She lives by disillusions’ glow von cosmos (Mai Valentine★) ================================================================================ Prolog: e r r o r . o n e ------------------------- Tausende Kristallsplitter reflektieren das schwache Licht der glimmenden Straßenlaterne, welche sich über die Straße erhebt und ihren langen, schmalen Schatten auf den grauen Asphalt wirft. Die Nacht ist bereits fortgeschritten und verschwimmt stumm mit der Dämmerung. Alles schläft. In den um einen Spalt breit geöffneten Fenstern der heruntergekommenen Wohnhäuser umspielt eine kühle Brise die verblassenden Gardinen. Auf dem flachen Bordstein steht eine Frau. Die Dunkelheit schützt sie vor den Blicken der Menschen in den ab und an vorbeiziehenden Autos. Sie wirkt verloren, beinahe befremdlich in dieser Gegend ... Langes, goldblondes Haar fällt über ihr Gesicht und ihre Schultern, ihr kurzer Rock und das enge, weiße Korsett, über welchem sie eine offene Weste trägt betonen ihren schlanken Körper. Ihre langen, von hohen Plateaustiefeln gezierten Beine halten ihrem Gewicht nicht mehr Stand und sie sinkt in sich zusammen. Zitternd berühren ihre Finger den Boden, die linke Hand umfasst noch immer einen verschlossenen Umschlag. Ohne sich aus ihrer Trance zu lösen verweilt sie auf dem kalten Stein und starrt abwesend auf die Trümmer vor ihren violetten Augen, aus welchen Glanz und Freude vollkommen gewichen zu sein scheinen. Sie weint nicht, hat verlernt die Tränen gewähren zu lassen ... Sie läuft einem Traum hinterher, gefangen in ihrer Fantasie ... in einer Welt außerhalb von Vernunft und Realität. Wie in einem ausweglosen Spiel ... einer Geschichte ohne Sinn und Ende. Und sie ist einsam. Allein im Kampf um ihr zielloses Leben in welchem der heutige Tag den nächsten bestimmt. Es gibt keine Perspektive und kein Licht, welches ihr den Weg leuchtet. Behutsam legt sie ihre Finger um eine der Spielkarten, welche um sie herum verstreut liegen, streicht beinahe zärtlich über das Abbild der Harpyie auf der schimmernden Vorderseite und ihre Lippen verziehen sich zu einem bitteren, gefühllosen Lächeln. Wenn sie doch nur so stark sein könnte ... stark und frei, wie ein Vogel, dem der Himmel zu Eigen wird ... Zu ihrer Rechten befindet sich das marmorne Podest ihrer zersprungenen Trophäe ... so wertlos und vergänglich. Ein Sieg bedeutet ihr nichts. Nur das Preisgeld, um ein paar weitere Tage zu überstehen, weiterzuziehen ... auch wenn sie nicht weiß wohin ihre Füße sie tragen. Einst ist ihre Seele voller Stolz gewesen für jedes gewonnen Turnier auf ihren Reisen als Duellantin. Doch ihr Ruhm und ihre Ehre sind versiegt ... gemeinsam mit ihrem Willen. Der Erfolg hat sie gelenkt, sie geführt in Arroganz, Überheblichkeit bis in die Leere der Einsamkeit. In ihrer Kindheit durfte sie keine Liebe erfahren ... sie hat die Möglichkeit gehabt zu fliehen ... und sie verspielt. Reichtum und Macht als Brücke zur Freundschaft haben sie geblendet , sie nicht erkennen lassen, wie man sie betrogen hat, ausgenutzt, bis ihr nichts mehr geblieben ist als die Scherben ihres zerbrochenen Traums ... von Glück und Freiheit ...Ungebundenheit gegenüber ihres strengen, beherrschenden Elternhauses. Sie hat entkommen wollen aus den Fängen ihres Alleinseins und nun steht sie erneut am Anfang ... sie kann nicht zurück ... sie kann nicht nach vorn, denn sie sieht die Zukunft nicht mehr ... Kapitel 1: e r r o r . t w o ---------------------------- Sanft schweben unzählige weiche Schneekristalle auf die Erde hinab und bedecken das triste Antlitz der Gegend mit einem schimmernden Weiß. Der Morgen legt sich über die Welt, doch die dunklen Wolken brechen nicht auf, ruhen weiterhin wie ein bedrohlicher