Sage ich es eben jetzt! von Komori-666 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Und das fällt dir jetzt ganz plötzlich ein?!“ „Was regst du dich denn so auf? Ich kann's doch auch nicht ändern!“ „Und ausgerechnet jetzt kommst du auf so eine beschissene Idee?“ „Das ist ja kein Geistesblitz, der mir spontan kam, das ist eine Tatsache!“ „Ach so, jetzt stempelst du es wieder als unabdingbare Tatsache ab! Ich glaub’s einfach nicht! Du machst es dir wie immer ziemlich leicht.“ „Jetzt bin ich daran schuld, dass du so bist!“ Wir befanden uns mitten im Unterricht. Mein Banknachbar, der gleichzeitig auch mein bester Freund war, saß übellaunig neben mir. Gereizt zischten wir uns gegenseitig an, ignorierten die Tatsache, dass alle um uns herum uns vielleicht hören könnten. Gut, wahrscheinlich nicht nur vielleicht… „Dass ich dein Typ bin... !“, er hörte sich zugegebenermaßen etwas fassungslos an. Und ungläubig. „Schreib es doch gleich an die Tafel, dann musst du es nicht so laut herumposaunen!“ „Und das fällt dir erst jetzt ein?!“ „Das mit der Tafel?“ „Du weißt genau, was ich meine!“, knurrte er mich aggressiv an, hatte anscheinend nicht die Absicht sich wieder zu beruhigen. Schade eigentlich. „Ja, ja is' ja gut. Reg‘ dich ab." Im Nachhinein erkannte ich, dass ich mir das wohl hätte sparen können, wurde er jetzt erst so richtig wütend. Das war dann wohl das bekannte Öl im Feuer. „Halt einfach den Rand!“, sein Wunsch kam mir, um ehrlich zu sein, ganz recht. Nicht, dass mich der Unterricht interessiert hätte, aber mich mit Daniel weiter streiten? Das war absolut unnötig. Warum auch immer er sich an dem Thema so aufrieb, ändern würde es doch ohnehin nichts. Aber da schieden sich offensichtlich die Geister. Nachdem wir verstummten, verstummte auf einmal auch der Rest der Klasse. Sogar unser geschwätziger Benni, unser männliches Schnatterlieschen. Irgendetwas mussten wir verpasst haben, galt es nur noch herauszufinden was. Wir zwei waren wohl wirklich die beiden letzten, die die Situation nicht wirklich erfasst hatten. Der Rest der Meute war aufmerksam, ihr Blick nach vorne gerichtet. Man konnte sogar beobachten, wie es ein gewisses Funkeln in ihren Augen vor Begeisterung aufglomm. Na, das konnte doch nur eins bedeuten. Matze hatte sich wieder mit dem Lehrer angelegt. Als wäre es eine Seltenheit, ... aber faszinierend war es dennoch. Jedes Mal wieder. Und das wahrscheinlich auch nur, weil es uns von der Misere des eigentlichen Unterrichts abhielt. Er konnte es nicht lassen, man hätte meinen können es gab ihm den Kick. Ich seufzte und fragte mich wieder einmal - wie schon so oft in meinem Leben - was zum Henker mich dazu bewegt hatte, mittwochs in die Schule zu gehen. Aber die Antwort auf dieses Mittwochs-Drama saß zuhause und war gleich einem Kriegsheer, dem ich nichts hätte entgegensetzen können. Mittwoch war schon immer mein absoluter Favorit von allen Tagen. Unterricht bis halb fünf, Doppelstunde in Mathe gefolgt von Physik. Leider entsprach ich nicht dem männlichen Klischee des Mathe-Asses, das nebenbei Physikformeln locker flockig aus dem Ärmel schüttelte. Im Gegenteil. Und daher bedeutete dieser Tag nichts anderes, als den netten Herrn Lehrer drei volle Zeitstunden ununterbrochen ertragen zu müssen und mir wieder bewusst zu werden, wie viel Regenwald dafür würde abdanken müssen. Einst dachte