Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 80: Sternenregen ------------------------ Der nächste Tag hielt leider entgegen der Wettervorhersage nur noch mehr Regen bereit, sodass die drei Jungtrainer ihren Strandspaziergang auf unbestimmte Zeit verschoben hatten. Stattdessen gönnten Faith, Mira und Evan sich einen entspannten Vormittag im Spaßbad von Litusiaville, nahmen anschließend ein köstliches Mahl im Restaurant von Faiths Eltern ein und spielten den Nachmittag über einige Brett- und Kartenspiele im Wohnzimmer. Als die Wanduhr siebzehn Uhr schlug, schaute Faith gerade aus dem Fenster. Es hatte vor einer halben Stunde aufgehört zu regnen und Mira drängte schon die ganze Zeit auf ihren Strandbesuch. Schließlich seufzte Faith und drehte sich zu Evan und Mira um, die am Couchtisch saßen und die Spielkarten zusammen räumten. „Na schön, wir gehen an den Strand. Allerdings kann ich euch nicht die Grotte außerhalb der Stadt zeigen, bis dahin ist der Weg jetzt zu weit. Es ist schon dunkel draußen und die Regenwolken haben sich auch noch vollständig nicht verzogen.“ „Du bist der Boss, Faith“, erwiderte Mira, doch in ihren Augen lag das freudige Strahlen einer hoffnungslosen Romantikerin, die bei den Worten ‚Strand‘ und ‚Meer‘ an Liebesfilme aus dem Kino dachte. „Evan, los, beeil dich.“ Sie stupste ihn an, sprang dann auf und zog sich im Flur ihre wasserdichten Halbschuhe an. Faith räumte noch schnell die Spiele vom Tisch zurück in den Schrank, dann machte auch sie sich fertig und streifte zuletzt eine knallrote Regenjacke über, die Rotkäppchen alle Ehre gemacht hätte. „Seid ihr soweit?“ „Klar, auf geht’s!“ Gut gelaunt marschierte Mira als Erste nach draußen, drehte sich einmal im Kreis und sog die frische Luft ein. „Ich liebe diesen Geruch von regennassen Straßen und salziger Meeresluft.“ „Vielleicht nicht gerade in dieser Kombination, aber ich stimme dir zu.“ Nachdem Faith die Haustür abgeschlossen hatte, folgte sie den beiden zur Strandpromenade. Doch plötzlich blieb sie stehen und legte nachdenklich den Kopf schief. „Stört es euch, wenn ich noch schnell beim Pokémoncenter vorbeigehe? Ich brauche doch noch meinen Rucksack von Joel. Ihr könntet einfach hier in der Gegend bleiben, dann finde ich euch von der Promenade aus ganz schnell wieder.“ „Geh nur, ich passe solange auf Mira auf.“ „Hey, ich brauche keinen Aufpasser!“ Evan grinste charmant und zog Mira zu sich. „Das sagt diejenige, die sich zweimal im Finsterwald verlaufen hat.“ Mira machte zwar ein empörtes Gesicht, erwiderte jedoch nichts, sondern kicherte einige Sekunden später in sich hinein. „Stimmt. Bis später dann, Faith.“ Faith nickte ihren beiden Freunden zu, wurde jedoch den Gedanken nicht los, dass Mira und Evan sich viel besser verstanden als zu der Zeit, als Faith noch mit ihnen gereist war. Gut, natürlich hatte Mira sich auf Evan im letzten Monat einstellen müssen, aber dennoch alberten die zwei herum, als wären sie längst die engsten Vertrauten. Ob da was im Busch war? Dieser Gedanke verfolgte Faith bis zum Pokémoncenter, wo sie sich bei Schwester Joy nach Joel Light erkundigte. Faith bekam ohne Probleme Joels Zimmernummer, lief die Treppe ins Obergeschoss hoch und klopfte an. Als Joel sie hereinbat, lugte sie durch die Tür und lächelte. „Hey, Joel. Ich will nur kurz meinen Rucksack abholen.“ Er schaute von einem Buch auf, runzelte die Stirn und stand auf. „Nur kurz deinen Rucksack holen? Du bist mir mindestens ein dickes, fettes Dankeschön schuldig, Faith Loraire. Was trägst du da mit dir rum, Bleiringe oder Ziegelsteine?