Schatten über den Dächern der schmutzigen Hochbauten in den Randvierteln der Stadt. Eine betäubende Kälte zieht unsichtbar durch die Straßen und umhüllt die wenigen Menschen, welche es trotz besseren Wissens hinaus gewagt haben. Violette Augen beobachten das Szenario regungslos und starr, beinahe als seien sie erstarrt. Die junge Frau, zu denen sie gehören, schlingt ihre arme mechanisch etwas enger um ihren zitternden Körper, zieht die Kapuze ihrer dünnen, schwarzen Jacke noch ein Stück tiefer ins Gesicht und verweilt einige weitere Minuten unter dem Dachvorsprung, welcher ihr geringfügig Schutz vor dem herrschenden Schneesturm bietet. Ihr langes, blondes Haar wird kaum merklich von einem kühlen Windhauch umspielt. Man kann ihr ansehen, dass sie nachdenkt, das Für und Wider abwägt, aber schließlich drückt sie sich mit einem Ruck von der verwitternden Hauswand hinter sich ab. Mit gesenktem Kopf überquert sie zügigen Schrittes und ohne sich umzusehen die Straße, ignoriert das Hupen der Autofahrer, welche ihr fluchend nachsehen. Es kümmert sie nicht und sie dreht sich nicht um, blickt nicht zurück. Vielleicht, weil sie weiß, dass sie nichts sehen wird. Nichts, bis auf die Spuren ihrer Absätze im Schnee, welche schon bald nicht mehr von den anderen zu unterscheiden sein werden. An diesem Ort ist kein Platz mehr für sie und sie weiß nicht, wohin sie gehen kann. Ihr bleibt nicht viel Zeit, denn die Kälte macht ihr zu schaffen und das Gefühl weicht aus ihren langen, schlanken Beinen, welche nach wie vor ausschließlich von einem kurzen Rock bedeckt werden. Die rechte Hand der Blonden umklammert fest den Griff einer Tasche mittlerer Größe, in welcher sich unter anderem der noch immer verschlossene Umschlag befindet. Ohne die Leute, die ihr teils verstohlene Blicke zuwerfen und mit einem Kopfschütteln ihren Weg fortsetzen, zu beachten, steuert sie auf das Stadtzentrum zu. Niemand kann sie verstehen ... und niemand will sie verstehen ... weil keiner den Kummer bemerkt, welchen sie hinter ihrem Wall aus vorgetäuschter Stärke und Unnahbarkeit verbirgt. Es dauert ungefähr eine Viertelstunde, bis das riesige, gläserne Gebäude vor ihr aufragt, welches sie seit jeher gemieden hat. Pausenlos strömen Menschen durch die geöffneten Pforten und fallen ihren Verwandten und Freunden in die Arme, welche auf dem Vorplatz warten. Traurig sieht sie einer kleinen Gruppe Jugendlicher, welche allesamt in dicke Winterkleidung gehüllt sind, dabei zu, wie sie ihre eben angereist zu sein scheinende Freundin überschwänglich begrüßen. Manchmal wünscht sie sich, sie könne auch ein ganz normales Mädchen sein ... Mit einem freudlosen Lächeln auf ihren bebenden, vom Frost ein wenig bläulich gefärbten Lippen betritt sie die ausladende Bahnhofshalle und blickt sich orientierungslos um. Eine Flut von Hinweisschildern, Werbeplakaten und Tafeln, welche die Abfahrtszeiten der Züge anzeigen, bringt sie durcheinander und sie sieht für sich keine andere Möglichkeit, als ein Stück weit zu gehen und sich umzuschauen. Wenige Minuten nach dem Betreten des Gebäudes findet sie sich an einem Informationsschalter wieder. Zögernd stellt sie sich hinter einem älteren Ehepaar in die Schlange, welche sich auf Grund des großen Andrangs gebildet hat. Als sie an der Reihe ist, wird sie für einen Moment skeptisch gemustert und die Augen der Dame ihr gegenüber wandern abschätzend von ihren abgenutzten Lackstiefeln, über den knappen, lilafarbenen Rock und die für diese Jahreszeit viel zu leichte Jacke bis zu ihrem hübschen Gesicht, welches jedoch müde und verschlossen wirkt. Für einen Augenblick herrscht Stille. Schließlich richtet die Frau das Wort an sie und fragt gezwungen höflich nach ihrem