Süßes Internatsleben, was bist du doch bitter von Katherine_Pierce (oder: Von der Ungerechtigkeit des Lebens) ================================================================================ Kapitel 2: Neuigkeiten ---------------------- Der erste Tag eines neuen Schuljahres war immer etwas Besonderes, wie Cathy fand. Allgemein waren ihr die ersten Wochen nach den Sommerferien die liebsten. Neuanfänge - es ging doch nichts über Neuanfänge. Noch wusste die junge Frau nicht, wie schwerwiegend sich ihr Leben in der Schule verändern sollte. Gemeinsam mit ihren Zimmergenossinnen, sowie Maarja und Marie machte Cathy sich auf den Weg zum Frühstück, wo sie endlich ihren personal Coach und gleichzeitig auch besten Freund Marcell treffen würde. „Geht schon mal vor, ich will erst Marci Hallo sagen.“, meinte Cathy mit einem Grinsen zu ihren Begleiterinnen. Dass sie sich so gut mit ihrem Coach verstand war den anderen Mädchen hinreichend bekannt. Schon längst hatten sie sich daran gewöhnt, dass Cathy von ihm nur noch als 'Marcell' oder 'Marci' sprach, nicht aber als Herr Jansen, wie ihn die anderen Schüler nannten. Zu Anfang hatte Lynn damit noch ihren Spott getrieben, doch mittlerweile hatte sie eingesehen, dass es nichts brachte Cathy davon überzeugen zu wollen, dass eine solche Verunglimpfung eines Namens albern war. Zudem hatte die ernsthafte Abiturientin sich längst daran gewöhnt. Manchmal hatte sie sogar Mühe, ihn als Herr Jansen anzusprechen, wenn sie ihm vor dem Lehrerzimmer begegnete, was relativ häufig der Fall war, da Lynn die Schülerbibliothek betreute und oft mit Herrn Frings zu tun hatte, der dafür der zuständige Lehrkörper war. Mit raschen Schritten hatte Cathy die Distanz zum Lehrertisch überwunden, ohne dabei großartig auf die anderen Lehrkräfte zu achten. Geschickt lavierte sie sich an den Herren Lahm, Schweinsteiger, Friedrich und Metzelder vorbei, ehe sie ihr eigentliches Ziel, nämlich Marcell Jansen, erreicht hatte. Wäre sie nicht so erpicht darauf gewesen, ihren Kumpeltrainer zu begrüßen, hätte sie sicherlich den sonderbaren Blick, den Herr Metzelder ihr zuwarf, bemerkt und wäre nicht umhin gekommen über dessen Grund nachzugrübeln. Doch an diesem Morgen war Cathy gedanklich zu abwesend, um auf die anderen Lehrer zu achten. Stattdessen baute sie sich neben Marcells Stuhl auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, gefolgt von einem gutgelaunten „Guten Morgen, wie waren deine Ferien?“ „Ah, Cathy.“, erwiderte Herr Jansen lächelnd. Er hatte sich schon gefragt, wann sein langjähriger Schützling wohl bei ihm auftauchen würde. Bevor er sich dagegen wehren konnte, hatte ihn das blonde Energiebündel schon in einen Bericht über ihre Ferien gezogen. Zwar tat es ihm Leid, sie unterbrechen zu müssen, doch verlangte Marcells knurrender Magen nach seinem Recht. „Heute um Drei am üblichen Ort, ja? Ich hab dir noch eine Neuigkeit mitzuteilen.“, vertröstete der hochgewachsene, junge Mann Cathy. Diese nickte ungewöhnlich brav, fragte sich aber, warum ihr Trainer bei der Erwähnung der Neuigkeit seine Miene so verzog, als ob er geradewegs in eine Zitrone gebissen hätte. Den Grund dafür sollte Cathy schon noch früh genug erfahren und er schmeckte ihr ganz und gar nicht. Der Schultag war ereignislos an Cathy vorbeigezogen. Sie hatte zur Kenntnis genommen, dass sie künftig Herrn Frings im Deutsch- LK und ihren liebsten Kumpeltrainer Marcell im Englisch- LK haben würde. Weniger angenehm dagegen fand sie die Tatsache, dass sie Herrn Metzelder, der als streng und sehr genau galt, ihren Mathelehrer nennen durfte. Cathy war grottenschlecht in Mathe und hätte sich eher vor einen Zug geworfen, als es im Abitur zu nehmen. Ein Zitronenbonbon von Jule tröstete Cathy allerdings fürs erste über den Schreck hinweg, hatte es die großzügige Spenderin doch ungleich grausamer erwischt, da sie Mathe zu einem ihrer Leistungskurse erkoren und somit die Arschkarte