ich, Mathe wäre gar kein schreibintensives Fach. Aber, gemäß dem Standard, wurde ich wieder einmal eines Besseren belehrt. Der Gute und seine Arbeitsblätter... Das ging jetzt schon zwei Jahre so. Und wenn es keine Arbeitsblätter waren, wurde eben fleißig diktiert. Inwiefern Diktate in Mathematik relevant waren? Nun, ich könnte jetzt anfangen, meinen nichtvorhandenen Bart zwischen den Fingern zu zwirbeln und Korrelationen suchen, aber ich kann nur so viel sagen: keine Ahnung. Das wusste wohl nur er. Oder Matze, denn die beiden diskutierten immer noch. Aber zurück zum Wesentlichen, das gerade neben mir saß und seine Wut ausbrütete. „Entspann dich mal wieder.“ „Schnauze.“ Er knurrte. „Aber wer wird denn gleich!“, neckte ich ihn. Immerhin musste ich das ganze irgendwie wieder auf die lockere Schiene zurückführen. Ich bin mir sicher, dass diese ganze Situation für mich letzten Endes doch viel unangenehmer war als für ihn. Auch wenn ich das nicht gezeigt habe, oder er mir das gar abkaufen würde. „Irgendwann wirst du so grob auf die Fresse fallen“, eine kurze Pause, „Und dann werde ich es sein, der dich auslacht.“ Ich strahlte ihn mit dem unschuldigsten Lächeln an, dass ich in petto hatte, „Das ist schön. Es freut mich, wenn mein bester Freund da ist, wenn ich hinfalle.“ „He ihr Idioten!“, ich zuckte vor Schreck zusammen, sah meinen Hintermann entgeistert an, der mir gerade diese drei unverheißungsvollen Wörter zugeflüstert hatte, ohne von seinem Heft aufzusehen. "Hä?" „Er kommt auf euch zu~“, es war nur noch ein fast unverständliches Nuscheln, doch ich hatte verstanden, was er sagte. Aber damit etwas richtig anfangen, konnte ich nicht. Ich sah ihn einfach nur fragend an. Doch dann folgte bereits Daniels Seitenhieb in meine Rippen. „Jetzt halt endlich deine Klappe und dreh dich wieder um!", mein lieber Kumpel hatte einen Ton an sich, der immer seine Laune genauestens zur Geltung brachte. Das konnte man schon fast als persönlichen Angriff nehmen. Wenn er wütend war, wurde er immer ein richtiges Mädchen. Ich grinste. Es war immer lustig, wie andere kleinlaut vor ihm untergingen. Mir persönlich machte das schon lange nichts mehr aus – mit der Enttäuschung konnte er nur schwer umgehen. Aber kannte ich ihn schon zu lange und ohnehin sah ich das alles etwas gelassener. "Diese ganze Klasse hat keinen Respekt! Ihr solltet euch alle was schämen! Ich bin hier der Lehrer und es gibt Regeln!" Komplexe erfolgreich zur Kenntnis genommen. Ob dieser Tag wohl jemals enden würde? Ich befürchtete nämlich schwer, dass ich noch eine lange Diskussion mit Daniel zu führen hatte. Und die Hausaufgaben für die morgigen Fächer musste ich mir immerhin auch noch erschnorren, Donnerstag war immerhin knapp getaktet, wenn ich vor Unterrichtsbeginn auch noch mein Lineal als Spicker für Latein vorbereiten wollte. Ich wollte gewappnet sein, sollten meine Souffleusen morgen unerwartet ausfallen. Unsere Klasse war an sich toll. Hier war einfach alles vertreten. Ein Sprachrohr, ein Sportler, ein Streber, ein Witzbold, ein Heiliger, der Gutes in jeder Kreatur fand, ein Kritiker, ein männliches Schnatterlieschen, ein Muttersöhnchen, die Schönheitskönigin, ein Macho, ein Kläger, ein religiöser Fanatiker der überall Sünden fand, ein Freiwilliger für alles und die überaus Artigen. Und dann natürlich noch Daniel und ich. „Ich fasse es immer noch nicht!