Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 78: Zuhause ------------------- Schweigend saßen Joel und Faith am Frühstückstisch, wobei sie darauf achteten möglichst viel Abstand zwischen sich zu bringen. Faith saß an dem einen Kopfende und Joel am anderen, sie sprachen nur miteinander, wenn die Butter oder der Käse rüber gereicht werden musste. Es war eine komische Situation, nach dem letzten Abend wussten beide nicht, wie sie sich verhalten sollten. Faith hatte das Gefühl, dass sie Joel irgendwie verletzt oder enttäuscht hatte, aber sie wusste nicht wie oder warum. Amüsiert blickte Yolinda zwischen den beiden hin und her. „Ihr zwei seid wirklich offene Bücher. Schreit es doch gleich zur ganzen Welt hinaus.“ Verwirrt blinzelnd blickte Faith von ihrem Brötchen, das sie kaum angerührt hatte, auf. „Wie meinen Sie das?“ Yolinda lachte auf, schüttelte grinsend den Kopf und begann ihr Geschirr abzuräumen. „Ihr zwei seid ineinander verliebt, das sieht selbst ein Blinder mit Krückstock. Nun, zumindest ist dieser junge Mann offensichtlich in die verliebt und du merkst es nicht, meine Liebe.“ Faith wollte gerade protestieren, als Joels Tasse klirrend auf den Boden fiel und in Scherben zerbrach. Er funkelte sowohl Yolinda als auch Faith wütend an, stand wortlos auf und sammelte die Scherben ein, damit er sie in den Mülleimer werfen konnte. Zu seinem Glück hatte er seinen Tee bereits ausgetrunken und sich nur an die Tasse geklammert wie an einen Rettungsring. „Ich gehe mir etwas die Beine vertreten“, gab Joel murrend von sich und verließ die Küche. Keine Minute später hörte man, wie die Haustür ins Schloss fiel. „Was ist denn mit dem los“, brummte Faith und aß schnell das Brötchen auf, auch wenn sie keinen Hunger mehr hatte. Yolindas Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, zumal Joel absolut untypisch reagiert hatte. Wenn Yolinda Recht hatte, bedeutete das, dass… Joel tatsächlich tiefere Gefühle für sie hegte? Nein, das konnte nicht sein, sie waren doch Rivalen. Ja, genau, sie waren die größten Konkurrenten, Yolinda musste sich irren. „Ich sehe mal nach ihm.“ „Ich würde ihn in Ruhe lassen, Liebes.“ „Nein, sonst stellt er noch etwas an oder fängt an zu trainieren.“ Mit einem schmalen Lächeln folgte Faith ihm nach draußen, doch sie entdeckte ihn erst einige Minuten später an einem Brunnen hinter dem Tempel. Joel lehnte an dem Brunnen, fuhr sich durch die Haare und schaute auf, als Faith zu ihm trat. „Du bist der unselbstständigste Mensch, den ich kenne. Musst du an mir kleben wie eine Motte an der Straßenlaterne? Faith, verzieh dich.“ „Idiot“, murmelte sie und ihre Miene verfinsterte sich sofort, dennoch blieb sie beharrlich vor ihm stehen und wich keinen Millimeter zurück. „Dein Verhalten gerade war extrem unhöflich, du hättest dich wenigstens bei Yolinda entschuldigen können.“ „Ach lass mich einfach in Ruhe.“ „Joel…“ „Nein, nichts da ‚Joel‘!“ Fauchend lief er an ihr vorbei, blieb stehen, kehrte um und kam zurück. „Denkst du wirklich, dass alle Welt deine Hilfe braucht, Faith Loraire? Du siehst doch, wohin das führt. Wieso musst du dich ständig in die Sachen anderer Leute einmischen, hm? Das ist dumm, naiv und kindisch. Die Welt dreht sich nicht nur um dich und deinen Hilfszwang, bei Team Dark haben wir doch alle gesehen, wohin das geführt hat. Jetzt schon wieder. Gott, Faith, lass mich einfach in Ruhe, okay?