gezogen hatte, denn Herr Metzelder war zumeist für die Mathekurse der Oberstufe verantwortlich und das Niveau in seinen LKs war legendär. Nicht umsonst war er einer der gefürchtetsten Lehrkräfte der Schule. Lynn und Lesly, die den besagten Herrn ebenfalls zur Genüge kannten, verkniffen sich wohlweislich ein paar hämische Kommentare. Als einige der wenigen Nichtsportler hatten sie ohnehin schon einen schweren Stand. Deswegen hielten sie vorerst mit ihrer Meinung hinterm Berg; die 13 war auch ohne einen Streit mit den Zimmergenossinnen und Freundinnen anstrengend genug. Um kurz vor Drei traf Cathy bei ihrem und Marcells Treffpunkt ein- einer alten, verwitterten Parkbank, die irgendwann einmal grün angestrichen gewesen war, welche unter einer Blutbuche stand und schon bald von rotbraunen Blättern bedeckt sein würde, sobald der Sommer erst mal dem Herbst gewichen war. Cathy setzte sich auf die Bank, lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und sah in die Zweige der Buche, wobei sie hin und her überlegte, welche Ankündigung ihr Trainer ihr wohl zu machen hätte. Solcherart beschäftigt war es nicht weiter verwunderlich,dass Marcell ihr einen gehörigen Schrecken einjagte, als er pünktlich um Drei bei der Bank eintraf und seine Schülerin mit einem lauten Gruß zurück in die Realität beförderte. „Marci!“, schimpfte sie ihn, konnte ihm allerdings nicht lange böse sein. Stattdessen musterte sie ihn neugierig. Marcell vergrub unbehaglich seine Hände in den Hosentaschen. „Komm, lass uns ein Stück gehen. Dann lässt es sich besser reden.“, erwiderte er ausweichend und ungewöhnlich ernst. Diese Tatsache gab den Ausschlag dafür, dass Cathy widerstandslos gehorchte. Zunächst herrschte Schweigen zwischen ihnen. Cathy wartete darauf, dass man sie ins Bild setzte, während Marcell grübelte, wie er ihr die Sache so schonend wie möglich beibringen konnte. Ein paar Mal machte er den Versuch etwas zu sagen, brach dann aber wieder ab. 'Vielleicht hätte ich sie in mein Büro bestellen sollen...', überlegte er, missmutig einen Stein aus dem Weg kickend. Natürlich kam Cathy nicht umhin, diesen Umstand zu bemerken. Sie kannte Marcell lange und gut genug, um zu wissen, dass es sich bei den Neuigkeiten um etwas Ernstes handeln musste. Ansonsten würde er sich nicht so verhalten, wie er es nun mal tat. Er würde nicht so ein Geheimnis daraus gemacht haben. Sein Benehmen beunruhigte sie zunehmend. Schließlich hielt sie die Ungewissheit nicht mehr aus. „Um Himmelswillen, Marcell, WAS IST LOS?“, platzte es schärfer aus ihr heraus als beabsichtigt. Er zuckte zusammen. Marcell, so nannte sie ihn nur, wenn sie wütend war. Oder beunruhigt, so wie jetzt. Abrupt blieb er stehen. Cathy, die noch ein paar Schritte gegangen war, drehte sich zu ihm um, seinen Blick unverwandt erwidernd. „Ich bin nicht länger dein Trainer.“, überwand Marcell sich schließlich zu sagen. Zuerst blinzelte Cathy ihn nur an. Es dauerte mehrere Sekunden bis sie kapierte, was er da gerade gesagt hatte. Ihre Reaktion überraschte den jungen Mann nicht im Mindesten, kannte er sie doch schon recht lange. „Willst du mich eigentlich verarschen?“, entfuhr es ihr, während sie innerlich flehte, gleich möge Marcell in Gelächter ausbrechen und ihr ein 'Reingefallen!' an den Kopf werfen. Doch er tat nichts dergleichen. Stattdessen schüttelte er den Kopf, seine Miene war ernst. Er jagte Cathy fast schon Angst ein. „Leider nicht.“, sagte er leise, „Der Schulleiter hat mich vor ein paar Tagen darüber in Kenntnis gesetzt.“ Stumm nahm Cathy diese Information zur Kenntnis. Wenn der Direx Löw etwas beschloss, musste man ihm Folge leisten. Da gab es keinerlei Diskussion. Nicht mal, wenn man so stur, streitlustig und rebellisch war wie Cathy. „Deine weitere Ausbildung wird von jemand anderem übernommen.“ „Von wem?“, fragte Cathy schwach, noch während sie sprach, hoffend, dass es Clemens Fritz oder Arne Friedrich sein würden. „Das wird dir jetzt nicht gefallen...