“ „Nur das nötigste“, sprach sie mit einem breiten Grinsen und schloss die Tür hinter sich. In dem Moment entdeckte sie auch schon ihren Rucksack in der Ecke und schulterte ihn. „Du kannst ja mal mit Trixi zum Abendessen im Restaurant meiner Eltern vorbeischauen, dann hast du dein Dankeschön.“ „Ich möchte aber eins von dir und nicht von deinen Eltern“, murrte er sofort. Sie seufzte ergeben. „Schön, wenn mir etwas eingefallen ist, melde ich mich bei dir. Jetzt muss ich aber wirklich wieder los, Evan und Mira warten am Strand auf mich. Wir wollen noch eine Runde im Dunkeln spazieren gehen.“ „Ich komme mit.“ Faiths Widerworten zum Trotz hatte Joel blitzschnell seine Jacke und Schuhe angezogen und klopfte ihr auf die Schulter. „Na los, worauf wartest du.“ Etwas perplex trat sie aus seinem Zimmer und ging mit Joel im Schlepptau raus auf die Straße. „Wieso willst du mitkommen?“, fragte sie nach einigen Metern und legte den Kopf schief. Eigentlich hatte sie schnell der bedrückenden Enge von seinem Zimmer entkommen wollen, aber nun war es auch nicht wirklich besser. „Stehst du auf Spaziergänge oder wieso klebst du mir so an den Fersen?“ Joel schnaubte entrüstet und vergrub die Hände in den Jackentaschen. „Muss ich mich jetzt schon dafür rechtfertigen, dass ich dich an den Strand begleiten will?“ „Oh.“ Faiths Augen weiteten sich, als sie den Inhalt seiner Wörter begriff. Er war wegen ihr mitgekommen. „Oh… Eh…“ Eine intelligentere Antwort konnte sie im Moment nicht bieten, also schwieg sie verbissen, bis sie am Strand angekommen waren und das Meer sehen konnten. Was sollte sie jetzt tun, wie sollte sie sich verhalten? Es war ja nicht so, dass sie Joel nicht mochte, sie mochte ihn nur eben… anders. „Faith, ich…“ „Nein, schon okay.“ Mit einem aufgesetzten Lachen hielt sie krampfhaft nach Mira und Evan Ausschau, die sie jedoch nirgendwo erkennen konnte. Verdammt, nie waren sie da, wenn man sie gerade mal dringend brauchte. „Ehrlich, Joel, schon okay.“ „Du weißt doch gar nicht, was ich gerade sagen wollte.“ Prüfend sah er sie an, dann zuckten seine Mundwinkel minimal nach oben, doch ganz Gentleman sagte er nichts. Stattdessen schaute er zur Seite, wo Mira und Evan kichernd von einem Seitenweg zurück zum Strand kamen. Sein Blick fiel auf die verschränkten Hände der beiden, die sie sofort lösten, als sie Faith und Joel in der Dunkelheit erkannten. Ein Seitenblick zu Faith verriet Joel, dass diese ebenfalls eindeutig mitbekommen hatte, wie Evan und Mira miteinander umgingen. „Sieh einer an, das wird ja interessant.“ Mira lief rot an, was man selbst in der Dunkelheit noch gut erkennen konnte. Sie fuhr sich verlegen durch die Haare und lächelte Faith schmal an. „Wenn du willst, dass ich es dir erkläre…“ Doch Mira wurde von Joel unterbrochen. „Da gibt’s nichts zu erklären, nehmt euch doch einfach ein Zimmer.“ Faith verschluckte sich, hustete leise und starrte Joel mit großen Augen an. Zeitgleich riss Mira die Augen auf und Evan funkelte seinen Bekannten aus Kindheitstagen herausfordernd an. „Ich dachte, du bist… du… empfindest etwas für Itsuki?“ Mira nickte noch immer sehr verlegen. „Na ja weißt du, als ich erfahren habe, dass er für Team Dark arbeitet und du weg warst… Evan war für mich da und hat mich die ganze Zeit getröstet, ich… Faith, bitte, das ist nichts Ernstes zwischen uns. Wir sind Freunde… sehr gute Freunde, mehr nicht.