeschichte vor dir aus? Dumme Göre.“ Joanna warf dem fauchenden Sniebel einen niederschmetternden Blick zu, dann griff sie an ihre Gürtel unter dem offenen Laborkittel, wo sich drei Pokébälle befanden. Faith und Joel erkannten beide sofort wie ernst diese Lage war. Sie mussten Joanna Joy aus dem Weg räumen – und sie mussten dem Pokémon, welches auch immer hier gefangen gehalten wurde, helfen. Beide nickten sich zu, dann entließ Faith ihr Bibor. Joanna schien genervt und aus zwei ihrer Bälle befreiten sich ein Meganie und ein Hariyama. „Ihr denkt doch nicht, dass ich Lust auf dieses Kindergartengetue habe? Wir hätten euch schon längst ausschalten sollen.“ Kurz schüttelte sie den Kopf. „Meganie, Giftpuder. Auf die Trainer. Hariyama, schalte die beiden Pokémon aus.“ Der giftige Puder kam ihnen entgegen. Sie hatten es tatsächlich mit Team Dark zu tun und waren direkt in ihre Zentrale gelaufen. Sie waren in der Höhle des Löwen. Kapitel 97: Blitz und Donner ---------------------------- Das Giftpuder waberte auf sie zu, doch Faith und Joel hielten sich schützend die Ärmel ihrer Regenjacken vor den Mund. Natürlich war es nur ein provisorischer Schutz und mehr als einen Angriff mit den giftigen Sporen würden sie kaum unbeschadet überstehen können – aber überhaupt, wie konnte Joanna es wagen ihre Pokémon Menschen angreifen zu lassen? Das widersprach so ziemlich allen Grundregeln des Trainerdaseins, denn Pokémon waren keine instrumentalisierten Objekte, mit denen man seine idiotischen Machtfantasien und Gewalt durchsetzen konnte! Bibor war sofort schützend vor Faith und Joel gesprungen. Mit seinen kleinen, dünnen Flügeln konnte es die Sporen zum Glück effektiv genug umlenken und es selbst als Giftpokémon verkraftete den Angriff gut. Sniebel stürzte sich derweil fauchend mit einem kräftigen Schlitzer auf Meganie – nachdem es getroffen wurde, brach Meganie den Giftpuderangriff sofort ab und strauchelte nach hinten. Sniebel ließ nicht locker und setzte gleich noch zwei weitere Schlitzer hinterher. Joanna Joy sog die Luft scharf durch die Zähne ein und funkelte die beiden Jungtrainer böse an. „So leicht werdet ihr ein Vorstandsmitglied von Team Dark nicht besiegen!“ Aber die Wahrheit war, dass Joanna keine Trainerin war. Sie war ein Mitglied der Familie Joy und lernte von Kindheit an den Umgang mit Pokémon. Sie konnte sie gesund pflegen, wusste viel über Behandlungsmethoden und kam dadurch schlussendlich zur Pharmazie und Wissenschaft, wo sie als Milenas Assistentin einen gut bezahlten Job gefunden hatte. Joanna war Wissenschaftlerin, keine Trainerin. Aus diesem Grund konnte sie zwar lautstark fluchen, aber nicht verhindern, dass Sniebel ihr hilfloses Meganie mit einem finalen Eissturm außer Gefecht setzen konnte. Pokémontraining war noch nie eine Stärke von ihr gewesen, sie war wegen ihres großen Wissens im Vorstand, nicht wegen ihrer Fähigkeiten als Trainerin – im Gegensatz zu Caleb Frost. Faith und Joel atmeten ein wenig erleichtert durch, als Meganie am Boden lag und der Giftpuder sich gelegt hatte. Nun konnte Bibor einen Duonadel-Angriff auf Hariyama starten, doch das Kampfpokémon erwischte Bibor vorher und schleuderte es gegen eine Wand. Ein enger Flur war durchaus ein schlechter Kampfplatz. „Hariyama, besieg sie!“ Doch Joannas Befehl kam eher halbherzig, sie machte bereits einige nervöse Schritte nach hinten, fluchte schließlich erneut und zog Hariyama zurück, noch bevor ihr Pokémon seinen Angriff ausführte. „Glaubt bloß nicht, dass ihr hier irgendetwas erreichen könnt. Wir haben Zeit gewonnen, das ist wichtiger als euch auszuschalten. Denkt ihr wirklich, ihr könntet Team Dark aufhalten?“ „Ich zeige dir gleich, wen ich hier aufhalten kann!“, entgegnete Faith mit einem drohenden Unterton, in den Bibor sofort summend einstimmte. Joanna schnaubte, drehte sich um und rannte den Flur zurück, wo sie abbog und auf das Labor zusteuerte. „Los, hinterher!“, rief Faith augenblicklich und setzte sich in Bewegung, Bibor flog ihr sofort ohne zu zögern hinterher. „Uns bleibt nicht viel Zeit, bestimmt fliehen sie schon!“ „Wir können sie nicht alle besiegen, das weißt du.“ Mühelos hielten Joel und Sniebel mit ihr mit. Faith grunzte, antwortete jedoch nichts. Stattdessen lief sie gemeinsam mit Joel und ihren beiden Pokémon auf die noch immer geöffnete Labortür mit dem Gefahrensymbol zu. Sie stieß die Tür weiter auf und erstarrte. Für einen winzigen Augenblick waren ihre Augen von den vielen Messgeräten und Chemikalien abgelenkt, doch dann musste sie wieder auf das halb betäubte Zapdos blicken, das in der Raummitte in Ketten auf einer Art kleinem Podest lag. „Oh mein Gott…“ „Vorsicht!“ Joel zog sie in letzter Sekunde zur Seite, als Calebs Nachtara ihnen einen Spukball entgegen schleuderte. Weiter hinten im Raum raufte Joanna hektisch Akten, lose Zettel und andere Kleinigkeiten zusammen. Immer wieder warf sie Caleb, der vor ihr stand, und den beiden Jungtrainern samt Pokémon böse Blicke zu. Man konnte wohl nicht sagen, wen sie im Moment mehr verachtete: Faith und Joel, die ihre Arbeit störten, oder Caleb, der sich im Gegensatz zu ihr mit seinen Pokémon wehren konnte. Gerade wollte Caleb eine weitere Spukball-Attacke veranlassen, als aus einer anderen Ecke eine bekannte Stimme ertönte. „Wenn es auch nur einer von euch wagt, hier in diesem Raum einen Pokémonkampf zu starten, werde ich sehr, sehr ungehalten werden.“ Milena sprach ruhig und in ihrer Stimme lag eine schneidende Schärfe, die deutlich machte, dass sie hier die größte Autorität hatte. Caleb zögerte, doch er zog sein Nachtara zurück und packte ebenso wie Joanna die Forschungsaufzeichnungen in eine dunkle Sporttasche. Auch Faith und Joel harrten aus und verboten sich einen Angriff – Milenas Worte klangen bedrohlich genug. Stattdessen ergriff Joel das Wort, wofür Faith ihm dankbar war, denn sie fühlte sich gerade nicht dazu in der Lage. „Warum tun Sie Zapdos das an, Milena? Zapdos ist ein Legendäres, es gehört nicht in Gefangenschaft. Wenn Sie Zapdos noch weiter festhalten, werden die Gewitterstürme um Nautica City immer schlimmer werden.“ „Es stellt keine Gefahr dar, wenn es schläft.“ Als Joel merkte, dass er mit Vernunft bei Milena nicht weiterkam, wurde er sauer. „Die Legendären regeln das Gleichgewicht zwischen Mensch und Pokémon, sie gefangen zu nehmen bringt dieses Gleichgewicht in Gefahr!“ Milena gab einen verachtenden Laut von sich. „Ihr seid Kinder, ihr könnt meine Ziele nicht verstehen. Die Ziele von Team Dark sind so vielschichtig, ihr würdet es niemals nachvollziehen können.“ „Milena, wie können Sie Zapdos solches Leid zufügen? Ihr Vater, Professor Mai, hätte das niemals zugelassen!“ Augenblicklich verengten sich Milenas Augen. „Sprich nicht von ihm, als würdest du ihn kennen. Ihr glaubt also, dass es falsch ist die Legendären gefangen zu halten? Ich werde euch jetzt etwas sagen. Ihr denkt, dass es grausam ist, dass ich Zapdos hier habe und ihm ständig DNA-Proben für meine Forschungen entnehme. Mein Vater war immer ein begnadeter und genialer Wissenschaftler. Er wollte die Welt zu einem besseren Ort machen, viele seiner wissenschaftlichen Errungenschaften haben die moderne Medizin für Pokémon erst ermöglicht. Doch als er Entei und Raikou für ein paar harmlose Tests fangen ließ, zeigte sich das wahre Wesen der Legendären. Sie befreiten sich, zerstörten das gesamte Labor und ein gewaltiger Brand entstand durch das Feuer Enteis und die Kraft Raikous. Sie bissen meinen Vater und ließen ihn verletzt zurück – wir konnten ihn nur noch tot aus den Trümmern bergen. Ich bin also grausam, weil ich Zapdos als meinen Gefangenen halte und an dem großen Durchbruch meiner Forschung arbeite, aber es ist okay, wenn Entei und Raikou meinen Vater auf dem Gewissen haben?“ Die Stille, die entstand, lastete schwer auf allen Anwesenden. „Es ist unvorstellbar, was Sie durchmachen mussten, Milena.“ Faith atmete tief durch. „Aber ich flehe Sie an, lassen Sie Zapdos frei.“ „Zapdos ist frei, sobald ich die positiven Eigenschaften seiner DNA in andere Pokémon verpflanzen konnte.“ „Wozu soll das gut sein? Die Legendären sind einzigartig, man kann nicht einfach an ihnen und anderen Pokémon herumexperimentieren.“ „Sie sind einzigartig. Ist nicht gerade das das Problem? Kein Pokémon sollte über einem anderen stehen. Wenn ich es schaffe, dass in naher Zukunft alle Pokémon Eigenschaften der Legendären in sich – in ihrer DNA – verankert tragen, macht dies die Welt nicht zu einem besseren Ort? Wenn kein Pokémon mehr über den anderen steht, wird keines mehr die Macht zu solchen Grausamkeiten haben. Solange das nicht geschafft ist, werden die Legendären immer eine Gefahr für uns darstellen. Glaubst du wirklich, sie werden immer friedlich sein? Irgendwann werden die Legendären – wie schon Entei und Raikou zu Zeiten meines Vaters – ihre Launen haben. Dann sind wir ihnen mit unseren gewöhnlichen Pokémon hilflos ausgeliefert.“ Faith konnte kaum glauben, was sie da hörte. Sie war kein weinerlicher Typ, aber nun hatte sie Tränen in den Augen. „Und was ist mit all den unschuldigen Pokémon, die Ihren Experimenten zum Opfer fallen? Wie viele starben schon, hm? Mein Glumanda wird immer kränklich sein und das ist Ihre Schuld!“ Um nicht sofort auf Milena einzuschlagen, legte Joel ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Antworten Sie mir!“ „Ich erinnere mich an dein Glumanda, ja. Es tut mir leid, aber diese Opfer müssen gebracht werden. Ich wusste, dass ihr Kinder es niemals verstehen würdet.“ Mit einem Seitenblick vergewisserte Milena sich, dass Joanna und Caleb alles Wichtige zusammengepackt hatten. Die beiden standen bereits an einem offenen Fenster, Joanna entließ gerade ihr Ibitak, dem sie die Sporttasche zum Fortbringen gab. „Damit kommen Sie nicht durch“, sprachen Faith und Joel aus einem Mund und hielten sich vor Wut aneinander fest. Milena besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit mit den Schultern zu zucken. „Ich habe von Zapdos bereits alles, was ich brauche. Ihr könnt es befreien, wenn ihr wollt. Dies hier ist zwar mein Labor, aber ich werde den Verlust verkraften können. Ich kann auch an anderer Stelle weiterforschen. Nun müsst ihr mich entschuldigen, ich fürchte, dass eure beiden Freundinnen bald mit Officer Rocky hier auftauchen werden.“ „Sie gehen nirgendwo hin!“ „Versuch doch mich aufzuhalten.“ Nüchtern schüttelte Milena den Kopf und zückte einen Pokéball, aus dessen rotem Strahl sich ein schwarzes Glurak formte. Milena sprang auf den Rücken ihres Pokémon und gab Caleb und Joanna mit einem Kopfnicken zu verstehen ebenfalls zu fliehen. „Joel, tu doch etwas! Sie dürfen nicht entkommen! Bibor, Giftstachel!“ Bibor sprang nach vorne und schoss eine Ladung Giftstachel ab, doch Milenas Glurak war bereits mit Joannas Ibitak außer Reichweite, während Joanna und Caleb flink durch eine halb verdeckte Seitentür geflohen waren. Sie waren entkommen. Wütend trat Faith gegen einen Bürostuhl und machte sich im nächsten Moment gemeinsam mit Joel daran Zapdos‘ Fesseln zu lösen. Zum Glück ging dies sehr leicht und gelang ihnen auf Anhieb. Kaum dass die Fesseln gelöst waren, öffnete Zapdos benommen die Augen. Es richtete sich schwankend auf, krächzte und stürzte sich aus dem offenen Fenster, wobei noch zwei weitere, angrenzende Fenster zu Bruch gingen. Das Legendäre erhob sich sofort mit schwachen Flügelschlägen in den Himmel und tauchte in den Gewitterwolken unter. „Zapdos ist verletzt, wir hätten ihm helfen müssen“, murmelte Faith und blickte in den Himmel empor. „Es wollte nur noch fort, lass es.“ Kopfschüttelnd zog er Sniebel zurück. „Wir können hier nichts mehr tun.“ „Aber sie sind entkommen! Warum haben wir nicht gekämpft?“ „Wir hätten Milena nicht besiegen können. Ich glaube, das wusste sie. Sie ist zu stark und von innerem Zorn getrieben. Faith, bitte. Wir müssen gehen.“ Sie zögerte, dann nickte sie, holte Bibor in seinen Pokéball zurück und machte sich mit Joel auf den Rückweg zum Fahrstuhl. Unten begegneten ihnen bereits Officer Rocky mit Verstärkung sowie Trixi und Mira, die die beiden in die Arme schlossen. Faith warf einen letzten Blick in den Himmel empor, schloss die Augen und versuchte alles um sich herum auszublenden. Das Schlimme an dieser Begegnung war, dass sie Mitleid mit Milena hatte. Sie konnte ihre Beweggründe sogar nachvollziehen. Stimmte es womöglich, dass die Legendären eine zu große Macht besaßen und eine Gefahr darstellten? Dann wäre Milena die Einzige, die dies frühzeitig erkannt hatte. Dann müssten sie ihr dankbar sein. Aber wieso fühlte es sich dann trotzdem falsch an, egal wie man es drehte und wendete, egal aus welcher Perspektive man es betrachtete? Faith kannte darauf keine Antwort. Kapitel 98: 400 Kommentare Special: Milena ------------------------------------------ In Milenas Gesicht spiegelten sich tiefe Trauer, Bestürzung, Wut, Hass, noch mehr Trauer und Verzweiflung. Die vielen Tränen, die sie vergossen hatte, waren längst getrocknet, aber der Schmerz fraß noch immer an ihrem Herzen. Ob es jemals aufhören würde, dieses entsetzliche Gefühl der Machtlosigkeit? Das Gefühl der Ohnmacht? Wie konnte man ihr nur zwei Tage nach dem schrecklichen Tod ihres Vaters verkünden, dass sie mit ihren jungen neunzehn Jahren die Leitung von Mai Pharmaceutics übernehmen musste, wenn sie nicht wollte, dass der Familienkonzern, den ihr Vater einst aus dem Boden gestampft hatte, an die Konkurrenz verkauft wurde? Sicher, sie war tapfer, sie würde sich ihre innere Verletzlichkeit nicht anmerken lassen. Dennoch verachtete sie die provisorische Konzernleitung für ihr Handeln. Ihr Vater war noch nicht einmal unter der Erde und sie arbeiteten, als wäre niemals etwas gewesen. Als würde die Erde sich einfach weiterdrehen. Ha! War es nicht ein brutaler Wink des Schicksals? Es war nicht fair, ihr Vater war ein Genie, er hätte nicht sterben dürfen. „Ich hasse euch, Entei und Raikou.“ Milena starrte in ihr eigenes Spiegelbild, fühlte sich jedoch vollkommen fremd in ihrem eigenen Körper. Die Frau, die ihr gegenüberstand, war nicht länger die unschuldige Milena Mai. Seit zwei Tagen war die Naivität in ihr tot, so wie ihr Vater, Professor Mai. Neben ihr lag das persönliche Tagebuch, das ihr Vater während seines letzten Forschungsjahres angelegt hatte. Wie oft sie es wohl in den vergangenen Stunden gelesen hatte? Ihr Vater war kein Mörder und auch kein Pokémonquäler. Er hatte die beiden Legendären gefangen genommen, ihnen eine Blutprobe entnommen und hätte sie noch am selben Abend wieder frei gelassen, doch dazu war es nie gekommen. Die Legendären sind mächtige Wesen, Milena. Wir müssen sie ehren, sie und ihre unglaublichen Fähigkeiten. Aber Demut und Ehrfurcht alleine können uns und die vielen Pokémon dort draußen nicht schützen. Wenn ich die Eigenschaften der Legendären in ihrer DNA entschlüsselt habe, sind wir womöglich in der Lage die Pokémon von allen Krankheiten zu befreien. Wir können die Welt zu einem besseren Ort machen, Milena. Wäre das nicht wundervoll? Eine Welt ohne Krankheiten, Qualen und Leid. Schau, Milena, wie schön die Sterne heute Nacht am Himmel leuchten. Die Worte ihres geliebten Vaters klangen so deutlich in ihren Ohren, als würde er direkt neben ihr stehen und es noch einmal sagen. Aber das war natürlich unmöglich, er war tot, wie sie wieder einmal feststellte. Entei und Raikou hatten ihn getötet. Es war erstaunlich, wie wenig Menschen letztendlich zu der Beerdigung gekommen waren. Milena hatte darum gebeten, dass der Tod ihres Vaters vorerst geheim gehalten wurde – die offizielle Stellungnahme behauptete nun, dass Professor Mai während einer Expedition verschollen war. Die Rede des Priesters ging an Milena vorüber, diese Worte waren nur Schall und Rauch, wie schon einst ein berühmter Dichter gesagt hatte. Sie änderten weder etwas an der Sterblichkeit noch an der jetzigen Situation. Doch Milena konnte etwas ändern, da war sie sich absolut sicher. Beim Lesen der Forschungsprotokolle ihres Vaters war ein Funke in ihr entzündet worden, der sich von Tag zu Tag vergrößert hatte, bis er nun ein loderndes Feuer in ihrem Herzen war. Das Wissen, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten konnte, verdrängte Trauer und Einsamkeit aus ihrem Herzen. Sie besaß genug Wissen und Verstand, um sich in die komplizierten Experimente einzuarbeiten, auch wenn es vermutlich Jahre dauern würde, bis sie wirklich an dem Punkt stand, an dem ihr Vater aufgehört hatte. Wie würde es erst sein, wenn man den mächtigen Legendären ihre DNA entnahm, sie beliebig veränderte und den normalsterblichen Pokémon einpflanzte? Sie würden stärker, robuster und gesünder werden. Es würde keine Erbkrankheiten mehr geben, kein Leid mehr. In der Zukunft konnte jedes Pokémon ein bisschen legendär sein, dann würden die wahren Legendären keine Vormachtstellung mehr haben. Wie man die Welt mit diesen Möglichkeiten doch zum Besseren verändern konnte! Als Zapdos betäubt vor ihr lag, atmete Milena tief durch. Sie wusste nicht, ob sie vor Erleichterung lachen oder weinen sollte, daher tat sie beides auf einmal und fühlte sich seltsam befreit. Sie hatte es tatsächlich geschafft mit Hilfe von ein bisschen Technik ein Legendäres zu fangen. Zusammen mit den alten DNA-Proben von Entei und Raikou konnte sie endlich Fortschritte machen, da war sie sich sicher. „Vater, ich werde es schaffen.“ Noch immer lachend wischte sie sich die Tränen aus den Augen, trat um das Legendäre herum und ließ eigenhändig die Fesseln des Elektropokémon einrasten. Bald, bald würde die Welt verstehen, was sie hier tat. Noch sah es grausam aus, aber Milena arbeitete für ein höheres Ziel. War es nicht ein höheres Gut als die Unversehrtheit einiger Pokémon, wenn sie dafür allen anderen helfen konnte? Ein Leben gegen das von tausenden? Ihr Absol, das neben ihr stand, rieb seinen Kopf an ihrem Bein, woraufhin die Forscherin den Kopf ihres Pokémon tätschelte. „Hab keine Angst, Absol. Ich habe endlich ein gutes Gefühl bei der Sache. Immerhin ist es mir kürzlich gelungen einem Pokémon im Ei DNA von Raikou einzupflanzen. Es gab keine Schäden am Pokémon, es hat sich normal entwickelt und ist unbeschadet geschlüpft. Absol, ich bin mir sicher, dass ich kurz vor dem Durchbruch stehe.