“ Sprachlos starrte sie ihn an. Sie wollte ihm irgendetwas Gemeines an den Kopf werfen, ihn irgendwie mit ihren Worten verletzen, aber ihr fiel einfach nichts ein. Stattdessen verengte sie die Augen, doch da drückte er ihr auch schon einen Pokéball in die Hand. „Was soll ich damit“, fragte sie etwas ungehalten und drückte auf den Knopf, woraufhin sich ein Glurak materialisierte. Sichtlich beeindruckt schaute sie zu dem mächtigen Feuerpokémon, da vergaß sie sogar, dass sie eigentlich wütend sein wollte. „Joel, was soll ich damit?“ „Beim Arenakampf hat sich Glutexo zu Glurak entwickelt. Ich möchte, dass du es nimmst und nach Hause fliegst.“ „Was?“ „Du kommst doch aus Litusiaville, das ist ohnehin die Stadt mit der nächsten Arena. Deine Hand muss medizinisch versorgt werden und bis Team Dark in Schloss Dunkelstein gefunden ist, bist du in Gefahr. Bitte, flieg auf Gluraks Rücken zurück nach Hause.“ Faith schaute ihn an, nur langsam guckte sie wieder freundlicher, aber dann lächelte sie ehrlich und nickte. „Danke, Joel.“ Er nickte ebenfalls leicht und klopfte seinem treuen Freund Glurak auf die Flanke. „Es wird dich tragen können, aber du solltest spätestens jede Stunde eine Pause einlegen. Ihr müsst von hier aus die ganze Zeit nur südwestlich fliegen, dann solltet ihr noch heute Abend am Meer ankommen. Gönn Glurak die Nacht über Ruhe und dann fliegt es am nächsten Tag zurück nach Schloss Dunkelstein.“ Das Feuerpokémon klopfte sich zuversichtlich auf die Brust und nahm Faith anschließend in einen liebevollen Schwitzkasten. „Rak!“ „Ja, freut mich auch, Glurak.“ Hustend befreite sich die Jungtrainerin aus Gluraks Griff. „Also schön, ich werde dein Angebot annehmen. Aber wieso tust du das? Willst du im Gegenzug, dass ich dir in der Liga den Vortritt lasse?“ „Dummchen“, erwiderte Joel und schüttelte pikiert den Kopf. „Natürlich will ich das nicht. Ich werde dich auch ohne Absprachen und Tricks besiegen.“ „Nein, wirst du nicht.“ „Doch, werde ich, ich bin viel talentierter als du, akzeptier es einfach“, sprach er mit hochgezogenen Augenbrauen, doch ging er nicht weiter auf das Thema ein, sonst würden sie noch in drei Tagen hier stehen und argumentieren. Yolinda räusperte sich und erst da bemerkten die beiden, dass die alte Dame zu ihnen nach draußen gekommen war. „Ich habe euer Gespräch mitbekommen und dir gleich eine Lunchbox fertig gemacht, Liebes. Die Kauriegel sind für Glurak, damit bekommt es viel Energie für den Flug.“ „Vielen Dank, Yolinda.“ Faith umarmte die alte Frau, dann nahm sie die Box, die in ein Tuch eingewickelt war. „Danke für alles. Ich denke, ich sollte dann jetzt auch aufbrechen.“ „Ich wünsche dir einen guten Flug, Liebes. Komm gut nach Hause.“ Sie lächelte mild, trat einen Schritt zur Seite und stupste Joel an. Dieser fuhr sich durch die Haare, dann nickte er Glurak und Faith zu. „Pass gut auf sie auf, Glurak.“ „Glu! Rak, rak!“ „Und du pass auch auf dich auf, Faith. In einer Weile sehen wir uns wieder, ruh dich bis dahin aus.“ „Das würde dir wohl so passen, ich trainiere natürlich, du Holzkopf.“ Faith grinste, stieg dann auf Gluraks Rücken und positionierte sich so, dass sie sich mit Beinen und Händen an Glurak festhalten konnte. Sie war noch nie auf so einem Pokémon geflogen, daher klopfte ihr Herz vor Aufregung. Das Tuch mit der Lunchbox hatte sie an ihre Jeans gebunden. „Danke für das Ausleihen von Glurak, Joel. Dafür hast du was gut bei mir. Sag Mira und Evan, dass ich in Litusiaville auf sie warten werde.