“, hob Marcell an, musste aber gar nicht weiter sprechen, da seinem Schützling schon dämmerte, auf wen es hinauslief. „Nein! Sag mir, dass da nicht wahr ist!“, verlangte Cathy beinahe schon entsetzt. „Tut mir Leid, aber sein Schüler hat im letzten Mai Abitur gemacht. Und er hat dich beim Turnier im Juni spielen sehen.“, erklärte Marcell dem blonden Mädchen vor sich. Ihm gefiel die ganze Sache genausowenig wie ihr. Seit er sie in der achten Klasse übernommen hatte, waren sie gute Freunde geworden, ein eingespieltes, funktionierende Team. Es war ungerecht, dass man sie jetzt auseinanderreißen wollte, zumal Cathy ohnehin nur noch eineinhalb Jahre am St. Helena Internat sein würde. „Offensichtlich hat er dem Schulleiter gegenüber den Wunsch geäußert, dich unter seine Fittiche nehmen zu dürfen.“ „Und ebenso offensichtlich hatte der Direx nicht das geringste Problem damit!“, knurrte Cathy erbost. Trotzig hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wollte diese Veränderung nicht. „Offensichtlich nicht.“, stimmte Marcell ihr zu, der ihre Reaktion gut verstehen konnte. „Und jetzt?“, wollte sie wissen. Marcell zuckte die Achseln. Dann seufzte er leise. „Ich fürchte, wir werden uns nur noch im Unterricht sehen.“ „Aber...“ Cathy zögerte einen Moment, vollendete jedoch dann ihren Satz, „Wir bleiben doch Freunde, oder?“ Obwohl sie sich alle Mühe gab konnte sie doch nicht verhindern, dass sich eine leichte Besorgnis in ihre Stimme schlich. Kaum, dass er diesen Ausspruch gehört hatte, fing Marcell vor Erleichterung an zu lachen, was ihm einen gleichermaßen erschrockenen, wie empörten Blick seitens seines ehemaligen Schützlings eintrug. „Natürlich bleiben wir Freunde!“, versicherte er Cathy, „Was hast du denn geglaubt?“ „Du Mistkerl!“, schimpfte sie, umarmte ihn im nächsten Augenblick aber fest. Er würde ihr entsetzlich fehlen. Auch ihm ging es ähnlich. Sie hatten so viel Spaß gehabt gemeinsam und jetzt sollte ihre Zeit einfach so vorbei sein. 'Ungerecht!', dachten beide, während sie sich aneinander festklammerten, als ob sie sonst untergingen. Nach einer schieren Ewigkeit allerdings löste Marcell sich von Cathy. „Du gehst jetzt besser, dein neuer Mentor hat mich angewiesen, dir zu sagen, dass er dich nach unserem Gespräch in seinem Büro erwartet.“, sagte der hochgewachsene, blonde Mann, sich dabei um einen neutralen Tonfall bemühend, was ihm aber nicht recht gelingen wollte. Cathy nickte nur zu seinen Worten, wovon Marcell doch überrascht war. Normalerweise hielt Cathy mit ihren Gefühlen nicht hinterm Berg. Dass sie jetzt so gefasst war oder viel mehr wirkte, denn innerlich war sie alles andere als 'gefasst' oder 'stoisch', war nochmal ein zusätzlicher Dämpfer für Marcell. Es schien, als ob sie mit dem Wechsel doch kein so großes Problem hatte, wie er zunächst angenommen hatte. Natürlich lag der Lehrer damit vollkommen daneben. Cathy wollte es ihnen beiden nicht noch schwerer machen, in dem sie in seiner Gegenwart in Tränen ausbrach, denn am Liebsten hätte sie einfach nur geheult. Es war schließlich nicht so, als ob sie keinerlei Kontakt mehr zueinander haben durften, oder? Einmal noch umarmte Cathy ihren besten Freund und Ex- Trainer, dann fügte sie sich dem Schicksal und machte sich auf den Weg zum Büro von Herrn Metzelder. Dort angekommen brauchte Cathy einige Augenblicke, um sich zu fassen, bevor sie ihrem neuen Trainer entgegen trat. Auf dem Weg in den zweiten Stock, wo die meisten Lehrerbüros lagen, hatte die junge Frau ziemlich energisch gegen die Tränen ankämpfen müssen, mit mehr oder weniger durchschlagendem Erfolg. Sie atmete tief durch, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und überwand sich dann, an die Tür zu klopfen. „Herein.