“ Lächelnd kraute sie das Unlichtpokémon, zog es aber schließlich in den Pokéball zurück. Es war für sie alle eine lange Nacht gewesen, da hatten sie sich Ruhe verdient. Glurak, Absol, Mamutel und Impergator hatten allesamt tapfer gegen Zapdos gekämpft. Milena saß am Fenster ihres Schlafzimmers hoch oben im Penthouse vom Gebäude von Mai Pharmaceutics. Sie hatte bereits eine halbe Flasche Wein geleert, ihre Stirn drückte sie gegen die kühle Fensterscheibe und seufzte. Die Anspannung fiel von ihr ab und zum ersten Mal seit Jahren spürte sie in jener Nacht nichts von dem Feuer in ihrem Herzen, das sie unerbittlich auf ihrem Weg antrieb. Was in ihr übrig blieb, waren Leere, Einsamkeit und Trauer. Leere, weil sie sich schon lange selbst verloren hatte. Einsamkeit, weil sie nicht einmal ihre eigene Gesellschaft wollte. Trauer, weil sie wusste, dass sie den Legendären und Pokémon schlimme Dinge antun musste, auch wenn es für einen höheren Zweck war. In dieser Nacht weinte Milena sich in den Schlaf, denn zum ersten Mal seit so langer Zeit war es nicht die Wissenschaftlerin, die in ihr die Oberhand hatte. Es war das kleine Mädchen, das doch nichts wollte außer ihren Vater stolz zu machen und ihn so sehr vermisste. „Daddy, ich hab dich lieb…“ Kapitel 99: Niburg ------------------ Noch bis weit in die Nacht hinein hatten Faith, Joel, Trixi und Mira auf dem Revier bei Officer Rocky gesessen und ihr alles über Team Dark, Joanna, Milena und Caleb erzählt, was sie wussten. Natürlich waren alle erleichtert, dass Zapdos nun wieder in Freiheit war und damit die schlimmen Gewitterstürme um Nautica City ein Ende haben würden, doch gleichzeitig war es auch beängstigend, dass Milena und Team Dark so große Macht besaßen. Immerhin war es ein furchtbar schwieriges Unterfangen ein starkes Legendäres wie Zapdos zu besiegen und in Gefangenschaft zu halten. Zumindest waren die vier Jungtrainer erleichtert, dass sie nun endlich ernst genommen wurden und man wusste, wer hinter Team Dark steckte. Milena, die in Finera eine bekannte Persönlichkeit war, würde sich nicht ewig verstecken können. Doch das Adrenalin wollte einfach nicht aus den Körpern der vier Jugendlichen verschwinden. Um kurz nach Mitternacht erreichten sie vom Pokémoncenter aus Itsuki und Evan, die allerdings zur allgemeinen Verwunderung ebenfalls noch hellwach waren. Faith teilte den beiden die Entwicklung der Dinge mit, regte sich am Bildtelefon über Team Dark auf und lauschte im Gegenzug den Neuigkeiten, die Itsuki und Evan ihnen erzählen konnten. Evan hatte das Band von Nautica City gleich am zweiten Tag gewinnen können, seit dem verweilten Itsuki und er bei Anya in Bad Puvicia, da es noch eine Woche bis zum nächsten Wettbewerb dort dauern würde. Allerdings hatten sie erfahren, dass der alte Arenaleiter von Niburg kürzlich verstorben war und nun dessen Enkelin Lynn Draco die Arena leitete. Bei der Erwähnung dieses Nachnamens dachten natürlich alle sofort an Damian Draco, über dessen Familie kaum etwas bekannt war – geschweige denn über den talentierten Trainer selbst. Sie verabredeten sich für den nächsten Nachmittag zum Essen, wenn Trixi, Mira, Faith und Joel ohnehin in Bad Puvicia umsteigen mussten und dort zwei Stunden Aufenthalt totzuschlagen hatten. Dann verabschiedeten sie sich, blieben noch weit bis in die Nacht hinein auf und traten am nächsten Morgen vollkommen übermüdet ihre Busfahrt nach Bad Puvicia an. Die ganze Fahrt über schliefen die vier Jungtrainer, trudelten in Bad Puvicia aus dem Bus und streckten sich erst einmal. Itsuki und Evan erwarteten sie bereits und geleiteten sie zu einem Restaurant in der Nähe der Bushaltestelle. „Ihr seid euch also sicher, dass Lynn Draco etwas mit Damian Draco zu tun hat?“, fragte Faith sofort, während sie die Speisekarte studierte, allerdings keinen großen Hunger verspürte und sich deshalb nur einen Obstsalat mit Vanilleeis bestellte. Itsuki und Evan nickten gleichzeitig, aber Itsuki übernahm das Reden. „Ich habe Anya heute Morgen extra nochmal gefragt. Sie kennt die anderen Arenaleiter natürlich und sie konnte mir bestätigen, dass Lynn Draco die Cousine von Damian Draco sein könnte. Lynn ist ebenso wie Damian sehr begabt im Umgang mit Pokémon und scheint einen besonderen Draht zu ihnen zu haben. Allerdings müssen sich Lynns und Damians Eltern wohl noch vor der Geburt der beiden zerstritten haben, weshalb sie nie besonders viel Kontakt miteinander hatten. Anya hat mit Lynn gesprochen, Lynn wäre bereit euch morgen zu treffen. Sie weiß natürlich, dass ihr Cousin nichts Gutes im Schilde führt, aber sie kann die Arena nicht verlassen und ihn suchen.“ „Das heißt, wir müssen uns jetzt wirklich auch noch mit Damian Draco auseinandersetzen?“ Mira schien sehr genervt zu sein und stocherte in ihrem Käseomelette herum. „Als ob es mit Team Dark nicht schon reichen würde, wir ziehen das Pech wirklich nahezu magisch an.“ „Wenn wir uns nicht darum kümmern, wer denn dann?“ Faith hob eine Augenbraue skeptisch an. „Matt ist momentan in Hoenn und es wissen kaum Leute von Damian Draco. Wenn er wirklich so ein größenwahnsinniger Trainer ist, muss er aufgehalten werden. Reden wir einfach mit Lynn.“ „Vor oder nach unserem Arenakampf?“, unterbrach Joel sie. Vor seinem Gesicht zog der Dampf seiner gefüllten Hefeklöße empor. „Lass uns mit Lynn reden und sie dann herausfordern. Wir haben schon fast Dezember und unsere Eltern wollen bestimmt nicht, dass wir erst auf den letzten Drücker anreisen.“ „Das stimmt“, sprach Mira kauend, schluckte ihren Bissen runter und fuhr fort. „Als ich das letzte Mal mit meiner Mutter sprach, bat sie mich mindestens eine Woche vor Heiligabend einzutreffen wegen der ganzen Vorbereitungen. Sie möchte Zeit mit Kohana und mir verbringen, das ist bei euch sicherlich auch nicht anders.“ „Also bleibt uns wirklich kaum noch Zeit.“ Faith ließ ihre Augenbraue wieder sinken. „Gut. Wir werden morgen Vormittag mit Lynn reden und gleich einen Termin für den Arenakampf ausmachen. Danach forschen wir ein wenig bezüglich Damian Draco nach, wenn wir den Orden haben und somit nichts mehr zwischen der Finera-Liga und uns steht.“ Trixi fuhr sich durch die Haare. „Und ich werde in Niburg beim nächsten Wettbewerb an den Start gehen und das Band gewinnen.“ Einen Seitenblick zu Mira konnte sie sich nicht verkneifen. Als sich alle einig über das weitere Vorgehen waren, aßen sie auf, plauderten noch ein wenig und verabschiedeten sich dann von einander. Am späten Abend erreichten sie Niburg, das mitten in den Bergen lag. Draußen lag bereits eine dünne Schneeschicht und man merkte, dass Niburg ein beliebtes Skigebiet war. Obwohl es erst Ende November war, schneite es, doch Itsuki hatte ihnen noch versichert, dass es in Eisbergen weitaus schlimmer sein würde. Eisbergen hatte das ganze Jahr über Schnee, weil es fast direkt am Gipfel des Berges lag. Am Busbahnhof kam bereits eine schwarzhaarige Trainerin strahlend auf sie zu. „Ich bin Lynn, Anya hat mir gesagt, dass ihr um diese Zeit ankommt.“ Faith und die anderen wechselten kurz einen Blick, dann räusperte sich Faith und nickte lächelnd. „Ja, du musst die Arenaleiterin sein. Wir wollten eigentlich morgen mit dir reden.“ „Ich weiß, erwähnte Anya bereits alles. Aber was man heute kann besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen, nicht wahr? Kommt, ich begleite euch zum Pokémoncenter. Ihr möchtet also etwas über meinen Cousin Damian erfahren?“ „Das wäre uns sehr hilfreich, ja.“ Während sie liefen, machte Lynn ein etwas nachdenkliches Gesicht. „Unsere Eltern haben sich nie wirklich gut verstanden, sie hatten noch vor unserer Geburt einen fürchterlichen Streit. Ich wohne schon mein ganzes Leben lang hier in Niburg und Damian mit meinem Onkel und meiner Tante in Eisbergen, aber trotzdem haben wir uns fast nie getroffen. Dabei ist das keine so große Entfernung, seht ihr?“ Lynn deutete in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Sie standen am Stadtrand und da es nur sehr wenig schneite, konnte man dennoch den Berghang hinaufblicken, wo in einiger Entfernung und weiter oben schwach ein Lichtschein zu erkennen war. „Das dort ist schon Eisbergen. Man sieht die Stadt von hier aus sehr gut, aber das ist nur Luftlinie. Zwischen Niburg und Eisbergen liegt eine Schlucht, deshalb muss man außen rum über den Schneepfad und das ist eine längere Fußstrecke. Beeindruckt liefen die vier gemeinsam mit Lynn weiter und schon nach wenigen Minuten kam das Pokémoncenter in Sicht. „Ich kenne Damian also nicht wirklich, aber er hatte als Kind immer ein goldenes Händchen bei Pokémon. So zu sagen ein Pokémonflüsterer. Ich habe auch etwas von diesem Talent abbekommen, aber bei Damian hat es immer besser funktioniert. Irgendwann ist er wohl übergeschnappt und seit dem habe ich auch nichts mehr von ihm gehört. Ich fürchte, dass ich euch nicht wirklich helfen kann.“ Mit einem fast schon gequälten Lächeln entschuldigte Lynn sich bei ihnen, was die anderen jedoch sofort abwinkten. „Nein, du hast uns wirklich sehr geholfen, Lynn. Wir sind allerdings alle ziemlich müde und frieren etwas, daher würden wir jetzt gerne einfach nur schlafen.“ „Ja, das verstehe ich“, meinte sie auf Joels Erklärung hin. „Die Arena hat an zwei Tagen in der Woche geöffnet, ihr könnt übermorgen gerne vorbeischauen. Dann wünsche ich euch noch einen angenehmen Aufenthalt.“ „Vielen Dank.“ Sie winkten Lynn noch hinterher, dann betraten sie das Pokémoncenter, nahmen sich ein Viererzimmer und fielen einfach nur müde in ihre Betten. Kapitel 100: Der achte Orden ---------------------------- Wieso nur hatte sie niemand vorgewarnt, dass es eiskalt werden würde? Faith trug zwei Pullover übereinander und fröstelte im Frühstücksraum bei einer heißen Tasse Kakao vor sich hin. Trixi und Mira waren bereits unterwegs, die beiden Mädchen hatten sich wieder vertragen und Trixi hatte sogar ihren Stolz zum Teil ablegen können. Sie trainierte gemeinsam mit Mira für ihren nächsten Wettbewerb. Joel saß Faith gegenüber und beobachtete sie mit einem leicht amüsierten Grinsen. „Was“, giftete Faith nach einer Weile, trank ihren Kakao aus und holte sich die dritte Tasse an diesem Morgen. „Glotz nicht so.“ „Bitte.“ Joels Grinsen wurde nur noch breiter, obwohl er sich um eine möglichst neutrale Miene bemühte. „Du bist angespannt und nervös – seit wann machst du dir um einen Kampf in der Arena solche Gedanken?“ Faith schnaubte, schob die Tasse auf dem Tisch vor sich hin und her. „Wenn Lynn auch nur halb so talentiert wie ihr Cousin ist, wird das kein Zuckerschlecken. Sie macht zwar einen total netten Eindruck und ist gerade einmal in unserem Alter, aber sie ist Arenaleiterin. Also muss sie ziemlich viel auf dem Kasten haben.“ „Hast du einen Fotoapparat dabei? Ich muss dein Gesicht festhalten, so nervös sehe ich dich bestimmt erst wieder bei der Finera-Liga.“ Lachend duckte Joel sich unter Faiths Faustschlag weg, dann stand er auf und fuhr sich durch die braunen Haare. „Ich werde jetzt trainieren, also sehen wir uns erst heute Abend. Viel Spaß bei was auch immer du anstellst.“ „Pah!“ Sie streckte ihm die Zunge raus und schaute ihm hinterher, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf und beendete ihr Frühstück mit einer vierten Tasse Kakao. Am späten Nachmittag war Faith total durchgeschwitzt. Sie hatte auf den mit Schnee bedeckten Wiesen rund um die Stadt trainiert und dabei hin und wieder nach Joel Ausschau gehalten, doch er schien an anderer Stelle mit seinem fünfköpfigen Team trainiert zu haben. Vielleicht fing er sich auch noch ein sechstes Pokémon für die Liga und wollte sie nicht wissen lassen, welches es war? Er brauchte schließlich definitiv sechs Pokémon in seinem Team, um in der Liga überhaupt antreten zu dürfen. Auf dem Weg zurück zum Pokémoncenter schlenderte Faith an einem Eiscafé vorbei, das sogar Kundschaft hatte. Sie fand dies äußerst skurril und nahm sich lieber einen Crêpe mit Zucker und Zimt von einem Straßenverkäufer mit. Immer wieder begegneten ihr lachende Menschen mit Ski-Ausrüstung, aber sie fühlte sich dadurch keinesfalls gestört. In ihrer Heimatstadt Litusiaville wimmelte es auch ständig vor Touristen. Nachdem sie ihr Abendessen alleine in der Kantine des Pokémoncenters eingenommen hatte, langweilte sie sich. Joel, Trixi und Mira waren noch nicht hier und sie selbst wollte noch nicht ins Bett gehen. Also tat sie etwas, was sie schon viel zu lange nicht mehr getan hatte. Sie rief ihre Eltern an. „Oh, Faith, das ist aber eine Überraschung!“ Überglücklich strahlte ihre Mutter sie durch das Bildtelefon an. „Schatz, komm mal her, Faith ruft an!“ „Hallo, Faith.“ Nun lächelte auch ihr Vater sie an, ging aber gleich zurück an den Herd. Scheinbar kochte er gerade das Abendessen für seine Ehefrau und sich. „Du hast dich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gemeldet, Liebling. Wie geht es dir? Bist du gut in Niburg angekommen? Isst und trinkst du auch genug?“ Faith musste sich zusammenreißen, wenn sie nicht laut lachen wollte. „Ja, es geht mir gut. Es ist alles in bester Ordnung. Ich habe heute den ganzen Tag trainiert, morgen möchte ich gegen Lynn, die Arenaleiterin, um den Kristallorden kämpfen.“ Ihre Mutter nickte und machte eine kurze Pause. „Das ist dein achter Orden, mein Schatz. Die Zeit vergeht so schnell, du wirst so schnell erwachsen. Ich habe dich immer noch als Baby vor Augen.“ „Mom…“ „Lass mich“, erwiderte die Mutter kichernd. „Dein Vater und ich sind so unheimlich stolz auf dich. Du hast schon so viel erreicht und wir möchten, dass du weißt, dass wir immer hinter dir stehen werden. Wir werden auch im Publikum sitzen, wenn du in der Finera-Liga kämpfst.“ „Wirklich?“ Mit klopfendem Herzen starrte Faith auf den Bildschirm. „Natürlich, was denkst du denn? Wir sind doch deine Eltern! Jetzt muss ich aber leider Schluss machen, dein Vater hat das Essen fertig und wir müssen nach dem harten Arbeitstag heute dringend etwas essen. Halt mich auf dem Laufenden, ja? Küsschen.“ „Bye Mom, grüß Dad von mir.“ Seufzend legte Faith auf, streckte sich und ging nun doch schon sehr früh zu Bett. Sie merkte später nicht einmal, als Mira, Trixi und Joel zurückkamen. Der nächste Tag begann mit einer unerwarteten Nachricht für Faith. Sie war am letzten Abend bereits früh schlafen gegangen, daher hatte sie nicht mehr mitbekommen, dass Trixi und Joel einen Anruf von ihrem Vater bekommen hatten. Er schien die Trainerträume seines Sohnes noch immer nicht zu akzeptieren, was zu einem riesigen Streit zwischen den beiden geführt hatte. Im Affekt hatte Joels Vater ihm sogar an den Kopf geworfen, dass er augenblicklich seine Sachen packen und nach Hause zurückkehren sollte – oder gar nicht mehr dort aufzukreuzen brauchte. Faith sah Joels nichts an, doch sie konnte sich vorstellen, wie groß der Zorn in seinem Inneren sein musste. Mit aufeinander gepressten Lippen packte Joel seinen Reiserucksack, Trixi tat es ihm gleich und räumte ihre Habseligkeiten zurück in ihre Tasche. „Du solltest ihm nicht einfach nachgeben, das ist unerhört!“ Empört saß Faith auf ihrem Bett und schaute den beiden beim Packen zu. „Was soll aus dem Kampf in der Arena heute werden? Joel, bitte rede doch mit mir!“ „Da gibt es nichts zu reden und nichts zu überdenken“, zischte er, zog unsanft den Reißverschluss seines Rucksacks zu und zog sich seine dicke Winterjacke an. „Ich fahre jetzt noch vor dem Frühstück mit dem ersten Bus zurück nach Bad Puvicia und nehme dort den Expressbus nach Honey Island.“ „Und ich begleite ihn.“ Trixi legte ihrem Zwillingsbruder eine beruhigende Hand auf die Schulter. „Vater ist ein schwieriger Mensch, wir werden ihn nur zusammen umstimmen können.“ „Aber ein Monat vor der Liga ist wohl kein guter Zeitpunkt, um…“ „Faith, halt dich aus meinen Angelegenheiten raus!“ Joel biss sich im nächsten Moment auf die Zunge, seine Tonlage war zu hart gewesen, aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr rückgängig machen. „Wenn was ist, du kennst ja meine Nummer. Wir sehen uns dann nach Weihnachten wieder hier.“ „Ist gut… Bis dann.“ Vor den Kopf gestoßen schaute sie den Light-Zwillingen hinterher. Mira saß noch im Schlafanzug auf ihrem Bett, rieb sich über die Augen und senkte betrübt den Blick. „Die beiden haben es wirklich nicht einfach Zuhause, auch wenn sie das nie offen zeigen.“ „Es wird knapp für Joel, wenn er nach Weihnachten noch den Orden erkämpfen möchte.“ „Er wird das schaffen. Genau wie Trixi auch noch zwei Bänder gewinnen wird. Wir haben alle noch einen Monat Zeit, das ist eine ganze Menge Zeit, Faith. Konzentrieren wir uns jetzt auf die Dinge, die hier vor uns liegen. Etwas Anderes können wir nicht machen.“ „Stimmt auch wieder.“ Kopfschüttelnd stand Faith auf. „Ich hoffe nur, dass Joel sich mit seinem Vater versöhnen kann. Es wäre nicht fair einen so talentierten Trainer wie ihn keinen Trainer sein zu lassen.“ Die Arena war groß und in einem Nebengebäude lebte Lynn gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Großmutter. Lynn hatte ihnen, nachdem sie sie hereingebeten hatte, sogar eine heiße Schokolade mit Sahne und Mandelaroma angeboten, was Mira und Faith dankend annahmen. „Viele Trainer, die um diese Zeit hier sind, sind von der Kälte überrascht. Man vergisst schnell, dass Niburg in den Bergen liegt. Trinkt in Ruhe aus und dann gehen wir rüber und kämpfen, Faith.“ Faith lächelte dankbar, stürzte die Schokolade jedoch hinunter. Sie war viel zu aufgeregt und machte sich selbst viel zu viele Gedanken um Lynn Draco – besonders um den Draco-Teil in ihr. „Alles klar, ich bin bereit. Drei Pokémon, alles wie immer?“ „Alles wie immer“, bestätigte Lynn ihr und stellte sich auf ihrer Hälfte des Kampffeldes auf. „Wenn du gewinnst, werde ich dir den Kristallorden überreichen. Dies ist der achte Orden und er berechtigt dich mit den anderen sieben Orden zur Teilnahme an der Finera-Liga. Also, auf einen fairen Kampf.“ „Auf einen fairen Kampf.“ Mit diesen Worten entließen beide Trainerinnen ihr erstes Pokémon. Faith wählte Unratütox und Lynn ein Firnontor. Einen Moment schauten die beiden sich konzentriert an, dann befahlen sie die ersten Angriffe. Firnontor besaß eine beängstigende Durchschlagskraft, doch es konnte sich auf dem Boden der Arena nicht flink fortbewegen. Im Gegensatz dazu sprang Unratütox wie ein Gummiball umher, wich den Angriffen aus und konterte mit seinen eigenen. Doch als es von einem gut platzierten Eiszahn erwischt wurde, war Schluss mit dem Spaß. „Unratütox, du kannst das schaffen! Steh wieder auf und setz Toxin ein!“ Faith sah zu, wie ihr Pokémon Lynns vergiftete, doch dann wurde es erneut von einem Eiszahn getroffen. Lynn beobachtete sowohl Faith als auch Unratütox genau. „Und jetzt Blizzard!