Zwischen Leben und Sterben von vampireMiyu ================================================================================ Kapitel 2: Routineänderung -------------------------- Ich habe keinen wirklichen Namen. Nichts, das ich Mein nennen darf. Deshalb nannten sie mich Wolf. Oder nannte ich mich selber Wolf? - Ich weiß es nicht mehr. Spielt auch keine Rolle. Nichts spielt in dieser Welt eine Rolle. Nichts. Ich hab mich damit abgefunden, vor langer, langer Zeit. Seufzend rückte sie ihren Schal zurecht, strich sich dabei einmal durch ihre langen, ungekämmten Haare, versuchte damit wenigstens die Tatsache zu verstecken dass sie wieder einmal die Nacht durchmachte, auch wenn sie wusste dass es nichts bringen würde. Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab, ihre Haut war wieder so blass. Ihre Mutter merkte zwar nichts, als sie an ihr vorbei rauschte, aber ihre Mutter merkte sowieso nichts – eventuell hatte sie das Glück und man würde sie im Klassenzimmer ebenfalls nicht bemerken. Aber das war einfach zuviel verlangt, nicht wahr? Egal was sie tun würde, man würde sie ständig bemerken. Wolf war schon immer Gesprächsstoff. Für alles. Für alles. Gesprächsstoff um die Langeweile zwischen den Stunden zu vertreiben. Ließ auch schon wieder von ihren Haaren ab, um sich stattdessen die etwas zu große Kapuze über den Kopf zu ziehen, nur um die Kälte wenigstens etwas von ihrem Kopf zu halten. Für heute wollte sie nicht klar denken. Wollte einfach nur Wolf sein. Der Weg zur Schule war immer so lang, so abartig lang, aber es störte sie nicht mehr. Sie mochte den Weg zur Schule, mochte all die Dinge die sie dabei sah; mochte die Tatsache dass sie immer wieder Blätter fand die eine besonders wunderschöne Farbe besaßen, ein Kontrast zu der toten Umgebung. Auch mochte sie die Einsamkeit, wenn niemand da war, und sie für sich selber war; keine Gedanken, die ihr durch den Kopf rasten, oder Augen, die auf ihr gerichtet waren. Nichts. Nur sie. Nur sie und der endlos blaue Himmel. Sie sah kurz auf, spürte wie eine eiskalte Bise ihre Mähne durcheinander brachte, spürte wie die Kälte sich auf ihrer Haut festsetzte – Gänsehaut, immer und immer wieder. Klirrende, beißende Kälte, immer und immer wieder. Immer und immer wieder. Aber störte es sie? Sollte es sie stören? Die Jahreszeit des Todes. Warum konnte sie nicht ein Baum sein? Als sie an der Schule ankam war sie viel zu spät, keiner befand sich mehr auf dem Schulplatz. Doch, hier und da waren einige Schüler, verzogen sich in die dunklen Ecken, wollten sich wahrscheinlich vom Unterricht drücken – aber sie störte es nicht groß. Zuckte lediglich mit den Schultern, strich sich immer und immer wieder durch die Haare, versuchte dabei wie vergiftet auf den Boden zu starren. Nicht in die Gesichter, an denen sie wieder mal vorbei lief – nicht in die Augen jener, die doch so viel über sie wussten. Starrte nur auf den Boden, auf den Boden, selbst als sie vor dem Lehrer stand, sich seine Moralpredigt anhörte, sich antun musste wie man wieder über sie lästerte, wie man tuschelte, wie man – wie man.... Die Stunden verflogen, alles verflog, sie hörte nichts mehr, war nur sie selber, Wolf, Wolf, das Mädchen das nichts konnte, das Mädchen namens Wolf irgendwo auf dieser Welt. Sie nahm ihren Notizblock hervor, tippte mit dem Bleistift einige male darauf herum, ehe sie begann zu schreiben. Ihre kleinen Geschichten, die sie kaum Leuten zeigte. Ihre kleinen Geschichten in ihrer kleinen Welt die sowieso niemand verstand. Ihre einzige Flucht von dem stickigen Klassenzimmer, von den verdammten Kindern die nichts besseres zu tun wussten außer andere fertig zu machen. Gregs Stimme drang wieder an ihr Ohr, erinnerte sie für eine Sekunde an eine Hyäne; und ein Name, irgendein bekannter, vertrauter Name. Sie war jedoch zu beschäftigt in ihren Gedanken zu schwelgen, ihre Wolfsnatur zu unterdrücken. Zu beschäftigt damit den weiteren Tagesverlauf zu ignorieren, die Tatsachen des Tages zu vergessen. Hörte an dem Tag nicht einmal mehr dem Unterricht zu, nicht einmal Geschichte, wo sie das Fach doch so liebte. Alles zog an ihr vorbei. Alles. Alle. Jeder. Jeder. Alle. Nur sie nicht. Sie war noch immer da. Sie war noch immer da und war noch immer Wolf und die Worte auf den Papieren waren noch immer nicht Wirklichkeit. Dabei sagte ihr Vater doch-? Dabei sagte ihre Mutter doch-? Sie seufzte, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Nahm wahr wie etwas kupferrotes, wunderschönes neben ihr funkelte, wie ein endloser Moment der viel zu kurz war. Nahm wahr wie etwas kleines, schüchternes in ihr aufsprühte – wie Funken oder so. Kupferrote Funken. Träge wandte sie ihren Blick von ihren schneeweißen Händen ab, pflanzte ihn stattdessen auf den Pult links neben sich. Auf einen Moment der viel zu kurz war. Auf sie. Auf ihre Haare. Ihre wunderschönen, langen Haare die wie immer zu einem Zopf geflochten waren. Auf das blasse, hübsche Mädchen die kaum sprach. Die nun ebenfalls auf ihre Hände starrte, als ob sie vorhin das gleiche dachte – als ob... „... Gehst du nich in die-“ Hastig schlug sich die braunhaarige auf den Mund, versiegelte ihre Lippen mit einer festen Handfläche. Röte stieg ihr ins Gesicht, schoss ihr in die Wangen hoch. Beobachtete entgeistert wie das stille Mädchen – wie hieß sie doch nur? Wie hieß sie nur? Snow? Blue? Winter? – ihren Kopf hob, ihr mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck in die Augen schaute. Und schon war Wolf weg. Sie drückte sich von ihrem Pult hoch, polterte richtig aus dem Zimmer, stolperte nebenbei noch einmal über ihre eigenen Beine und fluchte laut auf. Sie schüttelte den Kopf über sich selber, schlug ihre Handfläche mehrere male gegen ihre eigene Stirn, machte sich ihren Weg aus dem Gebäude, vom Schulplatz – einfach weg, weg, weg. Sie wollte weg. Weg. Weg. Im Park angekommen stoppte sie außer Atem, beugte sich vor und stemmte sich mit ihren Händen von ihren Knien ab, japste nach Luft, Luft, Luft – irgendetwas, irgendetwas. Ihretwegen konnte die Erde sie nun auch verschlucken. Alles, Hauptsache sie musste nicht mehr daran erinnert werden wie sie sie ansprach – sie, mit den kupferroten Haaren, die doch immer... die doch immer...? Wie hieß sie nur? Errötend stellte sie sich wieder aufrecht, legte den Kopf in den Nacken und spürte die Kälte um sich herum. Kupferrot. Rot. Red. Red. Red. Das Mädchen würde sie bis morgen ohnehin schon vergessen. Dennoch, Red. Red. Red. Das Mädchen das nie sprach. Das Mädchen das so gut schrieb. Das Mädchen das – das so ein hübsches Lächeln besaß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)