“ „Mach ich.“ Er winkte ihr ebenso wie Yolinda zu, als Glurak sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft erhob und noch eine Runde über dem Tempelgelände drehte. „Und denk dran mir meinen Rucksack mitzubringen!“, rief sie nach unten zu Joel, der überrascht die Augen aufriss und scheinbar etwas erwiderte, was sie nicht verstehen konnte. Faith hielt den Atem an, als der Tempel immer kleiner wurde und Glurak sich in südwestliche Richtung orientierte. „Aber bitte flieg vorsichtig, damit ich nicht runterfalle oder mir schlecht wird, ja?“ Sie konnte das Grinsen des Pokémon sehen, doch Glurak benahm sich und verfiel schon bald in einen ruhigen Flug etwa vierzig Meter über dem Boden. Die Bäume des Finsterwalds rauschten wie eine dunkelgrüne Masse unter ihnen vorbei. Faith genoss den Flug, aber sie nahm die Hände nicht einmal von Gluraks Hals, weil sie Angst hatte dann das Gleichgewicht zu verlieren und runterzufallen. Auch presste sie die ganze Zeit ihre Beine gegen Gluraks Flanken, das würde einen höllischen Muskelkater geben, da war sie sich absolut sicher. Der Flugwind peitschte in ihr Gesicht, sobald sie sich etwas gerader hinsetzen wollte, daher musste sie die ganze Zeit gebeugt auf dem Rücken des Feuerpokémon verharren – bequem war es nicht gerade, aber man konnte sich daran gewöhnen. Die Zeit verging wortwörtlich wie im Flug, schon bald war die erste Stunde rum und sie machten auf einer kleinen Lichtung eine Pause. Glurak war zwar kräftig, aber sechzig Kilo Fracht auf dem Rücken waren eben doch nicht mal eben so zu stemmen. Faith gab Glurak bei jeder Pause einen der Energieriegel und jedes Mal musste sich Glurak etwa eine Stunde lang erholen. Auf diese Weise dauerte es bis zur Abenddämmerung, als das Meer in Sicht kam. „Siehst du die Lichter dort am Meer? Das ist Litusiaville, wir sind fast da!“ Freudig blickte Faith auf ihre Heimatstadt, die langsam in Sicht kam. Direkt unter ihnen lag das Dorf Kelka mit seinen vielen Bauernhöfen und der kleinen Wettbewerbshalle. Glurak hatte seine Flughöhe wegen der Meereswinde auf mehr als das Doppelte vergrößert, daher dauerte der Landeanflug auch etwas länger, denn Faith wollte in einem sanften Sinkflug landen und nicht mit einem Sturzflug. Als Glurak am Strand eine Bilderbuchlandung hinlegte, sprang Faith vom Rücken des Pokémon und atmete die salzige Meeresluft ein. Sofort kam ein Gefühl von Zuhause auf, sie brauchte das Meer einfach und vermisste es jeden Tag, wenn sie nicht hier war. „Komm mit, ich wohne nicht weit von hier.“ Sie grinste, als einige Spaziergänger sie und Glurak interessiert musterten. Faith steuerte direkt das Restaurant ihrer Eltern an, öffnete die Haustür und strahlte ihre Mutter an, die gerade das Abendessen für ihren Ehemann und sich vorbereitete. „Mom, ich bin wieder hier!“ „Faith!“ Überrascht schaute ihre Mutter sie an und umarmte sie sofort. „Das freut mich, Schatz. Wie kommt es, dass du hier bist? Ist das dein Glurak?“ „Was? Oh, nein, ist es leider nicht.“ Faith grinste und zog Glurak dankbar in den Pokéball, den Joel ihr gegeben hatte. „Das ist eine lange Geschichte. Sie fängt mit meinem Arenakampf in Schloss Dunkelstein an und endet mit einem Jungen, der nicht zugeben kann, dass ich die bessere Pokémontrainerin bin.“ Lachend setzte sie sich zu ihrer Mutter an den Küchentisch und begann die Erlebnisse der vergangenen Zeit zu erzählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)