“ „Ja, das habe ich mittlerweile verstanden! Hör endlich mal wieder damit auf… bitte! Du führst dich auf, wie eine pubertierende Dreizehnjährige!“ Damit kannte ich mich aus, da saß nämlich eine bei mir zu Hause. Mit einem Telefon. Die ganze Nacht. Und die Wände waren dünn. In dem Alter schien man als Frau echt Probleme zu haben. „Du tust ja gerade so, als wäre das nichts!“ „Du tust so, als wäre das viel. Ist nur ‚ne kleine Sache. Ich hab vorher auch gut damit leben können, also ignorier es einfach!" „Ignorieren?!“ fragte er ungläubig und zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Ja, ignorier es einfach und gut ist. Lass uns einfach so weitermachen, wie vorher.", sagte ich, mir der Tatsache sehr wohl bewusst, dass er ganz bestimmt nicht aufhören würde. Doch mein mittlerweile auch genervtes Ich vernahm nur Schweigen. Ich wähnte mich in Sicherheit und hatte sogar fast gedacht, die Sache wäre erledigt… doch wieder einmal irrte ich. Das hätte ich eigentlich wissen müssen. Im Unterricht, beziehungsweise den kompletten restlichen Schultag über, hatte er geschwiegen, versucht sich ganz normal zu verhalten. Doch jetzt, kaum waren wir auf dem Heimweg, ... „Wie vorher? Du bist ja ganz toll. Du stellst dir das alles viel zu einfach vor!“ „Nein, du bist einfach nur zu kompliziert. Sieh das doch nicht so eng." „Ich bin nicht kompliziert, ich bin stinksauer!" Ja, das hatte ich gemerkt. So gut, wie schon lange nicht mehr. Es passierte eigentlich sehr selten, dass er so aus der Haut fuhr. „Du hast gar keinen Grund dazu…" „Doch! Vor allem, weil immer nur du auf solche Ideen kommst und irgendwelche Sachen von dir gibst! Ich möchte dich noch einmal an das Fiasko an Halloween erinnern! Du denkst nicht ein einziges Mal an die Folgen!" Ach ja, Halloween... ich hasste es, ich hasse es und ich werde es immer hassen. ~ Daniel übernachtete bei mir, da er seine kleine Schwester keine Sekunde länger ertrug und ich meine zu seinem Leid auch noch vorbeigeschickt hatte. Ich fand den Plan vom Übernachten super und Daniel bestimmt auch. Zumindest für eine kurze Weile. Nebenbei sollte ich erwähnen, dass Halloween die Zeit war, in der man mich besonders dazu drängen sollte, mich von anderen fernzuhalten. Es war einfach keine gute Zeit. Die Kinder standen bereits vor unserer Haustür und Daniel war unglücklicherweise gerade oben, als die Gören lautstark ‚Süßes oder Saures‘ verlangten. Ich war aggressiv, nervös, nervtötend und einfach nur ein umherwandelndes Etwas, auf das man aufpassen sollte, wollte man größere Katastrophen vermeiden. Das hatte zwar nichts mit Halloween direkt zu tun, aber es diente jedes Mal wieder als einwandfreies Ventil. „Saures könnt ihr gerne haben!! Ich werd‘ euch schon zeigen, was sauer ist. Wisst ihr, was vor allem sauer sein wird? Der Nachgeschmack, bin ich erst einmal mit euch fertig! Verpisst euch mal ganz schnell wieder" Daraufhin wurde ich erst einmal von einem der hysterischen Elternteile unterbrochen, was ich mir denn erlaube und, dass es ja wohl an die größte Frechheit überhaupt grenze, vor ihren Augen den ’armen, ängstlichen, süßen und hilflosen Kindern' so zu drohen. Wieder fragte sie, was ich mir denn erlaube. "Das könnte ich Sie auch fragen! Was erlauben Sie ihren Kindern, deren Freunden und Anhängseln eigentlich? Es ist eine Dreistigkeit von Tür zu Tür zu rennen und nach