“, erklang die tiefe Stimme des Bürobesitzers, der sich schon denken konnte, wer ihn da mit einem Besuch beehrte. Wie geheißen betrat Cathy den Raum, versagte sich aber ihrer Neugier zum Trotz jegliche Seitenblicke auf das Interieur des Zimmers. Sie machte erst halt, als sie direkt vor dem Schreibtisch von Herrn Metzelder stand, der die Frechheit besaß, sie anzulächeln. „Ah, Cathy, ich habe dich schon erwartet.“, begrüßte er das Mädchen, immer noch lächelnd. Er wies auf einen der Stühle, die vor dem Tisch standen. „Setz dich doch.“ Cathy blieb stehen, die Lippen zusammengepresst, ihre Hände zu Fäusten geballt. Kein Ton kam aus ihrer Kehle; sie war ihr wie zugeschnürt. „Herr Jansen hat dich also schon davon in Kenntnis gesetzt, dass ich fortan dein Mentor bin.“, mutmaßte Christoph scharfsinnig, „Und offensichtlich bist du ebenso begeistert von dieser Neuerung wie er.“ „Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus!“, knurrte Cathy mit zusammengebissenen Zähnen. Herr Metzelders Augenbraue wanderte höher. Er hatte sich wohl verschätzt. Sie war nicht nur absolut unbegeistert, nein, sie hasste ihn geradezu dafür, dass er ihr Marcell weggenommen hatte. 'Das kann ja lustig werden.', dachte er bei sich, nahm sich aber gleichzeitig vor, sich von dieser Frau nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. „Setz dich.“, forderte er Cathy nun merklich frostiger auf. „Nein danke, ich stehe lieber.“, erwiderte sie im selben kühlen Ton. Ihre grauen Augen bohrten sich genau in seine braunen. Es brauchte kein Genie, um darin Starrsinn und Schmerz, den Cathy unzweifelhaft aufgrund ihres Verlustes verspürte, zu erkennen. Sie mochte vielleicht bei Marcell ihren Dickkopf durchgesetzt haben, doch bei Christoph würde sie damit auf Granit beißen. „Wenn ich sage, dass du dich setzen sollst, dann tust du das auch, kapiert?“ Das Lächeln war nun aus seiner Miene gewichen. Er wirkte finster und unnahbar. Die Härte in seiner Stimme ließ Cathy zusammenzucken und den Befehl widerstandslos befolgen. Besser, sie verscherzte es sich nicht schon am ersten Tag mit ihm. 'Sonst wird der Rest meiner Schulzeit die Hölle auf Erden.', dachte Cathy unbehaglich. „Schön, nachdem wir die Autoritätsfrage geklärt hätten, können wir ja zu angenehmeren Dingen übergehen, wie den Trainingszeiten.“, hob Christoph erneut an. Das blieb unkommentiert. „Wir treffen uns außer am Wochenende jeden Tag um Vier auf dem Sportplatz und -“ „Auf welchem?“, unterbrach Cathy ihn unwirsch, ihren guten Vorsatz ebenso schnell vergessend, wie sie ihn gefasst hatte, „Wir haben hier eine ganze Menge.“ Wieder wanderte die Augenbraue ein Stück höher. „Offensichtlich muss ich dir erstmal Benimm beibringen, da dein voriger Mentor da wohl ein bisschen was versäumt hat.“, bemerkte Christoph bissig. „Dass ist nicht Marcis Schuld, kapiert?“ Cathys Augen verengten sich wütend. „Marci? So,so...“, spottete jetzt der Mann. Plötzlich flog ihm eine Papierkugel an den Kopf und traf ihn hart an der Stirn. Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie Cathy nach einem Blatt von seinem Schreibtisch gegriffen hatte, geschweige denn, wie sie es zusammenknüllte. Voller Empörung sah er die widerspenstige, junge Frau an, die ihrerseits nicht minder echauffiert wirkte. Für einen Moment herrschte Stille. „Du hast kein Recht, dich über die Freundschaft zwischen Marcell und mir lustig zu machen, du blöder Penner!“, brach es aus Cathy heraus, „Ich versteh nicht mal, warum du ihn ersetzen wolltest. Du kennst mich doch gar nicht! Und du hast auch überhaupt keine Ahnung davon, wie viel Marcell mir bedeutet, weil du total unterkühlt, gefühllos und korrekt bist!“ Erst als der letzte Satz bereits gesagt war, dämmerte Cathy, was für eine riesige Dummheit sie da gerade begangen hatte, doch es war zu spät. Sie konnte nichts mehr zurücknehmen. Rasch sprang sie auf, vor Scham rot anlaufend. Ihre Schritte lenkten sie in Richtung Tür. „Morgen um Vier, Sportplatz drei.“, hörte sie Herrn Metzelder noch sagen, ehe sie endgültig floh, die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)