“ „Wer es glaubt.“ „Halt dich mal mit deinen Kommentaren zurück, Light. Dich hat keiner um deine Meinung gebeten“, giftete Evan sofort und legte beschützerisch einen Arm um Miras Taille, doch sie entzog sich seiner lockeren Umarmung und blickte nun verzweifelt zu Faith. „Ich gehe zurück zu deinem Haus und warte dort auf dich. Lass es mich dir in Ruhe erzählen.“ Mira warf einen letzten Blick zu Joel, dann rannte sie den Strand hoch zu der Strandpromenade. Evan wartete keine drei Sekunden und folgte ihr im Stechschritt, sodass Faith mit Joel alleine zurückblieb. Sie schwieg eine ganze Weile, holte schließlich tief Luft und blickte auf das Meer hinaus, das nun wie ein schwarzer, flüssiger Teppich aussah. „Das habe ich irgendwie nicht erwartet.“ „Ach nein?“, fragte Joel mit trockener Stimme. „Evan ist lustig und charmant und Mira schenkt jedem ihr treues Herz, wenn man sie nur nett behandelt. Findest du das wirklich so überraschend?“ „Hör mal! Rede nicht so von ihr, okay? Wenn Mira meint, dass Evan der Richtige für sie ist, hast du nicht das Recht darüber zu urteilen!“ Joels Mund verzog sich zu einem wissenden Grinsen. „Du störst dich daran, dass sie glücklich ist und du nicht.“ „Das ist nicht wahr.“ „Oh doch, du bist sauer, weil Mira nicht genauso unter Itsukis Verrat leidet wie du.“ „Hör auf, Joel.“ „Du wünschst dir, dass sie ebenso leidet wie du, dass sie sich verraten fühlt und so unendlich verletzt, dass sie am liebsten schreien würde.“ „Hör auf!“ Wütend starrte Faith ihn an. Ihre Hände zitterten, aber sie hatte keine innere Kraft um ihm eine Ohrfeige zu geben. „Joel, hör auf damit!“ Ihr Herz raste vor Zorn und vor Schreck – vor allem vor Schreck, weil er ihre Gefühle besser kannte als sie selbst. Wie konnte er wissen, dass sie Itsuki gegenüber solche Gefühle hatte? Mit weichem, mitfühlendem Blick schaute er sie an und hob langsam die Hand, um ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr zu streichen. „Faith, du darfst verletzt sein. Itsuki hat dich verletzt und das kannst du auch zeigen. Mir musst du nicht beweisen, dass du stark bist. Ich weiß, dass du in deinem Inneren sehr zerbrechlich bist.“ Faith zitterte am ganzen Körper, als er sie in eine leichte Umarmung zog. „Wieso muss ich mir das von dir sagen lassen?“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme und schaute hinauf in den Himmel, wo die Sterne über ihnen wie winzige Leuchtfeuer strahlten. „Joel, ich verstehe momentan so viele Dinge nicht. Ich…“ „Sch… Ist schon gut, Faith. Ich bin hier.“ Beruhigend strich er ihr über den Kopf, hielt sie im Arm und blickte ebenso wie sie zu den Sternen über ihren Köpfen empor. „Als du am Tempel im Regen auf einmal vor mir standest, wusste ich nicht, was ich fühlen sollte. Joel…“ „Faith“, murmelte er, löste sich ein wenig von ihr und schaute ihr tief in die Augen. „Ich kann warten, bis du es weißt. Ich werde auf den Tag warten, an dem du weißt, was du fühlst. Und egal, was es sein wird, ich kann es akzeptieren, wenn ich weiß, dass es dir gut geht.“ Sie nickte schwach und in ihren Augen spiegelten sich die Sternschnuppen, die sich vom Himmel lösten und über dem Meer auf die Erde fielen. Faith schloss die Augen und dachte an das Einzige, was sie sich in diesem Moment wünschte. Vielleicht würde es eines Tages in Erfüllung gehen. Vielleicht konnte sie Joel das zurückgeben, was er ihr schenkte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)