“ „Unratütox!“, rief Faith, konnte aber nur zusehen, wie ihre kleine Mülltüte von der großflächigen Eis-Attacke besiegt wurde. Es stand eins zu null für Lynn und ihr Firnontor schien außer der Toxin-Vergiftung noch keinen nennenswerten Schaden zu haben. Sie hatte Lynn unterschätzt – oder ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt. „Du hast gut gekämpft, mein Kleines. Bibor, du bist jetzt dran!“ Schon zwei Sekunden später bereute Faith ihre Wahl, denn der Flug-Sekundärtyp ihres Starters wurde ihm soeben zum Verhängnis. Firnontor hatte mit Pulverschnee und Eiszahn ein leichtes Spiel, wenngleich es ständig Schaden durch die Vergiftung erhielt. „Bibor, du musst seine Verteidigung durchbrechen und es mit einem kräftigen Gifthieb erwischen!“ Bibor schlug mit den Flügeln und strengte sich an. Gifthieb und Knirscher wurden zeitgleich eingesetzt, beide Pokémon waren am Ende ihrer Kräfte, der nächste Angriff entschied. „Bibor, Notsituation!“ Firnontor ging zu Boden und wurde schnell von einem Glaziola ausgewechselt. Faith wollte weinen. Bibor konnte gegen Glaziola nicht mehr gewinnen, es wurde von der erstbesten Attacke besiegt. Wie sollte sie mit nur noch einem Pokémon das frisch eingewechselte Glaziola und ein unbekanntes drittes Pokémon von Lynn besiegen? Dabei hatte sie sich ihren Sieg bereits in den buntesten Farben ausgemalt. „Voltilamm, jetzt liegt es an dir!“ Ihre Geheimwaffe baute sich vor Glaziola auf und mähte. „Glaziola, Süßes, ich glaube an dich!“, machte Lynn ihrem Pokémon Mut. „Schaufler!“ „Was? Wieso kann es denn Schaufler!“ Entsetzt blickte Faith zu Glaziola. Dagegen konnte sie nichts ausrichten. „Viel Training.“ Lynn lächelte etwas verlegen und schaute ruhig zu, wie ihr Glaziola Voltilamm von unten erwischte. Faiths Schaf war mit einem Volltreffer besiegt worden, sie musste auch ihr drittes Pokémon zurückziehen und schluckte schwer. „Diese Niederlage ist unerwartet.“ Sie blinzelte ihre Enttäuschung fort und versuchte tapfer zu sein. „Du bist eine unglaublich starke Trainerin.“ „Ich danke dir für das Kompliment.“ Lynn tätschelte Glaziolas Kopf, dann zog sie es zurück. „Ich hätte dir so gerne den Kristallorden überreicht, Faith. Wirklich.“ Ein Anflug von Dankbarkeit machte sich in der Jungtrainerin mit den türkisfarbenen Haaren breit. „Lynn, du bist wirklich lieb.“ Lynn wollte gerade etwas antworten, da wurde eine Seitentür geöffnet und ihre Großmutter schaute besorgt zu den beiden Mädchen. „Lynn, du musst mitkommen. Da gibt es etwas, das du dir ansehen musst.“ Der Blick der Großmutter wanderte weiter zu Faith. „Und du auch, Mädchen.“ „Was ist los, Großmutter? Was ist passiert?“ Sofort machte sich eine Sorgenfalte auf Lynns sonst so glatter Stirn breit. Die alte Frau schaute sie ernst an. „Damian ist hier. Ich habe ihn auf der Straße gesehen, die Pokémon wurden bei seinem Anblick unruhig. Es passiert etwas, Lynn, das kann ich spüren. Die Pokémon spüren es auch.“ Lynn nickte Faith zu. „Wir sind schon auf dem Weg. Komm mit, Faith.“ „Passt auf euch auf!“ Die alte Frau schaute ihnen hinterher. Faith hielt mit Lynn mit. „Damian ist hier? Aber wieso?“ „Ich weiß es nicht, aber wenn Großmutter ein ungutes Gefühl hat, liegt Gefahr in der Luft. Ich traue meinem Cousin nicht.“ Gerade bogen Lynn und Faith auf eine einsame Straße ein, als ihnen Damian direkt gegenüberstand. Er grinste überheblich und schien auf sie gewartet zu haben. „Ich wusste doch, dass die alte Schachtel mich gesehen hat. Lynn, nett dich wiederzusehen, Cousinchen.“ „Damian, du hast hier nichts verloren. Was auch immer du vorhast, lass es sein.“ „Aber, aber, Lynn. Du bist so stürmisch, das passt ja gar nicht zu dir.“ Faith schaute den skrupellosen Jäger von Latias und Latios mit verengten Augen an. Er wollte Latias fangen, das würde sie niemals zulassen. Latias hatte ihr als Kind geholfen, sie war ihm etwas schuldig. „Damian Draco, du kommst mit diesem Spielchen nicht durch. Latias und Latios gehören in Freiheit.“ Das hatte sie erst kürzlich bei Zapdos und Team Dark gesehen. Doch der talentierte Trainer lachte. „Denkst du wirklich, ich werde mein Ziel aufgeben, wo ich jetzt das hier in meinem Besitz habe?“ Geschockt sog Faith die kalte Luft in ihre Lungen. „Das ist mein Seelentau! Woher hast du ihn!“ „Aus deinem Rucksack in deinem Zimmer im Pokémoncenter. Ich habe dich zufällig damit gesehen, diese Gelegenheit kann ich mir doch nicht entgehen lassen, nicht wahr?“ „Gib mir sofort den Seelentau zurück, das war ein Geschenk von Latias!“ Wieso war ihr nicht aufgefallen, dass Damian Draco dort gewesen sein musst? Warum! „Hol ihn dir, wenn du kannst.“ Mit eiskalter Stimme entließ Damian ein Guardevoir. Faith knurrte wie ein Tier und ihre Hand glitt bereits zu ihren Pokébällen, als Lynn sie mit Tränen in den Augen aufhielt. „Nicht, Faith! Deine Pokémon sind von unserem Kampf zu sehr geschwächt. Du kannst ihn in diesem Zustand nicht besiegen. Ich auch nicht.“ „Weil ihr Versager seid.“ Damian lachte laut auf. „Man sieht sich, Ladies.“ Im nächsten Moment verschwanden Guardevoir und er mit Teleport. Zurück blieb nur das lila Leuchten das Seelentaus, das sich noch für einige Sekunden in Faiths Netzhaut brannte. Dann rannte sie los. „Faith, wohin willst du?“ Sie riss sich von Lynn, die sie festhalten wollte, los. „Ich werde diesem Bastard den Seelentau abnehmen, was denn sonst!“ „Guardevoir hat ihn mit großer Wahrscheinlichkeit zum Drachenfelsen draußen vor der Stadt gebracht. Dort kommst du ohne Berechtigung nicht hin.“ „Und wie bekomme ich eine Berechtigung?“ „Durch den Kristallorden.“ Lynn schaute sie mit festem Blick an, dann griff sie in ihre Tasche und drückte Faith den achten Orden in die Hand. „Nimm ihn, Faith.“ Etwas verwirrt schloss Faith die Faust um den Orden und entspannte sie wieder. „Aber ich habe nicht gegen dich gewonnen.“ „Du hast ihn dir verdient. Ich werde mitkommen. Wir müssen Damian jetzt aufhalten, sonst ist es zu spät.“ Lynn zauberte eine Flasche Top-Genesung aus ihrer Jacke. „Benutzen wir dies und brechen sofort zum Drachenfelsen auf.“ Faith betrachtete den Orden in ihrer Hand, steckte ihn in ihre Jackentasche und stimmte zu. Hierbei ging es nicht länger nur um sie, ihr geliebtes Latias war in Gefahr! Mit schnellen Schritten rannten Lynn und sie ihrem Schicksal und einem schwierigen Kampf entgegen. Kapitel 101: Kampf gegen Damian Draco ------------------------------------- Lynn und Faith rannten, bis sie von der kalten Luft und dem knöcheltiefen Schnee vor der Stadt erschöpft waren. Vor ihnen ragte ein großer Felsen in der Landschaft auf, doch bis dahin waren es noch mindestens zwei bis drei Kilometer, zumal ein gut drei Meter hoher Zaun das Naturschutzgebiet um den Drachenfelsen gegen Eindringlinge von außen abschirmte. „Du musst den Kristallorden als Schlüssel benutzen“, erklärte Lynn ihr keuchend. „An der Eingangstür im Zaun gibt es ein Loch, in das der Orden passt. Damit lässt sich die Tür öffnen.“ „Wenn man nicht gerade Teleport benutzt“, knurrte Faith und entdeckte kurz darauf die besagte Tür, auf die sie gemeinsam mit Lynn zulief. Ihre Pokémon hatten sie mit der Top-Genesung wieder heilen können, doch jetzt war die Flasche leer, daher hoffte Faith, dass es Latias und Latios – falls sie bereits in Damians Hand sein sollten – gut ging. Nachdem Faith den Kristallorden in die vorgesehene Öffnung gedrückt hatte und die Tür mit einem leisen Klicken aufschwang, nahm sie den Kristallorden wieder an sich und lief mit Lynn weiter den verschneiten Weg entlang. „Wie sollen wir Damian hier finden? Und wieso ist er überhaupt hier?“ „Es gibt hier viele Drachenpokémon. Ich habe mein Draschel damals als Kindwurm hier gefangen und Damian kam schon als Kind oft zum Drachenfelsen. Er denkt, dass nur Drachenpokémon wirklich stark werden können, was natürlich nicht stimmt. Vermutlich fühlt er sich hier einfach inspiriert.“ Mit einem Kopfschütteln entließ Lynn ihre drei Pokémon. Draschel schien von dem vielen Schnee nicht begeistert zu sein, folgte Lynn aber treu. Firnontor und Glaziola machte die Kälte nichts aus, sie schienen sich pudelwohl zu fühlen. Eine Weile stapften sie durch den Schnee und die Lichter der Stadt verschwanden hinter ihnen im Dunst der Berge und des winterlichen Wetters. Der Drachenfelsen ragte immer größer vor ihnen auf, doch als sie die Silhouette von Latias durch die Wolken brechen sahen, rannten sie wieder. Faith schmerzten bereits der Hals und die Lungen von der kalten Luft, doch sie zwang sich zum Weiterlaufen. „Latias muss von dem Seelentau angelockt worden sein.“ „Es hat dich und Damian verwechselt, weil es durch die Wolken nichts sehen konnte“, bestätigte auch Lynn und nickte ihren Pokémon zu. „Wir müssen Damian so schnell es geht ausschalten.“ Nach wenigen Minuten waren sie am Drachenfelsen angekommen, liefen eine schmale, steinerne Treppe hinauf und kamen gerade rechtzeitig an, um das verwirrte Latias zu sehen. Damian blickte nur mit einem zornigen Blick zu ihnen, dann entließ er neben Guardevoir ein Brutalanda und ein Despotar. „Brutalanda und Despotar, erledigt Latias! Guardevoir, kümmer dich um meine nervige Cousine und deren unwürdige Freundin.“ Faith stieß einen deftigen Fluch aus und zückte sofort den Pokéball von Folipurba, das mit seinem Spukball eine effektive Attacke gegen Guardevoir hatte. „Latias, du musst von hier fliehen!“ „La?“ Das freundliche Legendäre wusste nicht, wie ihm geschah, als es von Brutalanda und Despotar auf den Boden gerissen wurde und sich dort einem Kampf stellen musste. „Wie kannst du Latias nur so etwas antun!“, rief Lynn und sprach Faith damit aus der Seele. „Damian, das kann so nicht weitergehen!“ Lynn befahl Glaziola und Firnontor Latias zu unterstützen, während Draschel gemeinsam mit Folipurba gegen Guardevoir kämpfen sollte. Wenige Augenblicke später prallten die Attacken der Kämpfenden aufeinander und der aufgewirbelte Schnee nahm einem den Großteil der Sicht. Der Kampf dauerte bereits einige Minuten und leider hatte Damian Draco die Oberhand. Sein Brutalanda hatte Latias zu Boden ringen können und hielt es dort fest, sein Despotar und Guardevoir fegten Lynns Pokémon vom Drachenfelsen als wären sie kleine Stoffpuppen. Auch der Großteil von Faiths Pokémon lag bereits besiegt am Boden und es war deutlich, dass sie so niemals gewinnen konnten. Faith zog gerade ihre besiegten Pokémon zurück, sodass nur noch Folipurba und Unratütox auf den Beinen standen, beide jedoch mehr schlecht als recht. „Lynn, was sollen wir tun? Wir müssen doch irgendetwas tun!“ „Ich weiß…“ Die Arenaleiterin schüttelte ihre langen, schwarzen Haare. „Oh Gott, ich weiß nicht, was wir noch tun sollen!“ Verzweifelt zog sie an ihren eigenen Haaren, dann lief sie auf Damian zu und gab ihm eine Ohrfeige. „Du verdammtes Arschloch, hör auf mit diesem Wahnsinn! Pokémon sind unsere Freunde, keine Sklaven!“ Flügelschlagen ertönte, dann schoss ein gewaltiger Hyperstrahl durch die Mischung aus Schneedunst und Nebel. Der Hyperstrahl riss Despotar und Guardevoir zu Boden und ließ sie dort besiegt liegen. Im nächsten Moment landete Lynns und Damians Großmutter auf dem Rücken eines Dragoran, gefolgt von einigen der wilden Drachenpokémon, die hier lebten. „Damian, du wirst diesen Kampf nicht gewinnen“, sprach die alte Dame ruhig und rund um den Felsen stimmten unzählige Drachenpokémon mit einem tiefen Knurren ein. Sie alle waren zu Latias‘ Rettung gekommen. Faith lief zu ihren beiden Pokémon, drückte sie kurz dankbar an sich und zog sie dann zurück. Sie wusste, dass sie nun Lynns Großmutter das Feld überlassen sollte, die alte Frau schien es wirklich mit ihrem größenwahnsinnigen Enkel aufnehmen zu können. Auch Lynn ließ von Damian ab und stellte sich mit einem etwas zuversichtlicheren Blick an Faiths Seite. Damian reckte das Kinn vor, holte sein beiden besiegten Teammitglieder in ihre Pokébälle zurück und zückte stattdessen einen noch leeren Hyperball, den er auf Latias richtete. „Untersteh dich, Damian“, warnte ihn seine Großmutter sofort und das Knurren, das in der Luft lag, wurde lauter und bedrohlicher. „Ich bin nicht die Trainerin dieser wilden Drachen, sie sind aus freien Stücken hier. Wenn du Latias weiter Schaden zufügst, werden sie sich an dir rächen.“ „Sie haben schon auf mich gehört, als ich noch ein Kind war“, gab Damian großspurig zurück, doch er zögerte. „Die Drachen werden auf meiner Seite stehen, es war immer so.“ „Du magst viel von der Begabung unserer Familie abbekommen haben, aber die Drachen wissen noch immer, was Recht und was Unrecht ist. Überleg dir jetzt sehr gut, was du tust, Damian.“ „Wie willst du mich aufhalten, altes Weib? Ich bin stärker als du.“ „Das mag sein, aber wird Brutalanda sich gegen Dragoran und die anderen Drachen halten können? Es ist vorbei, Damian. Ich als deine Großmutter werde nun tun, was ich schon längst hätte tun sollen.“ Sie rutschte vom Rücken ihres treuen Dragoran, klopfte dem Drachen liebevoll auf die Flanke und nahm ihren Enkel nun mit einem strengen Blick ins Visier. „Du wirst dich für deine Taten verantworten müssen. Und nun sei einmal in deinem Leben vernünftig und gib dem Mädchen den Seelentau zurück.“ „Aber sie ist unwürdig, Großmutter!“, fauchte Damian und presste den Seelentau, den er in der anderen Hand hielt, fester an sich. „Sie ist nur eine unwürdige Pokémontrainerin, sie hat Latias‘ Gunst nicht verdient!“ „Das hast du nicht zu entscheiden, Damian. Latias hat gewählt, das müssen wir alle respektieren.“ Ruhig ging sie bis zu ihm, streckte die Hand aus und wartete. Als Damian nicht reagierte, presste sie die Lippen hart aufeinander. „Du hattest die Chance dich anders zu entscheiden.“ Sie alle sahen respektvoll zu, wie sich einzelne Drachen aus der Gruppe lösten und Damians Brutalanda attackierten, bis Latias sich befreien könnte und zu Lynn und Faith strauchelte. Das Legendäre verharrte kurz vor den beiden Trainerinnen, dann stupste es Faith an der Schulter an. „Latias! La. Danke.“ Faiths Herz blieb einen Moment lang stehen, dann tätschelte sie Latias die Schnauze und schaute lächelnd zu, wie es sich in den Himmel und die Freiheit erhob. Sie hatten gewonnen. Damian fluchte, als er von seiner Großmutter unsanft am Arm gepackt wurde. Überrascht von dem kräftigen Griff steckte er den Hyperball weg und holte Brutalanda zurück in den Pokéball. „Ihr werdet mir diesen Plan nicht zerstören! Eines Tages werde ich Latias und Latios besitzen!“ Für einen kurzen Moment stahl sich Trauer auf das Gesicht der alten Frau, dann nahm sie Damian den Seelentau ab und stieß ihn zu Dragoran, das ihn mit einem bösen Funkeln festhielt. „Der Seelentau gehört alleine dir, Mädchen. Pass gut darauf auf, einen Freund wie Latias wirst du kein zweites Mal finden.“ „Vielen Dank.“ Faith war überglücklich, als sie das vertraute Gewicht des Seelentaus in ihrer Hosentasche spürte. „Oh ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Ohne Sie hätten wir gegen Damian verloren.“ „Ich bin dir auch mehr als dankbar, Oma.“ Lynn umarmte ihre Großmutter und schaute zufrieden zu, wie Dragoran mit seiner alten Trainerin und Damian Richtung Niburg davonflog. Auch die wilden Drachen verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. „Damian wird sich verantworten müssen. Man wird ihm die Trainerlizenz abnehmen und ich hoffe, dass man dafür sorgt, dass seine Pokémon in Freiheit entlassen werden. Jemand wie Damian sollte keine Pokémon trainieren dürfen.“ „Da stimme ich dir zu“, meinte Faith und noch immer rauschte das Adrenalin vom Kampf durch ihre Adern. „Ich bin froh, dass sich alles noch zum Guten gewendet hat. Ich bin sicher, dass Matt diese guten Nachrichten freudig aufnehmen wird.“ „Wer ist Matt?“ Faith lachte leise. „Oh, niemand Besonderes. Ein Freund, der schon lange einen tiefen Groll gegen Damian hegt.“ „Es betrübt mich, dass der Familienname Draco mit Damians Schandtaten in Verbindung gebracht wird.“ Betrübt senkte Lynn den Kopf. „Sei nicht traurig, man wird auch immer an die großartigen Leistungen in eurer Arena denken.“ Freundschaftlich knuffte Faith der jungen Arenaleiterin in die Seite. „Fast hätte ich es vergessen, hier, der Kristallorden. Ich habe nicht gegen dich gewonnen, er steht mir nicht zu.“ Lynn schüttelte vehement mit dem Kopf und drückte ihn Faith wieder in die Hand. „Nein, du hast heute großartig gekämpft. Du hast ihn dir wirklich verdient, Faith. Da kann ich ruhig mal ein Auge zudrücken.“ Die beiden Mädchen schauten sich im Gehen schweigend an, dann brachen sie in ein lautes Lachen voller Erleichterung aus, gerade als sie die Stadtgrenze passierten. Zwar hatte Faith gemerkt, dass sie noch einen weiten Weg zum Ligachampion vor sich hatte, doch Latias‘ Rettung hatte ihr neue Kraft gegeben. Sie war keine schlechte Trainerin und es kam nicht immer auf Sieg oder Niederlage an, sondern um die Erfahrung, die man gewinnen konnte. Kapitel 102: Trennung auf Zeit ------------------------------ Mira und Faith saßen auf ihren Betten im Pokémoncenter, schlürften eine Nudelsuppe aus dem Automaten und schwiegen sich die meiste Zeit über an. Es war so viel geschehen in der letzten Zeit und nun besaß Faith alle acht Orden aus Finera, sodass sie sich keine Sorgen mehr um den Beginn der Finera-Liga machen musste. Sie würde sich Ende des Monats nur noch anmelden müssen, denn ihre prall gefüllte Ordenbox war ihre Eintrittskarte in das Turnier. Allerdings vermissten die beiden Mädchen die entspannte, fröhliche Atmosphäre, die sonst immer geherrscht hatte. Itsuki und Evan waren noch in Bad Puvicia, Trixi und Joel hingen zu Hause in ihrer Villa in Honey Island fest, weil ihr Vater Joel das Reisen als Pokémontrainer verbieten wollte. Mira hatte genau wie Faith schon ihre Qualifikation für ihr Ziel – das Große Festival – erreicht. Im Grunde genommen mussten die beiden Mädchen nur noch Zeit absitzen und hatten hier in Niburg nichts mehr zu tun. Als Mira ihren leeren Plastikteller auf den Nachttisch stellte, seufzte sie und ihr Blick glitt nach draußen, wo dicke Schneeflocken lautlos auf den Boden fielen. „Ich vermisse die anderen und ich vermisse meine Familie. Es ist der erste Dezember und ich muss die ganze Zeit an den Adventskalender denken, den ich sonst immer hatte.“ Schweigend schaute Faith sie an, dann stand sie auf, stellte ebenfalls ihren Teller weg und räusperte sich. „Es ist gut, dass Damian Draco endlich hinter Gittern ist.“ Gestern hatte Officer Rocky ihn nach einem langen Verhör in Untersuchungshaft gesteckt und ihm seine drei Pokémon abgenommen. „Aber wenn wir ehrlich sind, haben wir hier nichts mehr zu tun.