Sachen zu fragen, die man anscheinend zu Hause nicht bekommt! Und ungesund noch dazu! Und stempeln Sie das verdammt noch mal nicht als Tradition oder Brauch ab, denn das ist es nicht! Es kommt aus England von den Kelten. Und die werden kaum ‚Süßes oder Saures‘ schreiend durch die Gegend gerannt sein und, überhaupt, ist selbst den Engländern unbekannt, wo denn jetzt eigentlich der Ursprung dieses Übels entstand! Es ist kein Brauch, sondern kindische Bettelei, damit die Kinder auf genau diese vorbereitet werden. Peinlich. Also frage ich Sie, was Sie sich denn bitte erlauben! Noch dazu verschwendet ihr hier auch noch Klopapier oder anderweitige Lebensmittel! Schämen Sie sich! Und trauen Sie sich ja nicht, hier auch nur irgendetwas anzurühren und nun: Husch, Husch! Verschwindet!" Ich hatte mich ablenken müssen, denn wie gesagt, diese Zeit im Jahr war keine gute für mich. Also hatte ich gedacht, Informationsbeschaffung wäre bestimmt nicht verkehrt und auch Daniel dachte, dass ich damit auf gute Weise abgelenkt gewesen wäre. Also hatte ich nicht einfach nur reichlich Material gefunden, sondern auch noch ausgiebig Zeit darüber nachzudenken, was ich den Störenfrieden vor unserer Tür sagen könnte. Ich war stolz auf mich. Was ich nicht mitbekommen hatte, Daniel stand einige Meter hinter mir. Er wusste, würde sich irgendjemand über mich beschweren, würde es auf ihn zurückfallen. Er hätte mich schließlich auch von der Tür weghalten können. Ich hätte schwören können, dass ihm das sogar heimlich aufgetragen worden war. Hatte ich erwähnt, dass sich in unserem kleinen Ort alle sehr gut kennen? ~ „Oh...“, ich erinnerte mich dunkel an die Konsequenzen, die bedauerlicherweise auf uns beide zurückfielen. „Das war auch einer deiner spontanen Geistesergüsse, die mir alles nur gewiss nichts Gutes gebracht haben!“ „Ach komm, du fandest das doch auch witzig…“, ich wies ihn wohl besser nicht darauf hin, dass er ‚spontan‘ aus seiner Aussage streichen konnte. „Witzig? Das waren weit und breit die einzigen Leute, die uns einen Ferienjob hätten geben können! Du wohnst in einem Kaff und keiner Großstadt, da muss man verdammt nochmal aufpassen, was man sagt! Und das heute war eine genauso bescheuerte Aktion! So was fällt dir natürlich ausgerechnet heute ein…“ „Himmel, mach mal halblang. Fresse jetzt, man kann’s sich ja schon nicht mehr mit anhören! Es ist in Ordnung, okay?! Ich werd‘ nichts mehr sagen. Hätten wir dieses Thema dann jetzt endlich durch?“ Er sah mich entgeistert an, „Nein?!“ Ich sagte nichts mehr, schnaufte genervt und ging einfach weiter geradeaus. Wir schwiegen eine Weile. Endlich. „Wieso heute?“ „Wäre dir morgen lieber gewesen? Oder übermorgen?“, stellte ich entnervt die Gegenfrage. Was wollte er denn eigentlich? „Wie lange?“ „Ich hab‘ leider keine Tage gezählt. Aber vielleicht hab‘ ich ja zuhause feinsäuberlich Tag für Tag ein rotes Kreuz im Kalender eingetragen. Ich schau gleich mal nach, wenn ich zuhause bin. Versprochen. Für wen hältst du mich eigentlich?! Ich hab doch keine Ahnung." „Eine Antwort, mach schon!“ „Eh… keine Ahnung. Vielleicht ein paar Monate?