Anliegen. Angesprochene erklärt, dass sie sich danach erkundigen möchte, wann der nächste Zug nach Domino-City abfährt und wo sie eine Fahrkarte erhalten kann. Die Beraterin an der Information gibt ihr Auskunft und beschreibt ihr knapp den Weg zur Verkaufsstelle der Tickets. Ohne sich zu bedanken wendet sich die Blonde ab und folgt den eben erhaltenen Anweisungen. Bald erreicht sie den gesuchten Schalter, nennt ihr Reiseziel und reicht dem Angestellten wortlos den geschlossenen Umschlag aus ihrer Tasche. Der junge Mann scheint überrascht zu sein, nimmt diesen jedoch entgegen und öffnet ihn umsichtig. Still zählt er das Geld in seinem Inneren zusammen und sieht flüchtig auf. „Ich fürchte, das wird nicht reichen. Sie müssten ...-“ „Mehr habe ich nicht.“, stellt sie tonlos fest und hält dem Blick des anderen Stand. „Dann kann ich ihnen leider nicht weiterhelfen, entschuldigen sie.“ Wütend reißt die Ältere die Scheine wieder an sich, dreht sich energisch um und drängt sich durch die Menge in Richtung des Gleises, auf welchem der Zug eintreffen wird, der sie zurück bringen kann ... zurück in ihre Heimat ... nach Hause ... und doch ins Nichts. Langsam lässt sie sich auf den kalten, harten Boden sinken, stellt ihre Tasche neben sich ab und lehnt sich geschwächt gegen den Getränkeautomaten, welcher sich hinter ihr befindet. Die Müdigkeit übermannt sie und lässt sie allmählich in einen unruhigen Halbschlaf übergleiten. Erst das entfernte Rattern der Bahn auf den rostigen Schienen reißt sie aus ihrem Traum und lässt sie aufhorchen. Wie viele Stunden vergangen sind, seitdem sie ihre Augen geschlossen hat, weiß sie nicht, doch durch die gläserne Fassade des Gebäudes erkennt sie, dass der Himmel von tiefem Dunkelblau ist und ihr vereinzelte Sterne entgegenfunkeln. Ein Blick auf das leuchtende Zifferblatt der gewaltigen Bahnhofsuhr verrät ihr, dass es vier Uhr ist. Mühsam erhebt sie sich und streckt ihre Glieder. Zwar ist ihre Haut eiskalt und ein Beben durchfährt ihren schmalen Körper, doch zumindest hat sie ein Dach über dem Kopf gehabt, welches sie vor Schnee und Wind bewahrt hat ... Ehe sie sich versieht rollt der Zug auf dem Gleis ein und kommt mit einem leisen Quietschen endgültig zum stehen. Vorerst unsicher, dann jedoch umso entschlossener betritt sie einen der Personenwagons und durchquert ihn bis zum hintersten Abteil, dessen Tür sie vorsichtig öffnet und sich auf einem der Plätze am Fenster niederlässt. Seufzend betrachtet sie ihr Spiegelbild in der Scheibe. Am liebsten würde sie es zerschlagen, aber sie unterdrückt den Impuls und ballt stattdessen ihre Hand zu einer Faust, drückt ihre langen Fingernägel in die Innenfläche, während der Zug sich in Bewegung setzt und sie fort trägt ... fort aus dieser Stadt ... von diesen Leuten, die sie betrogen und sie verletzt haben ... Und doch fühlt sie sich verloren ... einsam ... Die Fahrt nimmt einige Stunden in Kauf und der Schlaf scheint sie erneut überkommen zu wollen, als die Tür erneut aufgeschoben wird. „Guten Tag, die Fahrkarten bitte.“, ertönt eine freundliche und doch geschäftige Stimme. Die Blonde zuckt leicht zusammen, versucht sich den Schock aber nicht anmerken zu lassen. Von Anfang an hat sie damit rechnen müssen ... Um den Kontrolleur ein wenig hinzuhalten, antwortet sie nicht und macht keine Anstalten, ihr Ticket zeigen zu wollen. Der Braunhaarige stutzt und wiederholt seine Aufforderung nicht minder höflich als zuvor. Sie achtet nicht auf ihn, wirft einen Blick aus dem Fenster und kann von weitem die Lichter der nächsten Station erkennen, an welcher die Bahn halten wird. Ohne Vorwarnung erhebt sie sich, setzt ihre Kapuze auf, rückt den Schaffner zur Seite, welcher vor Erstaunen erst spät