“ „Ich möchte nach Hause“, meine Mira schließlich und biss sich auf die Unterlippe. „Faith, ich meine nicht, dass ich unbedingt von dir weg möchte, es ist nur…“ „Schon gut.“ Lächelnd nahm sie neben ihrer Freundin Platz. „Es geht mir doch auch nicht anders. Meine Eltern wollen mich wiedersehen und in nicht einmal ganz vier Wochen würden wir uns hier mit allen anderen treffen.“ „Dann ist es beschlossene Sache.“ Ein glücklicher Ausdruck huschte über Miras Gesicht, als sie die beiden leeren Plastikteller in den Mülleimer warf. „Lass uns nicht noch länger hier herumsitzen.“ Nickend packte Faith ihren Rucksack, was erstaunlich schnell ging, da sie ihn nicht einmal richtig ausgepackt hatte. Gerade einmal eine halbe Stunde später hatten die beiden Mädchen aus dem Pokémoncenter ausgecheckt und sich am Busbahnhof Busfahrkarten gekauft. Um sich einen unnötigen Reiseweg zu ersparen und heute Abend noch bei ihren Familien zu sein, nahmen beide eine Fahrkarte für den Expressbus, mussten sich jedoch an Ort und Stelle voneinander verabschieden, da sie in verschiedene Richtungen fuhren. Faith umarmte Mira und schaute zu ihrem Bus, der bereits auf sie wartete. Mira hatte weniger Glück und musste noch eine Stunde auf ihren Bus warten. „Ich schicke dir zu Weihnachten eine Karte aus Litusiaville, versprochen.“ „Grüß deine Eltern von mir und trainier fleißig für die Liga“, mahnte Mira sie, machte sich im Grunde genommen aber keine Sorgen um Faiths Trainingsbereitschaft. „Wir sehen uns in vier Wochen wieder.“ „Genau, es sind nur vier Wochen. Bis dann, Mira.“ „Bis dann.“ Nachdem Faith eingestiegen war, suchte sie sich einen Platz, von dem aus sie Mira zuwinkten konnte. Als Mira außer Sichtweite war, ließ Faith die Hand sinken, kuschelte sich in ihren Sitz und verspürte ungebremste Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihren Eltern, auch wenn sie sie vor noch nicht allzu langer Zeit noch um sich gehabt hatte. „Oh mein Gott, Faith!“ Ihre Mutter schlang ihr die Arme um die Schultern und zog sie so ins Haus. „Das ist aber eine Überraschung, Schatz. Was machst du denn schon hier?“ Grinsend befreite die Tochter sich aus den Fängen ihrer Mutter und gab ihr einen kurzen Überblick über die Ereignisse der letzten Tage. Ihre Mutter hörte ihr aufmerksam zu, nickte hier und dort oder machte ein überraschtes Gesicht. Als Faith geendet hatte, umarmte ihre Mutter sie erneut und machte gemeinsam mit ihrer Tochter das Abendessen fertig. Sie plauderten über dies und das, Gott und die Welt, bis Faiths Vater von der Arbeit im Restaurant nach Hause kam und sich von Faith ebenfalls die Geschehnisse der letzten Tage erzählen ließ. Als Faith nach dem Abendessen in ihr Zimmer ging, bemerkte sie den selbstgemachten Adventskalender, den ihre Mutter dort in der Zwischenzeit aufgehängt haben musste. Faith gähnte zufrieden, öffnete das erste der kleinen, roten Säckchen und entnahm eine Pokémonfigur aus Schokolade. Unglaublich, wie sehr sie ihr Zuhause vermisst hatte, gerade jetzt zur Weihnachtszeit. Den anderen würde es bestimmt genau so gehen. Die Tage vergingen schnell, Faith verbrachte viel Zeit mit ihren Eltern, kellnerte ein wenig im Restaurant und half mit, wann immer ihre Hilfe benötigt wurde. Auch trainierte sie jeden Tag mit ihren sechs Pokémon und erkundigte sich regelmäßig bei Professor Eich nach Glumandas Befinden. Zwei Tage vor Heiligabend schlossen ihre Eltern das Restaurant bis Silvester, an Silvester selbst würden sie mit den vielen Gästen alle Hände voll zu tun haben. Faith saß an ihrem Schreibtisch und hatte bereits einige Weihnachtskarten an ihre Freunde fertig geschrieben. Im Moment dachte sie sich ein paar individuelle Zeilen für Mira aus, beklebte die Karte nach ihrer Unterschrift mit einem glitzernden Psiana-Sticker und steckte die Karte in einen nach Zimt duftenden Briefumschlag. Jetzt fehlte nur noch die Karte an Joel, mit der sie sich besonders schwer getan hatte. Schon vier Mal hatte sie angefangen, die Sätze verworfen, die Karte weggeschmissen und eine neue angefangen. Da sie jetzt nur noch eine Karte in Reserve hatte, strengte sie sich an und begann wieder einmal von neuem. Lieber Joel, zu Weihnachten wünsche ich dir alles Gute, Gesundheit und natürlich einigen riesigen Berg voller Geschenke. Ich bin mir sicher, dass du die Weihnachtszeit genießt und dich von Gwen mit Unmengen von leckeren Keksen und anderen Köstlichkeiten verwöhnen lässt. Ich freue mich auf unser Wiedersehen nächste Woche, ohne dich ist es irgendwie langweilig. In Liebe, Faith Kritisch beäugte sie die Karte, besonders ihre Endung „In Liebe“ kam ihr auf den zweiten Blick überzogen vor. Doch da sie nun keine andere Karte mehr hatte, zuckte sie einfach mit den Schultern und steckte auch diese Karte in einen Zimtumschlag. Nun fehlten nur noch überall die Briefmarken, die sie gleich an der Post aus dem Automaten ziehen würde. Mit schnellen Schritten eilte Faith zur Post, zog sich die Briefmarken und klebte sie auf die Briefumschläge. Einen Moment schaute sie die Briefe noch an, dann warf sie sie in den Briefkasten und fühlte sich rundum zufrieden. Auf dem Nachhauseweg sah sie eine Sternschnuppe am Himmel, schloss mit klopfendem Herzen die Augen und wünschte sich das, was ihr spontan in den Sinn kam. Liebe Sternschnuppe, mach, dass es Joel gut geht. Kapitel 103: Wechselbad der Gefühle ----------------------------------- Vollkommen glücklich und zufrieden lag Faith im Wohnzimmer auf dem Boden und blätterte in ihrem neuen Buch über die Aufzucht von Pokémon. Ihre Eltern waren der Ansicht, dass Faith nach ihrer Teilnahme an der Finera-Liga sicherlich noch durch eine andere Region reisen wollte und irgendwann auch mit Pokémoneiern konfrontiert werden würde. Um die richtige Behandlung der Eier und die Aufzucht innerhalb des ersten halben Jahres drehte sich das Buch. Vor ihr lag ein kleiner Stapel mit den ausgepackten Geschenken und dem dazugehörigen Geschenkpapier, ihre Eltern hatten den Kamin angemacht und schauten Fernsehen. Als Faith das Buch zuklappte, schauten die beiden auf, widmeten sich jedoch bald wieder dem Spielfilm. „Ich räume meine Geschenke nach oben und lese dann noch ein wenig in meinem Zimmer.“ Faith umarmte ihre Eltern über das Sofa hinweg, stibitzte sich noch ein paar Kekse und ging dann mit ihrem ganzen Zeug nach oben in ihr Zimmer. Neben dem Buch über Pokémonaufzucht hatte sie noch zwei Romane bekommen, ein paar Oberteile, eine neue Jeans und Geld, das sie auf ihrer Reise sicherlich gut gebrauchen konnte. Die ganzen Sachen verstaute sie, dann streckte sie sich und setzte sich mit dem Buch an den Schreibtisch. Doch richtig konzentrieren konnte sie sich nicht mehr. Jedes Mal, wenn sie aus ihrem Zimmerfenster nach draußen schaute, sah sie den ganzen Schnee und musste an Niburg und das bevorstehende Treffen mit den anderen denken. In drei Tagen waren sie wieder alle beisammen. Der Lebkuchengeruch klebte an Faith wie ein Parfüm, als sie ihren Rucksack packte, in ihre Winterstiefel stieg und sich Schal und Wollmütze aufsetzte. Das ganze Haus war noch voller Weihnachtsdekoration und Lichterketten, es roch nach frischen Keksen, Gänsebraten und selbstgemachten Pralinen. Faiths Eltern hatten für ihre Tochter ein riesiges Lunchpaket voller Leckereien zusammengestellt, das ganz oben im Rucksack lag. „Wir werden dir bei der Finera-Liga zujubeln, Schatz.“ Ihre Mutter zog sie in eine lange Umarmung, bis die Küchenuhr klingelte und sie sich um den Kuchen im Backofen kümmern musste. „Melde dich, sobald du weißt, dass du es durch die Qualifikationsrunden geschafft hast, ja?“ „Ja“, bestätigte Faith etwas genervt, drückte auch ihren Vater kurz und zog dann den Wintermantel an. Noch einmal prüfte sie in Gedanken den Inhalt ihres Rucksacks, dann nickte sie zufrieden, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, wo in wenigen Minuten der Expressbus nach Niburg abfahren würde. Die letzte halbe Stunde der Fahrt rutschte Faith unruhig auf ihrem Sitzplatz herum, nestelte nervös am Reißverschluss ihrer Jacke und sprang voller Vorfreude auf, als sie die Stadt näherkommen sah. Kaum hatten sich die Bustüren geöffnet, stand Faith auch schon auf der Straße und wünschte sich im nächsten Moment in die Wärme des Busses zurück. Hier in den Bergen fegte ein eiskalter Wind durch die Stadt, schob Schneewehen vor sich her und ließ alles hinter einer dicken, weißen Wand zurück. Dennoch trabte Faith unbeirrt in Richtung des Pokémoncenters. Ihre Miene erhellte sich, sobald das Neonschild in Sicht kam. Als die Glastüren zur Seite aufgingen, sprang Mira von einem Loungesessel auf und fiel Faith um den Hals, sodass diese beinahe nach hinten umgekippt wäre. „Faith, da bist du ja!“ Die Umarmte lachte, tätschelte Mira den Rücken und ließ sich in einem der bequemen Sessel nieder. „Oh je, es ist so eisig kalt dort draußen. Ich bin froh, dass ich endlich angekommen bin. Ihr seht alle gesund und munter aus.“ Sie schaute der Reihe nach Mira, Evan und Itsuki ins Gesicht, dann legte sie die Stirn in Falten. Evan stand etwas abseits und hatte sich nur kurz zu Faith umgedreht, er schien per Bildtelefon mit jemandem zu telefonieren. Evan bemerkte ihren fragenden Blick und formte das Wort „Joel“ mit den Lippen, woraufhin Faith zu ihm kam, er sich von Joel verabschiedete und ihr den Platz überließ. „Faith?“ Im ersten Moment war Joel etwas überrascht, dann lächelte er sie glücklich an. „Du bist also auch schon in Niburg. Trixi und ich können den Expressbus erst später nehmen, wir sind dann heute Abend da.“ „Das freut mich.“ Faith spürte eine wohlige Wärme in ihrem Brustkorb aufkommen und auf einmal erschien ihr das Gespräch mit Joel so schwer wie eine Schulklausur. „Sind meine Karten an Trixi und dich rechtzeitig zu Heiligabend angekommen?“ „Alles bestens“, erwiderte Joel. „Ich habe dir auch eine geschrieben.“ „Ist angekommen, vielen Dank dafür.“ Ein peinliches Schweigen breitete sich aus und beide starrten auf den unteren Bildschirmrand vor sich. „Ihr kommt also heute Abend an, hm?“ „Genau. Wir sind zu einem späten Abendessen bei euch, dann können wir plaudern. Hast du dich auch gut erholt und auf die Liga vorbereitet?“ „Sicher.“ Faith war dankbar für den Themenwechsel. „Ich habe fast jeden Tag trainiert, Strategien geübt und bin ganz zuversichtlich, auch wenn mein Team typentechnisch nicht ganz ausgeglichen ist.“ Joel nickte am anderen Ende des Bildschirms nachdenklich. „Ich konnte vor einigen Tagen mein letztes Teammitglied fangen. Es ist ein Nidorino, das ich zu Nidoking entwickelt habe. Den Mondstein hatte ich hier Zuhause noch rumfliegen. Vor Weihnachten bin ich nochmal extra für den Arenakampf nach Niburg gereist und habe den Orden auf Anhieb gewonnen. Ich freue mich schon auf die Anmeldung zur Liga.“ „Nidoking ist cool“, bemerkte Faith nebenbei. „Ja, ich mich auch. Aber ich bin ja gerade erst angekommen und mir hängt trotz meines riesigen Lunchpakets der Magen in den Kniekehlen. Ich hatte nur Süßkram und Kekse mit, irgendwann wollte ich nichts Süßes mehr essen.“ „Dann halte ich dich nicht länger auf, wir reden heute Abend weiter. Es ist schön dich bald wiederzusehen, Faith.“ Sie zögerte einen Moment und hatte den Finger bereits auf der Taste zum Auflegen liegen, dann schenkte sie ihm ein süßes Lächeln. „Bis heute Abend.“ Schnell war der Knopf gedrückt und das Gespräch beendet. Heute Abend würde sie ihren liebsten Rivalen also wieder um sich haben. Er musste ihr unbedingt erzählen, wie er seinen Vater überreden konnte. „Ich bin hundemüde.“ Demonstrativ gähnte Evan, zwinkerte Faith zu und wünschte dem letzten Rest im Aufenthaltsraum vom Pokémoncenter noch eine gute Nacht. Faith schaute Evan hinterher, legte den Kopf ein wenig schief und blickte erst wieder zu Joel, als die Tür ins Schloss gefallen war. „Da waren es nur noch zwei“, witzelte Joel, musste aber auch schon etwas gähnen. Sie hatten nach dem gemeinsamen Abendessen die ganze Zeit im Aufenthaltsraum gesessen, geredet und Witze gemacht. Sie alle genossen das Beisammensein. „Ich bin ehrlich gesagt auch schon ziemlich müde“, gestand Faith. Gerade, als sie aufstand, huschte ein Schatten über Joels Gesicht. Sie zog etwas irritiert die Augenbrauen zusammen, als auch er aufstand und etwas unsicher eine flache Geschenkbox aus seiner Jackentasche zog. „Ich wollte es dir nicht vor den anderen schenken, sie würden das sonst nur falsch interpretieren. Oder richtig. Oder was weiß ich. Also, was ich sagen wollte… Hier, das ist für dich. Es ist mein Weihnachtsgeschenk für dich, auch wenn es jetzt etwas verspätet kommt. Ich wollte es dir persönlich übergeben.“ Mit großen Augen starrte Faith auf die Geschenkbox und nahm sie zögerlich an. Die Box war länglich, flach und mit rosa Papier eingepackt. In der Mitte klebte eine weiße Schleife. „Vielen Dank. Das ist so überraschend, ich habe gar nichts für dich…“ „Ach, das macht doch nichts.“ Er lächelte sie an und im Hintergrund prasselten die letzten Reste des Kaminfeuers. „Mach es auf.“ Gerade wollte sie die Verpackung an der Seite öffnen, als ihr Blick auf eine kreditkartengroße Karte fiel, die beim Herausziehen des Geschenks ebenfalls aus Joels Jackentasche befördert worden und auf seinen Sessel gefallen war. Sein Porträtfoto befand sich auf der linken Seite, daneben sein Name und darunter die Abbildung seiner sechs Teampokémon. Es war die Teilnehmerkarte für die Finera-Liga. Joel folgte ihrem Blick und bemerkte dabei nicht, dass sie zur Salzsäule erstarrt war. „Oh, die muss mir aus der Tasche gefallen sein. Ich habe sie mir heute Morgen im Pokémoncenter von Honey Island besorgt. Zum Glück kann man sich ja in jedem Pokémoncenter registrieren lassen.“ Sein selbstsicheres Lächeln verschwand, als er ihren undefinierbaren Blick sah. Wenn er sich nicht besser wüsste, würde er doch glatt sagen, dass sie geschockt aussah. Geschockt, gekränkt, verletzt und… wütend? „Faith?“ „Ich dachte, wir registrieren uns zusammen“, fuhr sie ihn spitz an. Ihre Finger krallten sich leicht in die Geschenkverpackung, sodass sie Knicke bekam. Es dämmerte ihm, doch statt Besänftigungsgedanken spukte nun ehrliche Besorgnis in seinem Kopf umher. „Du hast dich doch registriert? Faith, zeig mir deine Teilnehmerkarte.“ Sie trat einen Schritt von ihm zurück. Ihr Herz begann zu rasen und ihr Hals fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Ihr Körper ahnte, was in seinem Kopf vor sich ging, doch ihr Verstand wollte es einfach nicht wahr haben. „Ich dachte, wir melden uns morgen zusammen an.“ „Der Anmeldeschluss war heute!“ Entsetzt riss Joel den Mund auf, schloss ihn aber im nächsten Moment wieder. „Wie kannst du das verpasst haben?“ Tränen stiegen ihr in die Augen. Panik mischt sich zusammen mit Angst und Wut in ihrem Herzen zu einer gefährlichen Mischung. Mit viel zu schriller Stimme antwortete sie ihm. „Wieso hast du mich heute Mittag am Telefon nicht daran erinnert? Du hast es doch gewusst!“ „Ich dachte, du würdest es auch wissen! Jeder Trainer weiß das doch.“ „Ich bin nun einmal davon ausgegangen, dass du und ich das zusammen machen, Joel! Ich dachte, dass es in dieser Hinsicht ein Wir gibt!“ Nun liefen ihr die Tränen die Wangen runter, sie schrie leise auf und schlug ihn mit dem Geschenk gegen die Brust. „Du hast das mit Absicht gemacht, nicht wahr? Du wusstest es und hast es mir gegenüber nicht einmal erwähnt! Freunde machen so etwas aber!“ „Ich kann doch nichts dafür, dass du dich nicht richtig informiert hast!“ „Weil ich mich auf dich verlassen habe!“ Nun schrie sie ihn direkt an und ließ sich nicht mehr von ihm anfassen. „Ich dachte, ich könnte dir vertrauen und anfangen mich auf dich zu verlassen, nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben! Du bist so ein elender Heuchler, Joel! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Es ist vorbei, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, nie wieder!“ Weinend warf sie sein Geschenk unausgepackt in die Flammen des Kaminfeuers und stürmte aus dem Raum hinaus auf den Flur. Die Tränen nahmen ihr die Sicht und sie stolperte den Gang entlang, nahm eine Treppe nach oben, bis sie vor einer verschlossenen Tür stand und nicht mehr weiter konnte. Hier sank sie benommen auf den Boden und gab sich dem Schluchzen in ihrer Brust hin. Sie hatte geglaubt, dass Joel und sie enger zusammengewachsen waren und das zwischen ihnen anfing etwas Besonderes zu sein. Sie hatte geglaubt, dass sie gemeinsam ein Wir waren. Hass schnürte ihr die Brust zu. Hass auf ihn und Hass auf sich selbst. Ihr Traum von der Teilnahme an der Liga war an ihr vorbeigezogen. War nun alles umsonst gewesen? Kapitel 104: Ewigkeit --------------------- Es dauerte ein paar Minuten, doch dann fühlte Faith sich bereits vollkommen schrecklich. Sie schluchzte noch immer und saß mit angezogenen Knien auf der obersten Treppenstufe, aber ihre Tränen begannen bereits zu trocknen, als ihr bewusst wurde, wie dämlich sie sich verhalten hatte. Sie war nicht besser als eine der keifenden Cheerleaderinnen aus den Fernsehserien – sie hatte ihren eigenen Fehler auf Joel übertragen und konnte nicht zu ihrem Versagen stehen. Joel musste sie nach ihrem unentschuldbaren Verhalten hassen, ganz sicher. „Oh Gott“, dämmerte es ihr. Sofort erhob sie sich schwankend, wischte sich die letzten Tränen aus den Augen und ging auf wackelnden Beinen die Stufen runter zurück auf den Flur. „Ich muss mich bei ihm entschuldigen.