“ Auf einmal blieb er stehen. Und ich spürte das riesengroße Fettnäpfchen, in das ich mich wohl verrannt hatte. Ich wusste nur noch nicht in welches. Das wurde mir vor allem dann bewusst, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. Ja, Fettnapf. Ganz eindeutig. Auch, wenn mir nicht ganz klar war, was jetzt passiert war. Was ich Falsches von mir gegeben hatte… (außer bereits bekanntem, versteht sich) Er war irgendwie enttäuscht und... anklagend. Nun ja, beschuldigend war er schon die ganze Zeit. Aber wieso so enttäuscht und …traurig? „Ein paar Monate. Seit Monaten ist dir das also klar…“ „Ja, vielleicht, vielleicht auch ein paar mehr. Ich dachte, wir könnten dieses scheiß Thema endlich mal wieder sein lassen.“ "Und in diesen ‚paar Monaten‘ ist dir nichts aufgefallen?" „Mh...ne, was denn?“ Wenn man wollte, dass ich etwas mitbekam, musste man es mir schon direkt ins Gesicht sagen. Er selbst hatte das doch jetzt schon mehr als einmal festgestellt. Er schwieg, sah mich einfach nur an. Keine Antwort, keine Reaktion, rein gar nichts. Erst nach ein paar Minuten schnaufte er resigniert, als ob er für sich gerade irgendeinen Entschluss getroffen hatte. Als er dann ein paar Schritte näher kam, ahnte ich, dass eben jener Entschluss wohl kein guter war. „Ja, vielleicht hätte es mir in diesen ‚paar Monaten‘ ja selbst auffallen müssen, aber du bist immerhin oft komisch und deine Gefühlsschwankungen waren schon immer unberechenbar. Aber hast du denn echt gar nichts gemerkt?!". Den ganzen Tag rumzicken und dann mich ein Mädchen nennen?! „Jetzt komm mir nicht mit so was. Keine Ahnung, was du meinst. Außerdem, müssen wir das hier mitten auf der Straße ausdiskutieren?“ „Weich nicht ständig aus. Du hast schließlich damit angefangen.“ „Ja, Daniel. Das war heute Morgen! Findest du es nicht etwas krank jetzt immer noch davon zu reden?“ „Nicht im Geringsten. Man hört ja auch nicht jeden Tag, dass der beste Freund auf einen steht!“ „Und dein ewiges Generve ändert auch rein gar nichts daran! Nur so, falls das der Plan war." „Wieso hast du das erst heute gesagt?“ „Es ist nicht gerade so, als gäbe es da einen Zeitplan, der einzuhalten wäre. Es hat doch ohnehin nie auf Gegenseitigkeit beruht, da ist es doch egal!" „Woher willst du das wissen?" „Hä? Den Zeitplan?" „Nein, das andere.“, schlagartig schien es wohl auch langsam ihm zu anstrengend zu werden. „Eigentlich hast du recht, es ist mittlerweile egal. Egal und etwas zu spät. Dumm, dass du das ‚per Zufall‘ nicht hättest viel früher erwähnen können. Und schade. Aber wir wissen ja, dass deine fifty-fifty Entscheidungen schon immer zu hundert Prozent nach hinten losgegangen sind." Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Ich starrte ihn einfach nur an während es in mir arbeitete, blieb wie versteinert an Ort und Stelle stehen. Diesmal war es an ihm einfach weiterzugehen. Was wollte er mir denn damit sagen? Wieso hielt er seine Antworten so kryptisch? Hatte ich es wieder geschafft, mir mein Leben besonders schwer zu gestalten, nur weil ich das falsche Timing hatte? Oder, weil ich meine Klappe nicht halten konnte? (Mal wieder?) Aber wenn ich seine Aussagen versuchte zu verknüpfen, um daraus schlau zu werden, gab es leider nur sehr wenige Interpretationsmöglichkeiten. Sollte das alles also bedeuten, dass ich nie bemerkt hatte, dass er… dass er… dass er was? Etwas für mich empfand? Nee… oder? „Kommst du?“, rief er mir von etwas weiter vorn zu, sah mich abwartend an. Irgendwie schaffte ich das gerade nicht. Ich konnte einfach nicht einen Fuß vor den anderen setzen. Der Schlag saß tief. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, ich spürte wie die Gänsehaut zu kribbeln begann, als sie sich auf mir verteilte. Mir wurde schlecht. Ich starrte ihn einfach nur noch an. Das war doch ein blöder Scherz. Er hatte nicht gesagt, dass er mich nicht irgendwie wollte, aber irgendwie hatte er es doch. Das war schlimmer, als alles was ich erwartet hatte. Hass, Ekel, ja auch seine dumme Wut und lauter so Sachen. Damit hatte ich gerechnet. Aber nicht mit so etwas und auch nicht mit seiner Enttäuschung, die nur darauf begründet war. Alles wäre besser gewesen als das. Mit Hass und Ignoranz hatte ich gerechnet und mich sogar fest darauf eingestellt… ja, sogar auf Ekel war ich vorbereitet gewesen. Nicht, dass ich damit besser umgehen könnte, aber… „Jetzt komm endlich, ich will heute noch irgendwann nach Hause!“ Ich hatte es gehört, aber reagierte nicht. Das alles ging einfach an mir vorbei, so wie es das schon so oft getan hatte. Die Dinge kamen und gingen, ohne auch nur einmal etwas nettes zu hinterlassen. Als wäre irgendwann, irgendeine unsichtbare Macht an meinem Leben vorbeispaziert und hätte entschieden ‚Gib ihm!‘. Viel zu sehr war ich in Gedanken versunken, als zu merken, ob Autos vorbeifuhren und ob überhaupt noch andere Leute da waren. So, wie ich den ganzen Tag darauf verharrt und Daniel jetzt auch zugestimmt hatte, es war egal. Es war einfach alles egal. Und irgendwie wollte ich, dass es jetzt doch nicht so egal war. Ob ich vielleicht deshalb darauf bestanden hatte, dass es trotzdem egal war? Ob Daniel das genauso gut wusste wie ich? Oh man… Plötzlich legte sich ein Arm um meine Schultern, hielt mich fest. Es war Daniel, der neben mir stand. Auf einmal. War er nicht gerad noch irgendwo dort vorne? Mit seiner freien Hand griff er nach meinem Arm und schob mich vorwärts. „Es bringt jetzt rein gar nichts, wenn du dir über irgendwelche Dinge den Kopf zerbrichst. Du hast es selbst gesagt, es ändert nichts.“ Und warum war er jetzt auf einmal so ruhig? War das aufgesetzt? Bestimmt. „Wieso zu spät?“ „Weil ich irgendwann auch damit abgeschlossen habe und jetzt wieder damit anzufangen, würde mehr kaputt machen, als dass es helfen würde. Das war alles nicht so spaßig." „Aber-“, „Das Ding ist durch. Das Ganze war einmal eine Option. Es…ist jetzt einfach anders.“ Irgendwie konnte er Diskussionen besser beenden als ich… Aber wir hätten doch… zumindest… das kann er doch nicht so einfach… Wir kamen nur langsam voran, meine Gedanken kreisten wild umher und doch um nichts Konkretes. Ein paar Mal hatte ich überlegt etwas zu sagen, aber wie gesagt: Sein letztes Wort war irgendwie effektiver als all meine letzten Worte zusammen. Da er mich ja schon fast vorwärts schieben beziehungsweise ziehen musste, kamen wir zwar nur sehr langsam voran erreichten jedoch einige Zeit später meine Haustür. Wir setzten uns auf eine der Stufen vor dem Haus und verweilten eine Weile so. Wir saßen einfach nur nebeneinander und sagten, im Gegensatz zum Rest des Tages, nichts. Ob er es sich noch mal überlegte? Ob er darauf wartete, dass ich etwas sagte? Oder waren das einfach die letzten Momente, um nicht ganz so verloren zu wirken? Und, um dieser Katastrophe ihr würdiges Ende zu geben? Als es dunkel wurde, seufzte er, stand auf. „Bis morgen dann…“ Irgendwie wirkte er nicht sehr überzeugend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)