Miseinen: Only Yesterday von the-suicide-circus (Eine Geschichte über Rukis Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 6: Song of the Sheep (in a dark, long night.) ----------------------------------------------------- „Komm her“, ertönte die Stimme meines Vaters durch die angelehnte Tür, als ich gerade mein Zimmer betreten wollte. Der Ton hinterließ keinen Zweifel, wer gemeint war und so schleppte ich mich ins Wohnzimmer, wo mein Vormund wie jeden Abend am Sofa saß und Sake trank. „Zeig mir, was du heute gemacht hast“, befahl er ohne von seiner Zeitung aufzusehen. Ich sah zu meinem Bruder, er saß am Esstisch und tat so, als ob er ebenfalls lesen würde. Auf seinem Gesicht lag ein verräterisches Grinsen. „Muss ich mich wiederholen?“, sagte er in schärferem Ton, als ich keine Anstalten machte mich zu bewegen. Langsam drehte ich mich wieder zu ihm, er erwiderte meinen Blick ernst. Dieses verdammte Arschloch. Warum musste er immer petzen? Er hatte doch nichts davon, er war so oder so der Liebling der Familie... „Ich habe heute nichts gelernt“, sagte ich leise und senkte den Kopf, betonte aber jedes Wort einzeln. Er ahnte es doch schon längst, also warum konnte er mich nicht gleich bestrafen? „Warum?“ Er trank sein Glas aus. „Weil ich nicht zu Hause war“, ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch aus irgendeinem Grund war das heute schwieriger als sonst. „Wo warst du?“, fragte er immer bissiger und schenkte sich noch ein Glas ein. Ich atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn zu lügen. „Ich war Fußballspielen. Mit... mit Freunden.“ Waren sie das denn? Meine Freunde? Plötzlich legte sich ein Lächeln auf die Lippen meines Vaters, das jedoch alles andere als freundlich gemeint war. „Mit Freunden also... und woher kennst du diese Freunde?“, das letzte Wort betonte er besonders sarkastisch. Ich zuckte mit den Schultern, ich konnte doch nicht „vom Fußballspielen“ antworten. „Dann richte deinen so genannten Freunden aus, sie sollen ab jetzt alleine spielen, ich habe es dir verboten und dabei bleibt es“, er stand auf und trank den letzten Schluck aus. „Und wenn du mich noch einmal anlügst, bekommst du bis zum Ende der Ferien Hausarrest, hast du verstanden?“ Mein Bruder seufzte amüsiert. „Ich habe nicht gelogen“, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Das war doch nicht zu fassen, warum sollte ich mir so etwas ausdenken? „Und wohin bitteschön ist dann der Ball deines Bruders verschwunden, kannst du mir das erklären?“, er stellte sich direkt vor mich und sah mich zornig von oben herab an. „Woher soll ich das wissen?“, dieser verdammte Mistkerl hatte doch ernsthaft behauptet, ich hätte seinen Fußball geklaut. Und noch dazu schien ihm das hier Spaß zu machen, er konnte sich kaum noch beherrschen, nicht loszulachen. „Ich hab doch gesagt, du sollst nicht lügen“, ermahnte er mich scharf. „Was ist denn so schwer daran, einfach das zu tun, was ich und deine Mutter dir sagen? Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder!“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten, das konnte doch nicht sein Ernst sein? Wer hatte denn hier gelogen?! Doch ich musste mich zusammen reißen. Eigentlich wollte ich nämlich etwas ganz anderes mit ihm besprechen, fiel mir ein. Doch bevor ich darüber nachgedacht hatte, ob dies ein guter Zeitpunkt dafür war, hatte ich es auch schon gesagt. „Ich möchte eine Gitarre. Eine E-Gitarre.“ „Wie bitte?“, mein Vater war zunächst überrascht über den plötzlichen Themenwechsel, dann wurde seine Miene noch zorniger. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du keine bekommst. Schon gar keine E-Gitarre!“, seine Stimme war voller Verachtung. „Ich will aber eine“, sagte ich lauter und machte einen Schritt auf ihn zu, was die Grenzen seiner Geduld wohl überschritt, denn kaum eine Sekunde später spürte ich seine flache Hand auf meiner Wange. „Ich habe gesagt du bekommst keine und aus!“, schrie er und wandte sich ab. „Und wehe ich höre noch einmal ein Wort davon! Musik ist nichts womit man Geld verdienen kann, wann merkst du dir das endlich? Genauso wie dieses verdammte Fußball, das ist alles nur Zeitverschwendung! Warum-“ „Halt die Klappe! Halt endlich deine verdammte Klappe!“ Stille trat ein, in der mich der Alte mit großen Augen ansah. Auch Yuuseis Grinsen war verflogen und er blickte mich ebenfalls an, als ob ich ein Geist wäre. Ich wusste, ich hätte es nicht sagen dürfen, aber die Worte waren einfach über meine Lippen gekommen. Ich wusste, ich hätte nicht schreien dürfen, aber ich konnte mich nicht mehr beherrschen. „Was hast du gerade gesagt?