“ Je näher sie dem Gemeinschaftsraum mit dem Kamin kam, desto schneller wurde sie, doch es war bereits zu spät, als sie mit rasendem Herzen und zugeschnürter Kehle den Raum betrat. Er war fort. Faith musste sich zusammenreißen, um nicht an Ort und Stelle wieder weinend auf den Boden zu sinken. Ihr Blick fiel auf das fast ausgebrannte Kaminfeuer und die verkohlte Geschenkschachtel in der Mitte der weißen Asche. Sie schluckte schwer, spürte einen ungewohnten Schmerz in ihrer Brust und angelte das Geschenk mit spitzen Fingern aus der Glut. Die weiße Schleife war mit Ruß behaftet und an einigen Stellen bereits restlos verbrannt, das rosa Geschenkpapier war weitestgehend nicht mehr vorhanden. Auch die Pappschachtel wies Brandlöcher auf, war schwarz und voller Asche. Wieder kamen erstickte Schluchzer in ihr hoch. Faith ließ sich auf dem Boden nieder, klopfte die Asche von der zerstörten Verpackung und hob die Reste des Deckels ab. Im Inneren der Schachtel befanden sich ebenfalls Ruß und Asche, das weiße Seidenpapier war so gut wie vollständig verbrannt. Doch die Ohrringe und die Kette lagen noch immer an ihrem Platz. Obwohl sie durch die Hitze und das Feuer angelaufen waren, schwarze Stellen aufwiesen und nicht mehr glänzten, erkannte Faith, dass die bronzefarbenen Schmuckstücke mit den kleinen, goldenen Herzen die passenden Gegenstücke zu ihrem Armband waren – das Armband, das Joel ihr in Nautica City einst geschenkt hatte. Sie hob gerührt und beschämt die Hand vor den Mund, nahm mit der anderen den Schmuck aus der Verpackung und betrachtete ihn einen Moment auf ihrer Handfläche. Dann schloss sie vorsichtig die Hand darum, packte den Schmuck in ihre Hosentasche und warf die Reste der Geschenkverpackung wieder zurück ins Feuer. Wie lange sie noch reglos so dasaß, wusste sie nicht, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Am nächsten Morgen war Faith vor allen anderen aufgestanden, hatte Schwester Joy aufgelauert und sie sofort mit ihrem Problem bombadiert. Sie erklärte Schwester Joy, dass sie den Anmeldeschluss für die Finera-Liga verpasst hatte, dass es ihr großer Traum war und sie alles tun würde, wenn sie noch in das Turnier gelassen wurde. Das Glück war der Jungtrainerin an diesem Morgen hold, denn Schwester Joy hatte die Anmeldepapiere noch nicht weggeschickt, ließ sich von Faiths Flehen erweichen und ließ sie das Teilnahmeformular ausfüllen, woraufhin auch Faith die lang ersehnte Teilnehmerkarte an sich nehmen konnte. Obwohl Faith von Erleichterung erfüllt wurde, war diese Freude nur von kurzer Dauer, denn sie konnte Joel vor lauter Scham nicht unter die Augen treten. So kam es, dass sie ihm aus dem Weg ging, Blickkontakt mied und sich auch von Evan, Itsuki, Mira und Trixi nicht zu einer Aussöhnung bewegen ließ, auch wenn die anderen nicht den Grund für den Zwist zwischen Faith und Joel kannten. Als am nächsten Tag der Moment der Weiterreise über den Schneepfad nach Eisbergen anstand, hatte die frisch vereinte Gruppe sich getrennt. Joel und Trixi reisten mit dem Bus, Evan zeterte aufgrund der Kälte die ganze Zeit und schloss sich den beiden deshalb an. Itsuki, Mira und Faith traten alleine den Tagesmarsch über den Schneepfad an. Die drei schulterten ihre Rucksäcke, wobei sie sich wie unbewegliche Pinguine vorkamen, denn dank Winterjacken, Stiefeln, Schal, Mütze und Handschuhen hatten sie weniger Bewegungsfreiheit. Da war es schon ein Akt der Anstrengung einen verrutschten Rucksack wieder gerade zu schieben. Gerade verließen sie das Pokémoncenter, als Mira auch schon das offensichtliche Problem ansprach. „Joel und du habt euch gestritten oder?“ „Wie kommst du denn darauf“, erwiderte Faith trocken und wünschte sich in diesem Moment, dass sie den Tagesmarsch alleine auf sich nehmen könnte. „Geht dich nichts an, Mira.“ „Ja, sicher“, meinte diese daraufhin zögerlich, brach ihren Besänftigungsversuch jedoch ab und schwieg. Sie erkannte, dass niemand auf der Welt Faith in diesem Augenblick umstimmen konnte. Itsuki betrachtete die beiden und schwieg bis zum Stadtrand. Dort blieb er stehen und deutete auf den Wegweiser, der direkt auf einen verschneiten Bergpfad deutete. „Das ist der Schneepfad, er ist die gefährlichste Route in ganz Finera. Gerade jetzt im Winter darf man den Weg auf keinen Fall verlassen. Der Anstieg wird uns schnell zu schaffen machen, dazu kommen Kälte und das Gewicht unserer Kleidung und unserer Rucksäcke. Wenn wir bis Sonnenuntergang nicht in Eisbergen sind, müssen wir ein Zelt aufschlagen. Im Dunkeln auf dem Schneepfad zu wandeln ist schon gefährlich genug, jetzt im Winter bei dem Wetter ist es lebensgefährlich.“ „Dann sollten wir hier nicht sinnlos herumstehen sondern losmarschieren.“ Faith setzte sich als Erste in Bewegung, ging voraus und gab einen strammen Schritt vor. „Je eher wir diese gottverdammte Stadt hinter uns gelassen haben, desto besser. Ich brauche jetzt die raue Wildnis, um den Kopf frei zu kriegen. Vor so einem großen Ereignis wie der Finera-Liga ist das wichtig.“ Mira und Itsuki tauschten einen besorgten Blick aus. Sie glaubten eher, dass Faith sich mit ihrem Stechschritt an die Grenze ihrer körperlichen Leistung bringen wollte, um nicht an Joel denken zu müssen. Denn dass zwischen den beiden irgendetwas war, das war schon länger nicht mehr zu übersehen, auch wenn Faith es wohl nicht sehen wollte. Nach kurzem Zögern folgten Itsuki und Mira Faith alleine schon deshalb, weil Itsuki in dieser Gegend aufgewachsen war und sie über den Schneepfad navigieren musste. Bei diesem Wetter waren normale Routenmarkierungen mit Schneewehen überladen, sodass man ohne Ortskenntnisse niemals auf dem schmalen Pfad bleiben konnte. „Faith, vielleicht sollten wir langsamer laufen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wenn wir gleich zu Anfang zu schnell laufen, müssen wir nachher zu viele Pausen einlegen und schaffen es nicht vor Einbruch der Dunkelheit.“ Bei Itsukis mahnenden Worten schnaubte Faith in ihren Schal und behielt alleine schon aus Protest ihr Tempo bei. „Macht doch, was ihr wollt, ich bleibe in dieser Geschwindigkeit.“ Ihre beiden Begleiter seufzten resigniert, taten ihr aber den Gefallen und ließen sie weiterhin das Tempo bestimmen. Es schien ihr zu helfen sich emotional zu beruhigen. „Eisbergen ist keine große Stadt, weil sie fast am Gipfel des Mount Ni liegt. Das Pokémoncenter dort wird überladen sein, weil das Große Festival und die Liga anstehen. Ich schlage vor, dass wir gar nicht erst in die Stadt gehen, sondern den Schneepfad bis zum Ende durchlaufen und zu mir nach Hause gehen. Der Tempel des Bergwächters steht an der Spitze des Berges, dort ist genug Platz für uns drei.“ „Ein einsamer Tempel mitten in der Wildnis?“, fragte Faith nach und als Itsuki ihr dies noch einmal bestätigte, nickte sie. „Sehr gut.“ Wieder tauschten Mira und Itsuki besorgte Blicke, rissen sich aber zusammen und folgten Faith. Schon bald hörten sie nur noch das regelmäßige Knirschen von Schnee unter ihren Schuhen. Nun gab es nur noch den Schneepfad und sie. Kapitel 105: Der Schneepfad --------------------------- Eisiger Wind fegte durch jede kleine Ritze, die sich zwischen den einzelnen Kleidungsstücken bildete. Sie alle fröstelten fürchterlich und die Sonne sank immer weiter auf die Bergspitzen der Umgebung zu. Faith war erschöpft, ihr Rücken und ihre Beine brannten vor Anstrengung wie Feuer und sie hatte schon vor Stunden ihr Tempo gedrosselt. Der Boden kam auf einmal mit einem Ruck näher an sie heran – sie war auf die Knie gesunken ohne es zu merken. Nur ihr stoßweiser Atem, der sofort in der Luft gefror, zeigte ihre Lebensfähigkeit. Itsuki war sofort an ihrer Seite, half ihr wieder auf die Beine und stützte sie die nächsten paar Meter. „Komm, wir müssen weiter. Es ist nicht mehr weit.“ „Das sagtest du auch schon vor einer Stunde“, keuchte Faith und rieb sich mit dem Handschuh Schneeflocken aus dem Gesicht, obwohl man schon nach einigen Sekunden keinen Unterschied zu vorher mehr sah. „Eisbergen müssten wir doch schon längst erreicht haben.“ „Aber nicht den Tempel des Bergwächters. Komm, lauf weiter.“ Mira schleppte sich zu ihrer anderen Seite durch den Schnee. Sie sprach schon die letzten Stunden nichts mehr, setzte wie in Trance einen Fuß vor den anderen und kniff jammernd die Augen zusammen, wann immer sie eine kurze Pause einlegten. Doch nach wenigen Minuten, in denen sie eine breite Felszunge umrundeten, erwiesen sich Itsukis Worte als wahr. Pünktlich zum Sonnenuntergang kamen die schwachen Umrisse eines Zauns in Sicht, die auf einen verschneiten Tempel direkt am Berg zuliefen. Hinter dem Tempel ragte die Bergspitze in die Höhe, sie waren ganz oben auf dem Mount Ni angekommen. „Oh Gott, endlich. Ich sterbe.“ Faith wurde mit letzter Kraft schneller, Mira ebenfalls. Itsuki führte die beiden die letzten Meter bis zu den ordentlich gefegten Steintreppen des Tempels, die auf eine schmale, überdachte Veranda führten. Er betätigte den massiven Türklopfer aus Eisen, wartete einen Moment und trat zurück, als die Tür nach innen aufschwang. Vor ihnen stand eine alte Frau mit herrischem Gesichtsausdruck und langen, grauen Haaren, die sie zu einem strengen Dutt geformt hatte. „Itsuki.“ Keine Begrüßung, kein gar nichts, lediglich eine wenig begeisterte Feststellung. „Und Besuch?“ Er nickte und stand ganz straff, was man sogar durch die dicke Winterkleidung sehen konnte. „Großmutter, das sind Faith Loraire und Mireillia Dawnington, meine Reisebegleitungen. Wir würden gerne bis zum Ende der Finera-Liga und des Großen Festivals hier bleiben.“ Seine Großmutter rührte sich keinen Millimeter, bis sie wortlos auf dem Absatz drehte und die Tür hinter sich offen ließ. Zufrieden bat Itsuki die beiden Mädchen rein, schloss die dicke Tür hinter ihnen und zog sofort Handschuhe und Mütze aus. Von der Kälte draußen waren seine Wangen gerötet, ebenso die von Mira und Faith. „Sie ist etwas schwierig“, entschuldigte er das Verhalten seiner Oma und senkte dabei den Blick. „Sagen deine Eltern da nichts zu?“, erkundigte Faith sich, während sie ihren Mantel ablegte. Etwas traurig schüttelte Itsuki den Kopf. „Meine Mutter hat uns schon vor Jahren verlassen und mein Vater ist kurz darauf fortgegangen, damit er sich ganz um seine Arbeit kümmern kann. Meine beiden älteren Schwestern haben immer auf mich aufgepasst, ihr werdet sie sicherlich noch kennen lernen.“ Keine zehn Sekunden, nachdem er dies gesagt hatte, erklang von weiter im Inneren des Tempels ein Freudenschrei, dem gehetztes Trappeln folgte. Eine dünne Papiertür wurde zur Seite geschoben und eine junge Frau mit langen, blonden Haare riss Itsuki in eine stürmische Umarmung. „Bruderherz, du bist wieder hier! Wie habe ich dich doch vermisst.“ Itsuki lachte und schob seine ältere Schwester zur Seite. „Minami, das sind Faith und Mira. Ich habe ihr schon von euch erzählt.“ Minami legte den Kopf schief. Auch wenn sie ihren Bruder stürmisch begrüßt hatte, besaß sie ebenso wie er eine distanzierte, eisige Aura. „Er hat euch ganz schön auf Trab gehalten mit der Sache bei Team Dark, hm?“ „Es hat sich ja alles aufgeklärt“, erwiderte Faith und begrüßte Minami freundlich. Hinter Minami betrat nun Itsukis älteste Schwester den Flur. Sie war groß, hatte sehr helle Haut und weißblonde Haare, sodass sie wie eine zerbrechliche Puppe wirkte. Lächelnd hieß sie die beiden Gäste im Nebeltempel willkommen. „Itsuki, es ist schön, dass du hier bist. Ich werde euch gleich einen heißen Jasmintee aufsetzen. Kommt doch mit in die Küche.“ „Minako wird von unserer Großmutter zur nächsten Tempelwächterin ausgebildet. Wir hoffen alle, dass sie niemals so eine Schreckschraube wird wie Großmutter“, flüsterte Minami Mira und Faith zu. Itsuki stieß ihr leicht in die Rippen, drehte sich dann allerdings zu seinen beiden Mitreisenden um. „Wenn Großmutter euch zu forsch gegenübertritt oder ihr Probleme mit ihr bekommt, sagt mir bitte sofort Bescheid.“ Nur zu deutlich wurde er hier Zuhause jeden Tag daran erinnert, dass seine Mutter einst in dem schrecklichen Schneesturm das Haus verließ, weil ihre Schwiegermutter sie nicht ausstehen konnte und Itsukis Vater sich nicht zwischen seiner großen Liebe und seiner eigenen Mutter entscheiden wollte. Minami stimmte Itsuki sofort zu. „Sollte das der Fall sein, dann könnt ihr jederzeit zu mir nach Eisbergen kommen. Meine Wohnung ist zwar klein, aber euch drei bekomme ich schon noch irgendwo unter. Ich bin bei der erstbesten Gelegenheit hier ausgezogen und so wie ich ihn einschätze, wird Itsuki auch nicht mehr lange bleiben. Selbst Vater ist gegangen.“ Mira warf Faith einen verwirrten und entkräfteten Blick zu, den sie sofort verstand. „Danke für das Angebot, Minami. Ich denke, wir können da nach einem Abendessen und dem Tee in Ruhe drüber reden?“ „Sicher“, meinte diese sofort gedehnt. „Ihr werdet bestimmt noch auf mein Angebot zurückkommen.“ Bereits am späten Abend wussten Faith, Mira und Itsuki, dass Minami Recht behalten würde. Itsukis Großmutter brachte den beiden unangemeldeten Gästen jegliche Ignoranz entgegen, die sie aufbieten konnte. Ihren Enkel hingegen tadelte sie ständig und hielt ihm vor, dass ihr geliebter Sohn, sein Vater, in seinem Alter schön stärkere Pokémon gehabt hatte. Sie war überhaupt nicht damit einverstanden, dass Itsuki nach seinem zweiten Orden die Arenakämpfe sein gelassen hatte und ließ ihn dies bei jeder noch so winzigen Gelegenheit deutlich spüren. Minako bemühte sich ständig die Wogen zu glätten. Sie unterhielt sich mit Mira und Faith und wechselte sofort das Thema, wenn ihre Großmutter einen bissigen Kommentar über die Unfähigkeit der heutigen Jugend zum Besten gab. „Wir sehen uns dann morgen Vormittag in Eisbergen.“ Minami drückte ihren kleinen Bruder und nickte den beiden anderen zu. Um ihre Mundwinkel spiegelte sich für einen kurzen Moment der Schalk. „Ich habe doch gewusst, dass ihr euch hier nicht wohl fühlen werdet. Kommt einfach nach dem Frühstück vorbei. Ich bin mir sicher, dass die alte Schabracke euch nur zu gerne wieder vor die Tür setzt.“ „Bis morgen, Minami.“ Itsuki winkte ihr anschließend noch einen Moment aus dem Fenster hinterher, drehte sich zu Faith und Mira um und gähnte. „Es tut mir leid, dass meine Oma sich mal wieder von ihrer Bitterschokoladenseite präsentiert. Manchmal ist sie auch ganz okay.“ „Ach, das ist schon in Ordnung“, erwiderte Mira müde und kuschelte sich in ihren Schlafsack. „Sie ist doch auch nur ein Mensch.“ „Und du bist zu nett“, murrte Faith ebenfalls vollkommen erschöpft. Miras Antwort bekam sie schon gar nicht mehr mit, denn sie befand sich bereits im Traumland bei der Finera-Liga. In drei Tagen würde die Liga endlich beginnen. Kapitel 106: Die Finera-Liga ---------------------------- Am nächsten Tag saß Faith auf der Eckbank in Minamis kleiner Küche. Die Wohnung war klein, gerade genug Platz für eine Person, aber Faith wollte Minamis Gastfreundschaft auch nicht ausschlagen und zu Minako und Itsukis Großmutter in den Nebeltempel zurückkehren – in das Pokémoncenter konnten sie nicht, das war jetzt vollkommen überbelegt. Vor ihr lagen die Ohrringe und die Kette, die sie von Joel zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Als Minami eintrat, entdeckte sie den Schmuck und setzte sich Faith gegenüber. „Das Metall ist ganz schön angelaufen, hast du deine Pokémon daran Flammenwurf üben lassen?“ Faith verzog das Gesicht. „Nein. Abgesehen davon habe ich gar kein Feuerpokémon im Team.“ Für einen Moment dachte sie an Glumanda, dem es bei Professor Eich allerdings sehr gut ging, insofern wusste sie, dass sie sich damals richtig entschieden hatte. „Ich habe sie geschenkt bekommen.“ Mit dem Finger stupste sie die drei Schmuckstücke an und dann das Armband an ihrem Handgelenk. Wissend hob Minami die Augenbrauen an. „Von einem Jungen, verstehe. Er muss dich ja wirklich gern haben.“ „Ja.“ Seufzend vergrub Faith das Gesicht in ihren Händen, fuhr einmal darüber und steckte den Schmuck dann zurück in ihre Hosentasche. „Ich schätze schon, aber ich habe mich wie eine Furie benommen und jetzt reden wir nicht mehr miteinander.“ „Dann solltest du dich bei ihm entschuldigen.“ „Das kann ich nicht“, erwiderte Faith sofort bestimmt. „Ich fühle mich so schon schlimm genug, aber gleichzeitig trägt er auch eine Mitschuld an der Situation. Er müsste sich auch entschuldigen.“ „Wenn du ihn liebst, wirst du ihm verzeihen und er dir auch. Da braucht ihr keine Wörter zu, du wirst es einfach fühlen.“ Sprachlos und mit offenem Mund starrte Faith Itsukis große Schwester an, dann stand sie auf und tigerte unruhig durch die Küche. „Ich liebe ihn nicht, wie kommst du denn auf so eine Idee? Wir sind Rivalen. Wenn ich Champion werden will, muss ich besser sein als er.“ Minami legte den Kopf schief und blickte die junge Trainerin nachdenklich an. Dann schüttete sie sich noch eine Tasse Schwarztee ein. „Ich werde euch Pokémontrainer nie verstehen. Es geht doch um viel mehr im Leben als nur um Siege und Kämpfe. Irgendwann wirst du das verstehen.“ Ein atemloses Raunen ging durch die Ränge der Zuschauer, die sich im Stadion von Eisbergen versammelt hatten, als das legendäre Lavadosfeuer mit einer Fackel hereingetragen wurde. Der Champion der Finera-Liga, Carlos, trug die Fackel mit stolzgeschwellter Brust. Vor fünf Jahren hatte er die Liga gewonnen und anschließend die Top Vier herausgefordert und sie besiegt, seit jenem Tag war er ungeschlagen. In ganz Finera kannte man den jungen Mann mit den langen, dunkelblauen Haaren und dem wehenden, schwarzen Umhang. Hinter ihm liefen die Mitglieder der Top Vier in das Stadion ein. Ganz vorne lief ein junges Mädchen in Itsukis Alter mit langen, dunkelvioletten Haaren. Ihr Name war Jasmin, sie stammte aus Schloss Dunkelstein und hatte sich auf Pokémon der Typen Psycho und Geist spezialisiert. Direkt dahinter kam der vierundsechzigjährige Pokémonzüchter Francesco, der ein Herz für Kampfpokémon hatte und bereits seit dreißig Jahren den Top Vier angehörte. Robert, der mit Elektropokémon kämpfte, winkte beim Einlaufen den Zuschauern zu. Den Schluss der Viererkette bildete Imael, ein starker Feuerpokémontrainer, der als Herzensbrecher verschrien war. Die fünf stärksten Trainer der Finera-Region umrundeten das Kampffeld, stiegen auf ein gläsernes Podest und warteten dort oben, bis sich das Publikum wieder beruhigt hatte. Dann sprach Carlos in ein Mikrofon, erklärte die diesjährige Finera-Liga für eröffnet und wünschte allen Teilnehmern viel Erfolg und faire Kämpfe. Die Fackel mit dem Lavadosfeuer warf er in einen riesigen Kelch, der in etwas abstrakter Kunst Lavados nachbilden sollte. Zeitgleich begann das Publikum lautstark zu applaudieren und alle registrierten Teilnehmer liefen ebenfalls in das Stadion ein. „Siehst du Faith, kannst du sie irgendwo sehen?“ Aufgeregt rutschte Mira auf ihrem Platz umher und schaute nach unten in die Menge von Trainern. Angestrengt hielt sie nach Faiths türkisfarbenem Haarschopf Ausschau und entdeckte sie schließlich ziemlich mittig. „Da ist sie! Evan, schau!“ Evan lachte. „Ja, ich kann sie auch sehen. Aber ich hätte wirklich nicht gedacht, dass so viele Trainer ihr Glück versuchen.“ „Nur sechzehn von ihnen werden es durch die Vorrunden schaffen“, erklärte Itsuki und deutete auf die große Anzeigetafel, deren sechzehn Trainerprofile noch mit einem weißen Fragezeichen markiert waren. „Die Konkurrenz ist groß, wenn man es schon unter die besten Sechzehn geschafft hat, kann man wirklich stolz auf sich sein.