reagiert und läuft den Gang des Wagens hinab. Pausenlos sieht sie sich um, schaut zurück, um festzustellen, dass sie nicht verfolgt wird. Sie stützt sich schwer atmend am Geländer eines Ausgangs ab und betet im Stillen, dass der Zug bald halten wird ... bevor man sie zu fassen bekommt. Schließlich ist es so weit und die Ausstiege tun sich zischend auf. Ein sich näherndes Trappeln lässt ihr Herz höher schlagen und sie springt mit einem Satz aus dem Zug, welcher eben erst zum Stillstand gekommen ist. So schnell sie kann rennt sie über den schmalen Steig. Hinter einem heruntergekommenen Wartehäuschen verharrt sie bis zur Abfahrt der Bahn und lässt sich erleichtert in das feuchte Gras sinken, als sie sich darüber bewusst wird, dass sie nun außer Gefahr ist. Niemand bis auf sie ist hier ausgestiegen. Der winzige Bahnhof ist dreckig und verlassen und der nächstgelegene Ort liegt einige Kilometer entfernt ... Das Gefühl von Glück über ihr Entkommen hält jedoch nicht lange an. Was soll sie jetzt mit sich anfangen? Es dämmert, die Kälte ist nicht gewichen und sie weiß nicht, wie weit entfernt von Domino sie sich im Augenblick befindet. Mittlerweile steht sie erneut auf dem Gleis und starrt in die Leere. Alles läuft schief, egal was sie zu tun gedenkt. Eigentlich will sie aufgeben, sich einfach fallen lassen, aber irgendetwas in ihr spricht dagegen, zieht sie weiter. Als sie vorsichtig vom Steig auf die Schienen klettert, bemerkt sie, dass sie ihre Tasche nicht mehr bei sich trägt. Entsetzt sieht sie sich um, kann sie jedoch nirgends ausfindig machen. Geknickt schaut sie zu Boden und Tränen steigen ihr in die Augen. Mit ihrem Gepäck hat sie alles verloren, was sich noch in ihrem Besitz befunden hat ... ihr letztes Geld, die Fotos aus ihrer Kindheit, ihre Decke ... und ihre geliebten Harpyienkarten. Letzteres lässt sie vor Wut und Verzweiflung beinahe wahnsinnig werden. Vielleicht sind es für andere nur Spielkarten ... doch ihr bedeuten sie viel mehr als das. So oft schon haben sie ihr Kraft gegeben, sie dazu angehalten sich nicht unterkriegen zu lassen, stark zu bleiben, damit ihre Flügel irgendwann heilen werden und sie wieder fliegen wird ... in Freiheit. Hoffnungslos stolpert sie ein paar Schritte nach vorn, findet mit ihren Stiefeln kaum halt auf den verschlissenen Schienen. Ihre Umgebung nimmt sie nicht mehr wahr ... Sie sieht nicht, wie der Morgen anbricht, es allmählich heller wird und die Schneeflocken zum wiederholten Mal zu tanzen beginnen. Stille umgibt sie und sie läuft ohne zu rasten. In ihren violetten Augen spiegelt sich Gleichgültigkeit und Schmerz. Vor ihr erstreckt sich die unendliche Weite und Einsamkeit des Landes ... wohlmöglich soll es hier enden ... Am ganzen Körper zitternd verlangsamt sich ihr Schritt, Meter für Meter. Es ist so kalt ... Ihre Lider senken sich, Dunkelheit umgibt sie, doch sie stoppt nicht, wankt weiter über die dünne Schneeschicht unter ihren Füßen. Der Boden beginnt zu vibrieren. Erst ganz schwach, schließlich immer stärker. Ein schrilles Geräusch zerreißt die Luft. „Runter von den Schienen, Mädchen!“ Sie vernimmt jenen durchdringender Schrei und spürt, wie sie zur Seite gestoßen wird, das Gleichgewicht verliert und neben den Gleisen auf die Erde gedrückt wird. Der Schnee durchnässt ihre Kleidung und sie glaubt zu gefrieren. Sekunden später lässt der Druck nach, welcher sie am Grund gehalten hat. Verschreckt wendet sie sich um, blickt in ein paar dunkelgraue Augen, welche sanft auf sie herabsehen. Weißes, langes Haar umspielt das zarte Gesicht des Jungen, lässt ihn so unwirklich erscheinen ... Wie einen Geist, doch sein Lächeln ist das eines Engels ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)