“, seine Augen waren nur noch Schlitze. Jetzt war es doch sowieso schon zu spät... Mit einem Schritt war er bei mir, packte mich am Nacken und schleifte mich durch den Vorraum, wo er meine Zimmertür aufstieß. „Ich will nie wieder ein Wort über Musik hören, hast du verstanden?! Und du bleibst hier drin bist du dich gefälligst entschuldigt hast!“ Er ließ mich los und beförderte mich mit einem kräftigen Ruck durch die Tür, ich landete vor meinem Bett und schlug dabei mit dem Kopf an der Kante auf. Mit einem lauten Knallen hörte ich noch die Tür zuschlagen, dann wurde alles schwarz. Als ich am nächsten Tag aufwachte, wunderte ich mich warum ich auf dem Boden lag. Mein Kopf hämmerte und als ich versuchte, aufzustehen, durchfuhr ein stechender Schmerz von meinem Hinterkopf aus meinen ganzen Körper und mir würde mit einem Mal so übel, dass ich mich fast übergeben musste. Ich tastete mit meinen Fingern meinen Hinterkopf ab und fand eine von Blut verkrustete Wunde vor, erst dann viel mir wieder ein, was gestern passiert war. Was war los mit mir? Warum hatte ich meinen Mund nicht halten können? Langsam stand ich auf und ging in die Küche, es war anscheinend niemand zu Hause, was mich aber nicht sonderlich störte. Doch gerade als ich mir ein Glas Wasser einschenken wollte, klingelte es und als ich die Tür öffnete, war ich überrascht, als plötzlich Kouyou und Akira vor mir standen. „Hi“, begrüßte mich der Größere strahlend, während sein bester Freund wie immer genervt wirkte. „Was macht ihr denn hier?“, war das erste, was mir einfiel, da ich ziemlich überwältigt war die beiden hier zu sehen. „War eigentlich spontan“, meinte Kouyou immer noch lächelnd, „Können wir reinkommen?“ Eigentlich hatte ich immer noch schreckliche Kopfschmerzen, aber ich konnte die beiden doch nicht einfach so weg schicken, also bat ich sie in die Küche und schenkte ihnen ebenfalls etwas zu Trinken ein. „Wow, ihr habt echt eine riesige Wohnung hier“, staunte Kouyou und setzte sich neben Akira, während ich gegenüber den beiden Platz nahm. „Woher wisst ihr, wo ich wohne?“ „Sein Vater arbeitet bei der Post. Und er hat ihn nach kürzlich geänderten Adressen auf dem Namen „Matsumoto“ gefragt“, meinte Akira mit einem Augenrollen, der andere grinste und nickte. Auf so etwas musste man erstmal kommen... „Und na ja, als du heute nicht aufgetaucht bist dachten wir, wir kommen mal vorbei da wir sowieso noch zu mir wollten“, fuhr Kouyou nach einiger Zeit fort. Heute, Training? Ich sah auf die Uhr, es war bereits halb Drei. Ich konnte doch nicht so lange geschlafen haben? „Alles okay mit dir?“, riss mich der Dunkelhaarige aus den Gedanken und sie sahen mich besorgt an, als ich nickte. „Ich habe Hausarrest, deshalb...“, versuchte ich mich raus zu reden. Aber eigentlich hätte ich auch sagen können, ich hatte einfach keine Lust mehr. Spielen durfte ich sowieso nicht mehr, also konnte ich mich von den beiden als Freunde verabschieden. Doch Akira hakte nach, womit ich nicht gerechnet hatte. „Lange Geschichte“, warum interessierte sie das eigentlich so? „Wir haben Zeit.“ Akira nickte bestätigend. Ich seufzte. Die beiden waren wirklich hartnäckig. „Es ist so...“, begann ich und erzählte ihnen von der Sichtweise meines Vaters zu den Themen Musik und Fußball, wie konservativ meine Familie eigentlich war und was für ein Arschloch mein Bruder sein konnte. Ich erzählte ihnen sogar von meinen alten Freunden, meinen Großeltern und dass ich sie alle vermisste. Und ich erzählte ihnen von meinem Wunsch, einmal Rockstar werden zu wollen, obwohl ich Angst hatte, sie würden es kindisch finden und mich auslachen. Doch sie lachten nicht, kein einziges Mal. Sie lächelten nur, immer dann, wenn ich es auch tat und ich war ihnen unglaublich dankbar dafür. Im Endeffekt hatte ich ihnen praktisch mein ganzes Leben geschildert, obwohl ich die beiden doch gar nicht kannte und praktisch nichts über sie wusste, trotzdem vertraute ich ihnen. Und ich hatte mich noch nie so erleichtert gefühlt wie nach dieser halben Stunde in der die beiden Jungs einfach nur dasaßen und mir zuhörten. „Du hast es wirklich nicht leicht“, meinte Kouyou nach einer Minute, in der niemand ein Wort gesagt hatte, sein letztes Lächeln war längst wieder verschwunden. „Mann, da haben wir uns ja echt etwas eingehandelt“, meinte Aki plötzlich und ich sah ihn fragend an. „Sag bloß, du denkst dasselbe wie ich“, grinste der Größere wieder und blickte seinen besten Freund an. Akira zuckte mit den Schultern, lächelte jetzt aber auch leicht. „Wir können ihn doch nicht einfach in dieser scheiß Lage hängen lassen. Dafür wissen wir zu viel.“ „Alles klar“, meinte Kouyou freudig und sprang auf, „Dann gibt es jetzt nur noch eines, was wir machen können.“ „Was?“, fragte ich verwirrt und erhob mich ebenfalls. „Na was wohl? Wir gehen zu Starbucks.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)