“ „Dort unten ist Joel!“ Mira winkte dem Trainer zu, doch natürlich konnte er sie als einzelne Person in den ganzen Zuschauermassen nicht ausmachen. Etwas enttäuscht ließ Mira die Hand wieder sinken und hatte zu allem Verdruss auch Faith wieder aus den Augen verloren. „Ich bin jedenfalls sehr gespannt, die ersten Vorrundenkämpfe beginnen gleich. Wenn ihr Faith auf einem der Kampffelder seht, müsst ihr mir sofort Bescheid sagen!“ Faith fühlte sich in diesem Stadion vollkommen verloren, dabei hatte sie jetzt noch so viele andere Trainer um sich herum. Wie würde es erst sein, wenn sie die Vorrundenkämpfe wohlbehalten überstanden hatte und fortan ganz alleine auf dem großen Kampffeld stehen musste? Sie wollte gar nicht daran denken und schaute auf die Nummer ihrer Teilnahmekarte, die gleichzeitig auch anzeigte zu welcher Vorrundengruppe sie gehörte. Als sich das Stadion allmählich wieder von Trainern leerte und die vier kleinen Kampffelder aufgebaut wurden, auf denen parallel die ersten Vorrundenkämpfe stattfinden würden, saß Faith bereits in dem Aufenthaltsraum für die Trainer und schlürfte einen heißen Kakao. Für einen kurzen Moment hatte sie Joel von hinten gesehen, aber er war schon zu seiner Gruppe verschwunden. „Entschuldigung, aber du gehörst auch zur Gruppe D, nicht wahr?“ Faith schaute auf und nickte, woraufhin sich das braunhaarige Mädchen, das sie angesprochen hatte, zu ihr setzte. „Ich bin Mimi Goldberg, freut mich dich kennenzulernen. Ich bin total aufgeregt.“ „Oh ja, ich auch“, gestand Faith, leerte ihren Kakaobecher und warf ihn in den Mülleimer neben ihrem Tisch. „Das ist so ein tolles Erlebnis. Es ist schon immer mein Traum hier in der Liga zu kämpfen.“ „Meiner auch“, erwiderte Mimi lächelnd und strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Mein Bruder Mike ist in Gruppe H und ich bin wirklich froh, dass wir nicht schon in der Vorrunde aufeinandertreffen.“ Mimis weiteres Geplapper quittierte Faith mit einem aufgesetzten Lächeln, denn ihre Gedanken begannen sich um Joel zu kreisen. In welcher Vorgruppe er wohl war? Am ersten Tag würden sich aus jeder Vierergruppe die zwei besten Trainer für die zweite Vorrunde qualifizieren, in der die Gruppen neu durchmischt wurden. Am Ende standen dann die sechzehn Trainer fest, die es in den zweiten Teil der Liga geschafft hatten. „Wir als Gruppe D sind ziemlich am Anfang dran“, unterbrach Faith Mimi, die daraufhin kurz überrascht die Augenbrauen hochzog, dann jedoch nickte. Wenige Minuten später wurden die Trainer von Gruppe A und Gruppe B aufgerufen und gingen nach draußen. Auf dem großen Bildschirm konnte Faith sehen, dass Joel zur Gruppe B gehörte und sein Gegner ein Mädchen in einem beigefarbenen Kostüm war, an deren Seite ein Farbeagle lief. Die beiden anderen Gruppenmitglieder waren Jungs. Gruppe A war komplett männlich und die vier Trainer aus dieser Gruppe verteilten sich auf zwei andere Kampffelder. Nervös schaute Faith zu, wie die Kämpfe begannen, wobei sie hauptsächlich auf Joels Kampf achtete. Mit Sniebel und Lucario konnte er Farbeagle, Kapilz und Enekoro besiegen, somit hatte er recht schnell seinen ersten Kampf erfolgreich bestritten. Faith überlegte indes, auf welche drei Pokémon sie sich konzentrieren sollte, denn in den beiden Vorrunden durfte man nur drei Pokémon einsetzen, in den späteren Kämpfen dann alle sechs ohne Wechsel. Schneller, als es ihr lieb war, wurde Gruppe D gebeten sich bereit zu halten. Mimi lächelte ihr aufmunternd zu, auch wenn sie und Faith gleich Gegnerinnen sein würden. „Möge die bessere Trainerin gewinnen“, flötete Mimi gut gelaunt. „Wobei eine Niederlage kein Drama ist, immerhin haben wir noch zwei andere Mitglieder in unserer Gruppe D, die wir aus dem Turnier werfen können. Ich werde dir jedenfalls die Daumen drücken, Faith.“ „Öh, danke, ich dir auch“, erwiderte diese etwas perplex, schüttelte dann leicht den Kopf und trat hinaus in das Stadion, als Gruppe D aufgerufen wurde. Noch ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann machte sie sich mit stoischer Gelassenheit auf den Weg zu ihrem Kampffeld und trat Mimi als Gegnerin gegenüber. Der Kampf konnte beginnen. Kapitel 107: Die Vorrundenkämpfe - Teil 1 ----------------------------------------- Mimi nickte Faith kameradschaftlich zu, als die Münze des Schiedsrichters Kopf zeigte und somit sie zuerst ihr Pokémon wählen musste, was für die braunhaarige Trainerin jedoch kein Problem darzustellen schien. Mit einem fast schon übermäßig zuversichtlichen Blick entließ sie ein Rizeros, das mit beiden Beinen auf den Boden stampfte und schnaubte. Faith zögerte keine Sekunde, als sie Folipurba entließ und ihrem anschmiegsamen Pflanzenpokémon die Attacke Zauberblatt befahl. Die Blätter sausten augenblicklich auf Rizeros zu, das eindeutig schwerer und weniger wendig war. Jedoch öffnete das Nashorn sein Maul, schnaubte erneut und im nächsten Moment raste ein Flammenwurf auf Folipurba zu. Die Blätter verkohlten mitten im Flug und Faiths Pokémon wurde mit einem Volltreffer erwischt. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, kommentierte Mimi Goldberg lächelnd das Szenario und bedachte Rizeros mit einem Lob für die schnelle Reaktion. Faith begriff erst in diesem Moment, dass es um so viel ging. Wenn sie nicht gleich aus dem Turnier fliegen wollte, musste sie ihre drei Vorrundenkämpfe innerhalb ihrer Gruppe D in der ersten Runde zumindest mit zwei Siegen bestehen, das gab ihr eine gute Position, auch wenn natürlich nur zwei Trainer je Gruppe weiterkommen würden. „Folipurba, Synthese!“ Sie sah ruhig zu, wie Folipurba sich heilte, doch Mimi nutzte den Moment und befahl ihrem Pokémon die Attacke Tarnsteine, sodass das gesamte Kampffeld nun mit spitzen Steinen gespickt war, die jedes Pokémon, das eingewechselt wurde, verletzten. „Noch einmal Flammenwurf! Heiz ihm so richtig ein!“ Mimi wusste genau, dass sie Folipurba auf Distanz nur durch Volltreffer mit Flammenwurf erledigen konnte. Aber sie war auf der sicheren Seite, denn Folipurba musste sich für das Ausweichen mehr bewegen als ihr Pokémon, das nur an einer Stelle stand und seinen kräftigen Flammenwurf zum Besten gab. Nach etwa einer Minute wurde Folipurba langsamer und musste schließlich anhalten, wobei es natürlich sofort von der Feuerattacke erwischt wurde. Erschöpft blieb die Evolientwicklung liegen und auf der Anzeigetafel wurde das Bild von Folipurba unter Faiths Konterfei schwarzweiß. Zähneknirschend zog Faith ihr Pokémon zurück, spürte aber allmählich Panik in sich aufsteigen. „Mantax, du musst das richten.“ Sie entließ den Rochen, der freudig mit den Seiten auf die Erde schlug, nachdem die Tarnsteine ihren Job getan hatten. „Aquawelle!“ Mimi riss die Augen auf, aber Mantax‘ Angriff war schnell und gezielt. Rizeros hob zwar schützend die Ärmchen vor sein Gesicht, aber gegen die Wucht der Wasserattacke konnte Rizeros mit seiner Zweifachschwäche nichts ausrichten. Mit einer Kombination aus Agilität und Blubbstrahl konnte Mantax seinen Gegner besiegen, bekam es im nächsten Augenblick allerdings schon mit Mimis Minun zu tun, das bedrohlich Funken aus seinen Wangen sprühen ließ. Einige Minuten später war der Spuk vorbei. Mantax hatte gegen Minun verloren, woraufhin Faith ihr Bibor in den Kampf geschickt hatte. Bibor konnte Minun besiegen, aber Mimi setzte daraufhin ein Ponita ein und konnte den Sieg für sich verbuchen. „Du hast gut gekämpft.“ Aufmunternd klopfte Mimi ihr auf die Schultern. „Ich habe dich mit Rizeros‘ Flammenwurf einfach nur eiskalt erwischt.“ „Ich denke, du hättest auch ohne den Flammenwurf gewonnen, ich war auf die Situation noch nicht vorbereitet.“ Faith seufzte ziemlich enttäuscht. So hatte sie sich ihr Debüt in der Finera-Liga nicht vorgestellt, aber ändern konnte sie es nun auch nicht mehr. Trübsal zu blasen war so gar nicht ihr Ding, außerdem konnte sie noch immer die beiden anderen aus ihrer Gruppe D besiegen und dadurch in die zweite Hälfte der Vorrundenkämpfe aufsteigen. Mimi nickte verständnisvoll. „Ich habe letztes Jahr schon einmal an der Liga teilgenommen, bin aber schon in der ersten Vorrunde rausgeflogen. Alleine aus diesem Grund darf ich es dieses Jahr erneut versuchen, weil ich letztes Jahr nicht bis in die zweite Hälfte der Vorrunde gekommen bin. Mein Bruder ist dieses Jahr das erste Mal mit von der Partie und ich kann dir versichern, dass er ebenso aufgeregt und verunsichert ist wie du, Faith.“ „Mike war sein Name, nicht wahr?“ „Mike Goldberg“, wiederholte Mimi und betrat nach Faith den Aufenthaltsraum, wo ihnen einige bewundernde, einige skeptische und einige vernichtende Blicke zugeworfen wurden. „Er sitzt dort drüben.“ Faith folgte Mimis Finger und entdeckte einen Jungen mit Goldlöckchen und einem angestrengten Gesichtsausdruck. Sah sie etwa auch so verkrampft und verbissen aus? „Okay, ich verstehe. Danke für die Aufmunterung, Mimi.“ „Ach, keine Ursache.“ Grinsend ließ sich Mimi neben Faith auf einer Eckbank nieder, streckte sich und beobachtete genau wie Faith am Bildschirm die anderen Kämpfe. „Dieser Joel aus Gruppe B ist ziemlich gut, hm?“, meinte sie nach einer Weile und registrierte genau, wie Faiths Schultern leicht nach unten sackten. „Du kennst ihn? Erzähl mal.“ Mit ein wenig Widerwillen begann Faith zu reden. „Na ja, er ist ein starker Trainer. Wir kennen uns von unserer Reise durch Finera, ich habe ihn auch mal in seinem Zuhause besucht. Er ist ganz nett.“ Mimis wacher Blick lag auf der jüngeren Trainerin, dann streckte sie sich und schaute zu Schwester Joy, die kostenlos Supertränke an die Trainer verteilte, die bereits einen Kampf hinter sich hatten. Als Joy bei ihnen ankam, nahm Mimi zwei Tränke, einen für sich und einen für Faith. Es war wichtig, dass die Pokémon mit voller Energie zu ihrem nächsten Kampf aufbrechen konnten und nicht von den vorherigen Kämpfen angeschlagen waren. Allerdings verschob Mimi das Benutzen ihres Supertranks auf später, da Rizeros in dem ohnehin überfüllten Aufenthaltsraum nur noch mehr Platz weggenommen hätte. „Ich möchte ihm nicht schon in der Vorrunde begegnen, er würde mich bestimmt aus dem Turnier werfen. So gut wie er bin ich nicht, das kann ich ganz gut einschätzen. Ich nehme mehr für die Erfahrung an der Liga teil.“ Faith wusste nicht, was Mimi ihr damit genau sagen wollte, aber sie fühlte fast so etwas wie Stolz, dass sie Joel so hochlobte. Wobei sie das im nächsten Moment eigentlich wieder stören sollte, denn wenn sie die Liga gewinnen wollte, würde sie früher oder später besser als Joel – oder derjenige, der ihn besiegte – sein müssen. Mit ihrem nicht ganz ausgeglichenen Team würde das definitiv keine leichte Aufgabe sein. Über den Bildschirm flimmerten nun die Ergebnisse der gerade beendeten Kämpfe. Mittlerweile war aus jeder Gruppe jeder einmal an der Reihe gewesen und es wurden nun die neuen Paarungen innerhalb der einzelnen Gruppen ermittelt. Faith sah ihr Bild über dem eines schwarzhaarigen Jungen, Mimi bekam den anderen Jungen aus ihrer Gruppe ab. Vor den nächsten Kämpfen gab es allerdings erst einmal eine Mittagspause, in der alle Teilnehmer verpflegt wurden und sich am Büffet mit reichlich Essen bedienen konnten. „Komm, wir holen uns schnell etwas, sonst sind die besten Sachen weg.“ Mimi zerrte Faith hinter sich her in den Nachbarraum, wo die köstlichsten Gerüche die Luft erfüllten. Zügig lud Mimi sich zwei Stücke Lasagne, Erdbeercreme, Schokoladenpudding mit Vanillesoße und zwei Gläser Cola auf ihr Tablett. „Man weiß ja nie“, meinte sie grinsend und wartete auf Faith, die sich statt Lasagne Schnitzel mit Pommes nahm, ansonsten aber ein ebenso gut gefülltes Tablett zurück zu ihrer Eckbank im Aufenthaltsraum schleppte. „Das riecht unheimlich gut.“ Faith probierte sofort und stopfte mehrere Pommes auf einmal in ihren Mund. „Kämpfen macht hungrig.“ Mimi nickte, nahm einen großen Schluck Cola und brachte das Thema Joel wieder zurück ins Gespräch. „Du kennst ihn doch ein wenig. Er sieht niedlich aus, ist er noch zu haben?“ Faith verschluckte sich beinahe, musste etwas trinken und versuchte dann kein Furiengesicht zu machen. Schließlich lächelte sie jedoch milde und winkte ab. „Nein, ich glaube, er ist quasi vergeben.“ „Schade“, erwiderte Mimi und begann dann von ihren weiteren Erwartungen an die Finera-Liga zu sprechen. Die Jungtrainerin mit den türkisfarbenen Haaren hörte ihrer Sitznachbarin allerdings nur noch mit einem halben Ohr zu, denn sie war noch immer verblüfft darüber, wie sie Mimi bezüglich Joels Beziehungsstatus geantwortet hatte. Kapitel 108: Die Vorrundenkämpfe - Teil 2 ----------------------------------------- Erleichtert atmete Faith tief durch und drückte Unratütox, das verzückt zu ihr zurück lief. Sie hatte soeben ihren zweiten Vorrundenkampf bestritten und gewonnen, was bedeutete, dass sie nicht vorzeitig aus der Liga ausgeschieden war. Dank Unratütox und Tauboga hatte sie den schwarzhaarigen Jungen besiegen können, der vornehmlich Pflanzenpokémon trainierte und ihr gleich zwei davon vor die Nase gesetzt hatte, was für ihre beiden Pokémon nacheinander jedoch kein Problem dargestellt hatte. Auch Sichlor, das erste Pokémon, das der andere Trainer eingesetzt hatte, war durch Tauboga besiegt worden. Zurück im Aufenthaltsraum umarmte Mimi Faith und gratulierte ihr zu dem gewonnen Kampf. Es war allerdings nicht verwunderlich, dass auch Mimi ihren zweiten Kampf gewonnen hatte und sich deshalb rein theoretisch sogar eine Niederlage in ihrem dritten Kampf leisten konnte. Bei Faith hingegen ging es jetzt noch einmal um die Wurst, denn wenn sie wieder verlor, hatte sie ihre zwei Niederlagen in der ersten Vorrunde und würde gehen müssen. „Hast du schon geschaut, ob wir heute Abend noch ein letztes Mal für heute dran sind?“ Mimi nickte bestätigend. „Ja, habe ich. Und ja, wir sind heute Abend noch an der Reihe. Alle Gruppen bis einschließlich Gruppe D – also wir – werden heute noch fertig. Die restlichen sind morgen dran und ab morgen Nachmittag finden dann die Vorrundenkämpfe der zweiten Runde statt.“ „Da kann man sich keine Niederlage mehr leisten“, murmelte Faith und kratzte sich am Kinn. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das problematisch werden kann.“ „Du schaffst das, Faith“, machte Mimi ihr mit ihrem strahlenden Lächeln Mut. „Du wirst schon sehen, das klappt heute Abend.“ „Ja“, erwiderte Faith abwesend und dachte darüber nach, ob Mira und Co wohl den ganzen Tag im Stadion saßen oder nur speziell zu ihren Kämpfen kamen. Schließlich seufzte sie jedoch ein klein wenig niedergeschlagen und raufte sich durch die Haare. Faith wollte es sich nicht anmerken lassen, aber der ganze Stress, die Aufregung und der eigene Erwartungsdruck gingen ihr ziemlich an die Substanz. Gegen siebzehn Uhr war es bereits vollkommen dunkel draußen und die Sterne leuchteten am Nachthimmel vor sich hin. Das Stadion hatte sich bis auf ein paar hartgesottene Zuschauer geleert, unter ihnen waren auch noch Mira, Evan und Itsuki. Faith war als eine der letzten Trainer für heute mit ihrem Vorrundenkampf dran und ihr Gegner war der andere Junge, gegen den Mimi bereits gewonnen hatte. Von Mimi wusste Faith auch, dass ihr Gegner ein Raichu, ein Dodri und ein Schillok besaß, denn gegen diese drei Pokémon hatte Mimi kämpfen müssen. Wenige Minuten später standen sich der Junge und Faith gegenüber, vor ihm sein Schillok und vor Faith ihr Voltilamm. Beide Trainer waren bereits müde und für beide ging es um das Fortbestehen in der Vorrunde, doch die erste Runde im Kampf war lediglich ein kurzer Schlagabtausch zwischen Schillok und Voltilamm, den Voltilamm dank Typenvorteil deutlich für sich gewinnen konnte. Auch das zweite Pokémon, das eingesetzt wurde, Dodri, unterlag Faiths Voltilamm und dessen starken Elektroattacken. Man konnte es Voltilamm nicht ansehen, aber Faith besaß es schon eine ganze Weile, hatte viel mit ihm in Litusiaville trainiert und auch ohne Entwicklung, die es scheinbar von sich aus nicht wollte, war das Elektroschaf ein nicht zu unterschätzender Gegner. Als drittes Pokémon setzte der Junge kein Raichu ein. Stattdessen schickte er ein Rihorn in den Kampf, gegen das Voltilamm nicht wirklich etwas ausrichten konnte. Doch Faith wusste, dass sie noch zwei Pokémon frei hatte und in Führung lag. Gemeinsam mit Folipurba konnte sie Rihorn dank der doppelten Pflanzenschwäche schnell besiegen. Erst, als sie wieder den Aufenthaltsraum betrat, realisierte sie ihren Sieg. „Oh mein Gott“, flüsterte sie, dann schrie sie vor Freude auf, fiel Mimi um den Hals und lachte vor Erleichterung. „Ich habe gewonnen, ich bin nicht aus dem Turnier geflogen!“ „Das hast du gut gemacht, Faith.“ Lachend tätschelte Mimi ihr den Rücken, machte sich dann von ihr los und deutete in Richtung Ausgang, wo bereits ihr Bruder auf sie wartete. „Wir sind jetzt nicht mehr in derselben Gruppe, wenn es weitergeht. Aber ich hoffe auf einen guten Kampf, wenn wir als Rivalinnen im KO-System kämpfen.“ „Nach dem zweiten Teil der Vorrunden“, ergänzte Faith nickend, umarmte Mimi noch ein letztes Mal und ging dann ebenfalls nach draußen, wo sie bereits von ihren Freunden in Empfang genommen wurde. Aufgeregt unterhielten sie sich, wobei Faith vor Erschöpfung eher zuhörte als sich selbst aktiv am Gespräch zu beteiligen. Später in der Wohnung von Itsukis Schwester fiel sie mit Kleidung ins Bett und schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen durch. Sie wurde wach, weil Mira sie sanft an den Schultern schüttelte, dann bestimmter wurde und sie schließlich auch laut beim Namen rief. Blinzelnd öffnete die Jungtrainerin ihre Augen, gähnte herzhaft und stand schwankend aus ihrem Bett auf. Im nächsten Moment bemerkte sie, dass sie noch immer ihre Kleidung vom Vortag trug. „Ich war sehr, sehr müde“, bemerkte sie entschuldigend in Miras Richtung, die ihr allerdings lieber einen Vortrag über Faiths Pünktlichkeit hielt und sie darauf hinwies, dass sie bereits in einer halben Stunde wieder am Ligagebäude sein sollte. Wie der Blitz machte Faith sich mit einer Dusche im Badezimmer fertig, zog sich warme Sachen an und frühstückte ein Croissant auf die Hand. „Beeilen wir uns!“ Itsuki seufzte. „Wir sind fertig.“ Faith knurrte ihn mit vollem Mund an, dann verließen sie zusammen Minamis Wohnung und eilten im Laufschritt zur Liga. Sofort entdeckte Faith ihre neue Freundin Mimi und winkte ihr zu, was von Mimis Seite freundlich erwidert wurde, während sie auf Faith zuging und sie in den warmen Aufenthaltsraum führte. „Die ersten Kämpfe laufen bereits wieder. Sobald feststeht, wer aus den Gruppen nach uns weiterkommt, werden die neuen Gruppen zusammengestellt. Wir haben also bestimmt noch zwei Stunden Zeit und können uns ein großes Frühstück genehmigen. Oder hast du schon gefrühstückt?“ Kopfschüttelnd folgte Faith Mimi zum Buffet und packte sich drei Pfannkuchen mit Blaubeeren und Ahornsirup auf ihren Teller, dazu eine große Portion Obstsalat und einen starken, schwarzen Tee ohne Zucker. Den ganzen Berg an Essen würde sie natürlich nicht aufessen können, aber ihre Augen waren größer gewesen als ihr Magen. Nachdem sie sich an einen freien Tisch mit Blick auf die Flachbildfernseher gesetzt hatten, aßen sie langsam, plauderten ein wenig und folgten den anderen Kämpfenden. Immer wieder suchte Faith den Raum mit ihren Augen nach Joel ab, doch sie entdeckte ihn nicht und schmollte irgendwann vor sich hin. Er hatte bestimmt gewusst, dass sie hier noch Wartezeit absitzen mussten. Joel wusste solche Dinge immer, ihm entging niemals etwas, genauso wenig Trixi. Trixi steckte mit Sicherheit mitten in ihren Vorbereitungen für das Große Festival. Mira trainierte auch schon jeden Tag und übte an der Performance von Psiana. Für die Kämpfe würde sie Hunduster einsetzen. Bei Trixi war sich Faith allerdings nicht so sicher, denn Trixis Smettbo und Vulnona konnten beide für die Show und für Kämpfe eingesetzt werden. Vielleicht wählte sie auch ihr Kussilla aus? Trixi Light ließ sich nicht in die Karten schauen, dazu war sie viel zu gerissen, genau das machte sie zu einer unberechenbaren Gegnerin. Irgendwann nach etwa einer Stunde wurden die Kämpfe auf einmal für eine Sondermeldung unterbrochen. Es wurde ein Nachrichtenbericht aus dem Fernsehen sowohl im Stadion als auch auf den Bildschirmen im Aufenthaltsraum eingeblendet. Ein Reporter stand neben Officer Rocky, im Hintergrund sah man weiteres Polizeiaufgebot, das gerade zwei Frauen in Handschellen abführte, die Faith nur zu gut kannte. „… und deshalb sind wir alle mehr als schockiert darüber, wer hinter den Machenschaften von Team Dark wirklich steckt. Dank der Hilfe von Caleb Frost, einem der beiden Vorstandsmitglieder von Team Dark, konnten wir den Aufenthaltsort von Milena Mai und Joanna Joy ausfindig machen. Noch heute werden sie einem Haftrichter vorgeführt, der über ihre Unterbringung in einer Untersuchungshaftanstalt entscheiden wird. …“ Faith krallte sich an der Tischplatte fest und atmete tief durch. Man hatte Milena Mai endlich geschnappt! Das bedeutete, dass es endlich vorbei war. Team Darks Spitze war enttarnt und gefangen genommen, Team Dark war zerschlagen. Es war vorbei. Endlich. Frieden. Aber wieso hatte Caleb sich gegen Milena und Joanna gestellt? Wollte er nur seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen oder lag ihm tatsächlich etwas an den Werten, die er ihr gegenüber ständig beteuert hatte? Als sie aufschaute, blickte sie direkt in Joels Augen, der nur wenige Schritte neben ihr stand und sie mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck beobachtet hatte. Doch anstatt etwas zu sagen verschwand er wieder und auch Faith brachte nicht den Mut zu sprechen auf. Dabei hätte sie jetzt seinen Beistand wirklich gebraucht. Kapitel 109: Die Vorrundenkämpfe - Teil 3 ----------------------------------------- Faith machte sich wirklich Gedanken darüber, was Calebs Sinneswandel herbeigeführt hatte. Doch schlussendlich glaubte sie, dass er sich wirklich gegen Team Dark stellen wollte, auch wenn er nun Milenas und Joannas Zorn auf sich gezogen hatte. Ohne Milena als Kopf war Team Dark mit seinen vielen Handlangern nichts weiter als ein hohler Körper. Faith war sich sicher, dass man in den nächsten Wochen jedes Mitglied finden und verurteilen würde. Vielleicht würde Caleb dank seiner Mitarbeit bei der Polizei eine kürzere Haftstrafe bekommen, sie wünschte es ihm. „Schau, die letzten Kämpfe sind vorbei.“ Mimi deutete auf den Bildschirm und holte Faith damit aus ihren Gedanken zurück in die Wirklichkeit. „Es werden gerade die letzten Daten eingegeben. Ah, schau! Die neuen Gruppen werden bekannt gegeben.“ Aufgeregt schaute Mimi zu dem Bildschirm, dann lächelte sie auf einmal bitter in sich hinein. „Ich bin mit meinem Bruder Mike in einer Gruppe, oh je. Damit dürfte ich so gut wie ausgeschieden sein, gegen ihn verliere ich mit Sicherheit.“ „Ich bin nicht mit Joel in einer Gruppe“, stellte Faith erleichtert fest. Sie kannte das Mädchen nicht, gegen das sie kämpfen musste, aber sie sah sehr jung aus, vielleicht war sie elf oder zwölf. Dennoch musste sie halbwegs gut sein, denn sie hatte es bis hierher geschafft. Wenn Faith das Mädchen besiegen konnte, würde sie zu den besten sechzehn gehören und hatte die Vorrundenkämpfe alle hinter sich gebracht. Wenig später, direkt nach dem Mittagessen, war Faith an der Reihe. Ihre Gegnerin hieß Lola und wirkte sehr arrogant, aber davon ließ Faith sich nicht einschüchtern. Die Münze ließ Faith zuerst ihr Pokémon wählen und sie entschied sich für Mantax, dem Lola ein Pichu entgegensetzte. Faith hätte am liebsten laut aufgelacht, Pichu passte perfekt zu der Ausstrahlung von Lola. Aber sie ließ sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen, immerhin unterschätzten auch viele Gegner ihr Voltilamm. Der Kampf begann und Pichu setzte Donnerschock ein. Mantax hatte eine starke Schwäche gegenüber der Elektroattacke, aber es hielt sich tapfer und konterte mit einer Aquawelle, die Pichu gleich beim ersten Treffer verwirrte. Pichu torkelte nach hinten, setzte erneut Donnerschock ein, griff sich dabei aber selbst ein. Faith und Mantax nutzten den Moment und Mantax besiegte Pichu mit Bodycheck. Lola zeterte sofort herum, zog ihr Pichu zurück und schickte nun ein Impoleon in den Kampf. Die beiden Wasserpokémon gerieten sofort in einem unerbittlichen Kampf aneinander, aus dem Impoleon als Sieger hervorging, wenn auch schon ziemlich geschwächt. Als nächstes schickte Faith ihr Folipurba ins Rennen. Die Pflanzenattacken waren gut und mit Synthese konnte es seine Kräfte wieder regenerieren. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass Impoleon verlor und Lola nun fast den Tränen nahe war. Sie schnaubte wütend, stampfte wie ein Kleinkind auf dem Boden auf und wusste nicht, welches Pokémon sie wählen sollte. Schließlich entschied sie sich für ein Kadabra, doch Faith hatte mit Folipurbas Spukball noch ein Ass im Ärmel und konnte auch Kadabra besiegen. Zufrieden und erleichtert zog sie ihr Pokémon zurück. Bis auf die haushohe Niederlage gegen Mimi kam sie doch ganz gut durch das Turnier, aber übermütig wollte sie deshalb noch nicht werden. Während sie das Feld verließ und zurück zum Aufenthaltsraum ging, sah sie Mira von der Tribüne runter winken. Ja, sie war nicht alleine. Ihre Freunde würden sie unterstützen, egal ob sie die Liga gewinnen oder verlieren würde – wobei sie natürlich immer noch den Sieg fest vor Augen hatte. Sie wollte doch Champion werden! Am Abend hatten alle Trainer ihre Kämpfe bestritten und es standen die sechzehn Jungtrainer fest, die es bis in die richtige Liga geschafft hatten. Neben Mike Goldberg, Mimis Bruder, waren natürlich auch Joel und Faith mit von der Partie. Die Paarungen für das restliche Turnier würden im Laufe des nächsten Tages entschieden werden und hingen morgen Abend aus. Auf diese Weise wollten die Organisatoren verhindern, dass man sich während des freien Tags zu sehr auf seinen ersten Gegner einschießen konnte, denn ihrer Ansicht nach musste ein guter Trainer auf jeden Gegner vorbereitet sein können. Faith war den ganzen Abend sehr unruhig und trank einen halben Liter Baldriantee, von dem sie zwar sehr müde wurde, aber auch nachts wieder auf Toilette musste. Ziemlich gerädert erwachte sie am nächsten Morgen und bekam von Itsuki, Evan und Mira eine Einladung zum Lunch in einem teuren Restaurant. Ihre Freunde hatten zusammengelegt und wollten Faith so etwas Gutes tun. Sie bedankte sich überschwänglich und nahm den Gutschein an, war aber etwas niedergeschlagen, weil die anderen sie zu dem teuren Lunch nicht begleiten würden. Dennoch genoss sie das ausgiebige späte Frühstück mit Lachsbrötchen und allerlei kleinen Köstlichkeiten. Den restlichen Tag trainierte sie mit ihrem Team, wobei sie ihre Pokémon jedoch nicht überanstrengen wollte. Sie ging ein paar Taktiken durch, schaute sich alle Attacken an und gönnte ihren Pokémon anschließend am Nachmittag viel Ruhe und besonders vitaminreiches Pokémonfutter, das sie im Supermarkt gekauft hatte. Es war nicht einfach den ganzen Tag effektiv zu nutzen, wenn sie eigentlich nur auf den Abend wartete, an dem alle sechszehn Trainer aufgeteilt wurden und man sehen konnte, welche Trainer man besiegen musste, um die Finera-Liga zu gewinnen. Danach bekamen einige Trainer noch die Chance die aktuelle Top 4 und den Champion herauszufordern, meistens durften die besten drei oder vier Trainer dort noch einmal ihr Bestes geben. Pünktlich zur Bekanntgabe der Aufstellung hatte Faith sich am Ligagebäude eingefunden. Ihre fünfzehn Mitstreiter standen entweder alleine oder in Begleitung genau wie sie vor dem großen Flachbildschirm, der über dem Eingang der Liga hing und für draußen stehende Zuschauer das Geschehen im Inneren übertrug, wenn Kämpfe stattfanden. Faith konnte Joel und Trixi erblicken und biss sich leicht auf die Unterlippe. Sie hatte noch immer kein Wort mit ihm gesprochen und allmählich wusste sie schon gar nicht mehr, wie sie sich überhaupt bei ihm entschuldigen sollte. Ihr Verhalten war trotzig wie das eines Kleinkindes, aber er konnte ebenfalls nicht über seinen Schatten springen und seinen ungeheuren Stolz ablegen. „Ah, ihr seid alle da.“ Schwester Joy lächelte ihnen zu und informierte sie darüber, dass der Computer nun alle sechzehn Trainer verteilt hatte. „Ich weiß, dass ihr alle sehr aufgeregt und gespannt auf das Ergebnis seid. Aber bevor ich den Bildschirm anschalten werde, möchte ich euch eine Sache sagen, die mir wirklich sehr am Herzen liegt. Ihr seid alle Sieger. Ihr seid die diesjährigen besten sechzehn Trainer in Finera und darauf könnt ihr sehr stolz sein, egal ob ihr nun weiterkommt oder nicht.“ Lächelnd und ohne weitere Umschweife drückte Schwester Joy den Knopf auf der Fernbedienung und der Bildschirm ging an. Faith sog scharf die Luft ein, als sie sah, dass ihr Konterfei schon auf dem ersten Platz ganz links stand. Aber noch schlimmer war der Gegner, den der Computer für sie ausgesucht hatte. Das Schicksal musste sie hassen, wenn es ihr so einen Faustschlag mitten ins Gesichts verpasste. Es war Joel. Kapitel 110: Für immer ---------------------- Das war ein Alptraum! Faith war den Tränen nahe und spürte Panik in sich aufsteigen, bis ausgerechnet Trixi ihre Hand auf Faiths Schulter legte und ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Verlier nicht die Contenance, meine Liebe.“ Hinter Trixi stand Joel und in seinen goldbraunen Augen schien ein Sturm zu toben, denn sie wirkten dunkel und wild. Dennoch konnte man ihm äußerlich nicht anmerken, dass er ebenso wenig begeistert von dieser Wendung war wie Faith. „Ihr seht euch morgen.“ Trixi ließ Faith los, hakte sich bei ihrem Zwillingsbruder unter und führte ihn bestimmt in Richtung des Pokémoncenters, wo sie ein Zimmer hatten. „Faith, es tut mir so leid für dich“, murmelte Mira und umarmte ihre Freundin, doch Faith schüttelte Mira ab. „Faith?“ „Ich… muss jetzt nachdenken. Wenn ich Joel besiegen möchte, brauche ich eine gute Taktik. Er ist kein leichter Gegner.“ Ihr Hals fühlte sich so wahnsinnig trocken an und wie betäubt lief sie neben Mira und den anderen beiden zurück zu Minamis Wohnung. Warum nur musste es ausgerechnet Joel sein, gegen den sie kämpfen musste? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie sich die ganze Zeit gewünscht, dass Joel von irgendjemandem aus dem Turnier gekickt wurde, bevor sie ihn besiegen musste. Aber das hatte sich nun erübrigt, sie hatte ihren größten Rivalen gleich in der ersten Hauptrunde als Gegner. In Minamis Wohnung angekommen bemerkte Itsukis Schwester sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Bei Evan erkundigte sie sich nach dem Grund dafür und warf Faith immer wieder mitfühlende Blicke zu. „Du erinnerst dich doch noch an das, was ich dir gesagt habe, nicht wahr? Es kommt nicht auf den Sieg an, wenn man Erfahrung gewinnen konnte und seinem Herz folgen kann.“ Faith nickte mit einem sehr bitteren Gesichtsausdruck und trank den Beruhigungstee, den Minami ihr machte, in einem Zug aus. Zum Schlafengehen nahm sie gleich zwei Schlaftabletten, was sich als die richtige Entscheidung herausstellte, denn ohne hätte sie wohl die ganze Nacht wach gelegen. Am nächsten Morgen erwachte Faith früher als die anderen. Sie war noch immer etwas müde, stand jedoch auf und duschte ausgiebig, wobei sie sich ein wenig entspannte. Im Moment kannte sie nicht die genaue Uhrzeit, aber schon sehr bald würde sie Joel Light auf dem Kampffeld der Finera-Liga gegenübertreten müssen. Wieso war ihr nicht bewusst gewesen, dass es früher oder später darauf hinauslaufen würde? Faith ertappte sich dabei, wie sie sich wünschte, dass Joel und sie nicht befreundet wären, das würde zumindest diesen Kampf erträglicher machen. Als die Zeit gekommen war, überlegte Faith nicht lange und holte den angelaufenen Schmuck aus ihrer Hosentasche. Joel hatte ihn ihr zu Weihnachten geschenkt und sie hatte – mal wieder – sehr überzogen reagiert. Dennoch bedeutete ihr dieses Geschenk sehr viel und bei dem Gedanken an Joels Warmherzigkeit fühlte auch sie Wärme um ihr Herz. Sie lächelte ihr Spiegelbild an, legte den Schmuck an und machte sich dann vor den anderen alleine auf den Weg zum Ligagebäude. Diesen Weg musste sie alleine gehen. Sie entdeckte Joel bereit im Aufenthaltsraum und nickte ihm zu, wobei ihr sein überraschter Blick, als er den Schmuck an ihr bemerkte, nicht verborgen blieb. „Auf einen fairen Kampf.“ „Du sprichst ja wieder mit mir, Miss Loraire.“ Ihr Herz machte einen Sprung, als sie seine Stimme hörte. Endlich konnten sie wieder miteinander reden, warum nur hatte das so lange gedauert? „Ja.“ Sie strahlte ihn bis über beide Ohren an und auch er erwiderte ihr Lächeln. „Sei nicht zu sehr am Boden zerstört, wenn ich dich gleich besiege“, neckte er sie und knuffte ihr dabei leicht in die Seite. Es war, als hätten sie diesen bösen Streit niemals gehabt. „Dito“, antwortete die Jungtrainerin, streckte ihm die Zunge raus und machte sich bereit, als man sie wenig später aufrief und beide gemeinsam das Kampffeld betraten. Es war berauschend. Die Tribünen waren mit Menschenmassen bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt und auch von draußen vor den Toren konnte man noch Applaus und Stimmen hören. Joels und Faiths Konterfeis waren auf dem Bildschirm abgebildet und unter ihren Abbildern standen jeweils die sechs Pokémon, die sie vorher registriert hatten. Der Schiedsrichter warf eine Münze – Kopf – und Faith musste zuerst ihr Pokémon wählen. Sie lächelte Joel zu und war auf einmal viel entspannter als noch zuvor. „Bibor, du beginnst!“ Mit einer inneren Ruhe, die sie sonst selten verspürte, entließ sie ihren geliebten Starter auf das Kampffeld. Natürlich hatte sie auch damit gerechnet, dass Joel sein Glurak wählen würde, aber sie vertraute Bibor und seinen giftigen Angriffen. Selbst wenn sie Glurak nicht besiegen konnte, würde sie dem Feuerdrachen zumindest eine ordentliche Vergiftung verpassen. „Haltet die Regeln ein und geht fair miteinander um“, mahnte der Schiedsrichter, dann eröffnete er den Kampf und es ging los. „Giftspitzen!“, ertönte Faiths Stimme entschlossen. Wenigstens würden jetzt alle von Joels eingewechselten Pokémon vergiftet werden, das hatte doch schon mal etwas. „Ich wusste gar nicht, dass du mit Taktik kämpfen kannst, liebste Faith.“ Grinsend nickte Joel seinem Glurak zu. „Flammenwurf!“ „Bibor, Agilität und ausweichen!“ Sie sah gebannt zu, wie Bibor seine Geschwindigkeit erhöhte, doch für ein Ausweichmanöver reichte es dann doch nicht mehr. Gluraks starker Flammenwurf erwischte das Käferpokémon mit voller Wucht, noch dazu handelte es sich eine Verbrennung ein. „Gifthieb, los!“ „Glurak, halt mit Feuerzahn dagegen!“ Während Bibor sehr angeschlagen auf Glurak zuflog und ihm einen Gifthieb verpasste, verbiss Glurak sich im Körper der Wespe. Bibor wehrte sich, war aber zu geschwächt und sank besiegt zu Boden. Faith atmet tief durch. Das Publikum applaudierte Joel und Bibors Bild unter ihrem erlosch auf dem großen Bildschirm, den sie halb im Augenwinkel sehen konnte. „Mantax, du schaffst das!“ Mit diesen Worten schickte sie ihr einziges Wasserpokémon ins Rennen. Mantax konnte sich an Land zwar nicht gut bewegen, aber auch als Glurak sich in die Luft erhob, traf seine Aquawelle noch. Im nächsten Moment prallten Flammenwurf und Blubbstrahl aufeinander. Beide Pokémon schenkten sich nichts, es wirkte eine Weile ausgeglichen, doch dann erkämpfte sich Mantax Meter für Meter, bis es Glurak traf und es abschießen konnte. Joel zog sein besiegtes Feuerpokémon zurück, überlegte kurz und entschied sich dann für Lapras. „Eisstrahl, mein Kleines! Lass bloß nicht nach!“ Lapras zuckte kurz zusammen, als es sich an den Giftspitzen vergiftete, doch dann gab es bereits sein Bestes. Die beiden Wasserpokémon waren auf dem Land beide eher schwerfällig und so bestand dieses Duell aus abwechselnden Treffern. Sowohl Faith als auch Joel wussten, dass dies solange gehen würde, bis eines der beiden Pokémon keine Kraft mehr hatte und aufgab. Lautstark feuerte Faith ihr Mantax an, das immer wieder Aquawelle und Ampelleuchte einsetzte. Doch dann kam ihr auf einmal eine Idee. Sie wartete ab, bis Lapras eine Aquawelle mit Eisstrahl gekontert hatte, dann befahl sie die Attacke Sprungfeder. Mantax war auch ein Flugtyp, sprang elegant mit seinen großen Rochenflügeln in die Luft und ließ sich auf Lapras klatschen. Joels Pokémon regte sich nicht mehr und als er es zurückzog, klatschte Mantax vergnügt auf den Boden. Faith spürte ihr Herz rasen. Es stand zwei zu eins für sie und Joel setzte jetzt Lucario ein. Sie wusste, dass Lucario ein sehr starkes Pokémon war, vielleicht sogar Joels stärkstes Pokémon. Zudem blieb es als Stahltyp von den Giftspitzen unberührt. „Lucario, Patronenhieb!“ Sofort setzte Lucario zum Angriff an und verpasste Mantax einige gute Treffer mit der Stahlattacke. Mantax, das bereits stark vom Kampf gegen Lapras geschwächt war, konnte dem nicht viel entgegen setzen. Zwar erwischte es Lucario mit Flügelschlag, doch dann blieb es liegen und Faith musste es einwechseln. Es stand nun zwei zu zwei und sie wählte Tauboga. Eigentlich hatte Faith gehofft, dass sie mit Tauboga einen Vorteil hatte, weil ihr Pokémon fliegen konnte, doch Lucario konnte gut springen, war wendig und seine Treffer waren sehr hart. Es konnte einen Volltreffer mit Drachenpuls landen, der Tauboga bereits stark zusetzte, woraufhin die Jungtrainerin mit den türkisfarbenen Haaren sich nervös auf die Unterlippe biss. Sicher, Joel war ein starker Gegner, aber ihr Gefühl meldete ihr gerade, dass sie gegen ihn verlieren würde. Zwar gab sich Tauboga sehr viel Mühe, aber seine Angriffe überstand Lucario scheinbar mühelos. Als Joels Kampf-Stahl-Pokémon Nahkampf einsetzte, war Tauboga fast besiegt. Doch auf einmal begann das Flugpokémon zu leuchten. Die Zuschauer raunten, dann klatschten sie begeistert und sahen ebenso wie Faith beeindruckt zu, wie Tauboga sich zu Tauboss entwickelte. Aber Lucario wartete nicht lange, ein letzter Patronenhieb brachte Tauboss trotz Entwicklung zu Boden. Es stand drei zu zwei für Joel. Auf einmal war Faith sich gar nicht mehr sicher, was sie machen sollte. Sie hatte noch Voltilamm, Folipurba und Unratütox. Sie atmete tief durch und erinnerte sich an Minamis Worte. Es war egal, ob man gewann oder verlor, wenn man seinem Herz folgte und Erfahrung sammelte. Ja, sie hatte Erfahrung gesammelt. Ihre Pokémon und sie hatten dieses Abenteuer gemeinsam bestritten, was sich auch daran ablesen ließ, dass Tauboga sich ihr zuliebe zu Tauboss entwickelt hatte. „Voltilamm, Donner!“ „Vol!“ Das kleine Elektroschaf setzte sofort die gewünschte Attacke ein und traf Lucario überraschend mit einem Volltreffer. Lucario strauchelte nach hinten, knurrte und stellte sein Fell ähnlich einer Klobürste auf. Dann sprang es nach vorne und verpasste Voltilamm einen Himmelhieb, gefolgt von der Bodenattacke Knochenhatz, die gegen Voltilamm sehr effektiv war. Auch Folipurba wurde von Lucario besiegt, weil dieses die Zuchtattacke Feuerfeger beherrschte. Faith seufzte, als sie zu Lucario, das bereits ziemlich fertig war und schnaufte, blickte. Es stand fünf zu zwei für Joel und ihm war der Sieg schon so gut wie sicher. Sie besaß nur noch Unratütox, das natürlich eine Kämpfernatur war, aber wie sollte es vier Pokémon von Joel besiegen? Zumindest sah Faith jetzt ein, dass Lucario bei Joel gut aufgehoben war. Zwar war es bitter, dass sie ausgerechnet von dem Pokémon nahezu im Alleingang besiegt worden war, das Rocko einst ihr geschenkt hatte, aber Riolu hatte damals zu Joel gewollt und sich bei ihm zu Lucario entwickelt. Sie entließ Unratütox und nickte ihm zu. Bis zum Ende war sie Joel einen fairen Kampf schuldig. „Bodycheck!“ Unratütox rannte auf Lucario zu, wich einer Attacke aus und rammte Lucario. Beide Pokémon fielen zu Boden, doch Unratütox stand im Gegensatz zu Lucario nur leicht verletzt wieder auf. Joel zog Lucario zurück und sein Blick begegnete dem von Faith. Natürlich war er sich seines Sieges bereits gewiss, aber auch er wollte Faith einen fairen Kampf bieten. Also entließ er Nidoking, sein jüngstes Teammitglied. Bodenattacken waren gegen Giftpokémon wie Unratütox effektiv, dementsprechend wählte er Erdkräfte aus, das Unratütox mit einem Volltreffer besiegte. Es war vorbei, Faiths letztes Teammitglied war besiegt. Sie hatte verloren. Trotzdem fühlte sie sich nicht als Verliererin, als sie Unratütox lobte und in den Pokéball zurückholte. Nachdem auch Joel sein Pokémon vom Kampffeld genommen hatte, ging sie zu ihm und blieb vor ihm stehen. „Ich gratuliere dir, Joel. Du hast es dir verdient.“ „Und du bist mir nicht böse?“ „Nein. Vielleicht ein kleines bisschen, aber ich sehe ein, dass du der bessere Trainer von uns bist.“ Er lächelte sie zuckersüß an. „Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel, meine Liebe?“ Faith zuckte betont gelassen mit den Schultern. „Sagen wir, man hat mir gesagt, dass es nicht auf Sieg oder Niederlage ankommt. Ich wollte immer Champion werden und bin schon so weit gekommen. Jetzt bin ich aber gar nicht traurig, weil ich verloren habe, denn ich habe ein so großes Abenteuer hinter mir. Ich bin an der Erfahrung gewachsen.“ „Das sind die ersten vernünftigen Worte, die ich von dir höre.“ „Hey!“ Sie schlug ihm spielerisch gegen den Oberarm und lachte. „Jetzt suche ich mir neue Ziele.“ Joel lächelte zufrieden und seine Augen schienen in einem warmen Braunton zu leuchten. „Beantworte mir bitte eine Frage, Faith. Wieso hast du für diesen Kampf den Schmuck angezogen, den ich dir geschenkt habe?“ Sie zögerte mit ihrer Antwort, überlegte und legte schließlich den Kopf ein wenig schief. „Mein Herz hat mir dazu geraten. Ich sollte öfter auf mein Herz hören, es führt mich immer auf den richtigen Weg und es wird mich auch für immer auf den richtigen Weg führen.“ „Und wohin führt es dich jetzt?“ Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie seine Hand in ihre nahm und gemeinsam mit ihm das Kampffeld hinter sich ließ, wobei sie spürte, dass Joel den Druck ihrer Finger erwiderte. „Wer weiß. Aber ich bin mir sicher, dass ich diesen Weg nicht alleine gehen muss.“ - ENDE - Epilog: Epilog -------------- Die Türen glitten lautlos auf und man hatte sofort das Gefühl gegen eine Wand aus Hitze und dem Geruch von Meeresluft zu laufen. Das Rauschen der Wellen bildete eine leise Hintergrundmusik, der man nicht entkommen konnte, selbst wenn man den kleinen Bahnhof von Orchid City verließ und tiefer in die Kleinstadt hineinlief. Orchid City lag direkt am Meer, hohe Steilküsten und tiefe Buchten mit feinen Sandstränden waren ebenso wie die weißen, mediterranen Häuschen, die vielen Palmen und Orchideen ausschlaggebend für das Stadtbild. Letzteren verdankte der ehemalige Fischerort Orchidea schon vor der Umbenennung in Orchid City den Namen. Vom Bahnhof aus führte eine Straße direkt ins Stadtzentrum, wo man sich im Pokémoncenter für die Vergabe der Pokémon anmelden konnte. Stimmten die Daten mit der Voranmeldung überein, wurde alles von Schwester Joy abgestempelt und man konnte zum Labor von Professorin Palm gehen, welches wiederum ebenso wie der Bahnhof am Stadtrand lag. Vor dem Labor erstreckte sich eine lange Kiesauffahrt und oben angekommen stach der riesige Wintergarten des Labors ins Auge. Obwohl die Winter hier sehr mild waren und selbst im Januar noch um die fünfzehn Grad herrschten, schien Professorin Palm ihren riesigen Wintergarten mit viel Hingabe und Liebe zu pflegen. Beeindruckt tauschten die jungen Light-Zwillinge einen Blick aus, doch dann überwog wieder die Aufregung, die jeden Jungtrainer vor der Vergabe des ersten Pokémon erfasste. Die Entscheidung gegen ihre Heimatregion Finera bei der Wahl ihrer Startregion war ihnen ebenso schwer gefallen wie die Entscheidung gegen die altbekannten Regionen. Am Ende hatte sie die weit entfernte Region Turfu mit den hochmodernen Städten und der wilden und unberührten Natur überzeugt. In dieser Hinsicht waren sich Summer und Rain zur Abwechslung mal einig gewesen. Summer strich sich das lange hellgrüne Haar aus dem Gesicht. Sie trug meistens einen Pferdeschwanz, aber trotzdem ließ sich ihr Haar nur schwer bändigen und einzelne Strähnen lösten sich aus dem Haargummi. Als sie aufgeregt am Labor klingelte, wirkte Rain neben ihr fast schon gleichgültig und zwirbelte einige ihrer kurzen mittelgrünen Haarsträhnen auf dem Zeigefinger auf. Sobald die Professorin jedoch die Tür öffnete, schauten beide neugierig zu der noch recht jungen Frau auf. „Ihr müsst Summer Light und Rain Light sein, Schwester Joy hat mich eben angerufen und mir mitgeteilt, dass ihr auf dem Weg seid. Meine Güte, ihr seht eurer Mutter wirklich ähnlich.“ Die beiden lächelten, das bekamen die natürlich häufiger zu hören. Ihre Mutter Faith war Pilotin und kam sehr viel in der Welt herum. Deshalb kannte Professorin Palm sie auch persönlich, wobei ihre Bemerkung wirklich der Wahrheit entsprach. Summer und Rain hatten die Gesichtszüge ihrer Mutter geerbt, besaßen jedoch im Gegensatz zu ihren Eltern grüne Augen und grüne Haare, die allerdings ebenfalls von Faiths Seite der Familie vererbt worden waren. „Kommt doch rein. Wollt ihr etwas trinken?“ „Nein, danke. Wir sind zu aufgeregt wegen unserer Pokémon“, antwortete Rain mit einem deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl in der Stimme und einem minimalen Zucken ihrer Mundwinkel. Als Summer ihr in die Seite stieß, zuckte sie lediglich mit den Schultern und erntete ein nachsichtiges Lächeln der Professorin. Rain hatte ihren Charakter eindeutig von ihrem Vater Joel, einem Bankdirektor in Honey Island, denn sie ähnelte ihrer Tante Trixi sehr stark, jedenfalls was ihre Art anging. „Na dann folgt mir einfach ins Labor, eure Pokémon liegen bereits bereit.“ Professorin Palm führte sie in ein gefliestes Labor neben dem Wintergarten. Ein breiter Torbogen führte von dort zu einer schönen Terrasse, von der aus man einen perfekten Blick auf die Klippen und das Meer hatte. Turfu unterschied sich in vielerlei Hinsicht von den anderen Regionen, so auch bei der Vergabe der Pokémon. Da Turfu eher spärlich bewohnt war und sich die Einwohner fast ausschließlich auf die Städte und deren Umgebung konzentrierten, war die Region erst vor einigen Jahren dem Ligaverband beigetreten und besaß auch erst seit dieser Zeit Arenen. Um das Gleichgewicht der Pokémon zu schützen, wurden nur Pokémon an Jungtrainer verteilt, die zuvor in Pensionen geboren, von Trainern gespendet oder in der Wildnis verletzt gefunden und dann in Pokémoncentern aufgepäppelt worden waren. Auch mussten alle angehenden Trainer im Vorfeld einen langen Fragebogen ausfüllen, der von Professorin Palm und Schwester Joy ausgewertet wurde. Anhand des Fragebogens wurden potenzielle Startpokémon aus den zur Verfügung stehenden Pokémon ausgewählt, da auch die Charaktereigenschaften von Trainer und Pokémon zueinander passen sollten. „Der Test ist bei euch an einigen Stellen sehr unterschiedlich ausgefallen“, erklärte die Professorin und holte zwei Pokébälle aus dem Regal. „Also wundert euch bitte nicht, wenn eure Pokémon nicht nur charakterlich sehr unterschiedlich sind. Sie werden auf Dauer gut zu euch passen, da bin ich mir sicher.“ Summer und Rain nahmen ihren Pokéball und tauschten einen Blick aus. Es war ein offenes Geheimnis, dass Summer – die jüngere Zwillingsschwester – mit ihrer selbstbewussten und quirligen Art sehr nach ihrer Mutter kam, was sie oft genug als Entschuldigung ausnutzte, wenn sie sich in Schwierigkeiten manövriert hatte. Rain hingegen war ruhig, sehr vernünftig und hielt sich grundsätzlich aus Problemen anderer Leute heraus. Die beiden bedankten sich bei der Professorin, erhielten dann noch ihren Comdex – ein Gerät, das Pokédex, Handy, Computer und Lagerboxen für Pokémon in der Größe einer etwas klobigen Armbanduhr in sich vereinte – und verließen das Labor. Sie wollten ihre Starterpokémon draußen entlassen, wo mehr Platz war. „Ich bin so aufgeregt“, flüsterte Summer. „Wenn Henry hier wäre, wüsste er bestimmt ein paar passende Sprüche.“ „Henry ist aber nicht hier“, erwiderte Rain kopfschüttelnd, doch auch sie lächelte bei dem Gedanken an Henry Frost. Der ältere Junge mit den dunkelblauen Haaren war wie ein Bruder für sie, denn er besuchte sie schon seit dem Kindesalter oft. Ihre Mutter und Henrys Vater Caleb waren nach der Zerschlagung von Team Dark Freunde geworden. „Ich kann nicht mehr warten.“ Summer grinste, drückte den Knopf des Pokéballs und entließ daraus ein Onix. Überrascht zog sie die Augenbrauen nach oben und betrachtete die riesige Felsnatter, die behutsam den Kopf senkte und sich von Summer neugierig betatschen ließ. „Wow, du bist wirklich riesig!“ „Onix!“ Das Pokémon schien zu lächelnd und das Wesen eines sanften Riesen zu besitzen. Vermutlich hatte die Professorin es ausgewählt, damit es Summers überstürzte Art abbremsen konnte. „Ich möchte es jetzt auch wissen.“ Mit leuchtenden Augen entließ Rain ihr erstes Pokémon, doch die Enttäuschung war ihr anzusehen, als sie ein grimmig dreinblickendes Karpador auf dem Kies liegen sah. „Ein Karpador…“ Sie verengte die Augen und kniete sich neben den orangefarbenen Karpfen, damit sie ihm in die Seite pieken konnte. Doch als Karpador ein empörtes „Kar!“ von sich gab und auf dem Trockenen zu hüpfen begann, zog sie es zurück. „Karpador? Das ist doch lächerlich!“ Summer, die gerade Onix umarmte, schaute zu ihrer Schwester. „Professorin Palm wird schon wissen, was sie tut. Du solltest Karpador wenigstens eine Chance geben. Mom war am Anfang mit ihrem Hornliu auch nicht glücklich, heute sind Bibor und sie noch immer ein unzertrennliches Team.“ Rain seufzte und nickte schließlich. Sie kannte die Geschichte von Faith und Bibor und wusste, dass sie Karpador eine Chance geben sollte. Außerdem würde es später ein starkes Garados werden. Die beiden Zwillingsschwestern machten sich langsam wieder auf den Rückweg zum Pokémoncenter. Sie hatten ihren Eltern versprochen, dass sie sich dort melden würden, auch wenn sie es natürlich von unterwegs aus jederzeit mit ihrem Comdex tun konnten. Aber der Weg zum Pokémoncenter war sowieso unerlässlich, denn dort würde man bereits auf sie warten. Als sie das Pokécenter erreichten, hatten sie nicht zu viel erwartet. Gleich mehrere Jungtrainer scharrten sich um die Zwillinge und erkundigten sich nach ihren Starterpokémon. Ganz vorne stand die Cousine von Summer und Rain. Grace Light war ebenso wie Henry Frost ein Jahr älter als die Zwillinge. Ihre Haare waren niedlich gelockt und goldblond, ihre Augen nussbraun. Sie umarmte ihre Cousinen flüchtig und zog sich dann in den Hintergrund zurück. Grace wollte ebenso wie ihre Mutter Trixi, die beim Großen Festival von Finera in ihrer Jugend den ersten Platz geholt hatte, Koordinatorin werden. Ihr Startpokémon war Schiggy, das sie in ihrem Heimatort Alabastia in Kanto von Professor Eich erhalten hatte. Neben Grace stand Julius von Rosenfels, ihr Halbbruder. Trixi hatte Julian von Rosenfels geheiratet, zog mit ihm nach Alabastia und er hatte Grace immer wie seine eigene Tochter großgezogen, doch ihren leiblichen Vater kannte Grace nicht, weshalb sie auch den Nachnamen ihrer Mutter trug. Julius gratulierte seinen Cousinen ebenfalls und legte dann einen Arm um Grace‘ Schultern, auch wenn er jünger war als sie. Er würde gemeinsam mit Grace durch Kanto reisen und hatte deshalb von seinem Vater ein junges Kapuno geschenkt bekommen. Die beiden hatten allerdings versprochen Summer und Rain bis nach Orchid City zu begleiten, weshalb sie nun auch hier waren. Nach Grace und Julius war Mariella Macpherson mit dem Gratulieren an der Reihe. Mariella war das einzige Kind von Itsuki und Anya, einer der Arenaleiter aus Finera. Sie besaß hellblonde Haare wie ihr Vater, taubenblaue Augen und war sehr zurückhaltend. Ihre ersten Lebensjahre hatte sie noch in Bad Puvicia in Finera verbracht, doch dann zog sie mit ihren Eltern nach Bad Lavastadt in Hoenn, wo ihre Mutter Familie hatte. Ihr Vater Itsuki arbeitete von Zuhause aus als Romanautor und war seit einem Bestseller sogar recht bekannt. Sie war genauso alt wie Summer und Rain und hatte ihren Starter – ein Flemmli – noch vor ihrer Abreise in Hoenn erhalten. Ihre Eltern bestanden darauf, dass sie ihr Glück als Trainerin im weit entfernten Turfu versuchte, damit sie mehr Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten bekam. Zur Sicherheit besaß Mariella jedoch auch ein Fukano ihrer Mutter und ein Firnontor, das aus einem Ei von Itsukis Frosdedje entstanden war. Die beiden sollten auf Mariella aufpassen, wenn sie mit Summer und Rain reiste. Etwas am Rand standen Andrew und Kay McCloud. Die beiden Söhne von Evan McCloud und Lynn Draco waren ein Jahr älter sowie ein Jahr jünger als Summer und Rain. Sie reisten auch durch Turfu, allerdings unabhängig von der Dreiergruppe von Summer, Rain und Mariella. Ihre Starterpokémon waren Shardrago und Remoraid. Ihr Vater Evan war bei dem Großen Festival damals Zweitplatzierter hinter Trixi Light geworden. Trixi und ihn verband seither eine Art Hassliebe, aber er hatte sich immer um Grace gekümmert, als wäre sie seine eigene Tochter. Erst mit Trixis Hochzeit mit Julian von Rosenfels, die von Evan selbst heute noch als keine Liebesheirat sondern zweckmäßige Geldvermehrung abgestempelt wurde, und dem Umzug nach Kanto war der Kontakt etwas weniger geworden. Jaden Goldberg und Eliza Goldberg schauten sich etwas unsicher an, dann gratulierten auch sie den Light-Zwillingen. Jaden war das ältere Kind von Mira und Mike Goldberg – Mimi Goldbergs jüngerer Bruder und der Sieger der Finera-Liga, bei der Joel damals Drittplatzierter wurde, weil er von Mike im Halbfinale besiegt wurde. Gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Eliza, die hier im Kreise der Jungtrainer eindeutig das Nesthäkchen war, wollte auch er durch Turfu reisen, allerdings ebenfalls wie Andrew und Kay unabhängig von Faiths Kindern und Mariella. Nur zu Anfang würden sie gemeinsam mit Mariella, Summer und Rain reisen, damit sie sich alle an Turfu und ihre neuen Pokémonpartner gewöhnen konnten. Jaden hatte von Professorin Palm am Vortag ein Spoink bekommen und Eliza ein Floink. Die beiden hatten noch zwei jüngere Geschwister, Joey und Amy, aber die waren noch zu jung für Pokémon. Die große Gruppe von Jungtrainern machte es sich in einem Straßencafé gegenüber vom Pokémoncenter gemütlich und verabschiedete Grace und Julius, die wieder zurück nach Kanto fuhren. Mit dem Zug ging es für sie in die nächste Stadt und von dort mit dem Solarflieger nach Kanto. Gegen Abend teilte sich die Gruppe schließlich auf und Summer, Rain und Mariella blieben alleine übrig. Die drei Mädchen bummelten noch ein wenig durch Orchid City, versorgten sich mit Pokémonfutter, Pokébällen und ließen das Lagerungssystem auf ihrem Comdex freischalten. Dann setzten sie sich auf den Balkon des Pokémoncenters und schauten in den Sonnenuntergang, den ersten, den sie hier in Turfu sahen. Morgen würde ihr eigenes Trainerabenteuer losgehen. Die nächste Generation stand in den Startlöchern für ihr großes Abenteuer. ----- Sollten noch Fragen offen sein, zögert nicht einen Kommentar zu hinterlassen. FAQs finden sich in der Fanfic-Beschreibung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)